Herausgegeben von Alois Payer (payer@payer.de)
Zitierweise / cite as:
Lenin, Wladimir I. <1870 - 1924>: Über das Verhältnis der Arbeiterpartei zur Religion. -- 1909. -- Fassung vom 2005-01-03. -- URL: http://www.payer.de/religionskritik/lenin03.htm
Erstmals publiziert: 2005-01-03
Überarbeitungen:
©opyright: Public Domain
Dieser Text ist Teil der Abteilung Religionskritik von Tüpfli's Global Village Library
Erstmals erschienen in:
Proletari. -- Nr. 45, 13. (26.) Mai 1909
Kritische Ausgabe:
Lenin, Vladimir Il'ich <1870-1924>: [Werke] Sochineniia. -- [Moskva] : Gos. izd-vo polit. lit-ry, 1941 - . -- Bd. 15. -- S. 404-415
Übersetzung nach:
Lenin, Vladimir Il'ic <1870 - 1924>: Über die Religion : eine Auswahl. -- Berlin : Dietz, 1981. -- 160 S. ; 18 cm. -- (Bücherei des Marxismus-Leninismus). -- S. 53-66
Über das Verhältnis der Arbeiterpartei zur Religion
Abb.: Russischer Titel: Ленинъ: РЕЛИГІЯ и РАБОЧАЯ
ПАРТІЯ
Die Rede des Abgeordneten Surkow1 in der Reichsduma1a bei der
Behandlung des Budgets des Synods2 und die unten veröffentlichten
Diskussionsreden in unserer Dumafraktion bei der Erörterung des Entwurfs dieser
Rede haben eine gerade jetzt höchst wichtige und aktuelle Frage aufgeworfen. Ein
Interesse für alles, was mit der Religion zusammenhängt, hat heute zweifellos
weite Kreise der »Gesellschaft« erfasst und hat sich auch in der der
Arbeiterbewegung nahestehenden Intelligenz sowie in gewissen Kreisen der
Arbeiter ausgebreitet. Die Sozialdemokratie ist unbedingt verpflichtet, ihr
Verhältnis zur Religion klar darzulegen.
Die ganze Weltanschauung der Sozialdemokratie ist auf dem wissenschaftlichen
Sozialismus, d. h. dem Marxismus aufgebaut. Die philosophische Grundlage des
Marxismus bildet, wie sowohl Marx als auch Engels wiederholt erklärt haben, der
dialektische Materialismus, der die historischen Traditionen des Materialismus
des 18. Jahrhunderts in Frankreich3 sowie Feuerbachs4 (erste Hälfte des 19.
Jahrhunderts) in Deutschland in vollem Umfang aufgegriffen hat — eines
Materialismus, der unbedingt atheistisch und jeder Religion entschieden feind
ist. Wir erinnern daran, dass der ganze »Anti-Dühring«5 von Engels, den Marx im
Manuskript gelesen hat, den Materialisten und Atheisten Dühring des
inkonsequenten Materialismus überführt, dass er nachweist, wie Dühring der
Religion und einer Religionsphilosophie Hintertürchen offenlässt. Wir erinnern
daran, dass Engels in seinem Werk über Ludwig Feuerbach6 diesem vorwirft, er habe
die Religion bekämpft, nicht um sie abzuschaffen, sondern um sie zu erneuern, um
eine neue, »höhere« Religion zu konstruieren u. dgl. m. Die Religion ist das
Opium des Volkes — dieser Ausspruch von Marx7 bildet den Eckpfeiler der ganzen
Weltanschauung des Marxismus in der Frage der Religion. Der Marxismus
betrachtet alle heutigen Religionen und Kirchen, alle religiösen Organisationen
stets als Organe der bürgerlichen Reaktion, die die Ausbeutung verteidigen und
die Arbeiterklasse verdummen und umnebeln sollen.
Zugleich verurteilte Engels jedoch wiederholt die Versuche von Leuten, die
»linker« oder »revolutionärer« sein wollten als die Sozialdemokratie, in das
Programm der Arbeiterpartei ein direktes Bekenntnis zum Atheismus im Sinne einer
Kriegserklärung an die Religion hineinzubringen. Im Jahre 1874 stellte er, als
er über das berühmte Manifest der blanquistischen8 Kommuneflüchtlinge sprach9, die
als Emigranten in London lebten, deren lärmende Kriegserklärung an die Religion
als Dummheit hin und erklärte, eine solche Kriegsansage sei das beste Mittel,
das Interesse für die Religion zu beleben und das wirkliche Absterben der
Religion zu erschweren. Engels warf den Blanquisten vor, sie vermöchten nicht zu
begreifen, dass allein der Klassenkampf der Arbeitermassen, der die breitesten
Schichten des Proletariats allseitig in die bewusste und revolutionäre
gesellschaftliche Praxis einbezieht, imstande sei, die unterdrückten Massen vom
Joch der Religion wirklich zu befreien, während es eine anarchistische Phrase
sei, den Krieg gegen die Religion zur politischen Aufgabe der Arbeiterpartei zu
proklamieren. Und im Jahre 1877 brandmarkte Engels im »Anti-Dühring«5
schonungslos selbst die geringsten Zugeständnisse des Philosophen Dühring an den
Idealismus und die Religion, verurteilte aber zugleich nicht minder entschieden
die angeblich revolutionäre Idee Dührings, in der sozialistischen Gesellschaft
die Religion zu verbieten. Der Religion einen solchen Krieg ansagen heißt nach
Engels »den Bismarck über-bismarcken«, d.h. die Torheit des Bismarckschen
Kampfes gegen die Klerikalen wiederholen (der berüchtigte <»Kulturkampf«>, d. h.
der Kampf, den Bismarck in den siebziger Jahren durch polizeiliche Verfolgungen
des Katholizismus gegen die deutsche Partei der Katholiken, die »Zentrumspartei,
führte). Durch diesen Kampf hat Bismarck den streitbaren Klerikalismus der
Katholiken nur gestärkt, hat er der Sache der wirklichen Kultur nur Abbruch
getan, denn statt der politischen Scheidewände rückte er die religiösen
Scheidewände in den Vordergrund und lenkte so die Aufmerksamkeit gewisser
Schichten der Arbeiterklasse und der Demokratie von den dringenden Aufgaben des
revolutionären und des Klassenkampfes auf einen ganz oberflächlichen und
bürgerlich verlogenen Antiklerikalismus ab. Engels erhob gegen Dühring, der
ultrarevolutionär sein wollte, den Vorwurf, dieselbe Torheit Bismarcks in
anderer Form wiederholen zu wollen, und forderte von der Arbeiterpartei, sie
müsse es verstehen, geduldig an der Organisierung und Aufklärung des
Proletariats zu arbeiten — das werde zum Absterben der Religion führen, sie
dürfe sich aber nicht in das Abenteuer eines politischen Krieges gegen die
Religion stürzen. Diese Auffassung ist der deutschen Sozialdemokratie in
Fleisch und Blut übergegangen; sie hat sich zum Beispiel für die freie
Betätigung der Jesuiten, für ihre Zulassung in Deutschland, für die Aufhebung
aller polizeilichen Kampfmaßnahmen gegen irgendeine Religion ausgesprochen.
»Erklärung der Religion zur Privatsache« — in diesem berühmten Punkt des
Erfurter Programms (1891)10 wurde die dargelegte politische Taktik der
Sozialdemokratie verankert.
