Materialien zum Neobuddhismus

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Wilhelm II.: "Völker Europas, wahrt Eure heiligsten Güter!"

3. Deutschland

5. Buddhismus in Deutschland zwischen den beiden Weltkriegen


von Alois Payer

mailto: payer@payer.de


Zitierweise / cite as:

Payer, Alois <1944 - >: Materialien zum Neobuddhismus.  --   3. Deutschland. -- 5. Buddhismus in Deutschland zwischen den beiden Weltkriegen. -- Fassung vom 2005-07-30. -- URL: http://www.payer.de/neobuddhismus/neobud0305.htm . -- [Stichwort].

Erstmals publiziert: 1996-07-18

Überarbeitungen: 2005-07-30 [Ergänzungen]; 2005-06-06 [Ergänzungen]; 2005-05-24 [Ergänzungen]; 2005-05-12 [Ergänzungen];  2005-05-10 [Ergänzungen]; 2005-05-06 [überarbeitet und erweitert];  2005-02-28 [Ergänzungen]; 2003-07-13 [überarbeitet und stark erweitert]

Anlass: Lehrveranstaltung Neobuddhismus, Univ. Tübingen, SS 1987, SS 2003

Copyright: Dieser Text steht der Allgemeinheit zur Verfügung. Eine Verwertung in Publikationen, die über übliche Zitate hinausgeht, bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Verfassers.

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Übersicht



0. Weiterführende Ressourcen


Steinke, Ulrich: Karl Bernhard Seidenstücker (1876-1936) : Leben, Schaffen, Wirken

besonders:

Hecker, Hellmuth <1923 - >: Lebensbilder deutscher Buddhisten ; ein bio-bibliographisches Handbuch. -- Konstanz : Universität. -- (Forschungsprojekt "Buddhistischer Modernismus" -- Forschungsberichte)
Band I: Die Gründer. -- 1990. -- 179 S. -- (... ; 1). (mit ausführlichen Literaturangaben)].


1. Zeittafel


1900

Paul Dahlke (1865-1928) wird in Ceylon Buddhist.

1911

Hermann Hesse (1877-1962) auf "Indienreise"

1911-1921

Deutscher Zweig der Maha Bodhi Gesellschaft; gegründet durch Karl Seidenstücker (1876-1936); Vorsitzender: Friedrich Zimmermann (Subhadra Bhikshu) (1852-1917); geht 1921 in Bund für Buddhistisches Leben auf

1912-1928

Bund für Buddhistisches Leben

1913-1931

Zeitschrift für Buddhismus und verwandte Gebiete / hrsg. vom Bund für Buddhistisches Leben.

1913

Hesse, Hermann (1877-1962): Aus Indien

1914-1918

Erster Weltkrieg

1914/15

Walter Markgraf (Dhammanusâri) fällt im Krieg.

1915

Georg Grimm (1868-1945): Die Lehre des Buddha

1915 -- 18. Oktober

Karl Eugen Neumann (geboren 1865) stirbt in Wien.

1917 -- 30. Juni

Friedrich Zimmermann (Subhadra Bhikshu) (geboren 1852) stirbt in Stuttgart.

1917-22

Neubuddhistische Zeitschrift / Hrsg.: Paul Dahlke (1865-1928)
Fortsetzung: Die Brockensammlung

1918

Paul Dahlke (1865-1928) entfacht Anattâ-Streit

1918 -- 11. November

Waffenstillstand von Compiègne. Bilanz: ca. 9 Millionen Gefallene, etwa ebensoviele Opfer durch Unterernährung und Seuchen.

1919 -- 1929


Abb.: Oskar Schloß

[Bildquelle: Hecker, Hellmuth <1923 - >: Lebensbilder deutscher Buddhisten ; ein bio-bibliographisches Handbuch. -- Konstanz : Universität. -- (Forschungsprojekt "Buddhistischer Modernismus" -- Forschungsberichte). -- Band II: Die Nachfolger. -- 1992. -- S. 208]

Oskar Schloß's (1881-1945) Buddhistischer Verlag

1919-1925

Buddhistischer Weltspiegel : Monatsschrift für Buddhismus und religiöse Kultur auf buddhistischer Grundlage / hrsg. von Karl Seidenstücker (1876-1936) und Georg Grimm (1868-1945) . Schriftleiter: Georg Grimm.

1919

Keyserling, Hermann Graf <1880 - 1946>: Das Reisetagebuch eines Philosophen

1919 -- 11. Februar

Paul Carus (geboren 1852) stirbt in La Salle (Illinois)

1919 -- 11. August

Weimarer Verfassung

1920

Der Indologe Hermann Oldenberg (geboren 1854) stirbt

1921

International Buddhist Union

1921-07-20

Am 20. Juli gründen Georg Grimm (1868-1945) und Karl Seidenstücker (1876-1936) Buddhistische Gemeinde für Deutschland. 1924 in Loge umgewandelt

1922


Abb.: Leopold Ziegler
[Bildquelle: http://www.blb-karlsruhe.de/blb/blbhtml/besondere-bestaende/nachlaesse/ziegler.html#f1. -- Zugriff am 2005-06-28]

Es erscheint:

Ziegler, Leopold <1881-1958>: Der ewige Buddho, ein Tempelschriftwerk in vier Unterweisungen. -- Darmstadt : Reichl, 1922. -- 433 S. ; 20 cm.

Nachdruck:

Ziegler, Leopold <1881-1958>: Gesammelte Werke in Einzelbänden. -- Würzburg : Königshausen und Neumann. -- Bd. 4., Der ewige Buddho : ein Tempelschriftwerk in vier Unterweisungen / mit einem Vorw. von Franz Vonessen. -- Repograf. Nachdr. der 1. Aufl., Darmstadt, Reichl, 1922. -- 2004. -- IX, 433 S. : Ill. -- ISBN 3-8260-2996-8. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie  dieses Buch  bei amazon.de bestellen}  

"Ziegler, Leopold (Carl Claudius), Philosoph, geb. 30.4.1881 Karlsruhe, gest. 25.11.1958 Überlingen/Bodensee

Der Kaufmannssohn studierte Philosophie an der TH Karlsruhe und der Univ. Heidelberg und wurde 1905 zum Dr. phil. promoviert. Er lebte als Privatgelehrter in Karlsruhe, seit 1925 in Überlingen am Bodensee. Zunächst unter dem Einfluss Eduard Hartmanns stehend, entwickelte Ziegler eine idealistisch geprägte Kunst- und Kulturphilosophie, die sich später mit religionsphilosophischen Gedanken verband. Er schrieb u.a. Das Wesen der Kultur (1903) und Menschwerdung (2 Bde., 1948). Ziegler wurde u.a. 1929 mit dem Goethe-Preis der Stadt Frankfurt/Main ausgezeichnet und war korrespondierendes Mitglied der Akademie der Wissenschaften und der Literatur in Mainz. "

[Quelle: Deutsche biographische Enzyklopädie & Deutscher biographischer Index. -- CD-ROM-Ed. -- München : Saur, 2001. -- 1 CD-ROM. -- ISBN 3-598-40360-7. -- s.v.]

"Wer das vorliegende Buch liest, wird leicht zu dem Urteil kommen, es sei ein Nachtrag zu dem großen Frühwerk Zieglers „Gestaltwandel der Götter". Das ist nicht falsch, aber auch nicht ganz richtig. Korrekt ist zu sagen, dass „Der ewige Buddho" wie ebenso das anschließend geschriebene Werk „Das Heilige Reich der Deutschen" geistig und theoretisch mit dem „Gestaltwandel" eine größere Einheit bilden.

„Der Gestaltwandel der Götter" von Leopold Ziegler war 1920 in „Erster bis zweiter Auflage" im S. Fischer-Verlag/Berlin erschienen. Eine „dritte Auflage" erschien 1922 beim Otto Reichl Verlag in Darmstadt. Im selben Jahr kam dann „Der ewige Buddho", ebenfalls in Darmstadt, heraus. Und am Ende der „Einführung" gibt Ziegler den Hinweis, dieses Buch sei auf Grund einer „Anregung .... von Seiten des Herrn Verlegers" geschrieben worden (33). Zu Zieglers Briefwechsel mit Otto Reichl vermerkt das Verzeichnis der Sekretärin Zieglers, geschrieben nach dessen Tod, 131 Briefe und Karten Reichls von 8.6.20 bis 1.11.22; später kommen nochmals über 400 Briefe und Karten hinzu. Solange diese Briefmasse noch nicht ausgewertet ist, werden wir Zieglers Auskunft so annehmen, wie er sie gibt, zumal sie durch einen Brief an Graf Keyserling vom 30.7.20 in gewisser Weise gestützt wird: Ziegler antwortet Keyserling, der um einen Aufsatz über Buddha für sein Jahrbuch „Der Leuchter" gebeten hatte, er sei bei der Niederschrift der ersten Notizen sofort „in eine so starke innere Spannung" geraten, dass der Gedanke eines Buches „sich förmlich aufzwang". Wenige Tage darauf habe ihn dann der Vorschlag des Verlegers für ein Buch über Buddha erreicht. Weil dieser Verleger auch der des Grafen Keyserling war, ist es erlaubt, an verschiedene Zusammenhänge zu denken. Aber der wichtigste lag auf jeden Fall beim Autor selbst.

Der „Gestaltwandel" hatte, in jeweils einzelnen Kapiteln, das Wesen der Religion und die Erscheinung des Göttlichen im Altertum, in der christlichen Spätantike, im Mittelalter und in der Reformation beschrieben und kritisch gedeutet, um dann zur Neuzeit überzugehen und in einer Darstellung des geradezu sprichwörtlich gewordenen „Mythos atheos der Wissenschaften" und der „Mysterien der Gottlosen" zu gipfeln. Was also lag näher als der Wunsch, dieses mächtige Gedankengebäude von mehr als 900 Seiten Umfang, das nur dem abendländischen Räume gewidmet war, durch einen Blick auf die indischen Religionen, speziell auf den Buddhismus mit seiner Überwindung des hinduistischen Götterkosmos zu vervollständigen! Insofern ist ein mögliches Befremden des Lesers leicht zu beheben; es ist lediglich der Geist der Untersuchung, der dem des ersten Bandes entspricht.

Jedoch macht sich sofort ein anderes Bedenken geltend. Was verstand der Autor von den asiatischen Religionen? Ziegler war ein ungeheuer fleißiger Leser mit ausgebreiteten Kenntnissen sogar auf unerwarteten Gebieten; kaum ein anderer Autor jener Generation war so umfassend gebildet wie er, der schon in seinen Promotionsfächern Philosophie, Nationalökonomie und Biologie ein erstaunlich gefächertes Studium nachweisen konnte. Ohne den Anspruch zu machen, ein Fachgelehrter zu sein, war er auf vielen Gebieten so bewandert, dass er sich bewusst war, als Autor mitsprechen zu dürfen. Er kannte das Wichtige und konnte, wenn so zu sagen erlaubt ist, aus philosophischer Perspektive manches besser begreifen als einer, der nur in den Niederungen der wissenschaftlichen Einzeluntersuchung daheim ist.

Was den Buddhismus betraf, so ist die Lage freilich eine besondere. Den Deutschen war das Corpus der buddhistischen Pâli-Texte erst durch Karl Eugen Neumanns Übersetzungen, also ab 1896, in größerem Umfang erschlossen worden. Diese Begegnung mit einer ganz neuen und vertieften Ansicht vom Wesen des Buddhismus hatte eine ungeheure Wirkung auf die geistige Welt, die von Hermann Hesse bis zu Rudolf Pannwitz nachzuweisen ist, auch wenn Zieglers „Einführung" eine tüchtige Empörung über den Mangel an Bereitschaft der europäischen Gelehrten zu erkennen gibt, sich mit dem unerhörten Reichtum, den diese Übersetzungen erschlossen, ohne Herablassung zu befassen, womit er insofern wohl Recht hat, als es noch bis auf den heutigen Tag Fachleute gibt, die es zu betonen für nötig halten, sie seien „Buddhologen aber keine Buddhisten", so als wolle der Verfasser eines Buches über Kant vorsorglich erklären, er sei Kant-Forscher aber kein Kantianer. Ziegler selbst hatte, wie der Ausstellungskatalog „Leopold Ziegler. Leben und Werke in Dokumenten" der Badischen Landesbibliothek vom Jahre 1979 nachweist,

schon im Wintersemester 1902/3 eine Vorlesung über Buddha und den Buddhismus besucht, und es ist auch nicht für gleichgültig anzusehen, dass das letzte Kapitel des „Gestaltwandels" (S. 896 ff) auf Indien und speziell den Buddhismus überleitet; dieses große Werk schließt sogar, auf Seite 907, mit Versen aus dem buddhistischen Kanon.

Also das Interesse an Buddha und die Beschäftigung mit dem Buddhismus stammen bei Ziegler von weit her. Um so mehr könnte man enttäuscht oder zumindest befremdet sein, dass der Text erst ab Seite 64 auf die indische Religion, speziell auf die Bhagavad-Gîtâ zu sprechen kommt, und erst kurz vor Seite 100 auf den Buddha. Aber tatsächlich hat der lange Weg bis dorthin ein wichtige Aufgabe: den Prozess des Protestantismus zu schildern, der nach Zieglers Deutung die Weltgeschichte durchzieht. Das darf man als eine Art Nachtrag zum „Gestaltwandel" ansehen, wird aber einsehen, dass es sich um eine bedeutende Bereicherung handelt. Ziegler ging davon aus, dass alles Neue aus dem Protest gegen das Bestehende entsteht; jeder, der nicht einfach mit dem Herkömmlichen und Vorhandenen mitläuft, bringt durch sein Nein die Dinge, die sonst stagnieren und am Ende faulen würden, neu in Bewegung. Insofern hat die erste der vier „Unterweisungen", in die das Buch geteilt ist, den Titel: „Buddho der Protestant". Nachdem Ziegler die Kategorie des Protestes an Beispielen erklärt und in Ausschnitten durch die Geschichte verfolgt hat, zeigt er am Text der Bhagavad-Gîtâ die schwer ermessliche Größe der hinduistischen Religion, um von ihr aus den Protestanten Buddha ins gehörige Licht zu setzen. In dieser Art ein Werk durch ein anderes fortzusetzen, ist nicht nur erlaubt, sondern fruchtbar.

Wichtiger ist ein anderer Umstand. Über Buddha und den Buddhismus sind im 20. Jahrhundert kaum übersehbar viele Bücher geschrieben worden. Aber man tut weder Deussen noch seinen Nachfolgern Unrecht, wenn man feststellt, dass eine Untersuchung des Buddhismus aus der oben erwähnten „philosophischen Perspektive" nicht mehr versucht worden ist. Ob Zieglers Ansatz geglückt ist, muss der Leser entscheiden. Auf jeden Fall hatte Ziegler keinen Vorgänger und wäre darum in jedem Falle entschuldigt. Aber dass das Anliegen keine Fortsetzung gefunden hat, stimmt wohl bedenklich; denn das philosophische Interesse sowohl der Upanishaden als auch des Buddhismus liegt doch klar auf der Hand. Insofern behält Zieglers Werk bis heute sein Recht, auch wenn die Zeitläufte, die sich immer stärker auf die Aspekte moderner Fachwissenschaften wie Soziologie, Politologie und Psychologie festgelegt haben, nur wenig Interesse an Zieglers philosophischen Intentionen aufbringen mögen. Allerdings sei nicht verschwiegen, was Ziegler selbst am Ende der Einführung sagt: er habe sich seine Aufgabe „wesentlich als homo religiosus und kaum als Philosoph, am wenigsten als Historiker" gestellt (33). Aber auch die rein religiöse Betrachtung des Phänomens kann natürlich, wenn Ziegler der Verfasser ist, die philosophische, zumindest „religionsphilosophische" Intention nicht verbergen.

Falls aus dem Abstand von 80 Jahren eine Kritik am Buche zu äußern ist, so wäre es vornehmlich die, dass es vier Teile hat, jeweils etwa hundert Seiten stark, von denen zwar jeder durch drei - der zweite sogar nur durch zwei - Abschnitte gegliedert ist, aber ohne Überschriften, so dass der Leser nicht anders kann, als sich beinahe blind dem Fluss des Textes anzuvertrauen. Das verlangt einen Vertrauensvorschuss, den man einem Autor, auch wenn man ihn schätzt, höchst ungerne gibt, zumal in diesem Fall, wo der zitierte Brief an Keyserling, nach dem Hinweis auf die „starke innere Spannung", noch einen Superlativ folgen lässt: „Aus dem Grad meiner Besessenheit von diesem Gedanken zu schließen, müsste das Büchlein den gelungensten Stücken meines letzten Buches keine Unehre machen ...". Man hätte es wohl vorgezogen, durch klare Gliederung des Textes bestätigt zu finden, dass die „Besessenheit" einer vollen gedanklichen Klarheit gewichen ist.

Da die Gliederung ganz undeutlich bleibt, sei hier wenigstens das Nötigste mitgeteilt. Über die erste Untersuchung sprachen wir schon. Der Titel der zweiten Unterweisung - „Buddho der Erlebende" - spielt auf den Namen Buddhas („der Erwachte") an. Ähnlich wie sehr viele Menschen den einen oder anderen Schritt ihres Lebens nur dank einem scheinbar zufälligen „Erlebnis" machen können, bedarf erst recht die Erweckung des „vollkommen Erwachten" durch seine „Erlebnisse", die Begegnung mit Alter, Krankheit und Tod, einer gründlichen Nachforschung.

Die dritte Unterweisung wird wohl am stärksten durch die Kategorien des „Gestaltwandels" bestimmt. Wenn Buddha „der Wissende" ist, so handelt es sich um ein absolutes Wissen, das die Erinnerung zuerst an einige, dann an hunderte und hunderttausend Leben, zuletzt sogar an die Zeiten „während mancher Weltentstehungen und Weltvergehungen" umfasst. Dieses absolute Wissen gegen die Rolle von gewissen Erinnerungskräften in der europäischen Geistesgeschichte zu stellen, ist von verblüffendem Reiz, zumal wenn ein krasser Gegensatz auftaucht: das wissenschaftliche Wissen und seine „Erinnerung" reicht teils, in der Erdgeschichte, bis auf früheste Zeiten zurück, teils rührt es, in der Menschheitsgeschichte, durch das „biogenetische Grundgesetz" an den Anfang des Lebens. Auch der platonischen Anamnesis-Lehre wird in diesem Rahmen natürlich der gehörige Platz zugewiesen. Vor allem hier zeigt sich also das Besondere des Standortes, den Zieglers Werk gegenüber anderen Untersuchungen einnimmt.

Die vierte Unterweisung schildert zunächst, mit bewusstem Anklang an das berühmte Werk Oswald Spenglers, „des Abendlandes Untergang" und verweilt dann ausführlich bei einer Fundamentalkritik der europäischen Gegenwart, deren notwendige „Selbstentblößung" vor allem durch „drei Propheten" bewirkt worden sei (354). Ziegler folgt seiner lebenslänglichen Unart, sich mit Andeutungen zu begnügen, auch hier; er nennt sie uns nicht. Ich fürchte, falsch zu raten, wenn ich in den beiden ersten Kierkegaard und Dostojewski vermute. Aber der Autor ergreift vor allem das Wort des dritten, Nietzsches, der Mensch sei etwas, das überwunden werden muss; und zu dieser Überwindung hilft das Dionysische, „bisher Europas ewigste Vollendung" (421). Was dem Westen helfen wird, ist deshalb durch „Begegnung" des Dionysos mit Buddha zu erreichen, wobei Dionysos zwar in gewisser Weise widerlegt wird, aber immerhin das letzte Wort behalten darf (430 -Ende, S. 433).

Ein Vorwort sollte weder eine Laudatio noch eine Vorweg-Kritik sein; es darf wirklich nur einführen. Immerhin sind Tatsachen nicht zu verschweigen. Die Überlieferung lautet, Ziegler habe seinen „Buddho" später ausdrücklich widerrufen. Faktum ist folgendes. Der Theologe Ernst Benz war beeindruckt, im „Buddho" eine „echte Auseinandersetzung in aller Ausführlichkeit und Tiefe vorzufinden", und schlug Ziegler in seinem Brief vom 8.2.1957 eine Übersetzung ins Japanische vor. Ziegler antwortete sofort, am 11.2.: „Ihre Anfrage wegen des .Buddho' darf ich zu meinem Leidwesen nur mit einem .Nein' beantworten. Ich habe das Buch vor Jahrzehnten schon aus dem Handel zurückgezogen, weil es der Sache nicht gerecht wird".

Die Behauptung, das sei „vor Jahrzehnten" geschehen, ist auf jeden Fall nicht korrekt. Der Ausstellungskatalog wie auch die Biographie von Martha Schneider-Fassbaender erklären übereinstimmend, Ziegler habe das Buch 1942 aus dem Buchhandel zurückgezogen. Beweise geben sie nicht. Die Angabe ist auf jeden Fall unglaubwürdig. 1942 waren Zieglers Werke längst von Reichl auf einen Wiener Verlag übergegangen, der die ganzen Restauflagen ausverkauft hat. Wie weit entfernt Ziegler damals war, sein Buch zu verleugnen, zeigt die Widmung eines Exemplars an Reinhold Schneider aus dem Jahre 1941, wobei er noch mit voller Bejahung den jugendlich-emphatischen Anfang zweier Kapitel seines Buches (S. 39 und 345) zitiert: „,Das heilige Ja über die Auf- und Niedergänge'... unauslöschlich ist mein Dank, lieber und teurer Freund, den ich Ihnen für Ihren Beistand schulde am Tage meiner Herzensnot! Baden-Baden, 30. April 1941, Leopold Ziegler". Niemand wird glauben, dass Ziegler Schneider an diesem Gedenktag, übrigens seinem 60. Geburtstag, ein Werk hätte verehren wollen, das er nicht selber hoch schätzte. (Mit dem „Tag der Herzensnot" ist der Todestag der Ehefrau, 14.9.40, gemeint.)

Tatsache ist also einzig die, dass er das Buch im Jahre 1957 verneint. Aber dafür sehe ich nur eine Erklärung. Die Eitelkeit, die vielleicht jedem Autor eignet, war bei Ziegler nicht gering ausgeprägt; so ist er mehrfach auf sich selber hereingefallen. Gerade der „Buddho" enthält Stellen, derer sich der Autor Jahrzehnte später geschämt haben muss. Damit ist nicht etwa der „hieratische Stil" gemeint, zu dem Ziegler sich unschwer bekannt hat (34), und den er mit etlichen philosophischen (oder philosophierenden) Schriftstellern seiner Generation teilt, wohl aber die eine und andere Stelle, an der er die Grenzen des Geschmacks deutlich überschritt. Ich verweise beispielshalber auf Seiten 115 ff. Zum Glück tun diese Passagen dem Gedanken als solchen keinerlei Abbruch, und man sollte sie mit der Nachsicht lesen oder überlesen, die einem Autor jener Generation, von der wir noch so vieles zu lernen haben, in unseren Tagen gebührt."

[Quelle: Franz Vonessen <1923 - >: Vorwort. -- Ziegler, Leopold <1881-1958>: Gesammelte Werke in Einzelbänden. -- Würzburg : Königshausen und Neumann. -- Bd. 4., Der ewige Buddho : ein Tempelschriftwerk in vier Unterweisungen / mit einem Vorw. von Franz Vonessen. -- Repograf. Nachdr. der 1. Aufl., Darmstadt, Reichl, 1922. -- 2004. -- IX, 433 S. : Ill. -- ISBN 3-8260-2996-8. -- S. . -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie  dieses Buch  bei amazon.de bestellen}] 

1922/23

Inflation in Deutschland: 1 Goldmark von 1914 entspricht im Dezember 1919 10 Reichsmark, am 15. November 1923 1 Billion Reichsmark

1922

Hesse, Hermann (1877-1962): Siddhartha : eine indische Dichtung.

1922

Martin Steinke (1882-1966) gründet in Berlin Gemeinde um Buddha e.V.

1923

Heim, Karl <1874-1958>: Der Zen-Buddhismus in Japan. -- In: Zeitschrift für Theologie und Kirche

1923

Otto, Rudolf (1869-1937): Über Zazen als Extrem des numinosen Irrationalen.

1924

Buddhistische Gemeinde für Deutschland wird in Buddhistische Loge zu den Drei Juwelen umgewandelt

1924

Buddhistisches Haus in Berlin Frohnau von Paul Dahlke (1865-1928) erbaut (seit 1957 in Besitz der ceylonesischen German Dharmaduta Society)

1924-38

Die Brockensammlung : Zeitschrift für angewandten Buddhismus. Hrsg.: Paul Dahlke (1865-1928); nach seinem Tod: seine Geschwister.

1925

Die Münchner Filmgesellschaft "Emelka" verfilmt in Indien die Lebensgeschichte des Buddha: Prem Sanas (Die Leuchte Asiens)

1925

Geiger, Wilhelm: Samyuttanikâyaübersetzung Bd 1-2

1925

Zen, der lebendige Buddhismus in Japan : Ausgew. Stücke von Zen-Texten / übers. u. eingel. von Schûej Ohasama ; hrsg. von August Faust.

1925-1931

Spiegel der Lehre / Hrsg.: Georg Grimm

1925

Deutscher Film Die Leuchte Asiens, in Indien gedreht

1928 -- 29. Februar

Paul Dahlke (geboren 1865) stirbt

1928-1931

Jatvantara Bauddha Samagama / International Buddhist Union; von Govinda (Ernst Lothar Hoffmann) (1898-1985) als Generalsekretär und Nyânatiloka (1878-1957) als Präsident gegründet.

1928-1933

Briefe über die Buddhalehre bzw. Der Buddhaweg und wir Buddhisten / von Martin Steinke (1882-1966)

1929 -- 24. Oktober

"Schwarzer Freitag" an der New Yorker Börse. Beginn der Weltwirtschaftskrise.

1929-Mitte der dreißiger Jahre


Abb.: Ferdinand Schwab

[Bildquelle: Hecker, Hellmuth <1923 - >: Lebensbilder deutscher Buddhisten ; ein bio-bibliographisches Handbuch. -- Konstanz : Universität. -- (Forschungsprojekt "Buddhistischer Modernismus" -- Forschungsberichte). -- Band II: Die Nachfolger. -- 1992. -- S. 225]

Ferdinand Schwab (1882-1976) übernimmt den Schloss-Verlag und führt ihn als Benares-Verlag weiter.

1929-06-01 bis 1929-10-18

Anagarika Govinda (1898 - 1985) begibt sich auf Werbetour für die International Buddhist Union durch Europa (Deutschland, Frankreich, England, Sakandinavien, Italien). Die Kosten trägt der Verleger Ferdinand Schwab (1882 - 1976)

1930

Januar: 3,2 Mio Arbeitslose; Juli: 2,8 Mio Arbeitslose

1930-1942

Buddhistisches Leben und Denken / Hrsg.: Kurt Fischer (1891-1942)

1931

Januar: 4,9 Mio Arbeitslose; Juli: 4 Mio Arbeitslose

1931

Anagarika Govinda wird in Darjeeling als Gelugpa initiiert

1932

Januar: 6 Mio Arbeitslose; Juli: 5,4 Mio Arbeitslose

1932

Ignácz Trebitsch (1879-1943) tritt als Mönch Chao Kung in Berlin auf und gewinnt u.a. Martin Steinke dazu, in China dem Buddhistischen Orden beizutreten

1932 -- 28. November


Abb.: Hans Much (1880 - 1932)
[Bildquelle: Archiv Hermann Schiewe]

Hans Much (geboren 1880) stirbt in Hamburg.

1932-

Yâna oder Organ der Altbuddhistischen Gemeinde

1933

Januar: 6 Mio Arbeitslose; Juli: 4,5 Mio Arbeitslose

1933 -- 24. März

"Ermächtigungsgesetz"

1933 -- 2. August

Adolf Hitler "Führer und Reichkanzler"

1933

1. Europäischer Buddhistischer Kongress im Buddhistischen Haus in Berlin

1933/1934

Die Kiefer / Hrsg.: Eberhard Koebel

1933

Wiedergeburt und Wirken / Hrsg.: Wolfgang Schumacher (1908-1961)

1933 -- 4. Oktober

Lama Anagarika Govinda (1898-1985) gründet in Darjeeling Arya Maitreya Mandala (AMM)

1933 -- November

Martin Steinke wird in China als Mahâyâna-Mönch ordiniert. Ordensname: Tao Chün

1935

Buddhistische Loge zu den Drei Juwelen wird in Altbuddhistische Gemeinde umgewandelt.

1935

Friedrich Sommer (1896-1972) trennt sich mit der Gemeinde um Buddha e.V. von Martin Steinke -- Tao Chün. Dieser gründet in Berlin eine Buddhistische Arbeitsgemeinschaft.

1936 -- 29. Oktober

Karl B. Seidenstücker (geboren 1876) stirbt als Katholik in Leipzig.

1936

Eugen Herrigel (1884-1955) hält in Berlin vor Deutsch-Japanischer Gesellschaft Vortrag: Die ritterliche Kunst des Bogenschießens.

1936/1937

Die Lehre von der Befreiung / Martin Steinke -- Tao Chün

1937

Martin Steinke -- Tao Chün gründet in Potsdam eine Buddhistische Gemeinde e.V. mit einem Blockhaus als Vihâra

1937-06-11

Carl Theodor Strauss (geboren 1852) stirbt in Frankfurt / Main.

1937-07-02

SS-Brigadeführer Karl Maria Wiligut (alias Weisthor) (1866 - 1946), Vorsteher des Departements für Vor- und Frühgeschichte innerhalb des Rasse- und Siedlungshauptamtes der SS  erhält folgendes Schreiben des Privatgelehrten Gaston de Mengel

"Übersetzung:

„Vor einigen Jahren erhielt mein russischer Freund (er half uns 1933 im Kampfe gegen Oung Mong und war so verwegen, uns unter falschen Vorwänden zu schreiben) aus Cuba ein Paket mit von Oung Mong herrührenden Dokumenten, ¦welche dazu dienen sollten, sogenannte „Buddhistische Zentren" in verschiedenen Ländern zu gründen. In der Anlage seines Briefes, der mich vor einigen Tagen erreichte, schickte er mir eine Zusammenfassung eines dieser Dokumente.

Auszug einer von Oung Mong 1934 veröffentlichten Erklärung

Das geheime Hauptzentrum der ganzen buddhistischen Welt, das unter dem Namen „Einsiedlerreich der Welt" und „Buddhistisches Zentrum Ch'An Cheng Cob" bekannt ist, ist, wie man behauptet, zerschlagen worden. Nichts ist falscher als dies. Es ist nur an einen sichereren Ort verlegt worden, weil da, wo es früher lag, in Urumchi in Sin-Kiang die politischen Konflikte und andere Unruhen das Führen unseres heiligen Sitzes „Päpstlicher Stuhl" an diesem Orte unmöglich machten. Vor kurzem ist das „Einsiedlerreich der Welt" „Nomade" geworden und hat sich augenblicklich am Tibet niedergelassen......Man hat in der Welt sich widersprechende und irrige Kommentare verbreitet, die von einer schlecht unterrichteten Presse sowie von Gesellschaften, die der Gegenwart des erwarteten Messias in dieser Welt, des neuen Belehrers der Welt, dem Herrn Maitreya, von dem man annimmt, er sei die letzte Reinkarnation des Buddha, nicht freundlich gegenüberstehen, herrühren; man versichert schließlich, dass er (Maitreya?) der Prior des buddhistischen Zentrums von Chan Cheng Cob, das in Asien mehr unter dem Namen von Hutulktu Kräng Hsi und in der ganzen Welt bis vor kurzem unter „Ehrwürdiger (Meister vom Stuhl) Anagarika Chasshekankrakrya alias Oung Mong, Cherenski usw., bekannt ist, sei.

Dieses Dokument bestätigt das Ergebnis meiner Erfahrungen und ebenso unsere [!] Ansicht, dass Oung Mong wenn nicht der oberste Chef des „Zentrums der Schwarzen" so doch wenigstens einer seiner Hauptbeauftragten ist. Der Autor dieses Dokuments hat das Geschick, den Eindruck zu erwecken, dass dieses Zentrum das „Grosse Zentrum der Weißen", das „Aghartta" (mongolisch Agharti) sei, er gibt ihm zu diesem Zweck den gleichen Namen und macht die, die evtl. die Angelegenheit bezweifeln könnten, glauben, dass es sich nicht mehr an diesem Platz befinde (währenddem es noch immer dort ist). Er kann jedoch die, die wissen, dass das Aghartta geheim ist, dass seine genaue Lage (im Umkreis von 1500 km vom schwarzen Zentrum entfernt) und sein Eingang für alle, ausgenommen die, die das Recht des Eintritts besitzen, unauffindbar ist, dass, wenn jemand durch Zufall hereingeriete, er nie wiederkäme, nicht täuschen. Vor einigen Jahren haben die Engländer zu diesem Versuch eine irrsinnige Summe ohne Erfolg ausgegeben."

Bundesarchiv NS 19, 3974, Bl. 48f.

[Zitiert in: Wegener, Franz: Heinrich Himmler : deutscher Spiritismus, französischer Okkultismus und der Reichsführer SS. -- Gladbeck : KFVR, 2004. --  160 S. : Ill. ; 22 cm. --  (Politische Religion des Nationalsozialismus ; 4 : Der Äther). -- ISBN 3-931300-15-3. -- S. 106f. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch bei amazon.de bestellen}]

1937

Nyanaponika (geb. 1901) zum Mönch ordiniert (1936 Novize)

1937


Abb.: Der Pantschen Lama
[Bildquelle: Schäfer, Ernst <1910 - 1992>: Unbekanntes Tibet : Durch die Wildnisse Osttibets zum Dach der Erde. -- Berlin : Parey, 1937. --VIII, 295 S. : Mit 2 Kt. ; gr. 8°. -- nach S. 16.]

Es erscheint

Schäfer, Ernst <1910 - 1992>: Unbekanntes Tibet : Durch die Wildnisse Osttibets zum Dach der Erde. -- Berlin : Parey, 1937. --VIII, 295 S. : Mit 2 Kt. ; gr. 8

Zu Ernst Schäfer siehe unten 1943

Aus dem Vorwort:

"Mit der allgemeinen Erhebung durch die nationale Revolution in Deutschland erlebt unsere Forschung nicht nur als reine Wissenschaft neuen Aufschwung, sondern sie wird auch in neue Bahnen gelenkt: neben der Pflege wichtiger Wissensziele gilt es, die Wissenschaft zur Trägerin kernigen deutschen Mannestums zu machen. So wollen wir Forscher nicht nur Verkünder objektiver Wissenschaft, sondern selbstbewusste Soldaten des deutschen Geistes sein.

Für den deutschen Jungen mag das Buch ein Ansporn sein!"

[Quelle: Schäfer, Ernst <1910 - 1992>: Unbekanntes Tibet : Durch die Wildnisse Osttibets zum Dach der Erde. -- Berlin : Parey, 1937. --VIII, 295 S. : Mit 2 Kt. ; gr. 8°. -- S. IV.]

1938 -- 9. November

"Reichskristallnacht"

1939 -- 1. September

Deutscher Überfall auf Polen. Beginn des Zweiten Weltkriegs.

1940 -- 30. August


Abb.: Bartel Bauer, 1915
[Bildquelle: Archiv Hermann Schiewe]

Bartel Bauer (Kondañño) (geboren 1887) stirbt.

1942 -- 25. August

Kurt Fischer (geboren 1892) stirbt in Berlin.

1943-01-16

Uraufführung des Films Geheimnis Tibet von Ernst Schäfer (1910 - 1992)


Abb.: Ernst Schäfer und Bruno Beger bei den Dreharbeiten
[Bildquelle: http://www.mdr.de/kultur/film/1376705.html. -- Zugriff am 2005-05-069 

Hintergrund:


Abb.: Ernst Schäfer

"Um den Anspruch des NS-Regimes auf Weltherrschaft mit wissenschaftlichen Methoden zu begründen, rüstete das "Dritte Reich" aufwendige Expeditionen aus, die nur einem einzigen Ziel dienen sollten: Beweise für die kulturelle Überlegenheit der germanischen Rasse zu finden.

Dazu diente auch ein Forschungsunternehmen, das von Heinrich Himmler und seinem Amt "SS-Ahnenerbe" geleitet wurde. Im Auftrag des SS-Chefs fahndete 1938 der Zoologe Ernst Schäfer mit seinem Team nach Beweisen für abstruse Theorien, die im Dunstkreis Himmlers als "Wissenschaft" gehandelt wurden. Himmler glaubte an eine nordische Herrenrasse, die den Untergang des sagenhaften Atlantis überlebt habe. Einige Überlebende sollten sich angeblich nach Tibet gerettet haben. Die deutsche Industrie finanzierte die Expedition mit erheblichen Mitteln. Ein Einreisevisum erhielt Expeditionsleiter Ernst Schäfer nur mit Hilfe der Briten, die zu jenem Zeitpunkt die deutsche Regierung nicht verärgern wollten.

Schäfer selbst hielt im Hinblick auf die "Verwendbarkeit für die Kriegswirtschaft und künftige Siedlungsgebiete im Osten" Ausschau nach geeigneten Getreidekörnern, Samen und einer robusten Pferderasse, die im Krieg eingesetzt werden sollte.

Bruno Beger, Anthropologe und SS-Obersturmführer, vermaß die Schädel von über 200 Tibetern und forschte in den Gesichtern der Himalaja-Bewohner nach "arischen Zügen". Aber was mit spinnerter Germanen-Schwärmerei begann, endete bei grausamen Experimenten an vermeintlichen "Untermenschen".

Nach der Reise zum Dach der Welt arbeitete Beger an einem Forschungsprogramm zur Erstellung einer vergleichenden Skelettsammlung. Dazu wurden Häftlinge eines Konzentrationslagers selektiert und ermordet."

[Quelle: http://www.mdr.de/doku/archiv/geschichte/1700640.html. -- Zugriff am 2005-05-06]

"Der SS-Film „Geheimnis-Tibet“ / Ein Vortrag von Victor & Victoria Trimondi 

Der Naturwissenschaftler Ernst Schäfer [1910 - 1992], Sohn eines einflussreichen Hamburger Industriellen, hatte in den 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts schon an zwei Tibetexpeditionen unter der amerikanischen Leitung von Brook-Dolan teilgenommen. 1936 erregte er die Aufmerksamkeit  Heinrich Himmlers, der ihn sogleich zum "SS-Untersturmführer im Persönlichen Stab" ernannte. 1938 wurde die "SS-Expedition Schäfer" ins Leben gerufen. Im SS-Ahnenerbe, in dem sich die Intellektuellen und Akademiker des Schwarzen Ordens sammelten, diskutierte man über die Existenz einer verschütteten rassistischen, indo-arischen Kriegerreligion, aus denen sich unter anderem östliche „Weisheitslehren“, wie zum Beispiel der Buddhismus, entwickelt haben sollten. Diese „Urreligion“ nachzuweisen und zu rekonstruieren war ein primäres Anliegen Himmlers und seines Forscherstabes, zu dem auch bedeutende Orientalisten zählten. So verband er mit der SS-Tibetexpedition nicht nur naturwissenschaftliche und militärpolitische Zielsetzungen, sondern auch religiöse und okkulte. Seine Nazi-Forscher gingen mit den folgenden Aufgaben in den Himalaja: 

  1. Um nachzuweisen, dass dort in „Urzeiten“ eine arisch weiße Rasse geherrscht habe. In dieser Absicht wurden archäologische Recherchen und sogenannte „rassenkundliche“ Vermessungen an Einwohnern des Landes durchgeführt
  2. Um in den tibetischen Klöstern nach Schriften zu forschen, in denen das Wissen dieser indo-arischen Urreligion verschlüsselt  sei
  3. Um meteorologische, zoologische und geologische Forschungen durchzuführen
  4. Um militärstrategische Erkundigungen, insbesondere über die Einfluss Englands in dieser Region einzuziehen

Im August 1939 kehrte die "SS-Expedition Schäfer" nach Deutschland zurück und wurde mit großem Pomp von Himmler auf dem Münchner Flughafen empfangen. Für seine außerordentlichen Verdienste erhielt der Tibetforscher den SS-Totenkopfring und den SS-Ehrendegen als Auszeichnungen. Im Frühjahr 1942, als die deutsche Armee schon tief in den Osten eingedrungen war,  befahl der Reichsführer-SS, die "Tibet- und gesamte Asienforschung" bevorzugt zu fördern. Diese galt von nun an als "kriegswichtige Zweckforschung" und stand unter dem Überbegriff "Kriegseinsatz der Wissenschaften".

Schäfer baute in diesen Jahren mit bemerkenswertem Erfolg das Sven Hedin Institut für Innerasienforschung als eine Unterabteilung des SS-Ahnenerbes auf. Die eigentliche Eröffnung des Instituts fand am Samstag den 16. Januar 1943 in der Münchner Ludwig Maximilian Universität statt. Vormittags wurde von deren Rektor Walther Wüst die Ehrendoktorwürde der Naturwissenschaftlichen Fakultät an den schwedischen Asienforscher Sven Hedin  verliehen. Nachmittags zeigte man die Uraufführung von Schäfers Film Geheimnis Tibet im Ufa-Palast, Sonnenstrasse 8. Sven Hedin war völlig hingerissen. „Großartig, wunderbar, was wir hier gesehen haben!“ - rief er aus und schüttelte dem jungen SS-Untersturmführer Ernst Schäfer immer wieder die Hand: „Sie sind der Mann, der meine Forschungen fortsetzen sollte und muss!“ – sagte er zu ihm. Schäfer machte aus dem Sven Hedin Institut die größte Abteilung innerhalb des SS-Ahnenerbes.

Die Ost-Erfolge der deutschen Armee und die Bündnisachse Berlin-Tokio führten zu einem allgemeinen Interesse an Asien. So waren die deutschen Medien voll mit Berichten über  Japan, China, Indien, die Mongolei und Tibet und der Film Geheimnis Tibet eignete sich ausgezeichnet für die Propagandazwecke. Folgende Absichten wurden damit verfolgt:

  1. Eine Aufheizung der allgemeinen Kriegsbegeisterung
  2. Die Verherrlichung deutscher Elite-Krieger im asiatischen Raum
  3. Ein Selbstporträt der SS  als Forschungs-Institution, die es versteht, Wissenschaft und Abenteuer miteinander zu verbinden
  4. Die Präsentation der Tibeter als mögliche Bündnispartner gegen England, insbesondere gegen Indien als englische Kolonie
  5. Eine Dokumentation der indo-arische Rassenforschung, welche die Existenz einer verschütteten weißen Hochkultur im Himalaja nachweisen sollte
  6. Ein Interesse an den magischen Ritualkulten des Lamaismus
Die Version des Films Geheimnis Tibet, die uns vorlag, beginnt mit den kriegerischen und aggressiven Aspekten der tibetischen Kultur. Diese nimmt die große Öffentlichkeit heute kaum wahr, denn das „Alte Tibet“ wird im Westen fälschlicherweise als ein friedliebender Mönchsstaat dargestellt, in dem sich die Mehrzahl der Bevölkerung geistigen Übungen hingab. Schon zu Anfang des Films wird der Zuschauer durch den "Kriegstanz" des blutrünstigen, tibetischen Schutzgottes Mahakala, des furchtbaren Herrn des Todes und des Schreckens, in die rechte, aufgepuschte  Kampfstimmung versetzt. Im Drehbuch ist folgender Satz zu lesen: „Dem Mahakala huldigen die besten der adeligen Krieger. Ihrem Kriegsgott beweisen sie die höchste Kraft, Härte und Zucht.“

Auch in der Sequenz  "Taschilhünpo und Schigatse", in der Schäfer die tibetische Armee vorstellt, erhalten wir Einblick in den Militarismus des Dalai Lama Staates: „So wird die Kriegsflagge zum Symbol der Zentralgewalt.“ – heißt es vom Entschluss des XIII. Dalai Lama, ein ständiges Heer zu schaffen.  Ebenfalls martialisch geht es bei der Sequenz "Das Neujahrsfest" zu: „Das ist das alte heldische Tibet.“ – ruft ein Sprecher begeistert aus – „Inmitten des Kirchenfestes hat es sich wiedergefunden, mannhaft und zäh, fern jeder klösterlichen Verweichlichung.“ Alles endet  mit einer Militärparade, welche die Besucher an die Heere des Dschinghis Khan erinnern soll: „Scharfe Waffen! – meldet der erste. – Gute Sättel! – meldet der Zweite. – Schnelle Pferde! – der Dritte – Tapfere Krieger! – So reiten sie wieder dahin, woher sie gekommen – hinaus auf die Steppen und Öden.“

Im sogenannten "Totenkomplex" des Films werden morbide Bilder der Leichenzerstückelung und Verzehrung durch Geier, im Drehbuch als "fliegende Särge" bezeichnet, gezeigt. Die SS-Männer waren an solchen makabren Szenen aus der tibetischen Kultur besonders interessiert, wie wir in unserer Analyse „Hitler-Buddha-Krishna“ nachgewiesen haben. Ebenso faszinierte sie die magische Seite des Lamaismus. Sehr beeindruckend sind die Filmsequenzen vom "Netschung-Lama", dem tibetischen Staatsorakel, ein Medium, das einen mongolischen Kriegsgott mit dem Namen Pehar vermittelt und das auch heute noch die politischen Entscheidungen des XIV. Dalai Lama entscheidend mitbestimmt. „Ein lebender Dämon voll ungeheurer Macht.“ – schreibt Schäfer zu dieser Szene – „In ihm verkörpert sich die alte Gottheit Tibets, die vor den Lamas war. Er trägt die Riesenmütze der alten Zauberpriester.“ Das Bild dieses Zauberlamas aus der Rotmützensekte schmückte denn auch die Einladungskarte für die Filmpremiere von Geheimnis Tibet. Die rassistische Ausrichtung des Propagandafilms wird durch Begers Schädelmessungen und –abformungen ausführlich dokumentiert.


Abb.: Der Einladungskarte zur Filmpremiere von Geheimnis Tibet diente eine Photographie des berühmten Dolch-Meisters (Phurba Master) der tibetischen Nyingma Tradition, Ling-tsang Gyalpo, als Vorlage. Er galt als eine Inkarnation des Kriegshalbgottes Gesar von Ling.

Obgleich er ein anderes Land und eine andere Kultur darstellt, ist Geheimnis Tibet von demselben Geist durchdrungen, der damals das nazistischen Deutschland in Stimmung versetzte: Beschwörung des Krieges und Leichenfelder. Himmler, der den Tibetfilm gerne erst nach einem gewonnen Krieg gezeigt hätte, zögert bis 1942, ihn für die Öffentlichkeit freizugeben. Dann aber sah er darin ein machtvolles Mittel, die Kriegsbegeisterung der Deutschen zu steigern und anzuheizen. "Richtlinien für die Propaganda" begleiteten die Aufführungen des Kunstwerkes, das die drei höchsten Auszeichnungen erhielt, die der NS-Staat für Filme zu vergeben hatte: „staatspolitisch wertvoll, künstlerisch wertvoll und kulturell wertvoll". Die Premieren fanden in den „einzelnen Gauhauptstädten [....] in engster Verbindung mit den SS-Dienststellen“ statt. Schäfer selber war anwesend in Berlin, Hamburg, Dresden, Halle, Weimar, Frankfurt a. M., Düsseldorf, Köln, Heidelberg, Strassburg, Stuttgart, Augsburg Salzburg, Linz, Wien, Klagenfurt, Innsbruck.

In mehr als 400 Publikationsorganen wurde der Film durch Artikel, die nach dem damaligen propagandistischen  Medienverständnis fast alle vorher verfasst und dann an die Presseorgane verteilt worden waren, besprochen. Die meisten der Artikelüberschriften trugen einen enigmatischen Unterton. Zum Beispiel: „Wir reiten in die verbotene Stadt des Dalai Lama“ ~ „Im Schatten der Götterburg“ ~  „Geheimnis Tibet entschleiert“ ~ „Mit der Kamera in der Burg der Götter“ ~ „Laaloo – die Götter wollen es“ ~ „Die Burg eines Gottkönigs“ ~  „Der Gottkönig empfängt uns“  „Funkelnder Kriegstanz der Götter“ ~ „Im Banne der Dämonen“  ~ „Blick ins Unbekannte“. Mitten im Zweiten Krieg fiel Deutschland in einen "Tibetrausch". Erst wieder Ende der 90er Jahren gewinnen zwei Filme über den XIV. Dalai Lama (Kundun und Sieben Jahre Tibet) ein ähnlich breites Interesse.

 

Der Film Geheimnis Tibet war mehr als eine Kulturdokumentation, es sollte ein Epos für die "ganzen Kerle" sein, die in Himmlers "Schwarzen Orden" ihren Dienst machten: „Aus dem Pioniergeist und dem Tatendrang der jungen Ordensgemeinschaft der SS heraus war diese Expedition geplant worden und von einer Handvoll von Männern mit wenig Aufwand und nur mit den notwendigsten Mitteln in die Wirklichkeit umgesetzt worden.“ – schrieb  die Zeitschrift Der Freiheitskampf . Schäfer und seine Forscherkollegen wurden als "Typen" dargestellt, an denen sich jeder "normale" SS-Mann und Hitlerjunge orientieren konnte: Abenteuerlustig, draufgängerisch, zynisch, nekrophil, fanatisch, rassistisch, überheblich, extrem ehrgeizig, diszipliniert und unterwürfig. Dass sie diese Eigenschaften mit wissenschaftlichen Qualifikationen verknüpften, war kein Widerspruch, sondern geradezu ein weiteres Charakteristikum der SS-Typologie für die höheren Ränge.

 

Der Film wirft die Frage auf, was ist daran Nazi-Propaganda und was sind authentische Darstellungen. Immerhin nimmt der Zuschauer hier bewegte Bilder wahr, die sprechen und die von zahlreichen Berichten westlicher Tibetreisender, auch wenn diese keine Nazis waren, bestätigt wurden. Die Tibet-Unterstützungsszene zeigt denn auch normalerweise ein durchaus positives  Porträt des Films. So wird der Nazi-Streifen oft kritiklos als ein wertvolles, anthropologisches und historisches Dokument präsentiert. Zum Beispiel in einer Ankündigung des ORF zum „Buddhistischen Filmfestival“ in Wien 2002:  „Am Sonntagabend wird eine filmische Rarität geboten: ‚Geheimnis Tibet’ ist eine Dokumentation der Ufa aus dem Jahr 1939 über eine deutsche Expedition nach Tibet.“

 

Erst als die peinliche „Nazi-Tibet-Connection“ in die öffentliche Diskussion gebracht wurde, sprach man in diesen Kreisen auf einmal von „Nazi-Projektionen“ auf die tibetische Kultur. Die abwegigste derartiger Darstellungen stammt von einem Tom Mustroph, der in einem Artikel über das Filmfestival „BuddhaVision 2000“ behauptet, Himmler habe das tibetische Ritualwesen christlich umgedeutet. Dort heißt es: „Heerscharen von Jesuiten machten sich auf den Weg und wurden Spezialisten der selbst für jesuitische Verhältnisse haarsträubenden Praxis, tibetische Rituale als originär christlich umzudeuten. Einer, der bis zum Schluss auf Biegen und Brechen an dieser Geschichte festhielt, war übrigens Heinrich Himmler. Der oberste SS-Mann schickte 1938 eine Expedition ins Hochgebirge. Ein Filmteam der Ufa war mit dabei. Das Produkt, der 90-minütige Dokumentarfilm ‚Geheimnis Tibet’ ist einer der interessantesten Beiträge des Festivals.“ (BuddhaVision 2000)

© Victor und Victoria Trimondi "

[Quelle: http://www.trimondi.de/H-B-K/deba.hi.04.htm. -- Zugriff am 2005-05-06]

1943


Abb.: Wilhelm Geiger und Frau Magdalene (geb. Grobe) (1977 - 1960)

Der Indologe Wilhelm Geiger (1856-1943) stirbt als Christ.

1945 -- 15. Februar

Oskar Schloß (geboren 1881) stirbt in Lugano.

1945 -- 8. Mai

Deutsche Kapitulation

1945 -- 26. August

Georg Grimm (geboren 1868) stirbt in Utting am Ammersee.


2. Hermann Graf Keyserling: Das Reisetagebuch eines Philosophen (1919)


1919

Es erscheint die erste Auflage von:

Keyserling, Hermann Graf <1880 - 1946>: Das Reisetagebuch eines Philosophen. -- München [u.a.] :  Duncker & Humblot, 1919.  -- XXVIII, 670 S.

"Keyserling, Hermann Graf: REISETAGEBUCH EINES PHILOSOPHEN

Aufzeichnungen von Hermann Graf Keyserling, erschienen 1919. – Man solle es lesen wie einen Roman, wie eine innerlich zusammenhängende Dichtung, so wünscht sich Keyserling in der Vorbereitung die Einstellung des Lesers zu seinem Reisetagebuch eines Philosophen, das den Privatgelehrten, anders als seine einer intuitiven Lebensphilosophie verpflichteten Versuche zur Naturphilosophie (Das Gefüge der Welt, 1906; Prolegomena zur Naturphilosophie, 1910), bekannt machte. Das Buch berichtet von einer Weltreise in den Jahren 1911 bis 1913, welche durch die Tropen nach Ceylon, von dort nach Indien, Tibet, China und Japan, schließlich durch den »Westen« (Amerika) wieder zurück nach Europa führte. Keyserling reiht eine überwältigende Fülle von Ereignissen und Erlebnissen aneinander, wobei der Leser vor allem Zeuge eines permanenten Stimmungswandels wird, dem sich der reisende Schriftsteller vorsätzlich unterzieht. Das Motto des Tagebuchs lautet: »Der kürzeste Weg zu sich selbst führt um die Welt herum.« Keyserling nimmt die Stationen seiner Reise zum Anlass, das eigene »proteusartige Wesen« in fremder Gestalt wiederzufinden. Auf der Schiffsreise durch das Rote Meer notiert er: »Stündlich spüre ich mich anders werden«, in Indien: »Mein ganzes Leben wird zum Vegetationsprozess« und in China: »Nun lebe ich beinahe ganz als Chinese.«

Die geistige und religiöse Wiederentdeckung des Orients, besonders Indiens, Chinas und Japans, bleibt mit dem Namen des Verfassers verknüpft. Sein Reisetagebuch ist insofern ein unersetzliches Dokument der Kulturgeschichte, als es in erstaunlicher Einfühlsamkeit von Gegebenheiten berichtet, die heute faktisch nicht mehr vorhanden sind. Manche Einseitigkeiten des Berichts lassen sich als zeitbedingt rechtfertigen: so etwa die Betonung des Erlebnismäßigen vor dem Sachlichen, die Verehrung Asiens und die Verachtung Europas.

Im Wechsel von meditativen und theoretischen Betrachtungen, die von farbigen und einprägsamen Naturschilderungen unterbrochen werden, ist Keyserlings Reisebericht weit mehr der Ausdruck einer Sehnsucht als ein Reflex des Erfahrenen. Der Orient, wie er ihn erlebt, ist keine Realität, sondern eine Projektion, die auf jeder Station der Reise mit Vehemenz als das ganz andere und doch längst Bekannte »entdeckt« wird. Die Auseinandersetzung mit den Religionen und Weltanschauungen Asiens ist intensiv und ausführlich. Aber weil diese ersten Adaptionen einer fremden Welt bloß auf einem Gefühl des Überdrusses an der eigenen beruhen, wird die Wirklichkeit der anderen Kultur hinter einer Vorgefassten Meinung fast völlig verstellt: »Buddhas Philosophie hat, von allen westlichen Denkern, mit derjenigen Ernst Machs die größte Ähnlichkeit.« Das heißt eine weltgründende Haltung in die ungenügenden Modelle der eigenen Weltanschauung pressen. Von den Lehren Asiens, das wird westlichen Forschern immer deutlicher, ist in den ersten »Übersetzungen« kaum eine Spur vorhanden. Der Grund dafür liegt – jedenfalls bei Keyserling – in seiner Befangenheit in unbefragten europäischen Kategorien und in jener nie ganz gelösten Ausschließlichkeit des Interesses an sich selbst und der proteusartigen Stimmung des eigenen Wesens. Im Vergleich etwa zu Rudolf Kassner, der einige Jahre früher Indien bereist hatte und durchaus Europäer geblieben war, ist die Keyserlingsche Auffassung indischer Weisheit für ein vertieftes Verständnis wenig aufschlussreich. In der Tendenz, die Welt nur zum Material privater Erlebnisse und Stimmungen zu reduzieren, trägt das Werk bereits einen Zug, der für den modernen Welttourismus charakteristisch geworden ist.

Prof. Dr. Dietmar Kamper

AUSGABEN: Mchn./Lpzg. 1919; 21919, 2 Bde. – Darmstadt 71923, 2 Bde. – Darmstadt 1956 (in GW, Bd. 1). – Mchn./Wien 1980.

LITERATUR: L. J. Witte, K.s »Reisetagebuch eines Philosophen« u. das Christentum, Bln. 1921. – P. Feldkeller, K.s Erkenntnisweg zum Übersinnlichen. Die Erkenntnisgrundlagen des »Reisetagebuches«, Darmstadt 1922."

