Religionskritisches von Oskar Panizza

Papst (1894)

von

Oskar Panizza


Herausgegeben von Alois Payer (payer@payer.de)


Zitierweise / cite as:

Panizza, Oskar <1853 - 1921 >: Papst.  -- 1894. -- Fassung vom 2005-01-20. -- URL:  http://www.payer.de/religionskritik/panizza05.htm 

Erstmals publiziert: 2005-01-20

Überarbeitungen:

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Dieser Text ist Teil der Abteilung Religionskritik  von Tüpfli's Global Village Library


Erstmals erschienen in:

Panizza, Oskar <1853 - 1921 >: Der teutsche Michel und der römische Papst : Altes und Neues aus dem Kampfe des Teutschtums gegen römisch-wälsche Überlistung und Bevormundung in 666 Tesen und Zitaten. -- Leipzig : Friedrich, 1894. -- 310 S. ; 22 cm. -- S. 282 - 306

Reprint:

Panizza, Oskar <1853 - 1921 >: Der teutsche Michel und der römische Papst : Altes und Neues aus dem Kampfe des Teutschtums gegen römisch-wälsche Überlistung und Bevormundung in 666 Tesen und Zitaten. -- Reprint der Erstausg. [Leipzig, Friedrich], von 1894 / mit einem Nachw. von Michael Bauer. -- München : Allitera-Verl., 2003. -- IV, 330 S. : Ill. ; 22 cm. -- (Edition Monacensia). -- Hergestellt on demand. - In Fraktur. -- ISBN 3-935877-90-0

Im Dritten Reich erschien eine gekürzte und veränderte(!) Ausgabe:

Panizza, Oskar <1853 - 1921 >: Deutsche Thesen gegen den Papst und seine Dunkelmänner. -- Neuausg. -- Berlin : Nordland-Verl., 1940. -- 214 S. ; 8°. -- Originaltitel: Der deutsche Michel und der römische Papst ([Auszug])


Ich habe versucht, die von Panizza zitierte Literatur bibliographisch nachzuweisen. Die - von mir bibliographisch ergänzten - Anmerkungen von Panizza haben alphabetische Fußnotenkennzeichnung ( a b c ...) und stehen unmittelbar unter dem Zugehörigen Text, die von mir zusammengestellten Erläuterungen sind numerisch gekennzeichnet ( 1 2 3 ...) und stehen unten hinter dem gesamten Text Panizzas.



Abb.: Umschlagtitel


Zu Oskar Panizza siehe die Einleitung zu:

Panizza, Oskar <1853 - 1921 >: Die Wallfahrt nach Andechs.  -- 1894. -- URL:  http://www.payer.de/religionskritik/panizza01.htm. -- Zugriff am 2005-01-18 


Zum Papst siehe auch:

Antiklerikale Karikaturen und Satiren XXX: Papst / kompiliert und hrsg. von Alois Payer. -- URL:  http://www.payer.de/religionskritik/karikaturen30.htm. -- Zugriff am 2005-01-18   


Papst

Macht jemand hie denken, ich büßete hiemit die Lust, mit so spöttischen, verdrießlichen, stachlichen Worten an den Papst. O, Herr, Gott, den Papst zu spotten, bin ich unmäßlich zu geringe. Er hat nu wohl über sechs hundert Jahre die Welt gespottet, und ihrem Verderben an Leib und Seel, Gut und Ehre, in die Faust gelacht, höret auch nicht auf, kann auch nicht aufhören.

Luther




Abb.: Plakat Pope Day 2003. -- [Bildquelle: http://www.manoamiga.info/pope/. -- Zugriff am 2005-01-18]

Klicken Sie hier, um die Papsthymne zu hören

Anlässlich des Heiligen Jahres 1950 bestimmte Papst Pius XII, den Papstmarsch von Charles Gounod (1818-1893) zur offiziellen Hymne.

A Te veniamo, Angelico Pastore,
In Te vediamo il mite Redentore,
Erede Santo di vera e santa Fede;
Conforto e vanto a chi combatte e crede,
Wir kommen zu Dir, engelgleicher Hirt,
In Dir sehen wir den sanften Erlöser,
Heiliger Erbe des wahren und heiligen Glaubens,
Stärkung und Ruhm derer, die kämpfen und glauben.

[Quelle der midi-Datei und des italienischen Textes: http://www.vatican.va/news_services/press/documentazione/documents/sp_ss_scv/inno/inno_scv_testo_it.html. -- Zugriff am 2005-01-20]

600) Wir lachen heute über den Dalai-Lama1. Und doch war und ist er eine der gefürchtetsten Persönlichkeiten; sogar Gott; und trotzdem lachen wir über ihn; und wenn wir eine in irgendeinem Kreise einflussreiche Persönlichkeit, die, geschwollen und aufgeblasen von eingebildeter Würde, ihre Funktionen mit gottähnlichen Allüren ausüben sehen, so sagen wir: er sitzt auf seinem Sessel oder auf seinem Präsidentenstuhl wie ein Dalai-Lama. — Und warum lachen wir über den Dalai-Lama? — Weil er uns so unendlich entfernt ist, geographisch wie bildlich, und weil er uns gar nichts mehr angeht.


Abb.: der tibetische und der römisch-polnische Dalai Lama

601) Wer war Dalai-Lama? — "Die Priester in Tibet in Hinter-Asien, heißen Lamas, und sind zugleich gewissermaßen Götter. Sie sind für das Volk der Grund der Existenz (nicht in Tirol, in Tibet), die Quelle des Heils, die Substanz des geistigen Lebens. Die Mitglieder der Priesterschaft sind sehr zahlreich; fast aus jeder Familie wird einer der Söhne ein Lama. Hauptbeschäftigung der Priester ist Betrachtung, Meditation, Gebet, Umgang und Assimilation mit dem Göttlichen. Daher leben sie zurückgezogen von der Welt, ohne Teilnahme an den weltlich materiellen Beschäftigungen (in Tibet, nicht in Tirol) größtenteils in Klöstern, mäßig, enthaltsam (oder soll es heißen: mäßig enthaltsam), ehelos. Da aber die ganze Leitung des Volkes, auch die politische, in ihrer Hand liegt (in Tibet, nicht in Bayern), so haben sie sichauch positiv geistig zu beschäftigen. (Unerhört!). Ihre Hauptarbeit ist die geistige Bildung des Volkes, Unterricht und Erziehung, (wir sind in Tibet) mithin auch (!!) Pflege der Wissenschaft. — Dass sie hierarchisch geordnet seien, versteht sich von selbst. An der Spitze steht der Groß-Lama, oder Dalai-Lama, der im südlichen Tibet residiert und herrscht. Einzelne der höchstgestellten Lamas haben sich von diesem mehr oder weniger unabhängig gemacht. Aber auch noch heutigen Tags gilt doch im Grunde der Dalai-Lama als der absolut höchste. Er empfängt selbst durch den (römisch-teutschen? nein, den tibetanischen) Kaiser göttliche Verehrung. Der Kaiser kniet vor ihm, während er sich nicht erhebt, sondern sitzend die Hand auf des Kaisers Haupt legt, um ihn zu segnen. Mit göttlicher Verehrung ist es überhaupt, dass dem Dalai-Lama begegnet wird; daher nie Jemand aus dem Volk ihn zu sehen bekommt. Was hiermit ausgesprochen ist, nämlich dass er Gott sei, ist buchstäblich zu nehmen. (Kein Katholik fasst es anders auf.) Er ist der inkarnierte, als Mensch existente Gott. (Genau so haben Veuillot2 und der Bischof Mermillod3 Pius IX.4 bezeichnet.) Stirbt er, so ist es nur, um alsbald in einem anderen Menschen wieder zu erscheinen. (Genau wie in Tibet.) Daher bestimmt in der Regel er selbst, kurz vor dem Tode, seinen Nachfolger. Die Lamas haben dann diesen neuen Dalai-Lama zu erkennen. Nicht selten ist es ein Kind." (Benedict IX.5 bestieg als zehnjähriger, Johann XII.6 als achtzehnjähriger Junge, den päpstlichen Stuhl.) —


Abb.: "reichlich Kinder zeugen": Buchumschlag. -- 2004

602) Kann man eine köstlichere Parodie lesen? — Das ganze, außerhalb der Klammern Mitgeteilte stammt aus dem katholischen Kirchen-Lexikon von Wetzer und Welte a, Freiburg 1851, unter dem Artikel "Lamaismus". Es fehlt nur doch der Zusatz: dass die Lamas, die gewissermaßen die Götter sind, und die "ehelos" sind, mit den Tibetanerinnen reichliche Kinder zeugen, wozu deren Brüder und Väter merkwürdige Augen machen, es aber schließlich einsehen, da jene "gewissermaßen die Götter sind", — und die tibetanische und römisch-katholische Hierarchie könnte ohne Merkens, linker Hand rechter Hand, vertauscht werden. — Ich sagte oben: "Wir lachen über den Dalai-Lama". Ich sage weiter: Wir dürfen auch über den italienischen Dalai-Lama lachen, "dem mit göttlicher Verehrung begegnet wird", den "inkarnierten, als Mensch existenten Gott"; und wenn Teutschland nicht tibetanisch werden will (oder Chinesisch, was dicht daneben liegt) so hat es die sittliche Pflicht, über den römischen Dalai-Lama zu lachen.

[a Kirchenlexikon oder Encyklopädie der katholischen Theologie und ihrer Hilfswissenschaften / hrsg. v. Hr. Jos. Wetzer u. Bened. Welte. -- Freiburg i.B. : Herder, 1847 - 1860. -- 12 Bde.]

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603) Und warum dürfen wir über den päpstlichen Dalai-Lama lachen? Seit Innozenz III.7 behaupten die Päpste, der Unterschied zwischen Papst und Kaiser sei wie der zwischen Sonne und Mond, und wie dieser von der Sonne sein Licht erhalte, so der Kaiser seine Autorität und Existenz-Recht vom Papst: "Weißt Du nicht," — schreibt Innozenz an den Kaiser — "dass, wie Gott zwei große Lichter am Firmament gesetzt hat, ein großes und ein kleines, die Sonne und den Mond, so hat er auch am Firmament der Kirche zwei Lichter geschaffen oder zwei Würden eingesetzt, die päpstliche Autorität und die königliche Macht; die erstere aber welche die geistige ist (spiritualis) ist die höhere; die andere, die irdische (carnalis), die geringere. So groß nun der Unterschied zwischen Sonne und Mond, so der Abstand zwischen Papst und Kaiser." a

a Nosse debueras, quod fecit Deus duo magna luminaria in firmamento coeli, et luminare maius, ut praeesset diei, et luminare minus, ut praeesset nocti: utrumque magnum sed alterum maius. Ad firmamentum igitur coeli, hoc est, universalis ecclesiae, fecit Deus duo magna luminaria, id est, duas instituit dignitates, quae sunt pontificalis auctoritas, et regalis potestas. Sed illa quae praeest diebus, id est spiritualis, maior est; quae vero carnalis, minor: ut quanta est inter solem et lunam, tanta inter pontificem et reges differentia cognoscatur." Jus Canonicum8, Lib. I. Decr. Tit. 33 cap. 6 De maioritate et oboedientia.


Abb.: Eine nützliche Verwendung des Papstes. Der Papst als Henkeltasse. -- 2003 [Bildquelle: http://www.chown.dial.pipex.com/1_2_7_2-pope%2025%20edinburgh%20beaker.htm. -- Zugriff am 2005-01-18]

604) Eine Glosse zum Jus canonicum8 hatte ausgerechnet, dass der Papst 47 Mal, eine andere, dass er 7744 Mal größer sei, als der Kaiser a. Luther fügt hinzu: "das will ein Päpstlein werden, wenn's nu auswächst." b — Der gute Innozenz7 wusste nicht, dass die Sonne  Millionen mal größer als der Mond ist. — Dürfen wir nicht über den römischen Dalai-Lama lachen?

a Weber, Carl Julius <1767 - 1832>60: Das Papstthum und die Päpste. --  Stuttgart : Hallberger. -- 3 Bde. -- Bd. 1. -- 1834. -- (Carl Julius Weber's sämmtliche Werke ; 1). -- S. 399.

b Luther, Martin <1483 - 1546>: Wider das Papsttum zu Rom. -- In: Luther, Martin <1483 - 1546>: Dr. Martin Luther’s sämmtliche Werke. Erlangen, 1826-57. -- 67 Bde. -- Bd. 1. -- 1826. -- S. 152

605) Einige andere Sätze des Jus canonicum8 lauten: "Romanus Pontifex iura omnia in scrinio pectoris sui censetur habere" a: "Der römische Papst hat alle Rechte in seinem Brustkasten verschlossen." — "Papa habet supremam potestatem pro bono sttatu Ecclesiae iudicandi et disponendi de bonis temporalibus omnium Christianorum." b: "Der Papst hat die Macht, über die zeitlichen Güter aller Christen zu Gunsten der Kirche zu verfügen." — "Omni humanae creaturae est necessarium ad salutem, subesse Papae." c: "Aller menschlicher Kreatur ist es zu ihrem Seelenheil notwendig, sich dem Papst unterzuordnen." — "Papa habet plenariam dispositionem super beneficiis totius mundi." d: "Der Papst hat unbeschränktes Verfügungsrecht über die Benefizien der ganzen Erde." "Papa omnem suam potestatem, sive iurisdictionem, recipit ab ipsomet Deo, neque in terris superiorem recgnoscit." e: "Der Papst erhält alle seine Macht und Jurisdiktion von Gott selbst, und erkennt auf Erden keinen Höheren über sich." — Dürfen wir nicht über den römischen Dalai-Lama lachen?

a  Reiffenstuel, Anaclet <O.F.M.> <1642 - 1703>8a: Jus canonicum universum, clara methodo juxta titulos quinque librorum Decretalium in quaestiones distributum solidisque responsionibus et objectionum solutionibus dilucidatum  / authore R.P.F. Anacleto Reiffenstuel. -- Editio novissima, cui accessit Tractatus de regulis juris, cum repertorio generali totius operis. -- Antverpiae : sumptibus Societatis, 1755. -- 6 tomes en 3 vol. in-fol. -- Tom. I. -- Prooemium, n. 213. -- p. 33
b
a. a. O., Tom. I. lib I, Tit II n. 57. -- p 76
c
a. a. O., Tom. I. lib I,  Tit I. n. 281. -- p 110
d
a. a. O., Tom. III. lib III,  Tit V n. 150. -- p 88
e
a. a. O., Tom. I. lib I, Tit  II  n. 55. -- p 76

606) Eine bittere Lache in seiner Art schlug vor 300 Jahren ein Teutscher, Agrippa von Nettesheim9, über dieses päpstliche Gesetzbuch auf: "Eine saubere Arbeit, die die Formeln der Habsucht und des Raubs mit dem Glorienschein der Frömmigkeit umgibt, von Gottes Wort so gut wie nichts enthält; ein unentwirrbarer gordischer Knoten von Falschheit und Tücke, der die großen Diebe laufen lässt, die kleinen fängt, und aus Christi Lehre eine unerträgliche Last gemacht hat." a

a "Sacrosanctissimum videri posset, tam ingeniose avaritiae ac raptus formulas pietatis specie adumbrat; paucissima ad religionem spectantia, nonnulla verbo Dei contraia — hic Proteus, Chamaeleon et Gordius nodus, reddidid Christi leve ac suave iugum omnium gravissimum. 'Dat veniam corvis, vexat cebnsura columbas',"  Agrippa von Nettesheim, Heinrich Cornelius <1486 - 1535>9: De incertitudine et vanitate scientiarum et artium liber / Henr. Cornelii Agrippae ab Nettesheym. -- Coloniae Agrippinae, 1598. -- Originaltitel: De incertitudine et vanitate scientiarum. --  cap 93: De iure canonico.