Inzwischen ist diese Taktik aber zur Schablone geworden und hat bereits eine
neue Verfälschung des Marxismus in der entgegengesetzten Richtung, in Richtung
des Opportunismus, erzeugt. Man begann den Satz des Erfurter Programms so
auszulegen, als ob wir Sozialdemokraten, als ob unsere Partei die Religion als
Privatsache betrachten, als ob für uns als Sozialdemokraten, für uns als Partei
die Religion Privatsache sei. Ohne sich in eine direkte Polemik gegen diese
opportunistische Auffassung einzulassen, hat Engels es in den neunziger Jahren
für notwendig befunden, entschieden gegen sie Stellung zu nehmen, nicht in
polemischer, sondern in positiver Form. Und zwar hat er es in Form einer von ihm
bewusst hervorgehobenen Erklärung getan, die Sozialdemokratie betrachte
die Religion dem Staat gegenüber als Privatsache11, keineswegs aber sich
selbst, keineswegs dem Marxismus, keineswegs der Arbeiterpartei gegenüber.
Das ist die äußere Geschichte der Stellungnahmen von Marx und Engels zur Frage
der Religion. Leuten, die sich dem Marxismus gegenüber oberflächlich verhalten,
Leuten, die nicht denken können oder wollen, erscheint diese Geschichte als ein
Knäuel sinnloser Widersprüche und Schwankungen des Marxismus : sozusagen als ein
Mischmasch aus »konsequentem« Atheismus und »Nachsicht« gegenüber der Religion,
als irgendein »prinzipienloses« Schwanken zwischen dem revolutionären Krieg
gegen Gott und dem feigen Bestreben, den gläubigen Arbeitern »nach dem Munde zu
reden«, der Furcht, sie abzuschrecken usw. usf. In der Literatur der
anarchistischen Phrasendrescher kann man gar manche Ausfälle dieser Art gegen
den Marxismus finden.
Wer jedoch auch nur halbwegs fähig ist, den Marxismus ernsthaft zu ergründen,
sich in seine philosophischen Grundlagen und in die Erfahrungen der
internationalen Sozialdemokratie hineinzudenken, der wird leicht erkennen, dass
die Taktik des Marxismus gegenüber der Religion ganz konsequent und von Marx und
Engels gründlich durchdacht ist, dass das, was Dilettanten oder Ignoranten für
Schwankungen halten, eine direkte, und unumgängliche Schlussfolgerung aus dem
dialektischen Materialismus ist. Es wäre grundfalsch zu glauben, dass sich die
vermeintliche »Mäßigung« des Marxismus gegenüber der Religion aus sogenannten
»taktischen« Erwägungen — im Sinne des Bestrebens, »nicht abzuschrecken« usw. —
erkläre. Im Gegenteil, die politische Linie des Marxismus steht auch in dieser
Frage in untrennbarem Zusammenhang mit seinen philosophischen Grundlagen.
Marxismus ist Materialismus. Als solcher steht er der Religion ebenso
schonungslos feindlich gegenüber wie der Materialismus der Enzyklopädisten12 des
18. Jahrhunderts oder der Materialismus Feuerbachs. Das steht außer Zweifel.
Aber der dialektische Materialismus von Marx und Engels geht weiter als jener
der Enzyklopädisten und Feuerbachs4, denn er wendet die materialistische
Philosophie auf das Gebiet der Geschichte, auf das Gebiet der
Gesellschaftswissenschaften an. Wir müssen die Religion bekämpfen. Das ist das
Abc des gesamten Materialismus und folglich auch des Marxismus. Aber der
Marxismus ist kein Materialismus, der beim Abc stehengeblieben ist. Der
Marxismus geht weiter. Er sagt: Man muss verstehen, die Religion zu bekämpfen,
dazu aber ist es notwendig, den Ursprung, den Glauben und Religion unter den
Massen haben, materialistisch zu erklären. Den Kampf gegen die Religion darf man
nicht auf abstrakt-ideologische Propaganda beschränken, darf ihn nicht auf eine
solche Propaganda reduzieren, sondern er muss in Zusammenhang gebracht werden
mit der konkreten Praxis der Klassenbewegung, die auf die Beseitigung der
sozialen Wurzeln der Religion abzielt. Warum findet die Religion in den
rückständigen Schichten des städtischen Proletariats, in breiten Schichten des
Halbproletariats und auch in der Hauptmasse der Bauernschaft noch Boden? Wegen
der Unwissenheit des Volkes, antwortet der bürgerliche Fortschrittler, der
Radikale oder der bürgerliche Materialist. Also, nieder mit der Religion, es
lebe der Atheismus, die Verbreitung atheistischer Anschauungen ist unsere
Hauptaufgabe. Der Marxist sagt: Das ist falsch. Eine solche Auffassung ist
oberflächliche, bürgerlich beschränkte Kulturbringerei. Eine solche Auffassung
erklärt die Wurzeln der Religion nicht gründlich genug, nicht materialistisch,
sondern idealistisch. In den modernen kapitalistischen Staaten sind diese
Wurzeln hauptsächlich sozialer Natur. Die, soziale Unterdrückung der werktätigen
Massen, ihre scheinbar völlige Ohnmacht gegenüber den blind waltenden Kräften
des Kapitalismus, der den einfachen arbeitenden Menschen täglich und stündlich
tausendmal mehr entsetzlichste Leiden und unmenschlichste Qualen bereitet als
irgendwelche außergewöhnlichen Ereignisse wie Kriege, Erdbeben usw. — darin
liegt heute die tiefste Wurzel der Religion. »Die Furcht hat die Götter
erzeugt.« Die Furcht vor der blind wirkenden Macht des Kapitals, blind, weil ihr
Wirken von den Volksmassen nicht vorausgesehen werden kann und dem Proletarier
und dem Kleineigentümer bei jedem Schritt ihres Lebens den »plötzlichen«,
»unerwarteten«, »zufälligen« Ruin, den Untergang, die Verwandlung in einen
Bettler, einen Pauper12, eine Prostituierte, den Hungertod zu bringen droht und
auch tatsächlich bringt — das ist jene Wurzel der heutigen Religion, die der
Materialist vor allem und am meisten beachten muss, wenn er nicht ein
Abc-Schütze des Materialismus bleiben will. Keine Aufklärungsschrift wird die
Religion aus den Massen austreiben, die, niedergedrückt durch die
kapitalistische Zwangsarbeit, von den blind waltenden, zerstörerischen Kräften
des Kapitalismus abhängig bleiben, solange diese Massen nicht selbst gelernt
haben werden, diese Wurzel der Religion, die Herrschaft des Kapitals in all
ihren Formen vereint, organisiert, planmäßig, bewusst zu bekämpfen.
Folgt daraus etwa, dass eine Aufklärungsschrift gegen die Religion schädlich
oder überflüssig wäre? Keineswegs. Daraus ergibt sich etwas ganz anderes. Daraus
folgt, dass die atheistische Propaganda der Sozialdemokratie ihrer Hauptaufgabe
untergeordnet sein muss: der Entfaltung des Klassenkampfes der ausgebeuteten
Massen gegen die Ausbeuter.
Jemand, der sich nicht in die Grundlagen des dialektischen Materialismus, d.h.
der Philosophie von Marx und Engels, vertieft hat, wird diese These
möglicherweise nicht begreifen (oder zumindest nicht sofort begreifen). Wie soll
das möglich sein? Die ideologische Propaganda, die Propagierung bestimmter
Ideen, der Kampf gegen den Feind der Kultur und des Fortschritts, der sich seit
Jahrtausenden am Leben hält (d.h. gegen die Religion), soll dem Klassenkampf,
d.h. dem Kampf für bestimmte praktische Ziele auf ökonomischem und politischem
Gebiet, untergeordnet werden?