[Kindlers neues Literaturlexikon © CD-ROM 1999 Systhema Verlag GmbH, Buchausgabe Kindler Verlag GmbH]

Zum Autor:


Abb.: Hermann Graf Keyserling [Bildquelle: http://elib.tu-darmstadt.de/lhb/dfg/keyserl.htm. -- Zugriff am 2003-05-20]

"KEYSERLNG, Hermann Graf, * 20.7. 1880 in Könno in Livland, + 26.4. 1946 in Innsbruck, war als Philosoph Brückenbauer zwischen Ost und West. - K. stammte aus baltischem Uradel. Er studierte die Naturwissenschaften in Genf, Dorpat, Heidelberg und Wien und versuchte sich dann, mit einer philosophischen Arbeit an der Berliner Universität zu habilitieren. Als dieser Plan scheiterte, begann er seinen eigenen Weg als philosophischer Essayist und Privatgelehrter. Leidenschaft und intuitives Denken erschlossen ihm einen breit gefächerten Leserkreis. Dem baltischen Erbe verdankte er den Hang zur religiösen Tiefenintuition. Dadurch konnte er dem Westen östliches Denken erschließen, was den Reiz seiner zahlreichen Abhandlungen und Bücher ausmachte. Er bekannte selbst, wie er in seiner Studienzeit vom »Kraftmenschen« zum »Geistesmenschen« wurde. Ab 1900 begann für K. eine Periode wissenschaftlicher Analysen, die vor allem die eigene Offenheit gegenüber allen Eindrücken bewahren helfen sollte. Unter dieser Voraussetzung konnte der Dreiundzwanzigjährige dann das »Gefüge der Welt« (1905) schreiben. Hier lag der Durchbruch zum kritischen Denken. Zutiefst fühlte sich der junge Philosoph I. Kant verpflichtet. So reifte das Hauptwerk dieser »kritischen Periode«, nämlich die »Prolegomena zur Naturphilosophie« (1907) heran. Das Werk setzte sich aus sieben in Hamburg gehaltenen Vorträgen zusammen. K. nahm außerdem - neben weiteren gehaltenen Vorträgen - einen umfangreichen Briefwechsel mit zahlreichen Gelehrten des geistigen Europas auf. Zur Besinnung lud das väterliche Gut im Baltikum ein, das er verwalten musste. Die bisherige kritische Besinnung befriedigte den baltischen Denker nicht. Er wollte die Selbstvollendung durch wesentliche Eindrücke einer Weltreise (1911-1912) bewirken. Das Ergebnis war das berühmte »Reisetagebuch eines Philosophen« (1919), das bereits 1922 die sechste Auflage erlebte. K. wurde durch dieses Werk einem sehr breiten Publikum bekannt. Das Motto des Reisetagebuches wurde quasi zum Geflügelten Wort und drückte die eigene Sinnfindung aus: »Der kürzeste Weg zu sich selbst führt um die Welt herum«. Aber immer noch war es die Beobachtung, die Aufnahmewilligkeit fremder Welten, die der Selbstvertiefung dienen sollte. Erst die radikalen Wirkungen des Umbruchs nach dem 1. Weltkrieg führten zum fordernden Handeln des Philosophen: Philosophie kann nicht nur kritische Beobachtung oder Aufnahmewilligkeit von Sinneindrücken aller Art sein! Philosophie ist künstlerische Lebensgestaltung. Sie ist Kunst. Diese neue, grundlegende Einstellung wurde auch durch die eigene Erfahrung begründet, die er mit der Aufgabe seiner baltischen Heimat machen musste. Es kam darauf an, sich eine neue Heimstatt zu schaffen - eine geistige Heimat. Er gründete die »Schule der Weisheit« in Darmstadt 1920, eine Wirkungsstätte, die durch die Gunst des Großherzogs von Hessen gefördert wurde. Ihren literarischen Ausdruck fanden die Inhalte der Tagungszyklen im jeweiligen Jahrbuch »Der Leuchter« (1919-1927, Otto Reichl Verlag in Darmstadt). Darüber hinaus wurden Anliegen der »Schule der Weisheit« in »Der Weg der Vollendung« mit jährlich zwei bis drei Heften und in den »Leuchterbüchern« publiziert. Der Einfluss dieser »Schule« des Grafen auf das europäische Geistesleben der »Zwanziger Jahre« war groß. Dem Wirkungskreis gehörten Psychoanalytiker wie C. G. Jung und E. Kretschmer, Philosophen wie N. Berdjajew und M. Scheler, der Sinologe R. Wilhelm, der indische Dichter R. Tagore wie der Religionsphilosoph E. Troeltsch zeitweilig an. Über den französischen Philosophen H. Bergson wurde K. auch in Frankreich sehr bekannt. - Kritisch wandte sich K. ab 1919 gegen den sogenannten »intellektualen Fortschritt« innerhalb Europas. Dieser »hat allgemein auf Kosten des Seelenlebens stattgefunden« (Was uns not tut, was ich will, 1919, 19202, S. 3). Vom Kosmos, der großen seelisch-geistigen Harmonie, sinkt die Menschheit ins »Chaos« zurück (ebenda, S. 8). Programmatisch wurde die neue Aufgabe der Philosophie beschrieben: »Die Philosophie muss von der Sonderwissenschaft, vom geistigen Sport aufs neue zur Weisheit werden« (ebenda, S. 25). Der Philosoph muss sich »vom Ideal der vollkommenen Wissenschaftlichkeit zu dem der Weisheit ... hinanwenden« (ebenda, S. 32). Neben der Kirche und der Universität ist es die »Schule der Weisheit«, die nun maßgeblich den Menschen bilden soll. Hier liegt das Einfallstor für die Öffnung gegenüber der asiatischen Weisheit. Die Relation »Ost-West« speist die Erkenntnis des Weisen. Diese schöpferische Erkenntnis öffnet dem Menschen die Eigengesetzlichkeit des Ichs. Es geht nicht um ethische Werte, wie sie im Christentum verankert sind, sondern um eine pantheistische Sinnerfassung des Lebens, eine Auffassung, die seitens der Kirchen und der - vor allem deutschen - Schulphilosophie deutlicher Kritik unterlag. Von 1920-1921 unternahm er - außer der regelmäßigen Leitung der Tagungen in Darmstadt - zahlreiche Vortragsreisen in Europa, Nord- und Südamerika. Der Nationalsozialismus hatte ihn seit 1933 geächtet. Sein Schrifttum wurde unterdrückt, seine weitere Vortragstätigkeit in Deutschland wurde untersagt. 1935 konnte er nur noch zur Teilnahme an Tagungen nach Spanien reisen. Ab 1939 lebte er völlig zurückgezogen und notvoll in Schönhausen an der Elbe, ab 1942 in Aurach/Tirol. In der Zurückgezogenheit und existentiell schwierigen Situation schrieb er u. a. seine Lebenserinnerungen »Reise durch die Zeit«, die erst aus dem Nachlass 1948 herausgegeben wurden. In diesen vertiefte er mit dem Kapitel »Kosmopathische Seelen« seine Lehre: Von der Ganzheit des eigenen Wesens her nur kann ich den anderen Menschen wie auch die Erscheinungen überhaupt in der Totalität wahrnehmen! Von der Ganzheitsschau her sind Mensch und Kosmos sinnvoll aufeinander bezogen. Kosmopathen sind für K. jeder große Arzt wie jede große, einfühlsame Seele. Als Beispiel dafür dient ihm u. a. der bedeutende Sinologe Richard Wilhelm, mit dem ihn eine tiefe Freundschaft verband. 1945 wurde K. zur Wiedereröffnung der »Schule der Weisheit« nach Innsbruck berufen, die er ja zusammen mit der »Gesellschaft für freie Philosophie« in Darmstadt einst 1920 gegründet hatte. Am 16. April 1946 ist er daselbst verstorben.

Werke: Das Gefüge der Welt, 1906, 19223, franz. 1907; Unsterblichkeit, 1907, 19203; Individuum und Zeitgeist, 1909; Entwicklungshemmungen. Ein Mahnwort an die Zeit, 1909; Prolegomena zur Naturphilosophie, 1910; Schopenhauer als Verbilder, 1910; Romanische und germanische Kultur. Vom Interesse der Gesch. Zwei Reden, 1911; The East und the West, and their search for the common truth, Shanghai 1912, dt. 1913, aufgen. in: Die Tat, 4. Jg., Heft 10, 1913, 519 ff., aufgen. weiter in: Philosophie als Kunst (s. u.), Kap. 8; Some Suggestions Concerning Theosophy, Madras 1912 (Zeitschr.: The Theophist), aufgen. in Philosphie als Kunst (s. u.), Kap. 14,1; Europas Zukunft, 1913; Über die inneren Beziehungen zw. den Kulturproblemen des Orients und des Okzidents. Eine Botschaft an die Völker des Ostens, 1913; Was uns not tut, was ich will, 1919, 19202, auch aufgen. in Philosophie als Kunst (s. u.), Kap. 15; Dtld.s wahre polit. Mission, 1919; Das Reisetagebuch eines Philosophen, 1919, 19192, 19204, 19226, 19237, engl. 1925; (Hg.), Der Leuchter. Weltanschauung und Lebensgestaltung. Jb. der »Schule der Weisheit«, ab 1919, darin: (wichtig) Jg. I: Unser Beruf in der veränderten Welt, 1919; Philosophie als Kunst (s. o.), 1920, 19222, engl. 1937; (Hg.), Der Weg der Vollendung, jew. Sammelbd. Mitteilungen der »Schule der Weisheit«, ab 1920 ff.; Politik, Wirtschaft, Weisheit, 1921; Schöpferische Erkenntnis, 1922, engl. 1929; Die Philosophie der Ggw. in Selbstdarstellungen, hg. von P. K. Schmidt, Bd. IV, 1923; Die neu entstehende Welt. Eine Vision der kommenden Weltordnung, 1923; Menschen als Sinnbilder, 1925, 19262; Werden und Vergehen (wichtiger Vortrag, Der Leuchter, Bd. VI), 1925, 5-24; Schlussvortrag zum Tagungsthema »Werden und Vergehen« (Tagung 1924), Der Leuchter, Bd. VI, 1925, 249-289; (Hg.), Das Ehebuch. Eine neue Sinngebung im Zusammenklang der Stimmen führender Zeitgenossen, 1925; Auszug in Philosophie und Leben, 4. Jg., 1928, 279-283; Wiedergeburt, 1927, engl. 1928; Das Spektrum Europas, 1928, 19315; America set free, 1929 (dt.: Amerika, der Aufgang einer neuen Welt, 1929); Südamerikanische Meditationen, 1932; La Vie Intime (nur franz.), 1933; La Révolution Mondiale et la Responsabilité d l'Esprit (nur franz.), 1934; Sur l'Art de la Vie (nur franz.), 1935; De la Souffrance à la Plénitude (nur franz.), 1938 (allesamt erschienen bei Editions Stock Paris, dort auch die Übersetzungen der wichtigsten dt. Werke); Das Buch vom persönl. Leben, 1936; Das Buch vom Ursprung, 1947; Reise durch die Zeit, vollst. 1948, Teilabdr. in Mensch und Kosmos, Jb. der Keyserling Gesellsch. für freie Philos., 1949, 15-64; Kritik des Denkens. Die erkenntniskrit. Grundlagen der Sinnesprobleme, 1948; Ges. Werke, 1956 ff.

Bibliographie: rororo-Autorenlex., 19883.

Lit.: (O. N.), Der Weg zur Vollendung. Des Grafen K. s philos. Schaffen, 1919; - Paul Feldkeller, K.s Erkenntnisweg zum Übersinnlichen. Die Erkenntnisgrundlage des Reisetagebuches eines Philosphen, 1922; - Renatus Hupfeld, K. Ein Vortrag, 1922; - O. A. H. Schmitz, Brevier für Einsame: K. im Abschn.: »Das Mysterium der Einweihung«, 1923; - Willem Vollrath, K. und seine Schule, 1923; - Heinrich Adolph, Die Philosophie des Grafen K., 1927 (Lit.); - M. Boucher, La Philosophie de K., 1927 (franz. Lit.); - Hans Christiansen, Über Mann und Weib, 2: Gegen K., 1928; - G. Parks, Introduction to K., 1934; - R. Röhrs, K.s magische Geschichtsphilosophie, 1939; - K. - Ein Gedächtnisbuch mit 4 Bildern, hg. vom Keyserling-Archiv Innsbruck, 1948; - V. N. Ortiz, K. y la escuela de la sabiduria, (Mexiko) 1948; - Hans Joachim Störig, Kleine Weltgesch. der Philosophie, 1950, 489 ff.; - N. Noack, K., Zschr. für phil. Froschung 7, 1953, 592-597; - E. P. Sandvoss, Gesch. der Philos. 2, 1989, 478; - Philos. Lex. (1949) I, 656-659; - LThK VI, 137; - KLL (So.) IX, 8095 f. (Lit.); - KLL (So.) X, 9079 f. (Lit.); - Colliers Enc. 14, 61; - (M. Brauneck, Hg.), Weltlit. im 20. Jh. - Autorenlex. rororo-Hb. Nr. 6267, 3, 690; - (M. Brauneck, Hg.), rororo-Autorenlex. (Nr. 6302), 358 f.

Autor: Wolfdietrich von Kloeden"

[Biographisch-bibliographisches Kirchenlexikon. -- Band III (1992). -- Spalten 1442-1446. -- Online: http://www.bautz.de/bbkl/k/Keyserling.shtml. -- Zugriff am 2003-05-20]

Auszüge aus dem Reisetagebuch eines Philosophen:

 

 

3. Hermann Hesse: Siddhartha (1922)



Abb.: Buddhafigur in H. Hesses Haus in Montagnola, Schweiz (heute: Museum Hermann Hesse Montagnola)

Hermann Hesse's Siddhartha wird hier behandelt


3.1. Weiterführende Ressourcen


Hesse, Hermann (1877-1962):

Siddhartha : eine indische Dichtung. -- Berlin : S. Fischer, 1922. -- Seither unzählige Ausgaben und Übersetzungen.

Hesse, Hermann (1877-1962):

Aus Indien : Aufzeichnungen, Tagebücher, Gedichte, Betrachtungen und Erzählungen / neu zusammengestellt und ergänzt von Volker Michels. -- Frankfurt a. M. : Suhrkamp, 1980. -- 363 S. : Ill. -- (suhrkamp taschenbuch ; 562). -- ISBN 3-518-37062-6
Stark Erweiterte Ausgabe von: Aus Indien. -- Berlin : S. Fischer, 1913.

Materialien zu Hermann Hesses »Siddhartha« / hrsg. von Volker Michels. -- 2 Bde. -- Frankfurt a. M. : Suhrkamp, 1975-1976. -- (suhrkamp taschenbuch ; 129. 282)

Pfeifer, Hermann:

Erläuterungen zu Hermann Hesse : Demian, Siddhartha, Der Steppenwolf. -- 2. Aufl. -- Hollfeld : Bange, 1995. -- 101 S. -- (Königs Erläuterungen und Materialien ; 138). -- ISBN 3-8044-0402-2


3.2. Der Inhalt von Siddhartha


"Das Werk ist das Ergebnis der andauernden Auseinandersetzung Hesses mit der Philosophie und Religion Indiens, die in seine Kindheit zurückreicht (seine Eltern waren als Missionare in Indien tätig), sich fortsetzt in seiner Indienreise von 1911 und in Tagebuchaufzeichnungen, Gedichten, Betrachtungen sowie Erzählungen von dieser reise einen ersten literarischen Niederschlag findet (Aus Indien. Aufzeichnungen von einer indischen Reise, 1913) und über Siddhartha hinausreicht. Die relativ lange Entstehungszeit dieses Werkes resultiert aus einer mehr als einjährigen Pause zwischen der Niederschrift des ersten und des zweiten Teils der Dichtung; Hesse unterzog sich damals einer Analyse bei C. G. JUNG in Küsnacht.

Der Text verwebt legendäre Fragmente aus dem Leben Buddhas mit fiktionalen Handlungselementen zu einem psychologisch-religiösen Entwicklungsroman, der in Indien zur Zeit des Religionsstifters spielt. Der Brahmanensohn Siddhartha weiß um das Wesen der Erleuchtung als Koinzidenz von Einzelseele und Weltseele (Atman und Brahman), erkennt aber, dass die traditionellen Lehren und Riten der Brahmanen ihn nicht vom Wissen zum Erleben führen können. Daraufhin verlässt er zusammen mit seinem Freund Govinda das Elternhaus und schließt sich der Asketenschule der Samanas an. Aber das Experiment scheitert: Siddhartha muss erkennen, dass Erleuchtung nicht das Resultat einer bloßen Willensanstrengung ist. Enttäuscht ziehen die beiden Freunde weiter und suchen den berühmten Buddha auf. Während Govinda sich seinen Jüngern anschließt, insistiert Siddhartha trotz seiner Bewunderung für den Erleuchteten in einem Gespräch mit dem Meister auf seinem eigenen Weg zum Heil: »Ich habe nicht einen Augenblick gezweifelt, dass du Buddha bist, dass du das Ziel erreicht hast ... Es ist die geworden aus deinem eigenen Suchen .. Nicht ist es dir geworden durch Lehre! Keinem wird Erlösung zuteil durch Lehre.« Im Einklang mit diesem individualistischen Bekenntnis und seiner Einsicht in die Insuffizienz des Geistes sucht Siddhartha den Weg ins Leben und wird der Geliebte der Kurtisane Kamala. Um die materiellen Wünsche der verwöhnten Halbweltdame befriedigen zu können, tritt er in die Dienste des Händlers Kamaswami und wird Kaufmann. Zunächst in philosophischer Distanz zur Sphäre des Ökonomischen, verliert er mit der Zeit alle Überlegenheit und Würde und verfällt hemmungslos der Raffgier, dem Glücksspiel und dem Alkohol.

Auf dem Höhepunkt der Selbstentsfremdung, des Lebensekels und der Verzweiflung verlässt er Kamala und will seinem Leben ein Ende setzen. Aber gerade in dem Moment, als er bereit ist, sich ins Wasser fallen zu lassen, erfährt er ein visionäres Wiedergeburtserlebnis. Erschüttert begreift er die Zusammenhänge: »Ich habe Verzweiflung erleben müssen, ich habe hinabsinken müssen bis zum törichtesten aller Gedanken, zum Gedanken des Selbstmords, um Gnade erleben zu können, um wieder Om zu vernehmen...« Er bleibt an dem Fluss, der ihm ein neues Leben geschenkt hat und wird der Gehilfe des weisen alten Fährmannes Vasudeva. Nach langen Jahren der Einsamkeit, der Meditation und einer anspruchslosen Lebensführung meint Siddhartha schließlich, das Wesen der Weisheit verstehen zu können: »Es war nichts als eine Bereitschaft der Seele, eine Fähigkeit, eine geheime Kunst, jeden Augenblick, mitten im Leben, den Gedanken der Einheit denken, die Einheit fühlen und einatmen zu können.« Als schließlich die altgewordene Kamala zu ihm kommt, in seinen Armen stirbt und ihm ihren gemeinsamen Sohn zurücklässt, wird jedoch der vermeintlich weise Siddhartha plötzlich in die Vaterschaft gezwungen und muss die schmerzliche Erfahrung machen, dass auch im Verhältnis zum eigenen Kind Weisheit nicht lehrbar ist: Der Sohn verlässt den Vater und geht seinen eigenen Weg -- wie einst Siddhartha selbst. Als am Ende der Erzählung der ewige Sucher Govinda auftaucht und Siddhartha um seine Einsichten befragt, helfen auch hier die Worte nicht weiter; erst als Govinda seinen alten Freund bewundernd küsst, erkennt auch er in Siddharthas Gesicht jene Einheit in der Vielheit, die nach der Meinung des Dichters das Wesen des Erleuchteten und der Weisheit ausmacht.

Nach seinen eigenen Worten suchte Hesse in seiner Dichtung »... die alte asiatische Lehre von der göttlichen Einheit für unsere Zeit und in unserer Sprache zu erneuern« und dabei »... das zu ergründen, was allen Konfessionen und allen menschlichen Formen der Frömmigkeit gemeinsam ist.« Er realisierte dieses Ziel im Entwurf eines individuellen, alle vorgefertigten religiösen Dogmen und Lehren sprengenden Heilsweges, der den Antagonismus von Leben und Geist sowohl integriert als auch transzendiert und im Erlebnis des überindividuellen Selbst (im Sinne C. G. Jungs) gipfelt. Siddhartha erlangt dieses Ziel jedoch erst, nachdem er sich beiden Sphären restlos geöffnet hat und die Phase der Verzweiflung durchschritten hat. Damit werden die Voraussetzungen geschaffen für jene Überwindung des Ich und zum Leben aus dem selbst, in dem Hesse -- wie übrigens auch C. G. Jung -- die gemeinsame psychologische Basis aller Weltreligionen und Weisheitslehren sahen. Die Beförderung dieses Zieles und der damit verbundenen Verständigungs- und Toleranzmöglichkeiten zwischen Ost und West ist spätestens seit dem Siddhartha ein Zentrales Ethos von Hesses Oeuvre.

Das Werk gehört zu den meistgelesenen Texten dieses Jahrhunderts -- die Weltauflage hat mittlerweile zweistellige Millonenziffern erreicht. Gleichwohl blieb das religionssynthetische Anliegen des Dichters bei Erscheinen des Romans wenig verstanden; erst die neuere Rezeption entwickelte ein Verständnis für die philosophisch-religiösen Horizonte der Dichtung. H. OTTEN sah in dem Werk die »... gemeinsame Formel zwischen Hinduismus, Buddhismus, Christentum, Taoismus, Konfuzianismus« und Henry MILLER meinte gar: »Nichts mehr seit der Lektüre des Tao Te King hat mir soviel bedeutet ... Einen Buddha zu schaffen, der den allgemein anerkannten Buddha übertrifft, das ist eine unerhörte Tat, gerade für einen Deutschen. Siddhartha ist für mich eine wirksamere Medizin als das Neue Testament.«"

[Baumann, Günther: Siddhartha. -- In: Kindlers neues Literatur Lexikon. -- Wiederabgedruckt in: Hauptwerke der deutschen Literatur : Einzeldarstellungen und Interpretationen / ausgewählt und zusammengestellt von Rudolf Radler. -- Bd. 2. -- Vom Vormärz bis zur Gegenwartsliteratur. -- München : Kindler, 1994. -- ISBN 3--463-40262-9. -- S. 407f. -- ©Kindler Verlag].


3.3. Hermann Hesse über Siddhartha, Buddhismus und Indien, eingebetet in seine Lebensdaten



Abb.: Hermann Hesse, Zeichnung von Thorsten Fessel, ©1996

 

1877

Hermann Hesse wird am 2. Juli in Calw (Württemberg) geboren als Sohn des Missionars Johannes Hesse (1847-1916) und der Marie, geb. Gundert (1842-1902). Seine Mutter ist die älteste Tochter des Missionars und Erforschers indischer Sprachen Hermann Gundert (1814-1893).

1895-1898

Hesse ist Lehrling in der Buchhandlung J. J. Heckenhauer in Tübingen.

1911


Abb.: Hesse (Mitte) und Hans Sturzenegger (rechts) auf dem Dampfer "Prinz Eitel Friedrich", 1911

[Bildquelle: Walther, Klaus <1937 - >: Hermann Hesse. -- Orig.-Ausg. -- München : Dt. Taschenbuch-Verl..,  ©2002. -- 188 S. : Ill. -- (dtv ; 31062 : Portrait). -- ISBN 3-423-31062-6. -- S. 54]

"Indienreise" zusammen mit seinem Freund, dem Maler Hans Sturzenegger: Genua (7.9.) -- Ceylon (23.9.) -- Penang (27.9.) -- Ipoh (30. September) -- Kuala Lumpur (1.10.) -- Singapur (3.10.) -- Djambi (Sumatra) (6.10.). -- Urwaldexpedition nach Pelaiang (8.10) -- Djambi (11.10.) -- Palembang (16.10.) -- Singapur (25.10.) -- Penang (6.11.) -- Colombo (11.11.) -- Kandy und Hochland von Ceylon (12.11.-23.11.) -- Colombo (24./25.11.) -- Genua (12.12.)

Ungeschminkte Tagbuchnotizen sind abgedruckt in: Aus Indien. -- 1980. -- S. 127-194.

Tagbucheintragung vom 17. November in Kandy:

"Früh wieder Durchfall. ... Abends 6 1/2 Besuch des Tempels, der 20 Minuten dauert und etwa 20 Mark kostete, es wimmelt von Führern und tiefst untertänigen Kerzenträgern, Priestern, Bettlern, dargereichten Opferschalen, man konnte sich hier von allem Buddhismus loskaufen."

[a.a.O. S. 184].

1912

Tagebuchblatt aus Kandy:

"Ohne viel Überlegung bog ich in der Finsternis in den Tempelweg ein und stand nach einer Weile überm dunklen Wasser am Eingang des alten Heiligtums [d.i. des Zahntempels], in welchem der schöne, lichte Buddhismus zu einer wahren Rarität von Götzendienst gediehen ist, neben der auch der spanischste Katholizismus noch geistig erscheint ...

Ich hatte keinerlei Achtung vor den miserablen Priestern, ich verachtete die Bilder und Schreine, das lächerliche Gold und Elfenbein, das Sandelholz und Silber, aber ich fühlte tief und mitleidend mit den guten, sanften indischen Völkern, die hier in Jahrhunderten eine herrlich reine Lehre zur Fratze gemacht und dafür einen Riesenbau von hilfloser Gläubigkeit, von töricht herzlichen Gebeten und Opfern, von rührend irrender Menschentorheit und Kindlichkeit errichtet haben. Den schwachen, blinden Rest der Buddhalehre, den sie in ihrer Einfalt verstehen konnten, den haben sie verehrt und gepflegt, geheiligt und geschmückt, dem haben sie Opfer gebracht und kostbare Bilder errichtet -- was tun dagegen wir klugen und geistigen Leute aus dem Westen, die wir dem Quell von Buddhas und von jeder Erkenntnis viel näher sind? --

... Der Buddhismus von Ceylon ist hübsch, um ihn zu photographieren und Feuilletons darüber zu schreiben; darüber hinaus ist er nichts als eine von den vielen rührenden, qualvoll grotesken Formen, in denen hilfloses Menschenleid seine Not und seinen Mangel an Geist und Stärke ausdrückt. ..

Aber, es fehlt hier nicht an Heiligkeit und heiligen Dingen; aber jenem Buddha, der nicht aus Stein und Kristall und Alabaster war, dem war alles heilig, dem war alles Gott!"

[Erstdruck in: Die Schweiz. -- Zürich. -- 15.6.1912. -- Aufgenommen in: Aus Indien. -- 1913. -- Wieder abgedruckt in: Aus Indien. -- 1980. -- S.97-100].

1912

Spaziergang in Kandy:

"Wir sind weit gekommen, und es ist schön, dass wir, ein kleiner, winziger Teil der Menschheit, diese beiden nicht unbedingt mehr brauchen, den blutigen Kruzifixus nicht und nicht den glatten lächelnden Buddha. Wir wollen sie und andere Götter auch weiter überwinden und entbehren lernen. Aber schön wäre es, wenn einst unsere Kinder, die ohne Götter aufgewachsen sind, wieder den Mut und die Freudigkeit der Seele fänden, so klare große, eindeutige Denkmäler und Symbole ihres Innern zu errichten."

[Erstdruck in: Der Tag. --Berlin. -- 11.4.1912. -- Aufgenommen in: Aus Indien. -- 1913. -- Wieder abgedruckt in: Aus Indien. -- 1980. -- S. 101-104. -- S. 104].

1912

Rückreise:

"Schön war es auch, alle diese Menschen bei ihren religiösen Übungen zu sehen, Hindu Mohammedaner und Buddhisten. Sie haben alle, vom reichen städtischen Häuserbesitzer bis zum geringsten Kuli und Paria herab, Religion. Ihre Religion ist minderwertig, verdorben, veräußerlicht, verroht, aber sie ist mächtig und allgegenwärtig wie Sonne und Luft, sie ist Lebensstrom und magische Atmosphäre und sie ist das einzige, um was wir diese armen und unterworfenen Völker ernstlich beneiden dürfen. Was wir Nordeuropäer in unserer intellektualistischen und individualistischen Kultur nur selten, etwa beim Anhören einer Bachmusik, empfinden dürfen, das selbstvergessene Gefühl der Zugehörigkeit zu einer ideellen Gemeinschaft und des Kräfteschöpfens aus unversieglich magischer Quelle, das hat der Mohammedaner, der am fernsten Winkel der Welt abends seine Verbeugungen und Gebete verrichtet, und hat der Buddhist in der kühlen Vorhalle seines Tempels jeden Tag. Und wenn wir das, in einer höheren Form, nicht wieder gewinnen, dann werden wir Europäer bald kein Recht auf den Osten mehr haben. Die Engländer, die in ihrem Nationalitätsgefühl und ihrer strengen Pflege der eigenen Rasse eine Art von Ersatzreligion besitzen, sind denn auch die einzigen Westländer, die es da draußen zu einer wirklichen Macht und Kulturbedeutung gebracht haben."

[Erstdruck in: Der Merker. -- Wien. -- Nov. 1912. -- Aufgenommen in: Aus Indien. -- 1913. -- Wieder abgedruckt in: Aus Indien. -- 1980. -- S. 109-113. -- S. 112].

1913


Abb.: Einbandtitel

Hesse, Hermann: Aus Indien. -- Berlin : S. Fischer, 1913

1914-1918

Erster Weltkrieg

1920-1922


Abb.: Erste Seite des Vorabdrucks in der Neuen Rundschau, 1921-07

Arbeit an Siddhartha. Ausschnitte erscheinen am 6. und 7. August 1920 in der Neuen Zürcher Zeitung. Im Juli 1921 erscheint der ganze erste Teil als Vorabdruck in Die neue Rundschau. Dieser erste Teil trägt folgende Widmung an den Franzosen Romain Rolland (1866-1944):

"Lieber, verehrter Romain Rolland!

Seit dem Herbst des Jahres 1914, da die seit kurzem eingebrochene Atemnot der Geistigkeit auch mir plötzlich spürbar wurde, und wir einander von fremden Ufern her die Hand gaben, im Glauben an dieselben übernationalen Notwendigkeiten, seither habe ich den Wunsch gehabt, Ihnen einmal ein Zeichen meiner Liebe und zugleich eine Probe meines Tuns und einen Blick in meine Gedankenwelt zu geben. ... "

Dann stockte Hesses Arbeit. Im März 1922 nahm er die Arbeit an Siddhartha wieder auf. Ende Mai war das Manuskript fertig, im Oktober 1922 erschien die Buchausgabe. Der zweite Teil ist dem Japanologen "Wilhelm Gundert [1880-1971], meinem Vetter in Japan" gewidmet.


Abb.: Titelblatt der Buch-Erstausgabe

1920/21

Aus einem Tagebuch:

"Meine Beschäftigung mit Indien, die nun schon bald zwanzig Jahre alt ist, scheint mir nun an einem neuen Entwicklungspunkt angelangt zu sein. Bisher galt mein Lesen, Suchen und Mitfühlen fast ausschließlich dem philosophischen, dem rein geistigen, dem vedantischen und buddhistischen Indertum, die Upanishaden und die Reden Buddhas standen im Mittelpunkt dieser Welt. Erst jetzt nähere ich mich mehr dem eigentlich religiösen Indien der Götter, des Vishnu und Indra, Brahma, Krishna etc. etc. Und jetzt erscheint der ganze Buddhismus mir mehr und mehr als eine Art indischer Reformation, genau entsprechend der christlichen. Buddha, obgleich der viel Tiefere, scheint mir jetzt wohl mit Luther vergleichbar (natürlich nur in seinem Verhältnis zum Alten, zum Priestertum und Brahmanismus). ...

Was die katholische Kirche vor den reformierten, was der Götterkult vor dem Buddhismus voraus hat, ist nicht etwa bloß die Ästhetik, die Anschaulichkeit und reiche Form des Kultus. Es ist vor allem die Elastizität und Plastizität des Gedankens und die unendlich größere Anpassungsfähigkeit. ...

Den Buddhisten ist das Disputieren über Nirwana verboten. Ob Nirwana Erlöschen oder Einssein mit Gott sei, ob es negativ oder positiv, Seligkeit oder nur Ruhe bedeute, darüber zu sprechen, hat Buddha abgelehnt und verboten. Ich glaube auch, dass der Streit hierüber unnütz ist. Nirwana ist, wie ich es verstehe, das Zurückkehren des Einzelnen zum ungeteilten Ganzen, der erlösende Schritt hinter das prinzipium individuationis zurück, also, religiös ausgedrückt, Rückkehr der Einzelseele zur Allseele, zu Gott. ..."

[Erstmals vollständig abgedruckt in: Materialien zu Hesses Siddhartha. -- Bd. 1. -- 1975. -- Wieder abgedruckt in: Aus Indien. -- 1980. -- S. 225-230. -- S. 225f.].

1921/1922

Die Reden Buddhas [Rezensionen]:

Hesse, Hermann [Rezension von:] -- Die Reden Gotamo Buddhos / übersetzt von Karl Eugen Neumann. -- 1921. -- In: Die neue Rundschau. -- Berlin. -- Oktober 1921

Hesse, Hermann [Rezension von:] Reden des Buddha / übersetzt und eingeleitet von Hermann Oldenberg. -- München, 1922. -- In: Neue Zürcher Zeitung. -- 18.6.1922

Beide Rezensionen aufgenommen in: Hesse, Hermann. Eine Literaturgeschichte in Rezensionen und Aufsätzen. -- 1970. -- Wieder abgedruckt in: Aus Indien. -- 1980. -- S. 232-237.

Aus der Rezension von Neumanns Übersetzung:

"Zuweilen sind Neumanns Übersetzungen, ihrer Wörtlichkeit in den anscheinend endlosen Wiederholungen wegen, von deutschen Literaten bespöttelt worden. Manche fühlten sich durch diese geruhigen, endlos fließenden Betrachtungsreihen an Gebetsmühlen erinnert. Diese Kritik, so witzig sie sein mag, geht von einer Einstellung aus, welche der Sache nicht gerecht zu werden fähig ist. Buddhas Reden nämlich sind nicht Kompendien einer Lehre, sondern sie sind Beispiele von Meditationen, und das meditierende Denken eben ist es, was wir bei ihnen lernen können. ... Zum Eindringen in die Technik der Meditation aber gibt es keinen direkteren Weg als die Beschäftigung mit diesen Buddha-Reden. Es gibt zahlreiche nervöse deutsche Professoren, welche etwas wie eine buddhistische Überschwemmung, einen Untergang des geistigen Abendlandes befürchten. Das Abendland wird jedoch nicht untergehen, und Europa wird nie ein Reich des Buddhismus werden. Wer Buddhas Reden liest und durch sie Buddhist wird, der mag für sich einen Trost gefunden haben -- statt des Weges, den uns Buddha vielleicht zeigen kann, hat er aber einen Notausgang gewählt.

Die Modedame, die neben den bronzenen Buddha aus Ceylon oder Siam nun die drei Bände der Reden Buddhas legt, wird ebensowenig jenen Weg finden wie der Asket, der sich aus dem Elend eines öden Alltags zu dem Opium eines dogmatischen Buddhismus flüchtet. Wenn wir Abendländer erst etwas Meditation gelernt haben werden, wird sie uns ganz andere Resultate zeigen als den Indern. Sie wird uns nicht zum Opium werden, sondern zu einer vertieften Selbsterkenntnis, wie sie als erste und heiligste Forderung den Schülern der griechischen Weisen gestellt wurde."

1922

Besuch aus Indien:

"Unreif gebrochene Früchte nützen uns nichts. Mehr als die Hälfte meines Lebens war ich mit indischen und chinesischen Studien beschäftigt -- oder, um nicht in den Ruf eines Gelehrten zu kommen, war ich gewohnt, den Duft indischer und chinesischer Dichtung und Frömmigkeit zu atmen. Aber als ich vor elf Jahren eine Reise nach Indien machte, da sah ich wohl die Palmen und Tempel stehen, roch den Weihrauch und das Sandelholz, aß die herben Mango und die zarten Bananen; aber zwischen alledem und mir war noch ein Schleier, und mitten in Kandy unter den Buddhapriestern hatte ich nach dem wahren Indien, nach Indiens Geist, nach einer lebendigen Berührung mit ihm das ungestillte Heimweh wie vorher in Europa. Indiens Geist gehörte noch nicht mir, ich hatte noch nicht gefunden, ich suchte noch. Darum floh ich damals auch Europa, denn meine Reise war eine Flucht. Ich floh es und hasste es beinahe, in seiner grellen Geschmackslosigkeit, seinem lärmigen Jahrmarktbetrieb, seiner hastigen Unruhe, seiner rohen, tölpelhaften Genusssucht.

Mein Weg nach Indien und China ging nicht auf Schiffen und Eisenbahnen, ich musste die magischen Brücken alle selber finden. Ich musste aufhören, dort die Erlösung von Europa zu suchen, ich musste aufhören, Europa im Herzen zu befeinden, ich musste das wahre Europa und den wahren Osten mir im Herzen und im Geist zu eigen machen, und das dauerte wieder Jahre um Jahre, Jahre des Leidens, Jahre der Unruhe, Jahre des Krieges, Jahre der Verzweiflung.

Dann kam die Zeit, es ist noch nicht sehr lange her, da hatte ich keine Sehnsucht nach dem Palmenstrand von Ceylon und den Tempelstraßen von Benares mehr und wünschte mir nicht mehr, ein Buddhist oder Taoist zu sein und einen Heiligen und Magier zum Lehrer zu haben. Dies alles war unwichtig geworden, und auch der große Unterschied zwischen dem verkehrten Osten und dem kranken, leidenden Westen, zwischen Asien und Europa, war mir nicht mehr eben wichtig. Ich legte keinen Wert mehr auf das Eindringen in möglichst viele östliche Weisheiten und Kulte, ich sah, dass tausend heutige Verehrer des Laotse weniger von Tao wussten als Goethe, der das Wort Tao nie gehört hat. Ich wusste, dass es, in Europa wie in Asien, eine unterirdische, zeitlose Welt der Werte und des Geistes gab, die nicht durch die Erfindung der Lokomotive und nicht durch Bismarck umgebracht worden war, und dass es gut und richtig war, in dieser zeitlosen Welt, in diesem Frieden einer geistigen Welt zu leben, an der Europa und Asien, Veden und Bibel, Buddha und Goethe gleichen Teil hatten. Hier begann meine Schule der Magier und sie dauert noch an; hier gibt es kein Ende des Lernens. Aber mit der Indiensucht und der Europaflucht war ich fertig, und jetzt erst klang mir Buddha und das Dhammapaddam [sic!] und das Tao-te-king rein und heimatlich und hatte keine Rätsel mehr."

[Erstmals erschienen in: Neue Zürcher Zeitung. -- 6.1.1922. -- Aufgenommen in: Hesse, Hermann: Bilderbuch. -- Berlin, 1926. -- Wieder abgedruckt in: Aus Indien. -- 1980. -- S.241-244. -- S. 241f.].

1925

Kurzgefasster Lebenslauf:

"Weil ich mein Leben lang (dies war eine Erbschaft von Eltern und Großeltern her) sehr viel mit indischer und chinesischer Weisheit beschäftigt war, und auch meine neuen Erlebnisse zum Teil in der östlichen Bildersprache zum Ausdruck brachte, nannte man mich häufig einen »Buddhisten«, worüber ich nur lachen konnte, denn im Grunde wusste ich mich von keinem Bekenntnis weiter entfernt als von diesem. Und dennoch war etwas Richtiges, ein Korn Wahrheit darin verborgen, das ich erst etwas später erkannte. Wenn es irgend denkbar wäre, dass ein Mensch sich persönlich eine Religion erwählte, so hätte ich aus innerster Sehnsucht gewiss mich einer konservativen Religion angeschlossen: dem Konfuzius, dem Brahmanismus oder der römischen Kirche. Ich hätte dies aber aus Sehnsucht nach dem Gegenpol getan, nicht aus angeborner Verwandtschaft, denn geboren bin ich nicht nur zufällig als Sohn frommer Protestanten, sondern bin auch dem Gemüt und Wesen nach Protestant (wozu meine tiefe Antipathie gegen die zur Zeit vorhandenen protestantischen Bekenntnisse durchaus keinen Widerspruch bildet). Denn der echte Protestant wehrt sich gegen die eigene Kirche wie gegen jede andere, weil sein Wesen ihn das Werden mehr bejahen lässt als das Sein. Und in diesem Sinne ist wohl auch Buddha ein Protestant gewesen."

[Hermann Hesse : Leben und Werk im Bild. Mit dem »Kurzgefassten Lebenslauf« von Hermann Hesse / [hrsg. von] Volker Michels. -- Frankfurt a. M. : Insel, 1973. -- (insel taschenbuch ; 36). -- ISBN 3-458-31736-8. -- S. 18f.].

1928

Hans Rudolf Schmid (geb. 1902) beurteilt in:

Schmid, Hans Rudolf <1902 - >:. Hermann Hesse. -- Frauenfeld : Huber, [1928]. --  217 S. -- (Schweiz im deutschen Geistesleben ; Bändchen. 56, 57)

den Siddhartha sehr scharfsinnig:

"Hans Rudolf Schmid: Siddhartha, ein Wunschbild unserer Zeit

Man täuscht sich, wenn man Hesses Indienreise von 1911 als Begegnung mit dem Buddhismus zu hoch einschätzt; es war vielleicht mehr die Ferne als das Ziel, was den Dichter damals anzog. Dem Enkel eines berühmten Missionars und Indologen, dem Sohn eines Missionars und Missionsschriftstellers ist die Brahmanenwelt schon vom Elternhaus her geläufig - nur dass die Eltern gegen die Götter kämpften, die ihr Sohn und Enkel gelten lässt. Die Wurzeln des »Siddhartha« reichen, wie Hugo Ball sehr glaubwürdig versichert, weiter zurück als die des »Demian«; legt doch Hesses »Legende vom indischen König« aus dem Jahr 1907 Zeugnis ab von seiner durchdringenden Kennerschaft östlicher Weisheit.

Ein König ist vom Zwiespalt unter den Weltweisen erschüttert und beginnt in seiner eigenen Seele die Wahrheit zu suchen.

»Da verschloss er alle seine Sinne und richtete seinen glühenden Willen einzig auf die Wahrheit, von welcher er wusste, dass sie an jedem Wesen teil habe und in jedem schlummere ... Der König, dessen Sinne in Einheit verschmolzen und nach innen gerichtet waren, schaute die Wahrheit selbst, die unteilbare, als reines Licht, das ihn mit süßer Gewissheit durchdrang wie der Sonnenstrahl einen Edelstein durchdringt, dass er selbst Licht und Sonne wird und Schöpfer und Geschöpf in sich vereint.«

In der Novelle »Robert Aghion« (in »Aus Indien«, 1912) hat Hesse die abendländische Zivilisation mit der indischen Kultur konfrontiert. Die Erzählung spielt in der Mitte des 18. Jahrhunderts - in einer fast gleichzeitigen Erzählung »Anton Schievelbeyns ohnfreywillige Reyse nacher Ost = Indien« hat er sich sogar ins 17. Jahrhundert zurückversetzt - und stellt einen jungen englischen Theologen dar, der sich als Missionar nach Indien senden lässt. In Bombay lernt dieser die moralische Verderbnis der europäischen Ausbeutung und zugleich die menschliche und philosophische Größe des Brahmanentums kennen, so dass er an seiner Bekehrungsaufgabe irre wird und als Schreiber in eine Handelsfaktorei eintritt. Ein Traum, in dem Robert Aghion den Christengott mit Krishna und ändern indischen Göttern friedlich wandeln sieht, spiegelt seine Idee von religiöser Duldsamkeit.

Die Novelle hat in Kreisen, die sich angegriffen fühlten, Widerhall gefunden. In seiner Schrift »Moderne Indienfahrer und Weltreligionen« hat Missionskondirektor D. Albrecht Oepke die Sachlichkeit der Hesseschen Novelle angezweifelt und den Dichter nicht ohne die Einseitigkeit des Überzeugten angepredigt.

»Wer ist Hermann Hesse? Es ist schmerzlich zu sagen. Er ist der Sohn des bekannten Missionsschriftstellers J. Hesse und mütterlicherseits ein Enkel des berühmten missionarischen Sprachforschers Dr. Gundert. Wie der Sohn an dem, was den Vätern das Teuerste war, irre geworden ist, das und nichts anderes hat der Verfasser in Robert Aghion geschildert, ein in seiner Art ergreifendes Selbstbekenntnis. Ob dem Dichter seine gott- und heilandslose Mystik, die trotz aller Nachklänge aus der Jugend vor der Religion Asiens und vor der Praxis des Durchschnittseuropäers in den Tropen so hilflos die Segel streicht, wirklich in seinem persönlichen Leben ein starker Halt geworden ist?«

Oepke sieht die Probleme Hesses von seinem religiös-praktischen Standpunkt aus. In einem gewissen Sinn ist Hesse - freilich, ohne kämpfen und lehren zu wollen - doch ein Missionar geworden, aber einer des Ostens. In die unabsehbare Reihe der Heiligen und Weisen, die das Schrifttum besonders der letzten Jahrzehnte hervorgebracht, tritt 1922 der Weise und Heilige Siddhartha (»Siddhartha, eine indische Dichtung«) [...]

Diese »indische Dichtung« ist die Neugestaltung eines Buddhalebens, allerdings mit der bedeutsamsten Verschiebung, dass Buddha in den Legenden zuerst Weltmensch ist, dann Asket wird und in der Askese die Erleuchtung empfängt - während der Heilige Hesses erst, nachdem er in der Askese die Erlösung nicht fand, in die Welt geht. Ihm ist die Welt nicht das Diesseits des Scheins, sondern Weg und Umweg zur Vollendung. Ist für den Buddhisten die Welt in Sansara und Nirvana getrennt, so geht sie für Siddhartha, dem alle Gegensätze Illusionen sind, in einer großen Einheit auf.

»Nie ist ein Mensch, oder eine Tat, ganz Sansara oder ganz Nirvana, nie ist ein Mensch ganz heilig oder ganz sündig [...] Alle Sünde trägt schon die Gnade in sich, alle Säuglinge den Tod, alle Sterbenden das ewige Leben [...] Es gibt kein Ding, das Nirvana wäre, es gibt nur das Wort Nirvana (...] ich unterscheide zwischen Gedanken und Worten nicht sehr. Ich halte von Dingen mehr.«

Ist das nicht der Rückzug eines philosophisch hochgespannten, aber skeptisch zerrissenen Geistes zur primitiven Gläubigkeit an die Wirklichkeit der Welt'? Ein Zurücknehmen aller Wertungen und Urteile, aller Erkenntnisse des Geistes, zugunsten des Allgefühls, das nur ein Offenstehen, ein Schweigen des Willens bedeutet?

Diese seltsame Verbindung von Mystik und naivem Realismus ist weder rein indisch noch rein christlich. Sie hat etwas von »tat twam asi« und vom Christuswort »Das Reich Gottes ist inwendig in euch« an sich. Die Erzählung folgt zwar dem Zuge der Zeit zum Exotismus, doch stellt sie nicht das Versinken des Abendländers in die asiatische Religiosität dar, sondern eher seine Rechenschaftier sucht sich das Fremde durch eine rein persönliche Auslese und Umwertung anzueignen. Immerhin könnte man vermuten, dass die Entrückung des Schauplatzes ins ferne Indien dem Dichter, der sonst sehr zum direkten Selbstporträt neigt, das Innehalten seiner hohen Absicht leichter machte. Die Ansicht Hugo Balls, der in der Gestalt Siddharthas das Bild von Hesses Vater sehen will, können wir im Hinblick auf »Kinderseele« nicht teilen.

»Siddhartha« weist in einem Punkt über alles, was der Dichter vorher geschrieben, hinaus. Noch in »Demian« ringt Hesse um die Ausgestaltung und Befreiung der Persönlichkeit - hier überwindet er den Wahn, dass der Mensch eine Einheit darstelle und sucht sich in einer seelischen Lebenskunst zu vervollkommnen.

Am Vorabend des Weltkrieges schreibt der Dichter in einer »Erinnerung an Asien«:

»Der ganze Osten atmet Religion, wie der Westen Vernunft und Technik atmet. Primitiv und jedem Zufall preisgegeben scheint das Seelenleben des Abendländers, verglichen mit der geschirmten, gepflegten, vertrauensvollen Religiosität des Asiaten. Es ist klar, dass kein Import aus dem Osten uns helfen kann. Aber es ist ebenso klar, dass Rettung und Fortbestand der europäischen Kultur nur möglich ist durch das Wiederfinden seelischer Lebenskunst und seelischen Gemeinbesitzes.«

(Eine seelische Lebenskunst hat Hermann Hesse mit seiner erstaunlichen Assimilationskraft und in der Ausbildung einer persönlichen Mystik gefunden, alles als Einheit zu denken. Vielleicht die entscheidende Stelle, wo Siddhartha-Hesse in seinem Gespräch mit Govinda dem Buddhismus absagt, ist die:

»Früher hätte ich gesagt: Dieser Stein ist bloß ein Stein, er ist wertlos, er gehört der Welt der Maja an; aber weil er vielleicht im Kreise der Verwandlungen auch Mensch und Geist werden kann, darum schenke ich auch ihm Geltung. Heute aber denke ich: dieser Stein ist Stein, er ist auch Tier, er ist auch Gott, er ist auch Buddha, ich verehre und liebe ihn nicht, weil er einstmals dies oder jenes werden könnte, sondern weil er alles längst und immer ist.«

»Siddhartha« ist wohl das einheitlichste und tiefste Werk, das Hermann Hesse geschenkt hat. Es führt eine archaisierende, würdig haltungsvolle, eigenartig zwischen Konkretem und Abstraktem stehende Sprache. Gegen die Gestaltung ergeben sich etliche Einwände. Das innerliche Geschehen, das auch hier ganz in Linsenschärfe gerückt ist, entbehrt oft der Verknüpfung mit äußerer Tatsache. Der Abschied vom Elternhaus wird im Halbdunkel gelassen, vermutlich hätte die Mutter Siddharthas, welche hier im Gegensatz zu »Demian« fehlt, die Entwicklung des eigentlichen Problems verhindert. Der Weggang Vasudevas ist durch die erfüllte Sendung seines Daseins nicht allein erklärlich; ungeschickt-gewaltsam endlich ist der schnelle Tod der Kamala, deren Dasein eben für das zum Austrag kommende Problem »Vater und Sohn« nicht mehr wünschbar ist.

Der innerste Gehalt ist von dem in »Demian« und »Klein und Wagner« nicht sehr verschieden, »Siddhartha« stellt zu diesen beiden Werken eine Weiterentwicklung in die Tiefe dar. Das Rätsel der Welt muss im Ich versammelt und bezwungen werden. Leben ist Bereitschaf t, das Göttliche im Menschen zu realisieren. Aber die Weisheit ist nicht ein Wissen, das man lernen und kaufen kann; sie steht jenseits aller Worte.

Ein Kirchenheiliger freilich ist Siddhartha nicht. Er gleicht vielmehr einem stoischen Weisen mit stark abendländischem Einschlag, dessen letztes Ziel die Schopenhauersche Auflösung des principum individuationis bedeutet: ein langsames Sterbenlassen des Ich, um es unendlich zu erweitern und der Welt hinzugeben, nicht in leidenschaftlichen Kämpfen, sondern mit der passiven Kraft, die Seele dem Allgefühl restlos zu öffnen. Dieser Heilige hat nichts mehr in seiner Seele, das er hassen muss. Soweit ist »Siddhartha« unchristlich. Das Christentum, als eine Offenbarungsreligion, lässt den Menschen sein metaphysisches Ziel nur ahnen, während der Heilige Hesses seinem indischen Vorbild nach schon in diesem Leben zur Vollendung reift.
Ein tiefes und großartiges Symbol ist der Strom: er ist die Seele, er ist die Welt, er ist die Mutter, er ist Gott; und er trennt die Welt von jenseitiger Entrücktheit. Tiefer und großartiger ist das Schicksal Siddharthas, der ein Fährmann wird und anstatt ein heiliges Faulenzerleben zu beginnen, allen dienen will, denen der Fluss ein Hindernis ist, denen er noch nicht die Fähre zur Ewigkeit wurde.

Siddhartha ist, so gut wie Demian, ein Wunschbild unserer Zeit. Heller als sein unglücklicher Bruder und Gottsucher Walter Kömpff (in »Nachbarn«), ist er der selige Allanbeter Franziskus (in »Peter Camenzind«), ist er eine Fortsetzung und Vollendung des Gotteskindes Knulp, ein Eigen-Sinniger, Heiliger zugleich und Ketzer, der Mildeste und Menschlichste aller Menschen."

[Zitat in: Materialien zu Hermann Hesses "Siddhartha". - Frankfurt am Main : Suhrkamp. -- Bd. 2., Texte über Siddhartha. -- 1976. -- 386 S. -- (Suhrkamp-Taschenbücher ; 282). -- ISBN: 3-518-06782-6. -- S. 70 - 74]

1946


Abb.: Nobelpreisurkunde

Hesse erhält den Literaturnobelpreis.


3.4. Hermann Hesse und Wilhelm Gunderts Bi-yän-lu-Übersetzung


1960 - 1973

Es erscheint die Übersetzung von Hermann Hesses Vetter Wilhelm Gundert (1880 - 1971):

Yuanwu: Bi-yän-lu : [Pi-yen-chi.] Meister Yüan-wu's Niederschrift von d. Smaragdenen Felswand. Verfasst auf dem Djia-schan bei Li in Hunan zwischen 1111 u. 1115, im Druck erschienen in Sïtschuan um 1300 / Yüan-wu. Verdeutscht u. erl. von Wilhelm Gundert. -- München : Hanser. --  Originaltitel: Pi-yen-lu  (1111/15)
Bd. 1., Kapitel 1 - 33. -- 1960. -- 580 S.
Bd. 2., Kapitel  34 - 50. -- 1967. -- 364 S.
Bd. 3., Kapitel 51 - 68 : aus d. Nachlass hrsg. u. durch weitere Beiträge erg. / [Hrsg.: Günther Debon]. -- 1973. -- 167 S.


Abb.: Wilhelm Gundert mit Frau Helene, Tokyo, 1907

[Bildquelle: Hermann Gundert, Brücke zwischen Indien und Europa : Begleitbuch zur Hermann-Gundert-Ausstellung im GENO-Haus Stuttgart vom 19. April bis 11. Juni 1993 in Verbindung mit der Dr.-Hermann-Gundert-Konferenz Stuttgart 19. bis 23. Mai 1993 / hrsg. von Albrecht Frenz. -- Ulm : Süddt. Verl.-Ges., 1993. -- 491 S. : zahlr. Ill. ; 25 x 26 cm + Beil. (3 Bl.). -- ISBN 3-88294-186-3. -- S. 387]

Hesse hatte an der Übersetzungstätigkeit Gunderts große Anteilnahme gezeigt. Er schrieb 1960 anlässlich des Erscheinend des ersten Bandes folgende Rezension:

"BI-YAEN-LU: «Meister Yüan-Wu's Niederschrift von der smaragdenen Felswand»

Das chinesische Zen, jene ganz auf Praxis, auf Seelendisziplin gerichtete Form, die der aus Indien nach China gelangte Buddhismus dort angenommen hat, ist seinem Wesen nach, sehr im Gegensatz zum indischen, eigentlich der Literatur, der Spekulation, der Dogmatik und Scholastik durchaus abhold. Man könnte sagen, indischer und chinesischer Buddhismus verhalten sich zueinander wie Sanskrit zu Chinesisch. Dort eine Sprache der indogermanischen Art, Werkzeug eines differenzierenden, gelehrten, abstrakten Denkens, auch einer blühenden Scholastik, hier im Osten aber eine bildkräftige, lockere, auf die meisten der uns geläufigen grammatischen Feinheiten und Knifflichkeiten verzichtende Sprache, eine weitherzige, keineswegs eindeutige, deren Worte eher Bilder oder Gebärden als Worte in unsrem Sinne sind. Nun, trotzdem hat auch das Zen eine Art von Literatur entwickelt, und in diesem Jahr 1960 hat es sich ereignet, dass eins ihrer ehrwürdigsten Bücher (vielmehr vorerst nur ein Drittel des Ganzen) in einer Verdeutschung erschienen ist, die ihren Verfasser, Wilhelm Gundert, mehr als ein Dutzend Jahre gekostet hat. Das Buch «Bi-YAEN-LU, Meister Yüan-Wu's Niederschrift von der smaragdenen Felswand«, ist zu Anfang des 12. Jahrhunderts entstanden und ist eine Sammlung von hundert Anekdoten und Aussprüchen bedeutender Zen-Meister samt auf sie gedichteten Hymnen und über sie verfassten Erläuterungen. Von den 100 Beispielen» gibt Gunderts Übersetzung die ersten 33.

Dies höchst merkwürdige Werk ist etwas wie eine zen-buddhistische Summa, nicht aber im Sinn einer Dogmatik, sondern in dem eines geistlichen Übungsbuches. Anhand von Aussprüchen berühmter Lehrer und Patriarchen wird den Novizen und Mönchen vorgeführt, auf welche Art dieser oder jener ihrer Vorgänger das Ziel erreicht hat, nämlich die Erleuchtung, das Innewerden der Wirklichkeit, die nicht als etwas Statisches, sondern etwa wie das Zucken eines Funkens zwischen zwei Polen vorzustellen ist, dem Pol Samsara, der vollen bunten Erscheinungswelt, und dem Pol Nirwana, der absoluten Leerheit und Erlöstheit. In den meisten dieser Beispiele aus der Praxis der Meister stellt ein Schüler eine Präge, die der abendländische Leser nicht selten verstehen kann, während die Antwort des Lehrers uns vor lauter Rätsel stellt, übrigens des öftern nicht aus Worten, sondern aus einer Gebärde oder Handlung besteht, und gar nicht selten ist diese Handlung eine Ohrfeige oder ein Stockhieb. Diese Beispiele, um 1100 aus der Überlieferung mehrerer Jahrhunderte aufgezeichnet, sind noch heute, 800 Jahre später, ein klassisches Lehrmittel der Zen-Lehrer. Dass wir sie jetzt deutsch lesen können ist schon viel, denn jedes Beispiel enthält die Anregung zu staunender Versenkung.

Es ist kein Buch, das man schlechthin «lesen» könnte; man muss sich in seinem Dickicht Zoll um Zoll vortasten, oft wieder umkehren, und bei mancher Umkehr zeigt uns auf einmal der Text ein ganz andres Gesicht. Es ist ein sehr fremdartiges, kompliziertes und schwer zugängliches Werk. Es ist eine Nuss mit drei- und vierfacher, recht harter Schale. Der normale, durchschnittliche Zeitgenosse wird nun vielleicht sagen, das alte Indien, das alte China, das Nirwana und das Zen seien erledigte Dinge, und der Rückgriff auf sie, also auch das Übersetzen und das Studieren dieses Werkes aus dem fernöstlichen Mittelalter sei unnütz, sei historische Schatzgräberei oder romantische Spielerei.

Darauf ließe sich zunächst antworten, dass ja das Zen noch heute in Japan ebenso existiert und praktiziert wird wie bei uns das Christentum, dass ferner die Lehre des Shakyamuni in ihren verschiedenen östlichen Ausformungen nicht nur Schopenhauer und seine Jünger fasziniert, sondern auch das intensive Interesse des heutigen Abendlandes gewonnen hat, dass die Vorträge und Bücher heutiger Zen-Buddhisten, obenan die von Suzuki, in Europa und Amerika größte Aufmerksamkeit finden, ja dass es leider schon so etwas wie eine Zen-Mode gibt."

[Abgedruckt in: Hesse, Hermann <1877 - 1962>: Eine Literaturgeschichte in Rezensionen und Aufsätzen / Hermann Hesse. Hrsg. von Volker Michels. -- Frankfurt (am Main) : Suhrkamp, 1975. -- 584 S. -- (suhrkamp-taschenbücher ; 252). -- 3-518-06752-4. -- S. 35 - 37]

Zu Wilhelm Gundert:

"Das bedeutendste Werk Wilhelm Gunderts. des Japanologen und um drei Jahre jüngeren Vetters und Freunds von Hermann Hesse, ist sein Alterswerk, eine Übersetzung und Erläuterung von etwa zwei Dritteln des Bi-yän-lu', der chinesischen Hauptquelle des Zen-Buddhismus. Mit diesem Werk hat Wilhelm Gundert wie Hermann Hesse in seiner Dichtung zur Entfaltung gebracht, was in Leben und Leistung des Großvaters Hermann Gundert begonnen hatte: er hat wie sein Vetter einen bedeutenden Beitrag zum geistigen Austausch zwischen Ost und West geleistet, einem Austausch, der nun auf voller Anerkennung der Gleichwertigkeit aller echten Religionen beruhte und zu einer gegenseitigen Befruchtung und Vertiefung des religiösen Denkens und Empfindens auf beiden Seiten führen musste.

Wie Hermann Hesse betont auch Wilhelm Gundert die Abhängigkeit seines Denkens und Strebens vom frühen Einfluss der übermächtigen Gestalt des Großvaters. Anders als jener hebt er auch den Einfluss von dessen christlich-pietistischer Religiosität hervor, nicht nur dessen Verbundenheit mit Indien.

1880 in Stuttgart geboren, wurde Wilhelm Gundert schon bei der Taufe vom Großvater zum Missionar an Stelle eines eben verstorbenen Sohnes bestimmt. Der Heranwachsende war häufiger Gast im Haus des Großvaters, seit 1893 im Elternhause Hermann Hesses. Mit Hermann Hesse, dessen Schwestern und einem dritten etwas älteren Vetter verband ihn von früh an eine eigentümliche enge Freundschaft, die bis zum Tode der Beteiligten andauerte - in Hermann Hesses und Wilhelm Gunderts Fall jedoch durch des letzteren nationalsozialistische Jahre unterbrochen wurde. Wilhelm Gundert spricht 1920 in Japan einmal von dem »Sondergeist«, der diese fünf Enkel Hermann Gunderts verbinde, jeden nicht Zugehörigen als fremd ausscheide und als »Nachwirkung« der schöpferischen »Individualität« des Großvaters zu verstehen sei; neben ihr habe die Zwischengeneration »epigonal« (nachahmend, unschöpferisch) gewirkt.

Nach einem Studium der Theologie und Philosophie in Tübingen und Halle und Ablegung beider theologischer Examina entschloss sich Wilhelm Gundert als freier Missionar (unterstützt durch einen privaten Kreis von Freunden in Deutschland, soweit nötig) nach Japan zu gehen. Zu diesem Entschluss hatte ihn die Lektüre einer Schrift von Kanzô Uchimura veranlasst. Dieser bekannte japanische Schriftsteller pflegte ein ganz persönliches Christentum, das sich allein auf die Bibel stützte und ohne kirchliche Institutionen auskommen wollte.