607) Der römische Papst sagt von sich: "Rex ego sum Regum; lex est mea maxima legum": "Ich bin der König der Könige; mein Gesetz ist das höchste auf Erden." — Und der Jurist Baldus10 sagte von ihm "Papa est supra ius, contra ius et extra ius": "der Papst ist über dem Gesetz, gegen das Gesetz und außerhalb des Gesetzes"; — "Deus in terris": "Gott auf Erden"; — "causa causarum et primae causae nulla causa": "die Ursache aller Dinge, und der ersten Ursache voraussetzungsloses Dasein".— Tibetanischer kann man sich nicht mehr ausdrücken. Mehr hat der Dalai-Lama von sich kaum behauptet.

a Weber, Carl Julius <1767 - 1832>60: Das Papstthum und die Päpste. --  Stuttgart : Hallberger. -- 3 Bde. -- Bd. 1. -- 1834. -- (Carl Julius Weber's sämmtliche Werke ; 1). -- S. 399.

608) Den Gottesbeweis für den Papst tritt ein anderer Satz des Ius canonicum in folgendem Sinne an: Gott kann von Menschen nicht gerichtet werden; auch der Papst kann von Menschen nicht gerichtet werden; also ist der Papst Gott: "Satis evidenter ostenditur, a saeculari potestate nec solvi posse nec ligari Pontificem, cum nec posse Deum ab hominibus iudicari manifestum sit" a

a Corpus Iuris Canonici8 : Gregorii XIII. Pontif. Max. auctoritate post emendationem absolutam editum, in duos tomos divisum et appendice nova auctum / Ivstus Henningivs Boehmer ... recensuit, cum codicibus ... contulit, variantes lectiones adiecit, notis illustravit atque ... instruxit Praemissa Praefatione Duplici. -- Halae Magdeburgicae : impensis Orphanotrophei, 1747. -- 3 Bde. -- Tom. I. Gratiani Decretum, distinct. 96. — Dieser Beweis geht nach dem lustigen Schema: Johann ist kein Esel; kein Esel ist auch Fritz; also ist Fritz Johann.

609) In England nennt man jemanden, der sich selbst zu etwas gemacht hat: self-made man; in diesem Sinne können wir den römischen Dalai-Lama self-made god nennen.


Abb.: "Ist denn das nit ein übermäßige Hoffart?": Der Papst und sein Gefolge begeben sich im Heiligen Jahr zum Heiligen Tor <Ausschnitt>. -- Liebigs Sammelbilder. -- 1925

610) "Ist denn das nit ein übermäßige Hoffart, Benamung der Seligkeit annehmen, und sich den Allerheiligsten grüssen lassen, den, der noch im Körper lebt?" a

a Hutten, Ulrich von11 <1488-1523>: Vadiscus : dialogus Hutteni. -- In: Hutten, Ulrich von <1488-1523>: Opera quae reperiri potuerunt omnia / edidit Eduardus Böcking.  -- Lipsiae : Teubner, 1859-70.  -- 7 Bde.  -- Bd. IV. -- S. 183


Abb.: "Der Gottähnlichste, den alle Völker anbeten müssen": Leo X. / von Raffael (1843 - 1520). -- 1518-1519

611) Auf dem 5. Lateran Konzil11a 1512—1517 erhielt Leo X.12 folgende Anreden und Verehrungsformeln: "Papa princeps est et rex": "der Papst, Fürst und König" (in der 3. Sitzung); — "princeps totius mundi": "Herr der ganzen Welt", (ebenda); — "respectus vestrae Divinae majestatis": "die Hochachtung vor Eurer göttlichen Majestät" (in der 9 Sitzung); — "simillimus Deo, et qui a populis adorari debet": "der Gottähnlichste, den alle Völker anbeten müssen" (3. und 10. Sitzung). a

a Mornay, Philippe de, seigneur du Plessis-Marly <1549-1623>13 : Mysterium iniquitatis seu historia Papatus, quibus gradibus ad id fastigii enisus sit, quamque acriter omni tempore ubique a piis contra intercessum / auctore Philippo Mornayo Plessiaci.  -- Salmurii : Porthaeus, 1652. -- S. 1363 - 1364 [Die Ausgabe von 1652 konnte ich bibliographisch nicht nachweisen]

612) "In summa, il sest usurpe toutte puyssance [quest horrible de dire] au ciel, et la terre, et es enferz, et l'auctorite de pouvoir commander a touttes créatures, de terre, du ciel, et des enferz, de pouvoir despouiller le purgatoire de touttes les âmes quil tient en sa prison. Il menace les anges de les priver de la grâce de Dieu silz n'acomplissent ses commandementz, les dyables de multiplier leurz paines, l'exemple de quoy nous montrerons en la vie de pape Julie II.; bref il se vente de donner et oster la grâce de Dieu a qui luy plaira, et touttes et quantes foys il luy plaira. Et en somme se met en la place de Dieu come Daniel ha escrit et Christ monstré Matth. XXIV, Il ha aussy prefere sa parolle a la parolle de Dieu, et ses commandementz aussy es siens, et s'est faict maystre sus la parolle de Dieu, s'arroguant la science de lenseigner, exposer, transmuer, et en disposer a son appetit, combien que la pluspart des papes n'haient este que des asnes et pour non aller cercher gueres loin faut mettre en avant ce dernier Pie IV. que lon dict que ne scait pas son paternostre." a

a Bonivard, François14 <1493 - 1570>: Advis et devis de la source de l'idolâtrie et tyrannie papale, par quelle practique et finesse les papes sont en si haut degré montez, suivis des difformes réformateurz, de l'advis et devis de mençonge et des faulx miracles du temps présent / par François Bonivard, ancien prieur de St-Victor. (Édité par J.-J. Chaponnière et G. Revilliod.). - -   Genève : J.-G. Fick, 1856. -- In-8 ̊ , XIV-189 p. --  S. 13.


Abb.: Gregor VII.15 -- 11. Jhdt.

613) Gregor VII.15 sprach am 7. März 1080 die Bischöfe des Konzils folgendermaßen an: "Wohlan denn, Ihr Väter und Fürsten der Kirche, es möge die ganze Welt erkennen und einsehen, dass, wenn Ihr im Himmel binden und lösen könnet, Ihr auf der Erde die Kaisertümer, Königreiche, Fürstentümer, Herzogtümer, Markgrafschaften, Grafschaften, und aller Menschen Besitzungen nach Gebühr einem Jeglichen nehmen und geben könnt. Denn Ihr habt oft genommen die Patriarchate, Primate, Erzbistümer, Bistümer den Schlechten und Unwürdigen und sie gegeben Frommen. Wenn Ihr also über die geistlichen Dinge richtet, was muss man dann glauben, dass Ihr hinsichtlich der weltlichen könnt. Und wenn Ihr über die Engel, welche allen stolzen Fürsten gebieten, richtet, was könnt Ihr tun mit deren Sklaven? Mögen nun die Könige und alle Fürsten der Welt lernen, wie hoch Ihr seid, was Ihr könnet, und mögen sich hüten, gering zu achten das Gebot Eurer Kirche: und so übet denn rasch an besagtem Heinrich (der teutsche Kaiser Heinrich IV.17) Euer Urteil, dass alle wissen, dass er nicht zufällig fallen wird, sondern durch Eure Macht." a

a Schulte, Johann Friedrich von <1827 - 1914>16: Die Macht der römischen Päpste über Fürsten, Länder, Völker, Individuen : nach ihren Lehren und Handlungen zur Würdigung ihrer Unfehlbarkeit beleuchtet.  -- 2. Aufl. -- Prag : Tempsky, 1871. --  89 S. -- S. 30ff.

614) Und auf der gleichen Synode heißt es: "Deshalb vertrauend auf dies Urteil und die Barmherzigkeit Gottes, und dessen frömmster Mutter der steten Jungfrau Maria, unterwerf ich den oft genannten Heinrich17, den sie König nennen, und alle seine Anhänger der Exkommunikation und binde sie mit dem Banne18 des Fluchs: und von neuem ihm untersagend das Reich der Teutschen von Seiten des allmächtigen Gottes nehme ich ihm alle königliche Gewalt und Würde, und verbiete, dass irgendein Christ ihm als seinem König gehorche, und spreche los vom Versprechen des Eides alle, die ihm im Reich geschworen haben oder schwören werden. Heinrich soll mit seinen Anhängern in keinem Kampfe Kraft haben und in seinem Leben keinen Sieg gewinnen." a

a Schulte, Johann Friedrich von <1827 - 1914>16: Die Macht der römischen Päpste über Fürsten, Länder, Völker, Individuen : nach ihren Lehren und Handlungen zur Würdigung ihrer Unfehlbarkeit beleuchtet.  -- 2. Aufl. -- Prag : Tempsky, 1871. --  89 S. -- S. 31 - 32

615) Über den Bann18 könnten wir viele Worte verlieren, und über dieses fünfzackige Feuerwerk, welches aus der geballten Papst-Faust hervorquirlte, weitere illustrierende Beispiele aus der Geschichte geben. Unnötig! Der Bann wurde niemals von Gebildeten geachtet; nur die abergläubische Hefe des Volkes horchte auf dieses knatternde Geräusch. In den ersten Jahrhunderten bannte Alles: Papst, Bischof, Prälat, Geistlicher; kein Mensch kümmerte sich darum. Päpste bannten sich gegenseitig; die Theaterblitze zündeten nicht. Erst als das weltliche Interesse dazukam, gewann der Bannfluch symbolische Bedeutung. So war es in der Fluch-Affäre zwischen Heinrich IV.17 und Gregor VII.15 Wäre unser teutscher Kaiser seiner weltlichen Großen und seiner eigenen Kinder sicher gewesen, dann konnte der gute Gregor hinten in Rom Kolophonium19 verschwenden, so viel er wollte, es war wie sonst wirkungslos. Aber da Heinrich im eigenen Reich Aufwiegler hatte, und Gregor dies wusste, und den Zeitpunkt vorbereitete, so war der Bannfluch der auslösende Hebel für die endlosen nun folgenden Streitigkeiten und Verwüstungen im teutschen Land. — An sich war also der Bann ein kindliches Vergnügen und den Päpsten wohl zu gönnen; frivol war nur, dass sie dabei regelmäßig den Eid der Treue der Untertanen des gebannten Kaisers aufhoben. Denn der Untertanen-Eid20 wird im Namen Gottes geschworen und hat heute noch symbolisch-bindende Bedeutung auch für den Atheisten. Der Bann wird im Namen des Papstes, oder höchstens des italienischen Gottes geschleudert, an den nur der Papst selbst glaubt, und hat für Niemand bindende Kraft, außer wem's gefällt.

616) Aber auch hier traf der Papst oft auf einen Mann, vor dessen Charakterstärke er größeren Respekt empfinden musste, als vor dem Hohnlachen der gebannten Großen selbst: Dietrich, Bischof von Verdun, schrieb Gregor15 hinsichtlich des Entbindens der Untertanen des Kaisers vom Eid20 der Treue: "Es wäre ein Unglück, wenn auf jede heftigere Gemütsbewegung des Papstes gleich die göttliche Verdammung folgen sollte. Weder bezeugt es die Schrift, noch billigt es die Vernunft, dass Exkommunikationen, welche aus Privat-Leidenschaft oder wegen einheimischer Beleidigungen ausgesprochen werden, eine verdammliche Kraft haben sollten. Und was die Lossprechung vom Untertanen-Eid betrifft, so sagt damit der Papst: Versagt ihm auf mein Ansehen die Treue, welche ihr ihm eidlich versprochen habt. — Aber was sagen sie (die Untertanen) dazu?: Hierin gehorchen wir Dir nicht, Herr Papst. Wir versagen ihm die versprochene Treue nicht. Denn wir haben sie nicht bloß versprochen, sondern auch geschworen. Und wenn der Mund, der bloß lügt, die Seele tötet; so muss er dies noch mehr tun, wenn er durch einen Meineid lügt." a

a Theiner, Johann Anton <1799 - 1860>;  Theiner, Augustin <1804 - 1874>21: Die Einführung der erzwungenen Ehelosigkeit bei den christlichen Geistlichen und ihre Folgen : ein Beitrag zur Kirchengeschichte / von Johann Anton Theiner und Augustin Theiner. -- Neue Ausg., nebst e. Anh. -- Altenburg, 1845. -- 3 Bde. -- Bd. II. -- S. 257 - 258


Abb.: "Heute ist der Bann18 kaum mehr ein Theater-Requisit zum Spektakelmachen": am 5. August 2002 exkommunizierte Bischöfinnen bzw. Priesterinnen Christine Mayr-Lumetzberger, Dr. Gisela Forster, Dr.  Patricia  Fresen [Bildquelle: http://www.virtuelle-dioezese.de/newsletter_2003-11.php. -- Zugriff am 2005-01-18] 

617) Heute ist der Bann18 kaum mehr ein Theater-Requisit zum Spektakelmachen: Ehemals konnte man durch die römische Verfluchung wenigstens zu Ansehen und Ruhm gelangen, wie Luther, dem Hutten11 schrieb, als er von dessen Exkommunikation hörte: "Quantus es, o Lutherus, si hoc verum!" "Wie groß, Luther, bist Du, wenn das wahr ist." — Aber heute wirkt der Bann nicht einmal nach dieser Richtung. Einer der Letztgebannten, Döllinger22, starb fast vergessen; nicht wegen des Bannfluchs, sondern trotz des Bannfluchs. Die Leute sagten sich: "Wir suchten in dem vom Bannstrahl Getroffenen einen großen Mann, und fanden nur einen großen Gelehrten."


Abb.: "Starb fast vergessen; nicht wegen des Bannfluchs18, sondern trotz des Bannfluchs": Ignaz Döllinger22 / von Franz von Lenbach (1836 - 1904). -- 1874

618) Wohl konnte Heinrich IV.17 auch selbstbewusste Briefe schreiben. Und er schrieb 1076 an Gregor15: "So hast Du Dich auch nicht gescheut, Dich gegen die königliche Gewalt selbst, die Uns von Gott verliehen ist, zu erheben, und es gewagt, Uns zu drohen, Uns dieselbe zu entziehen; als ob wir von Dir das Reich erhalten hätten, als ob in Deiner und nicht in Gottes Hand Reich und Königliche Macht lägen ...." a  Aber was halfs? Seine Untertanen glaubten dem römischen Papst mehr als ihrem Kaiser.

a "ideoque et in ipsam regiam potestatem nobis a Deo concessam exsurgere non timuisti, quam te nobis auferre ausus es minari, quasi nos a te regnum acceperimus, quasi in tua et non in Dei manu sit regnum vel imperium . . . . ." Siehe: Preger, Johann Wilhelm <1827 - 1896>23: Der kirchenpolitische Kampf unter Ludwig dem Baier und die öffentliche Meinung in Deutschland. -- In: Abh. der kgl. bayer. Akad. d. Wissenschaften. -- 3. Cl., 14. Bd., 1. Abt. -- München, 1877. -- S. 5

619) Wer dem Dalai-Lama glaubt, ist verloren, er, sein Land, sein Kaiser, alles. Die armen, blöden Teutschen glaubten damals an den Dalai-Lama, und die Folge war: Bürgerkrieg, Entzweiung, Gegenkaiser, Mord und Plünderung auf dreißig Jahre (1076 bis 1106). Der gute Kaiser war wohl für seine Person aufgeklärt genug, über den Dalai-Lama in Rom zu lachen. Aber was half's ihm? Seine Untertanen glaubten dem tibetanischen Gott in Rom. Und so musste er selbst dran glauben. Er wurde förmlich geisteskrank; trotz Zusprache einer großen Anzahl Getreuer und Anhänger verlor er allen Mut, warf die Waffen von sich und winselte und weinte wie ein Geschlagener. So richtet der Wahn den Menschen zu Grund, der Glaube an eine eingebildete Gottheit!