Ein solcher Einwand gehört zu den landläufigen Einwänden gegen den Marxismus,
die nur davon zeugen, dass man die Marxsche Dialektik ganz und gar nicht
verstanden hat. Der Widerspruch, der alle jene verwirrt, die solche Einwände erheben, ist ein
lebendiger Widerspruch des lebendigen Lebens, d. h. ein dialektischer
Widerspruch und kein Widerspruch in Worten, kein ausgedachter Widerspruch. Die
theoretische Propaganda des Atheismus, d. h. die Zerstörung des religiösen
Glaubens bei gewissen Schichten des Proletariats, durch eine absolute, unüberschreitbare Grenze von dem Erfolg, dem Verlauf, den Bedingungen des
Klassenkampfes dieser Schichten trennen, heißt undialektisch denken, heißt das zu
einer absoluten Grenze machen, was eine bewegliche, relative Grenze ist, heißt
etwas gewaltsam auseinanderreißen, was in der lebendigen Wirklichkeit untrennbar
miteinander verbunden ist. Nehmen wir ein Beispiel. Gesetzt, das Proletariat
eines bestimmten Gebiets und eines bestimmten Industriezweigs zerfalle in eine
fortgeschrittene Schicht ziemlich bewusster Sozialdemokraten, die
selbstverständlich Atheisten sind, und in ziemlich rückständige, noch mit dem
Dorf und der Bauernschaft verbundene Arbeiter, die an Gott glauben, in die
Kirche gehen oder sogar unter dem direkten Einfluss des Ortsgeistlichen stehen,
der, sagen wir, einen christlichen Arbeiterverein14 gründet. Gesetzt ferner, der
ökonomische Kampf habe in einem solchen Ort zu einem Streik geführt. Der Marxist
ist verpflichtet, den Erfolg der Streikbewegung in den Vordergrund zu stellen,
einer Aufspaltung der Arbeiter in diesem Kampf in Atheisten und Christen
entschieden entgegenzuwirken und gegen eine solche Aufspaltung entschieden zu
kämpfen. Atheistische Propaganda kann unter diesen Umständen ganz überflüssig,
ja schädlich sein — nicht vom Standpunkt spießerlicher Erwägungen über die
Abschreckung der rückständigen Schichten, über einen Mandatsverlust bei den
Wahlen usw., sondern vom Standpunkt des wirklichen Fortschritts des
Klassenkampfes, der unter den Verhältnissen der modernen kapitalistischen
Gesellschaft die christlichen Arbeiter hundertmal besser zur Sozialdemokratie
und zum Atheismus führen wird als die bloße atheistische Propaganda. Ein
Propagandist des Atheismus würde in einem solchen Augenblick und unter solchen
Umständen nur dem Pfaffen und dem Pfaffentum Vorschub leisten, die nichts
sehnlicher wünschen als eine Aufspaltung der Arbeiter nach dem Glauben an Gott
anstatt ihrer Scheidung nach der Streikbeteiligung. Ein Anarchist der den Krieg
gegen Gott um jeden Preis predigt, würde dadurch in Wirklichkeit den Pfaffen und
der Bourgeoisie helfen (wie ja die Anarchisten in Wirklichkeit stets der
Bourgeoisie helfen). Ein Marxist muss Materialist sein, d. h. ein Feind der
Religion, doch ein dialektischer Materialist, d. h. ein Materialist, der den
Kampf gegen die Religion nicht abstrakt, nicht auf dem Boden einer abstrakten,
rein theoretischen, sich stets gleichbleibenden Propaganda führt, sondern
konkret, auf dem Boden des Klassenkampfes, wie er sich in Wirklichkeit abspielt,
der die Massen am meisten und am besten erzieht. Ein Marxist muss es verstehen,
die ganze konkrete Situation zu berücksichtigen, stets die Grenze zwischen
Anarchismus und Opportunismus zu finden (diese Grenze ist relativ, beweglich,
veränderlich, aber sie existiert), er darf weder in das abstrakte, phrasenhafte,
in Wirklichkeit hohle »Revoluzzertum« des Anarchisten verfallen noch in das
Spießertum und den Opportunismus des Kleinbürgers oder des liberalen
Intellektuellen, der sich nicht traut, gegen die Religion zu kämpfen, der diese
seine Aufgabe vergisst, sich mit dem Glauben an Gott abfindet, sich nicht von
den Interessen des Klassenkampfes leiten lässt, sondern von der kleinlichen,
kläglichen Berechnung: niemand kränken, niemand abstoßen, niemand abschrecken —
von cfcr neunmalweisen Regel »Leben und leben lassen« usw. usf.
Von diesem Standpunkt aus müssen alle Einzelfragen gelöst werden, die das
Verhältnis der Sozialdemokratie zur Religion betreffen. Oft wird zum Beispiel
die Frage aufgeworfen, ob ein Geistlicher Mitglied der sozialdemokratischen
Partei sein kann, und diese Frage wird gewöhnlich ohne jeden Vorbehalt bejahend
beantwortet, wobei man sich auf die Erfahrungen der europäischen
sozialdemokratischen Parteien beruft. Doch diese Erfahrungen sind nicht nur
durch die Anwendung der Doktrin des Marxismus auf die Arbeiterbewegung zustande
gekommen, sondern auch durch die besonderen historischen Verhältnisse des
Westens, die in Russland nicht gegeben sind (wir werden auf diese Verhältnisse
noch zu sprechen kommen), so dass eine bedingungslos bejahende Antwort hier
falsch wäre. Man kann nicht ein für allemal und für alle Verhältnisse erklären,
dass Geistliche nicht Mitglieder der sozialdemokratischen Partei sein können,
aber man kann auch nicht ein für allemal die entgegengesetzte Regel aufstellen.
Kommt ein Geistlicher zu uns zwecks gemeinsamer politischer Arbeit und leistet
er gewissenhaft Parteiarbeit, ohne gegen das Parteiprogramm aufzutreten, so
können wir ihn in die Reihen der Sozialdemokratie aufnehmen, denn der
Widerspruch zwischen dem Geist und den Grundlagen unseres Programms einerseits
und der religiösen Überzeugung des Geistlichen anderseits könnte unter solchen
Umständen ein nur ihn allein betreffender, persönlicher Widerspruch bleiben, und
eine politische Organisation kann ihre Mitglieder nicht daraufhin examinieren,
ob zwischen ihren Anschauungen und dem Parteiprogramm nicht ein Widerspruch
besteht. Aber selbstverständlich dürfte ein solcher Fall sogar in Europa eine
seltene Ausnahme sein, während er in Russland schon ganz unwahrscheinlich ist.
Und träte z. B. ein Geistlicher in die sozialdemokratische Partei ein und
begänne in dieser Partei als seine wichtigste und fast ausschließliche Arbeit
eine aktive Propaganda religiöser Anschauungen zu betreiben, so müsste die
Partei ihn unbedingt aus ihrer Mitte entfernen. Wir müssen es nicht nur allen
Arbeitern, die den Glauben an Gott noch bewahrt haben, gestatten, der
sozialdemokratischen Partei beizutreten, sondern müssen sie zielstrebig für sie
gewinnen; wir sind unbedingt gegen die geringste Verletzung ihrer religiösen
Überzeugungen, doch wir suchen sie zu gewinnen, um sie im Geiste unseres
Programms zu erziehen, nicht aber, damit sie dieses Programm bekämpfen. Wir
lassen innerhalb der Partei Meinungsfreiheit gelten, jedoch in gewissen, durch
die Freiheit der Gruppierung bestimmten Grenzen: Wir sind nicht verpflichtet,
mit solchen Leuten zusammenzugehen, die von der Mehrheit der Partei abgelehnte
Anschauungen aktiv propagieren.