1906 ging Wilhelm Gundert nach Tôkyô: dort heiratete er im gleichen Jahr Helene Bessert, die Tochter eines schwäbischen Pfarrers und bedeutenden Kirchenhistorikers. Unter dem Einfluss K. Uchimuras blieb die eigentliche missionarische Tätigkeit Wilhelm Gunderts sehr begrenzt.

1906-1909 und 1915-1920 lehrte er als Lektor Deutsch an japanischen Colleges in Tôkyô bzw. Kumamoto. Hauptsache war das Studium der japanischen Sprache, Schrift, Kultur und Geisteswelt. Das Erlebnis des Beginns des ersten Weltkrieges trieb als eine Art Schock Wilhelm Gundert für immer aus den aus der Jugendzeit mitgebrachten geistigen Positionen hinaus. Wie er sagt, lernte er sich als Deutschen des 20. Jahrhunderts, nicht als bloßen Nachfolger Christi, vergleichbar den ersten Jüngern des 1. Jahrhunderts kennen. Zugleich sei er »die Brille eines Missionars« - wir können erweiternd sagen »eines Europäers« im allgemeinen - losgeworden, er habe gelernt, »die japanische Welt« zu sehen und zu achten, »wie sie ist«. Die Tiefe des Wandels ist an seinen schriftlichen Äußerungen deutlich abzulesen.

1920 kehrte die ganze Familie nach Deutschland zurück. Unter dem Einfluss eines Freundes und des berühmten Sinologen Richard Wilhelm fand Wilhelm Gundert eine neue Lebensaufgabe in der Rolle eines Vermittlers zwischen Japan und dem Westen. Er bereitete seine Promolion in Hamburg vor.

1922 ging er wieder nach Japan und wurde Lektor an einem College in Mito (seine Frau folgte mit zwei Kindern ein Jahr später nach).

Seit 1927 war er als Leiter des neugegründeten Deutsch-Japanischen Kulturinstituts in Tôkyô tätig. Frucht ausgedehnter Studien waren die ersten Bücher: über Schintoismus und Nô-Dramen, über die Geschichte der japanischen Literatur und Religion.

1934 wurde Wilhelm Gundert Mitglied der nationalsozialistischen Partei, teils aus Opportunismus (Professur angestrebt), teils aus Überzeugung: er hatte sich im Milieu der japanischen Gesellschaft von dem blinden Glauben an politische Autorität, den er mit der Welt seiner Herkunft teilte, und von dem Unverständnis für Demokratie nicht freimachen können - im Gegenteil: er war einem starken Einfluss der damals in Japan vorherrschenden Ideologie erlegen, wie einige Schriften zeigen.

1936 wurde er auf den Lehrstuhl für Japanologie nach Hamburg berufen; er diente der Universität als Dekan, Rektor und Prorektor. Die Hamburger Periode wurde eine unfruchtbare Zeit im Leben Wilhelm Gundcrts, da er selbst etwa 1949/50 auf die Veröffentlichung seiner damals begonnenen Darstellung von Kultur und Geschichte Japans verzichtete (er erkannte seine Abhängigkeil von japanischer politischer Ideologie).

Beim Zusammenbruch des nationalsozialistischen Deutschland sah sich Wilhelm Gundert wie viele Deutsche am Rande eines Abgrunds (Verlust zweier Kinder, des Besitzes, der Stellung). Ein Bewusstsein für Schuld und Irrtum entwickelte sich langsam. Überwunden hat er die Katastrophe durch die Rückkehr zur Religion im weitesten Sinne - Lektüre des griechischen Neuen Testaments, von Rilke, Studium des Heki-gan-roku bzw. Bi-yän-lu. Dieser Prozess vertiefte und erweiterte sein Verständnis transzendenter Wahrheit.

Nach Kriegsende zog er ins heimatliche Süddeutschland um. Seine erste Arbeit in dieser Umgebung war die Übersetzung und Herausgabe chinesischer und japanischer Lyrik.

1954 setzten die jährlichen Besuche bei Hermann Hesse in Montagnola ein, stets verbunden mit dem Vorlesen der neu übersetzten Bi-yän-lu-Kapitel. Hermann Hesse lernte im Zen-Buddhismus eine Verbindung des Buddhismus mit der von ihm geliebten chinesischen Geisteswelt kennen. Die Themen, die sein Werk durchziehen und die zum Teil Erbe aus der Welt seiner Kindheit sind, begegneten ihm hier in Verdichtung wieder: die Themen des Heiligen, Weisen, Meisters, des Erwachens, der Unsagbarkeit der Wahrheit.

Drei Vorzüge vereinigen sich in der übersetzerischen Leistung Wilhelm Gunderts:

  1. Philologisches Können und philologische Leidenschaft - Treue gegenüber dem Text, Liebe zum einzelnen Wort, Fülle und Kenntnisreichtum der Erklärungen;
  2. Begabung zur sprachlichen Gestaltung - Wahl des einzelnen Worts, Fähigkeit zu rhythmischer Gestaltung, zu Dichtung;
  3. Innere Nähe zum entlegenen Gegenstand des Werkes.

Dass in dem ersten und zweiten Vorzug Einfluss und Begabungsrichtung des Großvaters fortleben, ist deutlich. Die Beeinflussung war keineswegs nur indirekt: der Großvater hatte den Knaben noch vor jedem Schullehrer an Hand des Anfangs des Johannesevangeliums einst ins Griechische eingeführt.

Wie steht es um den dritten Vorzug? Übersetzung und Erläuterung Wilhelm Gunderts sind tief und in angemessener Weise vom mystischen Strom innerhalb des Pietismus von einst geprägt. Etwas davon muss durch die Person des Großvaters vermittelt worden sein, wenngleich die Spuren in unserer Überlieferung nicht eben zahlreich scheinen mögen."

[Yu-Gundert, Irmgard: Wilhelm Gundert (1880-1971) : Mittler zwischen West und Ost. -- In: Hermann Gundert, Brücke zwischen Indien und Europa : Begleitbuch zur Hermann-Gundert-Ausstellung im GENO-Haus Stuttgart vom 19. April bis 11. Juni 1993 in Verbindung mit der Dr.-Hermann-Gundert-Konferenz Stuttgart 19. bis 23. Mai 1993 / hrsg. von Albrecht Frenz. -- Ulm : Süddt. Verl.-Ges., 1993. -- 491 S. : zahlr. Ill. ; 25 x 26 cm + Beil. (3 Bl.). -- ISBN 3-88294-186-3. -- S. 387f.]

1962-08-09

Hermann Hesse stirbt in Montagnola


Abb.: Fernöstliche Literatur in Ausgaben, die sich in Hesses Bibliothek befunden haben

[Bildquelle: «Höllenreise durch mich selbst» : Hermann Hesse : Siddhartha, Steppenwolf / hrsg. von Regina Bucher ... -- Zürich : Schweizerisches Landesmuseum [u.a.], ©2002. -- 252 S. : Ill. -- ISBN 3-85823-952-6. -- S. 196]


3.5. Zur Wirkungsgeschichte von Hesses Siddhartha


3.5.1. Chronik der Ausgaben und Übersetzungen von Siddhartha



Abb.: Illustrationen der Telugu-Ausgabe des Siddhartha

[Die Chronik beruht weitgehend auf den Angaben in: Materialien zu Hermann Hesses "Siddhartha". - Frankfurt am Main : Suhrkamp. -- Bd. 2., Texte über Siddhartha, 1976. -- 386 S. -- (Suhrkamp-Taschenbücher ; 282). -- ISBN 3-518-06782-6. -- S. 381ff.]

(Fettschrift = Erstausgabe in der betreffenden Sprache)

1922-10

Erstdruck der deutschen Buchausgabe: 1. bis 6. Auflage, d.h. 6000 Exemplare plus 50 nummerierte Exemplare, die Hesse signierte und selbst verkaufte, um seinen Lebensunterhalt zu sichern

1923

ungarisch

1924

11. bis 14. deutsche Auflage
russisch

1925

15. bis 18., 19. bis 23. deutsche Auflage
französisch


Abb.: Erste japanische Ausgabe, 1925

japanisch

1926

koreanisch (Teilübersetzung in Zeitschrift)

1928

niederländisch

1929

33. deutsche Auflage

1930

japanisch

1932

polnisch

1933

japanisch

1935

34. deutsche Auflage
tschechisch

1937

35. bis 36. deutsche Auflage

1942

37. bis 39. deutsche Auflage, d.h. bisher sind 39000 Exemplare produziert worden

1945

Neudruck der deutschen Ausgabe, Zürich
italienisch

1946

Neudruck der deutschen Ausgabe, New York
schwedisch
spanisch

1947

französisch
niederländisch

1948

Neudruck der deutschen Ausgabe, Zürich
schwedisch

1950

40. bis 44. deutsche Auflage

1951

45. bis 49. Tausend der deutschen Ausgabe
englisch
(USA, verlegt auf Anraten von Henry Miller (1891 - 1980)


Abb.: Umschlagtitel

1952

Neudruck der deutschen Ausgabe in Gesammelte Dichtungen
japanisch (2 verschiedene Übersetzungen)

1953

50. bis 56. Tausend der deutschen Ausgabe
japanisch
kannaresisch
(Indien)
schwedisch

1954

bengali (Indien)


Abb.: Einbandtitel

englisch (New York, London)
hindi (Indien, 2 verschiedene Übersetzungen)
oriya (Indien)


Abb.: Einbandtitel

1955

57. bis 61. Tausend der deutschen Ausgabe
schwedisch
sindhi
(Pakistan)

1956

japanisch

1957

62. bis 65. Tausend der deutschen Ausgabe
Neudruck der deutschen Ausgabe in Gesammelte Schriften
englisch (USA, Paperback)
japanisch
kannaresisch (Indien)
malayalam (Indien)
telugu (Indien)


Abb.: Umschlagtitel

1958

englisch (Kalkutta)
japanisch

1959

66. bis 70. Tausend der deutschen Ausgabe
dänisch
koreanisch

1960

koreanisch
tschechisch

1961

71. bis 75. Tausend der deutschen Ausgabe
hindi (Indien)
italienisch
koreanisch
persisch
schwedisch

1962

Neudruck der deutschen Ausgabe, New York

1963

französisch
persisch
slowakisch
spanisch

1964

76. bis 79. Tausend der deutschen Ausgabe
englisch

1965

portugiesisch

1966

finnisch
italienisch

1967

in den USA werden in diesem Jahr100.000 Exemplare von Siddhartha verkauft

80. bis 82. Tausend der deutschen Ausgabe
englisch
italienisch
koreanisch
thai

1968


Abb.: Titelblatt

chinesisch
koreanisch (3 verschiedene Übersetzungen)
spanisch

1969

koreanisch
niederländisch

1970

englisch
portugiesisch
spanisch

1971

dänisch
englisch
französisch
koreanisch

1972

Neudruck der deutschen Ausgabe, 90. Tausend
chinesisch
hebräisch
koreanisch
portugiesisch
schwedisch
türkisch

1973

Neudruck der deutschen Ausgabe, 110. Tausend
koreanisch (2 verschiedene Übersetzungen)
slowakisch
türkisch

1974

Neudruck der deutschen Ausgabe, 140. Tausend
chinesisch
englisch
finnisch
französisch
koreanisch
portugiesisch
singhalesisch (Sri Lanka)
slowenisch

1975

serbokroatisch
spanisch

1976

chinesisch
norwegisch

Daneben noch zahlreiche Neudruck des deutschen Textes in verschiedenen Ausgaben  und Teildrucken

1977

Seit 1952 wurden über eine halbe Million Exemplare von Siddhartha in deutscher Sprache verbreitet, in den USA erschienen bisher 3 Millionen Exemplare.


Abb.: Einbandtitel

1998

englisch (USA) (Neuübersetzung)

1999

englisch (USA) (Neuübersetzung)

2000


Abb.: Einbandtitel

englisch (USA) (Neuübersetzung) (von dieser Übersetzung wurden bis Juli 2001 24.000 Exemplare verkauft)

 


Abb.: Umschlagtitel einer lateinamerikanisch-spanischen Ausgabe


3.5.2. USA


Während die 1951 auf Anraten von Henry Miller (1891 - 1980) erschienene in Leinen gebundene Übersetzung von Siddhartha keinen massenhaften Absatz fand. Erreichte die ab 1957 erscheinende Papaerbackausgabe Millionenauflagen und wurde zum meistverkauften New Directions-Titel. Dazu trug vor allem bei, dass Hesse von der Beatgeneration als eine Art Vorläufer der Hippies angesehen wurde.

Bernhard Zeller fasst die verschiedenen zu diesem Thema erschienen Untersuchungen zusammen:

"Das amerikanische Echo auf Hesses Dichtung kam aus dem Amerika des Vietnam-Kriegs, kam von einer Generation, die sich gegen die Gewalt und Sinnlosigkeit des Kriegs, gegen die Allmacht des Staates, gegen die sich ständig steigernde Rationalisierung und Mechanisierung der modernen Welt und damit gegen ihre Entseelung wandte, eine Generation, die nicht verplant sein wollte, sondern an der Fortschrittsgläubigkeit des technischen Zeitalters zu zweifeln wagte.

...

Dazu kam Hesses Liebe zur fernöstlichen Welt, die mit eigenen Vorstellungen verwandt schien, und seine Beschäftigung mit der in Amerika besonders populären Psychoanalyse.

In einem Essay der Universitätszeitschrift »Yale Review« werden Hermann Hesse und Herbert Marcuse [1898-1979] als die beiden Autoren bezeichnet, die die amerikanische Jugend besonders faszinieren. ...

Dass Hesse in den USA so bekannt wurde und seine Bücher ungeheure Verbreitung erfuhren, ist vor allem auf zwei Männer zurückzuführen: auf Colin Wilson und Timothy Leary. In seinem 1956 in Boston erschienenen Buch »Der Outsider«, einer Folge von Schriftstellerporträts, hat Wilson ein bewunderndes Kapitel über Hesse publiziert. Das Buch, das ein Bestseller und dann zu einer Art Vademecum für Beatniks und Hippies wurde, erweckte die Neugier auf den deutschen Dichter. »Steppenwolf« nannte sich bald auch eine berühmte Beatgruppe ...

Timothy Leary, der einflussreiche Harvard-Dozent, Apostel der Hippies, Schriftsteller und Gelehrter ... erklärte Steppenwolf zu seinem Lieblingsbuch und Hesse, für ihn »der größte Schriftsteller der Weltliteratur«, zum Meisterführer für psychedelische Erlebnisse. Hesse wurde zum »Poet of Interior Journey« -- so der Titel der von Leary und Metzner in »The Psychedelic Review« 1963 veröffentlichten Studie, in der es wörtlich heißt: »... vor deiner LSD-Sitzung solltest du Siddhartha und Steppenwolf lesen.«

[Zeller, Bernhard: Hermann Hesse / mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten dargestellt von Bernhard Zeller. -- Reinbek . Rowolth, ©1963. -- (rowolths monographien ; 85). -- S. 160f.].

1956

Wilson, Colin <1931 - >: The outsider. -- Boston : Houghton Mifflin, 1956. -- 288 S.:

"Es muss dem Leser, selbst bei dieser kurzen Zusammenfassung aufgefallen sein, dass es Hesse nicht ganz gelungen ist, das Zauberkunststück durchzuführen. Siddhartha bricht von zu Hause auf voller Hoffnung; die Askese hilft ihm nichts, darum wendet er sich dem Buddha zu. Der Buddha kann ihm auch nicht helfen, also wendet er sich dem weltlichen Leben zu. Das misslingt ebenfalls, und so wird er Fährmann. Der Leser wartet darauf, von einer erfolgreichen Lösung zu hören, und als der Roman zu Ende geht, wird er gewahr, dass Hesse nichts zu bieten hat. Der Fluss strömt dahin, Siddhartha versinkt darüber in Kontemplation. Hesse kommt zu dem Schluss, dass es keinen endgültigen Erfolg oder Misserfolg gibt; das Leben gleicht dem Fluss, seine Anziehungskraft liegt darin, dass es niemals aufhört zu fließen. So bleibt einem nichts weiter, als das Buch mit einem Gefühl ziemlicher Enttäuschung zu schließen.
Der Kenner östlicher Religion wird einwenden, dass das Misslingen des Romans an Hesses Unfähigkeit liegt, das Wesen der Vedanta oder des Buddhismus zu erfassen, und dass der Autor hätte versuchen sollen, Ramakrischna oder den tibetanischen Heiligen Milarepa zu lesen, um den Sachverhalt für sich zu klären, ehe ersieh daran machte, den Roman zu schreiben. Das mag zutreffen; wir können indessen nur mit dem rechnen, was wir tatsächlich haben, nämlich einen abgeschlossenen Roman, und ihn als einen Teil von Hesses Versuch ansehen, seine eigenen Probleme zu definieren."

[Zitat in: Materialien zu Hermann Hesses "Siddhartha". - Frankfurt am Main : Suhrkamp. -- Bd. 2., Texte über Siddhartha. -- 1976. -- 386 S. -- (Suhrkamp-Taschenbücher ; 282). -- ISBN: 3-518-06782-6. -- S. 306]

1963

Ganz entscheidend für die Popularität Hesses in den USA wurde ein Aufsatz des LSD-Apostels Timothy Leary (1920-1996), der Siddhartha und Steppenwolf als Wegweiser zur bewusstseinserweiternden Erfahrung empfahl.


Abb.: Psychedelic Review, 1963

Leary, Timothy <1920 - 1996> ; Metzner, Ralph: Hermann Hesse : poet of the interior journey. -- In: The psychedelic review. -- 1 (1963). -- S. 388 - 400:

"Die Kritiker erzählen uns, Hesse sei ein meisterhafter Romancier. Nun, vielleicht. Doch der Roman ist ein soziales Modell, und das Soziale in Hesse ist exoterisch. Auf einer anderen Ebene ist Hesse der Meisterführer zum psychedelischen Erlebnis und seiner Anwendung. Vor deiner LSD-Sitzung solltest du Siddhartha und Steppenwolf lesen. Der letzte Teil des Steppenwolfs ist ein unschätzbares Lehrbuch. Dann, wenn du vor dem Problem stehst, deine Visionen mit der Plastikpuppen-Routine deines Lebens in Einklang zu bringen, solltest du die Morgenlandfahrt studieren. Suche dir einen magischen Zirkel. Bundesmitglieder warten überall auf dich. Bei größerer psychedelischer Erfahrung wirst du dich mit dem Problem der Sprache und Kommunikation auseinandersetzen, und deine Gedanken und Taten werden sich in ihrer schöpferischen Verflechtung vervielfachen, wenn du mit den interfakultativen Symbolen, den vielstufigen Metaphern zu spielen lernst. Das Glasperlenspiel."

[Übersetzung: Materialien zu Hermann Hesses Der Steppenwolf / hrsg. von Volker Michels. -- Frankfurt (am Main) : Suhrkamp, ©1972. -- 417 S. : Ill. -- (suhrkamp-taschenbücher ; 53). -- ISBN: 3-518-06553-X. -- S.352]

Timothy Leary (1920-1996) selbst schrieb 1987 rückblickend:

"It was twenty years ago today, 1967, L`ete d`amour, when Hesse was revered by college students as the Novelist of the Decade. A mega-sage, bigger than Tolkien or McLuhan [McLuhan , (Herbert) Marshall 1911-1980 Canadian cultural critic and communications theorist who maintained that the method of communicating information has more influence on the public than the information itself. His books include The Medium is the Message (1967). ]or Bucky Fuller [Buckminster Fuller, 1895-1983] or even Kahil Gibran [Gibran, Kahlil, 1883-1931, Lebanese poet and novelist. He wrote in both English and Arabic. Fusing elements of Eastern and Western mysticism, he achieved lasting fame with such aphoristic, poetic works as The Prophet (1923) and The Garden of the Prophet (1934).]!

In the '60s Hesse's mystical, utopian novels were read by millions. The popular electrically-amplified rock band "Steppenwolf" was named after Hesse's psyber-delic hero, Harry Haller, him who smoked loose "long, thin yellow . . . immeasurably enlivening and delightful" cigarettes and then zoomed around the Theatre of the Mind, ostensibly going where no fictional heroes had been before. Since Dante Alghieri, Coleridge, Rimbaud and Huxley, anyway. "

[Leary, Timothy <1920-1996>: Huxley, Hesse and The Cybernetic Society / by Timothy Leary and Eric Gullichsen. -- Aus: Leary, Timothy: The Cybernetic Society / by Timothy Leary and Eric Gullichsen. -- 1987. -- Unveröffentlichtes Buch. -- In: Islandviews. -- 1 (1995). -- URL: http://www.island.org/ISLANDVIEWS/VIEWS1/leary1.html

"HESSE: PROTO-BEATNIK?

In 1922 Hesse wrote Siddhartha, his story of a Kerouac-Snyder manhood spent "on the road to Benares" performing feats of detached, amused, sexy one-upmanship.

In the June issue of Playboy magazine, the Islamic yogic-master Kareem Abdul-Jabbar (Noble and Powerful Servant of Allah) summarizes with his legendary cool the life stages he has experienced. Abdul-Jabbar has obviously studied Hesse, since he uses Bead Game fugue techniques to weave together the strands of his biography: basketball, racism, religion, drugs, sex, jazz, politics.

". . . in my senior year in high school," says Abdul-Jabbar, "I started reading everything I could get my hands on -- Hindu texts, Upanishads, Zen, Hermann Hesse -- you name it. "

Playboy: 'What most impressed you? "

Abdul-Jabbar: Hesse's Siddhartha. I was then going through the same things that Siddhartha went through in his adolescence, and I identified with his rebellion against established precepts of love and life. Siddhartha becomes an aesthetic man, a wealthy man, a sensuous man -- he explores all these different worlds and doesn't find enlightenment in any of them. That was the book's great message to me, so I started to develop my own value system as to what was good and what wasn't."

Siddhartha (and Abdul-Jabbar) were not the only Hesse heroes to "develop their own value systems." The star of Hermann's next book [Steppenwolf] took self-actualization to the limit."

[Leary, Timothy  <1920-1996>: Huxley, Hesse and The Cybernetic Society / by Timothy Leary and Eric Gullichsen. -- Aus: Leary, Timothy: The Cybernetic Society / by Timothy Leary and Eric Gullichsen. -- 1987. -- Unveröffentlichtes Buch. -- In: Islandviews. -- 2 (1995). -- URL: http://www.island.org/ISLANDVIEWS/VIEWS2/leary2.html ]

1967

in den USA werden in diesem Jahr100.000 Exemplare von Siddhartha verkauft

1968

Die Taschenbuchausgabe des Siddhartha wird in den USA in Supermärkten verkauft.

1971 - 1975

Die Taschenbuchausgabe des Siddhartha hat in den USA einen Umsatz von 1.400.000 Exemplaren.

1972

Siddhartha wird von Conrad Rooks verfilmt; Drehbuch: Sven Nykvist.

Darsteller: Shashi Kapoor (Siddhartha), Simi Garewal (Kamala), Romesh Sharma (Govinda), Pincho Kapoor (Kamaswami), Zul Vellani (Vasudeva), Amrik Singh (Siddharthas Vater), Shanti Hiranand (Siddharthas Mutter), Kunal Kapoor (Siddharthas Sohn). Farbfilm. Dauer: 85 Minuten

Der Farbfilm wird ausschließlich in Nordindien (Rishikesh und auf dem Gut des Maharaja von Baharatpur) gedreht.

Der Film erhält in Venedig den Silbernen Löwen.


Abb.: Filmplakat

1980er-Jahre

Das Interesse an Hesse nimmt in den USA ab.


4. Oskar Schlemmer (1888 - 1943)



Abb.: Oskar Schlemmer [Bildquelle: http://www.staatsgalerie.de/media/sammlungen/arc/schlemmer.jpg. -- Zugriff am 2003-06-29]

"Schlemmer, Oskar, Maler, Bildhauer, Wandgestalter, Choreograph, Bühnenbildner, geb. 4.9.1888 Stuttgart, gest. 13.4.1943 Baden-Baden

Schlemmer war der jüngste Sohn Carl Leopold Schlemmers, der einen kaufmännischen Beruf ausübte und in seiner Freizeit Komödien verfasste. Nach dem frühen Tod des Vaters (1902) verließ Schlemmer die Realschule, um eine Lehre in einer Möbel- und Intarsienfirma zu absolvieren. Anschließend studierte er an der Stuttgarter Akademie bei Christian Landenberger und Friedrich von Keller. Nach längerem Aufenthalt in Berlin, wo er Kontakte zum "Sturm"-Kreis knüpfte und sich mit dem Kubismus auseinandersetzte, wurde er 1912 Meisterschüler bei Adolf Hölzel in Stuttgart, dessen Lehre von den bildnerischen Mitteln für die Entstehung der abstrakten Malerei wegweisend wurde. 1914 führte er gemeinsam mit Willi Baumeister und Hermann Stenner einen Wandbildzyklus für die Haupthalle der Kölner Werkbundausstellung aus. Nach zwei Fronteinsätzen und Verwundung kehrte Schlemmer 1918 in die Heimat zurück und gründete mit Freunden aus dem Hölzel-Kreis die "Üecht-Gruppe", die eine "Herbstschau Neuer Kunst" veranstaltete und vergeblich für die Berufung von Paul Klee zum Nachfolger von Hölzel kämpfte. 1920 stellte er gemeinsam mit Baumeister im Berliner "Sturm" neue Arbeiten aus, die einen figürlichen Konstruktivismus repräsentierten.

1921 an das Weimarer Bauhaus berufen, übernahm Schlemmer die Leitung der Wandmalerei und Holzbildhauerei. Am Stuttgarter Landestheater realisierte er seine erste Inszenierung mit zwei Operneinaktern von Paul Hindemith. Seit 1923 leitete er die Theaterarbeit, entwarf Bühnenbilder für die Berliner Volksbühne und führte mit seinen Studenten zur Bauhaus-Ausstellung die malerisch-plastische Wandgestaltung im Werkstattgebäude aus. Am Weimarer Nationaltheater wurde sein symphonisch gegliedertes Triadisches Ballett aufgeführt, das 1922 in Stuttgart Premiere hatte und die "erste konsequente Demonstration des raumplastischen Kostüms" darstellte.

Bis 1925 entstanden seine "Galeriebilder" wie Vorübergehender, Konzentrische Gruppe und Römisches, in denen Schlemmer die strenge Flächenhaftigkeit verließ und zu dreidimensionalen Architekturvisionen mit plastischen Gestaltgruppen überging -- eine Synthese von Mensch und Raum als Metapher für die Bauhaus-Idee.


Im Herbst 1925 übersiedelte das Bauhaus nach Dessau, wo Schlemmer die "Bauhausbühne" leitete und später den Unterricht "Der Mensch" erteilte. Nach einer erfolgreichen Tournee mit seinen Bauhaustänzen folgte er 1929 einer Berufung an die Breslauer Akademie. In der schlesischen Metropole entstanden bedeutende Wandgestaltungen wie der Zyklus der neun Wandbilder für das Museum Folkwang in Essen oder eine große Reliefgestaltung mit Metalldrähten und -elementen in der Wohnhalle eines Arztes in Leipzig. Seine Malerei wurde gelöster und mündete in figurenreiche Kompositionen wie Vierzehnergruppe in imaginärer Architektur. Nach Schließung der Breslauer Akademie durch Notverordnung trat Schlemmer eine Professur an den "Vereinigten Staatsschulen für Kunst und Kunstgewerbe" in Berlin an. Als er von der politisch erzwungenen Auflösung des Dessauer Bauhauses erfuhr, malte er 1932 sein berühmtestes Gemälde, Bauhaustreppe, das von dem Architekten Philipp Johnson für das Museum of Modern Art New York erworben wurde. Nach seiner Antrittsvorlesung in Berlin, in der er sein künstlerisches Credo darlegte, mehrten sich Anfeindungen durch nationalsozialistische Studenten, die ihn zusammen mit anderen Professoren wie Karl Hofer als "destruktive, marxistisch-jüdische Elemente" diffamierten. Trotz Protesten bei offiziellen Stellen erhielt Schlemmer im Mai 1933 die fristlose Kündigung.

Das Jahr 1934 verbrachte Schlemmer in der Schweiz mit der Vorbereitung einer Monographie und einer Gedächtnisausstellung für seinen verstorbenen Künstlerfreund Otto Meyer-Amden. Seit 1935 lebte er mit seiner Familie auf dem Lande in Südbaden und schloss Freundschaft mit dem Maler Julius Bissier. Trotz Ausstellungsverbots malte er nun vorwiegend Landschaften und Porträts. Seit 1937, als seine Werke auf der Münchner Ausstellung "Entartete Kunst" angeprangert wurden, arbeitete er nur noch auf Papier, Pastelle oder Ölpapierstudien, die leicht zu verstecken waren. 1938 übernahm er eine Anstellung bei einem Stuttgarter Malerbetrieb und seit 1940 in einer Wuppertaler Lackfabrik. Im Privathaus eines Stuttgarter Freundes führte er das Wandbild Familie aus, bei dessen Gestaltung er noch einmal freie Hand hatte. In Wuppertal entstand 1942 die Serie der 18 Fensterbilder -- nächtliche Einblicke in die erleuchteten Fenster der gegenüberliegenden Mietshäuser, wo die Bewohner, schemenhaft ferngerückt, ihren häuslichen Tätigkeiten nachgehen. Diese zartfarbenen Miniaturen in Mischtechnik spiegeln die Empfindung des Ausgeschlossenseins, die Schlemmers letzte Lebensjahre überschattete.

Schlemmers vielseitiges Schaffen entfaltete sich (nach eigener Auffassung) zwischen den beiden Polen des Dionysischen (Tanz- und Theaterarbeit) und des Apollinischen (Malerei und Plastik). In der Kunst strebte er danach, seiner von divergierenden Kräften zerrissenen Epoche klassische Ordnungsbilder in der Welt der Anschauung entgegenzuhalten.

[Quelle:  Karin von Maur. -- In:  Deutsche biographische Enzyklopädie & Deutscher biographischer Index. -- CD-ROM-Ed. -- München : Saur, 2001. -- 1 CD-ROM. -- ISBN 3-598-40360-7. -- s.v.]

1915-07-12

Im Krieg, im Felde, schreibt Schlemmer ins Tagebuch:

Ich suche "Ruhe, die buddhistische Ruhe"

Abb.: Schlemmer-Gedenkbriefmarke

1943-02-20

Tagebucheintragung Schlemmers:

"Wenn ich an die verschiedenen 'verfügbaren' Götter denke, die ich mir einverleiben könnte, assimilieren, um in einen nun wünschenswerten Zustand zu gelangen, so sehe ich immer wieder nur den breiten und gelassen in sich ruhenden Buddha."

[Beide Zitate aus: Illmaier, Thomas: Buddhismus und Kunst. -- In Bodhi Baum. -- Wien. -- 16. Jahrgang, Nr. 2 (1991). -- S. 40]


5. Paul Dahlke und das Buddhistische Haus in Berlin-Frohnau


[Zu Paul Dahlke s. Hecker, Hellmuth <1923 - >: Lebensbilder deutscher Buddhisten ; ein bio-bibliographisches Handbuch. -- Konstanz : Universität. -- (Forschungsprojekt "Buddhistischer Modernismus" -- Forschungsberichte)
Band I: Die Gründer. -- 1990. -- 179 S. -- (... ; 1). -- S. 13-36 (mit ausführlichen Literaturangaben)].



Abb.: Paul Dahlke

"Dahlke, Paul (Wilhelm Eduard), Mediziner, geb. 25.1.1865 Osterode (Ostpreußen), gest. 29.2.1928 Berlin-Frohnau

Nach dem Abschluss des Medizinstudiums mit der Promotion 1887 (Über den Hitzschlag) ließ sich Dahlke als Arzt in Berlin nieder, unterhielt eine erfolgreiche homöopathische Praxis, publizierte u.a. eine Arzneimittellehre (2 Bde., 1914-16) und wurde schließlich Medizinalrat. Er unternahm zahlreiche Reisen nach Asien und lernte dort -- vor allem bei seinem zweiten Aufenthalt auf Ceylon 1900 -- den Buddhismus kennen. Dahlke publizierte Übersetzungen von Pali-Texten und buddhistische Schriften (u.a. Buddhistische Erzählungen, 1904), gab seit 1918 die "Neubuddhistische Zeitschrift", seit 1924 deren Nachfolgerin "Brockensammlung, Zeitschrift für angewandten Buddhismus", heraus und begründete 1924 in Berlin-Frohnau das "Buddhistische Haus". "

[Quelle: Deutsche biographische Enzyklopädie & Deutscher biographischer Index. -- CD-ROM-Ed. -- München : Saur, 2001. -- 1 CD-ROM. -- ISBN 3-598-40360-7. -- s.v.]

Dr. Paul Dahlke's Kontakt mit dem Buddhismus
von Kurt Fischer (Privatsekretär von Dr. Paul Dahlke)

Paul Dahlke wurde am 25. Januar 1865 in Osterode, Ost-Preußen geboren. Während seiner Kindheit erfuhr er einige Härtefälle des Lebens. Sein Vater war ein Zivilangestellter und eine große Familie hatte mit einem sehr schmalen Einkommen auszukommen, so dass Entbehrung und Selbstverleugnung teil des täglichen Lebens im Hause waren.

Nach einigen Jahren an einer Grundschule kam Paul Dahlke an das Gymnasium in Frankfurt/Main. Nach dem Abschluss der Erziehung in Frankfurt betrieb er medizinische Studien, und nach seinen Prüfungen beschäftigte er sich mit der Homöopathie, instinktiv wissend, dass diese Methode des Heilens am besten zu seinem Talent passte.

Dr. Dahlke war einer der Ärzte, welche nicht einfach nur routinemäßig praktizierten. Er war ein echter Heiler, wie es das Wort „Arzt" ausdrückt, das vom Griechischen Wort archiatros abgeleitet ist, welches „überragender Heiler" ausdrückt. So kam es, dass dieser junge Doktor durch außergewöhnlichem Erfolg recht bald einen guten Ruf bekam, der weit über seinen Wirkungsort Berlin hinaus bekannt wurde.

Aber Dr. Dahlke´s Genie war fern davon, viel zu aktiv, um sich nur für die medizinische Praxis allein zu zügeln. Es zog ihn weiter hinter die Grenzen des Bekannten in Gedankenwelten, welche außerhalb seiner beruflichen Tätigkeit lag. Eben in seinen bemerkenswerten Anstrengungen als ein Arzt zeigt er einen tiefen Sinn für die Aktualität (Wirklichkeit), für die Dinge, „wie sie wirklich sind", eine geistige Qualität, mit der nur wenige Menschen großzügig ausgestattet sind. Dr. Dahlke drang in Gebiete außerhalb der Medizin vor, zu den religiösen Ideen Ostasiens, und schließlich zu den Lehren des Buddha. Schopenhauer´s Schriften hatten den ersten Einfluss auf ihn, aber schon bald wuchs er aus diesen durch sein ruheloses Untersuchen und Hinterfragen heraus.

Wir können nichts besseres tun, als hier die Worte zu wiederholen, mit denen Dr. Dahlke selber seinen ersten Kontakt mit dem Buddhismus und dessen Auswirkungen auf ihn beschreibt:

„Es war nicht in Gestalt eines emotionalen Schocks oder einiger maßgeblicher Begebenheiten, dass der Buddhismus in mein Leben kam. Langsam, unaufhaltsam, ähnlich dem Samen in der Erde, bekam er Wurzeln und wuchs, als ich 1898 zu meiner ersten längeren Reise startete. Ich hatte schon seit einiger Zeit Buddhismus gekannt, aber dessen ungeachtet, nicht Indien, sondern die Südsee war das Ziel meines Begehrens. Tahiti und Oweihi, wie es in Chamisso's Schriften beschrieben ist, zogen mich mehr an, als alle Weisheit Indiens, und im Juni 1898 ging ich in Apia auf der Insel Sama an Land; es erschien mir wie die perfekte Erfüllung meines Lebens."

„Nach über einem Jahr kehrte ich nach Deutschland zurück - die Lehre des Buddha muss sich still in mir unbewusst entwickelt haben - schon im folgenden Jahr ging ich wieder auf Reisen, diesmal mit dem erklärten Ziel Indien; und nicht Indien alleine, sondern Buddhismus."

„Im Frühling 1900 erreichte ich Colombo und hatte das große und erhabene Glück, gute Lehrer zu finden, welche mir Belehrungen zum Buddhismus geben konnten: der Ehrwürdige Sri Sumangala Thera von Maligakanda Vihâra, einer Vorstadt von Colombo, war zwar ein alter Mann, aber sein Intellekt war erstaunlich tief; und Nyanissara Thera, sein erster Mitarbeiter, welcher seinen Platz nach dessen Tode einnahm, und der unglücklicherweise jetzt auch ablebte. Dann war da auch der junge Bhikkhu Suriyagoda Sumangala von Sri Vardhanarama (Colpetty) mit dem ich seither eine enge Freundschaft habe; und schließlich, den Pandit Wagiswara, der zu dieser Zeit in Payagala, an der Südküste von Ceylon lebt. Ihm verdanke ich das meiste meines anfänglichen Verständnisses des Buddhismus, weil er sich am besten an die westlichen Ansichten anpassen konnte und außerdem hatte er ein tiefes Verständnis des Englischen."

„Es war im Jahr 1900, dass ich offiziell zum Buddhismus und dessen Lehren übertrat. Seit dieser Zeit reiste ich konstant zwischen Indien und meiner Heimat Deutschland hin und her; und die meiste Zeit war ich krank, teilweise durch das Klima, teilweise durch meine eigenen Fehler: meine Unzufriedenheit mit diesen rastlosen Wanderungen und dem immer wieder nach Indien gezogen werden."

Das Ergebnis von diesem innerem Erwachen zu diesem Dhamma, war eine Anzahl Bücher, deren reeller Wert in dem Fakt liegt, dass sie buddhistische Gedanken für die Auffassung von Westlern akzeptabel machen. Die meisten seiner hauptsächlichen Arbeiten wurden ins Englische übersetzt und einige auch in Holländisch und Japanisch.

Es gab immer schon Menschen, welche Energie und Entschlossenheit mit einem ursprünglichen und kreativen Geist kombinierten. Solche, die sich in die Reihen derer einordnen, welche „Große Menschen" genannt wurden. Solcherart war der Geist von Dr. Paul Dahlke, der einen außergewöhnlichen Platz in der Geschichte des westlichen Denkens in Anspruch nimmt. Er besaß nicht nur ein unvorstellbares Maß an Energie kombiniert mit einem tiefen Intellekt und der Sensibilität und Kreativität eines Künstlers, sondern, und hier liegt Dr. Dahlke's spezielle Größe, er hatte auch einen tiefen Sinn der Aktualität, der jenseits aller Konventionen war. Als ein Resultat dieser ungewöhnlichen Kombination von Qualitäten, hatte er einen starken Drang zu innerer Reinheit und Ehrbarkeit, was es ihm nicht erlaubte, von den zumeist radikalen Konsequenzen seiner Gedanken zurückzuschrecken.

Ab dem Jahre 1914 unternahm Dr. Dahlke verschiedene Reisen in viele der großen Länder der Welt. Er selbst sagte spassweise über sich selber: „Ich war wie ein Komet der durch die Welt saust." Dennoch waren die historischen Stätten buddhistischer Kultur, besonders Ceylon, für ihn die größte Attraktion. Kurz bevor der erste Weltkrieg ausbrach, nach Dr. Dahlke´s Rückkehr nach Deutschland, und den Folgen des Ausbruches des ersten Weltkrieges zuzuschreiben, fand er sich selbst auf sein Heimatland eingeschränkt. Der einzige Weg auf dem er sich den Umständen anpassen konnte schien zu sein, seine medizinische Praxis wieder aufzunehmen, welche er während der letzten Jahre aufgegeben hatte. Und bald schon wurde es seinen alten Patienten bekannt, dass Dr. Dahlke wieder seine großartigen medizinischen Erfahrungen und Fertigkeiten in den Dienst der Heilung stellt.

Aber mehr und mehr wuchs in Dr. Dahlke die Erkenntnis, dass da kein größerer Wunsch für die Menschen im Westen besteht, als das wahre Verständnis des Buddhismus. Seine früheren Schriften dienten immer zur Einführung dieser Lehre, nun aber sah Dr. Dahlke die Notwendigkeit der Herstellung einer verlässlichen deutschen Übersetzung der buddhistischen Schriften. Doch es existierten in deutscher Sprache einige großartige Übersetzungen von Pâli-Texten, zumeist alle, besonders die wohlbekannten Wiedergaben von Karl Eugen Neumann, der mehr oder weniger beeinflusst war von fremden Beimischungen zum reinen Geist der Lehre. Dies veranlasste Dr. Dahlke zur Übersetzung des Dhammapada, Teilen der Dîgha-Nikâya (Sammlung der längeren Lehrreden) und Majjhima-Nikâya (mittlere Lehrreden). Diese Bücher waren nicht nur Übersetzungen, sie waren zur selben Zeit Arbeiten lehrgemäße Anleitungen, in denen der Autor, in umfassend erläuternden Anmerkungen, das Resultat zwanzigjährigem Studiums und persönlicher Erfahrung verkörperte. Zu dieser Zeit begann er auch mit der Herausgabe eines Vierteljahresjournals, der „Neu-Buddhistischen Zeitschrift", komplett von ihm selber geschrieben. In diesem Heft zeigte er auf einem einheitlichen, immer frischen und anregendem Weg, wie Buddhismus einen maßgeblichen Einfluss zur Klärung aller großen Probleme des Lebens hat.

Aber der Geist ist darauf aus zu realisieren, was ihm als Wahrheit bekannt ist und kann nicht auf lange zufrieden sein mit nur literarischer Arbeit. Bald schon stieg in ihm die Idee eines "Buddhistischen Hauses" auf, welches ein Treffpunkt sein sollte für solche, die nicht länger mit ihrer überlieferten Religion übereinstimmten und fühlten, dass Materialismus nicht mit menschlicher Würde vereinbar ist.

Einige wenige Jahre nach dem Ende des ersten Weltkrieges, gerade als die Schwierigkeiten durch die Inflation der deutschen Währung auf ihrem Höhepunkt war, zeigte sich die überaus günstige Gelegenheit, ein Stück bewaldetes Land von rund 36.500 Quadratmetern in Frohnau, einem Vorort von Berlin zu erwerben. Nun widmete Dr. Dahlke all seine Energie der Realisation seiner großartigen Idee: die Errichtung eines Hauses für Buddhisten in Deutschland. Diese Aufgabe wurde langsam, in stetigem Fortschritt erfüllt. Die Schwierigkeiten, die er dabei zu überwinden hatte, rührten auch daher, dass die Inflation in Deutschland die meisten seiner Finanzen zur Ausführung seines Projektes verschlang. Dieses Geld, welches er brauchte, um das Haus zu bauen, hatte zuerst Tag für Tag in harter Arbeit in Dr. Dahlkes Sprechzimmer erwirtschaftet werden müssen. Nichtsdestotrotz war er fest entschlossen, seinen Plan auszuführen, und im August 1924 war der Bau des „Buddhistischen Hauses" so weit fortgeschritten, dass Dr. Dahlke und ein paar seiner Anhänger darin einziehen konnten. Es war seine Absicht, dass das Haus ein Monument sei, ein sichtbarer Ausdruck der Lehre; und neue Pläne entstanden in seinem fruchtbaren Geist, den ersten Entwurf zu erweitern. Zweckmäßigerweise enthalten die Seitenflügel des Hauses die Wohnräume und die Bibliothek. Eine Versammlungshalle wurde nahebei errichtet, wie auch separate Räume für Gäste, die wünschten, für einige Zeit hier zu bleiben, um in Ruhe zu meditieren und um Instruktionen in der Buddha-Lehre zu erhalten.

Das "Buddhistische Haus" war gedacht als ein Platz für die innere Läuterung, soweit man dies erreichen kann in einem Kompromiss zwischen dem Leben als buddhistischer Mönch und den westlichen Bedingungen. Es konnte kein Kloster sein, denn materielle und spirituelle Erfordernisse waren nicht ausreichend. Dafür war es eine Mittelwegs-Lösung zwischen einem Kloster und einem Laienaufenthaltsort. Die „Fünf Regeln" waren die Mindestanforderung an das Benehmen für die hier wohnenden und deren weitere Anstrengungen zur inneren Läuterung war es, dem Haus eine charakteristische Atmosphäre zu verleihen. Nur diejenigen, die es versucht haben, können die Schwierigkeiten dieses Tuns unter westlichen Bedingungen richtig einschätzen. In einer Welt, in der Lebenslüste und brutaler Existenzkampf vorherrschen, war das beherzte Bemühen von Dr. Dahlke und der kleinen Schar seiner Anhänger wie der Kampf eines kleinen Bootes gegen die berghohen Wellen der stürmischen See.

Darum ist es nicht überraschend, dass Dr. Dahlke´s Anstrengungen fast gänzlich in der Arbeit der wenigen letzten Jahre in Verbindung mit dem „Buddhistischen Haus" verbraucht wurde. Dr. Dahlke hatte mehrmals seinen Freunden gegenüber erwähnt, wie schwach sein Herz war, und af Grund des hohen Grades innerer Gelassenheit, welche er dem Buddhismus verdankte, konnte er nicht mit arbeiten innehalten, bis er starb. Etwa ein Jahr machte ihm eine ernsthafte Erkältung, die er nicht zu kontrollieren vermochte, zu schaffen. Es waren nur sein ständiges Denken an den Dhamma und die damit verbundenen Pläne, welche ihn befähigten, für einige Zeit den Rückfällen, die nach einer tiefen Krise in seiner Krankheit aufkamen, zu widerstehen. Auch das andere Projekt, das, der Gründung eines Retreat-Hauses auf der Nordseeinsel Sylt, sowie literarische Pläne, beschäftigten ihn ständig. Aber der Tod verhinderte die Realisation dieser Pläne. Im Frühjahr 1928 verstarb Dr.Paul Dahlke.

Bis jetzt hat es harte Bemühung gekostet, eine angemessene Würdigung von Dr. Dahlke´s einmaliger Persönlichkeit und des herausragenden Platzes zu geben, den er im geistigen Leben des Westens innehat, sowie von der kraftvollen und durchdringenden Darstellung der Lehre des Buddha. Möge bald die Zeit kommen, in der seine großartige Arbeit völlig verstanden und für den Segen der Menschheit genutzt wird.

Anmerkung:

Die „German Dharmaduta Society", gegründet im Jahr 1952 von Ashoka Weeraratna, erwarb den Besitz von den Erben Dr. Dahlke´s im Jahre 1957 und gestaltete diesen in ein buddhistisches Vihâra mit hierin wohnenden Mönchen, die von Sri Lanka und anderen Ländern gesendet werden, um. Es ist nun ein Zentrum für die Ausbreitung des Theravâda-Buddhismus in Europa. Der deutsche Staat hat „Das Buddhistische Haus" (die älteste buddhistische Institution in Europa) als einen nationalen Kulturbesitz gekennzeichnet (Denkmalschutz). Es ist des weiteren ein einmaliges Denkmal für das Wachsen buddhistischer kultureller Bande zwischen Sri Lanka und Deutschland.

Die Würdigung von Bhikkhu Sîlacara

Bhikkhu Sîlacara (J.B. Mc.Kechnie) zollt den folgenden Tribut an Dr. Paul Dahlke:

„In Dr. Paul Dahlke besaß der Buddhismus, der sich in Europa begründete, einen der am meisten tüchtigsten und fähigsten Schreiber, als Rückgrat versehen mit dem, was zweifellos das am allergeschickteste und leistungsstärkste Gehirn war, welches nicht fern von Europa erschien, um die Idee, die die Buddha-Lehre beinhaltet, zu verfechten und zu propagieren."

Die Würdigung von Anagârika Dharmapala

Anagârika Dharmapala würdigt Dr. Dahlke folgendermaßen:

„Die singhalesischen Buddhisten haben jedes Recht stolz zu sein auf die Errungenschaft von Dr. Dahlke aus Deutschland dafür, dass er in Ceylon unter solch wohlbekannten Lehrern, wie dem Ehrw. Sumangala Thera und dem Ehrw. Pandit Wagiswara, Pâli lernen konnte. Mehr als zwanzig Jahre hat er Pâli -Texte gelesen und übersetzt, und in Europa ist kein weiterer spirituell gesinnter Pâli-Gelehrter als Dr. Dahlke. Er bereiste ganz Ceylon, besuchte die historischen Vihâras und war außerdem an historischen buddhistischen Plätzen in Indien und Burma. Es ist die Persönlichkeit von Dr. Dahlke, welche Menschen zu ihm hinzog. In seinem täglichen Leben war er ein lebendes Beispiel für seine Anhänger, streng die Fünf Regeln einhaltend und sich ruhig seinen beruflichen Pflichten widmend. Es wird nicht leicht sein, einen besseren Buddhisten als Dr. Dahlke zu finden. Er war ein strikter Vegetarier und nahm auch nie Alkohol. Seine literarischen Arbeiten ließen ihn Ruhm in Deutschland gewinnen."

(Hinweis: Dieser Artikel erschien am Donnerstag, dem 6. September in der "Daily News", einem Tagesblatt in Sri Lanka (Produced by Lake House The Associated Newspapers of Ceylon Ltd.) und wurde aus dem Englischen ins Deutsche zurück übertragen. Für eventuelle Fehlerhaftigkeiten bitten wir um Entschuldigung.)"

[Quelle: http://www.buddhistisches-haus.de/de/index.html. -- Zugriff am 2003-05-22]

Abb.: Dr. Paul Dahlke als junger Mann [Bildquelle: http://www.buddhistisches-haus.de/de/index.html. -- Zugriff am 2003-06-19]

Dr. med. Paul Dahlke (1865-1928) war ein wohlhabender homöopathischer Arzt. "Der Buddhismus ist nicht in Form einer Erschütterung, eines entscheidenden Ereignisses in" sein "Leben getreten", sondern langsam unmerklich. Schon 1898 machte er eine Reise in die Südsee.

1900

Dahlke reist mit dem Ziel Buddhismus nach Ceylon. Dort erhielt er Unterweisung durch drei bedeutende Mönche, aber besonders durch einen Laien, Pandit Wagiswara, "der sich westlicher Anschauung am besten anpassen konnte" und der englischen Sprache mächtig war. Dahlke schreibt:

"Das Jahr 1900 war somit das meines offiziellen Eintritts in den Buddhismus und seine Lehre. Seit jener Zeit bin ich in einem beständigen Hin- und Herpendeln zwischen Indien und meiner deutschen Heimat geblieben, meist krank, teils durch die Schuld des Klimas, teils durch meine eigene Schuld, meist unbefriedigt durch dieses ruhelose Wandern, und doch immer wieder nach Indien zurückgezogen.

Wie oft ich dagewesen bin, kann ich heute gar nicht mehr sagen, weil meine Reisen so dicht hintereinander fielen, dass ich gar nicht mehr gewohnt war, nach Deutschland zurückgekehrt, meine Koffer auszupacken, auch in meinen Tagebüchern keine Trennungen zwischen den einzelnen Reisen machte. Es kann siebenmal, es kann auch achtmal gewesen sein. Ich weiß es nicht, das aber weiß ich wohl, dass in diesen Jahren ruhelosen Wanderns die Bande, die mich mit dem Buddhismus verknüpften, immer fester und inniger, aber auch immer strenger wurden. Aus der exotischen Kuriosität, mit der man in Mußestunden spielt, wurde nach und nach der Herrscher, der die Fuchtel über mir schwang, von dem abhing, ob ich ein gutes oder schlechtes Gewissen mir selber gegenüber hatte; aus der geistigen Delikatesse wurde im Lauf der Jahre eine lebendige Nahrung, aus dem bloßen gedanklichen Luxusgegenstand eine Notwendigkeit, ohne die das Leben Wert und Inhalt verloren haben würde."

[Dahlke, Paul: Ansprache, gehalten zur ersten Uposatha-Feier im Buddhistischen Hause am 12. Oktober 1924. -- In: Die Brockensammlung. -- 1925. -- S. 81-88. -- S. 83].

1912 veröffentlichte Dahlke:

Dahlke, Paul: Buddhismus als Weltanschauung. -- Breslau : Walter Markgraf, 1912. -- 258 S.

Das Inhaltsverzeichnis gibt einen guten Eindruck vom Inhalt:

Was dieses Buch will
  1. Aufsatz: Was ist Weltanschauung und ist sie notwendig?
  2. Aufsatz: Glaube und Weltanschauung
  3. Aufsatz: Wissenschaft und Weltanschauung
  4. Aufsatz: Zur Einführung in die Gedankenwelt des Buddha Gotama
  5. Aufsatz: Der Buddhismus als Weltanschauung
  6. Aufsatz: Der Buddhismus als Arbeitshypothese
  7. Aufsatz: Der Buddhismus und das Problem der Physik
  8. Aufsatz: Der Buddhismus und das Problem der Physiologie
  9. Aufsatz: Der Buddhismus und das Problem der Biologie
  10. Aufsatz: Der Buddhismus und das kosmologische Problem
  11. Aufsatz: Der Buddhismus und das Problem des Denkens

Abschluss

1914-1918

Der Weltkrieg erschütterte Dahlke zutiefst, so dass er sich wieder in seine ärztliche Tätigkeit, die er acht Jahre nicht mehr ausgeübt hatte, stürzte.

1917-Ende

Dahlke fasst den Entschluss, den unterbrochenen Verkehr mit Indien, d.h. dem Buddhismus, durch eine Zeitschrift zu ersetzen:

Neu-Buddhistische Zeitschrift / [Red. u. Hrsg.: Paul Dahlke]. - Berlin-Wilmersdorf : Neubuddhistischer Verlag
1 (1917/18) -- 5 (1921/22)
Fortsetzung:
Die Brockensammlung : Zeitschrift für angewandten Buddhismus / Red. u. Hrsg.: Paul Dahlke, ab 1929 Dahlkes Schwester Bertha Dahlke. -- Berlin : Neubuddhistischer Verlag.
1 (1924) -- 14 (1938)

1918

In der Neu-Buddhistischen Zeitschrift veröffentlichte Dahlke vier Studien zum Weltkrieg, ein Versuch Dahlkes

"sich selber mit der Not und dem Drang dieser schrecklichen Zeit abzufinden. Der zwischen Menschentum und Vaterland hin und her gezerrte Geist verlangt gebieterisch den Ausgleich dieses Zwiespalts von einer höheren, rein gedanklichen Warte aus, hoch genug, um von dem beständigen Schwanken der Gefühle nicht mehr in Mitleidenschaft gezogen zu werden."

[Neubuddhistische Zeitschrift. -- Winter 1918. -- S. 86].

1919/20

Dahlke will weg vom Philologiebuddhismus, da die Philologen doch nur ihre religionsgeschichtliche Neugier befriedigen wollen, den Buddhismus aber eigentlich nicht ernst nehmen, da sie ihn nicht zu verwirklichen suchen.

"Buddhismus ist Wirklichkeitslehre und drängt als solche zur Verwirklichung, weil er, dem wissenschaftlichen Beweise unzugänglich, erst aus der Wirklichkeit heraus sich durch sich selber beweisen kann. Das verlangt Verinnerlichung, Verinnerlichung verlangt Ruhe, Ruhe verlangt Einsamkeit"

[Neubuddhistische Zeitschrift. -- Winter 1919/20. -- S. 57].

1919


Abb.: Dahlkes um die Jahrhundertwende erbautes Ferienhaus in Weningstadt auf Sylt

Daraus entstand die Idee eines buddhistischen Hauses, das kein Mönchskloster sein sollte. Zur Gründung eines solchen Hauses rief Dahlke m.W. erstmals 1919 auf. Trotz klimatischer Einwände dagegen, hat Dahlke zunächst auf Sylt 20 Morgen (rd. 500 Ar) Land gekauft. Warum Sylt, und nicht eine Südseeinsel:

"Soweit meine eigenen Erfahrungen reichen, hält in der Beziehung nichts den Vergleich aus mit den Südsee-Inseln. Aber wenn man mich fragte, ob ich z.B. Hawai [sic!] oder Samoa als geeignet für buddhistische Siedlungen hielte, so würde ich sagen: Nein! Klima und Landschaft wecken hier viel zu sehr das Behagen des Lebens, als dass sie eine verinnerlichende Wirkung ausüben könnten. Der Menschenschlag, der sich hier im Zusammenwirken mit der Natur entwickelt hat, gibt den Beweis dafür. Hätten wir klimatisch die freie Wahl, so würde ich vielleicht einen Ort im indischen Zentralgebirge, etwa Ellora, oder einen Ort im indischen Randgebirge, etwa Lanauli, wählen, oder auch hier wieder die Syrische Wüste. Aber wir haben nun einmal nicht die freie Wahl, sondern sind im Gegenteil ungeheuer beschränkt, und von dem, was uns zurzeit zur Verfügung steht, scheint mir gerade die Sylter Landschaft und das Sylter Klima unsere erste Forderung: die Forderung der verinnerlichenden Wirkung, besser zu erfüllen, wie irgendeine andere Gegend der Gebiete, die uns heute zugänglich sind. Gerade den Spätherbst halte ich für die unseren Zwecken günstigste Zeit. Wenn die Herbststürme toben und ein schwerer, dunkler Himmel zur Erde hängt -- das ist unsere Zeit; da kehrt man gern bei sich selber ein.

So mag es denn vorläufig bei dem Plan, das erste Buddhistische Haus auf Sylt zu errichten, bleiben. Hoffentlich folgen bald andere in anderen Gegenden."

[Dahlke, Paul: Buddhismus und Klima. -- In: Neubuddhistische Zeitschrift. -- Winter 1920/21. -- S. 29].

um 1920


Abb.: Dr. Paul Dahlke mit seinem Pâli-Lehrer Ven. Suriyagoda Sumangala Thera (zirka 1920)
[Bildquelle: http://www.buddhistisches-haus.de/de/index.html. -- Zugriff am 2003-06-19]

1924-10-12

Doch durch die Inflation verlor Dahlke all seine Geldreserven und so wurde der Sylter Plan unmöglich. Durch das Entgegenkommen der Direktoren einer Siedlungsgesellschaft, konnte Dahlke statt dessen in Berlin-Frohnau elf Morgen Land in bester und "gesunder" Lage erwerben. Durch die finanzielle Hilfe einiger Anhänger und auch aus Asien -- nämlich dem Buddhist Annual of Ceylon und Anagarika Dharmapala -- wurde es ihm möglich, das Buddhistische Haus in Berlin-Frohnau zu errichten. Am 12. Okt. 1924 wurde es eröffnet.


Abb.: Planzeichnung des Buddhistischen Hauses, Berlin-Frohnau

Die Hauptaufgaben des Buddhistischen Hauses sind:

  1. "die reine Lehre zu zeigen,
  2. einen örtlichen Mittelpunkt des Buddhismus im Westen zu bilden,
  3. der meditativen Praxis zu dienen."

[Die Brockensammlung. -- 1929. -- S. 124].


Abb.:  Hausansicht aus Richtung Ceylonhaus (1925)
[Bildquelle: http://www.buddhistisches-haus.de/de/index.html. -- Zugriff am 2003-06-19]

Warum hat Dahlke nicht ein buddhistisches Kloster mit Mönchen als Insassen gegründet? Dahlke antwortet darauf:

"Es handelt sich bei unserem Unternehmen nicht um die Schaffung eines Klosters mit Klosterregeln und Mönchen als Insassen. Unsere gegenwärtige Zeit würde für ein derartiges Unternehmen durchaus ungeeignet und unreif sein; heute mehr als je sind die Anschauungen vom Wert der Arbeit so, dass der Geber sich auch als den Schenker und Gönner ansieht, was den Sangha, den Orden, zum Gegenstand öffentlicher Mildtätigkeit und den Bhikkhu, den Bettelmönch, zum Almosenempfänger machen würde. Nur wo der Geber sich als den Beschenkten ansieht, ist der Sangha das, was er sein soll: »Das unvergleichliche Feld der Verdienste in der Welt« und der Bhikkhu der unersetzliche Wohltäter der Menschen."