Abb.: Kaiser Heinrich IV.17 demütigt sich vor Papst Gregor VII.15 in Canossa24. -- Liebigs Sammelbilder. -- 1913

620) "... endlich kam er zur Stadt Canossa24" — schreibt Gregor VII.15 selbst — "wo Wir weilten, mit Wenigen, und stand dort drei Tage vor dem Tore elendiglich entblößt von allem königlichen Schmuck, barfuss (discalceatus) und in wollenem Gewande und hörte nicht eher auf mit vielem Flehen die Hilfe und den Trost der tibetanischen pardon: apostolischen Barmherzigkeit zu erbitten, als bis es alle, die zugegen waren und zu denen die Kunde kam, bei solcher Frömmigkeit und Barmherzigkeit des Mitgefühls antrieb, dass sie sich für ihn mit vielen Bitten und Tränen verwandten und ob der ungewohnten Härte unseres Sinnes verwunderten. . . . ." a

a Schulte, Johann Friedrich von <1827 - 1914>16: Die Macht der römischen Päpste über Fürsten, Länder, Völker, Individuen : nach ihren Lehren und Handlungen zur Würdigung ihrer Unfehlbarkeit beleuchtet.  -- 2. Aufl. -- Prag : Tempsky, 1871. --  89 S. -- S. 33


621) "Ce fut un superbe moment!" — ruft der Franzose de Maistre25 aus — in seinem Buch "Du Pape"; "Welch ein prachtvoller Moment!" a — Ich hoffe, dass es nur wenige Katholiken in Teutschland gibt, die so empfinden werden. b — Was man auch über die barbarischen und feudalen Zeiten damals denken mag, die dem Kaiser ein unbeschränktes Recht über seine Untertanen einräumten, wie man auch über sein Vorgehen gegen die Sachsen urteilen mag, wobei es zu nicht zu rechtfertigenden Gewalttätigkeiten kam, und worin er durch die Gegnerschaft des Papstes eingeschränkt worden sei; daran hat kein Papst gedacht; das ist eine Erkenntnis der neueren Geschichtsschreibung; für ihn handelte es sich nur um hierarchische Zwecke. Und die Demütigung in Canossa24 bleibt ein beklagenswerter Akt persönlicher Geistes-Verwirrung des Kaisers und schmachvollen Aberglaubens des teutschen Volkes.

a Maistre, Joseph de <1753-1821>25: Du Pape. -- Lyon : Vitte et Perrussel, 1884. -- (Oeuvres complètes de J. de Maistre, nouvelle édition contenant ses oeuvres posthumes et toute sa correspondance inédite ; vol. II). -- S. 179

b Bischof Haffner26 von Mainz, der 1888 von einer Romfahrt zurückkam, erinnerte in einer darauffolgenden Versammlung, wie ein katholisches Blatt berichtete, "in launiger Weise" an eine andere Romfahrt, an den Canossa-Gang24 Kaiser Heinrich's IV.17Kirchliche Korrespondenz für die deutsche Tagespresse / Evangelischer Bund zur Wahrung Deutsch-Protestantischer Interessen. -- Leipzig : Bund. -- 2 (1888). -- Nr. 5. -- S. 85. — Sauberer Teutscher das! —

622)

Auf dem Schlosshof zu Canossa24
Steht der deutsche Kaiser Heinrich
17,
Barfuss und im Büßerhemde,
Und die Nacht ist kalt und regnicht.

Droben aus dem Fenster lugen
Zwo Gestalten, und der Mondschein
Überflimmert Gregors
15 Kahlkopf
Und die Brüste der Mathildis27.

Heinrich, mit den blassen Lippen,
Murmelt fromme Paternoster27a;
Doch im tiefen Kaiserherzen
Heimlich knirscht er, heimlich spricht er:

»Fern in meinen deutschen Landen
Heben sich die starken Berge,
Und im stillen Bergesschachte
Wächst das Eisen für die Streitaxt.

Fern in meinen deutschen Landen
Heben sich die Eichenwälder,
Und im Stamm der höchsten Eiche
Wächst der Holzstiel für die Streitaxt.

Du, mein liebes treues Deutschland,
Du wirst auch den Mann gebären,
Der die Schlange meiner Qualen
Niederschmettert mit der Streitaxt.«

(Heine) [Heinrich Heine (1797-1856): Heinrich. -- 1844]

623) Doch der Dalai-Lama ändert sich nicht. — Wir müssen uns ändern. Der Dalai-Lama ist der Ausdruck unseres Aberglaubens, der aus unseren Herzen hinausprojizierte, von uns vergoldete, von uns geschwellte, von uns geborene, gehätschelte, gemästete Popanz. Sobald wir nicht mehr wollen, steigt er herunter vom Thron, und überreicht uns lächelnd seine Papier-Krone; die Luft geht hinaus, und der aufgetriebene Ballon sinkt zu einer runzligen, lächerlich kleinen Größe zusammen. Und der wälsche, mit orientalischer Lüsternheit sich wendende und gebärdende Gott, der uns die Produkte seiner sensualistischen, weihrauchdampfenden Phantasie, als "Glaubenswahrheiten" vorsetzt, hört auf für uns wälsch und orientalisch zu sein, sobald wir teutsch sind. Er hört auf für uns unfehlbar zu sein, sobald wir nicht mehr an ihn glauben. Und er hört auf, sich über unsere Regierung Gerechtsame anzumaßen, sobald wir sie ihm nicht mehr geben.


Abb.: Bonifatius VIII. proklamiert den Jubelablass 1300 / von Giotto (1266 - 1337)

624) Bonifaz VIII.28 in seiner bekannten Bulle "Unam Sanctam" 1302 erklärte: "Dass in der Gewalt des Petrus zwei Schwerter, das geistliche und weltliche, sind, lehrt uns das Evangelium. Jedes der beiden Schwerter ist also in der Gewalt der Kirche. Das Geistliche und das Weltliche. Ersteres ist das des Priesters; letzteres ist in der Hand der Könige; aber nach dem Wink und der Zulassung des Priesters. Ein Schwert muss unter dem andern sein, und die weltliche Autorität der geistlichen Gewalt unterworfen sein. Folglich, wenn die weltliche Gewalt abweicht, wird sie abgeurteilt werden von der geistlichen Gewalt. — Und so erklären wir, sagen wir, entscheiden wir: Dem römischen Pontifex unterworfen zu sein, ist für jegliches menschliche Geschöpf zum Heile notwendig." a

a Schulte, Johann Friedrich von <1827 - 1914>16: Die Macht der römischen Päpste über Fürsten, Länder, Völker, Individuen : nach ihren Lehren und Handlungen zur Würdigung ihrer Unfehlbarkeit beleuchtet.  -- 2. Aufl. -- Prag : Tempsky, 1871. --  89 S. -- S. 28.  Diese Bulle wurde auf dem 5. Lateranensischen Konzil 1516 ausdrücklich "erneuert und approbiert", und die Civiltà Cattolica beansprucht ihre Gültigkeit in einem Artikel vom 10. April 1870 auch für unsere Zeit.

625) Je mehr wir uns von dieser tibetanischen Gottheit gefallen lassen, je Stärkeres mutet sie uns zu: Dalai-Lama Gregor15 schrieb 1077 in einem Brief nach Teutschland: "Wir haben durch das Urteil des heiligen Geistes befohlen und geboten, dass in Eurem Reich ein Reichstag stattfinde." a — Hier kann man wirklich herzlich über den guten Dalai-Lama lachen. — Aber sobald er sich aufbläht und wirklich zu reden anfängt, verkriechen sich doch die meisten, sogar die gelehrtesten und energischsten Bischöfe, und lispeln ihr demütiges: Subjicimus nos ["Wir unterwerfen uns."]

a Schulte, Johann Friedrich von <1827 - 1914>16: Die Macht der römischen Päpste über Fürsten, Länder, Völker, Individuen : nach ihren Lehren und Handlungen zur Würdigung ihrer Unfehlbarkeit beleuchtet.  -- 2. Aufl. -- Prag : Tempsky, 1871. --  89 S. -- S. 34


Abb.: Urbanus II. : Erster Kreuzzug. -- Liebigs Sammelbilder. -- 1905

626) Dalai-Lama Urban II.29 predigte 1096 in der Kirche der heiligen Thekla zu Mailand, "dass der geringste Priester jedem König vorgehe".— Und Lama Gregor15 ergänzt es dahin: "Wer also, der auch nur einige Kenntnisse hat, möchte zweifeln, dass die Priester den Königen vorgehen (anteferri)? Wenn nun die Könige für ihre Sünden zu richten sind, von wem müssen sie dann rechtmäßiger gerichtet werden, als vom römischen Papste?" b

a Schulte, Johann Friedrich von <1827 - 1914>16: Die Macht der römischen Päpste über Fürsten, Länder, Völker, Individuen : nach ihren Lehren und Handlungen zur Würdigung ihrer Unfehlbarkeit beleuchtet.  -- 2. Aufl. -- Prag : Tempsky, 1871. --  89 S. -- S. 29 Anm.

b a. a. O. -- S. 36


Abb.: Exkommuniziert: Anna Boleyn, 2. Frau von Heinrich VIII.

627) In dieser Weise verfluchten und bannten die Päpste Fürsten und Obrigkeiten, Laien und Geistliche, wer ihnen, auf politischem oder geistlichem Gebiet, in die Quere kam. Kaiser Friedrich Barbarossa30, Friedrich II31, Ludwig der Bayer32, Philipp der Schöne33 von Frankreich, und viele ungezählte Kleinere kamen dran. Und auch die Reformation brachte keine Vernunft. Heinrich VIII.34 von England wird mit Anna Boleyn35 exkommuniziert, sein Land mit dem Interdikt36 belegt, die Untertanen des Eids20 entbunden und die, die ihm treu bleiben, "als Sklaven" verkauft. — Aber so hoch im Norden zündeten die römischen Blitze nicht mehr. Und über den stürmischen Wassern des Kanals La Manche37 löschten die päpstlichen Raketen meist aus.


Abb.: "Diesen Einen setzte er über alle Völker und Reiche": Heiliger Papst Pius V.38 / von El Greco (1541 - 1614). -- um 1600-1610

628) Pius V.38 donnerte in der Bulle "Regnans in Excelsis" im Jahr 1570: "Der Herrscher in der Höhe übergab zur Regierung in der Fülle der Gewalt die eine heilige Kirche, außerhalb deren es kein Heil gibt, dem römischen Pontifex. Diesen Einen setzte er über alle Völker und Reiche zum Fürsten, auf dass er ausrotte, zerstöre, zerstreue, vernichte, pflanze und baue. Gestützt also auf die Autorität Gottes erklären wir die genannte Ketzerin Elisabeth39 (die Königin von England) und ihre Anhänger dem Fluch verfallen und abgesondert von der Einheit des Leibes Christi. Dieselbe sei des angemaßten Rechtes über ihr Reich, jeglichen Eigentums, jeglicher Würde, jeglichen Vorrechts beraubt. Alle Stände, Untertanen und Völker ihres Reichs sind von jeder Pflicht der Lehenstreue und des Gehorsams entbunden." a — Aber die große Elisabeth39 kümmerte sich wenig um die Bannflüche18 in Rom; sie ließ die bigotte und landesverräterische Maria Stuart40 enthaupten und wurde die Begründerin der Größe Englands. — Immer kam es darauf an, welch persönlicher Charakter es war, den der tibetanische Fluch traf; und welcher Art und Gesinnung Land und Untertanen.. Leider war es in letzter Hinsicht immer miserabel in Teutschland bestellt. Und schwadronenweis stürzte hier das blöde Volk auf die Knie, wenn der tibetanische Gott in Rom rot und feurig sich aufblies.

a Schulte, Johann Friedrich von <1827 - 1914>16: Die Macht der römischen Päpste über Fürsten, Länder, Völker, Individuen : nach ihren Lehren und Handlungen zur Würdigung ihrer Unfehlbarkeit beleuchtet.  -- 2. Aufl. -- Prag : Tempsky, 1871. --  89 S. -- S. 40 - 41

629) Voll kostbarer Ironie ist der Satz in dem schon angeführten Buch de Maistre's25: "Übrigens wurde die Autorität des Papstes über die Könige immer nur von Jenen bestritten, die er zu Boden schlug. Also gab es nie eine legitimere Autorität als diese, und nie eine weniger bestrittene." a — Dies ist nur eine Variation über den Satz:  Dalai-Lama gibt es nur für den, der an die Gottheit glaubt; und zerschmettert wird nur der, der sich fürchtet!

a "C'est à dire que l'autorité des Papes sur les rois n'etait contestée que par celui, qu'elle frappait. Il n'y eut donc jamais d'autorié plus légitime, comme jamais il n'y en eut de moine contestée". Maistre, Joseph de <1753-1821>25: Du Pape. -- Lyon : Vitte et Perrussel, 1884. -- (Oeuvres complètes de J. de Maistre, nouvelle édition contenant ses oeuvres posthumes et toute sa correspondance inédite ; vol. II). -- S. 207


Abb.: "kraft Apostolischer Machtvollkommenheit": Innozenz X.41 / von Diego Velázquez (1599 - 1660). -- 1650

630) Innozenz X.41 erklärte in der Bulle "Zelo domus dei" vom 20. November 1648 "kraft Apostolischer Machtvollkommenheit den Artikel des Westfälischen Friedens42 für nichtig, ungültig, unbillig, ungerecht, verdammt, verworfen, vergeblich, der Kräfte und Erfolge entbehrend für alle Zukunft." a Dalai-Lama hätte gewünscht, dass der Dreißigjährige Krieg, der Teutschland auf Generationen in seiner Entwicklung gegen andere Kulturvölker zurückgeworfen hatte, und es ausgesogen und verarmt zurückließ, noch länger dauere. Und dann hatte dieser Friede einer Sekte Menschen in Teutschland Existenz-Rechte verliehen, die an Dalai-Lama nicht mehr glaubten.

a Schulte, Johann Friedrich von <1827 - 1914>16: Die Macht der römischen Päpste über Fürsten, Länder, Völker, Individuen : nach ihren Lehren und Handlungen zur Würdigung ihrer Unfehlbarkeit beleuchtet.  -- 2. Aufl. -- Prag : Tempsky, 1871. --  89 S. -- S. 50


Abb.: "küssten sie sich schon à la française": Papst Pius VI.43 begegnet Kaiser Joseph II.44 vor Wien, 1782

631) Seitdem ist das Ansehen des Dalai-Lama gewaltig gefallen. Eine große Portion Luft wurde aus dem Ballon herausgelassen. Als Pius VI.43 1782 nach Wien kam zum Besuch Kaiser Josefs II.44, und sie sich einige Posten vor Wien trafen, küssten sie sich schon à la française; der Pantoffelkuss und das Hinfallen zur Erde waren schon obsolet; und als der Papst dem Kanzler Kaunitz45 einen Besuch machte, und die Hand zum Kusse reichte, schüttelte dieser gar dem betroffenen Pontifex die Hand nach englischer Manier: How do you do? — Aber in dem Vorzimmer zu den päpstlichen Gemächern stand der Pantoffel des Papstes zum Küssen ausgestellt, und die Wienerinnen kamen in Masse und schleckten den seidenen Pantoffel ab; und in den hoch-aristokratischen Häusern zirkulierte ein anderer Pantoffel, der gläubig verehrt wurde: Immer sind es die Gläubigen, die den Dalai-Lama machen, und ihn zum exorbitantesten Lamaismus drängen. Er an sich kann nichts.!