Ein anderes Beispiel: Kann man unter allen Umständen Mitglieder der
sozialdemokratischen Partei in gleicher Weise verurteilen, wenn sie erklären:
»Der Sozialismus ist meine Religion«, und wenn sie Auffassungen propagieren, die
einer solchen Erklärung entsprechen? Nein. Eine Abweichung vom Marxismus (und
folglich auch vom Sozialismus) liegt hier zweifellos vor, aber die Bedeutung
dieser Abweichung, sozusagen ihr spezifisches Gewicht kann in verschiedenen
Situationen verschieden sein. Eine Sache ist es, wenn ein Agitator oder jemand,
der vor Arbeitermassen auftritt, so spricht, um verständlicher zu sein, um seine
Darlegung zu beginnen, um seine Ansichten fassbarer darzustellen in Ausdrücken,
die der unaufgeklärten Masse am geläufigsten sind. Eine andere Sache ist es,
wenn ein Schriftsteller beginnt, »Gottbildnertum«15 oder einen gottbildnerischen
Sozialismus zu predigen (im Sinne etwa unserer Lunatscharski16 und Co.). Während
im ersten Falle eine Verurteilung nur Nörgelei oder sogar eine unangebrachte
Beschränkung der Freiheit des Agitators, der Freiheit des »pädagogischen«
Einwirkens sein könnte, ist im zweiten Falle eine Verurteilung durch die Partei
notwendig und unbedingt geboten. Die These »Der Sozialismus ist eine Religion«
ist für die einen eine Form des Übergangs von der Religion zum Sozialismus, für
die anderen- vom Sozialismus zur Religion. Behandeln wir nun die Bedingungen,
die im Westen eine opportunistische Auslegung der These von der »Erklärung der
Religion zur Privatsache« aufkommen ließen. Natürlich haben wir es dort mit dem
Einfluss allgemeiner Ursachen zu tun, die den Opportunismus überhaupt als
Opferung der fundamentalen Interessen der Arbeiterbewegung zugunsten
augenblicklicher Vorteile entstehen lassen. Die Partei des Proletariats fordert
vom Staat die Religion zur Privatsache zu erklären, wobei sie den Kampf gegen
das Opium des Volkes, den Kampf gegen den religiösen Aberglauben usw.,
keineswegs als »Privatsache« betrachtet. Die Opportunisten verdrehen die Sache
so, als halte die sozialdemokratische Partei die Religion für eine Privatsache!
Aber neben der üblichen opportunistischen Verfälschung (die in der Diskussion
unserer Dumafraktion über die Rede zur Frage der Religion ganz ungeklärt blieb)
gibt es noch besondere historische Bedingungen, die die gegenwärtige, wenn man
sich so ausdrücken darf, außerordentliche Gleichgültigkeit der europäischen
Sozialdemokraten gegenüber der Frage der Religion hervorgerufen haben. Diese
Bedingungen sind von zweierlei Art. Erstens stellt die Aufgabe, die Religion zu
bekämpfen, historisch eine Aufgabe der revolutionären Bourgeoisie dar, und im
Westen hat die bürgerliche Demokratie in der Epoche ihrer Revolutionen oder
ihres Ansturms gegen den Feudalismus und das Mittelalter diese Aufgabe in
hohem Maße erfüllt (oder suchte es jedenfalls zu tun). Sowohl in Frankreich als
auch in Deutschland gibt es eine Tradition des bürgerlichen Kampfes gegen die
Religion, der lange vor der Entstehung der sozialistischen Bewegung aufgenommen
wurde (die Enzyklopädisten12, Feuerbach4). In Russland fällt, entsprechend den
Bedingungen unserer bürgerlich-demokratischen Revolution, auch diese Aufgabe
fast völlig der Arbeiterklasse zu. Die kleinbürgerliche (volkstümlerische)
Demokratie hat bei uns in dieser Hinsicht nicht (wie die neugebackenen
Schwarzhunderterkadetten17 oder kadettischen Schwarzhunderter von den »Wechi«18
glauben) zuviel, sondern im Vergleich zu Europa zuwenig getan.
Anderseits hat aber die Tradition des bürgerlichen Kampfes gegen die Religion in
Europa auch eine spezifisch bürgerliche Verzerrung dieses Kampfes durch den
Anarchismus hervorgebracht, der, wie die Marxisten schon längst und wiederholt
klargestellt haben, bei aller »Heftigkeit« seiner Angriffe gegen die Bourgeoisie
doch auf dem Boden der bürgerlichen Weltanschauung steht. Die Anarchisten und
Blanquisten8 in den romanischen Ländern, Most19 (der übrigens ein Schüler Dührings
war) und Co. in Deutschland und die Anarchisten der achtziger Jahre in
Österreich haben die revolutionäre Phrase im Kampf gegen die Religion bis zum
nec plus ultra20 getrieben. Kein Wunder, dass die europäischen
Sozialdemokraten jetzt auf die Überspitzungen der Anarchisten mit Überspitzungen
nach der anderen Seite reagieren. Das ist begreiflich und in gewissem Maße
gesetzmäßig, aber es ist nicht angängig, dass wir russischen Sozialdemokraten
die besonderen historischen Bedingungen des Westens vergessen.
Zweitens war im Westen nach Abschluss der nationalen bürgerlichen Revolutionen,
nach Herstellung einer mehr oder weniger vollständigen Glaubensfreiheit die
Frage des demokratischen Kampfes gegen die Religion durch den Kampf der
bürgerlichen Demokratie gegen den Sozialismus historisch schon so sehr in den
Hintergrund gedrängt, dass die bürgerlichen Regierungen bewusst versuchten,
durch einen quasiliberalen »Feldzug« gegen den Klerikalismus die Aufmerksamkeit
der Massen vom Sozialismus abzulenken. Einen solchen Charakter trug sowohl der
»Kulturkampf« in Deutschland als auch der Kampf der bürgerlichen Republikaner
Frankreichs gegen den Klerikalismus. Der bürgerliche Antiklerikalismus als
Mittel, die Aufmerksamkeit der Arbeitermassen vom Sozialismus abzulenken, ging
im Westen der Verbreitung der gegenwärtigen »Gleichgültigkeit« gegenüber dem
Kampf gegen die Religion, wie sie heute unter den Sozialdemokraten zu finden
ist, voraus. Und das ist wiederum verständlich und gesetzmäßig, denn dem
bürgerlichen und dem Bismarckschen Antiklerikalismus mussten die
Sozialdemokraten eben die Unterordnung des Kampfes gegen die Religion unter den
Kampf für den Sozialismus entgegensetzen.
In Russland liegen die Verhältnisse ganz anders. Das Proletariat ist der Führer
unserer bürgerlich-demokratischen Revolution. Seine Partei muss der ideologische
Führer im Kampf gegen alles Mittelalterliche sein, darunter auch gegen die alte
Staatsreligion und gegen alle Versuche, sie aufzufrischen, sie neu oder in
anderer Weise zu begründen usw. Engels hat den Opportunismus der deutschen
Sozialdemokraten, die die Forderung der Arbeiterpartei, der Staat solle die
Religion zur Privatsache erklären, durch die Erklärung der Religion zur
Privatsache für die Sozialdemokraten selbst und für die sozialdemokratische
Partei ersetzten, verhältnismäßig sanft korrigiert, aber es ist begreiflich,
dass die Übernahme dieser deutschen Entstellung durch die russischen
Opportunisten eine hundertfach schärfere Verurteilung durch Engels erfahren
würde.