[Die Brockensammlung. -- 1925. -- S. 86].

Im Buddhistischen Haus galt eine strenge Hausordnung:

"Ordnung für das Buddhistische Haus.

Alle Insassen des Hauses sind verpflichtet, die im folgenden gegebene Ordnung zu halten und anerkennen diese Ordnung damit, dass sie im Hause Wohnung nehmen, einerlei, ob das dauernd oder vorübergehend der Fall ist, ob sie Buddhisten sind oder nicht.

  1. Es soll kein lebendes Wesen des Lebens beraubt werden. Die Nachteile, die dem einzelnen aus der Befolgung dieser Vorschrift erwachsen könnten, muss er selber durchdenken und sich in dem Entschluss festigen, diese Nachteile zu erdulden.
  2. Es darf Nichtgegebenes nicht genommen werden. Das bezieht sich nicht auf anerkanntes Allgemeingut, wie das Sammeln von Wildbeeren, arzneilichen und essbaren Kräutern in Wald, Feld usw.
  3. Es soll keine Unkeuschheit begangen werden, sei es in Taten oder Worten, sei es in Gedanken. Wir alle kommen mehr oder weniger aus dem Sumpf der Lüste und Leidenschaften, denen wir alle oft entfliehen wollten, und zu denen wir doch immer wieder zurückkehrten. Mit diesem Hause wollen wir uns alle eine gesicherte Stätte der äußeren wie inneren Reinlichkeit schaffen. Möge jeder nach Kräften sich mühen!

    Zur Unkeuschheit rechnen wir auch das Eheleben im weltlichen oder kirchlichen Sinne. Ehegatten dürfen im Hause wohnen, aber sie dürfen kein eheliches Leben in diesem Sinne führen, dürfen auch nicht den gleichen Raum bewohnen.
  4. Es soll keine bewusste Unwahrheit gesprochen werden. Ein jeder der Aussagen macht, hat sich vorher über die Tatsachen ausreichend zu unterrichten, und kann er das nicht, so hat er sich der Aussage überhaupt zu enthalten.
  5. Es dürfen keine berauschenden Getränke getrunken werden, ausgenommen das, wo sie als Arznei verordnet werde. Bier und Wein in gut abgekochtem Zustand gilt nicht als berauschendes Getränk.
  6. Raue, heftige Reden, Scheltworte, gehässige und verleumderische Reden sollen gemieden werden. Ein jeder soll sich um Verträglichkeit und williges Entgegenkommen mühen.
  7. Lustbarkeiten (Gesellschaften, Essen, musikalische, schauspielerische Veranstaltungen) sind verboten. Von den Insassen wird auch erwartet, dass sie derartige Dinge auch außerhalb des Hauses meiden.
  8. Dinge, die dem Luxus dienen (Parfüms, Musikinstrumente, Polstersessel, große Spiegel usw.) sind verboten.
  9. Rauchen, Karten- und andere Spiele, Singen und Pfeifen, Zeitungen und müßige Unterhaltungslektüre sind verboten.
  10. Müßige Reden der Insassen untereinander über Politik, Tagesneuigkeiten usw., gegenseitige Besuche auf den Zimmern, die nur der Unterhaltung dienen, sind verboten.
  11. Die Insassen des Hauses sollen sich einer mäßigen Lebensweise befließen, die der Gesundheit und dem geistigen Wohlbefinden, aber nicht der Genusssucht dient, und die keinen Verstoß gegen die erste und fünfte Vorschrift bedingt. Im übrigen darf ein jeder seine Nahrung nach eigenem Ermessen wählen. Gekocht werden darf nur in den dafür bestimmten gemeinsamen Räumen.
  12. Die Insassen des Hauses müssen sich in schicklicher Weise kleiden. eine bestimmte Tracht ist nicht vorgeschrieben.
  13. Die Insassen des Hauses müssen die nötige körperliche Reinlichkeit beobachten, auch ihre Zimmer sauber und gut gelüftet halten. Ein jeder einzelne ist dafür verantwortlich, dass bei Aufnahme in das Haus er selber sowohl wie seine Kleidungsstücke und Gebrauchsgegenstände frei von tierischen Lebewesen (Ungeziefer) sind.
  14. Die Insassen des Hauses dürfen einen Beruf ausüben, vorausgesetzt, dass er würdiger Art ist.
  15. Haustiere (Hunde, Katzen, Hühner, Kaninchen, Singvögel usw.) dürfen nicht gehalten werden. Wenn das Haus sich entschließt, Kuh oder Ziege zu halten, dürfen die Tiere nicht verkauft, vertauscht oder verschenkt werden, weder an den Schlächter noch an Private.
  16. Das zum Haus gehörige Land darf nutzbar gemacht werden, soweit dadurch die übrigen Vorschriften nicht verletzt werden.
  17. Die Insassen müssen sich in Wachsamkeit befleißigen, sich täglich allein oder in Gemeinschaft für eine gewisse Zeit mit der Lehre beschäftigen und in würdiger Form die Uposatha-Feier begehen. Insbesondere ist jeder Insasse verpflichtet, täglich einige Zeit auf Meditations-Übungen zu verwenden.
  18. Die Inanspruchnahme der weltlichen Gerichte, das Führen von Prozessen ist verboten, ausgenommen da, wo es sich um den Bestand, die Zulassung und Anerkennung der Lehre selber handelt.
  19. Jeder Insasse darf das Zimmer eines anderen nur betreten, nachdem er sich (durch Klopfen oder auf ähnliche Weise) bemerkbar gemacht hat.
  20. Von konventionellen Gebräuchen wie Gratulationen zu Geburtstagen und dergl. ist unter den Insassen des Hauses abzusehen.
  21. Von den Gästen wird erwartet, dass sie ihren Mitteln entsprechend zur Unterhaltung des Hauses beitragen.
  22. Anhängern der Lehre, die auf dem zum Hause gehörenden Grund und Boden auf eigene Kosten ein weiteres Gebäude errichten wollen, sei es als Anbau zum bestehenden, sei es als selbständiges Haus, steht zu diesem Zwecke unentgeltlich das erforderliche Land zur Verfügung.
  23. Änderungen an diesen Vorschriften dürfen nur in Übereinstimmung der Insassen des Hauses vorgenommen werden.

[Die Brockensammlung. -- 1925. -- S. 8-10].

"Nachtrag zur Hausordnung.
  1. Spiritistische Sitzungen, Verwendung von Medien jeder Art sind verboten. Das aus ihnen sich ergebende würde für uns wertlos sein und nur der Befriedigung bloßer Neugier gelten. Sicherlich gibt es Daseinsformen, die, nach oben sowohl wie nach unten hin jenseits des uns erfahrungsgemäß Zugänglichen stehen. Ihrer ansichtig zu werden, gehört zwar nicht zu den Aufgaben, die der Loslösung dienen, aber es würde eine Lücke im Buddhistischen Weltbild ausfüllen und insofern als Ergänzungsstück Bedeutung haben. Indessen, was hier erreicht wird, das darf nicht durch mediumistische Kraft erwirkt und sozusagen als Geschenk angenommen werden, sondern es muss durch eigene Arbeit, d.h. durch Meditation auf dem Wege der vier Satipatthânas geschaffen werden.
  2. Personen unter 20 Jahren können weder als Dauerinsassen noch als Gäste aufgenommen werden."

[Die Brockensammlung. -- 1927. -- S. 127].

Die Nahrungszubereitung sollte nicht gemeinschaftlich sein, sondern:

"Selbstversorgung scheint uns der beste Ersatz zu sein für die fromme Gabe, durch die der buddhistische Mönch das Leben fristet ... Jemand, der sich seine Nahrung selber zubereitet, hat zwei Vorzüge: er ist unabhängig und er wird sich notwendig auf ein gewisses Mindestmaß beschränken. Keiner, der für sich selber kochen muss, hat Lust zu schlemmen; ja er wird das Kochen nach Möglichkeit überhaupt meiden."

[Neubuddhistische Zeitschrift. -- Sommer 1920. -- S. 39].

Um einen Standard für das höchstzulässige Essen zu geben, entwarf Dahlke mehrfach Speisepläne. Ein Beispiel für einen Tag:

  • "Morgens: Brot, Früchte (getrocknete oder frische), Wasser (heiß oder kalt getrunken).
  • Mittags: Haferflocken als Brei gekocht, Brot Käse.
  • Abends: Brot, Nüsse oder Nusspaste (d.h. Feigen oder Datteln oder Bananen mit Nuss zu fester Paste verarbeitet)."

[Neubuddhistische Zeitschrift. -- Winter 1920/21. -- S. 50].

Für die Ernährungsansichten war u.a. Gandhi (1869-1948) Vorbild für Dahlke.

1925

Rezension von Graf Hermann Keyserling (1880 - 1946):

"Graf Hermann Keyserling
Das Erbe der Schule des Weisheit

Heft Nº 10 · 1925

Bücherschau · Paul Dahlke

Ist Richard Wilhelm der letzte Chinese, so ist Paul Dahlke vielleicht der letzte Buddhist. Jedenfalls wüsste ich keinen Menschen seit Buddhas Tagen, nicht allein in Europa, sondern auch im ganzen Osten, welcher Buddhas unmittelbare Lehre so ganz verstanden hätte. Und daran muss man doch wohl festhalten - mag Buddha mehr gemeint haben, als er gesagt hat, unter allen Umständen hat er dieses zunächst gemeint und alles von ihm Abhängige dazu getan, auf dass seine Lehre, welche die Welt erlösen sollte, nicht tiefsinniger verstanden würde, als sie vorgetragen ward. Dass jede auf ihrer Ebene wahre Lehre auch als Sinnbild von Tieferem gelesen werden kann, versteht sich von selbst: wo alles Leben einen Sinneszusammenhang darstellt und jeder solche weiteren angehört, ist eine Grenze nicht allein möglicher, sondern auch richtiger Tieferdeutung nicht abzusehen. Historisch nun kommt es in erster Linie darauf an, wo ein Geist für seine Person stehenblieb. Und als historisch Wirkender hat Buddha zweifelsohne genau in der Fassung aufgefasst werden wollen, deren Übersetzung ins moderne Denken Paul Dahlkes Buddhismus bedeutet. Insofern stehe ich nicht an, dessen zwei Bücher Buddhismus als Moral und Religion und Buddhismus als Weltanschauung, vor allem aber das erst, genannte (München, Oskar Schloß Verlag), als die besten Bücher zu empfehlen, die es über den Buddhismus überhaupt gibt.

Über diesen selbst will ich mich hier nicht weiter auslassen. Alles Wesentliche, was ich über ihn zur Zeit zu sagen habe, enthält mein Schlussvortrag zur Tagung 1924, im Leuchter 1925 abgedruckt. Wohl aber will ich das Problem Dahlke in einigen seiner Aspekte schärfer belichten, als ich es dort zu tun vermochte. Zunächst: Warum gebe ich seinem Buddhismus vor allen anderen den Vorzug? Weil bei ihm allein, dass ich wüsste, Person und Sache, Sinn und Ausdruck sich durchaus decken. Dahlke ist daher nicht etwa ein «Neu-Buddhist», über dessen Sonderlehre sich streiten ließe: er ist wirklich Buddhist, seine Lehre entspricht ihm absolut. Wogegen die landläufigen Buddhismen kaum überhaupt ein Recht haben, sich auf Buddha zu berufen. Dieser war der herbste, verstandesklarste, erbarmungslos-nüchternste, furchtloseste, sentimentalitätsfeindlichste, konsequenteste und rücksichtsloseste Geist, der je gelebt hat. Wer ihm insofern nicht wenigstens ähnlich zu werden strebt, hat keinesfalls ein Recht, sich einen Buddhisten zu heißen. Ebendeshalb, weil es so sehr schwierig ist, Buddhist zu sein, hat sich Buddhas Lehre in ihrer Reinheit nur an wenigen Orten halten können, und auch dort nur, weil sie nicht ganz verstanden wird - bezeichnenderweise sind Singhalesen, Birmaner und Siamesen typischerweise schlechte Denker. Im denkfähigen Indien hielt man den Buddhismus für die Dauer einfach nicht aus. Wenn er sich dort verwandelte, so entspricht dies einer gebieterischen seelischen Notwendigkeit. Dahlke nun verträgt Buddhas Lehre, und zwar von A bis Z. Wer diese bejaht, muss insofern gleiches mit Dahlke tun. Dies Kriterium entscheidet in psychologisch letzter Instanz.

Es entscheidet unter uns im Westen. Und aus dieser Erwägung heraus gewinnt die Sonderart von Dahlkes Persönlichkeit höchste Bedeutung. Wohl alle Teilnehmer unserer Tagung 1924 hatten sich unter einem Buddhisten einen ganz anderen Menschen vorgestellt, als ihn Dahlke darstellt. Dieser wirkt nicht als überlegen-toleranter Geist, sondern als fanatischer Sektierer; nicht als weitherzig, sondern als im äußersten Grade eng; nicht als jenseits von Wissenschaft und Glauben fußend, wie dies dem Buddhisten, gemäß Dahlkes eigener richtiger Lehre, ziemt, sondern als Urbild des Gläubigen. Und da es kein anderes Kriterium für die Wirklichkeit seelischen Seins gibt als eben die Wirkung, so wird dieser Eindruck, den wir wohl alle hatten, der richtige sein. Wie kann nun ein echter Buddhist so wirken? Die Antwort ist: Er muss es, insofern er Abendländer ist. Die gleiche Lehre, welche in Indien nur eine Königsseele erster Größe angemessen vertreten konnte, findet hier ihren bestmöglichen Vertreter an einem Sektierergeist. Mögen die Leser diesem Problem selbst weiter nachsinnen.. Ich für meine Person will ihnen nur durch den folgenden Gedankengang weiterhelfen. Dahlke verwirft, und zwar vollkommen, Karl Eugen Neumanns Buddha-Verdeutschung als falsch. Zweifelsohne hat nun jener seinen Meister wirklich besser als dieser verstanden, soweit Begriffe reichen. Trotzdem hat Neumann für Buddhas Wirkung im Westen mehr als Dahlke getan, erhalte ich alles aufrecht, was ich je über seine Verdolmetschung geschrieben habe. Wie ist dies möglich? Neumann, und er allein, hat Buddhas Persönlichkeit im Worte evoziert. Was nun wirkt, ist immer nur der große Mensch an sich. Diesem gegenüber bedeutet die bestimmte Lehre nur Ausdrucksmittel. Mag nun Dahlke vom Standp*unkt dieser in jedem Falle recht haben, mag es notwendig werden, Karl Eugen Neumanns Text auf jeder Seite, ja in jedem Satz an der Hand von Dahlkes Übersetzung zu berichtigen - dem Westen wird Neumann der Erwecker Buddhas bleiben. Denn dem Westen wird dieser als Lehrer des Buddhismus niemals viel bedeuten. Er wird ihm dagegen immer mehr und mehr bedeuten als der überlegenste und freieste Mensch, der jemals war. So ergibt denn das Spannungsverhältnis zwischen den Menschen Buddha, Dahlke und Neumann ein Meditationssymbol von unvergleichlicher Fruchtbarkeit. Wer dieses nun vollständig durchmeditierte, wird auch wissen, was eine Lehre überhaupt bedeuten kann, insofern der Mensch, der jeweils hinter ihr steht, zuletzt entscheidet und gleicher Buchstabe nicht an jedem Orte gleichen Sinn zum Ausdruck zu bringen vermag.

1 Das Gleiche gebe ich als Antwort auf Dahlkes zwei Artikel über und gegen mich im ersten Doppelheft 1925 seiner Brockensammlung, Neubuddhistischer Verlag, Berlin-Frohnau. über das in meinem Schlussvortrag im Leuchter 1925 über den Buddhismus Ausgeführte hinaus habe ich nichts zu erwidern; dieses enthält meine Antwort auch auf Dahlkes spätere Einwände und erklärt zugleich, warum dieser, als echter Buddhist, sie nicht als Antwort anerkennen kann. Um so nachdrücklicher bitte ich jeden, dem es um unsere Probleme ernst ist, dieses Heft, das nicht einmal zwei Mark kostet, zu bestellen. Erstens handelt es sich bei der Frage «Buddhismus oder Schule der Weisheit» um das entscheidende Entweder-Oder der Weltanschauung der Zukunft. Zweitens ist Dahlke der ernsteste Gegner, den ich bisher gefunden habe, denn er ist vom Standpunkt der Echtheit eine Persönlichkeit allerersten Ranges, dessen Gegnerschaft mir folglich mehr wert ist, als alle gedankenlose Anhängerschaft. Vor allem aber hat keiner bisher von höherer Warte aus über die Schule der Weisheit geschrieben. Vieles kann Dahlke nicht verstehen, vieles muss er ablehnen. Aber was er verstanden hat, hat er tiefer und besser verstanden als irgendeiner bisher, und lehnt er ab, so weiß er doch genau, was er ablehnt. Seine Aufsätze haben mir eine der größten Freuden meines Lebens bereitet, und ich schätze mich meinerseits glücklich, durch Dahlkes Berufung nach Darmstadt und mein öffentliches Urteil über ihn seine allgemeine Anerkennung in so hohem Maße beschleunigt zu haben, wie dies tatsächlich geschehen ist."

[Quelle: http://www.schuledesrades.org/. --- Zugriff am 2003-05-20]

1926

wurde, um die Aufgabe, der meditativen Praxis zu dienen, zu erfüllen, abseits eine Klause errichtet, für die eigene Regeln galten. [Die Brockensammlung. -- 1926. -- S. 124-126].


Abb.: Klause (nicht mehr vorhanden)
[Bildquelle: http://www.buddhistisches-haus.de/de/index.html. -- Zugriff am 2003-06-19]

Dahlke hielt im Buddhistischen Haus auch Versammlungen und Uposatha-Feiern ab.

Dahlkes Buddhismusverständnis zeigt sich in seinen Ausführungen, wie Buddhismus im religionsgeschichtlichen Unterricht dargestellt werden sollte, wobei es ihm um die Merkmale geht, die den Buddhismus von den anderen Religionen unterscheiden:

  1. "In diesem Zusammenhang würde dann freilich das erste unterschiedliche Merkmal die Gottfreiheit sein. Im Buddhismus gibt es keinen Gott. Weil es den nicht gibt, gibt es keine Kirche. Weil es die nicht gibt, gibt es keine Gnadenmittel (Taufe, Abendmahl). Weil es die nicht gibt, gibt es keine Priesterschaft, denn der Priester hat Sinn und Daseinsmöglichkeit nur als der irdische Übermittler göttlicher bzw. kirchlicher Gnadenmittel. Der Buddhismus hat nur Mönche, d.h. Menschen, die alle weltlichen Beziehungen gelöst haben, um ganz das religiöse Leben führen zu können. Seid euch selber Zuflucht! mahnt der Buddha. ...
  2. Im Buddhismus gibt es keine Seele. Weil es die nicht gibt, gibt es keinen Unsterblichkeitsglauben. Weil es den nicht gibt, gibt es weder die Hoffnung auf ein ewiges Leben in Gott, noch die Furcht vor einem ewigen Leben in der Hölle. Höllenstrafen sind bedingt und daher zeitlich, wie das Himmelsleben und alles andere auch. ...
  3. Im Buddhismus gibt es keine Erbsünde. Weil es die nicht gibt, gibt es keine Sündenvergebung. Weil es die nicht gibt, gibt es keinen göttlichen Mittler, der die Sünde der Welt auf sich nimmt. Im Buddhismus herrscht das Gesetz der Selbstverantwortlichkeit, ...
  4. Im Buddhismus gibt es keinen Glauben, sondern nur Vertrauen zum Lehrer. Weil es keinen Glauben gibt, gibt es keine Bekehrungsmöglichkeit im Sinne der Glaubensreligionen. Weil es die nicht gibt, gibt es keinen Fanatismus....
  5. Im Buddhismus gibt es keine Schlagworte. Er ist weder ein bejahendes System mit dem entsprechenden Ewigkeitsziel, noch ein verneinendes System mit dem entsprechenden Vernichtungsziel. Er ist weder Positivismus, noch Negativismus bzw. Nihilismus, noch auch irgend etwas in der Mitte zwischen beiden..., sondern er ist nichts als Loslassen, vom Leben sowohl wie von allen Begriffen, welches beides notwendig zusammengehört. Denn jede Begriffsbildung ist ein neues Sich-Verfangen in's Leben. ...
  6. Der Buddhismus hat kein Ziel, weder als Ewiges Leben, noch als Ewige Vernichtung, sondern nur ein Ende. Sein Ende ist das Loslassen, nicht als Form einer neuen Willensregung, als Verneinung..., sondern als Ergebnis einer neuen Einsicht, die in ihrer wirklichkeitsenthüllenden Wucht... jede neue Willensregung unmöglich macht...."

[Dahlke, Paul: Der Buddhismus im religionsgeschichtlichen Unterricht. -- In: Neubuddhistische Zeitschrift. -- Frühjahr 1922. -- S. 111-113].

1927

Dahlke lässt auf Sylt ein buddhistisches Denkmal errichten.


Abb.: Das buddhistische Denkmal auf Sylt, die Inschrift lautet "Namo Buddhaya. P. Dahlke 1927",

[Bildquelle: Klar, Helmut <1914 - >: Helmut Klar : Zeitzeuge zur Geschichte des Buddhismus in Deutschland / hrg. von Martin Baumann. -- Konstanz, 1995. -- (Forschungsberichte / Forschungsprojekt "Buddhistischer Modernismus" ; 11). 150 S. : Ill. -- Online: http://www.ub.uni-konstanz.de/kops/volltexte/2000/588/html/klar1.html. -- Zugriff am 2003-06-19]

1928-02-29

Paul Dahlke stirbt. Seine vier Geschwister erbten und zogen in das obere Haus ein. Nur Dahlkes Schwester Bertha Dahlke (1866-1947) war Buddhistin. Sie war die erste Schülerin Dahlkes gewesen. Sie gab von 1929 bis 1938 die Brockensammlung heraus.


Abb.: Bertha Dahlke, 1920er-Jahre

[Bildquelle: Klar, Helmut <1914 - >: Helmut Klar : Zeitzeuge zur Geschichte des Buddhismus in Deutschland / hrg. von Martin Baumann. -- Konstanz, 1995. -- (Forschungsberichte / Forschungsprojekt "Buddhistischer Modernismus" ; 11). 150 S. : Ill. -- Online: http://www.ub.uni-konstanz.de/kops/volltexte/2000/588/html/klar1.html. -- Zugriff am 2003-06-19]

Graf Hermann Keyserling (1880 - 1946) schreibt in einem Nachruf:

Graf Hermann Keyserling
Das Erbe der Schule des Weisheit

Heft Nº 15 · 1928

"Dann ist Paul Dahlke gestorben. Er war unstreitig ein großer Mensch, ganz abgesehen von seiner Bedeutung als Buddhist. Alles eher als sympathisch: bis zur scheinbaren Gefühlsleere nüchtern, verstandesklar und doch ein fanatisch Gläubiger zugleich. Trotzdem hatte er das Charisma eines Heilers. Er war bekanntlich homöopathischer Arzt. Der Zulauf, den er genoss, war dermaßen groß, dass er dank seinen ärztlichen Einnahmen allein das Buddhistische Haus in Frohnau bauen, dessen Unterhalt bestreiten und seine Schriften herausgeben konnte. Wie ich einmal Dr. Heinrich Meng gegenüber mein Erstaunen darob äußerte, dass solch ein Mensch ein Heiler sein könne, sagte mir dieser: man kann Dahlke eigentlich nur verstehen, wenn man - Lenin kannte. Auch dieser war bis zur Dürftigkeit nüchtern und kalt. Auch er war ein Fanatiker. Und trotzdem... Dahlke war jedenfalls durchaus echt. Wenn seine Heilfähigkeit dann erst (wie er mir erzählte) als wirkliche Kraft einsetzte, als er sich zum Buddhismus bekehrt hatte, so bedeutet das eben dies: die persönlich richtige Gleichung zwischen Glauben, Denken und Sein war erreicht. Kurz vor seinem Tode hat er denn noch eine Synthese seines Buddhisten- und seines Arzttums herausgestellt: im Buche Heilkunde und Weltanschauung, das der Stuttgarter Hippokrates-Verlag veröffentlicht hat. Ich las es mit unmittelbarer Ergriffenheit und bin überzeugt, dass es jedem ernsten Menschen ebenso ergehen muss. Eine Geschlossenheit tritt einem da entgegen, vom Gehalte bis zum Stil, wie ich ihr nur ganz selten begegnet bin. Und ein ganz tiefes Wissen um den Weg des Lebens, das man anerkennen muss, auch wenn man Dahlkes buddhistische Voraussetzungen nicht teilt. Ist überdies die, dass alles Leben letzthin auf Ernährung herauskommt, nicht unter allen Umständen eine ausgezeichnete ärztliche Arbeitshypothese? Wie ließe sich Medikation besser begründen? - Ich wundere mich übrigens, dass Dahlkes nächster ärztlicher Freund, Heinrich Meng, dessen Nachruf an Dahlke alle die, welche dessen ärztliche Leistung besonders interessiert, in der Juli-Nummer 1928 der «Deutschen Zeitschrift für Homöopathie» nachlesen sollten, nicht den Mut auf, gebracht hat - anders kann ich es nicht nennen - Paul Dahlke als großen Mann hinzustellen. Dergleichen zu tun, wo Anlass vorliegt, erscheint mir Pflicht, denn die Allermeisten bemerken von sich aus keine Niveauunterschiede.

Paul Dahlkes Bedeutung als Denker und Buddhist habe ich im 10. Heft dieser Mitteilungen ausführlich gewürdigt. Es ist nicht anzunehmen, dass seine Lehre weitere Kreise erobern wird. Echter Buddhismus ist nichts für Europäer. Doch da Dahlkes Buddhismus den weitaus echtesten darstellt, von dem ich seit langem wüsste, so hoffe ich, dass seine Jüngerschaft recht bald seine sämtlichen Werke herausgeben möchte. Was ein Geist ist, tritt in allen seinen Äußerungen hervor; und zwar am meisten, wo das, wofür er in den Augen anderer steht, ihm nicht bewusstes Ziel ist. So erhellt das, was Buddhismus eigentlich ist, vielleicht am klarsten aus Paul Dahlkes Betrachtungen über zeitliche und moderne Erscheinungen."

[Quelle: http://www.schuledesrades.org/. --- Zugriff am 2003-05-20]

Schon in den dreißiger Jahren wollten japanische Buddhisten das Buddhistische Haus kaufen, um es zum europäischen Zentrum des Jodo-Shinshu, des japanischen Glaubensbuddhismus des reinen Landes, zu machen. Die Geschwister Dahlkes fühlten sich aber verpflichtet, das Haus dem Theravâda zu erhalten. 1932 und 1934 lebten je ein ceylonesischer Mönch im Buddhistischen Haus, auch ein japanischer Jodo-Shinshu Priester lebte dort zwei Jahre lang.


Abb.: Kurt Fischer
[Quelle der Abb.: Hecker, Hellmuth <1923 - >: Lebensbilder deutscher Buddhisten ; ein bio-bibliographisches Handbuch. -- Konstanz : Universität. -- (Forschungsprojekt "Buddhistischer Modernismus" -- Forschungsberichte). -- Band I: Die Gründer. -- 1990. -- 179 S. -- (... ; 1).  -- Vor S. 37]

Dahlkes Schüler, der Heilpraktiker Kurt Fischer (1891-1942), lebte mit seiner Frau in einem Holzhaus auf dem Grundstück, gab 1930-1942 die Zeitschrift Buddhistisches Leben und Denken heraus.

1933

fand im Buddhistischen Haus der Europäische Buddhistische Kongress statt. Er war vom Dahlke-Schüler Dr. Wolfgang Schumacher (1908-1961) (s. unten) organisiert worden. Es sprachen Vertreter aus Deutschland, Großbritannien und der Tschechoslowakei.

1942

beschlagnahmte die Gestapo sämtliches Material und setzte der buddhistischen Bewegung im Buddhistischen Haus ein vorläufiges Ende.

1946

Nach dem 2. Weltkrieg wurden zunächst Flüchtlinge im Buddhistischen Haus einquartiert. 1946 fand wieder die erste Wesak-Feier statt, an der auch der französische Stadtkommandant teilnahm.

Ab 1952

hielt jeden Sonntag Lama Anagarika Govinda's Orden Arya Maitreya Mandala Pûjâ im Sinne des nördlichen Vajrayâna ab.

1957

kaufte die 1952 in Colombo von Asoka Weeraratna (1918/19 - 1999), einem singhalesischen Juwelier, gegründete German Dharmaduta Society (Gesellschaft zur Mission in Deutschland) für 100.000 Mark von Dahlkes Erben das vom Verfall bedrohte Haus samt 15.500 qm Waldgelände. Seit 1957 sind ständig ceylonesische Mönche in Frohnau. [Webpräsenz: http://www.buddhistisches-haus.de. -- Zugriff am 2003-06-19]


Abb.: Die erste Gesandtschaft der German Dharmaduta Society an der Eingangstür (1957)
vorn: Ehrw. Kheminda; Ehrw. Soma; Ehrw. Vinîta;
Mr. W.J. Oliver de Soysa; Mr. J.T. Sirisena; Mr. Asoka Weeraratna, Herr Knobloch;
Mr. Henry Amarasuriya (Chairman, Board of Trustees, GDS); Mrs. Leena Amarasuriya;
Fr. Wittiber; Fr. Fischer; Miss Indrani Amarasuriya; eine Besucherin

[Bildquelle: http://www.buddhistisches-haus.de/de/index.html. -- Zugriff am 2003-06-19]


6. Georg Grimm und die Altbuddhistische Gemeinde


1919 schreibt Karl Seidenstücker, der uns 1903 als ökumenisch gesinnter Gründer des Buddhistischen Missionsvereins begegnet ist, im ersten Band der neugegründeten Zeitschrift Buddhistischer Weltspiegel:

"Nicht eine offene Halle will der Weltspiegel sein, in der die verschiedensten, teilweise sich stracks widersprechenden Standpunkte vertreten werden können, sondern ein in der Hauptsache missionierendes Blatt... wohlgemerkt: für die echte transcendentale Buddha-Lehre. Diese allein will der Weltspiegel... vortragen." "Am allerwenigsten hat der Weltspiegel irgendwelche Gemeinschaft mit den "buddhistischen" Kreisen, die materialistisch gerichtet sind und denen der Weltspiegel natürlich ganz besonders ein Dorn im Auge ist. Sonderbarerweise gibt es nämlich auch Materialisten, die sich als Buddhisten, also als Anhänger des Systems der höchsten Tranzcendenz bekennen."

[Buddhistischer Weltspiegel. -- 1 (1919). -- S. 221f.].

Wer sind diese fürchterlichen Materialisten im buddhistischen Schafspelz? Antwort: Paul Dahlke (1865-1928) und die ganzen Theravâdins mit ihrer Auslegung der Lehre von Anattâ, dem Nicht-Ich.

Warum hat Seidenstücker sich so gewandelt? Seidenstücker war auf Georg Grimm's (1868-1945) Auslegung der Anattâ-Lehre gestoßen und sie hatte auf ihn auch persönlich ungeheuren Eindruck gemacht.


[Zu Georg Grimm s. Hecker, Hellmuth <1923 - >: Lebensbilder deutscher Buddhisten ; ein bio-bibliographisches Handbuch. -- Konstanz : Universität. -- (Forschungsprojekt "Buddhistischer Modernismus" -- Forschungsberichte)
Band I: Die Gründer. -- 1990. -- 179 S. -- (... ; 1). -- S. 44-57 (mit ausführlichen Literaturangaben)].

Hoppe, Max <1907 - 1992>: Georg Grimm. -- In: Yâna. -- 1973. -- S. 1-39. -- Auch als selbständige Broschüre 1973

Hoppe, Max <1907 - 1992>: Georg Grimm : sein Leben und Wirken. -- In: Bodhi Baum. -- 3 (1978). -- S. 13-17].



Abb.: Georg Grimm

"Grimm, Georg, Jurist, geb. 25.2.1868 Rollhofen (heute zu Neunkirchen/Sand, Kr. Nürnberger Land), gest. 26.8.1945 Utting/Ammersee

Der Sohn eines Schmiedemeisters brach das Studium der Theologie ab, studierte Rechtswissenschaften und trat in den Staatsdienst ein. 1919 ließ er sich als Oberlandesgerichtsrat pensionieren, um sich der Erforschung des Buddhismus, dessen Anhänger er inzwischen geworden war, zu widmen. Grimm versuchte in vielen Schriften nachzuweisen, dass entgegen der buddhistischen Tradition eine alte Buddha-Lehre durchaus einen unbegreifbaren und unveräußerlichen Persönlichkeitskern aller Lebewesen konzediere. In Zusammenarbeit mit dem Indologen Karl Seidenstücker gründete er 1921 die "Altbuddhistische Gemeinde" in Utting/Ammersee. Als Grimms Hauptwerk gilt Die Lehre des Buddha, die Religion der Vernunft (1915, 1957 mit dem Untertitel Die Religion der Vernunft und Meditation)."

[Quelle: Deutsche biographische Enzyklopädie & Deutscher biographischer Index. -- CD-ROM-Ed. -- München : Saur, 2001. -- 1 CD-ROM. -- ISBN 3-598-40360-7. -- s.v.]

Georg Grimm wurde am 25. Februar 1868 als ältester Sohn eines Dorfschmieds in Rollhofen bei Nürnberg geboren. Zunächst war es für seine Eltern selbstverständlich, dass ihr ältester auch Schmied werden sollte. Bald zeichnete sich auf dem kindlichen Schädel eine regelrechte Tonsur ab. Das war für Grimms Eltern ein Fingerzeig Gottes, dass Georg zum Priester bestimmt sei. So kam er später ins Priesterseminar Eichstädt. Grimm schildert:

"Damit aber hatte mein Leben die entscheidende Richtung genommen. Die religiösen Probleme traten mehr und mehr für mich in den Vordergrund. So sehr ich mich aber auch mühte, die christlichen Dogmen als ein Gegebenes hinzunehmen, so gewannen doch die aufsteigenden Zweifel mehr und mehr die Vorherrschaft, und es kam der Tag, wo es mir einfach unmöglich geworden war, an einen persönlichen Gott zu glauben, der zugleich allmächtig, allwissend und allgütig sein sollte. Die niederen Weihen hatte ich schon erhalten, und ich stand kurz vor der letzten Weihe. In meiner zunehmenden Gewissensnot gestand ich meinem Unterweiser die mich peinigenden Zweifel und sprach von meinem Entschluss, nicht Priester werden zu wollen. `Wenn Sie sich nicht berufen fühlen, so machen Sie sich berufen', war die lakonische Antwort meines Lehrers. Eine Berufung aber, die gar nicht da war, auf dieser Basis zu erzielen, musste ich ablehnen. Obwohl ich nun ein bettelarmer Student war -- meine Eltern verwiesen mir auf Grund des Abbruches des Theologiestudiums das Haus -- sattelte ich zur Jurisprudenz über."

[Hoppe, Max <1907 - 1992>: Georg Grimm. -- In: Yâna. -- 1973. -- S. 1-39. -- Auch als selbständige Broschüre 1973. -- S. 6].

Grimm finanzierte sich das Studium durch Nachhilfeunterricht. Nach dem Studium wurde er Richter. Zum Buddhismus kam Grimm so: er hatte Schopenhauer gründlich studiert, als er 1908 von seiner Frau zum Geburtstag K. E. Neumann's Übersetzung der Mittellangen Sammlung geschenkt erhielt. Die beeindruckte ihn so, dass er anfing, Pali und Sanskrit zu lernen. Grimm unterstützte in der Folgezeit Neumann finanziell, später auch Karl Seidenstücker.

1915

veröffentlichte Grimm als Ergebnis seiner Studien das Buch

Die Lehre des Buddha : die Religion der Vernunft [ab 15. Aufl.: "und der Meditation"]. . -- München : Piper, 1915. -- XV, 514 S.
Seitdem zahlreiche verbesserte und erweiterte Auflagen.

Dieses Buch erschien schon zu Lebzeiten des Autors in 14 Auflagen und in Übersetzungen. Der Grundgedanken des Buches:

"Ich bin: Das ist der sicherste Satz, den es gibt." [124]

Allerdings sagt Buddha: "Wobei ein Entstehen und Vergehen wahrgenommen wird, geht es nicht an, zu behaupten: »Das ist mein Selbst, das bin ich«." [129]

Weiter folgt: "Nun gut, wenn ich nicht in meiner Persönlichkeit bestehe, dann bin ich eben etwas Anderes." [148]

"...du bist in Wahrheit jenseits der Welt, jenseits des Alls, oder im Geiste des Buddha ausgedrückt: Alles ist nicht dein Selbst, »die ganze Welt ist anatta«." [170]

Für den Erlösten gilt: "Nichts in der Welt trifft mehr zu. Der Vollendete in seiner Reinheit, losgelöst von den Schlacken seiner Persönlichkeit, also jenseits des Todes, ist etwas Unerkennbares, ist unergründlich, aber er ist, ist immer noch, nämlich eben ein Unergründliches." [190]

[Grimm, Georg: Die Lehre des Buddha : die Religion der Vernunft. -- 1. Aufl. -- München : Piper, 1915. -- S. 124ff. (Hervorhebungen nicht berücksichtigt)].

Fünf Jahre später, in der sechsten bis achten Auflage seines Werkes, hatte Grimm dann den großen Syllogismus ausgearbeitet:

  • "Was ich an mir vergehen und deshalb -- mit dem Eintritt dieser Vergänglichkeit -- mir Leiden zuführen sehe, das kann nicht mein Wesen sein
  • Nun sehe ich alles nur immer Erkennbare an mir vergehen und -- mit dem Eintritt dieser Vergänglichkeit -- mir Leid bringen.
  • Also ist nichts Erkennbares mein Wesen.

Ist dieser Syllogismus wirklich als absolut zwingend begriffen, dann steht mit derselben absoluten Sicherheit fest, nicht nur, dass ich selbst unvergänglich bin, indem »Erkennbar« und »Vergänglich«, wie man dann ebenfalls weiß, sich deckende Begriffe sind, sondern auch, dass ich mich jederzeit von allem Vergänglichen und daher Leidbringenden befreien und damit in den Zustand lauterster, ewiger Seligkeit übertreten kann, wie das der Buddha weiterhin im einzelnen ausführt."

[Grimm, Georg: Die Lehre des Buddha : die Religion der Vernunft. -- 6.-8. Aufl. -- München : Piper, 1920. -- S. XXIVff.].

"Das besagt: Weder mein Körper noch auch mein Geist ist mein substanzielles Ich, vielmehr sind Körper und Geist nur unwesentliche `Beilegungen' von mir, deren ich mich wieder entledigen kann, um dann als ein `Vollendeter, tief, unermesslich, unergründlich wie der große Ozean' in die absolute Wirklichkeit, das Nibbânam, in dem alles Erkennbare erloschen ist, `in unvergänglicher Seligkeit' `unterzutauchen'...

Dieser Syllogismus ist der Ausgangspunkt für das Verständnis der Lehre des Buddho, in den durch die Meditation herbeigeführten Möglichkeiten findet er seine Krönung."

[S. XLI].

Die Lehre von Anattâ bedeutet nach Grimm also nicht, wie Dahlke (1865-1928) und die Theravâdins meinen, dass es kein bleibendes Ich gibt, sie bedeutet dass dieses Ich nichts von all dem ist, was wir erfahren und positiv bestimmen können, es ist transzendentale Bedingung der Möglichkeit von Leben und Erlösung. Indem die Theravâdins ein solches Ewiges, Transzendentes im Menschen leugnen, sind sie Materialisten und irreligiös. Dieser Materialismus ist der gemeinsame Feind aller wahrhaft Religiösen, also z.B. der Christen und der Transzendentalbuddhisten. [Buddhistischer Weltspiegel. -- 1 (1919). -- S. 94-95].

Grimm ist der Ansicht, dass man nur dadurch, dass man sich aus dem Bereich des leidbringenden Vergänglichen auf sein eigenes unvergängliches Wesen zurückzieht, ewig leidfrei, ja selig wird. Nur die Erkenntnis des Ewigen in uns tötet jeden Willen in uns. Die Theravâdins dagegen können nur zu einer stoischen Beruhigung des Willens kommen, nicht aber zu einer Abtötung des Willens. Deshalb wird man unter diesen Theravâdins -- oder siamesischen Kreisen, wie sie Grimm nennt -- vergeblich nach einem Heiligen suchen, ja man wird unter ihnen nicht einmal einen wirklich religiösen Menschen finden

"indem religiöse Menschen ja immer solche sind, die sich bereits als Ewigkeitswesen begreifen und deshalb die vergänglichen Sinnengenüsse verachten."

[Buddhistischer Weltspiegel. -- 2 (1920). -- S. 141].

Im Gegensatz zu Dahlke (1865-1928) verachtete Grimm im Grunde die asiatischen Buddhisten:

"Aber für die Erforschung der alten Buddhalehre muss es natürlich ganz belanglos sein, welche Ansichten über sie jene [näml. asiatischen buddhistischen] Völker haben. Es gibt nichts Verkehrteres als die alte Buddhalehre bei den heutigen buddhistischen Völkern suchen zu wollen. Das wäre gerade so, wie wenn ein asiatischer Buddhist das Christentum Christi im modernen Rom ... suchen wollte. ... Für den Einsichtigen ist es gar kein Zweifel, dass die echte Buddhalehre erst vom Abendlande wieder neu entdeckt und dann von hier aus den buddhistischen Völkern Asiens wieder gebracht werden muss, so gewiss, als diese asiatischen Völker tief von der geistigen Höhe des alten Indien heruntergestürzt sind und sie sich auch im übrigen ihre ganze Geistesbildung aus dem Abendlande holen müssen (cfr. auch Anm. 2, S. 555 der "Lehre des Buddho", 4. und 5. Aufl.)."

[Georg Grimm zu K. Seidenstücker: Ein buddhistischer Missionar und Paliforscher über Nirvana. -- In: Buddhistischer Weltspiegel 1 (1919). -- S. 68-69].

Georg Grimm begründet bzw. gibt folgende Zeitschriften heraus:

1919-1925:

Buddhistischer Weltspiegel : Monatsschrift für Buddhismus und religiöse Kultur auf buddhistischer Grundlage / hrsg. von Karl Seidenstücker und Georg Grimm. Schriftleiter: Georg Grimm. -- Leipzig : Altmann
1 (1919/20) - 5 (1923/24)

Nachfolger:

1925-1931

Spiegel der Lehre, unregelm.

1932 - 2002

Yâna : Zeitschrift für Frühbuddhismus u. religiöse Kultur auf buddhistischer Grundlage / Hrsg.: Altbuddhistische Gemeinde e.V.. - Utting, Ammersee : Altbuddhist. Gemeinde   1932  - 1938,Sept.; 1.1948 - 55.2002; damit Erscheinen eingestellt. -- [Verschiedene Untertitel]

1953 - 1961

Yãna / Englische Ausgabe : magazine for Old Buddhism and religious culture ; organ of the Old Buddhist Community / Buddhist House George Grimm. - Utting, Ammersee : Buddhist House   [1.]1953 - [2.]1954; 3.1955 - 6.1958; 8.1959 - 10.1961; damit Erscheinen eingestellt

Mit der Gründung des Buddhistischen Weltspiegels hatte man drei buddhistische Zeitschriften in Deutschland: den Buddhistischen Weltspiegel, die Zeitschrift für Buddhismus, und die Neubuddhistische Zeitschrift.

Seidenstücker nimmt dazu im Buddhistischen Weltspiegel [3. -- 1921/22. -- S. 442f.] folgendermaßen Stellung:

"Vor einiger Zeit wurde dem Schriftleiter gegenüber von einem Herrn, der am Buddhismus ein vorwiegend religionsgeschichtliches Interesse nimmt, mit Bedauern bemerkt, wir hätten jetzt in Deutschland drei buddhistische Zeitschriften; man könne doch niemandem zumuten, alle drei zu halten. Auch wir wollen das gewiss niemandem zumuten. Im Gegenteil, wir haben von Anfang an auf eine reinliche Scheidung der Geister gedrungen. Jeder prüfe sich ernstlich, wie er zum Buddhismus steht und frage sich, ob dieser für ihn lediglich historisches Forschungsobjekt ist, in welchem Falle er seinen Bedarf durch jene Zeitschrift wird decken können, die durchaus nur im historisch-kritischen Fahrwasser segelt. -- oder ob er mit dem Buddhismus eine tiefere, persönliche Fühlung hat. In diesem Falle wird er sich wiederum entscheiden müssen, ob die alte transzendentale zeitlose Buddha-Lehre, die der »Weltspiegel« vertritt, einen Wiederhall in seinem Innern weckt, oder ob ihm der Neu-Buddhismus in der form der Siamesischen Sekte und des Abhidhamma mehr liegt. Die Entscheidung ist gar nicht so schwer zu treffen. Man mache einfach die Probe aufs Exempel, indem man sich vorstellt, es gelte, von dem Leben Abschied zu nehmen und sich auf den baldigen Tod vorzubereiten. Welche Zeitschrift einem Menschen in diesen schwersten und ernstesten Stunden des Lebens Trost, Halt und Kraft zu geben vermag, die lese er.

[...]

Man wolle dabei nie vergessen, dass der »Weltspiegel« keine historisch-kritische, noch eine die Buddhalehre rationalistisch verwässernde oder frivol umbiegende, sondern in der Hauptsache eben eine religiöse Zeitschrift auf der Grundlage des »akâliko dhammo« ist, wie denn überhaupt der religiöse Gedanke gerade in der Buddhalehre seinen reinsten Ausdruck und seine höchste Vollendung gefunden hat."

Nach Seidenstücker sind in Deutschland nun vier Formen von missionierendem Buddhismus vorhanden:

  1. eklektisch-positivistische Form (z.B.. Carus)
  2. siamesisch-materialistische Form (z.B.. Dahlke)
  3. esoterisch-theosophische Form (z.B.. Sinnett)
  4. transcendentale Buddha-Lehre (G. Grimm)

[Buddhistischer Weltspiegel. -- 1 (1920). -- S. 382].

Der Siamismus ist materialistisch und nihilistisch. Er ist nur Weltanschauung, das religiöse Element ist in ihm erloschen. [Buddhistischer Weltspiegel. -- 2 (1920). -- S. 213]. Seidenstücker 1921: Dahlke und Konsorten sind die eigentlichen Totengräber des Buddha-Gedankens. [Buddhistischer Weltspiegel. -- 2 (1921). -- S. 276.]

Paul Dahlke (1865-1928) konnte in einem solchen Tranzendentalbuddhismus keinen Buddhismus mehr erkennen:

Bereits 1918 verurteilte Dahlke Grimm's Standpunkt rücksichtslos:

"Transzendental-Buddhismus ist kein Buddhismus."

[Neubuddhistische Zeitschrift 18/2 (1917/18). -- S. 34].

Schon im vorhergehenden, dem ersten Heft überhaupt, verglich er in dem vierzehnseitigen Artikel Bewiesener und erlebter Buddhismus : Eine Kritik (eine Kritik an Grimm's Lehre des Buddho) Georg Grimm mit einem Topf, der auch im Meer nicht mehr als seinen eigenen Inhalt fassen kann.

"Herr G. gehört zu denjenigen, deren Herz beim Anhören der Lehre vom restlosen Entsagen sich nie erheitert hat...[73] Nun wird niemand, der Buddhist am allerwenigsten, Herrn Grimm einen Vorwurf daraus machen, dass seine lebensbejaherische Anlage, sein ganzes Wesen es ihm unmöglich machen, in die stille Kühle des buddhistischen Quell-Gedankens einzutauchen... [76f] Für ihn wird ... der Buddha zu einer paradoxen Figur, indem er das Unvergängliche lehrt durch Zeigen der Vergänglichkeit und je mehr, je eindringlicher er lehrt, dass alles ausnahmslos vergänglich ist, um so heller strahlt für diese Köpfe aus seiner Lehre der geheimnisvolle Schimmer eines Unvergänglichen... [79] Herr G. setzt bei seinem ganzen Beweisgang ein mit dem Axiom von der Lebensbejahung als natürlicher Notwendigkeit und damit vom Leben als Wert an sich. Die ganze Buddha-Tat aber beruht letzten Grundes darauf,... dass sie Leben als bedingten Wert gezeigt hat, der sich immer wieder neu aus Gegenwartswerten zusammenwebt." [82f]

Die Kritik wird gekrönt durch einen Spruch aus dem Dhammapada:

"Wenn der Tor auch all sein Leben
Sich im Dienst um den Weisen bemüht
Nie begreift er rechte Lehre
Wie nie der Löffel der Suppe Geschmack." [85]

[Neubuddhistische Zeitschrift. -- Winter 1917/1918. -- S. 71-85].

Weitere Beiträge Dahlkes zur Bekämpfung von Grimm' Transzendental-Buddhismus:

Dahlke, Paul: Transzendental-Buddhismus ist nur dem Namen nach Buddhismus. -- In: Neubuddhistische Zeitschrift. -- Frühjahr 1918. -- S. 34-37].

Dahlkes Antwort auf Seidenstückers Kritik in: Neubuddhistische Zeitschrift. -- Herbst 1921. -- S. 40-51

1919

wurde Grimm aus gesundheitlichen Gründen beurlaubt und zog mit Frau und Tochter für über zwei Jahre nach Palma de Mallorca und wurde 1921 aus gesundheitlichen Gründen vorzeitig pensioniert (so dass er bis zu seinem Tod 1945 als Pensionist leben konnte).

1921-07-20

(Tag des Dhammacakkapavattana): Gründung von Buddhistische Gemeinde für Deutschland:

"Die »Buddhistische Gemeinde für Deutschland« stellt einen engeren Zusammenschluss aller derer dar, die für die Buddha-Lehre ein mehr als bloß theoretisches Interesse haben, die also Willens sind, die Lehre entsprechend den Lebensverhältnissen in denen sie sich befinden zu verwirklichen, ihr nachzuleben. Alle, die nur »Interessenten« für Buddhismus sind, finden durch Anschluss an anderweitige Vereine und Gesellschaften Gelegenheit, ihrem Interesse Genüge zu tun. Dahingegen ist die »Buddhistische Gemeinde für Deutschland« eine wirkliche Gemeinde buddhistischer Laienanhänger. Ein buddhistischer Laienanhänger ist jeder, der durch Aussprechen der »Dreifachen Zuflucht« bezeugt, dass er den Buddha fortan zu seinem Lehrer und Vorbild erwählt, dass er in der Lehre den Inbegriff und die Grundprinzipien der Wahrheit und Gerechtigkeit sowie den weg zur Selbstvervollkommnung und Befreiung erblickt, dass er die Brüderschaft der Erlesenen als die verehrungswürdigen Nachfolger des Buddha betrachtet; der Laienanhänger bekundet ferner durch das Aussprechen der »Fünf Gebote«, die nur das Mindestmaß, das Grundgerüst einer sittlichen Lebensführung darstellen, dass er die Regeln des sittlichen Wandels, wie sie der Buddha für weltliche Anhänger aufgestellt hat, als Richtschnur anerkennt und dass er aufrichtig entschlossen ist, ihnen nachzuleben."

[Buddhistischer Weltspiegel. -- 3 (1921/22). -- S. 43].

Aufruf zur Gründung: Buddhistischer Weltspiegel. -- 2.1921. -- S. 339f: (s.a. Buddhistischer Weltspiegel. -- 2.1921. -- S. 441-442.

Aus dem Satzungsentwurf:

"§ 2. Zweck und Ziel der Gemeinde. Die Buddhistische Gemeinde für Deutschland bezweckt:
  • a) einen engeren Zusammenschluss solcher Personen in den Ländern deutscher Zunge, die sich zu der lehre des Buddha bekennen und Willens sind, ihr nach Maßgabe der vom Buddha aufgestellten Sittenlehren für weltliche Anhänger nachzuleben;
  • b) das Studium der lehre des Buddha zu fördern;
  • c) für die Verbreitung der Lehre des Buddha zu wirken.

Den angegebenen dreifachen Zweck sucht die Gemeinde zu erreichen durch

  1. Abhaltung von Vorträgen und Lehrkursen;
  2. Abhaltung von geistlichen Exerzitien für ihre Mitglieder;
  3. Herausgabe geeigneter Schriften;
  4. Schaffung einer Gemeinde-Bücherei, deren Benutzung den Mitgliedern unentgeltlich offensteht;
  5. Schaffung einer Volksbücherei für Außenstehende;
  6. Anstellung eines Wanderpredigers oder Redners, sobald die finanziellen Verhältnisse der Gemeinde dies gestatten;
  7. Erwerbung von Grundstücken, die den Mitgliedern Gelegenheit geben, sich zeitweilig vom Welttreiben zurückzuziehen und der religiösen Betrachtung zu leben. Zu diesem Zwecke soll eine besondere Stiftung unter dem Namen Visâkhâ-Stiftung ins Leben gerufen und unterhalten werden, deren Verwaltung der Gemeinde untersteht.

Das Organ der »Buddhistischen Gemeinde für Deutschland« ist die Monatsschrift »Buddhistischer Weltspiegel«."

[Buddhistischer Weltspiegel. -- 3 (1921/22). -- S. 79].

Jetzt hielten Grimm und Seidenstücker öffentliche Uposathafeiern, Grimm hielt auch viele Vorträge, angeblich vor bis zu 1000 Leuten. In München-Neubiberg hatte Grimm eine stille Klause, wo er und die ihm Verbundenen zusammenkamen.

1924

nannte man die Buddhistische Gemeinde für Deutschland um in Buddhistische Loge zu den Drei Juwelen. Damit schirmte man die Gemeinde nach außen hin ab, und konnte nun "rückhaltlos über seine Fehler und Schwächen sprechen" und über die eigenen Rückfälle. Grimm verlangte

"von den Brüdern und Schwestern ..., dass sie allein kamen, nicht umgeben von für die Lehre nicht aufgeschlossenen Angehörigen, durch die sie der gewöhnlichen Zerstreuung preisgegeben blieben. Er dachte hierin sehr streng..."

Zwischen 1924 und 1928

wandte sich Karl Seidenstücker dem Katholizismus zu und konvertierte schließlich spätestens 1928 zum Katholizismus.

1929

Max Ladner (1889 - 1963) wird Anhänger Grimms. Er löst sich 1936 wieder von ihm.

1933

zog Grimm nach Utting am Ammersee.


Abb.: Lage von Utting am Ammersee, Sitz der Altbuddhistischen Gemeinde (©MS Encarta)

1934

verboten die Nazis die Gemeinde als Loge. Nur noch drei Mitglieder durften gleichzeitig anwesend sein. Mit der Gestapo hatte man Probleme.

1935

Umwandlung in Altbuddhistische Gemeinde, die mit dem Buddhistischen Haus Georg Grimm bis heute besteht.

1936-10-29

K. B. Seidenstücker (geboren 1876) stirbt als Katholik

1945--08-26

Georg Grimm (geboren 1868) stirbt.

"Kurz vor seinem Tode sprach er sein tiefstes Bekenntnis in Worten aus, die er seine Grabinschrift nannte:

»Ich bin entwischt:
Was hier verfault, das bin ich nicht.
So wie entleerter Kot.
Drum klaget nicht, dass Kot verfault,
Und grämt euch nicht, dass Licht verlischt.
Es flammt ja neu im All empor
Und glänzt so hell wie je zuvor.
Und flammt Bewusstsein nicht mehr auf,
Nibbanas Heil wär' dann mein Teil:
Die ganze Überschwenglichkeit
der schrankenlosen Ewigkeit.
Was Gott, was Ding an sich man heißt,
Erhaben über Stoff und Geist,
Unsagbar höher als Vernunft,
Der Wesen letzte Unterkunft:
Ja, dorthin, dorthin will ich flieh`n,
*Hineinerlöschend still verglühn.«"

[Hoppe, Max <1907 - 1992>: Georg Grimm. -- In: Bodhi Baum. -- 3(1978). -- S. 17].


Abb.: Max Hoppe


Abb.: Maya Keller-Grimm

Bildquelle: Archiv Hermann Schiewe

Das Werk Georg Grimms führen nach dem Krieg in Utting Grimm's einzige Tochter Maya Keller-Grimm (1899-1990), Max Hoppe (1907 - 1992) und Hannah Schoenwerth fort.

1970

Keller-Grimm, Maya <1899-1990> ; Hoppe, Max <1907 - 1992>: Die Lehre d. Buddha in Frage u. Antwort / M. Keller-Grimm ; Anagãrika Dhammapãla. -- Wuppertal [u. a.]  : Henn, 1970. -- 196 S. -- (Schriftenreihe Religionsunterricht und Erwachsenenbildung ; Nr. 1)

Aus dem Vorwort:

"Dem Olcottschen Katechismus war ein großer Erfolg beschieden. Er wurde in viele Sprachen übertragen und erlebte im Jahre 1906 die 36. Auflage, eingeschlossen drei deutsche Ausgaben.

Dem Buddhistischen Katechismus von Olcott folgte im Jahre 1888 ein in deutscher Sprache verfasster Katechismus von Subhadra Bhikshu (Friedrich Zimmermann). Selbst ein überzeugter Buddhist, ließ er alle Lehrmeinungen buddhistischer Schulen und Richtungen beiseite, um ihn auf den vorhandenen ältesten und zuverlässigsten Quellen, den Pâli-Suttas des Tipitakam aufzubauen. Sein Katechismus wurde denn auch zu einem Bahnbrecher für die Buddhalehre. Im Jahre 1890 fand eine Übertragung ins Englische statt; 1895 erschien für die USA eine eigene Ausgabe und 1908 für Ceylon; für Frankreich wurde 1889 eine französische Ausgabe herausgegeben und 1898 eine solche für die Schweiz; eine dritte Ausgabe folgte; 1893, 1901 und 1906 erschienen ungarische Ausgaben, 1889 kam eine holländische, 1890 eine schwedische, 1891 eine japanische, 1897 eine italienische Übersetzung heraus. Zwei russische Übersetzungen wurden zwar gedruckt, aber sofort von der Zensur des zaristischen Russland unterdrückt. Es folgte noch eine Übersetzung in spanischer Sprache.

Georg Grimm schätzte Subhadra Bhikshu als einen bedeutenden Pionier der alten ursprünglichen Buddhalehre, dessen segensreiches Wirken weit über Deutschlands Grenzen reichte. Es war kein Zufall, dass beide Männer in kurzer Zeit Freunde wurden. Beide fanden als tief-religiöse Menschen ihr innerstes Genügen in der Buddhalehre, für beide war sie die Freude ihres Lebens und ihre Zuflucht im Tode. Als im Jahre 1915 die erste Auflage des Hauptwerkes Georg Grimms „Die Lehre des Buddha" erschien, schrieb ihm Subhadra Bhikshu in einem Briefe:

„. . . mit Freude habe ich Ihr Werk gleich ein zweites Mal gelesen. Denn es ist gut, sehr gut. Endlich einmal eine wahrheitsgetreue Darstellung des echten alten Buddhismus ohne moderne philosophische und naturwissenschaftliche Spekulationen; kurz ein Buch, das man ohne Einschränkung empfehlen kann, und an dem hinfort kein Gebildeter, dem es um nähere Bekanntschaft mit der echten Lehre zu tun ist, wird vorbeigehen können . . . Ganz besonders befriedigt war ich über Ihre Behandlung des schwierigen Themas Persönlichkeit und anattâ. Es ist über diese Lehre in den buddhistischen Zeitschriften so viel verworrenes und verkehrtes Zeug zutage gefördert worden, dass ich daran zu zweifeln begann, ob irgendeiner unserer deutschen .Buddhisten' wohl die Sache verstünde. Es schien, als ob jeder seinen Tiefsinn glänzen lassen wollte, um den Leser in Missverstand und Verwirrung zu stürzen und die Hauptlehre des Meisters zu diskreditieren. Denn im Grunde liefen alle diese tiefsinnigen Ausführungen darauf hinaus, der Buddha habe die Absurdität gelehrt, dass in und hinter der Persönlichkeit nichts, gar nichts stecke, vielmehr das Subjekt des Erkennens gar nicht, existiere und der Buddha schlechterdings, in modernes Deutsch übersetzt, gesagt habe: ,Ihr Brüder, ich verkünde euch, ich bin nicht; bin nichts als eine Einbildung.' Wobei nicht einmal erklärt wurde, wer denn nun eigentlich diese Einbildung habe, so dass auch diese Einbildung wieder haltlos in der Luft hing. . . "


Es war das Studium des Hauptwerkes Georg Grimms, das in Subhadra Bhikshu den Entschluss reifen ließ, eine Überarbeitung seines „Katechismus" vorzunehmen. Leider aber kam es nicht mehr zur Durchführung seines Vorhabens. Am 30. Juni 1917 bereitete ein plötzlicher Tod einem von der Buddhalehre erfüllten Leben ein Ende.