Abb.: Der päpstliche Pantoffel. -- Karikatur von Giris [= Juan Gris (1887 - 1927)]. -- In: L'Assiette au Beurre. -- 1903


Abb.: Papst Leo III. krönt Karl den Großen zum römischen Kaiser — Weihnachten 800. -- Liebigs Sammelbilder. -- 1893

632) Noch immer sieht es Dalai-Lama gern, wenn Fürsten sich von ihm krönen46 lassen. Weil bei dieser Gelegenheit der Kaiser tiefer steht oder vor ihm auf den Knieen liegt; und symbolische Vorgänge und Situationen der Art liebt Dalai-Lama. Doch war der kleine Napoleon, der seiner Statur wegen nicht hätte zu knien brauchen, selbstherrlich genug, sich in Gegenwart des Papstes, den er nach Paris kommen ließ, die Krone46 selbst aufzusetzen.


Abb.: Napoleon krönt46 sich selbst zum König von Italien (1805). -- Liebigs Sammelbilder. -- 1913

633) "Denn der Papst last keinen Kaiser sein, er fall ihm dann vor die Füß, und empfange die Kaiserliche Krone46 von seinen Füssen ab, verschwöre ihm auch das Italienisch Reich, und die Stadt Rom" schreibt noch Hutten a 11. Aber Kaiser Karl V., den er erlebte, war der letzte teutsche Kaiser, der sich vom Papst krönen46 ließ 1530. Und das Ansehen des teutschen Kaisers ist heute Gottseidank nicht mehr von einem italienischen Kardinal abhängig. Trotzdem läuft der Papst heute noch den fürstlichen Machthabern nach, sie sollen ihm die "statt Rom verschwören". So lief er dem Kaiser Wilhelm 1870 ins Kriegslager, damit er ihm "die statt [Stadt] Rom47 verschwöre". Als dieser dies weigerte, wurden in ganz Teutschland die Lamaisten und Tibetaner aufgeboten, deren es 15 Millionen in Teutschland gibt, dass sie ihm zur Stadt Rom verhülfen. Und wenn es ihnen nachgegangen wäre, wäre Teutschland in blutige Kriege gestürzt und zerstückelt worden; denn höher als Teutschland steht ihnen ihre Tibetanische Gottheit in Rom.

a Hutten, Ulrich von <1488-1523>11: Gesprächsbüchlein her Ulrichs von Hutten. -- In: Hutten, Ulrich von <1488-1523>: Opera quae reperiri potuerunt omnia / edidit Eduardus Böcking.  -- Lipsiae : Teubner, 1859-70.  -- 7 Bde.  -- Bd. IV. -- S. 176


Abb.: "Einer seiner heiligsten, geschwelltesten Repräsentanten, Pius IX.4" [Bildquelle: http://www.past-to-present.com/pixlg/L00119.jpg. -- Zugriff am 2005-01-18]

634) Hat der lamaische Gott in Rom aber seit dem Mittelalter bedeutend an politischem Einfluss eingebüßt, so hat er doch nicht eines seiner Prärogative aufgegeben. Einer seiner heiligsten, geschwelltesten Repräsentanten, Pius IX.4, hat in seinem Gesetzbuch, dem Syllabus48, urbi et orbi49 u. a. folgendes verkündet: "Die bürgerlichen Gesetze sollen und dürfen von der göttlichen Offenbarung und der Autorität der Kirche nicht abweichen." a Da nun Dalai-Lama die göttlichen Offenbarungen selbst bestimmt, so bestimmt er auch die Abweichungen der bürgerlichen Gesetze von ihnen, und somit die bürgerlichen Gesetze selbst.

a Die Encyclica Seiner Heiligkeit des Papstes Pius IX. und der Syllabus48. -- Köln, 1865. -- Nr. 57, S. 95


Abb.: Massenmorde sind eine Freude für Papst Gregor XIII.: Die Pariser Bluthochzeit (23.24. August 1572)

635)  Ein anderer Satz dieses Dalai-Lama's lautet: "Die geistliche Gerichtsbarkeit für weltliche Zivil- wie Kriminal-Angelegenheiten der Geistlichen ist durchaus nicht abzuschaffen, auch nicht ohne Befragen und gegen den Einspruch des apostolischen Stuhls."— Da aber Urban II.29 in einer kirchlichen Verordnung erklärt hat "Denjenigen, die Exkommunizierte töten, lege nach der Sitte der römischen Kirche und seiner eigenen Intention eine passende Buße auf, damit sie sich vor den Augen der göttlichen Einfalt wohlgefällig machen; denn wir halten dieselben nicht für Mörder (homicidae)" b ; und da der Jesuiten-Orden, den Leo XIII.51 in seinem jüngsten Breve "den Hort für gründliche und gesunde Lehre" nennt, c den Mord an vom Papst Gebannten unter allen Umständen für rechtlich hält; d auch der Jesuit Mariana52 dem Dominikaner-Mönch Jakob Clement53, der nach vorheriger Instruktion bei den Theologen seinen König, Heinrich III. von Frankreich, 1589 ermordete, das höchste Lob spendet, e auch Sixtus V.54 diesen Mord in einer Ansprache an die Kardinale einen "Success" und die Folge einer unmittelbaren Eingebung Gottes nannte; f und schließlich Gregor XIII.55 beim Eintreffen der Nachricht von der Pariser Bluthochzeit56, die schon sein Vorgänger Pius V.38 lebhaft betrieben hatte, und wobei an 100,000 Hugenotten ermordet wurden, dem Kardinal, der die Nachricht überbrachte, 200 Goldgulden schenkte, eine Prozession und Feuerwerk veranstaltete, und von der Engelsburg Freuden-Salute schießen ließ, g — so stünden wir mit Pius IX.4 geistlicher Gerichtsbarkeit für Kriminalangelegenheiten der Geistlichen mit Leib und Leben gänzlich in der Willkür des apostolischen Stuhls, oder seiner Emissäre; es sei denn wir würden Dalai-Lamiten. Wir wollen aber Teutsche sein.

a Die Encyclica Seiner Heiligkeit des Papstes Pius IX. und der Syllabus48. -- Köln, 1865. -- Nr. 31, S. 95

b Gratian Decret. c. 47. C. XXIII. q. 5. Siehe Schulte, Johann Friedrich von <1827 - 1914>16: Die Macht der römischen Päpste über Fürsten, Länder, Völker, Individuen : nach ihren Lehren und Handlungen zur Würdigung ihrer Unfehlbarkeit beleuchtet.  -- 2. Aufl. -- Prag : Tempsky, 1871. --  89 S. -- S. 63 - 64

c Hoensbroech, Paul Kajus Graf von <S. J.> <1852 - 1923>57: Warum sollen die Jesuiten nicht nach Deutschland zurück?  : Eine Frage und eine Antwort. -- 2., vermehrte Auflage. --    Freiburg im Breisgau : Herder, 1891.  -- 152 S. ; 8º. -- S. 13

d "Darf man einen Geächteten töten?" — "Ja, wenn der Staat es einem Jeden erlaubt; es darf jedoch nicht außerhalb der Grenzen des Staates geschehen, der ihn geächtet hat." — "Und wenn er vom Papst geächtet ist?" — "Dann darf man ihn überall töten, weil des Papstes Gerichtsbarkeit die ganze Welt umfasst." — Escobar y Mendoza, Antonio de <S. J.> <1589 - 1669>58: Liber theologiae moralis viginti et quatuor Societatis Jesu doctoribus reseratus, quem P. Anthonius de Escobar et Mendoza,... in examen confessariorum digessit.  -- Lugduni, 1663. -- Tract I. Ex z. c. 3 n. 32. [Die Ausgabe 1663 konnte ich bibliographisch nicht nachweisen]

e "Jacob Clemens cognito a theologis, quos erat sciscitatus, tyrannum iure interimi posse, caeso rege ingens sibi nomen fecit." — "Jakob Clemsn, der auf Grund seiner Erkundigung bei Theologen wusste, dass man mit Recht einen Tyrannen töten dürfe, hat sich durch die Ermordung des Königs einen berühmten Namen gemacht." — Mariana, Juan de <1536 - 1624>52:  J. Marianæ ... de rege et regis institutione libri III., etc. -- Toleti : apud P. Rodericum, 1599.  -- Lib I.S. 53

f Ranke, Leopold von <1795 - 1886>59: Die römischen Päpste in den letzten vier Jahrhunderten.  -- 6. Aufl. Leipzig : Duncker & Humblot, 1874. -- 3 Bde. --  (Sämtliche Werke ; Bd. 37 - 39). -- Bd. II. -- S. 113.

g Weber, Carl Julius <1767 - 1832>60: Das Papstthum und die Päpste. --  Stuttgart : Hallberger. -- 3 Bde. -- Bd. 3. -- 1834. -- (Carl Julius Weber's sämmtliche Werke ; 3). -- S. 107

637) Weiter erklärt Dalai-Lama: "Könige und Fürsten sind weder von der Jurisdiktion der Kirche ausgenommen, noch stehen sie bei Entscheidung von Jurisdiktions-Fragen höher, als die Kirche."— Aber wie es bei diesen Jurisdiktions-Fragen unsern Fürsten ging, haben wir an Ludwig dem Bayer32, Friedrich II.31 und anderen zur Genüge gesehen. Sie wurden gebannt, ihr Volk revoltiert, und ihr Land der Verwüstung und Zerstörung preisgegeben.

a Die Encyclica Seiner Heiligkeit des Papstes Pius IX. und der Syllabus48. -- Köln, 1865. -- Nr. 54, S. 94


Abb.: Buchumschlag. -- 2004

637) In der am 18. Juli 1870 von Pius IX.4 verlesenen Bulle erklärt Dalai-Lama, "Dass, wenn der Papst, von seinem Lehrstuhl aus (ex cathedra) sprechend, eine den Glauben oder die Sitten betreffende Lehre entscheidet, er jene Unfehlbarkeit besitzt . . . ". Nun, wie sie eben einem Dalai-Lama zukommt. — Was sind das aber genau umschrieben, "Sitten"? — Das zur Zeit häufigst in den Seminarien gebrauchte katholische Moral-Kompendium von Gury61 zählt zu Gegenständen der "Sitte":

 — ja, lieber Dalai-Lama, das umfasste ja die ganze Welt! — So will's der Dalai-Lama.

a Gury, Jean-Pierre <S. J.> <1801 - 1866>61:  Compendium theologiae moralis / auctore Joanne Petro Gury. -- Lugduni, Parisiis : apud Perisse fratres, 1850. -- 2 vol. -- Prooemium. S. XI. - XIII. —

Ségur, der französische Bischof sagt: "Alle menschlichen Fragen, seien sie welche nur immer, gehören, sobald das Gewissen (la conscience) in Frage kommt, nach göttlichem Recht vor den Richterstuhl des Papstes." —  Ségur, Louis Gaston Adrien Comte de <1820 - 1881>: L'Eglise. -- Paris, 1868. -- S. 18f. [Die Ausgabe von 1868 konnte ich bibliographisch nicht nachweisen]

638) Als Beispiel wie Dalai-Lama die bürgerlichen Gesetze, "die von der Autorität der Kirche abweichen" zurückweist und ungültig macht; mag eine Allokution Pius' IX.4 vom Jahr 1868 dienen, wo es heißt: ,.,Am 21. Dezember vorigen Jahres ist von der österreichischen Regierung ein abscheuliches Gesetz (infanda lex) als Staatsgrundgesetz erlassen worden, welches in allen Reichsteilen die volle Meinungsfreiheit, Pressfreiheit, Glaubens- und Gewissens-Freiheit, Freiheit der Wissenschaft, Unterrichts- und Erziehungs-Freiheit, sowie Gleichstellung der vom Staate anerkannten Religionsgesellschaften gewährleistet. — Dieselbe Regierung hat am 25. Mai ein Gesetz erlassen, welches bestimmt, dass in gemischten Ehen die Knaben die Religion des Vaters, die Mädchen die der Mutter erhalten sollen, sowie dass die Katholiken dulden müssen, dass au[ ihren Friedhöfen die Leichname der Ketzer (Protestanten) beerdigt werden, wenn diese Ketzer keine eigenen haben. — Ihr seht, ehrwürdige Brüder, wie heftig zu tadeln und zu verdammen derartige abscheuliche Gesetze (abominabiles) der österreichischen Regierung sind, welche der Lehre der katholischen Kirche, deren Autorität, Unseres apostolischen Stuhles Gewalt und dem Naturrecht zuwiderlaufen, Deshalb erheben Wir die apostolische Stimme und kraft Unserer apostolischen Autorität verwerfen und verdammen wir diese Gesetze der österreichischen Regierung und Alles, was in dieser Hinsicht von der Regierung oder ihren Behörden verfügt, getan oder versucht worden ist; erklären, dass diese Dekrete mit allen Folgen gänzlich nichtig, ohne jegliche Kraft gewesen sind und sein werden. Ihre Urheber aber beschwören wir, sich der Kirchen- und geistlichen Strafen zu erinnern, welche die päpstlichen Gesetze gegen die Schädiger der kirchlichen Rechte als von selbst eintretend verhängen." a

a Schulte, Johann Friedrich von <1827 - 1914>16: Die Macht der römischen Päpste über Fürsten, Länder, Völker, Individuen : nach ihren Lehren und Handlungen zur Würdigung ihrer Unfehlbarkeit beleuchtet.  -- 2. Aufl. -- Prag : Tempsky, 1871. --  89 S. -- S. 52 - 54


639) Aber auch der neueste Dalai-Lama, Leo XIII.51, bleibt an Autorität und göttlicher Vollmacht nicht hinter seinem Vorgänger zurück. Er und Pius IX.4 nannten die protestantischen Schulen "moralische Vergiftungs-Anstalten", die protestantischen Missionare "Männer des Trugs", "Vorkämpfer des Satans", bezeichneten die protestantischen Kirchen als "Bordelle" und haben die englischen und teutschen Bibelgesellschaften als "verfluchte" Gesellschaften proskribiert. a

a Kirchliche Korrespondenz für die deutsche Tagespresse / Evangelischer Bund zur Wahrung Deutsch-Protestantischer Interessen. -- Leipzig : Bund. -- 1 (1887). -- Nr. IV, S. 72

640) Im Jahr 1864 erklärte Pius IX.4 im Syllabus48, dass an "der Lehre von der weltlichen Herrschaft des römischen Papstes alle Katholiken aufs Unerschütterlichste festhalten müssen (firmissime retinere debent)". a  Und Leo XIII.51 hat es bei allen Gelegenheiten wiederholt. — Dies wird freilich den Lamaiten gegenwärtig etwas schwer. Aber der Glaube bewegt sich ja vorwiegend in nicht wirklichen Dingen. Und da kann er ja von der derzeitigen Wirklichkeit in Rom abstrahieren.

a Die Encyclica Seiner Heiligkeit des Papstes Pius IX. und der Syllabus48. -- Köln, 1865. -- S. 100, Nr. 76 und Anmerkung.