Als unsere Fraktion von der Dumatribüne1a herab erklärte, die
Religion sei das Opium des Volkes, handelte sie völlig richtig und schuf damit
einen Präzedenzfall, der für alle Äußerungen russischer Sozialdemokraten zur
Frage der Religion die Grundlage abgeben muss. Hätte man noch weiter gehen und
noch ausführlicher atheistische Schlussfolgerungen ableiten sollen? Wir glauben,
nein. Das hätte die Gefahr einer Überbetonung des Kampfes der politischen Partei
des Proletariats gegen die Religion mit sich bringen, hätte zu einer Verwischung
der Grenze zwischen dem bürgerlichen und dem sozialistischen Kampf gegen die
Religion führen können. Die erste Aufgabe, die die sozialdemokratische Fraktion
in der Schwarzhunderterduma zu erfüllen hatte, hat sie in Ehren erfüllt.
Die zweite und für die Sozialdemokratie wohl die wichtigste — nämlich
herauszuarbeiten, welche Klassenfunktion die Kirche und die Geistlichkeit bei
der Unterstützung der Schwarzhunderterregierung und der Bourgeoisie in deren
Kampf gegen die Arbeiterklasse ausüben — ist
gleichermaßen in Ehren erfüllt worden. Natürlich lässt sich über dieses Thema
noch sehr viel sagen, und in weiteren Reden werden die Sozialdemokraten schon
wissen, wodurch sie die Rede des Genossen Surkow1 zu ergänzen haben,
aber dennoch war seine Rede ausgezeichnet, und ihre Verbreitung durch alle
Parteiorganisationen ist direkte Pflicht unserer Partei.
Zum dritten hätte man ganz ausführlich den richtigen Sinn der von den deutschen
Opportunisten so oft entstellten These »Erklärung der Religion zur Privatsache«
erläutern sollen. Das hat Genosse Surkow1 leider nicht getan. Das ist
um so mehr zu bedauern, als die Fraktion bereits in ihrer früheren Tätigkeit
hinsichtlich dieser Frage den seinerzeit vom »Proletari«21
angeprangerten Fehler des Genossen Beloussow22 begangen hat. Die
Diskussion in der Fraktion zeigt, dass die Frage nach der richtigen Darlegung
der sattsam bekannten Forderung, die Religion zur Privatsache zu erklären, hier
durch die Auseinandersetzung über den Atheismus überschattet worden ist. Wir
werden die Schuld an diesem Fehler der gesamten Fraktion nicht Genossen Surkow1 allein geben.
Mehr noch. Wir bekennen offen, dass hier eine Schuld der ganzen Partei vorliegt,
die diese Frage nicht genügend erläutert und die Bedeutung der an die deutschen
Opportunisten gerichteten Bemerkung Engels' den Sozialdemokraten nicht genügend
zum Bewusstsein gebracht hat. Wie die Diskussion innerhalb der Fraktion beweist,
handelt es sich hier darum, dass die Frage nicht klar verstanden wurde,
keineswegs aber darum, dass man die Lehre von Marx nicht hätte berücksichtigen
wollen, und wir sind überzeugt, dass der Fehler in den folgenden Reden der
Fraktion korrigiert werden wird.
Im großen und ganzen, wir wiederholen es, ist die Rede des Genossen Surkow1
ausgezeichnet und muss von allen Organisationen verbreitet werden. Mit der
Erörterung dieser Rede hat die Fraktion bewiesen, dass sie ihre
sozialdemokratische Pflicht durchaus gewissenhaft erfüllt. Es bleibt zu
wünschen, dass in der Parteipresse häufiger Korrespondenzen über die
Diskussionen innerhalb der Fraktion erscheinen, damit die Fraktion der Partei
nähergebracht, damit die Partei mit der von der Fraktion geleisteten schwierigen
innerfraktionellen Arbeit vertraut gemacht und die ideologische Einheit in der
Tätigkeit der Partei und der Fraktion hergestellt wird.
1 P. I. Surkow (1876 - 1946)
1a Reichsduma
"Bis zum Erlass des Manifestes vom 17. (30.) Okt. 1905 war der Kaiser (Zar) unumschränkter Selbstherrscher, der die höchste, gesetzgebende, ausübende und oberrichterliche Gewalt in sich vereinigte. Verpflichtet war er nur, sich nach den Reichsgrundgesetzen zu richten. Dazu gehören die Bestimmungen, dass das Reich unteilbar ist, dass der Kaiser der griechisch-orthodoxen Kirche angehören muss und keine Krone tragen darf, die ihn außerhalb des Reiches zu residieren zwingt; ferner das vom Kaiser Paul 5. (16.) April 1797 erlassene Thronfolgegesetz, wonach der Thron stets nach dem Rechte der Erstgeburt, jedoch unter Bevorzugung der männlichen vor der weiblichen Linie, vererbt wird. Das Manifest vom 17. (30.) Okt. 1905 stellt als Grundsatz auf, dass kein Gesetz ohne Zustimmung der Reichsduma erlassen werden darf, und nachdem diese Bestimmung durch das Gesetz vom 20. Febr. (5. März) 1906 auch auf den reformierten Reichsrat ausgedehnt worden ist, wird die höchste legislative Gewalt vom Kaiser gemeinsam mit dem Reichsrat und der Reichsduma ausgeübt. Der Reichsrat besteht nach dem Gesetz vom 20. Febr. aus 196 Mitgliedern, von denen die eine Hälfte vom Kaiser ernannt, die andre Hälfte gewählt wird, und zwar von der griechisch-orthodoxen Geistlichkeit, von den Gouvernements-Landschafts- (Semstwo-) versammlungen, bez. von besondern Wahlversammlungen in den Gouvernements, in denen die Semstwoverfassung nicht besteht, von den Adelskorporationen, der Akademie der Wissenschaften und den Universitäten, dem Konseil für Handel und Manufaktur und den Börsenkomitees. Die Wahl erfolgt auf 9 Jahre, doch scheidet alle 3 Jahre ein Drittel der gewählten Mitglieder aus. Der Präsident und der Vizepräsident werden alljährlich vom Kaiser aus der Zahl der ernannten Mitglieder bestimmt. Die Reichsduma (Gossudarstwennaja Dúma) besteht nach den Wahlgesetzen vom 6. (19.) Aug. und 11. (24.) Dez. 1905 aus Abgeordneten, die auf fünf Jahre nach einem sehr komplizierten Verfahren gewählt werden. In jedem Gouvernement (oder Gebiet) und außerdem in 26 namentlich aufgeführten Großstädten wird eine gesetzlich bestimmte Anzahl von Abgeordneten gewählt. Das europäische Russland und Polen haben 448 Abgeordnete zu wählen, davon entfallen 31 auf die 26 Großstädte, die übrigen auf die Gouvernements. Gewählt werden die Abgeordneten von Wahlmännerversammlungen; in den 26 Großstädten bestehen diese aus je 80 (in Petersburg und Moskau aus je 160) Wahlmännern, während in den Gouvernements jeder Kreis eine besondere, im Gesetz bestimmte Anzahl von Wahlmännern zu entsenden hat. Die Wahlmänner ihrerseits werden von Urwählerversammlungen gewählt, die in den Kreisen aus den drei Kurien der Grundbesitzer, der städtischen Wähler und der Bevollmächtigten der Dorfgemeinden (Wolostj) bestehen. Die Bevollmächtigten der Bauern werden in der Gemeindeversammlung in der Anzahl von je zwei auf jede Wolost gewählt. Auf die 26 Großstädte findet diese Dreiteilung in Kurien natürlich nicht Anwendung. Das aktive Wahlrecht in den Urwählerversammlungen ist an das männliche Geschlecht, ein Alter von 25 Jahren, Unbestraftheit und einen gewissen, allerdings mäßig bemessenen Vermögenszensus gebunden. Eine Ausnahmestellung ist den industriellen Arbeitern eingeräumt, die in Betrieben mit mindestens 50 Arbeitern ungestellt sind. Diese wählen besondere Delegierte, und zwar je einen von jeder Fabrik, bez. in größern Fabriken auf je 1000 Arbeiter, die ihrerseits eine im Gesetz bestimmte Anzahl von Wahlmännern zu den Wahlmännerversammlungen wählen. Die Reichsduma, die aus ihrer Mitte einen Präsidenten mit zwei Gehilfen wählt, hat alle Gesetz- und Etatsentwürfe sowie Vorschläge, betreffend die Ergänzung und Abänderung bestehender Gesetze, das Staatsbudget, außerbudgetäre Geldbewilligungen und den Bericht der Reichskontrolle über die Ausführung des Budgets zu prüfen und zu genehmigen. Sie hat, ebenso wie der Reichsrat, auch das Recht der legislativen Initiative, das sich jedoch nicht auf die Reichsgrundgesetze erstreckt. Ein von der Duma angenommener Gesetzentwurf geht an den Reichsrat und, wenn er auch von diesem angenommen wird, an den Kaiser. Falls dieser seine Billigung verweigert, kann der Entwurf in derselben Session nicht wieder eingebracht werden. Die Abgeordneten und die gewählten Mitglieder des Reichsrats genießen Diäten."