Sein Katechismus aber war nicht vergessen. Im Jahre 1921 erschien die von Karl Seidenstücker neu bearbeitete 12. bis 14. Auflage. In gebotener Pietät blieb der Inhalt des Buches nahezu unverändert, und alle Verbesserungen und Erweiterungen wurden in der Form von Anmerkungen gebracht.
Wie oft wurden in der Zwischenzeit Klagen laut, dass dieser „Katechismus" nun schon seit vielen Jahren vergriffen sei. So kam es zu dem Entschluss, einen neuen Katechismus erscheinen zu lassen. Auch er folgt insofern den Spuren Subhadra Bhikshus, als auch er nicht das Organ irgendeiner buddhistischen Schule oder Richtung sein will, sondern die einfache Wiedergabe einer Buddhalehre, wie sie sich dem unbefangenen Blick völlig zwangslos aus dem Pâli Kanon ergibt."

INHALTSVERZEICHNIS
  • Vorwort
  • I. Teil
    • Allgemeines
  • II. Teil
    • Der Buddha
    • Das Leben des Buddha
  • III. Teil
    • Die Lehre des Buddha
    • Die Suche nach dem wahren Selbst
    • Wiedergeburt
    • Die Kausalitätskette
    • Das Karma-Gesetz
    • Wanderer durch die Weltzeitalter
    • Nibbâna
    • Der Pfad der Freundschaft
    • Der Hohe Pfad
    • Der Sotäpannapfad
    • Die letzten Etappen vor Nibbâna
  • Anmerkungen
  • Sachregister
  • Namensregister
  • Empfehlenswerte Bücher

7. Der Bund für Buddhistisches Leben und die Zeitschrift für Buddhismus


Erinnern wir uns:

1911-1921

Der Deutsche Zweig der Maha Bodhi Gesellschaft; gegründet durch Seidenstücker; Vorsitzender: F. Zimmermann (Subhadra Bhikshu); geht 1921 im Bund für Buddhistisches Leben auf

1912-1928

Bund für Buddhistisches Leben

1913-1931

Zeitschrift für Buddhismus und verwandte Gebiete / hrsg. vom Bund für buddhistisches Leben. -- Trier : Otto Schloss.
1 (1913) -- 9 (1931)

1920

Die Zeitschrift für Buddhismus verzichtet in Zukunft auf das Hakenkreuzsymbol

1921

Neuordnung des Bundes für buddhistisches Leben: Ist es angesichts solch schroffer Gegensätze in der Lehre (Dahlke -- Grimm) nicht möglich, dass sich die Anhänger der beiden eben besprochenen Schulen und andere im praktischen Leben in Eintracht finden und so den Buddhismus als einen gewichtigen Faktor zur Neuorientierung im religiösen und sozialen Leben zur Geltung bringen? Diesen Gedanken versuchte man durch die Neubelebung des 1912 gegründeten Bund für Buddhistisches Leben 1921 zur Geltung zu bringen, doch gelang dieses Vorhaben nicht und 1928 ging der Bund zu Ende.

1921

"»Weshalb Deutschland den Krieg verlieren musste« . (Deutschösterreichische Tageszeitung, Wien, Folge 94 vom 7.April [1921]). Unter diesem Titel veröffentlicht die Deutschösterreichische Tageszeitung einen längeren Aufsatz, der einen Brief aus deutschfreundlichen Kreisen Amerikas aus der Illinois-Staats-Zeitung vom 7.Februar wiedergibt. Dort heißt es u. a. »Eine Nation, die ein halbes Dutzend Bände über Buddha veröffentlicht, während der Bolschewismus in voller Blüte steht, hat keinen Anspruch auf Weltherrschaft. Der gelehrte Deutsche, der an einer Übersetzung des Mahâparinirvanasuttam zu arbeiten vermochte, während Enver Paschas Türken die Retirade bekamen, sollte kriegsgerichtlich erschossen werden. Sie haben es verdient, Herr Junker, den Krieg zu verlieren, und die Bücherkataloge hier vor mir beweisen mir Ihre Unwürdigkeit!«"

[Zeitschrift für Buddhismus. -- 3 (1921). -- S. 256f.].

1921


Abb.: Wilhelm Geiger

Mit Heft 7/8 des 3. Jahrgangs Juli/Aug. 1921 ändert die Zeitschrift für Buddhismus ihre Ausrichtung, gleichzeitig wird der Indologe Wilhelm Geiger (1856-1943) Schriftleiter.

Die Zeitschrift soll nun

"einer möglichst genauen und gesicherten Erkenntnis des Buddhismus, seines quellenmäßigen Inhalts, der geschichtlichen Bedingungen, aus denen er hervorgegangen ist, und unter denen er sich entwickelt hat, sowie seines Zusammenhanges mit dem indischen Geistesleben im Allgemeinen" dienen

(ZfB 3.1921. S. 191),

d.h. sie wird jetzt wissenschaftlich ausgerichtet.

"Geiger, Wilhelm (Ludwig), Iranist, Indologe, geb. 21.7.1856 Nürnberg, gest. 2.9.1943 Neubiberg bei München

Geiger wurde nach Abschluss des Studiums der klassischen und orientalischen Philologie in Erlangen, Bonn und Berlin 1876 promoviert, habilitierte sich 1878 in Erlangen und war 1880-84 als Lehrer tätig. 1891-1920 o.Prof. in Erlangen, wurde er anschließend Nachfolger Ernst Kuhns in München und 1924 emeritiert. Geiger verfaßte grundlegende Arbeiten zu den Sprachen, Literaturen und Religionen des Iran und Indiens. Er erforschte als erster Herkunft und Grammatik iranischer Sprachen, veröffentlichte u.a. ein Handbuch der Avestasprache (1879) und gab 1895-1904 zusammen mit E. Kuhn einen Grundriß der Iranischen Philologie und Altertumskunde heraus. 1916 erschien Pali. Literatur und Sprache. Geiger war der Vater von Hans [Physiker, Erfinder des Geigerzählers] und Rudolf Geiger [Meteorologe]."

[Quelle: Deutsche biographische Enzyklopädie & Deutscher biographischer Index. -- CD-ROM-Ed. -- München : Saur, 2001. -- 1 CD-ROM. -- ISBN 3-598-40360-7. -- s.v.]

1926


Abb.: Ludwig Ankenbrand, 1915
[Bildquelle: Archiv Hermann Schiewe]

"Besonders erstaunlich ist die starke innere Anteilnahme der deutschen Schriftsteller- und Künstlerkreise, und man begegnet in ihren Büchern und Aufsätzen auf Schritt und Tritt buddhistischen Gedankengängen. Wie das aber leider doch von jeher bei allen starken und religiösen Bewegungen und Bestrebungen der Fall war, nimmt auch das ästhetisieren und Kokettieren mit den buddhistischen, wie überhaupt indischen und ostasiatischen Kulturen und Religionen zu."

[Ludwig Ankenbrand <1888 - 1971> in: Zeitschrift für Buddhismus. -- 7 (1926). -- S. 223].

1928

Ende der Bundes für buddhistisches Leben.


8. Kurt Schmidt -- Meister des Pâli


[Zu Kurt Schmidt s. Hecker, Hellmuth <1923 - >: Lebensbilder deutscher Buddhisten ; ein bio-bibliographisches Handbuch. -- Konstanz : Universität. -- (Forschungsprojekt "Buddhistischer Modernismus" -- Forschungsberichte)
Band I: Die Gründer. -- 1990. -- 179 S. -- (... ; 1). -- S. 115-122 (mit ausführlichen Literaturangaben)].



Abb.: Kurt Schmidt
[Bildquelle: Archiv Hermann Schiewe]

Kurt Schmidt (1879-1975) war Journalist und Redakteur:

Kurt Schmidt ist Mitbegründer des Munzinger Archiv.

Den Buddhismus lernte der dezidierte Nichtchrist Schmidt durch seinen Kollegen bei der Münchner Allgemeinen Zeitung Alfred Freiherr von Mensi-Klarbach (1854-1933) kennen. Durch ihn lernte er Oldenberg's Buddha-Buch sowie die Übersetzungen von K. E. Neumann kennen. Daraufhin lernte er Sanskrit und Pâli.

1915

Kurt Schmidt liest Georg Grimm: Die Lehre des Buddha : die Religion der Vernunft. -- 1. Aufl. -- 1915. Darauf befreundet er sich mit Grimm und gibt Grimm einmal wöchentlich Pâliunterricht im Justizpalast. Später trennte er sich von Grimm's religiöser Interpretation der Anattâ-Lehre.

In der Folge veröffentlichte Kurt Schmidt viele wichtige Übersetzungen, Aufsätze und Bücher.


9. Martin Steinke -- Tao Chün


[Zu Martin Steinke s. Hecker, Hellmuth <1923 - >: Lebensbilder deutscher Buddhisten ; ein bio-bibliographisches Handbuch. -- Konstanz : Universität. -- (Forschungsprojekt "Buddhistischer Modernismus" -- Forschungsberichte)
Band I: Die Gründer. -- 1990. -- 179 S. -- (... ; 1). -- S. 144-155 (mit ausführlichen Literaturangaben)]

 


Abb.: Martin Steinke
[Quelle der Abb.: Hecker, Hellmuth <1923 - >: Lebensbilder deutscher Buddhisten ; ein bio-bibliographisches Handbuch. -- Konstanz : Universität. -- (Forschungsprojekt "Buddhistischer Modernismus" -- Forschungsberichte). -- Band I: Die Gründer. -- 1990. -- 179 S. -- (... ; 1). -- Nach S. 144.]

"Die frühere Residenzstadt Potsdam, sein [Martin Steinkes = Tao Chüns] Geburtsort, war schon vor achtzig Jahren als Sammelpunkt der verschiedensten kulturellen Strömungen weltbekannt. Das chinesische Teehaus im Rokoko-Park von Sanssouci, die prunkvollen China-Vasen und die zierliche chinesische Porzellankunst im dortigen Schloss gaben dem unerklärbaren Drang des Knaben, die geheimnisvolle Welt Ostasiens zu ergründen, immer wieder neue Nahrung. Der zunächst gewählte Lehrberuf bot dem jungen Menschen nicht die Möglichkeit, die Lösung „des ostasiatischen Problems", wie er es damals nannte, mit der europäischen Welt in Einklang zu bringen; doch führte ihn das Studium zur Lösung dieses „Problems" zum Buddhismus.

Nach volkswirtschaftlichem Studium gründete er ein eigenes Treuhand- und Bankunternehmen, das ihm die solide wirtschaftliche Existenz und gesellschaftliche Stellung sicherte, und das er bis 1933 mit Erfolg leitete. Trotz aller weltlichen Erfolge blieb in ihm das Verlangen lebendig, die ostasiatisch-buddhistische Welt aus eigener Anschauung kennenzulernen, nicht um Asiate zu werden; er wollte den im Fernen Osten praktizierten Buddhismus erleben und die Synthese zwischen Osten und Westen verwirklichen. In Berlin, der damaligen Stätte seines Wirkens, gründete er die „Gemeinde um Buddha". Inzwischen waren buddhistische Kreise in Asien auf die Bücher und Abhandlungen, die er seit 1928 veröffentlicht hatte, aufmerksam geworden und brachten sie in englischer Sprache in Burma, China, Japan und auf Ceylon heraus. Die Verleihung des Titels eines „Right Reverend" und die Anerkennung als buddhistischer Gelehrter durch die mit dem Rang einer westlichen Universität ausgestattete „Buddhist Mission" in Rangoon waren unmittelbare Folge. 1933 erfüllte sich unerwartet der große Wunsch seines Lebens: Martin Steinke wurde von chinesischen Buddhisten aufgefordert, China und Japan zu besuchen, um an Ort und Stelle in praxi seine Studien zu vervollständigen. Kurz entschlossen gab er seinen weltlichen Beruf auf.

Im Kloster Tsi-hia-shan bei Nanking, dem durch kaiserliches Edikt Universitätsrang verliehen worden war, unterzog sich der damals 5ijäh-rige der strengen Ordensdisziplin und verließ Tsi-hia-shan nach der Vollordination zum Bhikkhu mit dem Namen Tao Chün (wörtl. „Des Pfades Gipfel") und Chih Ming (wörtl. „Klarheit des Entschlusses"). (Vgl. die Inaugurations-Urkunde!) Von der chinesischen Regierung wurden Name und Bhikkhuwürde mit amtlichen Siegeln beglaubigt und 1935 und 1936 von der Chinesischen Gesandtschaft und Botschaft in Berlin offiziell bestätigt.

Ende 1934 wählte der europäische buddhistische Kongress in London Tao Chün, der inzwischen nach Europa zurückgekehrt war, zu seinem Präsidenten. 1937 schlössen sich seine zahlreichen Schüler und Freunde zur „Buddhistischen Gemeinde" e. V. in Berlin zusammen. Im Neuen-Geist-Verlag, Berlin erschien 1937 Tao Chüns „Lehre von der Befreiung" und 1940 in Zusammenarbeit mit dem China-Institut in Frankfurt am Main „Buddha und China". Während des Zweiten Weltkrieges wurde Tao Chün kurze Zeit inhaftiert und die „Buddhistische Gemeinde" verboten. Obwohl jetzt die Arbeit nur in der Stille möglich war, ging er doch unbeirrt den Weg buddhistischer Erkenntnis und Lebensführung weiter.

Nach 1945 nahm sein Wirken andere äußere Formen an: die Welt kam zu ihm in das stille Bad Mergentheim, wo er seit 1943 lebte. Besucher aus nah und fern bestätigten Art, Kraft und Reichweite seiner Arbeit, und der Briefwechsel erstreckte sich auf fast alle Erdteile. In viele Großstädte der Bundesrepublik führten ihn seine Vortragsreisen. Der Dünen-Verlag, Bremen, veröffentlichte seine Bücher: „Kwatsu, Europäer und Asiaten, einfach gesehen" und den „Ketzer von Tsi-hia-shan". Im Mai 1956 nahm Martin Steinke = Tao Chün auf Einladung am Buddha-Jayanti in Rangoon teil.

Aus der Erfahrung eines reichen, erfüllten Lebens erschloss er, ohne jede dogmatische Enge, dem modernen Menschen das Wesen der Buddha-Lehre; seine Arbeitsmethode war stets, den Menschen und sein Schicksal anzusprechen. 1966 ging er, der das Glück der Zeitlosigkeit erfahren hatte, ruhig und klarbewusst in die „Verwandlung" ein - wie der Buddhist den Sterbeprozess nennt."

[Quelle: Steinke, Martin <1882-1966>: Das Lebensgesetz : eine Antwort auf Lebensfragen aus buddhistischer Sicht / Martin Steinke = Tao Chün. -- München ; Zürich : Delphin-Verl., 1987. -- 250 S. : 1 Ill. ; 18 cm. -- (Delphin-Taschenbuch ; Nr. 3122). -- ISBN: 3-7735-3122-2. -- S.  245f.]

"Der deutsche Bankier Martin Steinke (1882-1966) gründete 1922 in Berlin eine »Gemeinde um Buddha«.34 Am 1. November 1933 erhielt er bei Nanking/China die Ordensweihe in einem Mahayana-Kloster. Dabei wurden ihm auf dem Schädel 12 Kerzen - die zwölf Ursachen der Verhaftung (nidana) symbolisierend - abgebrannt. Fortan führte er den Doppelnamen Steinke - Tao Chün (»Steiler Weg«).

1934 war er Präsident des buddhistischen Weltkongresses.

Während der Nazizeit hielt Tao Chün am Potsdamer Platz in Berlin spektakuläre Vorträge, bei denen er sein Publikum beschimpfte. »Hören Sie auf zu atmen!«, fuhr er seine Zuhörer an und ging dann schreiend auf einen zu: »Sie atmen ja immer noch! Sie haben Angst, zu sterben, deswegen atmen Sie!« - so sind diese öffentlichen Auftritte dem deutschen Buddhisten Helmut Klar im Gedächtnis geblieben. Im Sommer 1935 veranstaltete Tao Chün in der Mark Brandenburg drei Monate lang ein buddhistisches Ferienlager. Die Stimmung war »männerbündisch« im Geiste der Zeit. So antwortete ein Teilnehmer auf die Frage, weshalb er an der Veranstaltung partizipiere: »Weil ich im ersten B[uddhistischen] F[erien] L[ager] einen Kreis von ernsthaften und unermüdlich kämpfenden [!] Buddhisten vorfinde, die unter Leitung eines zielbewussten und erfahrenen Lehrers in straffer Zucht um die eigene Befreiung kämpfen.«

Vergebens versuchte Tao Chün die staatliche Anerkennung für die »Gemeinde um Buddha« als Kirche zu erlangen. Mit seinen Gesuchen an den Reichsminister für kirchliche Angelegenheiten bewirkte er das pure Gegenteil, da man ihm nicht abnehmen wollte, dass er eine ordnungsgemäße Ordination als Bhikku (buddhistischer Mönch) erhalten habe. Doch konnte er - gemäß Protokoll vom 9. Dezember 1936 - zwei Bescheinigungen der chinesischen Gesandtschaft vorlegen, die ihn als buddhistischen Lehrer auswiesen. Tao Chün ging aber noch einen Schritt weiter, denn er behauptete, niemand anderes außer ihm sei legitimiert, den Buddhismus in Deutschland zu lehren, da er der einzige ordinierte Mönch sei.

Unermüdlich biederte er sich dem Regime an. In einer Schrift mit dem Titel Erkenntnisvollkommenheit stellte er die Behauptung auf, dass die »Vollkommenheit der Erkenntnis«, die der Buddhist erstrebt, das Gleiche sei wie die »Totalität« der Nationalsozialisten. Dem Reichsminister für kirchliche Angelegenheiten, Dr. Lammers, schrieb er: »Die Wirklichkeit lehrt, dass Partei und Staatsleitung des Dritten Reichs mit starkem Einfühlungsvermögen den Forderungen des Lebens gerecht werden.«

Der Höhepunkt seiner Anbiederungsversuche dürfte jedoch ein Brief sein, den er am 10. Juli 1938 an Hitler persönlich richtete:

»Herr Führer und Reichskanzler!«, heißt es dort. »Im Vertrauen auf Ihr Gerechtigkeitsgefühl, auf Ihren Scharfsinn für die Zusammenhänge der Dinge des Lebens, auf Ihre Einsicht in das, was für jeden einzelnen Menschen das Ziel des Daseins ist, und im Hinblick auf das umfassende Verständnis Ihrer Mitarbeiter, wende ich mich an Sie.« Darauf folgt eine Danksagung im Namen der »Buddhistischen Arbeitsgemeinschaft« und der »Buddhistischen Gemeinde e. V.«. Gedankt wird dem »Führer« für Folgendes: »Sie haben es uns ermöglicht, im Sinne der allumfassenden Lehre des Buddha zum Wohle des deutschen Volkes zu wirken, und haben dadurch zunehmende Sympathie in der mehr als 500 Millionen zählenden buddhistischen Welt gewonnen. Meine Aufgabe ist es, das große, tiefe, alt-arische Weistum, das uns in der Lehre überliefert ist, den Menschen darzulegen und Missdeutung zu verhindern.« Es sei die Pflicht der Buddhisten »niedrige, gemeine, entwürdigende, entnervende, zersetzende Einflüsse und Mächte« zu überwinden. »Ihr Lebenswerk, Herr Führer und Reichskanzler, beweist, dass Sie die Wichtigkeit solcher Arbeit zu werten wissen.« Tao Chün bittet am Ende seines Briefes um eine monatliche Beihilfe, unter anderem damit er sich in der kalten Jahreszeit eine Heizung leisten kann. Der Brief ist unterschrieben: »Ihnen Herr Führer und Reichskanzler, Heil und Segen!«

1941 wurde Tao Chün kurz von der Gestapo verhaftet und dann wieder freigelassen, aber nicht wegen seines buddhistischen Glaubens, sondern wegen illegaler Geldsammlungen."

[Quelle: Trimondi, Victor [= Herbert Röttgen] ; Trimondi Victoria [= Mariana Röttgen]: Hitler, Buddha, Krishna : eine unheilige Allianz vom Dritten Reich bis heute. -- Wien : Ueberreuter, 2002. -- 639 S. : Ill. ; 25 cm. -- ISBN 3-8000-3887-0. -- S. 311f.]

1922

Der Berliner Bankier Martin Steinke (1882-1966) gründet in Berlin eine Gemeinde um Buddha e.V.. Obmann ist bis 1927 Lachmann, dann Friedrich Sommer (1896-1972)

"Steinke stand ganz auf dem Boden des Pâli-Buddhismus und machte öfter Urlaub in der Klause des Dahlke-Tempels in Frohnau."

[Hecker, a.a.O. S. 144].

1928-1933

Steinke gibt zwei Jahrgänge Briefe über die Buddhalehre heraus, dann als Fortsetzung drei Jahrgänge der Zeitschrift Der Buddhaweg und wir Buddhisten.

1930

Die Church of Buddha (Rangoon) verleiht Steinke den Titel Right Reverend und ernennt ihn zum Rektor für Ostdeutschland

1932

Ignácz Trebitsch (Trebitsch-Lincoln, Ignatius Timothy) (1879-1943) tritt als Mönch Chao Kung in Berlin auf und hält Vorträge in Steinke's Gemeinde. Bei seiner elfmonatigen Europareise gewinnt Trebitsch eine Gruppe von Europäern, unter anderen Steinke und drei Frauen seiner Gruppe, die in China dem buddhistischen Orden beitreten wollen.

[Zu Ignácz Trebitsch s.

Hecker, Hellmuth <1923 - >: Lebensbilder deutscher Buddhisten ; ein bio-bibliographisches Handbuch. -- Konstanz : Universität. -- (Forschungsprojekt "Buddhistischer Modernismus" -- Forschungsberichte)
Band II: Die Nachfolger. -- 1992. -- S. 265-271

Wasserstein, Bernard: The secret lives of Trebitsch Lincoln. -- New Haven : Yale University Press, 1988. -- viii, 327 p. : ill., ports. ; 25 cm.
Bibliography: p. [291]-299.

Gömöri, Endre: Die Wahrheit über Trebitsch : Roman eines großen Abenteurers. -- Berlin-Ost : Das Neue Berlin, 1988. -- 236 S. -- Übersetzung von : Gömori, Endre: Az igazi Trebitsch. -- Budapest : Kozmosz Konyvek, 1985. -- 300 S.]

"Zurück ins München des Jahres 1923: Nach dem Scheitern des Hitler-Putsches floh Trebitsch-Lincoln nach China, wo er sich bald fasziniert dem Studium des Buddhismus gewidmet haben und in diverse Putschversuche der Militärs verwickelt gewesen sein will. Einzelheiten dazu enthalten seine Lebenserinnerungen, die 1931 unter dem Titel "Der größte Abenteurer des XX. Jahrhunderts?! Die Wahrheit über mein Leben" erschienen. Schließlich soll Trebitsch-Lincoln in Kontakt mit dem "Grünen Drachen" geraten sein, dem chinesischen Zweig einer "Geheimgesellschaft der Weisen von Tibet". Bereits 1929 erschien Trebitsch-Lincoln als buddhistischer Missionar wieder in Europa, was sogar der Große Brockhaus (15. Auflage 1934) dokumentiert. Als "Chao-Kung" hält er Anfang der 30er Jahre mit kahlgeschorenem Kopf buddhistische Vorträge, die durch den ironisch-süffisanten Ton der WELTBÜHNE (Nr. 45 v. 8. November 1932) vielleicht nicht unzutreffend charakterisiert werden:

"Wir wollen es dem Mönch Chao-Kung zugute halten, es war nicht sein Karma, das tobte. Es war noch die Inkarnation Trebitsch... Mit großer Emphase. Ich, Ich und Ich. Wollen wir das wieder Trebitsch zugute halten, denn Bruder Chao-Kung müsste nach des Erleuchteten Lehre doch auf dem besten Weg zur Ichlosigkeit sich befinden... Man hätte Trebitsch-Lincoln gern jenes Lächeln gegeben, das die unfreiwillige Komik mancher seiner Aussprüche einem auch bei größter Unvoreingenommenheit unwillkürlich aufdrängte... Vor kaum einem Vierteljahr sprach und agierte vor den Schranken des Wiener Landesgerichts Silvester Matuschka. Es ist viel Gemeinsames in Wesen und Stimme der zwei Landsleute. Hier wie dort einer, der mit Pathos, ausladender Geste und dem Tonfall, der sich mehr für Mikosch-Witze eignet, die Menschheit retten will. Der eine durch Zugentgleisungen direkt, der andere durch Vorträge indirekt für das Nirvana werbend. Beides Inkarnationen rasend gewordener Paprikaschoten..."  

[Quelle: http://home.t-online.de/home/turbund/trbtsch.htm. -- Zugriff am 2003-05-29]

"Im August 1925 war er [Trebitsch-Lincoln] wieder in Shanghai, reiste durch China und hatte dann in Tientsin seine "religiöse Erleuchtung". Er wurde Buddhist und begann damit seine religiöse Phase. Natürlich entsprach es nicht seinem Naturell, sich einfach darauf zu beschränken. Er pflegte Kontakte zum Panchen Lama, dem Konkurrenten des Dalai Lama, und geriet damit wieder einmal in die Politik. Auf Tibet und die Mandschurei versuchten neben China vor allem die Sowjetunion und Japan Einfluss zu nehmen, und dabei waren auch die religiösen Führer von Bedeutung. 1929 reiste Trebitsch wieder einmal nach Europa, pflegte dort Kontakte mit Religionswissenschaftlern - der Buddhismus war damals groß in Mode - und publizierte in Österreich die deutsche Ausgabe seiner Memoiren (Trebitsch-Lincoln. Der größte Abenteurer des XX. Jahrhunderts), wodurch er seine Berühmtheit weiter steigerte. Nach seiner Rückkehr nach China ging er in ein Kloster bei Nanking und wurde unter dem Namen Chao Kung Mönch. Bis zu seinem Tod wurde er nie mehr in europäischer Kleidung gesehen; er trug ständig eine schwarze Robe, weiße Hosen, Slipper und eine Mütze auf dem kahl geschorenen Kopf. Später gründete er dann in Shanghai selbst ein Kloster mit sich als Abt. Von dort unterhielt er einen regen Briefwechsel mit Theosophen in Kanada und Europa.


Abb.: Trebitsch-Lincoln mit Gefolgschaft in Schanghai

[Bildquelle: Trimondi, Victor [= Herbert Röttgen] ; Trimondi Victoria [= Mariana Röttgen]: Hitler, Buddha, Krishna : eine unheilige Allianz vom Dritten Reich bis heute. -- Wien : Ueberreuter, 2002. -- 639 S. : Ill. ; 25 cm. -- ISBN 3-8000-3887-0. -- S. 314.]

1932 reiste er wieder nach Europa. In Deutschland hielt er Vorträge wie  "Mein Weg zu Buddha". Damit war er anscheinend so erfolgreich, dass er plante in Europa ein buddhistisches Kloster zu eröffnen. Er hielt auch in Nizza eine Reihe von Vorträgen und fand unter den Theosophen und Buddhisten zum ersten Mal in seinem Leben überzeugte Anhänger. Als er wieder nach Shanghai kam, folgten ihm bald darauf 10 Europäer, um in sein Kloster einzutreten. Es war wahrscheinlich der größte Propagandaerfolg seiner Karriere. Er bekam nun sogar Geldspenden von reichen Shanghaiern. Mit einigen seiner Adepten unternahm er dann eine neue Reise nach Kanada und Europa, um Spenden zu sammeln und einen Platz für ein Kloster zu finden. Ihm schwebte ein Kloster an der Cote d’Azur oder auf einer spanischen Insel vor, wo er dann als Abt reiche gelangweilte Europäer im Sinn des Lebens unterweisen könnte. Leider war er damit seiner Zeit um einige Jahrzehnte voraus, und nachdem er keine Erlaubnis zur Gründung eines Klosters erhalten hatte, musste er unverrichteter Dinge nach China zurückkehren.

In China wechselte dann wieder nach Tientsin und gründete dort ein neues Kloster. Er hatte immer noch Geld, aber niemand wusste woher. Wahrscheinlich war er immer noch in Geheimdienstaktivitäten verwickelt und arbeitete als Propagandist für die Japaner und deren Marionettenregime in Mandschuko. Einige behaupten er sei auch Berater des letzten Kaisers Pu Yi gewesen. Er versuchte dann noch mehrmals nach Europa zu kommen, doch inzwischen verweigerten ihm alle angesprochenen Länder ein Einreisevisum. Mit dem fehlenden Kontakt nach Europa und dem drohenden Weltkrieg schwand auch seine Popularität. Im März 1938 zog er dann mit seinen letzten zwei Adepten nach Shanghai. Dort lebte er bis zu seinem Tod in billigen Hotels und im YMCA. Shanghai war zu dieser Zeit ein einziges Chaos, es war voll gestopft mit Flüchtlingen, von denen Zehntausende verhungerten, in den Straßen wütete der Terror, zwischen Kuomintang und den Kommunisten, und alle warteten auf die Japaner. 1940 nahm Trebitsch Kontakte zum deutschen Geheimdienst auf und erhielt den Auftrag nach Tibet zu reisen und dort den Aufbau einer deutschen Rundfunkstation zu organisieren. Dazu kam es allerdings nicht mehr. Trebitsch verkaufte ein paar Informationen und hielt sich damit über Wasser. Am 6. 10. 1943 starb er dann im Shanghai General Hospital bei einer Operation. "

[Quelle: Frank Westenfelder. -- http://www.kriegsreisende.de/relikte/trebitsch.htm. -- Zugriff am 2005-05-05]  

1933-07-25i

Martin Steinke und zwei Frauen seiner Gruppe treffen in Shanghai ein (eine Dame aus seiner Gruppe war über Bord gesprungen). Im Buddhist House von Trebitsch wird Steinke Novize mit dem Namen Asapatto. Im Herbst ziehen die insgesamt 12 europäischen Novizen von Trebitsch ins Zen/Shin-Kloster Ch'i-hsia Shan in der Nähe von Nanking.

1933-11

Die zwölf Europäer werden zusammen mit 150 Chinesen zu Mönchen und nehmen das Bodhisattva-Gelübde auf sich.

[s. die ausführliche Beschreibung: Steinke, Martin: Buddha und China : Tsi-Hia-Schan ; Erlebtes und Grundsätzliches. -- Darmstadt, 1940. -- Auszugsweise abgedruckt in: Bodhi Baum. -- 6 (1981). -- S.63-71].

Steinke erhält den Ordensnamen Tao Chün (Steiler Weg). Seither führt er den Doppelnamen Steinke -- Tao Chün

1934

Steinke -- Tao Chün kehrt nach Berlin zurück. Am 23. und 24.Sept.1934 ist er Präsident des buddhistischen Weltkongresses, der von der britischen Mahâbodhigesellschaft im London Buddhist Vihâra veranstaltet wird. Auf diesem Kongress wurde die Errichtung eines Sangha im Westen und die Schaffung eines mehrsprachigen buddhistischen Presseorgans beschlossen, jedoch nicht verwirklicht.

1935

Friedrich Sommer (1896-1972) trennt sich mit der Gemeinde um Buddha e.V. von Steinke. Steinke -- Tao Chün gründet in Berlin eine Buddhistische Arbeitsgemeinschaft.

 
Abb.: Friedrich Sommer

"Friedrich Sommer
11. 2. 1896 Berlin
17. 5. 1972 Vilshofen (Oberpfalz)

Von Beruf Buchbindermeister (Meisterprüfung 1927), kam er in den zwanziger Jahren zum Buddhismus und gehörte zunächst zu Steinkes "Gemeinde um Buddha", der er ab 1927 als Obmann vorstand. Als solcher organisierte er Vorträge und betreute Publikationen. Nachdem Steinke zum Zen übergewechselt war, trennten sich Sommer und die "Gemeinde um Buddha" von Steinke, und Sommer leitete sie jetzt allein. Etwa ein halbes Jahr lang hielten er und Luetge auch Vorträge im Buddhistischen Haus, jedoch waren sie Bertha Dahlke nicht akademisch genug. 1942 wurde die Gemeinde verboten und deren Bibliothek von der Gestapo abgeholt. Nach dem Kriege war er Buchbinder bei der Akademie der Wissenschaften in Ost-Berlin. Die "Gemeinde um Buddha" bestand 1948 noch unter ihm. Als er Rentner geworden war (1961), zog er nach Bayern. Er wandte sich nun Georg Grimm zu, und er und seine 1975 verstorbene Frau Babette wurden am 21. 12. 1965 Mitglieder der ABG. Beide nahmen häufiger an Seminaren in Utting teil."

[Hecker, Hellmuth <1923 - >: Lebensbilder deutscher Buddhisten ; ein bio-bibliographisches Handbuch. -- Konstanz : Universität. -- (Forschungsprojekt "Buddhistischer Modernismus" -- Forschungsberichte). -- Band II: Die Nachfolger. -- 1992. -- S. 231]

1935-1941

Steinke -- Tao Chün hält in Berlin regelmäßig öffentliche Vorträge über den Buddhismus

1935


Abb.: Hedwig Steinke-Boll

[Bildquelle: Hecker, Hellmuth <1923 - >: Lebensbilder deutscher Buddhisten ; ein bio-bibliographisches Handbuch. -- Konstanz : Universität. -- (Forschungsprojekt "Buddhistischer Modernismus" -- Forschungsberichte). -- Band II: Die Nachfolger. -- 1992. -- S. 237]

Steinke -- Tao Chün führt das erste buddhistische Sommerlager durch. Dort trifft er Hedwig Boll (1904-1988), die ihm fortan seinen Haushalt führt und von ihm adoptiert wird.

1936/37

Steinke -- Tao Chün veröffentlicht vier vierteljährliche Hefte Die Lehre von der Befreiung

1937

Steinke gründet in Potsdam eine Buddhistische Gemeinde e.V. mit einem Blockhaus als Vihâra.

1939


Abb.: Sergiu Celibidache

Der später berühmte Dirigent Sergiu Celibidache (1912-1996) lernt Steinke während seiner Studienzeit in Berlin kennen. Diese Begegnung wurde für Celidibache zu einem Wendepunkt seines Lebens.

"Sergiu Celibidache wurde am 11. Juli 1912 (nach dem damals in Rumänien gültigen julianischen Kalender am 28. Juni 1912) in Roman geboren. Aufgewachsen in der moldawischen Stadt Iassy, erhielt er schon früh ersten Klavierunterricht und interessierte sich sehr bald auch für den musikalischen Satz.

Nach einigen Studienjahren der Mathematik, Philosophie und Musik,noch in Iassy, dann in Bukarest und Paris, kam er 1936 nach Deutschland, um an der Berliner Musikhochschule Kompositionsunterricht zu nehmen (Lehrer Heinz Tiessen). Zwei Jahre später inskribierte er sich im Fach Dirigieren bei Walter Gmeindl. An der Friedrich-Wilhelm-Universität setzte sich der Student Celibidache auch mit musikwissenschaftlichen Fragen (Lehrer Arnold Schering und Georg Schünemann) und philosophischen Prinzipien auseinander (Lehrer Nicolai Hartmann und Eduard Spranger). Die Ausarbeitung einer musikwissenschaftlichen Dissertation über Josquin des Prés schloß sich an. Etwa gleichzeitig fühlte sich der universell gebildete und interessierte junge Mann auch sehr stark zum Buddhismus und Zen-Buddhismus hingezogen. Durch Martin Steinke, seinem maßgeblichen Lehrer, erfuhr er, wo die Grenzen des Denkens liegen bzw. was in der Musik gedacht werden kann und was nicht.

Nach Kriegsende und dem jähen Tod durch Leo Borchard im Sommer 1945 übernahm Celibidache, sozusagen von der Hochschulbank weg, das Berliner Philharmonische Orchester, dessen Leitung er bis 1952 innehatte. Die Begegnungen mit Wilhelm Furtwängler, der großen Musikerpersönlichkeit, waren für den jungen rumänischen Dirigenten von entscheidender Bedeutung.

Mit voller Absicht hat Sergiu Celibidache seit seinem Weggang von den "Berlinern" alle Institutionen gemieden, die glaubten, mit bloßer Routine auskommen zu können. Statt dessen arbeitete er immer, allerdings in nie ganz festen Bindungen, mit Orchestern zusammen, die ihm ausreichend Zeit zum Probieren gemäß seinen Vorstellungen von Musik geboten haben.

Im Juni 1979 wurde Celibidache künstlerischer Leiter der Münchner Philharmoniker und Generalmusikdirektor der Landeshauptstadt München. Die "Münchner" waren das einzige Orchester, das der Maestro noch dirigierte. Eine der ganz raren Ausnahmen galt Ende März 1992 zwei Benefizkonzerten mit den Berliner Philharmonikern, an deren Pult er nach der für ihn enttäuschenden Wahl Herbert von Karajans in der Furtwängler-Nachfolge zum letzten Mal am 29. November 1954 gestanden hatte.

Von den zahlreichen Ehrungen und Auszeichnungen für den Maestro seien nur die Ernennung zum Professor ehrenhalber der Bundeshauptstadt Berlin und die Verleihung des Bayerischen Verdienstordens erwähnt sowie die Ehrenbürgerschaft seiner Heimatstadt Iassy und des "Doktor honoris causa" der dortigen Kunstakademie. Zu seinem 80. Geburtstag wurde Sergiu Celibidache mit dem Großen Verdienstkreuz mit Stern des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland und der Ehrenbürgerwürde der Landeshauptstadt München geehrt.

Sergiu Celibidache war Anhänger von Sai Baba und gehörte zu jenen Gnostikern, die den Zugang zur Wirklichkeit über Sprache, Schrift und Denkprozess abstreiten. Er hatte eine weit gespannte pädagogische Tätigkeit entwickelt (z.a. Lehrauftrag an den Universitäten Main und München über "Musikalische Phänomenologie") und betrachtete das Lehren als das höchste menschliche Tun. Er starb am 14. August 1996 in der Nähe von Paris."

[Aus dem Programmheft der Münchner Philharmoniker. -- Zitiert: http://www.gerhard-greiner.de/celi.htm. -- Zugriff am 2005-06-06] 

1941

Die Nazis verhaften Steinke -- Tao Chün im Juni 1941 für einige Wochen und verbieten ihm weitere öffentliche Auftritte. Trotzdem kann Steinke weiterhin kleinere Schriften veröffentlichen. Steinke versuchte, jenseits von Hîna- oder Mahâyâna einen europäischen Zugang zur Lehre zu schaffen. Er hielt die Lehre für streng naturwissenschaftlich und stand so Dahlke (1865-1928) nahe.

Nach dem Krieg hielt Steinke von 1947 bis 1965 zahlreiche Vorträge an vielen Orten. Viele der Vorträge veröffentlichte er auch. Obwohl er nie eine "Schule" gründete, war er durchaus einflussreich.


10. Erste Bekanntschaft mit Zen -- von Rudolf Otto bis Eugen Herrigel


1922


Abb.: Rudolf Otto in Japan, 1912 [Bildquelle: http://www.netrax.net/~galles/leitseit.htm. -- Zugriff am 2003-05-29]

Rudolf Otto, Professor für systematische Theologie in Marburg, veröffentlicht den Aufsatz:

Otto, Rudolf (1869-1937): Über eine besondere Form des japanischen Buddhismus. -- Zweites Mitteilungsblatt des Religiösen Menschheitsbundes. -- 6-11.

Überarbeitet als:

Otto, Rudolf (1869-1937): Über Zazen als Extrem des numinosen Irrationalen. -- In: Ders.: Aufsätze das Numinose betreffend. -- Gotha, 1923. -- S. 119-132

Rudolf Otto hatte1912 das Kennin-Kloster in Kyoto besucht und begegnete dort dem Zen-Meister Mokurai (1854-1930). Er begreift

"Zen als das Irrationale im Extrem und fast losgerissen von allen rationalen Schematen".

[a.a.O. S. 120].

"Otto, Rudolf (Louis Karl), * 25. 9. 1869 Peine, † 6. 3. 1937 Marburg. - Evangelischer Theologe.

Nach der Schulzeit auf dem Gymnasium Andreanum in Hildesheim studierte der Sohn eines Malzfabrikanten in Erlangen u. Göttingen, wo er 1898 promoviert wurde u. sich 1899 habilitierte. 1904 wurde er a. o. Professor der Theologie. Von 1911 an auf Forschungsreise nach China, Japan u. Sibirien, wurde O. am 18. 5. 1913 Abgeordneter der Nationalliberalen Partei im Preußischen Landtag. 1915 erhielt er einen Ruf als Ordinarius für systematische Theologie nach Breslau, 1917 als Nachfolger Wilhelm Hermanns nach Marburg. Seine letzte große Reise, auf der er an Malaria erkrankte, führte ihn 1927/28 nach Ceylon, Indien, Ägypten, Palästina und in die Türkei. 1929 wurde er vorzeitig emeritiert.

Ottos Hauptwerk ist die 1917 erschienene Abhandlung Das Heilige (Breslau. Mchn. 491987), das auf zahlreiche Religionsforscher u. Philosophen, etwa auf Mircea Eliade, Friedrich Heiler, Gerardus van der Leeuw, Gustav Mensching u. Paul Tillich erheblichen Einfluss ausübte. In dem Buch wird der Versuch unternommen, zentrale religiöse Kategorien in einer psychologisch operierenden Phänomenologie zu beschreiben. Es will die Wurzeln religiösen Erlebens freilegen und redet vom spontanen Aufbrechen aus der Tiefe. Das »Numinose« (eine Wortbildung Ottos) ist Korrelat einer »ursprünglichen Gefühlsreaktion«, die sich in Erregtheit, Gliederschlottern, Stößen u. Zuckungen äußern kann. Auch im Schrecken, im Gespenstischen - wie im Märchen u. im Mythos - wird, was aus dem Seelengrund hervordrängt, wahrnehmbar. Genannt werden das Urgefühl, der Urschauer u. die Urelemente.

Die bekannt gewordene Formel vom »Mysterium tremendum et fascinans« soll Momente religiösen Erlebens, seinen abweisenden u. anziehenden Charakter artikulieren. Gott ist für Otto das »ganz Andere« u. kann mit Allgemeinbegriffen nicht hinreichend definiert werden. In einer »Erörterung« des Heiligen als Kategorie a priori (der Empfänglichkeit) wird deutlich, dass das Irrationale mit dem Rationalen verknüpft bleibt.

Ottos Untersuchungen setzen die reich entwickelte, restaurative religiöse Gefühlskultur der wilhelminischen Epoche voraus, u. vor diesem Hintergrund wird das Bemühen verständlich, die Überlegenheit des Christentums im Vergleich mit den Weltreligionen aufzuzeigen."

[Quelle: Martin Oesch. -- In: Literaturlexikon : Autoren und Werke deutscher Sprache / [hrsg. von] Walter Killy. -- Berlin : Directmedia Publ., 2000. -- 1 CD-ROM  -- (Digitale Bibliothek ; 9). -- Lizenz des Bertelsmann-Lexikon-Verl., Gütersloh. -- ISBN 3-89853-109-0. -- s.v.]

1923


Abb.: Karl Heim

Im gleichen Jahr veröffentlichte der Tübinger Professor für systematische Theologie Karl Heim einen Aufsatz über Zen-Buddhismus:

Heim, Karl <1874-1958>: Der Zen-Buddhismus in Japan. -- In: Zeitschrift für Theologie und Kirche. -- N.F. 4 (1923). -- S. 245-259. -- Wiederabgedruckt in: Heim, Karl: Glaube u Leben : gesammelte Aufsätze und Vorträge. -- Berlin : Furche, 1925. -- S. 144-150.

In diesem Aufsatz will Heim aufgrund seiner Reiseerfahrungen in Japan das einseitige Bild korrigieren, das Abendländer auch abendländische Religionsforscher vom Buddhismus haben:

"Der Zen-Buddhismus in Japan

Wer nur den indischen Buddhismus kennt, wie ihn Oldenberg darstellt in seinem Buch "Buddha, sein Leben, seine Lehre, seine Gemeinde", ist noch nicht imstande, über die inneren Kräfte zu urteilen, die im Buddhismus schlummern, und über die Kulturmacht, die dieser einzige ganz große Konkurrent des Christentums darstellt. Die buddhistischen Professoren an der Kaiserlichen Universität in Tokio und die gelehrten Äbte buddhistischer Klöster haben mir gegenüber öfters ihre Verwunderung darüber ausgesprochen, dass wir Abendländer, auch die abendländischen Religionsforscher, meist nur ein einseitiges Bild des Buddhismus haben, das wir unter dem Einfluss Schopenhauers von dem absterbenden Zweig des Buddhismus in Indien gewonnen haben. Das kommt ihnen ungefähr so vor, wie jemand vom Christentum nur die griechisch-katholische Kirche kennen würde, die ja dem orientalischen Mutterboden des Christentums geographisch am nächsten steht, und nun von da aus sich ein Urteil bilden wollte über die Möglichkeiten, die im Christentum enthalten sind.

...

Das ist der Zenismus mit seinem ritterlichen Ideal, seinen vornehmen Klöstern, seiner Kunst, seiner mystischen Naturphilosophie und seinen Meditationsübungen, die den durchaus positiven Zweck der Willenszucht und Weltbeherrschung haben.

Das zweite Gebilde ist ... der Amida-Buddha-Kult mit seinem Grundbegriff der Gnade und seiner positiven Stellung zum weltlichen Beruf.

...

"Schon dieser kurze Blick in die reiche Geisteswelt des Zen-Buddhismus hat gezeigt, dass im Buddhismus in der Tat mehr Lebenskräfte schlummern, als wir nach dem Studium des indischen Buddhismus anzunehmen geneigt sind. Dem nördlichen Buddhismus gegenüber versagt der Einwand, der Buddhismus sei eine lebensverneinende Religion, eine Ermüdungserscheinung, eine Lebenshaltung, die nicht imstand sei, den sittlichen Kampf mit der Welt aufzunehmen.

Der tiefste Gegensatz zwischen Buddhismus und Christentum liegt nicht  darin, dass dort die Welt verneint wird und dass sie hier bejaht, verklärt und beherrscht wird. Es können vielmehr auf beiden Religionsgebieten weltverneinende und weltbejahende Formen entstehen. Der Gegensatz, der die beiden großen Erlösungsreligionen voneinander scheidet, liegt offenbar an einer anderen Stelle. Der Punkt, an dem die beiden Erlösungswege auseinandergehen, ist nicht die verschiedene Stellung zur Welt, sondern die entgegengesetzte Wertung der Einzelpersönlichkeit. Der Anfang aller Erleuchtung besteht nach dem Zen-Buddhismus darin, dass wir uns von der Illusion befreien, als ob eine Einzelseele, ein individuelles Ich existierte. ...

Alle Unterschiede zwischen der christlichen und buddhistischen Grundstimmung und Frömmigkeitspflege lassen sich also auf die entgegengesetzte Schätzung der Einzelexistenz zurückführen. Dieser letzte Gegensatz, der die beiden Erlösungswege trennt, die die Menschen eingeschlagen haben, lässt sich aber nach der Erfahrung der Missionare nicht mehr durch philosophische Auseinandersetzung zum Austrag bringen. Es tritt hier ein Gegensatz der ganzen seelischen Grundeinstellung zutage."

[Heim, Karl <1874-1958>: Glaube u Leben : gesammelte Aufsätze und Vorträge. -- Berlin : Furche, 1925. -- S. 144f., 157ff.]

"HEIM, Karl, ev. Theologe, * 20.1. 1874 in Frauenzimmern im Zabergäu (Württemberg) als Sohn und Enkel eines Pfarrers, † 30.8. 1958 in Tübingen.

Heim wuchs auf im pietistischen Geist seines Elternhauses. Nach dem Besuch der Lateinschule in Kirchheim unter Teck und dem bestandenen "Landexamen" kam er in die niederen Seminare Schöntal und Urach sowie in das Tübinger Stift. Nach seinem ersten Dienstexamen blieb Heim noch ein halbes Jahr in Tübingen, um eine von der Theologischen Fakultät gestellte Preisaufgabe über das Thema "Glaube und Geschichte" auszuarbeiten, für die er auch den ersten Preis erhielt. Heim war dann ein halbes Jahr Vikar in Giengen an der Brenz, danach bis 1899 Lehrer und Vikar am Christlichen Volksschullehrerseminar Tempelhof bei Crailsheim. Nach der zweiten theologischen Prüfung wurde er 1900 Reisesekretär der Deutschen Christlichen Studentenvereinigung (DCSV) in Berlin, 1905 Inspektor des Schlesischen Konvikts in Halle/Saale, 1907 dort Privatdozent für Systematische Theologie, 1914 o. Professor in Münster/Westfalen und 1920 in Tübingen.

Als Theologe ist Heim bekannt durch sein sechsbändiges Lebenswerk "Der evangelische Glaube und das Denken der Gegenwart; Grundzüge einer christlichen Lebensanschauung", an dem er mehr als zwei Jahrzehnte lang gearbeitet hat. Heim hat sich intensiv um das Verhältnis des christlichen Glaubens und der Naturwissenschaft bemüht und eine produktive Auseinandersetzung mit dem neuesten naturwissenschaftlichen Denken vollzogen. Auch ein geschätzter Prediger war Heim, dessen Gottesdienste stark besucht wurden. Er bezeugt in seinen Predigten die entscheidende Bedeutung der Begegnung mit Jesus Christus. So hat eim durch seine erwecklichen Predigten auf mehrere Pfarrergenerationen bleibenden Einfluss ausgeübt."

[Quelle: Friedrich Wilhelm Bautz. -- http://www.bautz.de/bbkl/h/heim_k.shtml. -- Zugriff am 2005-05-05]

1925

Die entscheidende Wende im deutschen Zenverständnis kam dann allerdings nicht durch Theologen, sondern durch zwei deutsche Privatdozenten und einen japanischen Professor, die in Heidelberg beim Neukantianer Heinrich Rickert (1863-1936) Philosophie studierten: Prof. Schûej Ohasama, August Faust (1895 - 1945) und Eugen Herrigel (1884-1955). Ohasama nahm als Laie innerhalb der Rinzai-Zenschule eine gewisse autoritative Stellung ein. Die Drei bemühten sich um eine angemessene auch deutschen Lesern verständliche Übersetzung von Zentexten. Sie erschien 1925 mit einem Geleitwort von Rudolf Otto unter dem Titel:

Zen, der lebendige Buddhismus in Japan : ausgewählte Stücke von Zen-Texten / übersetzt und eingeleitet von Schûej Ohasama ; hrsg. von August Faust. -- Gotha, 1925.

Diese Sammlung ist dadurch bemerkenswert, dass die Übersetzung ein Gemeinschaftswerk ist zwischen einem japanischen Zenkundigen und Deutschen, die die europäische Philosophiegeschichte kannten.

In einer Rezension schreibt A. Attenhofer 1926 -- als ob er die späteren Entwicklungen ahnen würde --:

"Hoffentlich hat das tiefe Buch nicht die Folge, dass wir in Europa zu allen andern geistigen Moden auch noch mit einem Salon-zen bedacht werden. Möge dieses große Bekenntnis vor dem Exotik-Durst unserer literarischen Neurastheniker bewahrt bleiben."

[Zeitschrift für Buddhismus. -- 7 (1926). -- S. 115].

 

"August Faust (geb. 24.7.1895) habilitierte sich 1927 in Tübingen und war dann Privatdozent und Assistent am Philosophischen Seminar in Heidelberg bei Heinrich Rickert, bevor er am 16.6.1933 zum nichtbeamteten außerordentlichen Professor der Philosophie und Pädagogik ebenda und am 1.4.1935 in gleicher Funktion in Tübingen ernannt wurde.80 Am 1.1.1937 wurde er ordentlicher Professor in Breslau. Noch am 15.9.33 wurde Faust ,,trotz einer schweren Kriegsverletzung" 38jährig Mitglied der Hitlerjugend. Am 30.1.37 wurde er im Deutschen Jungvolk der HJ ,,Fähnleinführer" und Sozialreferent. Seit 19.7.34 war er Mitglied des Nationalsozialistischen Lehrerbunds sowie in Heidelberg Fachschaftsleiter der Dozentenschaft und von der Gründung des NSD-Dozentenbunds 1934 an Mitglied der Reichsdozentenführung (in der Breslauer Zeit als Gauschulungsleiter des NSDDB). Am 1. Mai 1937 trat er der NSDAP bei. Das Wissenschaftsministerium betrachtete Faust als ,,Sprachrohr" des Amtes Rosenberg an der Universität Breslau". Als Schüler von Heinrich Rickert lagen seine philosophischen Hauptinteressen in der Transzendentalphilosophie Kants und Fichtes, der Philosophiegeschichte und der politischen Pädagogik. Während des Krieges beteiligte er sich maßgeblich ,,als Treuhänder von Weinhandl" am ,,Kriegseinsatz der Philosophen" und brachte im Rahmen dieser Sub-Institution des vom Wissenschaftsministerium 1940 gegründeten ,,Kriegseinsatz der Geisteswissenschaften" Das Bild des Krieges im deutschen Denken heraus. Er ist Verfasser einer Philosophie des Krieges. Er veranstaltete eine Böhme-Ausgabe, von der er 1943 Rosenberg drei Bände schenkt, die aber eigentümlicherweise nicht im Buchhandel erschien. 1944 ist er für das Thema ,,Glaubensformen im Reich" in einer vom SD initiierten Kleinbuchreihe (,,Das Reich") vorgesehen. Er wirkt zentral mir an Rosenbergs ,,Arbeitsgemeinschaft zur Erforschung der bolschewistischen Weltgefahr". 1945 begeht er nach der Besetzung Breslaus durch die sowjetische Armee Selbstmord."

[Die Kant-Studien im Dritten Reich / von George Leaman, Bowling Green/Gerd Simon, Tübingen. -- URL: http://www.uni-mainz.de/~kant/kfs/ks/history/leaman.html. -- Zugriff am 2003-05-29]

Eugen Herrigel (1884-1955), Philosophieprofessor in Japan (1924-1929) und Erlangen (1929-1945; 1948-1952) wurde nach dem Zweiten Weltkrieg der wichtigste Popularisator von Zen.

[Zu Eugen Herrigel s. Hecker, Hellmuth <1923 - >: Lebensbilder deutscher Buddhisten ; ein bio-bibliographisches Handbuch. -- Konstanz : Universität. -- (Forschungsprojekt "Buddhistischer Modernismus" -- Forschungsberichte)
Band II: Die Nachfolger. -- 1992. -- S. 54-59 (mit ausführlichen Literaturangaben)].


Abb.: Herriegel in Japan

"Eugen Herrigel, 20.03.1884 Lichtenau bei Kehl – 18.04.1955 in Partenkirchen, studierte in Tübingen, zunächst Theologie, später Philosophie mit abschließender Dissertation 1913. Während seiner Habilitation Anfang der 20er Jahre ergaben sich erste Kontakte zu japanischen Wissenschaftlern.

Im Mai 1924 nahm Herrigel eine Gastprofessur an der Kaiserlichen Universität in Sendai an. Während seines fünfeinhalbjährigen Aufenthalts beschäftigte er sich intensiv mit der japanischen Kultur und wurde Schüler im Bogenschiessen bei Meister Kenzo Awa. Diese Erfahrung beschrieb er später (1948) in dem weltbekannten Buch „ZEN in der Kunst des Bogenschießens“, das mittlerweile in 44. Auflage erschienen ist und in 12 Sprachen übersetzt wurde.

1929 nahm Herrigel eine Professur an der Uni Erlangen an und war dort auch stellvertretender Dekan der Philosophischen Fakultät. Nach seiner Versetzung in den Ruhestand lebte Prof. Eugen Herrigel seit dem Jahr 1952 in Partenkirchen, wo er drei Jahre später verstarb und auf dem dortigen Friedhof beerdigt wurde."

[Quelle: http://www.weisheit-des-loslassens.de/weisheit.pdf. -- Zugriff am 2005-05-05]

1933/1934

Zum Folgenden siehe:

Steinke, Ulrich: Karl Bernhard Seidenstücker (1876-1936) : Leben, Schaffen, Wirken. -- Kapitel 9: Buddhismus in Deutschland nach 25 Jahren. -- URL: http://www.payer.de/steinke/steink09.htm

In Berlin erscheint:

Die Kiefer : Monatsschrift für eine junge Gesinnung / hrsg. vom Spreekreis. [ Verantwortlich: Andreas May]. -- Berlin : Bank-, Handels- u. Industriedruckerei. -- Monatlich von April 1933 bis Januar 1934.


Abb.: Eberhard Koebel [Bildquelle: http://home.t-online.de/home/David.Koebel/Zeit-Article_of_Tusk/Zeit-Article_of_Tusk.htm -- Zugriff am 2003-06-17]

Ihr Herausgeber, Eberhard Koebel (genannt "tusk") (1907 - 1955), der aus der bündischen Jugend und der KPD kam, hatte das Buch

Zen, der lebendige Buddhismus in Japan : ausgewählte Stücke von Zen-Texten / übersetzt und eingeleitet von Schûej Ohasama ; hrsg. von August Faust. -- Gotha, 1925.

gelesen und im Rinzai-Zen der Samurai die Kraftquelle entdeckt, mit der er hoffte, den schwierigen Zeiten entgegentreten zu können.

"Ob wir zustimmen oder nicht, wollen oder nicht, wir treten in eine kriegerische Epoche ein. Die Entwertung des Menschenlebens ist in vollem Gang. Ist Zen nicht die geistige Kost, die uns für diese Wirklichkeit wappnet?"

[Die Kiefer. -- 1 (April 1933). -- S. 8].

Koebel pickte sich passende Auszüge heraus aus den ihm zugänglichen Büchern über Zen und Japan, wobei er neben Ohasama-Faust vor allem aus D. T. Suzuki schöpfte. [S. die Bücherlisten in: Die Kiefer. -- 1 (April 1933). -- S. 10].

Ein Beispiel:

"Unsere volle Zustimmung für den Plan, an den Hochschulen Wehrwissenschaft zu lehren. dj. 1. 11 hat dem Militär immer zugejubelt. Sehr willkommen die Pflege der wehrhaften Philosophie! Aber das ist ja nur ein Wort. Wie wird sie aussehen, wie muss heroische Philosophie aussehen? Heroismus zielt auf eine Frage: was ist der Tod? Die Aufgabe der heroischen Philosophielehrer ist, die Schüler aus dem individuellen, verteidigenden »ich« herauszuführen, hinüber in die Harmonie der Heimat, der Schönheit, der wunderbaren Natur, der Vergangenheit und Zukunft. Wenn dann die Schüler sich in der Betrachtung und im Begreifen der Heimat und ihrer Armee verlieren, wenn sie ihr »ich« über sie erweitern und eine mitschwingende Saite der großen Natur sind, dann tötet sie kein Tod mehr.

So und nicht anders wird die heroische Philosophie aussehen müssen, die man den jungen deutschen Waffenträgern lehren will."

Koebel hoffte, durch die Zen-Philosophie eine Stärkung des Willens herbeizuführen. Seine Gruppe wurde bald verboten, er selber floh ins Exil. Er stand in keinerlei Beziehung zu anderen buddhistischen Gruppen.