Abb.: "ist nicht nur Papst, sondern König über alle Völker der Erde": Pax vobiscum ["Friede sei mit euch"] / von Fidus (1868 - 1948). -- 1910 [Dargestellt ist Papst Leo XIII.51]

[Bildquelle: Frecot, Janos <1937 - > ; Geist, Johann Friedrich <1936 - > ; Kerbs, Diethart <1937 - >: Fidus : 1868 - 1948 ; zur ästhetischen Praxis bürgerlicher Fluchtbewegungen. -- Erw. Neuaufl. -- München : Rogner und Bernhard bei Zweitausendeins, 1997. -- XXVIII, 493 S., S XXXIII - LV : zahlr. Ill. ; 25 cm. -- ISBN: 3-8077-0359-4.  -- S. 454]

641) Und der Osservatore Romano62 definiert in Nr. 165 seines Jahrgangs 1891 den Papst folgendermaßen: "Il Vicario di Gesù Christo è non solo Pontefice ma re di tutti i popoli delle terra": "Der Stellvertreter Christi ist nicht nur Papst, sondern König über alle Völker der Erde."

642) Haben sich sonach Ansprüche und Prärogative des Dalai-Lama bis zum heutigen Tage keineswegs verringert, so hat sich seine Heiligkeit und göttliche Verehrung im Umkreis seiner Anhänger in den letzten Jahren entschieden noch gesteigert: Die Podolatrie, oder Verehrung durch den Fußkuss, eine ursprünglich orientalische Ehren-Bezeugung, die die römischen Kaiser übernahmen, und die vielleicht aus Tibet stammt, wurde durch das päpstliche Hof-Zeremoniell zu einer Verehrung jedes einzelnen Körperteiles der Gottheit erweitert: Das Knie verehren die Bischöfe; sie allein haben das Recht, das Knie des Papstes zu küssen a, dies ist die Gonolatrie, die Knie-Verehrung. Die Hand gehört den Kardinälen, sie allein dürfen die Hand küssen b : Chirolatrie, die Hand-Verehrung. Der Fuß gehört der übrigen Menschheit. Und Viele müssen sich mit dem ledigen Pantoffel begnügen.

a Döllinger, Ignaz von <1799 - 1890>22: Römische Briefe vom Concil / von Quirinus. - München : Oldenbourg, 1870. - XVIII, 710 S. -- S. 511

b a. a. O.


Abb.: Der Papstkult geht mit der Zeit: der Papst vor Jugendlichen im Eisstadion von Bern, Juni 2004 [Bildquelle: http://www.wjt2005.de/index.php?id=345&si=0. -- Zugriff am 2005-018]

643) Sobald ein neuer Dalai-Lama gewählt ist, wird er auf den Hochaltar gesetzt, die 70 Kardinale knien um ihn herum, "adorieren" ihn, und rufen ihm laut zu: "Scias te esse rectorem orbis": "Wisse, dass Du der Herr des Erdkreises bist!" a

a Döllinger, Ignaz von <1799 - 1890>22: Römische Briefe vom Concil / von Quirinus. - München : Oldenbourg, 1870. - XVIII, 710 S. -- 85

644) Niest der Papst, so stürzt der nächste Kardinal sogleich zu Boden, und bringt in dieser Positur seine Verehrung dar. a

a Döllinger, Ignaz von <1799 - 1890>22: Römische Briefe vom Concil / von Quirinus. - München : Oldenbourg, 1870. - XVIII, 710 S. -- S.  511

645) Bei der Messe zelebriert der Papst nur einen Teil; er geht dann vom Altar fort, um sich zu seinem Thron zu begeben; die Kardinale stürzen zu Boden, die Nobelgarde präsentiert, und der Papst besteigt den Thron; ein Kardinal bringt ihm dann den Herr-Gott an den Thron hin, a — sozusagen ans Bett. —

a Reinkens, Joseph Hubert <1821-1896>63. -- In: Stenographischer Bericht / der 5. Internationale Altkatholiken-Kongress : offizielle Ausg. = Rapport officiel sténographié / Congrès International des Anciens-Catholiques = Stenographisch verslag / Internationaal Congres der Ald-Katholieken. -- S. 205


Abb.: Nicht nur in Deutschland, auch in Canada ...: Statue des (noch lebenden) Papstes Johannes Paul II. in Roncesvalles, Toronto [Bildquelle: http://www.boldts.net/TorY.shtml. -- Zugriff am 2005-01-18]

646) Auch in Teutschland wird Dalai-Lama von den Lamaisten angebetet. In Rhede, in Westfalen, wird die Statue des Papstes von Blumen und Kerzen umkränzt vor den Hochaltar gestellt, während die Gläubigen ringsum auf den Knieen liegen. a

a Deutscher Merkur : Organ für die katholische Reformbewegung. -- München. -- 1876. -- S. 232

647) "Weißt Du auch ein ganz absonderlich Ding zu Rom? — Dass den Papst seine Schmeichler für einen Gott ausgeben!" a

a Hutten, Ulrich von <1488-1523>11: Vadiscus: dialogus Hutteni. -- In: Hutten, Ulrich von <1488-1523>: Opera quae reperiri potuerunt omnia / edidit Eduardus Böcking.  -- Lipsiae : Teubner, 1859-70.  -- 7 Bde.  -- Bd. IV. -- S. 251.

648) Da Dalai-Lama Gott ist, so wird er auch "Gott in Rom" genannt; a "Inkarnation Gottes"; b "die höchste Personifikation Gottes auf Erden"; c "das lebendige Sakrament"; d "die heilige Kommunion"; e "Fortsetzer des Geheimnisses der Fleischwerdung Gottes"; f und Pius IX.4, der als früherer Kürassier-Offizier doch auch noch Menschliches in sich fühlte, sagte: er verehre in sich selbst "die Stellvertreterin der Gottheit". g

a Von der "Genfer Korrespondenz". Siehe Deutscher Merkur : Organ für die katholische Reformbewegung. -- München. -- 1870. -- S. 222

b Vom Bischof Mermillod; siehe: Döllinger, Ignaz von <1799 - 1890>22: Das Papstthum / von I. von Döllinger. -- Neubearbeitung von Janus "Der Papst und das Concil" / von I*. -- München : Beck, 1892. -- XIX, 579 S. -- S. 294

c Vom Erzbischof von Chambéry; siehe Deutscher Merkur : Organ für die katholische Reformbewegung. -- München. -- 1876. -- S. 353

d Nach Bischof Ségur; siehe:  Ségur, Louis Gaston Adrien Comte de <1820 - 1881>: Le Souverain-pontife / par Mgr de Ségur. -- Paris : Tolra et Haton, 1863. -- 298 p. -- S. 198. -- Die übrigen Sakramente der lamaitischen Kirche sind: Taufe, Firmung, Eucharistie, Buße, letzte Ölung, Priesterweihe, Ehe.

e Schlottmann, Konstantin <1819 - 1887>64: Der deutsche Gewissenskampf gegen den Vatikanismus / von Konstantin Schlottmann. Aus dessen Erasmus Redivivus Kap. 2 ins Deutsche übers. von A. J. J. Jacobi. -- Halle a. S. : Buchhandlung des Waisenhauses, 1882. -- LIV, 144 S. -- S. 51

f Vom Bischof Tulle in Spanien; siehe: Zimmermann, Carl: Die jesuitische Dreieinigkeit. -- Leipzig : Braun, 1893. -- S. 33

g Deutscher Merkur : Organ für die katholische Reformbewegung. -- München. -- 1882. -- S. 184


Abb.: "reale Allgegenwart auf allen Punkten der christlichen Erde": 1984 Papst Johannes Paul II. auf Reisen, 19 verschiedene Schmuckumschläge mit Marken verschiedener Länder. [Bildquelle: http://www.adlerundkrone.de/shop/index.php?cPath=33_42_65. -- Zugriff am 2005-01-18] 

649) Eine weitere göttliche Eigenschaft hat de Maistre25 beim Papst entdeckt: die der realen Allgegenwart auf allen Punkten der christlichen Erde. a

a "On y sent je ne sais quelle présence réelle du Souverain Pontife sur tous les points du monde chretien" Maistre, Joseph de <1753-1821>25: Du Pape. -- Lyon : Vitte et Perrussel, 1884. -- (Oeuvres complètes de J. de Maistre, nouvelle édition contenant ses oeuvres posthumes et toute sa correspondance inédite ; vol. II). -- S. 52

650) Natürlich ist der Anblick Dalai-Lama's für den, dem er zuteil wird, eine überirdische Erscheinung: "Der Papst — heißt es in einem von Pius IX.4 benedizierten Schriftchen — ist für uns die sichtbare Figur Jesu Christi. Seine Macht erstreckt sich über unsere Seelen, wie die des göttlichen Erlösers selbst. Ausgenommen die wirkliche Gegenwart Jesu Christi im Sakrament des Altars, ist nichts so geeignet, die göttliche Person des Erlösers unseren Sinnen nahezubringen, als der Anblick des Papstes. Es ist, als ob immer der Himmel geöffnet sei über seinem Haupte, als ob das göttliche Licht auf ihn herabstrahle. Wir dürfen uns daher nicht die unehrerbietige Unredlichkeit erlauben, an ihm Menschliches und Göttliches auseinanderhalten zu wollen." a

a Giraud, S. M.: Von dem Gelübde der Hingebung an den Papst / von Pater Giraud; aus dem Französischen übersetzt; vom Bischof Dinkel in Augsburg mit dem oberhirtlichen Imprimatur versehen und zur Massenverbreitung empfohlen. -- [Diese Ausgabe konnte ich bibliographisch nicht nachweisen]

651) "Denn sie heißen ihn einen irdischen Gott, der nicht schlecht Mensch, sondern aus Gott und Mensch zusarnmengemenget sei, wollten wohl gern sagen, dass er gleich, wie Christus selbst, wahrhaftiger Gott und Mensch wäre." a

a Luther, Martin <1483 - 1546>: Von der Winkelmesse und Pfaffen-Weihe. -- 1533. -- In: Luther, Martin <1483 - 1546>: Dr. Martin Luther’s sämmtliche Werke. Erlangen, 1826-57. -- 67 Bde. -- Bd. 31. -- S. 353

652) Und selbst ein so erfahrener Mann wie Bischof Haffner26 von Mainz, referiert über einen Beruf in Rom gelegentlich einer Seligsprechung: "Wir haben heute Alle, wie ich glaube, das Angesicht des heiligen Vaters gesehen, und unaussprechliche Freude hat unser Herz durchdrungen, als wir dieses wunderbare Antlitz schauten, das sich wie eine Art übernatürliche Erscheinung darstellt."  a

a Germania : Zeitung für das deutsche Volk. -- Berlin : Germania . -- 1888. -- Nr. 54. II.

653) Natürlich tut Dalai-Lama auch Wunder, und seine Kleider stehen im Werte des Rocks von Trier: Ein teutscher Schullehrer in Donauwörth erhielt von einer hochgestellten Persönlichkeit aus der Umgebung Pius' IX.4 "ein Stück von seinem Leibrock; eine Reliquie, die schon jetzt höchst verehrungswürdig, nach der in Aussicht stehenden Heiligsprechung höchst kostbar werde." a — Eine französische Dame wurde zu Lebzeiten Pius' von einem Beinleiden dadurch geheilt, dass sie einen alten Strumpf seiner Heiligkeit trug. b — Ein Knabe aus Bovolone, der an Epilepsie litt, wurde durch den Gebrauch eines Stückchens roter Seide von den Kleidern Pius' IX.4 geheilt.— Eine Krume Weißbrot vom Tische Pius IX.4 heilte noch nach Jahren, nachdem sie im Besitz einer gräflichen Familie Schlesiens gewesen, Krämpfe. d — Und angewendet werden außerdem: "Scharpie65, die bei dem Verbinden einer Fußwunde Pius' IX.4 diente"; "Fäden aus seinem Kopfkissen, auf dem er während seiner letzten Krankheit gelegen"; "ein Läppchen von dem Unterfutter seiner Soutane in Wasser gelegt und tropfenweise täglich mit lebendigem Vertrauen getrunken". e

a Augsburger Postzeitung. -- Augsburg : Haas & Grabherr . -- 1878

b Deutscher Merkur : Organ für die katholische Reformbewegung. -- München. -- 1877. -- S. 352

c Nach dem in der Unità cattolica vom Bischof von Verona veröffentlichten Bericht abgedruckt im: Brixener Kirchenblatt. -- Brixen . -- 1878, Nr. 17

d  Deutscher Merkur : Organ für die katholische Reformbewegung. -- München. - München. -- 1878. -- S. 255

e  Deutscher Merkur : Organ für die katholische Reformbewegung. -- München. -- 1873. -- S. 321

654) Und dementsprechend ist es nur natürlich, wenn der bekannte französische Papstkämpfer Veuillot2 noch zu Lebzeiten Pius', den er mit "Gekreuzigter!" anspricht, ausruft: "Je te crois, je t'adore": "Ich glaube an Dich, ich bete Dich an!" a Und wenn die Voce della verità gleich nach dem Tode Pius' IX.4 schreibt: "Heiligster Papst, wir werden nicht für Dich beten, sondern zu Dir beten!" b

a Schoell, Ernst: Der jesuitische Gehorsam : aus den Quellen dargelegt, beurteilt, nach seinen Konsequenzen geschildert und mit Bezug auf die gegenwärtigen Verhältnisse in der römisch-katholischen Kirche besprochen. -- Halle a. S. : Strien, 1891. -- IV, 124 S. -- S. 68.

b Deutscher Merkur : Organ für die katholische Reformbewegung. -- München. -- 1878. -- S. 68

655) Lieber Leser, diese Dinge sind alle recht lustig, und geben uns das Recht, über Dalai-Lama recht herzlich zu lachen. Aber sie haben ihre verflucht ernste Seite, solange dieser Dalai-Lama in Teutschland über 15 Millionen Menschen kommandiert, und, was schlimmer, über 15 Millionen teutscher Gewissen. Dieser Dalai-Lama in Rom hat seit einem Jahrtausend die größte Zwietracht über unser Land gebracht, Blutvergießung und Zerstörung rücksichtslos geübt, unsere Fürsten mit Fußtritten behandelt, Städte und Länder mit einem Wink seines Interdikts36 in Einöden und Feuerstätten verkehrt. Ohne Dalai-Lama kein Dreißigjähriger Krieg, kein Schmalkalder Bund66, keine Schweden im Land, keine englischen und spanischen Kaiser auf teutschem Thron. Und mit diesen Dingen hatte die Lehre Christi keine Faser zu tun: Wenn das Christentum für Teutschland auf einem Italiener beruht, dann ist das tief traurig. Und dann wird die geistige wie politische Konstellation Teutschlands auf absehbare Zeit von einem Italiener abhängig sein. a Heute handelt es sich nicht darum, katholisch oder protestantisch zu sein. Es handelt sich darum, teutsch zu sein. Und nicht gegen den Papst oder Dalai-Lama handelt es sich Front zu machen, sondern gegen den Ausländer, der es jeden Tag in der Hand hat, Teutschland in zwei feindliche Parteien zu spalten. Dieser Kampf muss heute noch in Teutschland ausgekämpft werden; dauere er 30 oder 100 Jahre; damit es in Teutschland nur mehr Teutsche gibt; und nicht eine Partei, die jeden Moment vom Ausland her gezwungen werden kann, gegen die Interessen des eigenen Vaterlandes sich zu kehren. Ich glaube Tausende in dieser Partei selbst warten nur auf eine günstige Gelegenheit, sich der Sache Teutschlands anzuschließen. Dieser Kampf muss in echt teutscher Weise geführt werden. Und in demselben wird das Wort Luther's gelten, des größten teutschen Geisteskämpfers, — nicht weil er der erste Protestant war, sondern, weil er der erste Teutsche war, der den italienischen Religions-Pächtern die geistige Herrschaft über Teutschland entzogen hat — die Parole Luther's: "Aber so böse sollen sie es nicht machen; ich  will's noch ärger mit ihnen machen. Und so harte Köpfe sollen sie nicht haben, ich will noch härtern Kopf haben. Sie sollen mich nicht verzagt noch erschrocken machen; sondern ich will sie verzagt und erschrocken machen. Sie sollen mir hinfurt weichen; ich will ihnen nicht weichen. Ich will bleiben, sie sollen untergehen. Mein Leben soll ihr Henker sein; mein Tod soll ihr Teufel sein; des und kein anders." b

a Verlangt doch die katholische Kirche, dass in einem Kriegsfall die Untertanen beim Papst anfragen, ob sie kämpfen sollen: "Glaubt ein Staat, seinen Nachbarn mit Krieg überziehen zu sollen, so ist es unabweisbare Forderung des Gewissens, dass er zuvor den Zweifel über die Rechtmäßigkeit des Kriegs der Kirche gegenüber beseitigt; und sollen die Untertanen sich an dem Krieg beteiligen, so müssen sie über die Erlaubnis ihrer Handlungsweise sich an jene Autorität wenden, welche Christus für die Völker eingesetzt hat." — Hammerstein, Ludwig Freiherr von <S. J.> <1832 - 1905>67: De ecclesia et statu. -- Trier. -- 1886. -- S. 134 - 135. — Und an anderer Stelle: "Der Staat muss, wenn anders er nicht Rebell sein will gegen jene Autorität, der er seine ganze Gewalt verdankt, katholisch sein, oder wenn er es nicht ist, werden." — Hammerstein, Ludwig Freiherr von <S. J.> <1832 - 1905>67: Kirche und Staat vom Standpunkte des Rechtes aus. -- Freiburg i. Br. : Herder, 1883. -- 212 S. -- S. 81

b Luther, Martin <1483 - 1546>: Warnung an seine lieben Teutschen. -- 1531. -- In: Luther, Martin <1483 - 1546>: Dr. Martin Luther’s sämmtliche Werke. Erlangen, 1826-57. -- 67 Bde. -- Bd. 25. -- S. 8