[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v. Russisches Reich]
2 Synod
"Synodus (Synod), heiliger, höchste kirchliche Zentralbehörde, mit der die geistliche Organisation der russischen Kirche abschließt. Sie besteht aus einer Anzahl teils ständiger (Metropoliten), teils unständiger Mitglieder aus dem Bischoftum. Ihre Zuständigkeit erstreckt sich auf das ganze Gebiet des kirchlichen Lebens und umfasst die Gesetzgebung, Disziplin und Gerichtsbarkeit, die oberste Verwaltung und die Zensur. Wie aber die russische Kirche überhaupt Staatskirche, d. h. dem staatlichen Organismus eng angegliedert ist, so ist auch der Synod immer dem Kaiser verfassungsmäßig untergeordnet. Diese Unterordnung äußert sich in dem kaiserlichen Rechte der Ernennung der Mitglieder sowie in dem tatsächlich unbeschränkten Einfluss, den er durch seinen ständigen Vertreter im Synod, den Oberprokuror, auf die Amtsverwaltung des Synods ausübt." [Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]
3 Französische Materialisten: Denis Diderot (1713- 1784), Paul Heinrich Dietrich, Freiherr von Holbach (1723 - 1789), Jean de Rond d'Alembert (1717 - 1783), Claude Adrien Helvetius (1715 - 1771), Julien Offray de Lamettrie (1709-51)
4 Ludwig Feuerbach
"Feuerbach, Ludwig, geb. 28. Juli 1804 in Landshut als Sohn des Kriminalisten Anselm von Feuerbach. 1823 studierte er in Heidelberg Theologie bei dem Hegelianer Daub, 1834 ging er nach Berlin, wo er besonders Hegel hörte, 1828 wurde er Privatdozent für Philosophie in Erlangen. Nachdem er sich öfter vergeblich (wegen seiner Schrift »Gedanken über Tod u. Unsterblichkeit«, 1830) um eine Professur beworben, verheiratete er sich mit Bertha Löwe und nahm (1836) seinen Wohnsitz im Dorfe Bruckberg (zwischen Ansbach und Nürnberg). Dezember 1848 bis März 1849 hielt er im Heidelberger Rathaussaal Vorlesungen. In sehr ungünstigen Verhältnissen lebend, übersiedelte er 1860 nach dem Rechenberg bei Nürnberg und starb dort 13. September 1872. Feuerbach ist der Begründer des neueren Naturalismus und Anthropologismus, indem er an die Stelle der Verehrung übernatürlicher Wesenheiten die Natur in ihrer Unendlichkeit setzt. Ausgegangen von Hegel, tritt er in Gegensatz zum absoluten Idealismus, indem er als das Wirkliche nicht die Idee, nichts Abstraktes, Übersinnliches, sondern das konkrete Sein setzt, welches wir äußerlich und innerlich wahrnehmen. So vertritt Feuerbach einen Positivismus, Empirismus und Realismus. Insofern Feuerbach den Gegensatz von Spiritualismus und Materialismus durch Betonung des Einheitlichen im Menschen zu überwinden sucht, ist seine Lehre »Anthropologismus«. »Gott war mein erster Gedanke, die Vernunft mein zweiter, der Mensch mein dritter und letzter Gedanke.«
In der Schrift über »Tod und Unsterblichkeit« ist Feuerbach noch idealistischer Pantheist. Die Realität des Geistes ist das Ewige. Der Mensch als Individuum ist nicht unsterblich, sein Tod ist ein wahrhafter Tod, bedeutet die Auflösung im unendlichen Sein. Die Unsterblichkeit kommt nur dem allgemeinen Geist zu und dem Ganzen der Menschheit, in welchem wir als Erinnerung weiterleben.
Die Hauptbedeutung Feuerbachs liegt in seiner Religionsphilosophie, deren Methode die psychologisch-kritische ist. Scharf betont Feuerbach den Gegensatz zwischen Theologie und Wissenschaft; erstere hat den Willen, letztere die Idee zur Grundlage. In der Religion spielt die Phantasie, das Irrationale eine große Rolle; das Dogma als solches ist vernunftwidrig, der Glaube hat sein eigenes Prinzip. Es gilt, den Inhalt des religiösen Glaubens auf seine psychologische Wurzel zurückzuführen, zu zeigen, dass alle Theologie »Anthropologie« ist. Die Religion ist aber deshalb nicht eine wertlose Illusion. »Die Religion ist der Traum des menschlichen Geistes. Aber auch im Traume befinden wir uns nicht im Nichte oder im Himmel, sondern auf der Erde - im Reiche der Wirklichkeit, nur dass wir die wirklichen Dinge nicht im Lichte der Wirklichkeit und Notwendigkeit, sondern im entzückenden Scheine der Imagination und Willkür erblicken.« Die Religion ist »das Bewusstsein des Menschen von seinem, und zwar nicht endlichen, beschränkten, sondern unendlichen Wesen«. Der Mensch kann nicht über sein wahres Wiesen hinaus. Wie er denkt und gesinnt ist, so ist sein Gott. »Das Bewusstsein Gottes ist das Selbstbewusstsein des Menschen.« Das göttliche Wesen ist »das Wesen des Menschen, abgesondert von den Schranken des individuellen, d.h. wirklichen, leiblichen Menschen, vergegenständlicht, d.h. angeschaut und verehrt als ein anderes, von ihm unterschiedenes, eigenes Wesen«.