Zur Person von Eberhard Koebel:

"Koebel, Eberhard (Rudolf Otto), Verbandsfunktionär, Publizist, geb. 22.6.1907 Stuttgart, gest. 31.8.1955 Berlin

Der Sohn eines Oberlandesgerichtsrats war nach dem Besuch der Kunstgewerbeschule Stuttgart seit 1928 als freiberuflicher Graphiker tätig. Bereits 1920 hatte sich Koebel dem Wandervogel Deutscher Bund angeschlossen, gehörte seit 1926 der Deutschen Freischar (DF) an und wurde 1928 DF-Gauführer Schwaben II. 1929-30 arbeitete er als Chefredakteur der "Briefe an die Schwäbische Jungenschaft" in Stuttgart, übersiedelte 1930 nach Berlin und war dort Herausgeber, Chefredakteur und Graphiker zahlreicher bündischer Zeitschriften (u.a. "Briefe an die deutsche Jungenschaft", "Das Lagerfeuer"). 1930 gründete Koebel die "Deutsche Jungenschaft -- Fulda Bund", der sich im selben Jahr mit dem "österreichischen Jungenkorps" zur "deutschen autonomen jungenschaft dj.1.11." zusammenschloss. 1932 trat er der KPD bei, wurde 1934 von der Gestapo verhaftet und floh nach England, wo er 1937 zu den Mitbegründern der Exil-FDJ gehörte. Hier studierte er Sinologie, ging 1948 nach Berlin (Ost), wurde jedoch 1953 unter dem Verdacht der Spionage für England einige Monate inhaftiert und versuchte dann, die bündische Jugendtradition wiederzubeleben."

[Quelle: Deutsche biographische Enzyklopädie & Deutscher biographischer Index. -- CD-ROM-Ed. -- München : Saur, 2001. -- 1 CD-ROM. -- ISBN 3-598-40360-7. -- s.v.]

"tusk der Deutsche : Eberhard Koebel Wandervogel mit vielen Karrieren

 Das „denkMal“ der Jugendbewegung: Hitler-Fan, Bundführer, WG-Gründer, Kommunist, Emigrant, Dissident

Von Heidrun Holzbach-Linsenmaier

„Seh' ich Schwäne nordwärts fliegen . . “

"Jetzt weiß ich, was ich in Lappland gesucht habe. Es ist ja gar kein mystischer, unerklärlicher Drang der Seele gewesen. Ich brauche nicht vor mir Angst zu haben. Es ist ja alles gesund und natürlich. Ich habe mich an einer fremden schweren Arbeit erprobt." Das klingt nach Selbsterfahrung, wenn auch im Ton etwas altbacken. Der dies 1932 schrieb, wird noch heute von Pfadfindergruppen verehrt: Eberhard Koebel, genannt tusk, der Deutsche, war Gründer der dj.1.11, einer legendären Gruppe der bündischen Jugend in der Weimarer Republik. Ihr Markenzeichen, das von tusk nach lappischem Vorbild konstruierte Zelt, die Kohte, wird immer noch von den Pfadfindern aufgeschlagen. Die von ihm entworfenen dunkelblauen Jacken der dj.1.11 wurden vorn Jungvolk der Hitlerjugend und nach dem Krieg von Pfadfindergruppen übernommen. Beeinflusst vom Lebensgefühl und Gedankengut der dj.1.11 waren Widerstandskämpfer wie Helmut Hirsch und Hans Scholl.

Einstigen Mitstreitern gilt Koebel geradezu als mythische Figur, aber einer von ihnen schrieb ihm nach dem Zweiten Weltkrieg:

"Hast Du auch bedacht, wie viele Jungen widerspruchslos und glühend den Zielen des vergangenen Regimes gefolgt sind, weil sie Dir nachlebten? Sind Deine Worte und Briefe Zeugnisse eines gehetzten Gewissens? Wo liegen sie alle, die besten der dj. 1. 11, in Russland und im Westen und in Afrika, wer hat sie so erzogen, dass sie kalt und lachend in den Tod gingen?"

In seinem kurzen Leben hat der 1907 in Stuttgart geborene Eberhard Koebel viele deutsche Karrieren durchlaufen. Aus gutbürgerlichen Verhältnissen stammend der Vater war Richter am Oberlandesgericht Stuttgart -, wurde er ein früher Bewunderer Adolf Hitlers, stieg in der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre zum Protagonisten der bündischen Jugendbewegung auf, bekannte sich 1932 zur Kommunistischen Partei, emigrierte 1934 nach England, wurde von Erich Honecker nach dem Krieg in die DDR geholt und geriet dort prompt wieder ins Abseits. Ausgeschlossen aus der SED, starb er verbittert mit nur 49 Jahren. Die PDS rehabilitierte ihn 1990. Ein Opfer des Stalinismus? Ein antifaschistischer Widerstandskämpfer? Ein Jugendbewegter, der seiner Zeit weit voraus war? Ein geistiger Wegbereiter der Nazis? Oder nur, wie der Potsdamer Historiker Michael Buddrus meint, ein feiger Opportunist? Eberhard Koebel war alles in einem.

Am 15. Mai 1925 erschien im Völkischen Beobachter der Aufruf eines Siebzehnjährigen: "So trefft Euch denn deutsche Jungen unter den Fahnen jenes Mannes, der uns Ziel und Weg wies, unter dem reinen klaren Banner Adolf Hitlers. Was soll es denn, Vereinen und Bünden zu dienen, Vereinsfahnen und Bundeswimpeln die Treue zu schwören, da man doch dem Vaterlande leben, da man doch dem Banner der deutschen Revolutionäre die Gefolgschaft leisten kann."

Koebel hatte den Aufruf nach einem spontanen Besuch bei Hitler in München geschrieben. Der junge Mann verstand sich damals als „Faschist in Reserve“, aber sein Engagement galt entgegen seinem Aufruf nicht der braunen Partei, sondern den „Fahnen“ und „Wimpeln“.

Seit 1922 gehörte Koebel dem Deutschwandervogel an, einem der zahlreichen Bünde in der Tradition der Wandervogelbewegung des Kaiserreichs. Gefragt waren Gemeinschafts- und Naturerlebnisse der Jugendlichen bei Wanderungen und Fahrten, die ein romantisches Lebensgefühl förderten, das identitätsstiftend wirkte und somit die Jungen vom zumeist bürgerlichen Elternhaus abgrenzte. Politisch waren die jungen Bündischen allerdings in der Regel ebenso nationalistisch-konservativ und antidemokratisch wie ihre Eltern. Koebel berichtet, dass seine Gruppe 1924 eine Aufführung von „Dantons Tod“ in Stuttgart sprengte. um gegen die „nationale Schmach“ zu protestieren, dass die „Marseillaise“ auf einer deutschen Bühne gesunden wurde.

Seit 1926 leitete der Graphikstudent zwei Gruppen des Deutschwandervogels und nannte sich „Gauführer“. Als sich ein Teil der zersplitterten Bünde in diesem Jahr zum Deutschen Freischar-Bund der Wandervögel und Pfadfinder zusammenschloss, führte Koebel seine beiden Stuttgarter Gruppen dem neuen Dachverband zu. Die Freischar galt im Vergleich zu anderen Bünden als politisch gemäßigte was aber ihren Vertreter Koebel nicht hinderte, ein internationales Pfadfinderlager in Luxemburg unter Protest zu verlassen, weil dort für die Deutschen die schwarzrotgoldene Flagge der Republik gehisst worden war.

Im Sommer 1927 brach Koebel mit einer Freischargruppe zur Großfahrt nach Schweden auf. Im Jahr zuvor hatte der von Haus aus eher kränkliche Junge nach Abschluss der Oberrealschule bereits eine abenteuerliche fünfmonatige Fahrt mit Freunden zur finnischen Eismeerküste unternommen. Diesmal blieb er nach der Reise allein als Rentierhirte einige Monate bei einer Nomadenfamilie in Lappland. Von dem Aufenthalt brachte er seinen neuen Namen tusk (schwedisch: Tysk) mit und Erfahrungen als, wie er es nannte, „Selbsterringender“. Seine Erlebnisse schlugen sich in Reiseberichten, einem „Raubvogelbuch“ und Liedern nieder, so etwa in dem bekannten „Über meiner Heimat Frühling seh' ich Schwäne nordwärts fliegen“. Koebel wurde jetzt in der Jugendbewegung prominenter.

 Die von ihm entworfene blaue „Jungenschaftsjacke“ ging 1928 bei einer renommierten Stuttgarter Firma in Serienproduktion. Zwei Jahre später begann der Siegeszug seiner Kohte durch die Jugendbewegung, eines Zelts, in dessen Mittelpunkt ein Feuer entzündet werden konnte. Das Abenteuerliche, das tusk anhaftete, zog Jugendliche an. Auch verfügte er über einen starken missionarischen Drang, rhetorisches Talent und die Fähigkeit, Symbole zu schaffen.

Als ihm die Bundesleitung eine wichtige Führungsaufgabe verweigerte, gründete er die „Deutsche Jungenschaft vom 1. November 1929 (dj. 1. 11)“, einen elitären Bund, der als Initialzündung für eine neue Jugendbewegung wirken sollte. Im Dezember 1929 schrieb er an die Mitglieder der dj. 1. 11: „Heute sind wir eine Geheimgruppe. In 4 Monaten werden wir der stärkste Faktor in der Freischar sein. ... In einem Jahr schon ist vielleicht die Hauptsache geschafft. Dann werden wir den politischen und religiösen Bünden die Jugend abnehmen, werden eine Macht sein, mit der Staat, Schule, Kirche einfach rechnen müssen.“ Einzelne Gruppen schlossen sich dem neuen Bund an.

Als die Mitglieder der dj. 1. 11 das Halstuch der Freischar ablegen und statt dessen von Koebel entworfene Rangabzeichen, verschiedenfarbige Kordeln, tragen mussten und er sich schließlich selber zum Reichskreisleiter Süd der Freischar ernannte, reichte es der Bundesführung: Anfang Mai 1930 wurde tusk wegen „Bundesschädigenden Verhaltens“ aus der Freischar ausgeschlossen. Im selben Jahr übersiedelte er nach Berlin, arbeitete dort für den Atlantis-Verlag und gestaltete mehrere Zeitschriften, die er teilweise auch selber herausgab. Auf diesem Weg, so urteilt der Leiter des Archivs der deutschen Jugendbewegung, Walter Mogge, hat er „weite Teile der Jugendbewegung“ geprägt. Was Koebel propagierte, war nichts Originäres, sondern ein Sammelsurium unausgegorener Ideen und romantisierter Lebensbilder. Er entwarf das Bild eines straffen Jungenschaftsordens, dessen Anhänger ihrem Führer bedingungslos zu folgen hatten und auf abenteuerlichen Fahrten und Treffen bürgerliche Normen durchbrechen durften. In „Der gespannte Bogen“, für seine Anhänger heute noch Kultbuch, klingt das so:  

„Komm mit in Gedanken drei Jahre voraus und begeistere dich mit mir an einem Abend einer deutschen Jungenschaftsgruppe irgendwo in einem strahlenden Raum. ... Sie sitzen da in der Tracht der großen jungen Armee, an den Wänden hängen Bilder ihrer Führer... Kein Bub ist nur eine Minute nichts [!] . . . Und sie tanzen und toben in ihren ernsten Uniformen, raufen, deklamieren laut Gedichte. Dann sehen wir sie wie Säulen, Atem und Herzschlag verbergend, in einem Glied stehen und von ihrem Führer Befehle erhalten, unbequeme, rücksichtslose Befehle, die befolgt werden müssen.“

Koebel hatte die Jungenschaft autonom genannt, weil sie frei sein sollte „von jeder Verpflichtung an eine Weltanschauung“. Tatsächlich war sie von der pseudorevolutionären, antirationalistischen, auf Befehl und Gehorsam setzenden Einstellung junger Nationalsozialisten nicht weit entfernt. Was sie darüber hinaus verband, war ein atemloser Aktivismus. Die Jugendlichen wurden mit paramilitärischem Drill und mit Abenteuern ständig in Hochspannung gehalten und so auch auf das „Feldlager des Krieges“ vorbereitet. tusk schrieb 1932:

„Wie Springflut ist's in mir, wenn ich den Gleichschritt der Jungen fühle, wenn ich weiß: mit mir marschieren hunderte, tausende Soldaten des gleichen Ziels: deutsche Jungenschaft. Es ist herrlich, Teil einer Macht zu sein.“

Während in der Wandervogelbewegung des Kaiserreichs noch Schlapphüte und Jacken getragen, Klampfe und Flöte gespielt wurden, dominierten bei den Bündischen der Weimarer Republik zunehmend Uniformen, Trommeln, Pfeifen und Fanfaren. Der Weltkrieg hatte die Jugend brutalisiert und militarisiert. An den Schulen wurde wie im Kaiserreich geprügelt, die vorherrschende politische Einstellung der Lehrer war nationalistisch und antidemokratisch. Sekundärtugenden wie Gehorsam und Disziplin standen hoch im Kurs. Die nüchterne Republik in ihren Anfängen untrennbar mit der Kriegsniederlage verbunden tat wenig, um junge Menschen für sich zu begeistern.  

Die bündische Jugend, in der Gesamtheit der Jugendvereine an Zahl nur gering, gab gleichwohl ideell den Ton an. Sie war nicht nur ihrem Selbstverständnis nach Elite, sie war es auch nach der sozialen Herkunft: Hier tummelten sich die Söhne des Bildungs- und Besitzbürgertums. Abgesehen davon, dass die Hitlerjugend Parteijugend war, verlief an dieser Stelle die entscheidende Trennlinie zwischen jungen Nazis und Bündischen. Ganz bewusst setzte die NSDAP auf „Masse“. War die bündische Jugend schöngeistig und realitätsfern, wandte sich die Hitlerjugend den Alltagssorgen junger Menschen zu. Und die Suggestion, die von dem aggressiven Antisemitismus ausging, nämlich in der Wirklichkeit doch einer Elite, eben einer rassischen, anzugehören, bot diesen Jugendlichen mit ihrem gestörten Selbstwertgefühl bessere Kompensationen als die Ideologien der Bünde. 

Den bündischen Jugendlichen erging es letztlich ebenso wie ihren Eltern, die Führungspositionen in Staat, Wirtschaft und Militär besetzten: Ihnen fehlten der soziale Unterbau, die Massen. Zudem hatten die Nazis etwas, wonach sich die Bündischen vergeblich sehnten: den einen Führer. Koebel versuchte 1931/32 mit aller Kraft, noch einmal die Idee der autonomen Jungenschaft mit Leben zu füllen, diesmal aber als eine „Jungenfront vom Gymnasium bis zur Fabrik“. Am 1. November 1931 gründete er eine der ersten Jugendwohngemeinschaften Berlins. „Die rotgraue Garnison“, eine Achtzimmerwohnung in Berlin-Kreuzberg, wurde zum Zentrum der dj. 1. 11. Später folgten Wohngemeinschaften in anderen Städten. In der Berliner WG war ein von tusk gegründeter Verlag untergebracht, in dem alle WG-Mitglieder arbeiteten. Sie teilten Geld, Verpflegung und Hausarbeit. Streitereien sollten nach Bedarf durch die „Garnisonsversammlung“ geschlichtet werden. Die typischen Wohngemeinschaftsprobleme, wie man sie seit 1968 kennt, gab es offenkundig schon bei den disziplinierten Bündischen, wie ein „Garnisonstagebuch“ belegt. Da wird am 10. 12. 1931 ein WG-Mitglied kritisiert: „Jägulle entpuppt sich als Privatmann. Wenn er mit seiner Arbeit fertig ist, legt er sich ins Bett und schläft.“ Zehn Tage später gehört Jägulle nicht mehr zur „Garnison“, dafür ist das morgendliche Wecken „eine Quelle ständigen Ärgers“. Januar 1932 heißt es: „tusk wird ausziehen, weil er hier zuwenig arbeiten kann. Demnach braucht man also doch Nerven, um hier zu leben.“ Tatsächlich zog Koebel wegen seiner Heirat aus. Am 10. Mai liest man die verwirrende Mitteilung: „Heute wieder Versammlung. Wir beschlossen, als erste Instanz für alle Entscheidungen einen Sowjet einzusetzen. Hitler wurde dazu gewählt.“ Natürlich handelte es sich nicht um Adolf Hitler, sondern um ein WG-Mitglied dieses Namens.  

Tatsächlich hätte Koebel mit seiner für viele Bündische typischen Mischung aus Irrationalismus, Rousseauscher Zivilisationskritik, homoerotischern Jugendkult, Abenteurertum, Militarismus und spintisierender Weltfremdheit weitaus besser zu jenen „linken Leuten von rechts“ um Otto Straßer und seine „Schwarze Front“ gepasst als zu den Kommunisten. Ob er mit seinem Bekenntnis zur KPD wirklich etwas gegen die Nazis unternehmen wollte, ist angesichts seines Verhaltens nach dem 30. Januar 1933 eher zweifelhaft. Bereits ein Jahr zuvor hatte er bei einer Lagebesprechung der dj. 1. 11 erklärt, dass man sich nur mit den drei Parteien auseinandersetzen solle, die das Wirtschaftssystem ändern wollten: KPD, NSDAP und SPD. Seine paradoxe Devise lautete: „Eintritt in eine der drei Parteien, die uns interessieren, mit dem Zweck, für die strikte Durchführung des Sozialismus zu sorgen . . . Im Falle einer waffenmäßigen Auseinandersetzung zwischen Nationalsozialisten und Kommunisten haben sich alle des Kampfes zu enthalten.“ Nachdem er sich der KPD zugewandt hatte, wurde Koebel bei den roten Pfadfindern und beim Arbeitersportverein „Fichte“ aktiv. Gemeinsam mit Harro Schulze-Boysen, dem späteren Kopf der Widerstandsgruppe „Rote Kapelle“, gab er die Zeitschrift Pläne heraus. Schulze-Boysen wohnte zeitweilig auch in der „rotgrauen Garnison“ in Berlin. Koebel blieb der „Vordenker“ der dj. 1. 11; sie hatte sich nach seiner politischen Wende gespalten und zählte nur noch 300 Mann.

Koebels nächste Wende folgte nach Hitlers Ernennung zum Kanzler. Im August 1933 richtete er in seiner Zeitschrift Der Eisbrecher eine begeisterte Grußadresse an Reichsjugendführer Baldur von Schirach: „Die Würfel sind gefallen. Die bündischen Reste stehen teils in innerer . . . Opposition zum Reichsjugendführer. Wir nicht. Die Abgedienten verteidigen ihre Grüppchen weiter. Die lebendigen Kräfte strömen zum Jungvolk und in die Hitlerjugend . . . Viele heulen heute wir lachen.“ Doch Koebel beantragte vergeblich seine Aufnahme in einen nationalsozialistischen Wehrverband. Die neuen Machthaber betrachteten ihn mit Misstrauen, auch wenn Koebels nachträgliche Darstellung, Schirach habe ihn als seinen „Todfeind“ betrachtet, zweifellos Ausdruck seiner Selbstüberschätzung war. Koebel, der mit einigen dj. 1. 11Gruppen weiterarbeitete, ermutigte nun seine Anhänger, in NS-Formationen einzutreten, um dort bündischen Geist am Leben zu erhalten: „Dj. 1. 1 1 ist groß genug, das größte Martyrium auf sich zu nehmen.“

Die Gestapo verhaftete tusk Anfang 1934. Noch in der ersten Nacht schnitt er sich die Pulsadern auf, ein zweiter Selbstmordversuch folgte wenig später. Koebel war der Gestapo weniger als Kommunist suspekt denn als Jugendführer, der seine Lehre „in verhängnisvoller Art an asiatische Heldenideale“ anlehne, wie Sicherheitsdienstchef Reinhard Heydrich dem Oberreichsanwalt berichtete. Koebel, stets auf der Suche nach Neuem, hatte sich mittlerweile für Zen-Buddhismus begeistert. In einem dj 1. 11-Somrnerlager 1933 auf Langeoog wurden Zen-Studien getrieben; im November veröffentlichte Koebel eine „Heldenfibel“. Später hat er die Heldenfibel, die mit ihrem Männlichkeitswahn und ihrer Todesverachtung den Nazis in nichts nachstand, als Anleitung zum „antinazistischen Widerstand“ gedeutet: „Dem im Propagandaministerium zentrierten Pseudo-Heroismus musste ein im Individuum verankerter Heroismus entgegengestellt werden. Denn nur ein solcher konnte zur rechten Stunde zu Befreiungstaten gegen Hitler führen.“ Zu Recht bezweifeln Kritiker, dass der damals 25jährige schon so weitsichtig und kalkuliert für den Widerstand agitiert hat. Allerdings kommt in der Heldenfibel ein elitär-romantisches Denken zum Ausdruck, das sich dem totalitären Anspruch des Nazistaates entzog notfalls durch Selbstmord. Deshalb wohl sprach Heydrich von der „absolut destruktiven Weltanschauung“ tusks. Aus der Haft wurde er vor allem deshalb entlassen, weil die Nazis ihn nicht zum Märtyrer machen wollten. Kursierten doch über ihn die abenteuerlichsten Gerüchte bis hin zu der Legende, er habe sich, mit Pistolen bewaffnet, selber der Polizei gestellt und dort in einer heroischen Geste die Waffen in den Papierkorb geworfen.

Nach seiner Entlassung emigrierte Koebel über Schweden nach England. Von dort aus hielt er Kontakte zu Mitgliedern der dj. 1. 11 aufrecht, die ihn zeitweise auch finanziell unterstützten. Der Kopf einer Widerstandsgruppe wurde er nicht, auch wenn die Nazis ihn dafür hielten. tusks Heldenfibel wurde zum Kultbuch von Jugendgruppen, die in den Widerstand hineinwuchsen. Was dem durchorganisierten öden Alltag der Diktatur fehlte, das schien ihnen tusks Abenteuerromantik zu bieten. Spannender als streng reglementierte Ausflüge der Hitlerjugend waren selbstbestimmte „wilde“ Fahrten nach dj. 1. 11-Manier, bei denen die mittlerweile verbotene Kohte aufgeschlagen, am Lagerfeuer aus tusks Schriften zitiert und bündische Lieder gesungen wurden.  

....

Im Exil war tusk weitgehend isoliert, bis er 1944 in den Ausschuss der Freien Deutschen Bewegung, einer kommunistisch unterwanderten Sammelorganisation der deutschen Emigranten, kooptiert wurde. Sie vertrat er als Delegierter und bürgerliches Aushängeschild bei der Weltjugendkonferenz 1945. FDJ-Chef Erich Honecker schürte Koebels Hoffnungen auf eine neue Karriere in der kommunistischen Jugendbewegung. Im April 1947 schrieb er Koebel, der inzwischen FDJ-Mitglied geworden war: „Es ist zu hoffen, dass Du . . . in Kürze hier erscheinen kannst, um . . . vor allen Dingen Deine Person in der so nützlichen und stürmischen Jugendarbeit einzusetzen.“

Im Jahre 1948 kehrte tusk nach Deutschland zurück. Die SED beförderte ihn jedoch schon bald ins Abseits. Nach nur halbjähriger Tätigkeit als Jugendredakteur beim Berliner Rundfunk wurde ihm wegen „Unverträglichkeit“ gekündigt. Koebel arbeitete von nun an als freier Schriftsteller. 1951 wurde er wegen angeblicher Agententätigkeit aus der SED ausgeschlossen. In seiner exzentrischen Kreativität, seiner dünkelhaften Selbstüberschätzung und seiner politischen Ahnungslosigkeit war Koebel alias tusk ein typischer Vertreter der bündischen Jugend. Den Rest seines Lebens verbrachte er damit, um seine Anerkennung als linientreuer Kommunist zu kämpfen erfolglos. Nach seinem Tod am 31. August 1955 wurde er gleich zweimal beerdigt: zunächst in Ost-Berlin, dann im Stuttgarter Familiengrab."

[In: DIE ZEIT. --  ©1997-02-21]

1936


Abb.: Eugen Herrigel [Bildquelle: http://www.kyudo-hessen.de/geist.html. -- Zugriff am 2003-07-14]

Eugen Herrigel (1884-1955) hält in Berlin vor der Deutsch-Japanischen Gesellschaft einen Vortrag: Die ritterliche Kunst des Bogenschießens. Dieser erscheint in der Zeitschrift Nippon. -- Berlin. -- 1936. -- S. 193-212. Ein Auszug daraus erscheint in: Die Brockensammlung, -- 1936. -- S. 59-61. Wurde ins Japan und Holländische übers. 1948 dt. Buchausgabe

1940

Rosenkranz, Gerhard <1896 - 1983>: Fernost - wohin? : Begegnungen mit den Religionen Japans und Chinas im Umbruch der Gegenwart. -- Heilbronn : Salzer, 1940. -- 304 S. : Ill.

"Das Doppelgesicht des japanischen Buddhismus

Im Irrgarten des philosophischen Buddhismus

Die Otani-Universität ist eine der buddhistischen Hochschulen in Kyoto. Ihre Bücherei besitzt drei wertvolle Exemplare des Tripitaka, der Sammlung der heiligen Schriften des ' Buddhismus. Die beiden älteren Exemplare sind tibetanische Ausgaben, Wertvoller als beide ist das dritte Exemplar; es ist die berühmte Pekinger Ausgabe, die nur noch einmal, und zwar in Frankreich, vorhanden ist. In den Büchergestellen, die den Raum der Bibliothek ausfüllen, bedecken seine Bände 384 Bretter; auf jedem Brett liegt ein Band. Man hat ausgerechnet, dass das Tripitaka beim Druck in einer europäischen Übersetzung 130 000 Druckseiten erfordern würde. So ist ihm durch seinen Umfang von vornherein die Wirkungsmöglichkeit genommen, die etwa die christliche Bibel besitzt. Man hat, gerade auch in Japan, auf buddhistischer Seite den Versuch .gemacht, durch eine Zusammenfassung der wichtigsten Abschnitte des Tripitaka eine „Buddhistische Bibel" herzustellen. Aber der Versuch hat bisher nicht befriedigt.

In einer Ecke des Raumes lassen wir uns nieder. Der heiße Atem des Sommertags dringt von draußen noch durch die geschlossenen Fenster herein. Jetzt sind die Tage, wo die Frauen auf dem Markt die grünen Zikaden in kleinen Bambusgellechten kaufen, dass daheim ihr Flügelschwirren Kühlung vortäusche. Unser Blick wandert noch einmal über alle die Bücher ringsum, und unser Ohr beginnt zu lauschen. Ein Chor von aberhundert Stimmen tönt uns aus den Bänden des Tripitaka entgegen:

„Voller Leid ist das Leben. Nichts ist in der Welt, was nicht Leiden wäre. Des Leidens Ursache aber ist der Lebensdurst. Wie oft du auch stirbst, immer wieder treibt er dich nach dem Tode in diese leidensvolle Welt. Und das Schicksal deines neuen Lebens wirkt dein Karma, das Ergebnis der guten oder bösen Taten, die du in deinem legten Leben vollbrachtest. Reiße dich heraus aus dieser Kette deiner Wiederverkörperungen! Lösche aus deinen Lebensdurst! Dann wird dein Karma erlöschen. Nichts wird dich wieder in das Leben treiben. Du wirst die Erleuchtung erlangen, das Nirvana, wo es kein Leid mehr gibt, weil es keinen Lebensdurst mehr gibt."

So klingt im Unisono der Chor der aberhundert Stimmen, die Botschaft wiedergebend, die der Buddha verkündigte. Es ist eine Erlösungsbotschaft. Wir dürfen das niemals vergessen. Der Buddhismus ist Religion. Jener Chor der aberhundert Stimmen tönt ununterbrochen weiter, auch wenn jetzt in bunter Vielfalt alle die Einzelstimmen hörbar werden, die im Durcheinander, nicht selten auch im Widereinander die philosophischen Gedanken und Erkenntnisse vortragen, die im Laufe der Jahrhunderte über den Weg zur Erlösung gefunden wurden. Nirgends ist diese Vielfalt heute noch so sichtbar wie im japanischen Buddhismus. Viele Gespräche mit Priestern und Professoren haben mir diesen Eindruck in den Tempeln seiner Sekten vermittelt. Wo aber könnte ein Ort geeigneter dafür sein, den Inhalt dieser Gespräche zu überdenken als hier die Bücherei? Hier liegen alle die „Heiligen Schriften", in denen die Lehre des Buddha selber schon nicht einheitlich enthalten ist, weil er sie jeweils der Aufnahmefähigkeit seiner Hörer anzupassen pflegte. Hier liegen alle die Kommentare zu jenen Schriften, deren Verfasser in philosophischem Erkenntnisdrang oder in meditativer Versenkung einen aus der Zahl der möglichen Erlösungswege herausstellten und zum Mittelpunkt ihrer Verkündigung machten. Indem sie nun das eine oder das andere dieser Bücher zum Grundbuch ihrer Lehre machten, entstanden die elf Sekten des japanischen Buddhismus, und, indem auch in ihnen das Verständnis dieser Bücher wiederum sich abwandelte, entstanden ihre zahlreichen Untersekten.

Der Buddhismus wurde offiziell im Jahre 552 aus China über " Korea in Japan eingeführt. Fünfzig Jahre später erstand ihm sein „Konstantin", der Prinzregent Shotoku Taishi (574—622). Herrliche Tempelbauten in Nara, die bis heute erhalten blieben, sind die Zeugen seiner Wirksamkeit, die einen Höhepunkt in der Kulturgeschichte Japans darstellt. Der Buddhismus wurde in Japan in seiner ursprünglichen Form des Hinayana bekannt. „Hinayana" heißt „Kleines Fahrzeug". Sein Ideal ist der „Arhat", der Einzelne, der durch Werke und Verdienste und durch eine immer vollkommenere Erkenntnis der Nichtigkeit des Lebens das Nirvana zu erlangen sucht. Sein Weg ist der schmale Weg des buddhistischen Mönchtums. So gelangte mit dem Hinayana die pessimistische Lebensauffassung Indiens und seine negative Philosophie nach Japan. Es entstanden die Sekten, die als Nara-Sekten bekannt sind. Eine von ihnen, die Kusha-Sekte, machte das „Buch vom metaphysischen Schatz}" (Abhidharma-Kosha-Shastra) zu ihrem Lehrbuch. „Das ,Ich' existiert nicht, und die Welt ist unwirklich", so verkündigt sie. „Nur die Elemente sind wirklich, aus denen Mensch und Welt zusammengesetzt sind. Erkenne die Nichtigkeit der Welt, so wirst du den Schatz erlangen. Schließlich wirst du ein Buddha werden." „Nein", verkündete die Jo-Jitsu-Sekte, die sich auf das „Buch von der Vollendung der Wahrheit" (Satya-Siddhi-Shastra) beruft, „deine Erkenntnis muss noch tiefer dringen. Auch die Elemente sind nicht wirklich. Sie sind es ebensowenig wie dieser Augenblick: eben war er gekommen, und schon ist er wieder entschwunden." Nun war es nur noch ein Schritt zum Nihilismus der Sanron-Sekte, deren kanonischer Text das „Buch über die Meditation des Mittleren Weges" (Madhyamika-Shastra) des Nagarjuna war: „Es gibt weder Wirklichkeit noch Nichtwirklichkeit — es gibt nur die Leere."

Diese drei Hinayana-Sekten haben in Japan nur ein kurzes Dasein gefristet. Zu fremd war dem japanischen Geist die Weltverneinung Indiens, die ihre Philosophie erfüllte. Zu eng war seiner Freiheit der Phänomenalismus der Kusha- und Jo-Jitsu-Lehre. Wie die Lehre Nagarjunas, des radikalen Verneiners, draußen in Indien und China den Weg für eine neue Entwicklung des Buddhismus freigemacht hat, so bedeutet sie auch im frühen japanischen Buddhismus einen Wendepunkt. Nun ist das Denken nicht mehr an Wahrnehmbarkeit gebunden; es beginnt der befreite Geist seine Flügel zu entfalten. Die Hosso-Sekte greift auf das „Vijnaptimatrata-Siddhi-Shastra" zurück: „Das Weltall existiert allein im menschlichen Denken. Außerhalb des Denkens existiert nichts. Wirklich und ewig ist nur das Denken. Die Welt ist Illusion. Das Leben ist ein Traum." Hier ist der Glaube an die Unbeständigkeit alles Seienden, die dem von Erdbeben erschütterten Japan sehr vertraut ist, überwunden. Es ist der Glaube an ein Letztes, Absolutes an seine Stelle getreten. Und nun ertönt die Verkündigung des „Avatamsaka-Sutra" des Vasubandhu, das im japanischen Buddhismus besondere Bedeutung gewonnen hat. Ihre Verkünderin ist die Kegon-Sekte. „Das Letzte, Absolute, einzig Wirkliche ist Bhutatathata. Es ist der ruhende Kern in all den veränderlichen Erscheinungen dieses Lebens. Es ist das „wahre Wesen", das uns und alles in der Welt mit dem Buddha verbindet. Wie die Stimme im Echo und im Echo die Stimme wiedertönt, so ist der Buddha in den Erscheinungen, so sind die Erscheinungen im Buddha enthalten. Durch Myriaden von Buddhas lebt in jedem Atom der Welt die helfende Güte des Buddha für alle fühlenden Wesen! Freue dich, Mensch, du stehst nicht allein im Kampf gegen das Leid! Buddha ist mit dir!"

Mit dieser gewaltigen, Welten umspannenden, pantheistischen Philosophie der Kegon-Sekte sind wir aus dem Gebiet des Hinayana- in das des Mahayana-Buddhismus hinübergetreten, der dem japanischen Buddhismus sein Gepräge gegeben hat. Im „Mahayana", dem „Großen Fahrzeug", ist an die Stelle des „Arhat" der „Bodhisattva" getreten, der auf den Eingang ins Nirvana verzichtet, um vorher noch seine Mitmenschen zu erlösen. An die Stelle der Mönchsgemeinschaft ist die Weltbruderschaft der Menschheit getreten, an die Stelle des Heilslehrers Buddha das höchste Buddhawesen, das in unzähligen Buddhas und Bodhisattvas, auch in den Göttern anderer Religionen sich offenbart, um zu erlösen. Dieser Schritt aus der Enge in die Weite, der den Buddhismus zur Weltreligion gemacht hat, erfolgte schon in Indien. Er wurde wirksamer und sichtbarer in China. Er erhielt sein volles Gewicht in Japan.

Reste der Hosso- und der Kegon-Sekte sind noch heute erhalten. Ihre Bedeutung aber ist gering. Größer ist der Beitrag, den sie mit ihren Schriften und ihrer Philosophie ebenso wie die drei toten Sekten zum Aufbau des Buddhismus, wie er heute in Japan lebt, geleistet haben. Und unvergesslich wird jedem, der sie besucht hat, die Stätte bleiben, wo durch sie der Buddhismus in Japan Eingang gefunden hat: Nara. Einst die stolze Hauptstadt Japans, ist Nara heute die Hauptstadt einer Präfektur. Rings um die Stadt herum liegen in friedlichem Beieinander die über tausend Jahre alten Tempel und Schreine. Sie sind die Zeugen einer Zeit, in der Shinto und Buddhismus ihren Anhängern gegenseitig ihre Heiligtümer öffneten, in der die Götter des Shinto als Verkörperungen des ewigen Buddhawesens im Buddhismus und die buddhistischen Götter als Schützlinge der Shinto-Gottheiten im Shinto Aufnahme fanden. Erst im vorigen Jahrhundert hat der seiner eigenen Kraft bewusst gewordene Shinto diesem Zusammenleben ein Ende bereitet.

An einem Maientage betreten wir den Park, der sich in schier unermesslicher Weite von der Stadt an den Bergen hinaufzieht. Der Regen der letzten Tage hat aufgehört. Aber noch leuchtet der Silberglanz, den er auf die Blätter der riesigen Kampferbäume gelegt hat. Tropfen fallen von Blatt zu Blatt in Bäumen und Büschen. Es ist, als sei alles um uns zu flüsterndem Leben erwacht. „Buddha in allem und alles in Buddha", so huscht es uns durch den Sinn. Hier sind Mensch und Tier Freunde geworden. Rehe, die zu Hunderten im Parke frei sich bewegen, nähern sich ohne Scheu und lassen sich von uns füttern. Ein tiefer Friede zieht in unsere Herzen ein. Alles Harte löst sich auf im Dämmerlicht und im Schweigen um uns und im Duft der Kampferbäume und der Jasminbüsche, durch die wir dahinschreiten wie mit dem Schritt langsamer, versunkener Pilger. Eine breite Allee, die zu beiden Seiten mit Steinlaternen besetzt ist, führt durch zwei Toris zum Kasuga-Schrein. Rot und schwarz leuchten uns seine Wände und Säulen aus Lackholz entgegen. Tausende von Bronzelaternen umkränzen seine Gebäude. Es ist ein gutes Werk, das alte Pferd, das in seinem heiligen Stalle steht, mit Bohnen zu füttern. Ein anderer Schrein ist dem Hachiman geweiht. Am wundervoll schlichten „Tempel des dritten Monats" steigen wir auf steilen Stufen zum „Tempel des zweiten Monats" empor, der an den Berg gebaut ist und dessen vorspringende „Fackel-Galerie" auf hölzernen Pfeilern ruht. Unter uns dehnen sich Park und Land, über uns gleiten in grauem Zuge die Wolken dahin. Wir stehen wie im Traum. Die Stille hat uns eingesponnen. Erst als dumpf von drunten die Große Glocke des Todai-ji, des Haupttempels der Kegon-Sekte, herauftönt, lösen wir uns langsam aus dem Traum. Willenlos bleibt unser Abwärtsschreiten. Ein neues Wunder begegnet uns in der Haupthalle des Tempels, der höchsten Holzhalle der Welt: wir stehen vor dem 40 Meter hohen Standbild des Buddha Vairocana. Es ist im achten Jahrhundert aus einer Mischung von Gold und Bronze gegossen. Das Gold sollte nach dem Willen des Kaisers den Buddhismus, die Bronze den Shinto symbolisieren; das Antlitz vereint die Züge des indischen Vairocana und der japanischen Amaterasu. Es mag sein, dass die großen Standbilder des Buddha Amida in der herrlichen Phönixhalle zu Uji und im Park von Kamakura künstlerisch wertvoller sind; aber vollkommener ist auch dort nicht als hier die Heiterkeit des Herzens, die dem geschenkt wird, der zum friedlich lächelnden Antlitz des Buddha emporschaut. In der Halle steht eine hohe, breite Säule mit einem kleinen Loch; wer sich durch dies Loch hindurchzuzwängen vermag, gelangt ins Nirvana.

Die Bahn bringt uns nach dem Dorfe Horyu-ji in der Nähe von Nara, in dem der Hosso-Tempel gleichen Namens liegt. Er ist 586 gegründet und somit der älteste Tempel Japans und der älteste noch erhaltene Holzbau in der Welt. Seine Räume sind voller Erinnerungen an seinen Erbauer Shotoku Taishi. In hohem, leichtem Wuchs erhebt sich die fünfstöckige Pagode, die unten in einem Gipsfries Szenen aus dem Leben des Buddha trägt. Unermesslich sind die Schätze, die der Tempel mit seinen Skulpturen und Wandmalereien aus der Frühzeit des japanischen Buddhismus in seinen Hallen bewahrt hat. Das Schönste und Kostbarste unter ihnen ist der Hausaltar der Kaiserin Suiko, der in seinem Gehäuse die ältesten Buddhabilder Japans birgt. Er war früher mit den durchsichtigen Flügeln eines Insektes ausgelegt und trägt daher seinen Namen „Tamamushi-no-Zushi" („Käfer-Heiligtum"). Hier wie an den anderen Kunstwerken sind die Einflüsse indischer und chinesischer Kunst so stark sichtbar, dass man nur mit Mühe die Ansäge originaler japanischer Gestaltung entdeckt. Und doch ist der japanische Geist stark genug gewesen, auch hier aus dem übernommenen Gut alsbald ein Neues zu gestalten, das unverkennbar das Gepräge seines Wesens trägt. Und dies ist der andere Eindruck, den wir mit uns nehmen, während wir durch das Tempelgebiet um Nara wieder heimfahren: wie schöpferisch ist dieser frühe Buddhismus gewesen! Nicht nur in Bauten und Bildwerken, nicht nur in Dingen der Kunst, sondern in allen Bezirken der Kultur hat er dem japanischen Volke einen Neuanfang gebracht. Alle diese Tempel waren damals zugleich Schulen und Hospitäler, Waisenhäuser und Altersheime. Und wie ihre Mönche lehrten, heilten und das Land urbar machten, so finden sich unter ihren Anhängern Kaiserinnen, die ihr Leben in der Pflege der Kranken verbrachten.

Die Gründer der Nara-Sekten waren teils Koreaner und Chinesen, teils japanische Priester gewesen, die den Buddhismus in China studiert hatten. Auch die Gründer der Tendai-und der Shingon-Sekte, Dengyo Daishi und Kobo Daishi, deren Wirken einen neuen Zeitabschnitt in der Geschichte des japanischen Buddhismus einleitet, befanden sich zu einem Studienaufenthalt in China. „In allem, was lebt, und auch in dem, was leblos ist, west Buddha", so lehrt die Tendai-wie die Kegon-Sekte. Das ,,Sutra vom Lotus des Guten Gesetzes (Saddharma-Pundarika-Sutra) ist ihre heilige Schrift. Dann aber fährt sie fort: „Nicht nur die ,fühlenden Wesen', sondern auch alles Leblose, Organisches wie Anorganisches, Gutes wie Böses — alles ohne Ausnahme kann die Buddhaschaft erlangen." Die Shingon-Sekte beruft sich auf das „Mahavairocana-" und das „Vajrashekhara-Sutra". Auch sie nimmt den Buddha als metaphysisches Prinzip, das in allem ist und durch das alles ist. Sie nennt dieses Prinzip „Dainichi-Nyorai" (Mahavairocana), „Großer Erleuchter". „Aber es genügt nicht", so lehrt sie weiter, „dass wir die Welt von außen sehen, wir müssen lernen, sie von innen zu sehen. Alles, was existiert, hat eine Außen- und eine Innenseite. Wir bemühen uns, in die Geheimnisse der Innenseite einzudringen." Das Hilfsmittel dafür ist das „Mandala". Es ist eine symbolische Zeichnung, die aus zwei Teilen besteht. In dem einen Teil ist Mahavairocana als das wesentliche und dynamische Zentrum des Kosmos, in dem anderen ist er als die in der Welt der Erscheinungen wirkende Macht dargestellt. Wer in ein solches Mandala sich versenkt, der stellt zwischen sich und jenen Symbolen die Verbindung her, die wesensmäßig in ihm angelegt ist. Damit waren einem mystisch-magischen Ritualismus Tür und Tor geöffnet, der sich in seinem Ursprung auf hinduistische Vorstellungen zurückführen lässt. In breitem Strom flutete dieser Ritualismus in die Shingon-Sekte, und nicht nur in sie, sondern auch in die Tendai-Sekte hinein, die ihren Anhängern mit ihrer Philosophie allzu Hohes zumutete. Dieses Absinken in ein an Formeln und Zeremonien überreiches Ritualwesen verleiht der zweiten Epoche des japanischen Buddhismus, seiner Heian-Periode, geradezu ihr Gepräge.

Heian (heute Kyoto) war der Name der neuen Hauptstadt, die 784 an die Stelle Naras trat. In ihrer Nähe liegt der Berg Hiei. Auf ihn zog sich Dengyo Daishi zurück, als er vom Tien-tai in China mit der neuen Lehre heimgekehrt war. Hier d erbaute er auf Befehl des Kaisers, damit die Hauptstadt vor widrigen atmosphärischen Einflüssen aus dem Nordosten bewahrt bliebe, auf dem Gipfel des Berges den Haupttempel der neuen Sekte, den Enryaku-ji. Die Wipfel uralter Zypressen halten über seinen Hallen die Wacht. Auf dem Altar der Haupthalle leuchtet golden im Dunkel eine Statue des Yakushi-Nyorai (Medizin-Buddha), die Dengyo geschnitzt hat. Zu seinen Füßen finden wir zwischen Kerzen einen Priester, der Sutrastellen liest und kleine Glöckchen anschlägt. Draußen aber geht unser Blick hinunter auf die Großstadt Kyoto auf der einen und auf die stille, blaue Fläche des Biwa-Sees auf der anderen Seite des Berges.

Das Hauptheiligtum der Shingon-Sekte liegt auf dem Berge Koya. Kobo Daishi gründete es nach seiner Rückkehr aus China, von wo er die Shingon-Lehre, die Lehre des „Wahren Wortes", mitbrachte. Wir erreichen den Koya-zan von Osaka aus mit Bahn und Zahnradbahn. In steiler Fahrt geht die Fahrt zu ihm hinauf. Immer tiefer bleibt der Fluss unter uns zurück, an dessen Ufer wir eben noch fuhren. Seltener werden die kleinen, grauen Dörfer, die an den Berghängen liegen. Hier und dort flammt rot ein Ahorn auf. In dichten Zedernwäldern erreichen wir den Gipfel. Rikscha-Kulis stürzen sich an der Haltestelle in schreiendem Rudel auf uns, um uns ihre Dienste anzubieten. Wir wehren ab. Der Zäheste von ihnen bleibt erst hinter mir zurück, als seine Kameraden ihm zurufen: „Schrei' doch nicht so! Der Fremde ist ja so groß, dass er deine Stimme da oben gar nicht hört!" Am Eingang sitzt eine Gruppe des Nationalen Frauenverbandes; mit ihrem Gesang, zu dem im Takt kleine Glocken geschwungen werden, bittet sie um Gaben für die Soldaten in China. Gasthäuser gibt es auf dem Koya-zan nicht. Wir werden in einen der vielen Tempel verwiesen, die für die Aufnahme der Besucher eingerichtet sind. Durch dunklen Zedernwald, in dem blühende Kirschbäume wie Märchengestalten stehen, führt uns der Weg. Ein Priester empfängt uns freundlich mit Tee und Kuchen. Draußen scheint die Sonne in einen kleinen Garten hinein; hell leuchtet sie durch die Schiebewände, die wir der Kühle wegen geschlossen halten. Ein Brunnen tropft in der Nähe. Unsere Gespräche verstummen; wir geben uns dem Schweigen um uns und seinem Frieden hin. Später holt uns ein Student der Koya-zan-Universität ab. Im Haupttempel erwartet uns ein Oberpriester. Wieder werden wir mit Tee und Kuchen bewillkommnet. Während wir uns über Shingon-Philosophie unterhalten, geht unser Blick in den Garten hinaus. Er gleicht einem Garten in den zen-buddhistischen Tempeln. Auf einer Fläche festgestampften, weißen Sandes liegen große und kleine Felsblöcke verstreut. Die Fläche stellt den Ozean dar; die Steine sind Inseln oder Tiere. Wir werden durch Hallen und Pagoden geführt und bewundern im Schatzhaus die herrlichen Schätze japanischer Malerei und Skulptur. Unter ihnen sind die Mandalas, die Kobo Daishi gezeichnet hat. In einer der Hallen thront auf dem Altar die vergoldete Plastik des Dainichi-Nyorai, der auf einem Pfau reitet. Die meisten Götterbilder stehen halbverborgen hinter einem Vorhang oder Gitter. Auch hier sind, wie in den meisten Tempeln Japans, die Gebäude nicht alt, da sie mehrfach durch Brände zerstört wurden.

Langsam hat uns unser Weg dem berühmten Friedhof auf dem Koya-zan entgegengeführt. An seinem Eingang erhebt sich eine hohe Steintafel, eine Nachbildung des Nestorianer-Denkmals von Si-an in China. Mrs. Gordon, eine Amerikanerin, hat sie 1911 hier aufstellen lassen. Sie glaubte Einflüsse des nestorianischen Christentums, dem Kobo in China begegnet sei, auf die Shingon-Lehre feststellen zu können. Nun umfängt uns der Friede dieses einzigartigen Waldfriedhofes. Unter unendlich hohen, Jahrhunderte alten Zedern-Riesen stehen die zahllosen Grabsteine: kleine rechteckige Steine, runde Obelisken, Statuen des Gottes Jizu mit umgehängten roten Tüchern, hochaufragende Stupas in unübersehbarer Vielfältigkeit. Hier ruht die Asche aller derer aus Jahrhunderten bis heute, die in ihrem Tode dem Kobo Daishi nahe sein wollten. Immer weiter windet sich unser Weg durch das Gräberfeld dahin. Mit ihren niederwallenden Zweigen und dem sich aufbäumenden Gewirr der Wurzeln stehen die Zedern wie riesige Gespenster da. Als die Abenddämmerung zwischen den Stämmen niedersinkt, glüht das Licht in den Steinlaternen an unserem Wege auf. Leiser wird das Singen der Nachtigallen. Wieder einmal gehen wir dahin wie im Traum. Vor uns liegt, von Tempelhallen umgeben und in eine Weihrauchwolke eingehüllt, das Grab des Kobo Daishi.

Auch jetzt am Abend noch stehen dichte Menschenscharen anbetend vor ihm. Viele sind unter ihnen, die nach tage-, ja oft wochenlanger Pilgerfahrt mit all ihren Mühen und Entbehrungen hier das Ziel ihrer Sehnsucht erreichten. Haben sie es nun nicht nur äußerlich, sondern auch innerlich erreicht? Ihre Gesichter sind versunken dem Grabe zugewandt. Die Augen sind geschlossen. Eine Antwort finden wir nicht. Langsam gehen wir heim. Der Abendwind weht in leisen Stößen durch die Dunkelheit. Es ist, als streiften uns die kühlen Schatten derer, die hier ruhen. Viele Große sind unter ihnen, niemand aber ist größer als er, dessen Namen Japan immer wieder dankbar rühmt: Kobo Daishi. Er ist nicht tot, sagen seine Anhänger. Lebend weilt er in seinem Grabe. Und einst, wenn seine Zeit gekommen ist, wird er wieder auf Erden erscheinen als der Buddha Maitreya, der Buddha der Zukunft.

Im Gegensatz zu heute, wo der Tendai- und der Shingon-Buddhismus in den breiten Massen des Volkes lebt, gehörten die Anhänger der beiden Sekten in ihren ersten Jahrhunderten den höheren Schichten des Volkes an. Sie hatten die Muße, die die Beschäftigung mit der Tendai-Philosophie und mit den Shingon-Zeremonien erforderte. So entstand eine neue Richtung des Buddhismus, die sich mit ihrer Verkündigung an das ganze Volk wandte: der „Buddhismus des Reinen Landes" (Jodo-Buddhismus). Die kanonischen Texte seiner drei Sekten sind die drei Amida-Sutren. Sie stammen aus China, wo auch die Jodo-Lehre schon in früheren Jahrhunderten ausgebildet war. Aber die Gründer der Jodo-Sekten waren nicht in China gewesen. Die Anrufung des Buddha Amida war durch den Tendai-Buddhismus nach Japan gekommen und in ihm auch geübt worden. Nun hob Ryonin (1072—1132) sie aus dem Tendai-Buddhismus heraus und machte sie zum Mittelpunkt seiner Verkündigung. Er gründete die erste der Jodo-Sekten, die Yuzu-Nembutsu-Sekte mit ihrer Botschaft: „Dauernde Wiederholung des Gebetes ,Namu Amida Butsu' (Anbetung dem Buddha Amida!) führt zur Erlösung." Honen Shonin (1133—1212) befreite die neue Lehre von den philosophischen Ideen der Kegon-Lehre, die sie übernommen hatte. Durch ihn entstand die Jodo-Sekte. Ihre Botschaft lautet: „Nicht Philosophie und Meditation führen zur Erlösung, sondern allein der Glaube an die Gnade Amidas aus reinem Herzen. Amida ist kein transzendenter Gott, der die Welt geschaffen hat, sondern das immanente Wesen aller Dinge. Amida ist das grenzenlose Licht', ewige Zeit, ewiger Raum, ewiges Leben. Er ist das Absolute, das in Gautama Buddha auf Erden Gestalt gewann. Wie die Sonne nicht anders kann als leuchten, so kann Amida nicht anders als den Menschen erlösen. Der Mensch muss sich nur seiner Gnade öffnen. Das geschieht, wenn er in seinem Leben auch nur zehnmal ruft: ,Namu Amida Butsu'. Dann erlangt er das Reine Land, das Paradies des Westens. Er geht auf in Amida, er geht ein ins Nirvana, er ist ein Buddha geworden."

Als wir durch das zweistöckige Tor den Bezirk des Chion-in in Kyoto, des Hauptheiligtumes der Jodo-Sekte, betreten, kommen wir in die Vorbereitungen für eine Festwoche, die ihren Höhepunkt am Todestage Honens hat. Fahnen, bunte Bänder und Papierlaternen zwischen den Hallen geben der Stätte, die sich droben in Bergwäldern verliert, den Glanz einer Heiterkeit, die es uns spüren lässt, wie weit wir hier vom ursprünglichen Buddhismus entfernt sind. Aus der Haupthalle dringt das Murmeln von zweihundert Priestern, die in einer Zeremonie vor dem Bilde Honens zu Amida beten. Wie die anderen Hallen, so ist auch sie mehrfach vom Feuer zerstört worden. Jetzt hängt unter ihrem Dach ein Regenschirm als Schutzzauber gegen neue Brände. Der Wind soll ihn aus der Hand eines Knaben, der niemand anderes war als der Shinto-Gott Inari, dorthin getragen haben. Der Chion-in besitzt viele Kunstwerke. Ein anderer Tempel in Kyoto, den auch Honen gründete, ist der Chion-ji. Im Volksmunde heißt er der Hyakumam-ben, der „Eine-Million-Mal-Tempel". Hier wurde für einen erkrankten Kaiser das Nembutsu ein-millionenmal gebetet. Andächtig zeigt uns der Priester den Rosenkranz aus 1080 Perlen, den der Kaiser dem Tempel schenkte und der hier als Nationalschatz aufbewahrt wird. Seit einigen Jahren hat der Tempel eine Nachbildung des Rosenkranzes mit 1080 faustgroßen Holzperlen. Das Gebilde ist 356 Fuß lang und hängt im Kreis frei zwischen den Holzsäulen. Wenn er gebetet wird, lassen ihn zweihundert Männer im Takt nach den Schlägen von zehn Gongs durch ihre Hände gleiten.

Die größte nicht nur unter den Jodo-, sondern unter allen buddhistischen Sekten Japans ist die Jodo - Shin - Sekte (Die Wahre Sekte des Reinen Landes). Ihr Gründer ist Shinran Shonin (1173—1262). Bot das Nembutsu Honens noch immer die Möglichkeit, Erlösung aus eigener Kraft (Jinriki) zu erwerben, so stellt Shinran ihren Erwerb radikal in die Kraft eines anderen (Tariki), eben Amidas. Der Nishi-Hongwan-ji, in dem angeblich ein Teil des Neuen Testaments in Shinrans Handschrift aufbewahrt wird, und der Higashi-Hongwan-ji in Kyoto sind die Haupttempel der Sekte, deren Priester heiraten und Fleisch essen dürfen. Schlicht und wuchtig sind die gewaltigen Hallen des Higashi-Hongwan-ji; in ihrer jetzigen Gestalt sind sie erst vierzig Jahre alt. Es gibt in ihnen kein elektrisches Licht, und Zündhölzer dürfen nicht verwendet werden. Das Feuer wird von einer ewigen Flamme geholt, die in der Haupthalle brennt. Der Priester erklärt uns die Malereien an den Schiebewänden des Raumes, in dem wir sitzen. Dort der Bambus, der vom Winde gebeugt und von Sperlingen ruhelos umflattert wird, ist ein Sinnbild der Mühsal des Lebens. Hier die lustig flatternden Sperlinge sind ein Symbol der Freude in Amida. Und dort der Reiher auf einer großen, weit ausladenden Weide stellt die Geborgenheit in Amida dar. Priester überreichen uns ein Büchlein mit den „Hauptlehren der Wahren Sekte des Reinen Landes" und sind zu Erklärungen freundlich bereit. Das ewige Buddhawesen trägt wegen seines Liebes- und Erlösungswillens, der alle Grenzen von Zeit und Raum überschreitet, die Namen „Amitayus" (Ewiges Leben) und „Amithaba" (Ewiges Licht), abgekürzt „Amida". Im Gautama Buddha, dem indischen Fürstensohn aus dem Geschlecht der Shakya, erschien Amida-Buddha auf Erden, um der Menschheit seinen Erlösungswillen zu offenbaren. Das geschah durch seine Verkündigung, wie sie im Amitayus-Sutra enthalten ist. Darin spricht Gautama von einem Mönch Dharmakara, in dem das ewige Buddhawesen menschliche Gestalt angenommen habe. Er habe als Bodhisattva das Gelübde getan, solange auf den Eingang in das Paradies des Westens zu verzichten, bis alle Menschen, die an Amida glauben, darin wiedergeboren seien. Jeder kann der Erlösung durch Amida teilhaftig werden; jeder kann auch diesen Verzicht im Dienst seiner leidenden Mitmenschen leisten. Die Menschheit ist radikal böse und unwissend. Darum leidet sie. Ein Gericht über ihre Sünde findet nicht statt; denn es ist kein Gott da, der richten könnte. Amida ist ja das Liebe ausstrahlende Buddhawesen. Hier drohen den Amida-Gläubigen die Gefahren eines Lebens jenseits von Gut und Böse, denen sie, wie wir sahen, nur zu leicht erliegen. Aber wegen ihrer Sündhaftigkeit ist die Menschheit gänzlich außerstande, irgend etwas aus eigener Kraft zu ihrer Erlösung zu tun. Sie kann nur bereit sein, sich von Amida erlösen zu lassen. Diese Bereitschaft tut sie kund im Ruf: „Namu Amida Butsu." Der Ruf ist kein Gebet; denn es ist kein Gott da, dem man Bitte, Lob oder Dank darbringen könnte. Er ist ein Akt des Glaubens, durch den der Anschluss an den Erlösungswillen Amidas hergestellt wird. Nun ist die Erleuchtung, der Eingang ins Reine Land, das Nirvana, für den Amida-Gläubigen nach seinem Tode gesichert. Das ist die Lehre der Shin-Sekte. In ihr ist an die Stelle der Philosophie der Glaube an die Erlösung getreten, der aber vom Erlösungsglauben des Christentums abgrundtief getrennt bleibt. Die Shin-Priester wissen und sagen das im allgemeinen deutlicher als etliche christliche Theologen im Abendland. Auch hinter der Verkündigung des Shinran klingt der Chor der aberhundert Stimmen, die aus dem Tripitaka an unser Ohr tönen. In den Tempeln der Shin-Sekte findet sich nicht die Unzahl der Göttergestalten wie in den Tempeln der anderen Sekten. Sie ist zusammengefasst in der Gruppe des „Dreifachen Mida": Amida, Kwannon und Seishi. Dem Amida wird eine so bevorzugte Verehrung zuteil, dass wir von Monolatrie sprechen können. Die Lehre der Sekte aber wird beherrscht vom Pantheismus, der sie mit dem übrigen Mahayana-Buddhismus verbindet.

Leise öffnet sich die Tür zur Bibliothek. Ein älterer Herr im schlichten Kimono tritt auf uns zu. Freundlich grüßen uns seine Augen aus dem feinen Gelehrtengesicht. Es ist Professor D. T. Suzuki von der Otani-Universität. Wir haben ihn vorhin bei unserem Besuche verpasst, nun sucht er uns hier auf. Seine Arbeiten über den japanischen Zen - Buddhismus haben seinen Namen der Welt bekannt gemacht. Er deutet auf die Amida-Sutras vor uns, die wir aus den Büchergestellen herausgenommen haben: „Alle buddhistischen Sekten haben heilige Schriften. Unser Text aber ist die Natur da draußen und die Natur in uns, die ganze weite Natur, durch die wir eins sind mit dem Buddha. Wir sind Buddha. Wir wissen es nur nicht. Wir müssen es lernen. Wir selbst sind uns das Textbuch. Wir müssen uns in uns hineinversenken. Wir müssen uns selber lesen. Dann werden wir die Erleuchtung erlangen. Wir brauchen nicht erst Buddha zu werden, sondern wir müssen als Buddha handeln."