Abb.: Pope Fiction (Buchumschlag)


Erläuterungen:

1 Dalai Lama

"Dalai Lama (»Priester-Ozean«), ursprünglich mongolische, dann in allgemeinen Gebrauch gekommene Bezeichnung des obersten Priesters aller Buddhisten, sofern diese dem Lamaismus (s.d.) anhängen. Nach einer in Tibet im 15. Jahrh. n. Chr. aufgekommenen Anschauung wird in ihm der Bodhisattva Avalokiteçvara immer von neuem wiedergeboren (vgl. Buddhismus). Seit dem 17. Jahrh. ist der Dalai Lama zugleich der weltliche Herrscher von Tibet (s.d.), dessen Hauptstadt Lhassa auch der Sitz des Dalai Lama ist. Doch sicherten sich die Chinesen von der Mitte des 18. Jahrh. an größere Gewalt in Tibet und über den Dalai Lama Nach dem Glauben der Lamaisten findet die Wiedergeburt des Dalai Lama als Kind statt; deshalb erfolgt nach dem Ableben des Dalai Lama unter den tibetischen Kindern ein Suchen nach der neuen Verkörperung. Die chinesische Regierung hat Sorge getragen, dass nur ein Kind aus einer ihr ergebenen Familie als neuer Dalai Lama anerkannt werde; die gröbsten Betrügereien kommen dabei vor. Als Regent ist der Dalai Lama lediglich Puppe, die Regierung wird tatsächlich von chinesischen Mandarinen geführt. Der tibetische Titel des Dalai Lama lautet Gyal-va- rin-po-tsche (»Kleinod der Majestät oder des Sieges«). Mit dem Papste darf er nicht verglichen werden; er ist von demselben unterschieden nicht bloß durch den Umstand, dass er als Verkörperung eines höchsten Wesens gedacht wird, sondern auch darin, dass gleichzeitig mehrere ihm ähnliche Verkörperungen existieren, von denen besonders der in Europa unter dem Namen Tescho Lama oder Bogdo Lama bekannte eine der seinen ziemlich analoge Gewalt ausübt, und dass er über die Priester nicht im entferntesten eine so allgemeine Gewalt besitzt wie der Papst."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

2 Veuillot

"Veuillot (spr. wöjó), Louis, ultramontaner franz. Publizist, geb. 1813 in Boynes (Loiret), gest. 7. April 1883 in Paris, redigierte seit 1831 das ministerielle »Echo de Rouen«, seit 1837 zu Paris die »Charte de 1830«, dann »La Paix«, ward später Bureauchef im Ministerium des Innern, nahm aber nach 18 Monaten seine Entlassung, um (1843) als Mitarbeiter beim »Univers religieux« einzutreten. Seit 1848 oberster Redakteur dieses Hauptorgans des Ultramontanismus, kämpfte er mit Energie und Rücksichtslosigkeit für die Ansprüche des Papsttums, veranlasste durch seine heftige Polemik gegen Napoleons III. italienische Politik 1860 die Unterdrückung des »Univers«, der erst 1867 wieder erscheinen durfte, und wusste während des vatikanischen Konzils durch Drohungen und Denunziationen jede gallikanische Regung im französischen Episkopat niederzuhalten. Sein politischer Einfluss erreichte unter der Regierung der sogen. moralischen Ordnung (1877) seine Höhe. Späterhin ließ sich Veuillot, seit Jahr und Tag durch Gicht an das Zimmer gefesselt, nur noch selten im »Univers« vernehmen und schlug dann einen salbungsreichen, apokalyptischen Ton an, der den geistreichen und pikanten, oft zynischen Schriftsteller, den in allen Sätteln gerechten und keine Waffen verschmähenden Polemiker von ehedem nicht wieder erkennen ließ."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

3 Mermillod

"Mermillod (spr. -mijó), Kaspar, Kardinal, geb. 22. Sept. 1824 in Carouge, Kanton Genf, gest. 23. Febr. 1892 in Rom, studierte im Jesuitenkollegium zu Freiburg i. d. Schweiz und empfing 1847 in Annecy die Priesterweihe. Zum Vikar des Genfer Pfarrers Dunoyer ernannt, machte er sich früh als vorzüglicher Kanzelredner geltend und gründete zur Förderung der katholischen Interessen ein politisches Blatt: »L'Observateur catholique«, sowie eine gelehrte Zeitschrift: »Annales catholiques«. Im Juni 1864 zum Stadtpfarrer und Generalvikar in Genf ernannt, ließ er sich im September d. J. bei einem Besuch in Rom zum Bischof von Hebron weihen, und Bischof Marilley von Lausanne-Genf delegierte ihm auf höhere Weisung die volle bischöfliche Gewalt über Genf. Der Genfer Staatsrat erklärte jedoch 6. Nov., dass er eine mit dem legalen Bestand der Diözesanverhältnisse im Widerspruch stehende besondere Mission Mermillods nicht anerkenne, untersagte Mermillod alle bischöflichen Funktionen und entsetzte ihn, als er sich weigerte, dem Verbot Folge zu leisten, seiner Pfarrstelle (20. Sept. 1872). Am 16. Jan. 1873 erfolgte als Antwort der Kurie die förmliche Ernennung Mermillods zum apostolischen Vikar von Genf, worauf der schweizerische Bundesrat dessen Ausweisung verfügte, bis er auf die ihm rechtswidrig übertragenen Funktionen verzichte. Im März 1883 wurde er zum Nachfolger des verstorbenen Bischofs Cosandey von Lausanne ernannt, womit nach der ausdrücklichen Erklärung des päpstlichen Staatssekretärs Jacobini das apostolische Vikariat in Genf wegfiel. Infolgedessen hob der Bundesrat auf Ansuchen Mermillods sein Verbannungsdekret auf und gestattete ihm die Rückkehr in die Schweiz. 1890 wurde er als Kardinal nach Rom berufen. Die »OEuvres du cardinal Mermillod« erschienen gesammelt Paris und Lyon 1893-1894, 3 Bde. Seine Biographie schrieben Belloc (Freiburg in der Schweiz 1892) und Lesur und Bournand (Abbeville 1895)."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

4 Pius IX.

"War Pius IX. geisteskrank?

Die Tatsache, dass Pius IX. erst 1800 Jahre nach der Begründung einer sich Christen nennenden Sekte dem totalitären Verherrlichungsgedanken der Kirche die Krone aufsetzt, lässt die Frage offen, ob er damals zurechnungsfähig gewesen ist. Er kann nicht so naiv gewesen sein, die Grundzüge der eigenen Geschichte zu verkennen. Es ist zu fragen, ob Pius IX. während der konziliaren Turbulenzen zurechnungsfähig gewesen ist. Nicht ohne Grund schreibt Dupanloup in sein Tagebuch: »Oh, dieser unglückselige Papst, was hat er angerichtet?« Schauen wir uns diesen Kirchenmann etwas genauer an.

Giovanni Maria Mastai-Ferretti, der spätere Papst Pius IX., wird am 13.5. 1772 in den Wirren der Französischen Revolution in der kleinen Stadt Senigallia als letztes von neun Kindern geboren. Mit elf Jahren kommt er auf das Gymnasium von Volterra. Vier Jahre danach zeigen sich die ersten epileptischen Anfälle. Die Aufnahme in die Nobelgarde wird ihm wegen dieser Krankheit verwehrt. So entscheidet er sich 1816 zum Priesteramt und bittet 1819 um die Heiligen Weihen. Am 4.7.1819 bekommt er den kirchlichen Gunsterweis. Er wird an die Auflage geknüpft, die Messe immer mit einem anderen gemeinsam zu lesen. In der ersten Zeit arbeitet er in einem römischen Waisenhaus.

Von 1823-25 begleitet er einen Apostolischen Delegierten nach Chile. Um 1825 berichtet er über sein Leiden und schreibt an Papst Leo XII.: »Durch die Auswirkungen der Epilepsie habe er ein schwaches Gedächtnis und könne sich nicht längere Zeit konzentrieren, ohne eine große Konfusion befürchten zu müssen.« In der Literatur ist vereinzelt von seinen Kindern die Rede; dass er kein Frauenhasser war, ist vereinzelt festgeschrieben.

Rasch macht der Angeschlagene im Kirchenstaat Karriere. 1827 sehen wir ihn als Direktor des Ospizio San Michele. 1832 wird er Bischof von Imola, 1840 Kardinal und relativ jung, mit 54 Jahren, tritt er am 16.6. als Pius IX. Gregors XVI. an.

Der neue Papst gilt als leicht zu beeindrucken, als launenhaft, impulsiv und unberechenbar, denn die Krankheit hat ihn geprägt. Selbst diejenigen, die sich als unfehlbar wähnen, haben sich weltlichen Leiden zu stellen. Pius IX. verbindet mit seinem Sendungsbewusstsein autoritäre Züge und freut sich über Streicheleinheiten. Folglich kann sein Umfeld nur mittelmäßig wie er selbst sein. Rasch nimmt seine Herrschaft reaktionäre Züge an.

Die Ereignisse des Jahres 1848 werden sein Trauma; die Revolutionsangst sitzt ihm im Nacken und er scheint zu spüren, wie es ist, Angst zu haben. Die Millionen, die die Kirche geschunden hat, werden unter den Teppich des Herrn gefegt, denn hier steht etwas anderes auf der Tagesordnung: die neue Verteilung der Macht unter Minimalbeteiligung der Geistlichkeit. Pius IX. sieht die Kirche von allen Seiten bedroht. Der Liberalismus ist sein Todfeind. Bereits in der Enzyklika vom 15.8.1854 erklärt Pio Nono: »Die abgeschmackten und irrigen Lehren oder Faseleien zur Verteidigung der Gewissensfreiheit sind ein außerordentlich verderblicher Irrtum, eine Pest, die zu fürchten ist.«

1848 haben die Erleuchtungen einer neapolitanischen Nonne Einfluss auf ihn. Er sagt zum Staatssekretär Antonelli: »Ich habe die Mutter Gottes auf meiner Seite.« Am 5.1.1870 hat Giovanni Don Bosco eine Vision, derzufolge für den Papst die Zeit gekommen sei, um die päpstliche Unfehlbarkeit zum Dogma zu erheben. »Er dürfe der göttlichen Hilfe und des marianischen Schutzes sicher sein.«

Im Jahr seines Amtsantritts verdammt er mit der Enzyklika 100 Fakten, die in seinen Augen Zeitirrtümer sind. Das Dokument gipfelt in der Formulierung: »Der Papst müsse sich mit dem Fortschritt, dem Liberalismus und der neuen Kultur versöhnen.« Es ist eine Kampfansage an die moderne Zeit, der die Kirche bis heute nicht gewachsen ist. Spricht doch der Papst in der gleichen Enzyklika den Bann über die, die darauf bestehen, dass die Kirche keinerlei Gewalt auszuüben hat.

Es steht die Befürchtung an, dass die politischen Streitigkeiten zwischen Frankreich und Deutschland zu einem Krieg führen; er könnte die Existenz des Kirchenstaates und das päpstliche Wollen weiter einschränken. Unter Papst Pius IX. zeichnet sich der straff geführte Einheitskurs der Kirche ab. Er beseitigt noch mehr die bischöfliche Selbständigkeit und schiebt die absurde Idee der päpstlichen Unfehlbarkeit immer mehr in den Zenit seines Denkens.

Der Papst wird von klugen Köpfen kritisch beurteilt. Augustin Theiner, Oranienpater und Präfekt des päpstlichen Geheimarchivs, vertritt die Auffassung, dass Pius IX. weder etwas vom Kirchenrecht noch von der Geschichte verstanden habe. Er habe lediglich oberflächliche Kenntnisse und zeichne sich durch den Köhlerglauben alter Weiber aus. Aufgrund seiner angeschlagenen Gesundheit neigt Pius IX. zum Mystizismus. Er vermeint Kreuzerscheinungen am Himmel zu erkennen und sieht einen Leichnam sich bewegen. Der italienische Staatsmann Marco Minghetti sagt über die Zeit von 1848: »Während der Sitzung des Ministerrates öffnete der Papst das Fenster, da ein Komet am Himmel erschienen war, kniete nieder und befahl den anderen, dies ebenfalls zu tun und Gott anzubeten, damit er die Geißel abwende, für die der Komet das verhängvolle Vorzeichen war.«

Rasch unterstellt man dem wundersamen Mann wunderbare Wunderkräfte. Der Generalvikar von Nimes, Emanuel d'Alzon, verschickt päpstliche Wäschestücke zu Heilzwecken und Leon Dupont versendet päpstliche Haare. Hier formiert sich ein moderner Reliquienhandel, der deutlich macht, auf welch niedrigen Kulturstufe man im vatikanischen Raritätenkabinett stehen geblieben ist.

Als Pius IX. das Erste Vatikanische Konzil eröffnet, steht er im 78. Lebensjahr; seine intellektuellen Fähigkeiten haben nachgelassen. Viele Bischöfe sprechen von einem Greis, der zu seiner Kindheit zurückgekehrt ist. Der Historiker Gregorovius bezeichnet den Past ganz einfach als verrückt. Der katholische Kirchenhistoriker Franz Xaver Kraus notiert in seinem Tagebuch, dass der Papst boshaft und krank sei. Altersstarrsinn, Gefühlsverflachung und kindische Wutausbrüche signalisieren den Verlust an Realitätseinschätzung. Die Frage nach seiner Zurechnungsfähigkeit wird immer lauter.

Er beurteilt sich positiv und meint, dass sein Pontifikat das glänzendste zum Wohl der Kirche und der Gesellschaft tatenreichste ist151). Er erklärt am 18.7.1870: »...er sei der einzige Herr und das ausschließliche Organ der göttlichen Lehre.«

Bezüglich seiner Krankheit befindet sich der Heilige Vater im bester Gesellschaft, denn auch sein Freund Georg Talbot de Malahide, hält sich längere Zeit in Paris in einer psychiatrischen Klinik auf. Ignatius von Senestrey, der Regensburger Bischof, kann ebenfalls von religiösen Wahnvorstellungen nicht freigesprochen werden. Er legt sich mit der Seherin von Altötting für die Sünden der Welt ins Bett."