Gott ist »das vergötterte Wesen des Menschen«, das »offenbare Innere, das ausgesprochene Selbst des Maischen«. Die Götter sind Wunschwesen, »die als wirklich gedachten, die in wirkliche Wesen verwandelten Wünsche des Menschen«. In den Dogmen liegen lauter realisierte Wünsche vor. Die Abhängigkeit vom All, aus der die Religion entspringt, zeitigt diese als ein Mittel, unseren Glückseligkeitstrieb zu befriedigen. Gott ist die Liebe, die unsere Wünsche erfüllt; diese Liebe ist die hypostasierte Liebe des Menschen zu sich selbst. »Die Liebe ist die wahre Einheit von Gott und Mensch, von Geist und Natur.« Der Glaube ist das Bewusstsein dessen, was dem Menschen heilig ist und so ist Gott für den Menschen »das Kollektaneenbuch seiner höchsten Empfindungen und Gedanken«. »Gott ist das von aller Widerlichkeit befreite Selbstgefühl des Menschen.« »Die Grunddogmen des Christentums sind erfüllte Herzenswünsche - das Wesen des Christentums ist das Wesen des Gemüts.« »Christus ist die Allmacht der Subjektivität, das von allen Banden und Gesetzen der Natur erlöste Herz.« »Die Religion ist das Verhalten des Menschen zu seinem eigenen Wesen - darin liegt ihre Wahrheit und sittliche Heilkraft - , aber zu seinem Wesen nicht als dem seinigen, sondern als einem ändern, von ihm unterschiedenen, ja entgegengesetzten Wesen - darin liegt ihre Unwahrheit, ihre Schranke, ihr Widerspruch mit Vernunft und Sittlichkeit«. Der wertvolle Kern der Religion ist die Liebe zur Menschheit als Gattung, zum reinmenschlichen Wesen, In der Liebe ist Erlösung des Menschen gegeben. Jeder hat Religion, der »einen Zweck hat, einen Zweck, der an sich wahr und wesenhaft ist«. Endzweck ist »die Einheit von Natur und Geist im Menschen«. »Vernunft, Liebe, Willenskraft sind Vollkommenheiten, sind die höchsten Kräfte, sind das absolute Wesen des Menschen als Menschen und der Zweck seines Daseins.« Die Vollkommenheit und Unendlichkeit der Gattung ist das Göttliche im Menschen.
Feuerbach ist ein Gegner der »absoluten«, »immateriellen« Spekulation. »Ich brauche zum Denken die Sinne, vor allem die Augen, gründe meine Gedanken auf Materialien, die wir uns stets nur vermittelst der Sinnentätigkeit aneignen können, erzeuge nicht den Gegenstand aus dem Gedanken, sondern umgekehrt den Gedanken aus dem Gegenstande, aber Gegenstand ist nur, was außer dem Kopfe existiert.« »Ich bin Idealist nur auf dem Gebiete der praktischen Philosophie.« »Kurz, die Idee ist mir nur der Glaube an die geschichtliche Zukunft, an den Sieg der Wahrheit und Tugend.« Theoretisch aber gilt nur der Realismus und der (kritische, die Leistung des Denkens betonende) »Sensualismus«. Feuerbachs Philosophie macht zu ihrem Prinzip »das wahre ,Ens realissimum', den Menschen, also das positivste Realprinzip«. Mit dem Wirklichen, Bestimmten, Endlichen hat es die Philosophie zu tun, mit dem Sinnen-fälligen, dem Konkreten. »Die Philosophie ist die Erkenntnis dessen, was ist.« Das Wirkliche ist das »Sinnliche« (im weitesten Sinne: das in letzter Linie Anschauliche). Dass Sinnliche ist die »wahre, nicht gedachte und gemachte, sondern existierende Einheit des Materiellen und Geistigen«. »Nur ein sinnliches Wesen ist ein wahres, ein wirkliches Wesen.« Auch das Ich ist ein sinnliches Wesen; der Leib in seiner Totalität ist mein Ich, mein Wesen selber. Geistiges und Körperliches sind nur zwei Seiten desselben Dinges, des Organismus. Sinnlich - d.h. für die Sinne des Naturforschers, für den Blick des Philosophen gegeben - ist auch die Natur als das Unendliche, von dem wir abhängig sind. Die menschlichen Empfindungen haben metaphysische Bedeutung, wir erfassen durch sie das physische Sein wie die psychischen Zustände unserer Mitmenschen. Unsere Empfindungen sind objektiv bedingt. Der Begriff des Objektes ist ursprünglich der Begriff eines anderen Ichs. Die Liebe ist der wahre Beweis vom Dasein äußerer Dinge. Raum und Zeit sind objektive Formen der Existenz der Dinge.
Die Wissenschaft ist »das Bewusstsein der Gattungen«. »Wahr ist, was mit dem Wesen der Gattung übereinstimmt, falsch, was ihr widerspricht. Ein anderes Gesetz der Wahrheit gibt es nicht.« Übereinstimmung mit den Nebenmenschen ist das erste Kennzeichen der Wahrheit, weil die Gattung das letzte Maß der Wahrheit ist. Die Wissenschaft ist »ein gemeinschaftlicher Akt der Menschheit«. Die Vernunft, ist ein Kulturprodukt, ein Produkt der menschlichen Gesellschaft. »Nur in der Rede, einem gemeinsamen Akte, entsteht die Vernunft. Fragen und Antworten sind die ersten Denkakte. Zum Denken gehören ursprünglich zwei.« - »Gemeinschaftliches Leben nur ist wahres, in sich befriedigtes, göttliches Leben.«
Die (altruistische) Moral kann nur aus der Verbindung von Ich und Du abgeleitet werden, aus der beide umfassenden Glückseligkeit. »Mein Recht ist mein gesetzlich anerkannter Glückseligkeitstrieb, meine Pflicht ist der mich zu seiner Anerkennung bestimmende Glückseligkeitstrieb des ändern« (Werke X, 66).Von Feuerbach beeinflusst sind sein Bruder Friedrich Feuerbach (Grundzüge d. Religion d. Zukunft. 1843-45), K. Beyer. K. Grün, K. N. Starcke, L. Knapp, Moleschott, D. Fr. Strauß, K. Marx u. a., ferner W. Bolin, Fr. Jodl u. a."
[Quelle: Eisler, Rudolf <1873-1926>: Philosophen-Lexikon : Leben, Werke und Lehren der Denker. -- Berlin : Mittler, 1912. -- 889 S. -- S. 170ff.]
5 Engels, Friedrich <1820 - 1895>: Herrn Eugen Dührings Umwälzung der Wissenschaft <Auszug>. -- 1878. -- URL: http://www.payer.de/religionskritik/engels01.htm. -- Zugriff am 2005-01-03
6 Engels, Friedrich <1820 - 1895>: Ludwig Feuerbach und der Ausgang der klassischen deutschen Philosophie <Auszug>. -- 1888. -- URL: http://www.payer.de/religionskritik/engels03.htm. -- Zugriff am 2005-01-03
7 Karl Marx: Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie,
Einleitung. (Fragment. Entstanden März bis August 1844. Der erste der insgesamt
39 Manuskriptbogen
ist nicht überliefert. Erstdruck in der Marx-Engels-Gesamtausgabe, Erste
Abteilung, Band 1/1, Frankfurt a.M. 1927.):
"Das religiöse Elend ist in einem der Ausdruck des wirklichen Elendes und in einem die Protestation gegen das wirkliche Elend. Die Religion ist der Seufzer der bedrängten Kreatur, das Gemüt einer herzlosen Welt, wie sie der Geist geistloser Zustände ist. Sie ist das Opium des Volks.
Die Aufhebung der Religion als des illusorischen Glücks des Volkes ist die Forderung seines wirklichen Glücks. Die Forderung, die Illusionen über seinen Zustand aufzugeben, ist die Forderung, einen Zustand aufzugeben, der der Illusionen bedarf. Die Kritik der Religion ist also im Keim die Kritik des Jammertales, dessen Heiligenschein die Religion ist."