Abb.: Zen-Mönche bei der Meditation im Soji-Tempel zu Tsurami [Bildquelle: a.a.O., vor S. 145]

Der Zen-Buddhismus, von dem Professor Suzuki spricht, fand in der gleichen Zeit in Japan Aufnahme, als der Shin-Buddhismus entstand. Er stammt aus China, wo er sich unter starken Einflüssen der Lehre des Lao-tse entwickelt hatte. Mit der Einfachheit und Herbheit seiner Lehre wurde er, mit konfuzianischen Lehren verbunden, im Bushido („Ritterweg"), zur Religion des japanischen Militärs. Wir haben immer wieder die starken Wirkungen angetroffen, die von ihm auf die Kultur Japans ausgegangen sind. Suzuki fährt fort:

„Wir kennen kein Paradies, in dem wir nach dem Tode wiedergeboren werden; hier auf Erden ist unser Paradies. Wir brauchen nicht erlöst zu werden. Wir sind erlöst. Nur müssen wir das erkennen." Suzuki holt aus einem Bücherbord ein Buch und blättert darin. Dann liest er: „Ihr Schüler, die ihr nach der Wahrheit strebt! Wenn ihr die rechte Kenntnis des Zen erlangen wollt, dann gebt acht, dass ihr euch nicht selber täuscht. Wenn euch auf eurem Wege Buddha begegnet — tötet ihn! Wenn euch die Patriarchen begegnen — tötet sie! Wenn euch die Heiligen begegnen — tötet sie ohne Zögern! Nur so erlangt ihr das Heil. Ich sage euch: Kein Buddha! Keine Lehre! Keine Ordensregel! Keine Nachweise!

Was sucht ihr immer im Hause eures Nachbars, ihr mit Augen wie Maulwürfe? Merkt ihr nicht, dass ihr dadurch einen anderen über euch setzt?" Suzuki fügt hinzu: „Das schreibt Rin-zai, der Gründer des Zen-Buddhismus in China. So ist es bis heute geblieben: wir leben nicht nach dem Wort des Buddha, sondern aus seinem Geist." Suzuki schildert uns die Methoden, nach denen der Zen-Buddhist sein Leben aus dem Geist des Buddha führt: in der Erkenntnis seiner Einheit mit dem Buddha, die er durch Meditation gewinnt, findet er „Satori" (Erleuchtung) und damit die Erlösung. Es ist der Bezirk der Mystik mit ihren vielfachen Kontemplations-Praktiken, in den wir hier geführt werden. „Wer den Weg des Zen zu Ende geht, wird arm und rein wie ein Kind. Aber" — der alte Herr lächelt uns an — „einen Gott kennt er nicht, der das Kind sein eigen nennt. Auch von dieser Bindung ist er frei."

„Wie denken Sie über das Verhältnis von Buddhismus und Christentum in Japan?"

„In ferner Zeit werden die Religionen sich vereinigen. Entweder wird der Buddhismus, der für alle Religionen Plag hat, das Christentum in sich aufnehmen, oder das Christentum wird alle Religionen verdrängen."

„Und", fragen wir weiter, „wie sehen Sie die Stellung des Buddhismus zur japanischen Nationalreligion?" Wir fügen hinzu, dass wir in den buddhistischen Tempeln viele Anzeichen dafür wahrgenommen haben, dass der Buddhismus sich in den .< Dienst der „Generalmobilisierung des Volksgeistes" gestellt hat. Fahnen, Wimpel und Plakate mit nationalen Hoheitszeichen und Aufrufen zeugten davon. In Tokyo besuchte ich in einem Tempel einen buddhistischen Professor, der in Heidelberg studiert hat und der eben — es war am Geburtstag Buddhas — die Nachmittagspredigt gehalten hatte. Freudestrahlend kam er auf mich zu. „Ich habe eben über Nationalsozialismus und Arbeitsdienst im Dritten Reich' gesprochen!" sagte er. „Ich bin gerade aus Deutschland zurückgekommen. Ich hatte Unklarheiten über den Nationalsozialismus. Nun bin ich überzeugt von seiner Bedeutung. Hier sind die Schriften, die ich in Berlin von Reichsführer-SS Himmler bekommen habe! Eben habe ich aus ihnen vorgelesen."

Professor Suzuki schweigt eine Weile. Dann sagt er: „Der Shinto braucht den Buddhismus, wenn er wirklich Religion sein will; denn er selber hat keine religiösen Werte. Und der Buddhismus braucht den Shinto, damit er staatlich anerkannt wird. So waren sie ja auch beide durch Jahrhunderte verbunden. Vor 70 Jahren wurden sie getrennt. Das war nicht gut. Wir Buddhisten machen die Verbeugung vor dem Bilde des Tenno. Das ist für uns kein religiöser Akt. Der Tenno ist für uns kein Gott, da Gott für uns etwas sehr Niedriges sein kann. Wir sehen den Tenno in einem Bezirk hoch über aller Religion. Dass man heute versucht, ihn zu einem Gott zu machen, bedeutet eine Herabsetzung des Tenno. Das bringt Verwirrung in den Buddhismus, in den Shinto und in das Christentum."

In der Tat ist in buddhistischen Kreisen dadurch eine Unsicherheit entstanden. Es wäre sicherlich zuviel gesagt, wenn man die Lage des japanischen Buddhismus heute verzweifelt nennen würde. Aber immerhin wurde ich in Tokyo nach einem Vortrage vor Studenten von einem jungen Buddhisten gefragt: „Was soll ich einem Priester antworten, der mir sagt, die Lage des Buddhismus in Japan sei heute verzweifelt?" Wohl hat der Buddhismus in seiner Lehre, dass sich die ewige Buddha-Wahrheit in den Göttern der einzelnen Völker verkörpert, die Möglichkeit, auch den Tenno unter seine Götter aufzunehmen. So haben ja einst die Sonnengöttin und viele andere Shinto-Gottheiten auch in ihm Aufnahme gefunden. Aber mit einer solchen Einordnung wären die Absolutheitsansprüche des japanischen Nationalismus heute nicht befriedigt. Und es bliebe der Vorwurf, dass der Buddhismus eine Weltreligion ist, die um ihre Sendung für alle Völker und Rassen weiß. Ja, erhebt man heute nicht in Japan gegen ihn den Vorwurf, dass er Fremdreligion sei — nicht auf japanischem Boden gewachsen, sondern aus Indien und China eingewandert?

Wir stellen diese Frage laut. Wir erwarten keine Antwort. Wir haben sie ja selber schon gefunden. Nirgends ist der Buddhismus bodenständiger geworden, nirgends hat er einen so hohen Beitrag zum Aufbau einer nationalen Kultur geleistet wie in Japan. Professor Suzuki weist kurz darauf hin. Dann holt er einen Band des Tripitaka, den wir vorhin schon in unserer Hand gehabt haben. Es ist das „Sutra vom Lotus des Guten Gesetzes" (Saddharma-Pundarika-Sutra). „Sehen Sie: dies Buch ist der heilige Text einer Sekte, die etwa zu gleicher Zeit entstand, als der Zen-Buddhismus nach Japan kam, der Nichiren-Sekte. Nichiren ist der Name ihres Gründers. Er lehrte, dass die Wahrheit allein in diesem Buche enthalten sei. Die Lehren aller anderen Sekten nannte er Irrlehren und Erfindungen des Teufels und landesverräterisch. Er war ein Ekstatiker, ein Prophet von gewaltiger nationaler Leidenschaft. Japan und der Buddhismus — um dies beides kreisten seine Gedanken. In Visionen empfing er seine Offenbarungen. Der Buddha ist das Weltall; wir alle tragen sein Wesen in uns — so lehrt Nichiren. Es gibt nach ihm nur eine einzige Möglichkeit, dessen gewiss zu werden: das ist die ununterbrochene Wiederholung des Titels der heiligen Schrift im Gebetsruf ,Namu Myoho-Renge-Kyo!', ,Anbetung dir, o Sutra vom Lotus des Guten Gesetzes!'. So liegt auch hier die Erlösung nicht in einem Jenseits, sondern in dieser Welt. Auf japanischem Boden eine Allgemeine Buddhistische Kirche zu gründen, war Nichirens höchstes Ziel. Er hat es nicht erreicht. Aber den Glauben an seine Sendung konnte ihm nichts zerbrechen. ,Ich will sein die Säule Japans! Ich will sein das Gesicht Japans! Ich will sein das Große Fahrzeug Japans!' so schrieb er in dunkelster Zeit seines Lebens in der Verbannung. Heute zählt seine Sekte über sieben Millionen Anhänger." Professor Suzuki legt das Sutra wieder fort. „Habent sua fata libelli", sagt er nachdenklich. „Es ist einunddasselbe Buch, aus dem Dengyo Daishi seinen Glauben schöpfte, der das Universum umspannte, und das in Nichiren den verzehrenden Eifer erweckte, für die Gründung einer einzigen Allgemeinen Buddhistischen Kirche in Japan zu kämpfen!"
Dankbar verabschieden wir uns. Welch eine verwirrende Fülle von Einzelstimmen hat der Buddhismus in Japan erweckt! Und dennoch fügen sie alle sich ein in den Chor der aberhundert Stimmen, die uns aus den Händen des Tripitaka entgegentönen: Voller Leid ist das Leben. Des Leidens Ur
Sache aber ist der Lebensdurst. Lösche aus deinen Lebensdurst! Dann wirst du die Erleuchtung erlangen, das Nirwana, wo es kein Leid mehr gibt, weil es keinen Durst mehr gibt."

Der Wildwuchs des volkstümlichen Buddhismus

Hätte ich schreiben sollen: „Das wahre Gesichte des japanischen Buddhismus"? Einmal sagte mir einer der Priester, mit denen ich in langem Gespräch über die Philosophie ihrer Sekte zusammengesessen hatte, als wir in den Hof des Tempels hinaustraten: „Dies ist das wahre Gesicht des Buddhismus." Er wies dabei mit einer weiten Handbewegung auf die Menge der Menschen, die vor den Hallen mit ihren Götterbildern knieten oder standen. Und immer wieder habe ich es erlebt, wenn man mich aus dem Dämmerdunkel der Räume und unserer Unterhaltung in das helle Licht draußen hinausführte, dass sich dann um den Mund der Priester ein Lächeln legte, ein verschämtes, ein fast peinlich wirkendes Lächeln, als wollte man sagen: „Bitte entschuldigen Sie, dass Sie nun die Wirklichkeit zu sehen bekommen!" Wie sieht diese Wirklichkeit aus? Sie sei in ein paar Strichen gezeichnet.


Abb.: Buddhistische Hausandacht [Bildquelle: a.a.O., vor S. 145]

Da liegt in Osaka der Shi-tenno-Tempel, den Shotoku Taishi gründete. Er ist den vier Himmelskönigen geweiht und gehört heute der Tendai-Sekte. Alle Gründer der späteren Sekten haben hier wie auf dem Hiei-zan zum Studium geweilt, und jeder von ihnen hat hier eine Halle, in der er angebetet wird. Vor dem großen Tempeltor soll schon Shotoku Taishi gestanden und in der Richtung nach dem Paradies des Westens gebetet haben. Links und rechts neben dem Tor stehen zwei hohe Steine mit Löchern; wenn die Gläubigen in die Löcher hineinhorchen, hören sie im Rauschen drinnen den Ton des Paradieses. Überall sitzen Bettler und zeigen ihre Gliedstumpfen oder ihre blinden Augen. Männer in Sack und Asche, ausgezehrte, widerliche Gestalten, schleichen zwischen den Hallen herum. In kleinen Tempeln knien Dirnen und lassen durch die Priester die Götter um Erfolg in ihrem Berufe anrufen. Wieder in anderen Tempeln hocken trauernde Hinterbliebene. Der Priester weiht über Weihrauch ein Papier, das sie ihm gegeben haben; dabei schlägt er an eine Glocke, deren Ton ins Paradies des Westens dringt. Dann bringen sie das Papier mit dem Namen des Toten in eine andere Halle und werfen es dort in ein Becken mit Wasser, das aus einer Quelle in der Haupthalle hierher geleitet wird und aus dem Maule einer bronzenen Schildkröte sprudelt. Darauf setzen sie eine Schildkröte in einen großen Teich, in dem es von Tausenden solcher Tiere wimmelt. Nun wird der Tote sicher in das Paradies kommen! In der Nähe des Teiches steht ein hohes Bronzedenkmal: auf einem Elefanten mit sechs Zähnen, der auf einer Schildkröte steht, reitet Fugen-Bosatsu. Das ist der Gott, in dem die Zauberkräfte des Buddha sich verkörpern. Ein Elfenbein- und Schildpatthändler in Osaka hat es errichten lassen, um die Geister der getöteten Tiere zu versöhnen, die sterben mussten, damit er seinen Reichtum gewann. Jährlich findet hier eine Seelenmesse für die geopferten Tiere statt. Nicht weit von der großen Tempelglocke, die so groß wie ein kleines japanisches Haus und die größte Glocke Japans ist, steht ein Gebetsrad: das Drehen des Rades mit der Hand erspart dem Betenden das anstrengende Wiederholen der Gebetsformel mit dem Munde. In einem Beinhause werden Seelenmessen für die Verstorbenen gelesen. Man tut Knochenreste der Toten, Zähne oder Schädelsplitter, in einen rot-weißen Beutel; der Beutel wird geweiht und dann durch eine Klappe in einen Altar hineingeworfen, auf dem eine große Statue des Amida steht. In einem anderen Tendai-Tempel, dem Sanju-sangen-do in Kyoto, erhebt sich das mächtige Standbild der Tausendarmigen Kwannon. Mit tausend Armen greift die Göttin der Barmherzigkeit in die Welt, um Gutes zu tun! Und links und rechts von ihr reihen sich je 500 kleinere, aber auch immerhin noch anderthalb Meter hohe, vergoldete Kwannon-Statuen in Reihen zu je zehn hintereinander — ein unbeschreibbares Gewirr von tausend Göttergestalten im trüben Licht der Kerzen! Hinter ihnen stehen die 28 Trabanten der Kwannon mit ihren verzerrten Gesichtern. Auch sie werden angebetet; man opfert ihnen Reis und Geld. Nicht weit entfernt liegt unterhalb des herrlich an den Berg gebauten Kiyomizu-Tempels in einem Tal ein Kwannon-Altar, darüber ein kleiner Tempel des grimmigen Lichtkönigs Fudo. Aus dem Berge fließt in drei Röhren Wasser in hohem Strahl vom Altar hernieder. Büßer und Beter stehen da in weißen Hemden und lassen das eiskalte Nass über sich laufen. Zu dreien treten sie heran. Zuerst verscheuchen sie die Dämonen. Laut erklingt ihr: „Sick-sicksick-sick". Dabei schlagen sie dreimal mit den Armen um sich. Dann treten sie unter das Wasser und plappern laut ihre Gebete. Am Schluss ertönen wieder die Schreie zur Abwehr der Geister.

Der Fudo-Tempel in Narita gehört der Shingon-Sekte. Vor ihrer Haupthalle finden wir eine viereckige Holzsäule mit der Inschrift, dass in diesem Tempel für das Wohl des Vaterlandes gebetet wird. Ein weißes Band geht von der Säule in die Halle hinein, wo es in der Hand einer Fudo-Statue endet. Durch dies Band wird die glückbringende Kraft des flammenumloderten Fudo, der eine Offenbarung des Dainichi-Nyorai ist, auf die Säule übergeleitet. Nun braucht, wer Glück erlangen will, nur ihr Holz zu berühren. In der Halle findet gerade eine „Goma"-Zeremonie statt, wie sie schon in Indien aus dem Zoroastrismus in den Buddhismus eindrang und nun in der Shingon-Sekte besonders gepflegt wird. „Goma" ist das Sanskritwort „Homa" und heißt „Brandopfer". Sutra-Wortc werden verlesen. Eine Trommel wird geschlagen. Eine Glocke erklingt. Dann erhebt sich aus der Schar der Priester vor dem Altar der Oberpriester. Er nimmt aus einer Laterne zu seiner Rechten heiliges Feuer und entzündet damit vor dem Altar einen Holzstoß. Nun stürzen von allen Seiten Priester herbei mit Dingen, die sie dreimal gegen die Flammen schlagen und dadurch weihen. Von allen Seiten drängen die Menschen heran, die dies oder jenes geweiht haben wollen. Hinter der Haupthalle steht in einer Grotte, dem Blick im Dunkel verborgen, ein Fudo-Bild. In roten Kleidern sitzt ein Priester am Eingang der Grotte. Er hält ein wundertätiges Schwert in roter Umhüllung auf den Knien. Wer krank ist, kann zu ihm treten. Er muss niederknien und erhält mit dem Schwert drei Schläge auf die kranke Stelle seines Körpers. Hier werden geweihte Heilmittel verkauft, dort wird geweissagt. Vor einem Schrein des Shinto-Gottes Inari stehen Männer, die um Beförderung in ihrem Berufe beten. Andere laufen um die Haupthalle: wer hundertmal um sie herumläuft, erlangt Erfüllung seiner Wünsche. An einer heiligen Quelle begießen sich Büßer mit dem reinigenden Wasser. In einer Halle drehen an acht Balken alte Männer und junge Mädchen, Soldaten und Bauernfrauen einen Schrank, in dem das Tripitaka liegt: wer das tut, bekommt den Inhalt der heiligen Schriften, die Erlösung, in sein Herz hinein. Hier werden die heiligen Tauben gefüttert — ein gutes Werk; und dort opfert man Haarnadeln und Kämme, um besseres Haar zu bekommen.

Der Soji-ji bei Tsurumi ist ein Zen-Tempel. Seine Besucher wechseln hin und her zwischen dem Tempel und dem „Mond-Blüten-Garten", einem großen Vergnügungsplatz neben dem Tempel. In der Haupthalle des Tempels finden Seelenmessen statt. Hundert Priester wandeln in zwei Gruppen vor dem Altar in Schlangenlinien durcheinander. Jeder von ihnen hält steif vor sich das Sutra, von dem bunte Bänder niederhängen. In eintönigem Sprechgesang murmeln sie, begleitet von leisen, dumpfen Pauken- und gelegentlich unterbrochen von Glockenschlägen, die Sutra-Worte. Viele Menschen schauen zu. In der Meditations-Halle stehen hohe Holzwände. Vor ihnen sitzen auf einem Podium im vorgeschriebenen Za-zen-Sitz die Mönche mit dem Gesicht zur Wand und meditieren. Das dauert viele Stunden. Der Abt hockt auf einem breiten Sessel mit untergeschlagenen Beinen. In der Mitte der Halle steht ein Götterbild, vor dem er sich im Gebet auf eine Matte wirft. Wer bei der Meditation nicht mehr gerade sitzt oder gar einschläft, bekommt vom Stockmeister mit der Pritsche einen Schlag über den Rücken. In der Shakyamuni-Halle sitzt der Abt über dem Altar, auf dem ein Weihrauchgefäß steht. Hier werden die Meditations-Themen („Ko-an") erörtert, zum Beispiel Fragen wie: „Hat eine Katze die Buddha-Natur oder nicht?" Wer falsch antwortet, bekommt Stockschläge.

Einer der beiden Haupttempel der Nichiren-Sekte ist der Hommon-ji in Tokyo-Ikegami. Viele Besucher sind draußen im Bezirk des Tempels und drinnen in seinen Hallen. Draußen Geta-Geklapper und drinnen leises Rasseln der Rosenkränze! Über allem aber liegt wie das Murmeln eines Bergbaches das unaufhörliche Geflüster der Stimmen: „Namu Myoho-Renge-Kyo! — Namu Myoho-Renge-Kyo! (Anbetung dir, o Sutra vom Lotus des Guten Gesetzes!)" Es geht mit uns über die langen Holzstege, die um die Tempelhallen laufen und sie miteinander verbinden. Es wird neben uns laut, als wir hinten beim Tempelgarten vor dem Heiligtum stehen, in dem die Nichiren-Reliquien aufbewahrt werden. Es begleitet uns wieder zur Haupthalle zurück. Und als hier ein Mönch mit weit ausholendem Schwung gegen eine frei herabhängende Pauke schlägt, dass ihr Ton gewaltig dröhnend in die Weite klingt, da ballt es sich in den Scharen, die nun hier zusammenströmen, zu dumpfem Grollen zusammen: „Namu Myoho-Renge-Kyo!" Jetzt stehen über dem Altar neben einem kleinen Schrank zwei Mönche. Sie plappern Sutra-Worte, sie schlagen Hölzer zusammen, sie klingeln mit kleinen Schellen, sie entzünden Kerzen und Weihrauch. Lauter wird der Ruf um uns: „Namu Myoho-Renge-Kyo!" Aufgeregter wird die Menge. Nur die Priester unter der Menge bleiben teilnahmslos; sie scherzen und lachen. Und jetzt — langsam erhebt sich, von unsichtbarer Hand gezogen, der Vorhang, der den Schrein auf dem Altar verdeckte: das Antlitz des Nichiren wird sichtbar! Weiße Tücher umhüllen das alte Bild aus Holz. Die linke Hand hält das Lotus-Sutra und den Rosenkranz, den der Heilige vor 700 Jahren gebrauchte; in der rechten Hand trägt er das Haar seiner Mutter. Unter den Tüchern liegt sein Gebiss. All der Fanatismus, der das Leben und die Lehre des Propheten, dieser Savonarola-Gestalt des japanischen Buddhismus, erfüllte, brandet jetzt auf in dem Schrei um uns: „Namu Myoho-Renge-Kyo!"

Rosenkranz, Gerhard <1896 - 1983>: Fernost - wohin? : Begegnungen mit den Religionen Japans und Chinas im Umbruch der Gegenwart. -- Heilbronn : Salzer, 1940. -- 304 S. : Ill. -- S.  128 - 150]

Über den Verfasser:

"ROSENKRANZ, (Heinrich Richard Walter) Gerhard, ev. Theologe, Missions- und Religionswissenschaftler, * 29.4. 1896 in Braunschweig als Sohn des Lehrers (Heinrich August Johannes) Richard Rosenkranz (1870-1964) und dessen Ehefrau Elisabeth, geb. Claus (1870-1947); verheiratet seit 1922 mit (Bertha Erna) Hildegard, geb. Schütte (1896-1967); † 16.5. 1983 Calw (Nordschwarzwald). - Rosenkranz besuchte das Braunschweiger Gymnasium und engagierte sich in der Jugendbewegung. Als Freiwilliger beteiligte er sich 1914 am ersten Weltkrieg, aus dem er schwer verwundet heimkehrte. 1919 setzte er in Marburg das 1915 kurzzeitig begonnene Theologiestudium fort. Geprägt wurde er dabei besonders vom Systematiker und Religionswissenschaftler Rudolf Otto (s.d.); ebenso beeinflusste ihn die nunmehr aufkommende dialektische Theologie. Dem Studium schloss sich eine zehnjährige pfarramtliche Laufbahn im Ruhrgebiet (u.a. als Vikar bei Heinrich Grüber [s.d.] in Dortmund) und in Berlin an (1921-1931). Von 1931 bis 1948 leitete Rosenkranz in Heidelberg als Inspektor und schließlich als Direktor die Deutsche Ostasien-Mission (gegr. 1884). In deren Auftrag unternahm er 1938/39 eine Studienreise durch China, Korea und Japan und lernte in der Begegnung mit dem Konfuzianismus, Taoismus und Buddhismus die Praxis des interreligiösen Dialogs kennen. Die Beschäftigung mit diesen Religionen bestimmte auch zu einem großen Teil seine wissenschaftliche Arbeit, die 1935 mit der theologischen Dissertation »Der Heilige in den chinesischen Klassikern« ihren Anfang nahm. 1939 erhielt er von der Heidelberger Universität einen Lehrauftrag für Religions- und Missionswissenschaft und habilitierte sich 1941 (mit der bereits 1938 erschienenen Schrift: »Die älteste Christenheit in China in den Quellenzeugnissen der Nestorianer-Texte der Tang-Dynastie«). Nachdem er 1939 zeitweilig reichsweites Redeverbot hatte, konnte er nur in der in der NS-Zeit nur unter Aufsicht der Gestapo dozieren. 1947 zum apl. Prof. ernannt, verlieh ihm die Theologische Fakultät Heidelberg zwei Jahre später die Ehrendoktorwürde. 1948 wurde Rosenkranz als Ordinarius nach Tübingen berufen, wo er als Nachfolger Martin Schlunks (s.d.) den ersten bundesdeutschen Lehrstuhl für Missionswissenschaft übernahm. 1956 gründete er das diesem zugeordnete »Ökumenische Institut« (seit 1962 »Institut für Missionswissenschaft und Ökumenische Theologie«). 1957/58 war er schließlich Rektor der Tübinger Universität. 1964 wurde er emeritiert, bis 1966 vertrat er noch den Lehrstuhl. Bis dahin gehörte er auch mehreren kirchlichen Organisationen an, unter anderem der Deutschen Gesellschaft für Missionswissenschaft (als Vorsitzender, 1951-1965) und dem Deutschen Evangelischen Missions-Rat. Überdies galt er als »Nestor der dt. ev. Missionswissenschaft«. Anlässlich seines 70. Geburtstages wurde er mit dem Großen Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet."

[Quelle: Raupp, Werner. -- In: Biographisch-bibliographisches Kirchenlexikon. -- URL: http://www.bautz.de/bbkl/r/rosenkranz_g.shtml. -- Zugriff am 2003-06-23]

1948

Der Vortrag Herrigel's erscheint in erweiterter Form als Buch:

Herrigel, Eugen <1884-1955>: Zen in der Kunst des Bogenschießens. -- Konstanz : Weller, 1948. -- 92 S.
seither über 30 deutsche Auflagen (mehr als 200.000 Exemplare) und Übersetzungen in 14 Sprachen.

Es ist eines der einflussreichsten und bekanntesten deutschen Zenbücher.


11. Erste Filme


11.1. "Lebende Buddhas" (1924)


1924-05-12

In Berlin wird der Okkultfilm "Lebende Buddhas" uraufgeführt

Lebende Buddhas Eine Phantasie aus dem Schneeland Tibet
Deutschland 1925
Alternativtitel: Götter von Tibet
Regie: Paul Wegener [1874 - 1948]
Drehbuch: Paul Wegener, Hans Sturm  
Kamera: Guido Seeber, Reimar Kuntze,  Josef Rona  
Architektur: Hans Poelzig, Botho Höfer 
Darsteller: Hans Sturm (Professor Campbel), Carl Ebert (Professor Smith, Expeditionsleiter und Sprachforscher), Heinrich Schroth (Dr. Smith, Bruder des Professors. Arzt), Paul Wegener (Der Großlama), Grigori Chmara (Jeb-sun, der junge Lama, Schüler und Adept des Großlamas), Asta Nielsen (Eine Tibertanerin), Friedrich Kühne (Erster Lama), Max Pohl  (Zweiter Lama), Eduard Rothauser 
Produktion: Paul-Wegener-Film AG, Berlin
Produzent: Berthold Held 
Außenaufnahmen: Staaken
Länge: 5 Akte; 2382 m
Format: stumm; s/w
Zensur: 28.03.1924
Uraufführung: 12.05.1925
Uraufführungs-Ort: Berlin (U.T. Nollendorfplatz)

[Angeben nach: http://www.film-zeit.de/home.php?action=result&sub=film&info=crew&film_id=73. -- Zugriff am 2005-02-28]

Der während er Inflation 1923 produzierte Film wurde ein Flop.

"Wegener, Paul, Schauspieler, geb. 11.12.1874 Arnoldsdorf (Westpreußen), gest. 13.9.1948 Berlin

Nach dem Studium der Kunstgeschichte in Freiburg und München wandte sich Wegener 1896 dem Theater zu und wurde nach Engagements in Rostock, Aachen und Koblenz seit 1905 zu einem der führenden Darsteller an Max Reinhardts Deutschen Theater in Berlin. Zu seinen Glanzrollen gehörten Richard III., Macbeth, Othello, Mephisto und der Fuhrmann Henschel. Wegener gastierte an allen großen Bühnen Deutschlands und bereiste mit einer eigenen Truppe Europa und Südamerika. Seit 1910 widmete er sich auch dem Film. Zu seinen rund dreißig Stummfilmen gehören Der Student von Prag (1913; in diesem Film spielte er die erste Doppelrolle der Filmgeschichte) und Golem (1915). Mit der "Paul Wegener Film-AG" produzierte er als Darsteller und Regisseur Der lebende Buddha; der Film wurde jedoch nie aufgeführt [falsch!]. Nach dem Konkurs seines Unternehmens trat er in den USA bei Metro Goldwyn Meyer und im deutschen Tonfilm (u.a. Inge und die Millionen, 1933) auf. Obgleich er auch in nationalsozialistischen Propagandafilmen wie Kolberg (1945) mitgewirkt hatte, erhielt er nach Kriegsende als einer der ersten die Genehmigung zum Wiederauftreten (Der große Mandarin, 1949). 1933 erschien sein Flandrisches Tagebuch. "

[Quelle: Deutsche biographische Enzyklopädie & Deutscher biographischer Index. -- CD-ROM-Ed. -- München : Saur, 2001. -- 1 CD-ROM. -- ISBN 3-598-40360-7. -- s.v.]

Ines Walk gibt in einer e-mail vom 2005-05-10 folgende Informationen zu Paul Wegener und dem Buddhismus:

"Paul Wegener schreibt in dem Buch "Sein Leben und seine Rollen" über seine Reise nach China. Er war ein großer Sammler asiatischer Kunst, unter anderem ist ein Siam-Buddha aus seiner Sammlung abgebildet. Der Großteil seiner gesammelten Teile ist bei den Bombenangriffen 1945 zerstört worden. Außerdem beschäftigte er sich jahrelang mit dem  Buddhismus und Taoismus."

[Quelle: Ines Walk. -- e-mail vom 2005-05-10]


11.2. "Die Leuchte Asiens : Gotama Buddhas Kampf um Liebe und Entsagung" (1925)


1925-10-25 Uraufführung in München des Emelka-Films Prem Sanyas = Die Leuchte Asiens


Abb.: Titelbild

[Bildquelle: Kino in Indien / Chidananda DasGupta ; Werner Kobe [Hrsg.]. -- Freiburg im Breisgau : Mersch,1986. -- 154 S. : zahlr. Ill. ; 24 cm. -- ISBN 3-922156-12-6. -- S. 27]

Stummfilm
Indien/ Deutschland 1925
Regie: Franz Osten (1876 - 1956)
Drehbuch: Niranjan Pal, nach dem Gedicht von Edwin Arnold
Kamera: Josef Wirsching
Darsteller: Himansu Rai, Seeta Devi, Sarada Ukil, Rani Bala, Prafulla Roy
Produktion: Great Eastern Film Corporation, Delhi / Emelka Film, München
Premiere: 22.10.1925 (München)
Archiv: Kirch Media, München
Farbe: mehrfarbig viragiert
Länge: 2.121 Meter
93 Minuten (20 B/s)
Zwischentitel: englisch


Abb.: Hochzeitszug des Prinzen Gautama bei den Dreharbeiten

[Bildquelle: Chronik 1925 / [Autorin: Antonia Meiners ...]. -- Dortmund : Chronik Verl., 1989. -- 239 S. : zahlr. Ill. -- (Die Chronik-Bibliothek des 20. Jahrhunderts). --ISBN 3-611-00069-8. -- S. 165]


Abb.: Franz Osten im Gespräch mit der Schauspielerin Devika Rani

[Bildquelle: http://www.infomedia-sh.de/aktuell/0110/osten.html. -- Zugriff am 2005-02-28]

"Franz Osten (1876 - 1956) wurde 1924 von der Emelka als Leiter einer Indienexpedition bestimmt; ihm zur Seite standen zwei deutsche Kameramänner und ein Dolmetscher, der auch als Schauspieler und Assistent einsatzbereit war. Das Unternehmen kam zustande, weil ein indischer Philosoph, Himansu Rai, eine Serie von Filmen produzieren wollte, die die großen Weltreligionen vorstellen sollte. Einer sollte von Buddha handeln. Rai reiste und überzeugte die Emelka von diesem Vorhaben. So begaben sich vier Bayern nach Indien, um indisches Kino zu machen. Rai selbst spielte in dem ersten Film Ostens DIE LEUCHTE ASIENS Buddha. Ostens Filme strebten nach etwas, was später »Cinéma vérité« genannt wird: nur Originalschauplätze, Originalkostüme, reale Bauten (keine Dekorationen!) und Laiendarsteller. Nach der Vita von Buddha drehte Osten 1928 die Originalgeschichte von Taj Mahal, DAS GRABMAL EINER GROSSEN LIEBE und SCHICKSALSWÜRFEL. Die Dokumentarmärchen waren natürlich exotisch, ihre Faszination liegt darin begründet, dass es für Europäer zu einer Vermischung von Realität und Legende kommt. Osten versuchte damals, auf die indische Mode in Europa (vor allem auf Mystizismus und geheimnisvolle Exotik) mit betont »realistischem« Gestus zu antworten. Die Filme entdeckten Indien als ein Land, in dem Märchen und Phantastik real sind, und das, was real erscheint, phantastisch ist."

(Oksana Bulgakowa, in: Film- Dienst 24/ 1994)

[Quelle des Zitats: http://www.bonnerkinemathek.de/filme/leuchte_asiens/leuchte_asiens.htm. -- Zugriff am 2005-02-16. -- Dort auch (urheberrechtlich geschützte) Bilder aus dem Film]

"In der Phase der Entstehung der indischen Filmindustrie während der dreißiger Jahre leisteten deutsche Filmemachereinen bemerkenswerten Beitrag. Es ist vermutlich dem primär auf 'indologische' Gegenstände fixierten Interesse in Deutschland zuzuschreiben, daß dieser Aspekt der deutsch-indischen Kulturbeziehungen bei uns völlig in Vergessenheit geraten konnte. Schon zur Zeit des Stummfilms und in den Anfangsjahren des Tonfilms kamen indische Filmemacher vereinzelt nach Deutschland, um sich in deutschen Studios — billiger als in den USA — das notwendige Know-how anzueignen, so zum Beispiel die Regisseure Mohan Bhavnani und V. Shantaram oder der Produzent N. D. Gandhi. Den umgekehrten Weg gingen Paul Zils, der den indischen Dokumentarfilm der 40er und 50er Jahre entscheidend beeinflusste, der Kameramann Emil Schünemann oder der Publizist Willy Haas, der sich im indischen Exil während des Zweiten Weltkriegs als Drehbuchautor betätigte. Die wichtigste Rolle beim Aufbau der indischen Filmindustrie spielte zweifellos der Regisseur Franz Osten-Ostermayr (1876-1956), dessen Werdegang als Kameramann und Regisseur mit der Frühgeschichte des Films in München auf das engste verknüpft ist.

Franz Osten gehört zusammen mit seinen beiden jüngeren Brüdern, Peter und Ottmar Ostermayr, zu den Pionieren des Films im süddeutschen Raum. Schon 1907 kauften die französischen Gesellschaften Gaumont, Pathé und Eclair seine Landschaftsfilme. Ein Jahr später filmte er als Aktualitäten-Kameramann für das 'Pathé Journal' und die 'Gaumontwoche' Ereignisse in München und im übrigen Bayern. Im Jahr 1911 führte Osten erstmals bei einem Spielfilm Regie (ERNA VALEWSKA).

Ein wichtiges Datum in der Münchner Filmgeschichte ist die im Jahre 1919 unter Mitwirkung von Peter Ostermayr erfolgte Gründung der 'Münchner Lichtspielkunst'-Gesellschaft (Emelka), die die Gründung der Filmstadt Geiselgasteig nach sich zog. Die Emelka entwickelte sich rasch zum süddeutschen Gegenstück der Berliner Ufa. Von der Krise, die von 1924 an die deutsche Filmwirtschaft erfasste, war bei der Emelka wenig zu spüren, als im gleichen Jahr ein indischer Rechtsanwalt namens Himansu Rai (1892-1940) von England nach München kam, um das Emelka-Direktorium für diverse Filmvorhaben zu erwärmen. Himansu Rai plante unter anderem eine Serie von Filmen über das Leben großer Religionsstifter; für den Jesus-Film sollte beispielsweise das Oberammergauer Passionsspiel die Vorlage abgeben. Bei der Emelka entschied man sich jedoch für den Film über Gautama Buddha; in einer Zeit allgemeiner Anfälligkeit für Führernaturen und Heilslehren durfte ein Film über den östlichen Religionsstifter mit einem großem Publikumszuspruch rechnen. Seit Ende des Ersten Weltkriegs waren es besonders indische Themenstellungen in Literatur und Film, die sich in Deutschland wachsender Beliebtheit erfreuten. So verfilmte Joe May 1921 Thea von Harbous Roman 'Das indische Grabmal '; 1922 erschien Hermann Hesses Erzählung ' Siddhartha '; 1924 drehte Paul Wegener seinen Okkult-Film LEBENDE BUDDHAS, und einer indischen Quelle zufolge soll sich auch Ernst Lubitsch, der mit SUMURUN (1920) bereits einen orientalischen Stoff verfilmt hatte, angeblich noch im Jahr 1927 mit dem Gedanken an einen Buddha-Film getragen haben.

Für die Entscheidung der Emelka dürfte auch die Tatsache, dass Himansu Rais Filmpläne mit einer genau durchdachten Konzeption verbunden waren, ausschlaggebend gewesen sein. Der bis dahin noch wenig entwickelten indischen Filmindustrie sollte mit technischer und finanzieller Hilfe aus Deutschland auf die Beine geholfen werden. Himansu Rai schwebte letztlich nichts Geringeres vor als der Einstieg Indiens ins internationale Filmgeschäft. Im Gegenzug garantierte er den Münchner Produzenten für deren Film ein Indienbild, wie es authentischer in deutschen Kinos bisher noch nicht zu sehen gewesen war. Laut Vertrag hatte Himansu Rai die Aufgabe, ein Team mit indischen Schauspielern zusammenzustellen und für die Dreherlaubnis an original-indischen Schauplätzen zu sorgen.

Der Buddha-Film THE LIGHT OF ASIA (Prem Sanyas, Die Leuchte Asiens, 1925) wurde die erste internationale Co-Produktion der indischen Filmgeschichte. Franz Osten, inzwischen zum Oberregisseur der Emelka avanciert, führte die Regie. Bei der Ausreise zu den Dreharbeiten in Indien im Februar 1925 begleiteten ihn die Kameramänner Willi Kiermeier und Josef Wirsching sowie der Tegernseer Volksschauspieler Berti Schultes, der als Regieassistent und Dolmetscher fungieren sollte. Für deutsche Filmzeitschriften verfasste Franz Osten von Indien aus mehrere Berichte. Reichlich bizarr mutet seine Beschreibung der Dreharbeiten zu einer Massenszene in Jaipur an, wo sich das Statistenheer vor der glühenden Sonne wiederholt in den Schatten flüchtete, so dass sich Osten zur Durchsetzung seines Regiewillens bei der "photo- und kinofremden Bevölkerung" schließlich genötigt sah, die tausendköpfige Menge von der mit Schlagstöcken bewaffneten Polizei vor die Kameraobjektive treiben zu lassen.

THE LIGHT OF ASIA zeigt zunächst Buddhas Kindheit und Jugend am Königshof seines Vaters, wo er, gegen alle Unbill dieser Welt sorgfältig abgeschirmt, heranwächst, um dann eines Tages doch mit dem Anblick von Krankheit, Armut, Alter und Tod konfrontiert zu werden. Buddha verlässt sein sorgenfreies Leben, um als wandernder Bettler die Wahrheit zu finden. Sein spiritueller Werdegang wird im Film von Sequenzen überlagert, die einem Ufa-Kulturfilm der zwanziger Jahre entstammen könnten, beispielsweise die festlichen Umzüge mit prachtvoll dekorierten Elefanten, die Wettkampfspiele oder das fremdartige Ritual bei Buddhas Vermählung mit Gopa. Die deutschen Filmkritiker priesen vor allem die Authentizität dieser Szenen. Von der entfalteten Pracht geblendet, erkannten die wenigsten, dass der Film mit den historischen Gegebenheiten äußerst großzügig umsprang. Aus Indiens jahrtausendealter Kulturtradition hatte man die optisch ergiebigsten Elemente ausgesucht und frei miteinander kombiniert. So verbringt Buddha, der bekanntlich um 500 v. Chr. lebte, im Film Kindheit und Jugend im Palast eines Mogulfürsten aus dem 17. Jahrhundert. Mit dieser anachronistischen Architektur kollidieren wiederum die Kostüme und das Ritual bei Buddhas Hochzeit, die bengalischen Traditionen entsprachen. Ähnlich verfuhr man bei den Außenaufnahmen: Landschaften aus den entferntesten Regionen Indiens werden im Film in einen engen räumlichen Zusammenhang gebracht. Mit Hilfe dieser synkretistischen Verfahrensweisen ließ sich ein verdichtetes Indienbild erzeugen, das der Wirklichkeit zwar nicht entsprach, vom Zuschauer aber doch für authentisch gehalten wurde. Die Kulturfilmszenen sowie die schauspielerischen Leistungen der Inder — Himansu Rai spielte selbst die Rolle des Buddha — machten den Film in Deutschland und in anderen europäischen Ländern zu einem großen Erfolg. Regisseur Franz Osten wurde von der Presse pathetisch als »würdiger Fahnenträger deutschen Fleißes und deutschen Könnens, und dadurch als Verkünder deutscher Filmkunst in der ganzen Welt« gefeiert. (Lichtbildbühne Nr. 216/1925, S.2)

Himansu Rais hochgespannte Erwartungen an diese erste deutsch-indische Co-Produktion sollten sich vorerst nicht erfüllen. Das Scheitern des Films in Indien hing nicht allein mit seiner spezifischen Machart zusammen, die von indischen Kritikern als unsinnig erkannt wurde, sondern auch mit den soziologischen Gegebenheiten des indischen Kinos in den zwanziger Jahren. Das gehobene indische Publikum, das Himansu Rai vorrangig erreichen wollte, um potentielle Geldgeber für seine weiteren Projekte zu interessieren, war nur auf westliche, d.h. amerikanische oder englische Filme erpicht. Filme mit indischen Themen und indischen Darstellern liefen ausschließlich in schäbigen Billigkinos, die von den unteren Schichten der Bevölkerung frequentiert wurden und deren Besuch sich den gehobenen Schichten angeblich aus hygienischen Gründen verbot. Den Besuchern der Unterschichtskinos erschien der Film als zu langatmig oder zu 'schwer', was durch den Mangel an schnellen Action-Szenen und durch die poetische Sprache der Zwischentitel erklärbar ist, deren Wortlaut sich stark an das von Edwin Arnold (1832-1888) stammende Gedicht 'The light of Asia' (1879) anlehnt, das dem Drehbuchautor Niranjan Pal als Vorlage diente. So spielte der Film in Indien nicht einmal die entstandenen Kosten wieder ein."

[Quelle: Gerhard Koch <1936 - >: Von der Münchner Lichtspielkunst zu den Bombay Talkies : Franz Osten. Zur Geschichte der deutsch-indischen Kulturbeziehungen. -- In: Kino in Indien / Chidananda DasGupta ; Werner Kobe [Hrsg.]. -- Freiburg im Breisgau : Mersch,1986. -- 154 S. : zahlr. Ill. ; 24 cm. -- ISBN 3-922156-12-6. -- S. 125 - 129]


Abb.: Filmszene

[Bildquelle: Kino in Indien / Chidananda DasGupta ; Werner Kobe [Hrsg.]. -- Freiburg im Breisgau : Mersch,1986. -- 154 S. : zahlr. Ill. ; 24 cm. -- ISBN 3-922156-12-6. -- S. 34]

Zu Franz Osten:

"Osten, Franz, Regisseur, geb. 23.12.1876 München, gest. 2.12.1956 Bad Aibling

Der Sohn eines Porträtphotographen machte eine Photographenlehre, nahm daneben Schauspielunterricht und übernahm 1905 zusammen mit seinem Bruder Peter Ostermayr das väterliche Atelier in München. 1907 gründeten sie ein Wanderkino und begannen im selben Jahr, selbst Filme zu produzieren. Osten drehte Landschafts- und Kulturfilme, führte 1911 erstmals Regie bei einem längeren Spielfilm der Münchner Kunstfilm AG, und wurde nach dem Ersten Weltkrieg Regisseur, 1920 Oberregisseur bei der Firma Peter Ostermayrs Münchner Lichtspielkunst (Emelka). Seit 1926 war er für verschiedene Filmgesellschaften in Berlin tätig, drehte u.a. die Filme Der Sonderling, Der Ochsenkrieg und 1925 in Indien den Buddha-Film Die Leuchte Asiens. 1934 war Osten Mitgründer der Bombay Talkies Ltd., die sich bald zu einem führenden Studio des indischen Films entwickelte. 1939 interniert, kehrte er 1940 nach Deutschland zurück und war bis Kriegsende Leiter der Beschäftigungsabteilung der Bavaria Filmkunst in München. 1946-56 war Osten Kurdirektor von Bad Aibling."

[Quelle: Deutsche biographische Enzyklopädie & Deutscher biographischer Index. -- CD-ROM-Ed. -- München : Saur, 2001. -- 1 CD-ROM. -- ISBN 3-598-40360-7. -- s.v.]


12. Lama Anagarika Govinda und das Arya Maitreya Mandala


[Zu Lama Govinda s. Hecker, Hellmuth <1923 - >: Lebensbilder deutscher Buddhisten ; ein bio-bibliographisches Handbuch. -- Konstanz : Universität. -- (Forschungsprojekt "Buddhistischer Modernismus" -- Forschungsberichte)
Band I: Die Gründer. -- 1990. -- 179 S. -- (... ; 1). -- S. 74-76 (mit ausführlichen Literaturangaben)]

Govinda <Lama Anagarika> (1898-1985): Der Weg der weißen Wolken : Erlebnisse eines buddhistischen Pilgers in Tibet. -- Bern [u.a.] : Scherz, 1973. -- 439 S. : Ill. -- Einheitssachtitel: The way of the white clouds (©1966)

Kasper, Rose (Vajraprabha): Wachstum, Wandel und Stete : 60 Jahre Arya Maitreya Mandala. -- In: Lotusblätter. -- 4/93 (1993). -- S. 69f.].

Webpräsenz des Arya Maitreya Mandala (AMM): http://www.lama-govinda.de/. -- Zugriff am 2003-06-19]



Abb.: Lama Anagarika Govinda [Bildquelle: http://www.lama-govinda.de/Uber_den_Orden/Fotos/body_fotos.html. -- Zugriff am 2003-05-29]

1898

Ernst Lothar Hoffmann wird in Waldheim/Sachsen am 14. Januar geboren. Sein Vater ist Inhaber einer Zigarrenfabrik. Als Hoffmann drei Jahre alt ist, stirbt seine Mutter. Er wird bei einer Tante in Kassel aufgezogen. Mit 16 beginnt er sich für Philosophie zu interessieren, kommt über Plato, Schopenhauer, deutsche und indische Mystik zum Buddhismus. Abitur in Hannover. Studium der Philosophie, Psychologie und Archäologie in Freiburg.

1920

Hoffmann in Capri bei der deutschen Künstlerkolonie. Studiert von hier aus an Universität Neapel, wo er auch Pâli lernt.

1926


Abb.: Moschee in Kairouan, Tunesien 1926 / von Ernst Lothar Hoffmann

1928

Hoffman fährt nach Ceylon zu Nyânatiloka (1878-1957), nimmt auf Polgasduwa das weiße Gewand des Brahmacârî und erhält von Nyânatiloka den Namen Govinda

1928 bis 1931

Jatvantara Bauddha Samagama / International Buddhist Union; von Govinda (Ernst Lothar Hoffmann) (1898-1985) als Generalsekretär und Nyânatiloka (Anton Gueth) (1878-1957) als Präsident gegründet.

1929


Abb.: Burma, April 1929
Mr. Maungg Maungg Hwin; Mr. U Kyaw Hla;
Ven. Lama Anagarika Govinda; Ven. Ñânatiloka; Ven. Adinavaysa Thera

[Quelle der Abb.: http://www.buddhistisches-haus.de/en/picturebook/mixed/mixed-old.html. -- Zugriff am 2003-05-29]

Govinda und Nyânatiloka reisen für Jatvantara Bauddha Samagama / International Buddhist Union nach Burma. Govinda nimmt das gelbe Gewand des Anâgârika

1929-06-01 bis 1929-10-18

Anagarika Govinda (1898 - 1985) begibt sich auf Werbetour für die International Buddhist Union durch Europa (Deutschland, Frankreich, England, Sakandinavien, Italien). Die Kosten trägt der Verleger Ferdinand Schwab (1882 - 1976)

1930

Govinda baut für sich und seine Pflegemutter Anna Habermann (1868 - 1950) im Hochland von Ceylon ein Haus, die Wariyagoda Hermitage. Dort lebt er von April 1930 bis März 1931.

1931-04-02 bis 09

Anâgârika Govinda nimmt als Abhidhamma-Kenner als Delegierter Ceylons an der 3. All-India Buddhit Conference in Darjeeling teil. In Darjeeling lernt er Ngawang Kalzang, genannt Tomo Geshe Rimpoche (1864-1936) kennen. Tomo Geshe Rimpoche Ngawang Kalzang ist ein Gelugpa-Großabt. Nach zwölf Jahren Einsiedlerleben in Südtibet wandte er sich der Verkündigung zu:

"Er ließ an vielen ... Orten Statuen des Maitreya [der zukünftige Buddha] errichten, um die Anhänger des Buddha daran zu erinnern, dass es nicht genügt, sich im Glanz der Vergangenheit zu sonnen, sondern dass es nötig ist, sich aktiv an der Gestaltung der Zukunft zu beteiligen und im eigenen Geiste, wie auch dem aller nach Vollendung strebenden Menschen, das Erscheinen des kommenden Buddha vorzubereiten."

[Govinda <Lama Anagarika> (1898-1985): Der Weg der weißen Wolken : Erlebnisse eines buddhistischen Pilgers in Tibet. -- Bern [u.a.] : Scherz, 1973. -- S. 26].

Nach einer Vision fühlte Tomo Geshe die Berufung

"nicht nur seinem eigenen Volk und seinem eigenen Land die Lehren der Erleuchteten zu bringen, sondern auch der Außenwelt, ohne Unterschied der Rasse, Kaste oder Religion."

[Govinda <Lama Anagarika> (1898-1985): Der Weg der weißen Wolken : Erlebnisse eines buddhistischen Pilgers in Tibet. -- Bern [u.a.] : Scherz, 1973. -- S. 31].

Hoffmann wird Tomo Geshe Rimpoche's Schüler (Cela), erhielt Initiationen und den Namen Lama Ananga-vajra Khamsum Wangchuk (bekannt als Lama Anagarika Govinda). Lama Anagarika Govinda wohnte nahe Darjeeling, war aber meistens als Dozent in Santiniketan, wo er Französisch, Archäologie und Buddhismus lehrte.

1932


Abb.: Bergsitz des Wettermachers mit Chörten, Ladakh 1932  / von Lama Govinda
[Bildquelle: http://www.lama-govinda.de/Gemalde_Govindas/Einzelbilder/einzelbilder.html. -- Zugriff am 2005-06-06]

1933 10-04

Lama Govinda gründet zusammen mit 14 Personen in Darjeeling das Arya Maitreya Mandala. Das Anliegen war

Webpräsenz: http://www.lama-govinda.de/. -- Zugriff am 2005-06-06

"einerseits die Einheit des Buddhismus -- bei bejahter Unterschiedlichkeit und Differenziertheit seiner Schulen -- aufzuzeigen, andererseits aber auch auf die Notwendigkeit einer den Erfordernissen der Gegenwart entsprechenden Lehrdarlegung und Wegweisung hinzuweisen."

[Kasper, Rose (Vajraprabha): Wachstum, Wandel und Stete : 60 Jahre Arya Maitreya Mandala. -- In: Lotusblätter. -- 4/93 (1993). -- S. 69].

Govinda begrüßt nicht nur eine religiöse Pluralität der Menschheit, sondern auch einen Pluralismus innerhalb des Buddhismus. Für ihn ist der Buddhismus ein Ganzes wie ein riesiger Baum, der nur als Ganzes lebensfähig ist. In seinem posthum herausgegeben Buch Lebendiger Buddhismus im Abendland schreibt er:

"Man kann nicht nur den Stamm haben wollen oder nur die Blätter oder nur die Blüten oder die Samen! Man muss Wurzeln, Stamm, Äste, Zweige, Blätter, Blüten und Samen als Einheit erfahren. Man muss erkennen, dass dieser Baum einmal aus einem Samenkorn hervorgegangen und gewachsen ist und weiterwachsen wird nach dem ihm innewohnenden Gesetz. Es wäre töricht, wollte man die Entwicklung des Baumes und seine immer reichere Entfaltung leugnen: Wer das Wachstum des Baumes auf ein bestimmtes Stadium fixieren möchte."

Nach buddhistischer Lehre ist alles "dem Wandel unterworfen, auch die Formen der Lehrdarlegung und der meditativen Annäherung." Es gilt nicht an Vergangenem zu haften und so frei zu sein für die Gegenwart und Zukunft. Man muss aber die Tradition kennen: deshalb müssen Kandidaten des Ordens 3-7 Jahre lang alle drei Fahrzeuge studieren. Dabei sollen sie aber nicht zu kleinen Indern, Tibetern, Japanern oder Chinesen gemacht werden, sondern sie sollen sich um unsere eigene Kultur in ihrer ganzen Entwicklung bemühen. Das Arya Maitreya Mandala legt großen Wert auf die persönliche Vermittlung der Praxis von Lehrer zu Schüler. Es betont auch die Wichtigkeit von Riten, künstlerischen Darstellungen und ausgefeilten Meditationstechniken. Denn es ist nötig, die Menschen nicht nur von der Vernünftigkeit der Buddhalehre zu überzeugen, sondern man muss sie verwandeln. Dies ist nur möglich, indem man nicht nur den Intellekt anspricht, sondern tiefere Schichten des Menschen.

[Govinda <Lama Anagarika> (1898-1985): Lebendiger Buddhismus im Abendland : Vision und Vermächtnis des großen Mittlers zwischen Ost und West. -- Bern [u.a.] : Barth, 1986. -- ISBN 3-502-61233-1. -- S. 23-26].

1939-05-22

Anagarika Govinda (1898 - 1985) in einem Brief aus Ghoom an Nyanatiloka:

"Ich freue mich sehr, dass Nyanakhetto und Nyanamalito wieder bei Ihnen sind  und dass Sie die Nazis, die den Frieden Dodanduwas verpesteten und Sie augenscheinlich überall diskreditierten, wieder los geworden sind. Leute, deren politische Einstellung mit der Lehre des Buddha unvereinbar ist, würde ich überhaupt nicht ordinieren: denn man kann nicht zwei Herren dienen . "

[Zitat in: Hecker, Hellmuth <1923 - >: Der erste deutsche Bhikkhu : das bewegte Leben des Ehrwürdigen Nyânatiloka (1878-1957) und seine Schüler. -- Konstanz : Universität, 1995. -- 363 S. -- (Forschungsprojekt "Buddhistischer Modernismus" -- Forschungsberichte). -- S. 174]

Auf wen sich die Anspielung auf die Nazis bezieht, ist nicht bekannt.

1947


Abb.: Li Gotami, 1949

[Bildquelle: Govinda <Lama Anagarika> (1898-1985): Der Weg der weißen Wolken : Erlebnisse eines buddhistischen Pilgers in Tibet. -- Bern [u.a.] : Scherz, 1973. -- Vor S. 305].

Lama Govinda heiratet in Bombay die Parsin Ratti Petit, eine Malerin mit dem Künstlernamen Anila Li Gotami (1906-1988). Beide wurden in der Drugpa-Kagyü-Linie initiiert.

1951/1952


Abb.: Hans-Ulrich Rieker

[Bildquelle: Hecker, Hellmuth <1923 - >: Lebensbilder deutscher Buddhisten ; ein bio-bibliographisches Handbuch. -- Konstanz : Universität. -- (Forschungsprojekt "Buddhistischer Modernismus" -- Forschungsberichte). -- Band II: Die Nachfolger. -- 1992. -- S. 202]

Hans-Ulrich Rieker (1920-1979) sucht Lama Anagarika Govinda in Indien auf und drängt diesen, dem Arya Maitreya Mandala im Westen eine Chance zu geben. Rieker war 1950 vom burmesischen Mönch U Thunanda in Berlin zum Theravâda-Novizen mit dem Ordensnamen Kassapo ordiniert worden.

[Zu Rieker s. Hecker, Hellmuth <1923 - >: Lebensbilder deutscher Buddhisten ; ein bio-bibliographisches Handbuch. -- Konstanz : Universität. -- (Forschungsprojekt "Buddhistischer Modernismus" -- Forschungsberichte)
Band II: Die Nachfolger. -- 1992. -- S. 202-205 (mit ausführlichen Literaturangaben)].

Lama Anagarika Govinda "gab seine Einwilligung unter der Bedigung, dass der westliche Ordenszweig seine Berechtigung und Lebensfähigkeit durch die zu entfaltende Aktivität und den Lernwillen seiner Mitglieder unter Beweis stellen müsse. Er initiierte Rieker als Dapa Kassapa [am 28.1. 1952], setzte ihn als ersten Upacarya ein und ermächtigte ihn zur Erteilung des Ordensabhisheka. Zugleich wurde der Leiter der Gemeinde um Buddha, Rev. Lionel Stützer [1901-1991] und der Leiter der Buddhistischen Mission Rev. Harry Pieper [1907 - 1978], nach Erteilung des Abhisheka als Ordensälteste und Mitglieder des obersten Ordensrats ordiniert.

Am Vollmondtag des November 1952 erfolgte dann in Sanchi, Indien, die Proklamation des Westlichen Ordens Arya Maitreya Mandala durch Lama Govinda und Anila Li Gotami Govinda; am Abend des selben Tages wurde in Berlin die Ordensgründung durch den Upacharya Dapa Kassapa feierlich bekannt gegeben."

[Kasper, Rose (Vajraprabha): Wachstum, Wandel und Stete : 60 Jahre Arya Maitreya Mandala. -- In: Lotusblätter. -- 4/93 (1993). -- S. 69f.].


Abb.: Lionel Stützer

[Bildquelle: Hecker, Hellmuth <1923 - >: Lebensbilder deutscher Buddhisten ; ein bio-bibliographisches Handbuch. -- Konstanz : Universität. -- (Forschungsprojekt "Buddhistischer Modernismus" -- Forschungsberichte). -- Band II: Die Nachfolger. -- 1992. -- S. 301]

1982

Lama Anagarika Govinda übergibt die Leitung des Arya Maitreya Mandala an Advayavajra (Dr. Karl-Heinz Gottmann, geb. 1919).

"WANDEL UND STETE


Abb.: Advayavajra (Dr. Karl-Heinz Gottmann)

Zur Übergabe des Amtes des Mandalacarya und Vajracarya an Asanga, eine kurze Biographie von Advayavajra:

Als im Jahre 1982 Ven. Advayavajra dem Ruf Lama Anagarika Govindas folgte, als Mandalacarya die spirituelle Leitung des Ordens Arya Maitreya Mandala zu übernehmen, bedeutete dies für ihn tatsächlich "Abschied und Neubeginn" zugleich.

Und eigentlich haben Abschied und Neubeginn immer die Grundmelodie seines Lebensweges geformt.

Fünfzehnjährig wandte er, der zunächst die Absicht hatte, Theologe zu werden, sich nach einem spontanen meditativen Erlebnis dem Studium der abendländischen und indischen Mystik - insbesondere des Sufismus -, der Weltreligionen und der Praxis des Yoga zu. Seine Studien führten ihn zum Buddhismus. Er schloss sich der sehr aktiven buddhistischen Gemeinde in Berlin an und nahm 1937 bei Bhikkhu Tao Chün Zuflucht zu den drei Kostbarkeiten.