[Pius IX. wurde am 3. September 2000 von Papst Johannes Paul II. selig gesprochen!]

[Quelle: Wolf, Hans-Jürgen: Sünden der Kirche : das Geschäft mit dem Glauben ; Ketzerei, Kreuzzüge, Juden- und Frauenhaß, Heiligen- und Reliquienkult, Zölibat, Moral. -- Sonderausg. -- Hamburg : Nikol, 1998. -- 1266 S. : zahlr. Ill. ; 24 cm. -- Lizenz der EFB-Verl.-Ges., Erlensee. -- ISBN 3-930656-89-2. -- S. 1021ff.]

5 Benedikt IX.

"Benedikt IX., Papst 1032/33 bis 1.5.1045, vorher Theophylakt Graf von Tusculum, Neffe Benedikts VIII. und Johanns XIX., in jungen Jahren (aber nicht zehnjährig) simonistisch erhoben, von anstößigem Lebenswandel, wenn auch die Vorwürfe seiner Gegner übertrieben sein mögen. Konrad II. erkannte ihn an und ließ sich in seiner Italienpolitik von ihm unterstützen. Im Sept. 1044 vertrieben ihn die Römer und wählten Jan. 1045 Silvester III. zum Papst. Zwar war Benedikt die Rückkehr möglich, aber am 1.5. verkaufte er seine Würde für eine hohe Summe an Gregor VI. Obgleich von Heinrich III. auf der römischen Synode Dez. 1046 abgesetzt, versuchte er nach dem Tode Clemens' II. sich als Papst zu behaupten und starb 1055/56, ohne seinen Anspruch aufgegeben zu haben."

[Quelle: Horst Fuhrmann (1926 - . -- In: Die Religion in Geschichte und Gegenwart (RGG3). -- Bd. 1. -- 1956. --  Sp. 1029]

6 Johannes XII.

"Johannes XII. (eigentlich Octavian) war Papst von 955 bis 964.

Er wurde auf Anweisung seines Vaters, des römischen Senators Alberich II. (Sohn der Marozia) im jugendlichen Alter von 16 (anderen Quellen zufolge 18) Jahren zum Papst gewählt. Johannes XII. erwies sich als eine der unwürdigsten Persönlichkeiten, die je das Amt des Papstes bekleideten. Der zeitgenössische Historiker Bischof Liutprand von Cremona berichtet u. a. von Mord, Ehebruch, Inzest, Simonie, Jagd- und Spielleidenschaft und Gotteslästerungen.

961 rief er gegen Berengar II. den deutschen König Otto I. zu Hilfe und krönte ihn 962 zum Kaiser. Otto I. garantierte ihm dafür den Erhalt des Kirchenstaates, Johannes billigte Ottos Kirchenpolitik (Reichskirchensystem u.a.) und gewährte ihm ein Mitspracherecht bei der Papstwahl.

Wenig später sagte sich Johannes jedoch vom Kaiser los und wurde daher im Dezember 963 durch eine von Otto I. einberufene Synode wegen Unwürdigkeit abgesetzt. Zum neuen Papst wurde Leo VIII. erhoben, der sich jedoch gegen Johannes nicht durchsetzen konnte. Nach Johannes' gewaltsamen Tod (14. Mai 964, angeblich von einem eifersüchtigen Ehemann einer Geliebten erschlagen, wählten seine Anhänger Benedikt V. zum Papst."

[Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Johannes_XII._%28Papst%29. -- Zugriff am 2005-01-18]

7 Innozenz III.

"Innozenz III., vorher Lothar, geb. 1161 in Anagni, gest. 16. Juli 1216, Sohn des Grafen Trasmund aus dem in Segni und Anagni begüterten Haus Conti, studierte in Paris und Bologna, wurde unter Clemens III. 1190 Kardinal und nach dem Tode Cölestins III. 8. Jan. 1198 zum Papst gewählt. Der Regierungsantritt des reichbegabten Priesterfürsten, der als Stellvertreter Gottes auf Erden das Recht der unmittelbaren Beherrschung der Welt für sich in Anspruch nahm, fiel in eine Zeit, die seine großen Entwürfe besonders begünstigte. Zunächst erhielt Innozenz durch den Tod des Kaisers Heinrich VI. Gelegenheit, bei der Verwirrung, die in Italien eintrat, den Kirchenstaat wiederherzustellen. Den kaiserlichen Präfekten der Stadt Rom vermochte er, ihm den Eid der Treue zu leisten; die kaiserlichen Statthalter verdrängte er und nahm die Mark Ancona, Teile von Tuscien und Spoleto in Beschlag. Zur Verteidigung dieser Erwerbungen gründete er einen Bund italienischer Städte. Die Kaiserin Konstanze, Witwe Heinrichs VI., musste, bevor sie für sich und ihren Sohn den nachherigen Kaiser Friedrich II., die Belehnung mit Sizilien erhielt, auf alle der päpstlichen Macht nachteiligen, vom Papst Hadrian IV. 1156 zugestandenen Vorteile verzichten; vor ihrem Tode übertrug sie dem Papst die Vormundschaft über ihren Sohn. In Deutschland unterstützte Innozenz im Thronstreite zwischen Philipp von Schwaben und Otto IV. den letztern; doch knüpfte er später mit dem siegreichen Philipp Verhandlungen an. Nach Philipps Ermordung (1208) ließ Innozenz Otto, bevor er ihn krönte, auf alle von der Kirche beanspruchten Güter Verzicht leisten und die Freiheit der Appellation an den päpstlichen Stuhl und der kirchlichen Wahlen versprechen. Da sich aber Otto bald von der Leitung durch den Papst zu emanzipieren strebte, schleuderte Innozenz 1210 denn Bannstrahl gegen ihn und stellte ihm sein Mündel Friedrich II. als Gegenkönig entgegen, der 1212 nach Deutschland kam, Otto IV. zurückdrängte und 1215 in Aachen gekrönt wurde. Den französischen König Philipp August, der seine Gemahlin Ingeborg, Tochter des Königs Waldemar von Dänemark, verstoßen und Agnes von Meran geheiratet hatte, nötigte Innozenz 1200, Ingeborg wieder als seine rechtmäßige Gemahlin anzuerkennen. Auch zwang er Alfons X. von Leon und Galizien, sich 1203 von seiner Gemahlin wegen zu naher Blutsverwandtschaft zu trennen. Peter von Aragonien ließ sich in Rom von Innozenz 1204 krönen und machte sein Reich dem Papst zinsbar. Auch der Bulgarenfürst Kalojohannes nahm seine Krone aus den Händen des Papstes; der portugiesische König Sancho I. verstand sich zu einem Tribut. Da König Johann von England den vom Papst zum Erzbischof von Canterbury ernannten Kardinal Stephan Langton nicht anerkannte, so verhängte Innozenz 1208 das Interdikt über England, sprach über Johann selbst 1209 den Bann aus und brachte es dahin, dass jener 1213 sein Land vom Papst zu Lehen nahm sowie einen jährlichen Tribut zu zahlen verhieß. Im Orient triumphierte Innozenz nach der Eroberung Konstantinopels durch die Kreuzfahrer; 1205 ward dort ein lateinischer Patriarch geweiht. Ebenso leitete Innozenz 1204 die Kreuzzugsbewegung nach Livland, die dort die Gründung eines christlichen Ritterstaats zur Folge hatte. Innerhalb der Kirche vollendete Innozenz mit strenger Disziplin das System des päpstlichen Absolutismus. 1215 hielt er die vierte ökumenische Lateransynode zu Rom ab, auf der Gesandte fast aller christlichen Höfe und Geistliche aus allen christlichen Ländern erschienen. Hier wurden die Wiedereroberung Palästinas und die Vernichtung der Ketzer beschlossen, die Lehre von der Transsubstantiation zum Glaubenssatz erhoben, die Ohrenbeichte zur Pflicht jedes Christen gemacht, die wichtigsten Rechts- und Disziplinarverhältnisse geordnet, die Mönchsorden der Franziskaner und Dominikaner bestätigt. Gegen die Waldenser und Albigenser ließ Innozenz das Kreuz predigen und setzte Ketzergerichte ein. Auf einer Reise begriffen, um zwischen den zwiespältigen Städten Pisa und Genua zu vermitteln, ward Innozenz vom Tod ereilt. Sein Privatleben war tadellos und rein, sein Geist gewaltig und kühn, sein Auftreten gewandt und erfolgreich. Seine Werke erschienen in Köln 1575 und in Venedig 1578; neue Ausgabe bei Migne, Patrologia latina, Bd. 214-217."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

8 Jus canonicum → Corpus juris canonici

"Kanonisches Recht (Jus canonicum, benannt nach den Rechtssatzungen [canones] der Kirche), das in Deutschland rezipierte Recht, welches sich innerhalb der christlichen Kirche ausbildete. Dasselbe entstand unter kirchlicher Autorität, namentlich durch die Beschlüsse der Konzile und durch die Dekretalen der Päpste. Das kanonische Recht enthält nicht bloß Satzungen über rein kirchliche Angelegenheiten, es umfasst vielmehr auch eine bedeutende Summe strafrechtlicher, zivilrechtlicher und prozessualischer Vorschriften, was sich aus der Machtstellung der Kirche im Mittelalter erklärt. Außerdem enthält es auch Rechtsvorschriften über Gebiete, die heute ausschließlich der bürgerlichen Ordnung unterliegen. Bei uns in Deutschland ist das kanonische Recht rezipiert, wie es sich in dem Kodex des Jus canonicum, dem Corpus juris canonici (s. Corpus juris), vorfindet. Nicht gleichbedeutend mit kanonischem Recht ist übrigens der Ausdruck Kirchenrecht, d. h. der Inbegriff der auf die Kirche bezüglichen Rechtsnormen. Von besonderer Bedeutung für die katholische Kirche ist heute noch das kanonische Strafrecht. Vgl. Schulte, Geschichte der Quellen und Literatur des kanonischen Rechts (Stuttg. 1875-80, 3 Bde.)."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

"Ähnlich wie das Corpus juris civilis wurde im spätern Mittelalter das Corpus juris canonici zusammengestellt und in Bologna von dortigen Rechtslehrern glossiert.

Dasselbe enthält

  • zunächst das um 1145 abgefasste Dekret des Gratian, eines Mönches, das alle frühern Sammlungen, worin die päpstliche Gewalt, die Rechte des Klerus, die Kirchenzucht, die heiligen Gnadenhandlungen abgehandelt waren, Echtes wie Falsches, in ein Ganzes vereinigte. Es enthält drei Teile, von denen der erste und dritte in Distinktionen und Canones zerfallen, der zweite aus Causae (Rechtsfällen) besteht.
  • Hieran reihte sich eine Sammlung der päpstlichen Dekretalen und Konzilienbeschlüsse in fünf Büchern, die auf Befehl Gregors IX. 1234 durch Raimund von Pennaforte zusammengestellt wurde und als liber extra Decretum vagans schlechtweg mit »Liber extra« (abgekürzt: »X«) zitiert wird.
  • Die Sammlung Bonifatius' VIII. von 1298, die ebenfalls aus fünf Büchern besteht und im Anschluss an die vorige Sammlung der »Liber sextus« genannt wird, begreift die seit Gregor erlassenen Dekretalen und die Beschlüsse der ökumenischen Konzile zu Lyon von 1245 und 1275.
  • Dazu kam die Sammlung Clemens' V. (Clementinae constitutiones, Klementinen), die größtenteils Synodalbeschlüsse enthält und aus dem Jahr 1313 herrührt. Diese Bestandteile des Corpus juris canonici heißen Corpus juris canonici clausum.
  • Außerdem sind dem kanonischen Rechtsbuch noch unter dem Namen Extravaganten, d. h. Decretales extra Corpus juris cancanonici clausum vagantes, Dekretalensammlungen späterer Päpste angefügt, die aber bei uns nicht mit rezipiert worden sind.

Von den Ausgaben des Corpus juris canonici sind hervorzuheben die unter der Autorität des Papstes Gregor XIII. publizierte sogen. römische von 1582 mit Glosse, die von E. Friedberg (Leipz. 1879-81, 2 Tle.) sowie die deutsche Übersetzung von Schilling und Sintenis (das. 1835-39, 2 Bde.)."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

8a Reiffenstuel

"REIFFENSTUEL, Anaklet (Taufname: Johann Georg), Kanonist und Moraltheologe, * 2.7. 1642 als Sohn des Gutsbesitzers Quirin Reiffenstuel in Kaltenbrunn bei Gmund am Tegernsee, + 5.10. 1703 in Freising. - Reiffenstuel trat am 5.11. 1658 in die bayerische Franziskanerprovinz ein und erhielt den Ordensnamen Anaklet; 1663 oder 1664 wurde er Priester. Nachdem Reiffenstuel 1665 die Qualifikation als Lektor im Orden erhalten hatte, unterrichtete er Philosophie (1667/68 in Landshut, 1668-71 in München) und Theologie (1671-75 in Landshut, 1675-80 in München). 1680 bis 1683 war Reiffenstuel Guardian des Klosters Weilheim. Seit 1683 lebte er in Freising und hielt bis 1691 öffentliche moraltheologische Vorlesungen für den künftigen Diözesanklerus und die Franziskaner; die Franziskaner unterrichtete er auch im Kirchenrecht. 1691/92 las Reiffenstuel öffentlich Kirchenrecht. 1692 bis zu seinem Tod war er Direktor der Studien. Neben seiner Lehrtätigkeit übte Reiffenstuel verschiedene Ämter in der Franziskanerprovinz aus: 1677 und 1688 wurde er zum Definitor bestellt, 1695 zum Custos; 1696 hatte er im Auftrag des Provinzials verschiedene Klöster zu visitieren. - Die Bedeutung Reiffenstuels liegt auf dem Gebiet der Moraltheologie und des Kirchenrechts. Vor allem seine aus der Lehrtätigkeit erwachsenen umfassenden Werke »Theologia Moralis« und das teilweise postum von P. Sigismund Neudecker herausgegebene »Ius canonicum universum« sowie der meist damit verbundene »Tractatus de Regulis Iuris« erlangten hohes Ansehen und große Verbreitung. Sie wurden, zum Teil erweitert und ergänzt, zum Teil als Zusammenfassungen bis weit in das 18. bzw. 19. Jahrhundert hinein immer wieder an verschiedenen Orten nachgedruckt oder neu aufgelegt. Das kirchenrechtliche Werk genießt bis in die Gegenwart Autorität in der Rechtsprechung der Römischen Rota."