8 Blanquisten: Anhänger von Louis Auguste Blanqui
"Louis Auguste Blanqui (* 1805 in Puget-Théniers; † 1881 in Paris), französischer, revolutionärer und sozialistischer Theoretiker wurde 1805 als Sohn des Jean-Dominique Blanqui in Puget-Théniers im Departement Alpes Maritimes geboren. Er studierte Rechtswissenschaften und Medizin, fand aber schon bald im politischen Engagement seine Berufung. Sein intellektueller und politischer Werdegang wurde durch die Theorien François Noël Babeufs, Charles Fouriers und Claude-Henri Comte de Saint-Simon beeinflusst.
Blanqui wirkte am Sturz Karls X. in der Julirevolution von 1830 mit. Von 1831 an organisierte er republikanische und sozialistische Geheimbünde und war der Führer der geheimen 'Gesellschaft der Jahreszeiten'. Er wurde 1839 verhaftet und wegen der Beteiligung an einem fehlgeschlagenen Aufstand gegen den 'Bürgerkönig' Louis Philippe - einen Enkel Karls X - zu lebenslanger Haft verurteilt. Nach 9 Jahren wurde er aber begnadigt und trat noch im selben Jahr als Wortführer der Linken im Pariser Juliaufstand von 1848 in Erscheinung. Daraufhin wurde er erneut verhaftet und zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt. Dort entwarf eine eigene sozialistische Theorie, in deren Zentrum erstmals die Idee von der Diktatur des Proletariats stand: "Frankreich voller bewaffneter Arbeiter, das ist der Sozialismus". Nach seiner Freilassung und erneuten Verurteilung und Inhaftierung in den Jahren 1861-1865 begab er sich ins Exil nach Belgien, um von dort seinen Kampf weiter zu führen. Nach der Generalamnestie des Jahres 1869 kehrte er nach Frankreich zurück.
Schon 1870 beteiligte er sich an der Organisation der Aufstände, die zur Gründung der Pariser Kommune führten. Im Oktober 1870 stand er dann für kurze Zeit an der Spitze der Übergangsregierung. Nach der blutigen Niederschlagung der Kommune kam Blanqui erneut ins Gefängnis bis er schließlich 1879 wiederum begnadigt wurde.
Kurz vor seinem Tod schrieb er sein Hauptwerk, die "Critique sociale", die aber erst im Jahr 1885 posthum veröffentlicht wurde.
Blanqui starb 1881. Er hatte großen Einfluss auf spätere kommunistische und sozialistische Bewegungen. Seine Anhänger, die Blanquisten, schlossen sich schließlich der Sozialistischen Partei Frankreichs an."
[Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Louis-Auguste_Blanqui. -- Zugriff am 2004-12-27]
9 Engels, Friedrich <1820 - 1895>: Programm der blanquistischen Kommuneflüchtlinge <Auszug>. -- (Flüchtlingsliteratur ; II). -- 1874. URL: http://www.payer.de/religionskritik/engels02.htm. -- Zugriff am 2005-01-03
10 Das Erfurter Programm : beschlossen auf dem Parteitag der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands in Erfurt im Jahre 1891.
"5. Erklärung der Religion zur Privatsache. Abschaffung aller Aufwendungen aus öffentlichen Mitteln zu religiösen und kirchlichen Zwecken. Die kirchlichen und religiösen Gemeinschaften sind als private Vereinigungen zu betrachten, welche ihre Angelegenheiten vollkommen selbständig ordnen."
11 Engels, Friedrich <1820 - 1895>: Einleitung zur Ausgabe von 1891 zu: Karl Marx: Der Bürgerkrieg in Frankreich (MEW Bd. 17, S. 620):
"So trat seit dem 18. März der bisher durch den Kampf gegen die fremde Invasion in den Hintergrund gedrängte Klassencharakter der Pariser Bewegung scharf und rein hervor. Wie in der Kommune fast nur Arbeiter oder anerkannte Arbeitervertreter saßen, so trugen auch ihre Beschlüsse einen entschieden proletarischen Charakter. Entweder dekretierten sie Reformen, die die republikanische Bourgeoisie nur aus Feigheit unterlassen hatte, die aber für die freie Aktion der Arbeiterklasse eine notwendige Grundlage bildeten, wie die Durchführung des Satzes, dass dem Staat gegenüber die Religion bloße Privatsache sei; oder sie erließ Beschlüsse direkt im Interesse der Arbeiterklasse und teilweise tief einschneidend in die alte Gesellschaftsordnung."
12 Enzyklopädisten
"Enzyklopädisten heißen die Herausgeber und Mitarbeiter der großen französischen »Encyclopédie« (s. oben, S. 851), die, angeregt durch die englische Enzyklopädie von Chambers, in Paris 1751-72 unter Diderots und d'Alemberts Leitung erschien als das Organ für die im 18. Jahrh. in Frankreich herrschende philosophische Richtung, namentlich hinsichtlich der Religion, Ethik und Staatswissenschaft. Unter dem Namen Enzyklopädisten werden daher oft alle die begriffen, welche der in jenem enzyklopädischen Werk herrschenden Richtung huldigten. Von d'Alemberts Feder rührt der geistreiche »Discours préliminaire« her, der nach dem Vorgang Bacons eine Übersicht über die Gliederung und die verschiedenen Beziehungen der Gebiete des menschlichen Wissens gibt (neuer Abdruck 1894). Mallet bearbeitete Theologie und Geschichte, Toussaint Jurisprudenz, Daubenton Medizin, Yvon Logik und Moral, Rousseau Musik und Philosophie, Marmontel Literargeschichte, Dumarsais französische Sprache; auch der Baron v. Grimm und Voltaire beteiligten sich an dem Werk. Helvetius, Graf von Holbach u.a. werden unter den Enzyklopädisten mit inbegriffen, weil sie deren Standpunkt teilten." [Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]
13 pauper (lateinisch): Armer
14 "Arbeitervereine, die teils Bildungszwecke verfolgen, teils einen gemischt kirchlich-konfessionellen und politischen Charakter haben. Hierher zählen die christlich-sozialen, die evangelischen und katholischen Arbeitervereine, von denen die evangelischen, die in einen Verband vereinigt sind, zur Zeit ca. 70,000, die katholischen, gleichfalls in einen Verband vereinigten, ca. 50,000 Mitglieder zählen." [Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v. Arbeitervereine]
15 Gottbildner: Die Gottbildner oder Gottsucher hielten Marxismus und Religion für vereinbar. Hierzu gehören Lunatscharski, Basarow und andere. Die Bolschewiken verurteilen das Gottbildnertum als Entstellung des wissenschaftlichen Sozialismus.
16 Anatoli Wassiljewitsch Lunatscharski (russisch: Анатолий Васильевич Луначарский; 1875- 1933) war im nachrevolutionären Russland Volkskommissar für das Bildungswesen (NARKOMPROS). 1917 von Lenin in diese Funktion berufen, hatte er das Amt bis 1929 inne. Er gilt als einer der bedeutendsten marxistischen Kulturpolitiker.
15 Schwarzhunderter (Bund des russischen Volkes): reaktionäre, antisemitische Organisation
18 Wechi (Marksteine): Sammelband der Kadetten, erschienen 1909 mit Artikeln von Berdjajew, Bulgakow, Struve, Gerschenson und anderen Liberalen
19 Siehe: Most, Johann <1846 - 1906 >: Die Gottespest. -- 1883. -- URL: http://www.payer.de/religionskritik/most01.htm. -- Zugriff am 2005-01-03
20 nec plus ultra (lateinisch): zur äußersten Grenze
21 Proletari (der Proletarier): illegale bolschewistische Wochenzeitung, Zentralorgan der SDAPR (Sozialdemokratische Arbeiterpartei Russlands), erschien von Mai bis November 1905
22 T. O. Beloussow (1875 - )
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