Den Krieg erlebte der überzeugte Gandhi-Anhänger als Sanitäter an der russischen Front. Als er im Dezember 1949 aus der Kriegsgefangenschaft entlassen wurde, nahm er das unterbrochene Medizinstudium wieder auf, legte 1954 das Staatsexamen ab und ließ sich in Ostberlin zum Facharzt für Naturheilkunde und Physikalische Therapie ausbilden.

In losem Kontakt mit der 1948 gegründeten "Buddhistischen Mission Berlin" war er im November 1952 Zeuge der Bekanntgabe der Gründung des "Westlichen Ordens Arya Maitreya Mandala" durch Lama Anagarika Govinda in Sanchi/Indien - ein Jahr später wurde er Mitglied dieses Ordens.

1959 ging er als Arzt nach Indien, doch erst 1961 war es ihm vergönnt, Lama Govinda in dessen Ashram in Almora persönlich kennen zu lernen. In den folgenden Jahren war er immer wieder viele Wochen und Monate bei Lama Govinda, der ihn als persönlichen Schüler annahm und ihn in seine Lehr- und  Übungstradition einführte. Es folgten - besonders nachdem Lama Govinda 1965 in die USA übersiedelte, die vielen Jahre intensiver gemeinsamer Arbeit an den Werken, die Lama Govinda als hilfreich und richtungsweisend für einen mit Leben erfüllten Buddhismus in der heutigen Zeit betrachtete, richtungsweisend auch als Vermächtnis und Auftrag an seinen Orden, den er als seinen Erben betrachtete.

1964 von Lama Govinda zum Upacarya ernannt, begann Ven. Advayavajra für die verstreut lebenden Ordensmitglieder und Freunde jährliche Schulungsseminare und Exerzitien anzubieten. Hinzu kam eine Zeitschrift, "Der Kreis", die neben ordensinternen Informationen und Belehrungen sich zunehmend zu einer offenen "Zeitschrift für Buddhismus im Westen" entwickelte.

1981 berief ihn Lama Govinda zum Vajracarya.

Ab 1982 oblagt Ven. Advayavajra die spirituelle Leitung des Gesamtordens. Er allein ist ermächtigt zur Fortsetzung der Sukzession des Arya Maitreya Mandala.

Dass Lama Govindas literarische Werke - auch posthum - weiterhin erhältlich sind, geschah und geschieht durch seinen unermüdlichen Einsatz.

Dass die von Lama Govinda initiierte Lehr- und Übungstradition an uns weitergegeben und gelebt werden kann, das ermöglichen die von ihm geleiteten Exerzitien - im Jahre seines 81. Geburtstages ist es das 36. Exercitium des Ordens. Sehr bewusst sind sie offen für alle, die üben, den Weg, den der Buddha gewiesen hat, zu gehen.

Die von ihm geleiteten Intensiv-Schulungsseminare erfüllen den Auftrag, den Lama Govinda seinem Orden gab: die Lehre des Buddha so darzulegen, dass sie die gesamte buddhistische Tradition umfasst und gleichzeitig die besonderen geistigen und seelischen Voraussetzungen unserer Zeit mit einbezieht, wobei der frühe Buddhismus Grundlage und Ausgangspunkt für Lehrdarlegung und meditative Praxis des Ordens bildet.

Am 3. August 1999 legte Ven. Advayavajra seinen Auftrag als Mandalacarya und Vajracarya des Ordens Arya Maitreya Mandala vertrauensvoll in die Hände seines Nachfolgers, Ven. Asanga, legt, so möge dies für uns, seine Schülerinnen und Schüler, erneut Anlass und Aufruf sein, den Dienst, zu dem wir in dieser Weggemeinschaft berufen wurden, in Ehrlichkeit und Bescheidenheit und mit Freude zu erfüllen. Ven. Advayavajra wird uns als Mahacarya weiterhin ratend und wegeweisend vorangehen."

[Quelle: http://www.lama-govinda.de/Page10091/Informationen_zum_Orden/informationen_zum_orden.html. -- Zugriff am 2003-06-19]

1985

Lama Anagarika Govinda (geboren 1898) stirbt

1988

Anila Li Gotami (geboren 1906) stirbt.

1999

 Advayavajra (Karl-Heinz Gottmann, geb. 1919) übergibt die Leitung des Arya Maitreya Mandala an Asanga (Prof. Dr. Erwin Kasper, geb. 1933)


Abb.: Advayavajra und Asanga [Bildquelle: http://www.lama-govinda.de/Page10091/Fotos/fotos.html. -- Zugriff am 2003-06-19]

 


13. Wolfgang Schumacher's Wiedergeburt und Wirken


[Zu Wolfgang Schumacher (1908-1961) s. Hecker, Hellmuth <1923 - >: Lebensbilder deutscher Buddhisten ; ein bio-bibliographisches Handbuch. -- Konstanz : Universität. -- (Forschungsprojekt "Buddhistischer Modernismus" -- Forschungsberichte)
Band II: Die Nachfolger. -- 1992. -- (... ; 5). -- S. 219-224 (mit ausführlichen Literaturangaben)].


Abb.: Wolfgang Schumacher, um 1940

[Bildquelle: Klar, Helmut <1914 - >: Helmut Klar : Zeitzeuge zur Geschichte des Buddhismus in Deutschland / hrg. von Martin Baumann. -- Konstanz, 1995. -- (Forschungsberichte / Forschungsprojekt "Buddhistischer Modernismus" ; 11). 150 S. : Ill. -- Online: http://www.ub.uni-konstanz.de/kops/volltexte/2000/588/html/klar1.html. -- Zugriff am 2003-06-19]

"Der Arzt und Paul-Dahlke-Schüler Wolfgang Schumacher (1908-1961) war seit 1930 Mitglied der NSDAP (Reichsredner mit Ausweisnummer 260) und des NS-Studentenbundes. Offen strebte er eine Synthese von Buddhismus und NS-Bewegung an. In der zu diesem Zweck seit 1933 herausgegebenen Zeitschrift Wiedergeburt und Wirken — Zeitschrift für Erneuerung von Kultur und Geistesleben pries er die Lehre Buddhas als eine heidnisch-arische Alternative zu den christlichen Anbiederungsversuchen an das Regime, wie zum Beispiel durch die Glaubensbewegung »Deutsche Christen« des Reichsbischofs Ludwig Müller. Das Christentum könne sich nicht auf arische Wurzeln zurückführen lassen — so Schumacher —, der Buddhismus dagegen wohl. Er trage zur »Vergeistigung der Kräfte des Blutes« bei.

Trotz seiner Parteizugehörigkeit war Schumacher angesichts der politischen Entwicklung etwas verunsichert und sprach deswegen bei zwei Ministerien vor. In einem Brief an den »Minister für Kunst, Wissenschaft und Volksbildung«, in dem er sich »als langjährigen Vorkämpfer buddhistischer Gedanken« einführte, versuchte er, die »staatstragenden« Absichten des Buddhismus darzustellen. Scharf wandte er sich darin gegen »eine Reihe theosophisch-okkultistischer Vereine«, die »unter dem Deckmantel des Buddhismus« agierten und »durch ihre philosemitische Einstellung das Ansehen des reinen Buddhismus in den Augen der Staatsregierung herabsetzen könnten.« Nach einem persönlichen Kontakt mit dem Ministerium für kirchliche Angelegenheiten kam man dort in einem Protokoll zu dem Schluss: Schumacher hoffe, dass die »buddhistische Bewegung« in ihrer Tätigkeit nicht eingeschränkt werde. »Dies umso weniger, als sie die Einschränkungen, die das nationalsozialistische Programm hierfür aufstelle (Wahrung der Hoheit und Würde des Staates und Sittlichkeitsgefühl der germanischen Rasse) voll anerkenne und ihnen sogar in besonderem Maße Rechnung zu tragen glaube.«

In Heft 1 der von Schumacher herausgegebenen Zeitschrift Wiedergeburt und Wirken ist 1933 zu lesen, dass die Buddha-Doktrin im Osten immer mehr an Bedeutung verliere (»der Osten kapituliert«), im Westen jedoch zunehmend Anhänger finde: »Heute noch zu hoffen, dass die Aufhellung der Weltverfinsterung aus dem Osten kommen könne, ist eine Illusion. [...] Der Osten weiß nichts mehr mit seinem heiligen Erbe zu beginnen. Möge in Deutschland das Verständnis für diese Lehre wachsen und sich festigen, damit diese höchsten Menschheitsgüter erhalten bleiben und einen neuern Hort finden.« Schumacher setzte im Jahre von Hitlers Machtergreifung auf dieses Land, »das in den letzten Monaten eine Umstellung auf fast allen Gebieten erlebt, wie sie in dieser Grundsätzlichkeit und Schnelligkeit in der Völkergeschichte einzig dasteht.«

In dem Artikel »Arische Religion« ist zu lesen, eine seinem Wesen angemessene Religion fehle heute dem »deutschen Volke« und der Buddhismus biete sich geradezu an:

»Fern vom Volkstum und den höchsten Idealen der Deutschen eine artfremde Religion [gemeint ist das Christentum] und fern der Kirche und gegen sie ein aus den Tiefen des Volkstums und seinen Idealen genährtes Geistesleben — das ist der tragische Konflikt, in den das geistig-religiöse Leben in Deutschland geraten ist. Eine Lösung dieses Konfliktes ist nur möglich, wenn dem deutschen Volk eine Religion geschenkt wird, die seine arisch-nordischen Ideale nicht verflucht, sondern sie anerkennt, entwickelt und läutert. Die Lehre des arischen Königssohns Gautama Buddha ist eine solche Religion. Viel besprochen und doch wenig gekannt, ist der Buddhismus weiteren Kreisen des deutschen Volkes nur als religionsgeschichtliches Phänomen bekannt. Tapferkeit, Ehre und Freiheit, die höchsten deutschen Ideale, finden gerade im Buddhismus ihre Anerkennung und Läuterung.«

Schumacher predigte einen »aktiven« Buddhismus für kriegerische Germanen:

»Neben Tapferkeit im Geiste und Unerschütterlichkeit und Mut ist es vor allem der Begriff der Ehre, der im Buddhismus wie in den nordischen Sagen eine hervorragende Rolle spielt. Alle Verantwortung für sein Tun trägt der Mensch im Buddhismus selbst. Die Lehre von der Sündenvergebung und der Erlösung schlug dem nordischen Ehrbegriff ins Gesicht. Der deutsche Mann will sich nichts schenken lassen, am wenigsten die >Seligkeit ohne all sein Verdienst und Würdigkeit«:. Alles will er durch eigene Anstrengung erarbeiten.«

Der deutsche Buddhist Schumacher bekannte sich ebenfalls zu der NS-Rassentheorie, wenn auch mit einer Differenzierung. Er sah die Rassenzugehörigkeit nämlich als ein Privileg, das aus gutem Karma entstanden sei, und nicht als das Ergebnis arischer Gene. Häuft ein Arier in seinem Leben schlechtes Karma an, dann kann es ihm passieren, als Angehöriger einer Unterrasse wiedergeboren zu werden:

»Die Rasse und das Blut ist eine Veranlagung, die erst dann recht eingeschätzt wird, wenn sie als Verantwortung aufgefasst und ausgebaut wird. Wiedergeburt in einer hohen Rassengemeinschaft birgt dann die Verpflichtung in sich, ein besonders gutes und sauberes Leben zu fuhren, damit die erreichte Höhe nicht wieder verloren geht. Dass einer heute hoch geboren ist, in guter Rasse, beweist nichts für seine Zukunft, sondern nur, dass er in früheren Leben solche Verdienste angehäuft hat und so rein gelebt hat, dass er hier wiedergeboren werden konnte.«

Der Buddhismus wende sich somit gegen eine rein biologische »Rassenvergöttlichung«, sehe aber in der rassischen Bevorzugung des Ariers ein karmisches Privileg. Er sei die arische Religion schlechthin, denn im Gegensatz zum Christentum — so Schumacher - ist der Buddhismus kein Glaubenssystem, dass sich »einheitlich für nordische Menschen, Levantiner, Nigger, Chinesen und Eskimos« eignet. Schumacher zitiert hier zustimmend Alfred Rosenberg.

Der Zeitschriftenartikel »Arische Religion« wurde »als das beste und billigste Werbemittel für den Buddhismus« gesondert gebunden und en gros als Sonderdruck angeboten, 100 Stück zu 4,00 RM und portofrei. Ihm folgt noch ein kleines Statement mit dem Titel »Der deutsche Kanzler im Lichte des Buddhismus«, in dem Hitlers Tierliebe und sein Vegetarismus hervorgehoben werden:

»Es dürfte von Interesse sein«, heißt es dort, »[Hitlers] Persönlichkeit unter kulturellen und rein menschlichen Gesichtspunkten zu betrachten, weil dann der gewaltige Abstand des deutschen Volkskanzlers von allen früheren >Führern< besonders stark hervortritt. Von Wilhelm II., dem großen Jäger, kündet ein unscheinbarer und doch viel sagender Stein: >Hier erledigte Seine Majestät der Kaiser seine 50.000. Kreatur.< [...] Adolf Hitler [dagegen] ist Vegetarier und ausgesprochener Tierfreund. [...] Tatsächlich sind auch bereits im Mai 1933 Tierschutzgesetze erlassen worden. Gewiss sind das kleine Züge im Charakterbild eines großen Mannes, aber für den Nachdenklichen sprechen sie mehr als dicke Bücher. Denn es ist sehr wichtig, dass >die Ersten des Staates auch die ersten Menschen sind<.«

Im selben Jahr organisierte Schumacher den »Ersten Buddhistischen Kongress in Berlin«, an dem ca. 40 bis 50 Personen teilnahmen. 1937 geriet er für kurze Zeit mit dem Regime in Konflikt, weil er eine in Singapur erscheinende Zeitschrift mit dem Namen Peace herausgab. Er durfte aber weiter publizieren.

Ab 1940 begann er Tibetisch zu lernen und wandte sich dem lamaistischen Buddhismus zu.

Von 1943 bis 1945 gab er die Schriftenreihe Religionsgeschichtliche Studien heraus, die ganz auf die Kriegermentalität der Zeit ausgerichtet sind. Dort erschienen Artikel wie »Die Tugenden des geistigen Kämpfers« (1943), »Der Charakter des geistigen Kämpfers« (1944) und »Die gewaltige Predigt vom mythischen Weltenherrscher« (1944). Letztere ist eine Buddha-Rede aus dem Pâlikanon (Cakkavatti-Sihanada-Suttanta), in der gefordert wird, ein Weltherrscher müsse sein Reich auf Recht und Moral gründen. Er soll Mensch und Tier schützen. Diese buddhistische Idee vom machtvollen »Chakravartin« war von Schumacher sicher nicht als Kritik an der deutschen Diktatur gedacht, sondern eher als eine buddhistische Bestätigung des Führerprinzips."

[Quelle: Trimondi, Victor [= Herbert Röttgen] ; Trimondi Victoria [= Mariana Röttgen]: Hitler, Buddha, Krishna : eine unheilige Allianz vom Dritten Reich bis heute. -- Wien : Ueberreuter, 2002. -- 639 S. : Ill. ; 25 cm. -- ISBN 3-8000-3887-0. -- S. 308 - 311]

Das Folgende folgt (teils wörtlich):

Steinke, Ulrich: Karl Bernhard Seidenstücker (1876-1936) : Leben, Schaffen, Wirken. -- Kapitel 9: Buddhismus in Deutschland nach 25 Jahren. -- URL: http://www.payer.de/steinke/steink09.htm

1933

Der Arzt und Dahlke-Schüler Wolfgang Schumacher (1908-1961) gründet Berlin die Zeitschrift Wiedergeburt und Wirken, Zeitschrift für Erneuerung von Kultur und Geistesleben, jedoch nach vier 24-seitigen Heften stellte er die Veröffentlichung ein. Schumacher stellt den Vegetarismus Hitler's der Jagdlust des Kaiser's gegenüber [Wiedergeburt und Wirken 3 (1933). -- S. 18] und begrüßte Hitler's Versprechen über Religionsfreiheit [Wiedergeburt und Wirken 4 (1933). -- S. 20f.]. In Heft drei veröffentlicht er seinen Artikel Arische Religion, in dem er Reichsbischof Müller's Glaubensbewegung Deutsche Christen als "Versuch am unrichtigen Objekt" kritisierte und den Buddhismus als ideale Religion empfahl "zur Vergeistigung der Kräfte des Blutes ... der heutigen arischen Menschheit..." [Wiedergeburt und Wirken 3 (1933). -- S. 4 und 9]. Er pries den Artikel als das beste und billigste Werbemittel für den Buddhismus und bot ihn en gros als Sonderdruck an. Schumacher organisierte am 23. und 24. September 1933 einen buddhistischen Kongress im Buddhistischen Haus. Anwesend waren Ânanda Kausalyayana von der Buddhist Mission of London, Miss Grace Lounsbery von den französischen Amies du Bouddhisme, Dr. Prochazka aus der Tschechoslowakei, E. W. Atukorala aus Ceylon, Sakakibara aus Japan und Dr. Max Bruno (1895-1951) und Guido Auster. Weitere deutsche Teilnehmer blieben unerwähnt.

Junji Sakakibara, japanischer Shin-Priester, stellte klar:

"Man könnte denken, dass der Buddhismus nur eine Volksreligion des indo-arischen Volkes sei. Aber die Indo-Arier haben noch eine andere Religion, nämlich den Brahmanismus, und während dieser tatsächlich nur diesem Volke angehört, ist der Buddhismus eine Weltreligion."

[Wiedergeburt und Wirken 4 (1933). -- S. 17f.].


14. Wilhelm Müller : vom Kommunisten zum Buddhisten



Abb.: Wilhelm Müller [Bildquelle: Hecker, a.u.a.O.; S: 148]

[Zu Wilhelm Müller s.: Hecker, Hellmuth <1923 - >: Lebensbilder deutscher Buddhisten ; ein bio-bibliographisches Handbuch. -- Konstanz : Universität. -- (Forschungsprojekt "Buddhistischer Modernismus" -- Forschungsberichte). -- Band II: Die Nachfolger. -- 1992. -- S. 148 - 155]

 Zwischen 1933 und 1935

Der Kommunist Wilhelm Müller (1912 - 1990), der 1933 wegen Hochverrats und Rädelsführerschaft zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt wurde, lernt im Gefängnis über Bücher den Buddhismus kennen und wird zum Buddhisten.

"WILHELM MULLER : BUDDHISTISCHER MISSIONAR & SOZIALPOLITISCHER AKTIVIST

von MARTIN BAUMANN

Politisches Engagement und soziale Aktivität werden dem Buddhismus und seinen Vertretern oft abgesprochen. Das Leben und Wirken Wilhelm Müllers hingegen zeigt, dass die buddhistische Lehre auch in sozialpolitischer Richtung interpretiert worden ist.

Wilhelm Müller, 1912 als fünftes Kind einer Arbeiterfamilie in Oschersleben (Kreis Magdeburg) geboren, hatte den Beruf des Bergmanns erlernt. Als Mitglied der Sozialistischen Arbeiterjugend und des kommunistischen Jugendverbandes kämpfte er gegen den Aufstieg der Faschisten, die in der Endphase der Weimarer Republik immer mehr Einfluss gewannen. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 wurde Müller verhaftet und zu zweieinhalb Jahren Gefängnis wegen Hochverrats und Rädelsführerschaft verurteilt. Während der Haftzeit lernte er über Bücher den Buddhismus kennen. Nach der Entlassung arbeitete Müller im Straßen- und im Hochbau. Am Feierabend widmete er sich im Selbststudium den buddhistischen Lehrreden in der Neumannschen Übersetzung. Müller war kurzzeitig Schüler von Tao Chün (Martin Steinke); über die Frage, ob verletzten Tieren aus buddhistischer Auffassung zu helfen sei, kam es jedoch zum Verwürfnis zwischen ihnen.

Nach dem zweiten Weltkrieg schloss sich Müller 1946 der 'Alt-buddhistischen Gemeinde' (Utting) an. Zwei Jahre später, 1948, gründete er mit zehn Personen in Moers die 'Buddhistische Gemeinde am Niederrhein' (BGaN). "Der Gemeindegründung war eine intensive zweijährige Missionstätigkeit vorausgegangen. In Vorträgen, Arbeitsgemeinschaften sowie in Flugschriften bemühte sich Wilhelm Müller, selbst ein Arbeitersohn, den Menschen der Arbeiterklasse und des kleinen Mittelstandes die Lehre des Buddha in einfacher, allgemeinverständlicher Sprache nahezubringen' . Diese Vermittlungsbemühungen, das "missionarische Wirken', plastischer zum Ausdruck zu bringen, bezeichnete sich die Gemeinde mitunter auch kurz als 'Buddhistische Mission'.

Nach der Gründung des westlichen Zweiges des 'Arya Maitreya Mandala' 1952 in Berlin trat Müller dem Orden 1953 bei. In Berlin wurde er von Hans Ulrich Rieker im "Buddhistischen Haus" zum Priester geweiht. Er erhielt den Ordensnamen Anagarika Subhuti. Müller wirkte bei der Gründung der "Deutschen Buddhistischen Gesellschaft" (1955) mit und war mit seiner Gemeinde eines der ersten sieben Gruppenmitglieder . Die Größe der "BG am Niederrhein', die sich als religiöse Gemeinschaft verstand, war sehr schwankend; sie umfasste von ganz wenigen Personen in den sechziger Jahren bis zu 40 Mitgliedern während der siebziger Jahre. Müller als Hauptakteur der Gemeinde und gleichzeitiger "Missionsleiter"  war bestrebt, in öffentlichen Veranstaltungen wie Vorträgen, in Arbeitsgemeinschaften, bei Schul- und Universitätsbesuchen sowie durch seine Zeitschrift Der Pfad zur Verbreitung der buddhistischen Lehre beizutragen.

1971 errichtete Müller in seinem Garten in der Bergarbeitersiedlung Meerbeck einen kleinen Tempel, der "beredtes Zeugnis von der großen Opferbereitschaft und Hingabe einer relativ kleinen Schar" ablegte. Im Keller seines Hauses war ein Meditationsraum eingerichtet, in dem die vornehmlich jüngeren Interessierten regelmäßig in Meditation und buddhistischer Lehre unterwiesen wurden. Müller kümmerte sich insbesondere um psychisch labile oder drogengefährdete Jugendliche und beriet als Vorsitzender der Kriegsdienstverweigerer in Moers junge Erwachsene 9. Neben der Altbuddhistischen Gemeinde war Müllers BGaN eine der wenigen buddhistischen Gruppen in den siebziger Jahren, die sich auch besonders um Jugendliche kümmerte. Ebenso engagiert setzte sich der von seinem sozialen Umfeld s mitunter spöttisch bezeichnete 'Arbeiterpastor' oder 'Katzenwilli' für den Tierschutz ein . Immer wieder waren im Pfad emphatische Artikel abgedruckt, die den Missbrauch von Tieren anprangerten. In diesem sozialpolitischen Engagement sah Müller die praktische Umsetzung seines Bodhisattva-Gelübdes, "allen Wesen in der Welt" behilflich zu sein.
1990 verstarb Wilhelm Müller im Alter von 78 Jahren 12. Nach dem Tode ihres "Spiritus Rector" (Yâna) löste sich die Gemeinde auf; einige ihrer Mitglieder schlössen sich anderen Gruppen an."

[Quelle: Bodhi Baum. -- Wien. --  ISSN 1018-6204. -- 18. Jahrgang, Nr. 1 (1993). -- S. 22f.]

Da Wilhelm Müllers Biografie innerhalb der deutschen Buddhisten außergewöhnlich ist, gebe ich hier seine Autobiografie wieder:

"DIE GESCHICHTE MEINES LEBENS

WILHELM MÜLLER (1912-1990)

Mein gegenwärtiges Dasein begann offiziell am 2. September 1912 in Homhausen im Kreis Oschersleben in der früheren DDR. Mein Vater war der Ziegeleiarbeiter und spätere Bergmann Friedrich Wilhelm Möller, meine Mutter die Büglerin Sofie Luise Müller geb. Schumann. Ich war das fünfte Kind meiner Eltern.

1913 übersiedelten wir nach Westdeutschland und wurden bald in Moers am Niederrhein ansässig. Hier fand Vater Arbeit auf der Zeche Rheinpreußen, Schacht V. Aber als dann der Erste Weltkrieg ausbrach, musste er Soldat werden. Mutter stand nun mit uns Kindern allein da. Aber dank ihrer unbegrenzten, großen Opferbereitschaft hat sie uns sicher durch diese schwere Zeit gebracht, ja, Mutter kümmerte sich nicht nur um uns, sondern half auch anderen Familien bei deren Schwierigkeiten mit Behörden. Im Jahre 1919 kam ich in die Evangelische Volksschule in Moers-Meerbeck. Unser Vater, der draußen an der Front seinen christlichen Glauben verloren hatte und nun ein atheistischer Freidenker geworden war, befreite mich und meine Geschwister von der Teilnahme am Religionsunterricht. Später, nach der Eröffnung der Freien Schule, besuchten wir dann diese. Ich beschäftige mich jedoch gegen den Willen meines Vaters weiter mit der Bibel und wurde sogar ein gläubiger Christ. Nach meiner Schulentlassung wollte ich, da ich eine starke Begabung zum Zeichnen und Malen hatte, Buchillustrator werden, kam aber nirgends an, weil ich nur ein
Auge hatte und außerdem noch stark kurzsichtig war. (Als Siebenjähriger hatte man mein linkes Auge wegen einer schweren Entzündung operativ entfernen müssen, worunter ich sehr gelitten habe.) So musste ich denn auf die Zeche gehen, um dort als Tagesarbeiter mein Brot zu verdienen. Und da ich politisch sehr interessiert war, trat ich traditionsgemäß (denn wir waren eine alte sozialdemokratische Familie) der Sozialistischen Arbeiterjugend bei. Der Umstand, dass mein Vater Gewerkschaftsfunktionär und Betriebsratvorsitzender war, trug entscheidend zu meiner weltanschaulichen Entwicklung und Willensbildung bei. Zudem wurde ich direkter Zeuge von Streik und Aussperrung, denn unsere Familie wurde davon besonders hart getroffen, da Vater ja Streikführer war.

Jedoch gab es in jenen dunklen Tagen auch einen tröstlichen Lichtblick für uns: das unvergessliche Erlebnis der Solidarität der Kumpels mit unserem Vater. Das war so: Ein vom Bergarbeiterverband ausgerufener Streik war nach längerer Dauer zusammengebrochen und Vater durfte nicht anfahren und sein Lohn wurde gesperrt. Das war sehr schlimm für uns. Mutter saß weinend am Herd, sie konnte uns nichts zu essen geben. Wir Kinder standen bedrückt herum, Vater lief ratlos mit verzweifelter Miene auf und ab. Da ging auf einmal die Tür auf, und ein Kumpel von großer, hagerer Gestalt, mit Sportmütze und offenem Hemd, trat ein und legte mit den Worten "Hier, Fritz, ihr dürft nicht hungern!" mehrere Geldscheine auf den Tisch, und ihm folgten noch mehr Kumpels und taten dasselbe. Als die Leute gegangen waren, rief Mutter: "Willi, Willi, lauf schnell und hol Brot!*, worauf ich freudestrahlend mit einem Geldschein davonrannte und das so heiß begehrte Lebensmittel holte. Aber auch noch andere Ereignisse beeindruckten mich nachhaltig, wie z.B. die wuchtigen Mai-Demonstrationen und Kundgebungen sowie die Wahlkämpfe der Partei und der Gewerkschaften.

Mein Denken und Fühlen erfuhr dann eine zunehmende Klärung und Festigung durch ein intensives Studium der Lehren von Marx, Engels und Lenin. Zunächst versuchte ich, die Glaubenslehren des Christentums damit zu vereinbaren, denn ich sah in Jesus vor allem den ersten Kommunisten und Revolutionär, eine Ansicht, die ich von meinen Eltern übernommen hatte. Die Integration dieser beiden Weltanschauungen wollte mir aber nicht gelingen. (Hinzu kam dann noch, dass wir Jungen, die wir nun zu überzeugten Marxisten geworden waren, mit der Führung der Sozialdemokratischen Partei immer mehr in Konflikt gerieten, denn wir stellten immer klarer fest, dass zwischen der Ideologie der Partei und ihrer Tagespolitik ein stets größer werdender Widerspruch klaffte. Wir verließen später den Verband der Sozialistischen Arbeiterjugend und traten danach bald zum Kommunistischen Jugendverband Deutschlands über.

In dieser neuen Organisation wurden wir bald in führende Positionen gewählt. Ich selbst wurde zum Betriebszellen-Leiter gewählt und gab die Betriebszeitung "Der rote Jugendkumpel" heraus, die alle 14 Tage auf drei Schachtanlagen erschien. Außerdem brachten wir noch die Zeitschrift "Der junge Rebell" für die Bergmannsiedlung heraus. Meine Hinwendung zur kommunistischen Bewegung verursachte natürlich starke Spannungen in meiner Familie, was sich jedoch später änderte.

1933, nach der sogenannten Machtergreifung Hitlers, gingen wir, gut vorbereitet, in die Illegalität. Nachdem wir die Unzuverlässigen - und das waren nicht wenige -abgehängt hatten, bauten wir unsere Gruppe neu auf und sicherten uns und unsere Arbeit durch die Straffung der Organisation nach dem Dreiergruppenprinzip, durch die Einführung von Tarnnamen sowie durch die Verbesserung des Verteilersystems für unsere Druckschriften. Außerdem richteten wir Zersetzungszellen in der "Hitlerjugend* und im Arbeitsdienst ein. Im April 1933 wurde ich von der Arbeit weg mit vielen Genossen in "Schutzhaft" genommen. Wir befürchteten das Schlimmste, denn wir hatten schon von den Gräueln gehört, die vielen Menschen in den Konzentrationslagern widerfahren waren. Und wir sollten ja auch in ein solches Lager überführt werden. Aber mein Schicksal sollte anderes verlaufen: Nach mehreren Tagen der Ungewissheit ging plötzlich die Tür unserer Gemeinschaftszelle auf, und ein SA-Mann rief: "Müller, Sachen packen, entlassen!" Wir waren alle sehr erstaunt. Ich wurde zum Polizeikommissar geführt, der mich aufforderte, einen Zettel zu unterschreiben, der mich dazu verpflichtete, mich jeder staatsfeindlichen Betätigung zu enthalten. Nachdem ich die Unterschrift geleistet hatte, konnte ich gehen. Draußen an der Tür traf ich Vater, der mich abholen wollte. Er empfing mich mit den Worten: "Ja, Junge, weißt du auch, warum du freigekommen bist?" Als ich verneinte, berichtete er: "Als Fritz (mein ältester Bruder) nach Hause kam und von deiner Verhaftung erfuhr, wollte er sofort losstürmen zu Landrat Bollmann und deine Freilassung erwirken, Ich gab ihm das Hitlerbild, das du gemalt hattest, und sagte zu ihm: "Hier, nimm das Hitlerbild mit, das hat Willi gemalt. Zeig es dem Bollmann, wer weiß, wofür es gut ist." (Ich hatte das Bild nach einer Vortage im Illustrierten Beobachter" gemalt und es meinem Vater gezeigt mit den Worten: "Papa, ich lege das Bild in deine Schublade, wenn morgen die SA kommt und eine Hausdurchsuchung halten will und dann das Bild findet, gucken sie nicht mehr so genau nach", denn ich hatte viel illegales Schriftmaterial im Haus.) Fritz ging also zu Bollmann und zeigte ihm das Hitlerbild. Der sagte dazu: "Das kann unmöglich ein Kommunist sein, der das gemalt hat! Der Mann muss sofort freigelassen werden!'" Und das geschah dann auch.

Nach meiner Freilassung beriefen wir zunächst eine Unterbezirkssitzung ein. Ich berichtete den Genossen von meinem Abenteuer, und wir lachten alle über diesen Reinfall der Nazis. Und ich muss noch hinzufügen, dass wir diese Sitzung aus Sicherheitsgründen in unmittelbarer Nähe des
Polizeiamtes abhielten, am helllichten Tag, am Rande eines kleinen Wäldchens.

Ich war nach dem Verbot der Politische Leiter der ganzen Ortsgruppe geworden und hielt meine Genossen zum selbständigen Arbeiten an und schärfte ihnen besonders ein, nach meiner immer wahrscheinlicher werdenden erneuten Verhaftung den "Roten Jungkumpel", unsere Zeitung, unter allen Umständen weiter erscheinen zu lassen, damit der Verdacht meiner Mittäterschaft bzw. Urheberschaft an dem Blatt aufgehoben oder wenigstens entkräftet würde.

Und so kam es denn auch: am 16. August 1933 wurde ich, nachdem mir mein Arbeitgeber, die Zeche Rheinpreußen, auch noch die Kündigung "wegen meiner Gegnerschaft zur Regierung der Nationalen Erhebung" ins Haus geschickt hatte, wegen des Verdachts staatsfeindlicher Umtriebe, das heißt der Verbreitung des "Roten Jungkumpel" zum zweiten Male verhaftet. Mit dazu beigetragen hat allerdings auch meine Teilnahme an der Gegendemonstration gegen den Siegesfackelzug der Nazis, den diese ausgerechnet in unserer Siedlung, einer Hochburg von SPD und KPD, in sehr provokativer Art durchführten. Wir antworteten mit Gegensprechchören und Revolverschüssen und sprengten den Zug. Die Faschisten verließen fluchtartig die Siedlung und ließen dabei ihre Hakenkreuzfahne im Dreck liegen. Meine Haft dauerte diesmal zwölf Tage. Es hatten sich einige Belastungszeugen gemeldet, deren Aussagen ich aber geschickt widerlegte, bis dann eines Tages der Polizeiinspekteur zu mir sagte:

"Nun weiß ich nicht mehr, woran ich bin. Jetzt haben wir Sie hier festsitzen, und das Blatt "Der Rote Jungkumpel" kommt immer noch heraus!" Ich antwortete: "Da sehen Sie doch wohl, dass ich unschuldig bin." Er: "Das meine ich auch, ich werde deshalb Ihre Freilassung in die Wege leiten". Bald darauf wurde ich dann auch wieder in Freiheit gesetzt. Ich setzte meine illegale Arbeit wieder fort, in verstärktem Maße. Wir machten die Bevölkerung auf die Kriegsvorbereitungen der Nazis aufmerksam und warnten vor der drohenden Gefahr eines Überfalls auf die Sowjetunion. Insbesondere aber wollten wir Göring bei seinem Besuch in Moers einen gebührenden Empfang bereiten, und zwar mit in mannshohen Lettern geschriebenen Parolen: "Nieder mit dem Faschismus! Wir fordern die Abschaffung der Arbeitsdienstpflicht!'

Da wurde ich eines Tages von einem Nachbarn (Ludendorff-Anhänger) sehr eindringlich gewarnt, die Aktivitäten fortzusetzen, denn man sei mir auf den Fersen. Er nannte mir einige Namen und Details, was mich sehr stutzig machte. Ich habe daraufhin meine Genossen aufgefordert, sofort bestimmte Personen, die als Gestapospitzel erkannt worden waren, auszubooten und die geplanten Aktionen wieder abzublasen und überhaupt die Zersetzungsarbeit in der Hitler-Jugend vorläufig einzustellen.

Doch auf Drängen eines Instrukteurs ignorierte man meine Weisungen. Die Genossen machten unbekümmert weiter, warben weiter in der Hitlerjugend Mitglieder für den Kommunistischen Jugendverband und hatten auch bald die Polizeispitzel aufgenommen. Die besagten Parolen wurden an zwei oder drei markanten Stellen der Stadt gemalt, was natürlich großes Aufsehen erregte. Für die Gestapo war das der willkommene Anlass zuzuschlagen. Zuerst wurde der Jüngste unserer Gruppe festgenommen. Der Sechzehnjährige hielt dem Gestapoverhör natürlich nicht stand, belastete Stefan Hauser, den Hitler-Jugend-Kameradschaftsfürer, der als unser Kurier den Kontakt zu unseren Leuten in Holland aufrecht erhielt. Dieser belastete seinerseits Josef Leis, meinen engsten Mitarbeiter, und schließlich auch mich. Ich wurde dann als Letzter unserer Gruppe verhaftet. (Wir zählten 17 Mitglieder, davon blieben 13 dem Zugriff der Polizei entzogen.) einer Verhaftung gingen zwei Hausdurchsuchungen voraus, deren letztere beinahe mein Leben in Gefahr gebracht hätte: Ich hatte noch viele illegale Schriften in einem alten Kanonenofen versteckt und hatte alle Mühe, den Kripo-Beamten davon abzulenken, bis dieser dann plötzlich auf mein Nachtkonsölchen zuging und die darauf liegende Bibel in die Hand mit den Worten "Was ist das hier?" in die Hand nahm und wieder hinlegte. Ich glaubte, mein letztes Stündlein wäre gekommen, denn der Mann hätte das Buch nur aufschlagen brauchen, und er hätte ein Beweisstück erster Ordnung gefunden: ein Rundschreiben der Kommunistischen Jugend-Internationale. Bald nach der Hausdurchsuchung, die auch mit einer Gegenüberstellung mit dem ersten Verhafteten verbunden war (der Junge blieb da noch standhaft), benachrichtigte ich sogleich meine anderen Genossen und übergab ihnen das Material, das ich noch im Hause hatte.

Am nächsten Morgen, am 3. Juli 1934, wurde ich dann ebenfalls verhaftet. Ich wurde Stefan Hauser gegenübergestellt, der meinen Freund Josef Leis und besonders mich selbst schwer belastet hatte und seine belastenden Aussagen auch bei der Gegenüberstellung aufrecht hielt. Ich habe dann ein "volles Geständnis" abgelegt. Anschließend wurden wir vom 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm wegen "Vorbereitung zum Hochverrat" abgeurteilt. Als Hauptangeklagter und Rädelsführer bekam ich eine Zuchthausstrafe von zweieinhalb Jahren, Stefan Hauser als Kameradschaftsführer drei Jahre Zuchthaus. Josef Leis bekam ein Jahr und vier Monate Gefängnis, Werner Scholz neun Monate Gefängnis. In meinem Fall ging das Gericht über den Antrag des Staatsanwaltes, der "nur" zwei Jahre beantragt hatte, hinaus, weil nach Ansicht des Gerichts mein Verhalten während der Verhandlung und auch meine Verteidigungsrede mich als einen geschulten und erfahrenen Funktionär auswiesen. Man legte mir ein Gnadengesuch nahe, ich lehnte jedoch ab. Nach dem Prozess kamen Stefan Hauser und ich in das Zuchthaus Lüttringhausen, Josef Leis und Werner Scholz in die Jugendstrafanstalt Krefeld-Anrath.

BEGEGNUNG MIT DER BUDDHALEHRE

Da Göring inzwischen angeordnet hatte, dass politische Gefangene wie Kriminelle zu behandeln seien, wurden wir denn auch wahllos mit Kriminellen zusammengepfercht, und noch dazu in sehr engen Zellen. Ich wehrte mich dagegen mit Erfolg. Mit mehreren Gefangenen wurde ich dann in einen anderen Zellentrakt verlegt.

Dabei geschah etwas recht Eigenartiges: Nacheinander schloss der Gefangenenwärter die Zellentüren auf und forderte uns auf hineinzugehen, und immer wenn ich hineingehen wollte, drängte sich ein anderer vor, bis ich denn allein übrig blieb. Und als dann der Beamte die letzte Tür aufschloss mit den Worten "Nau, rein!', wollte ich hineingehen, blieb aber verdutzt in der Tür stehen: Stefan, der Verräter, stand mir gegenüber! Der Wachtmeister schaute uns beide an und fragte: "Kennen Sie sich? Ein Prozess?' Wir bejahten. In der Zelle schrieb er sich dann meine Gefangenennummer auf, stand auf und warf die Tür hinter sich zu und schloss ab. Stefan sagte zu mir: "Ja, Willi, jetzt sind wir hier...' "Ich wüsste nicht, was ich mit dir gemacht hätte, wenn ich dich draußen getroffen hätte, du Verräter, du Lump!", erwiderte ich ihm darauf. Ein alter Genösse aber, der dritte Zelleninsasse, hat mich beschwichtigt und damit wohl Schlimmes verhindert. Was blieb uns schon übrig, wir mussten uns wohl oder übel vertragen! Aber man stelle sich vor, zu Dritt mussten wir in einem Raum, der nicht größer war als 2,5 x 3m leben, d.h. arbeiten, essen, trinken, schlafen und unsere Notdurft verrichten. Jeden Tag außer Sonntag durften wir dann eine halbe Stunde Spazierengehen, mit Freiübungen. Ansonsten konnten wir uns tagsüber die Zeit mit Lesen, Gesprächen und Aufundabgehen in der Zelle vertreiben. Natürlich gab es dann eines Tages einen heftigen Streit zwischen Stefan und mir, und Heinrich, der alte Genösse, hat uns dann auseinandergerissen, und Friede war wieder im Bau. Der. Groll verflog, und wir fanden uns dann wieder in recht guten freundschaftlichen Gesprächen.

Und dann wurde Stefan sehr krank, so dass er mir sehr leid tat, und ich pflegte ihn. Doch sein Zustand verschlimmerte sich immer mehr, er wurde dann schließlich so schwach, dass er nicht mehr an den Spaziergängen teilnehmen konnte. Die Zelle war von penetranten Gerüchen erfüllt, es war einfach nicht mehr zum Aushalten. Ich hatte Angst, auch krank zu werden. Da hörte ich, dass nebenan ein Gefangener herausgeholt wurde und die Zelle nur mehr von einem Mann belegt war. Ich fragte den Übriggebliebenen, ob er auch politisch sei, was er natürlich bejahte, wie viele Kriminelle. Und ich fragte ihn auch, ob ich denn zum (überkommen dürfte. Er bejahte es und sagte, ich solle den Wachtmeister fragen. Das tat ich dann auch, mit dem Ergebnis, dass ich übersiedeln durfte. Als ich die Zelle betrat, sah ich auf dem Tisch zwei Bücher liegen, Reisebeschreibungen von Indien und Japan. Als ich letztere aufschlug, sprang mir ein Kapitel gleich ins Auge: Leben und Lehre des indischen Königssohns Siddharta Gautama, der Buddha. Mit brennendem Interesse las ich weiter, es ließ mich nicht mehr los, und es war in der Tat eine Sternstunde in meinem Leben. Die Persönlichkeit und der Lebensweg des Prinzen beeindruckten mich sehr. Aber als ich die Vier Edlen Wahrheiten und die Lehre von den Zehn Fesseln las, da war es mir, als ob ich etwas wiedergefunden hätte, was ich seit langem verloren hatte. Und nicht zuletzt war es auch die hohe Ethik, die sich in den Fünf Silas (den sittlichen Verhaltensregeln) darstellte, wobei ich mit großer Genugtuung feststellte, dass der Buddha im Gegensatz zu Jesus, in seine erste Verhaltensregel über das Nichttöten auch die Tiere miteinbezog, eine Tatsache, die für mich entscheidend war. Ich schrieb mir diese Texte ab und bemühte mich, noch mehr Bücher über Asiens Geisteswelt aus der Gefängnisbücherei zu bekommen. Nach einigen Monaten wurden wir wegen Überfüllung der hiesigen Strafanstalt nach Gelle in die "Hölle von Preußen" (ins Zuchthaus) transportiert. Ursprünglich sollten wir ins KZ Papenburg. Es war schrecklich. Im Morgengrauen wurden wir aneinandergekettet in den düsteren mittelalterlichen Bau hineingeführt. Aus dem Dunkel tauchten dann plötzlich Sträflinge in grünen Kitteln auf, welche unsere "Betreuung" übernahmen. Ich wurde zusammen gesteckt mit einem anderen politischen Gefangenen und einem Kriminellen (der, wie sich herausstellte, ein Wilderer und Doppelmörder war und später hingerichtet wurde). Nach zwei Monaten ging es wieder weiter, wieder wegen Überfüllung, denn die Zuchthäuser, Gefängnisse und KZs konnten damals die immer größer werdende Zahl der nach den Nazigesetzen straffällig Gewordenen nicht fassen.

Schließlich kamen wir ins Zuchthaus Hameln, und das war dann meine letzte Station. Nach unserer Einlieferung musste jeder, der noch der Kirche angehörte, zum Anstaltsgeistlichen kommen, so auch ich, denn ich war nominell noch Mitglied der evangelischen Kirche. Der Pfarrer, bekannt als fanatischer Nazi, fragte mich: "Wie kommen Sie dazu, als Mitglied der Evangelischen Kirche, gegen unseren Führer zu arbeiten?' Ich antwortete: "Ich habe das aus der Überzeugung getan, dass unser Volk nur durch den Kommunismus gerettet werden kann.' Er erwiderte: "Ja, das haben Sie schon in Ihrem Fragebogen geschrieben und auch vor Gericht erklärt, aber wie denken Sie heute?" "Ich bin dabei, mir eine neue Weltanschauung aufzubauen, die man den Buddhismus nennt." "So? Was lehrt denn der Buddhismus?" Ich erzählte ihm von den Vier Edlen Wahrheiten und vom Gesetz des Karma, worauf er antwortete: "Na ja, das muss sich noch ausreifen. Ich habe Hochachtung vor Ihnen, Sie werden von mir hören. Wenn Sie irgendwelche Wünsche haben, insbesondere, was Bücher angeht, sagen Sie es mir, ich werde Ihnen helfen. Und kommen Sie doch zum Religionsunterricht, dann kommen Sie doch wenigstens aus Ihrer dumpfen Zelle heraus." Der Pfarrer versorgte mich dann auch mit religionskundlicher Literatur, und ich nahm regelmäßig am Religionsunterricht teil. Eines Tages bat ich ihn um die Bibel (es handelte sich um die sogenannte Rudolf-Schäfer-Bibel, welche mich auch aus künstlerischen Gründen wegen ihrer wunderbaren Holzschnitt-Illustrationen sehr interessierte). Jedoch wurde es mir vom Pastor verwehrt, dieses Buch zu studieren, mit dem Hinweis, er würde ja meine Briefe lesen, die ich an meine Eltern schrieb. (In den Briefen kam natürlich auch meine Hinwendung zum Buddhismus zum Ausdruck.)

Der Religionsunterricht erwies sich als eine große Bereicherung meines Gefangenendaseins, nicht zuletzt dadurch, dass ich mit einem Studenten aus Leipzig zusammenarbeitete, der zwar wie ich wegen "Vorbereitung zum Hochverrat" einsaß, aber 15 Jahre bekommen hatte. Wir beide machten mit unseren Fragen bzw. Antworten dem Herrn Pfarrer das Leben so schwer, dass dem Studenten schließlich die Teilnahme am Unterricht untersagt wurde und ich mich daraufhin zurückzog, denn ich wollte nicht nach Ablauf meiner Haftzeit, wie so mancher Genösse, vorne am Tor von der Gestapo auf Nimmerwiedersehen abgeholt werden.

Aber mein Interesse an religiösen Fragen und der Kontakt zu dem Geistlichen hatte eine tiefe Kluft zwischen meinen Genossen und mir aufgerissen. Man sah in mir einen Verräter, man brachte mir Hohn, Spott und Verachtung entgegen. Eines Tages, als ich die Arbeitsbaracke betrat, rief mich ein älterer Genösse zu sich und sagte zu mir: "Junge, wenn du dich sehen würdest, wenn du die Baracke betrittst, du lächelst so verklärt, als ob du nicht von dieser Welt wärst! Mensch, merkst du denn nicht, dass alle gegen dich sind, dass du gegen eine Berg anrennst?" "Wieso denn, ich tu doch niemandem etwas", erwiderte ich. "Ja, das ist es doch gerade, weil du dich hältst, dich nur mit der Religion beschäftigst. Wie lange hast du denn noch?" "Ein halbes Jahr." "Melde dich doch zu den Gartenarbeiten!, sonst bist du bald reif fürs Irrenhaus." Ich fragte daraufhin einen Mitgefangenen, der gute Beziehungen zu den maßgeblichen Leuten hatte, ob er mir helfen könne. Dieser bewirkte es dann, dass ich zur Gartenarbeiterkolonne kam. Dann bemühe ich mich, in Einzelhaft zu kommen, mit Erfolg.

Ich glaubte, nun endlich Ruhe zu haben von den Gehässigkeiten der Mitgefangenen, doch da irrte ich mich. Gelächter und Hohn empfing mich, wo man mich erblickte. Man glaubte mich zu kränken, indem man mich "Franz von Assisi" und "Buddha" titulierte, nicht zuletzt auch wegen meines Aussehens, denn ich war ziemlich hager, und man hatte mir den Kopf kahlgeschoren und eine Art knielangen dunkelgrünen Russenkittel angezogen, denn ich war ja zur Überstellung ins Konzentrationslager Papenburg aussortiert worden, was dann doch nicht realisiert wurde.

Eines Tages forderte mich ein Wachmann auf, eine Raupe von einer Wand zu entfernen und zu töten. Ich weigerte mich mit dem Hinweis, dass ich Buddhist sei und nicht töten dürfe. Da herrschte er mich an: "Sie sind ein Gefangener und haben zu gehorchen. Holen Sie sofort das Tier herunter und machen Sie es kaputt!" Als ich mich trotzdem weigerte, kam ein andere Wachmann hinzu und sagte freundlich zu mir "Sie sind Buddhist? Ihre Einstellung zum Leben führt zwangsläufig zum Selbstmord, und sei es erst nach Jahren, meinen Sie nicht auch?" Ich freute mich, einem Menschen begegnet zu sein... Dann erlebte ich einmal etwas ganz anderes, womit ich aber beim besten Willen nicht fertig wurde: Ein Gärtner, ebenfalls ein politischer Gefangener, hatte beobachtet, wie ich beim Harken und Fegen jeden Wurm, jeden Käfer aufhob und in Sicherheit brachte. Sehr freundlich und väterlich ermahnte mich dieser Mann: "Willi, ich habe gesehen, dass du jeden Käfer und jeden Wurm aufnimmst und ins Gras setzt. Mach das doch nicht so auffällig, Junge, die lachen doch alle über dich! Hör auf mich!" Ich fand das sehr nett und rührend von ihm.

Doch nicht lange danach erlebte ich diesen Menschen ganz anders: Ich harkte wie immer die Wege, da sah ich ihn inmitten eines Kohlbeetes stehen und dort arbeiten. Ich wollte unbemerkt weitergehen, da rief er plötzlich meinen Namen. Ich schrak zusammen. Mit einem teuflischen Grinsen streckte er mir ein Hand voll zerquetschter Raupen entgegen! Entsetzt und traurig zog ich weiter. Wie schrecklich doch der Mensch sein kann! Immer wieder musste ich das erleben!

Am sichersten und wohlsten fühlte ich mich in der Einsamkeit und Stille meiner engen Zelle. Da konnte ich ungestört, wie ein Mönch, meinen Gedanken nachhängen, lesen, schreiben und zeichnen und hatte auch mal eine Taube oder Spatzen zu Gast und konnte einer Rattenmutter zuschauen, die sich mit ihren Kindern auf dem düsteren Gefängnishof tummelte.

Am 4. Januar 1937 trat ich dann in Angst und Ungewissheit den Weg in die so lang ersehnte Freiheit an. Es kam mir wie ein Traum vor. Kurz vor dem Bahnhof kam ein SA-Mann auf mich zu, ich erschrak, aber er streckte mir nur eine Sammelbüchse der NSV-Winterhilfe entgegen, und ich warf erleichtert und froh einige Münzen hinein... Als ich dann im Zug saß und die Landschaft da draußen an mir vorbeiflog, fragte ich mich: "Nun bist du wieder frei, Willi, nun stürmt die Welt mit ihren tausendfältigen Eindrücken wieder auf dich ein, wirst du standhalten? Wirst du der Buddhalehre treu bleiben?" Und ich gab mir selbst die Antwort: "Ich werde ihr treu bleiben, ich will ihr treu bleiben, ich will ein Jünger des Buddha bleiben."
Doch meine wiedererlangte Freiheit sollte mir eine neue Leiderfahrung bringen: Ich war ein Geächteter, ein Gebrandmarkter, das bekam ich zu spüren, auf den Ämtern, auf den Straßen und am Arbeitsplatz. Zudem wurde mein Privatleben weiter überwacht und meine Korrespondenz einer strengen Zensur unterworfen. Aber meine intensive Beschäftigung mit der Buddhalehre und mein Bemühen, nach ihr zu leben, machten mich stark, all diese Drangsal zu ertragen.

Sobald ich meinen ersten Arbeitsentgelt bekommen hatte, kaufte ich mir das Taschenbuch "Die Reden Gotama Buddho's in Auswahl übersetzt von K.E. Neumann" und später weitere und größere Werke der Lehrreden und Gespräche des Buddha. Meine Eltern beobachteten mich mit großer Sorge, sie fürchteten, dass ich verrückt werden könne, weil ich diese Lehre doch nicht verstehen würde. Und außerdem hatten sie Angst, dass ich wieder mit dem Staat in Konflikt geraten würde. Da ich mich aber wie damals, als ich Kommunist wurde, über all ihre Bedenken hinwegsetzte, waren sie ziemlich ratlos. Dann versuchte mein Vater mich mit Ironie und Spott und begleitet von kleinen Bosheiten meiner jüngeren Brüder mich von meinem neuen Weg abzubringen, aber vergeblich.

Ja, ich wurde nur noch beharrlicher in meinem Streben und folgte dann schließlich der Einladung eines deutschen buddhistischen Mönches nach Köln. Sein Name war Tao Chün (sein bürgerlicher Name war Martin Steinke). Ich wurde sein Mönchsschüler und hatte die Absicht, nach Ceylon auszuwandern und dort in den Sangha einzutreten. Zunächst verbrachte ich erst einmal meinen Urlaub in dem kleinen Kloster des Bhikkhu Tao Chün in Potsdam.

Das Zusammensein mit dem Meister und seinem engeren Schülerkreis brachte mir mancherlei geistigen und seelischen Gewinn, aber auch schmerzliche Enttäuschungen, wenn auch mein Aufenthalt nicht von langer Dauer war. Die große, entscheidende Enttäuschung erlebte ich in einem Gespräch, welches ich mit Tao Chün hatte, während eines abendlichen Spaziergangs durch die Gärten von Potsdam. Es war Vollmond, und der Meister und ich waren von Harmonie und Frieden erfüllt.

Da begann ich mit dem Meister einen kurzen Dialog, der aber von großer Tragweite für mich werden sollte. Ich fragte: "Bhante, was muss ich tun, wenn ich ein schwerverletztes Tier am Weg finde?" "Dann gehen Sie mitleiderfüllt weiter." "Aber ich muss ihm doch helfen!" "Das geht Sie nichts an, Sie würden ja in das Karma des Tieres eingreifen! Sie können das Tier höchstens an die Seite legen, damit es nicht noch mehr verletzt wird, sonst nichts.' Mit dieser Antwort aus dem Munde eines buddhistischen Mönches konnte ich mich nicht zufrieden geben, dagegen stand alles in mir auf!

Als ich dann später zu Hause war, schrieb ich dem Bhikkhu sogleich einen Brief, in dem ich ihm meine Frage nochmals vortrug. Er antwortet mir dasselbe. Daraufhin schrieb ich ihm folgendes: "Bhante, im Metta-suttam sagt der Buddha: 'Gleichwie eine Mutter selbst unter Aufopferung ihres Lebens ihr einziges Kind schützt, so erwecke man grenzenlose Liebe zu allen Wesen.' Ihre Antwort steht aber in schärfstem Widerspruch dazu! Und ist es nicht auch das Karma, sein gutes Karma, wenn ich des Weges komme und dem armen Wesen in seiner großen Not helfe? Und übrigens, wenn der Buddha damals auch gedacht hätte, es sei eben das Karma der Menschheit, dass sie in Unwissenheit und Leiden verstrickt ist und das geht mich nichts an? Wäre dann der Buddhismus zu einer Weltreligion geworden? Wären wir dann Buddhisten?"

Die Reaktion des Meisters auf meinen Brief war verheerend. Er schrie: "Sie armer Narr! Sie! Gehen Sie doch hin auf die Schlachthöfe und predigen Sie dort Metta! Ich lehne es ab, mit einem so undankbaren Menschen wie Sie noch weiter zu verkehren. Schicken Sie mir umgehend den Mitgliedsausweis der Gemeinde und die Bücher, die ich Ihnen geschenkt habe, zurück!" Dieser Aufforderung kam ich natürlich nach und zog einen Schlussstrich unter diese merkwürdige Episode. Dieser Fall blieb aber ein Einzelfall. In der Folgezeit lernte ich eine ganze Reihe hervorragender Menschen in der buddhistischen Bewegung kennen, die mir zu leuchtenden Vorbildern wurden. Während des Krieges kam ich in Kontakt mit dem großen buddhistischen Gelehrten Dr. Georg Grimm und wurde durch die Korrespondenz mit ihm und nicht zuletzt durch seine Bücher in meiner buddhistischen Überzeugung noch weiter gefestigt und gestärkt.

Im Jahre 1944 wurde ich dann Mitglied der von Georg Grimm gegründeten Altbuddhistischen Gemeinde. Nach dem Krieg, 1946, fuhr ich nach Utting am Ammersee und weilte dort als Gast der Altbuddhistischen Gemeinde in deren Zentrale. Dort bekam ich dann den Auftrag, im Rheinland die Lehre des Buddha zu verbreiten. Aus den Vorträgen und Arbeitsgemeinschaften, die ich insbesondere im niederrheinischen Raum veranstaltete, ging im Jahr 1948 schließlich die Buddhistische Gemeine am Niederrhein hervor.

Die Nationalsozialisten beobachteten mich damals natürlich mit Misstrauen, ließen mich aber doch in Ruhe. Nur als ich später Kontakt insbesondere zu russischen Kriegsgefangenen knüpfte, wurde es fast lebensgefährlich für mich. Aber da ich mich ja auch gut auskannte in der Ideologie oder besser Phraseologie der Nazis, konnte ich geschickt lavieren und argumentieren. Ich hatte ja Hitlers "Mein Kampf und Rosenbergs "Mythos des Zwanzigsten Jahrhunderts" stets parat und las auch die NS-Schulungsbriefe sowie auch Ludendorffs "Am heiligen Quell deutscher Kraft".

Eines Tages sagte ein Vorarbeiter auf der Zeche zu mir: "Du kannst ja kein guter Deutscher sein." "Wieso denn nicht?", antwortete ich. "Weil du Buddhist bist! Damit bist du Kosmopolit!" "Aber hör mal, Schorsch, du bist doch Nationalsozialist, nicht wahr?" "Jawohl!" "Und du bist doch auch Presbyter der Evangelischen Kirche, ja?" "Jawohl!" "Komisch, du als Nationalsozialist bekennst dich zu einer Religion, die von einem Juden begründet worden ist. Ich bin nun kein Nationalsozialist und bekenne mich zu einer Religion, welche von einem Arier begründet worden ist. Sag, wer von uns beiden ist jetzt deutscher, du oder ich?" Der Nazi kam in große Verlegenheit, und ich hatte die Lacher auf meiner Seite. Aber nicht immer ging es so harmlos aus, denn wiederholte Male drohte man mir mit Anzeige wegen pazifistischer Äußerungen oder solidarischen Verhaltens mit russischen Kriegsgefangenen.

Nach dem Krieg habe ich für mehrere Monate führend am Wiederaufbau der sozialistischen Arbeiterbewegung mitgewirkt und gründete die Freie Sozialistische Jugend, die stark pazifistisch geprägt war. Innerhalb der Gruppe bildete ich eine buddhistische Arbeitsgemeinschaft mit anfänglichem Erfolg. Später, nachdem sich diese F.S.J. auf mein Anraten hin der SPD-Jugendorganisation "Die Falken" angeschlossen hatte, zog ich mich wieder aus dem politischen Leben zurück, um mich ganz der Verbreitung der Buddhalehre zu widmen."

[Quelle: Bodhi Baum. -- Wien. --  ISSN 1018-6204. -- 18. Jahrgang, Nr. 1 (1993). -- S. 26 - 32]


Zu 4.1.: Anfänge des Buddhismus in den USA