[Quelle. Stephan Haering. -- http://www.bautz.de/bbkl/r/reiffenstuel_a.shtm. -- Zugriff am 2005-01-19] 

9 Agrippa von Nettesheim

"Agrippa von Nettesheim, Heinrich Cornelius, Schriftsteller, Arzt, Philosoph und berühmter Schwarzkünstler, geb. 14. Sept. 1486 in Köln, gest. 18. Febr. 1535 in Grenoble, führte ein abenteuerliches Leben. Wegen seines Lobes der Kabbala erfuhr er schwere Verfolgungen, wurde später im Heere Kaiser Maximilians Hauptmann und erhielt schließlich bei der Mutter König Franz' I. von Frankreich die Stellung eines Leibarztes, ward jedoch, weil er Luthers Partei gegen die Mönche genommen hatte, abermals von diesen angefochten und zur Flucht genötigt. Als Philosoph hat sich Agrippa hauptsächlich durch die Schrift »De incertitudine et vanitate scientiarum« (Köln 1527), in der er die Wissenschaft für trügerische Vorspiegelung der Schlange und den schlichten Glauben an das Wort Gottes als einzigen Weg zur Wahrheit erklärt, sowie durch sein Hauptwerk: »De occulta philosophia« (zuerst Köln 1510, umgearbeitet 1533), bekannt gemacht, in dem er eine Platonisch-christliche Theosophie lehrt. In der Kunst, sich in den Besitz der Kräfte der höhern Welt zu setzen und durch diese die niedere zu beherrschen, besteht nach ihm die Magie oder die erhabenste Philosophie und vollendetste Weisheit, die als Herrschaft über die irdischen Dinge natürliche. über die Gestirnwelt himmlische und über die Geister- und Dämonenwelt religiöse Magie ist. Seine Schriften erschienen zu Lyon 1550,2 Bde., und 1600 (deutsch, Stuttg. 1856)."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

10 Baldus

"Baldus de Ubaldis (Baldeschi), geb. um 1327 in Perugia, gest. 28. April 1400 in Pavia, Postglossator, Schüler des Bartolus (s. d.), war als Rechtslehrer zu Bologna, Perugia, Pisa, Florenz, Padua und Pavia tätig und ist namentlich durch einen Kommentar zu Pandekten und Kodex bekannt."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

11 Hutten

"HUTTEN, Ulrich von, Humanist, Publizist, Politiker, * 21.4. 1488 Burg Steckelberg b. Schlüchtern (Hessen), † 29.8. 1523 Insel Ufenau im Zürichsee. Hutten entstammte einem alten fränkischen Reichsrittergeschlecht, Sohn des Fuldaer Rats Ulrich v. Hutten (1458-1522) und der Ottilie († 1523), Tochter des Philipp von Eberstein († 1473), hanauer Amtmann zu Steinau. Hutten vom Vater für den Fuldaer Prälatenstand bestimmt, besuchte seit 1498 die Klosterschule Fulda, erhielt das Biennium Studii für Erfurt, wo er bis 1505 als Mentor blieb, studierte in Mainz, Köln und Greifswald und war 1506 Magister in Frankfurt/Oder. Dort erwarb er den artistischen Backaler und zählte zum literarischen Kreis des Bischofs Dietrich v. Bülow. 1508 bis 1509 las er in Leipzig über Humanoria und schrieb in seiner darauffolgenden Zeit in Rostock Gedichte. Hutten geriet in Streit mit dem Greifswalder Lötz und setzte sich mit seinen "Querelen gegen die Lötz" (1510) als lateinischer Dichter durch. Nach seinem Aufenthalt 1511 in Wien bei J. Vadian, wo er mit dem national gesinnten Humanismus in Berührung kam, studierte Hutten 1512/13 in Pavia und Bologna Jura, wurde später aus materieller Not Landsknecht und schrieb Epigramme an Maximilan I., denen ghibellinische Vorstellungen von Kaiser und Reich zugrunde liegen. Hier liegen Anfänge seiner antipäpstlichen Publizistik. 1514 kehrt Hutten nach Deutschland zurück und wurde von seinem ehemaligen Kommilitonen aus Frankfurt Mgf. Albrecht von Brandenburg (später Kf. und Erzbischof von Mainz) aufgenommen. Dieser ermöglichte Hutten die Fortsetzung seines Studiums 1516/17 in Rom bei Hummelberg und Corycius und in Bologna bei Domherr Jakob v. Fuchs und Joh. Cochlaeus. Schon 1514 kam Hutten mit dem mittel- und oberrheinischen Humanismus in Berührung, verteidigte kämpferisch mit dem Gedicht "Triumphus Capinionis" (gedr. 1518) und durch Betrachtungen zu den Dunkelmännerbriefen J. Reuchlin, den die deutschen Dominikaner wegen seines Eintretens für die Erhaltung jüdischer Schriften verfolgten. Hutten lernte Erasmus kennen, der ihn als lateinischen Dichter schätzte und setzte sich für eine moralische Kirchenreform und ein nationales Reich ein. Hutten wendete sich trotz seiner breiten antiken Bildung aktuellen Themen, der "vita activa" und Ereignissen seiner Zeit zu. 1516 schrieb er in Bologna den Zweitband der "Epistolae Obscurorum Vivorum", den er mit Crotus Rubenus geplant hatte und der sich nicht gegen Glaube und Kirche sondern ein veraltetes Bildungssystem wendete. 1517 entstand der sich stilistisch an Lukian anlehnende Dialog "Phalarius", in dem er Herzog Ulrich v. Württemberg, der Mörder Huttens Vetter Hans v. Hutten, anprangerte. Seine fünf forensischen Reden gegen den württembergischen Herzog stärkten den politischen Widerstand gegen das Territorialfürstentum. Maximilian I., Hutten wegen der italienischen Feldepigramme verbunden, krönte ihn 1517 auf dem Reichstag zu Augsburg zum poeta laureatus, verlieh ihm die Würde eines Dr. legum und "Eques auratus" und ernannte ihn zum kaiserlichen Orator. Als Sondergesandter des Erzbischofs Albrecht von Mainz ging er bis Januar 1518 an den französischen Königshof und kam in Berührung mit dem französischen Humanismus. Als ständiger Hofrat stand Hutten im Dienst Albrechts, der Mainz zu einem "Main-Florenz der Wissenschaften" ausbauen wollte. In literarischen Dialogen und Streitschriften griff Hutten Rom erneut und schärfer an, gab Laurentius de Vallas Schriften über die Konstantinische Schenkung mit einer höhnischen Vorrede an Leo X. neu heraus und rief im Augsburger Reichstag 1518 Kaiser und Fürsten in der Exhortatio ad principes Germaniae, das ein reichspolitisches Reformprogramm beinhaltete, zum Türkenkrieg auf. Zusammen mit Franz von Sickingen nahm er 1519 an der Vertreibung des württembergischen Herzog Ulrich teil und der Kaiserwahl in Frankfurt. Hutten versuchte vergeblich, seine Reichsreformpläne, die vom Reformkatholizismus geprägt waren und einen Nationalstaat mit gestärkter kaiserlicher Zentralgewalt und Begrenzung der Macht des Territorialfürstentums beabsichtigten, gegen die Kurie durchzusetzen. Hutten wurde von Albrecht seines Dienstes enthoben und baute, jetzt im Dienst Erzherzog Ferdinands in Brüssel, von dem er sich eine Unterstützung seiner Reformpläne erhoffte, systematisch eine nationale Opposition auf. Nach der Leipziger Disputation sah Hutten Luther als die größte politische Kraft für eine Befreiung von Rom an, ohne aber dessen Anhänger zu werden; vielmehr wollte er die lutherische Bewegung für eigene politische Zielsetzungen nutzen. Bis 1521 schrieb Hutten weitere Streitschriften gegen Rom (Febris I und II, Inspicientes, Trias Romana), wegen der die Kurie Hutten, der kein Ketzer war, mit dem Kirchenbann belegte. Von der Inquisition verfolgt, flüchtete Hutten 1520 auf die Ebernburg zum politisch aufsteigenden Franz v. Sickingen und verfasste zahlreiche Schriften - jetzt auch wie Luther in deutscher Sprache - gegen Rom, die Kurie und weltliche Fürsten (Bulla vel Bullicida, Monitor I und II, Gesprächsbüchlein, Reimgedichte, Invekturen). Seine in hoffränkischem Deutsch abgefassten Aufrufe richteten sich an das breite Volk und forderten es zum Aufruhr gegen die Geistlichkeit und die mit ihr verbündeten Landesfürsten auf. Sie erreichten eine politische Bewegung, die beim Wormser Reichstag 1521 einen wirksamen Faktor darstellte. Huttens Humanismus, vom vatinalen Humanismus Italiens geprägt, verband den Nationalbegriff mit dem humanistischen Bildungsbegriff. Sein politisches Anliegen war nicht neu, sondern unterstrich und verbreitete die Klagen deutscher Nationen gegen das politische Papsttum und prangerte die politische Verflechtung von Kurie und Landesfürstentum als Gefahr für Reich und Nation an. Kaiserliche und päpstliche Diplomatie vermochten Hutten nicht von seinem politischen Handeln abbringen und der Kaiser sah sich genötigt, Huttens und Sickingens Reformforderungen anzunehmen. Als sich dies im Wormser Edikt, das Hutten isolierte, als taktischer Schachzug kaiserlicher Politik erwies, brach Hutten mit dem Kaiser und eröffnete aus dem Untergrund seinen eigenen "Pfaffenkrieg". Die "Trierer Fehde" war der Versuch einer gewaltsamen Änderung der Zustände im Reich, die jedoch fehlschlug und damit das Scheitern Huttens großer politischer Reformkonzeption bedeutete. Zuvor auf Burg Diemstein (bis November 1521) dann auf Burg Wartenberg (bis Mal 1522) versteckt, floh Hutten im Herbst 1522 von Burg Landstuhl nach Basel zu Erasmus, der Hutten jedoch abwies. Hutten erwiderte dies mit seiner Schrift "Expostulatio Erasmo" (1523), auf die Erasmus mit "Sponiga adversus aspergines Hutteni" antwortete. Zwingli nahm Hutten schließlich auf und bot ihm Ufenau im Züricher See als Zufluchtsort an, wo Hutten starb. Aus dem Nachlass erschien 1529 der Dialog-"terminus", ein ungebrochener, vehementer Angriff auf das deutsche Territorialfürstentum. Hutten war der meistgelesene und -gedruckte deutsche Humanist. Weniger wegen seiner deutschen Schriften als wegen der lateinischen Publikationen, die eine langdauernde Wirkung auf die politische, kulturelle und literarische Entwicklung Deutschlands hatten, kommt Hutten als Literat eine hervorragende Bedeutung zu. In seinen politischen kulturkritischen und polemischen Schriften, die aktuelle Zeitfragen behandelten, brachte er Forderungen des Individualismus zum Ausdruck und schaffte für Deutschland erstmalig eine Synthese von Humanismus und Nationalismus. Sein politisches Handeln galt der Verwirklichung einer auf dem Recht beruhenden Lebens- und Staatsordnung der Nation in allen ihren Gliedern."

[Quelle: Friedrich Wilhelm Bautz. -- http://www.bautz.de/bbkl/h/hutten_u.shtml. -- Zugriff am 2005-01-18]  

11a 5. Laterankonzil

"Fünftes Laterankonzil

Das 5. Konzil im Lateran zu Rom wurde 1512 von Papst Julius II. einberufen, unter Leo X. nach dessen rascher Wahl 1513 fortgesetzt und 1517 verfrüht abgeschlossen. Es begann die Kirchenreform, konnte sich aber in einigen theologischen Streitpunkten zu Martin Luther nicht einigen, sodass dieser 1518 an ein Nachfolgekonzil appellierte.

Die Kirchenversammlung untersagte den Druck von nicht autorisierten Büchern und bestätigte das Konkordat von 1516 zwischen Leo X. und Frankreichs König Franz I.. Dadurch wurden französische Eroberungen in Norditalien anerkannt, aber die Loslösung der französischen Kirche von Rom aufgehoben.

Das durch die Reformation notwendig gewordene nächste Konzil fand wegen der ausgelösten politischen Wirren erst 25 Jahre verzögert statt - als Konzil von Trient 1545-1563."

[Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/F%FCnftes_Laterankonzil. -- Zugriff am 2005-01-19]

12 Leo X.

"Leo X., geb. 11. Dez. 1475 in Florenz, gest. 1. Dez. 1521, vorher Giovanni von Medici, war der zweite Sohn Lorenzos des Prächtigen von Medici. Er erhielt 1482 von Ludwig XI. die Abtei Font douce, bald darauf vom Papst Sixtus IV. das Stift Passignano und zahlreiche andre Pfründen. Erzogen von Marsilio Ficino, Angelo Poliziano und Pico von Mirandola, studierte er in Pisa, wurde 1488 zum Kardinal ernannt und trat 1492 in das heilige Kollegium ein, kehrte aber nach seines Vaters Tod (8. April d. J.) nach Florenz zurück. Als seine Familie 1494 vertrieben wurde, begab er sich nach Bologna, bereiste Deutschland und Frankreich und lebte sodann längere Zeit in Rom, wo er sich mit Musik und schöner Literatur beschäftigte. Papst Julius II. stellte ihn 1511 an die Spitze seines Heeres in der Heiligen Liga. In der Schlacht bei Ravenna (11. April 1512) ward Leo von den Franzosen gefangen, entkam aber aus der Hast, kehrte nach Rom zurück, wirkte dann mit zur Wiederherstellung der Mediceer und blieb in Florenz, bis er nach Julius' II. Tode sich nach Rom begab. Im Konklave zum Papst gewählt und 19. März 1513 geweiht, nahm er den Namen Leo X. an. Er bemühte sich eifrig um die Förderung der Literatur und der Wissenschaften, stellte die Universität in Rom her, berief die ausgezeichnetsten Männer zu Lehrern, gründete ein Kollegium zur Herausgabe griechischer Schriftsteller und lud die Besitzer alter Handschriften in allen Ländern ein, sie ihm zur Bekanntmachung mitzuteilen. Die Blüte der römischen Kunst und die Errichtung der glänzendsten Bauwerke fallen in seine Zeit. In der auswärtigen Politik strebte er danach, den Kirchenstaat zu vergrößern und dem Hause der Mediceer eine beherrschende Stellung in Mittel- und Oberitalien zu verschaffen. Die auswärtigen Mächte, die auf Herrschaft in Italien Anspruch machten, suchte er gegeneinander im Gleichgewicht zu erhalten. 1515 bewog er bei einer Zusammenkunft in Bologna Franz I. von Frankreich zum Anschluss der Pragmatischen Sanktion sowie zur Schließung eines Konkordats, durch das die freie Wahl der Bischöfe und Äbte in Frankreich zugunsten des Papstes und des Königs beseitigt wurde. Den Herzog von Urbino entsetzte er 1516 und belehnte seinen Neffen Lorenzo mit diesem Herzogtum, das er nach dessen Tod mit dem Kirchenstaat vereinigte. Eine Verschwörung gegen sein Leben dämpfte er 1517 durch Hinrichtung des Kardinals Petrucci. Die Bedeutung der durch Luther in Deutschland ins Leben gerufenen reformatorischen Bewegung unterschätzte der Papst anfangs; später suchte er vergeblich dessen Vorgehen durch die Bannbulle vom 15 Juni 1520 zu hemmen. Ebenso erfolglos war sein Bemühen, gegen den türkischen Sultan Selim, der sich Ägyptens bemächtigt hatte, alle christlichen Monarchen zu einem Kreuzzug zu vereinigen. Um die Macht Frankreichs in Italien zu brechen, schloss er 8. Mai 1521 einen Bund mit dem Kaiser zur Wiedereinsetzung der Familie Sforza in Mailand und nahm ein Schweizerheer in Sold. Parma und Piacenza wurden eingenommen und dem Kirchenstaat einverleibt; die Verbündeten nahmen Mailand und besetzten das Gebiet des Herzogs von Ferrara, gegen den, als einen Bundesgenossen Frankreichs, Leo den Bannstrahl geschleudert hatte."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

13 Mornay

"Mornay (spr. -nä), Philipp de M., Seigneur du Plessis-Marly, franz. Staatsmann, geb. 5. Nov. 1549 zu Buhy in der Normandie, gest. 11. Nov. 1623 auf seiner Baronie Laforêt-sur- Sêvre, war von seinem streng katholischen Vater für den geistlichen Stand bestimmt, trat aber nach dessen Tode 1560 zur reformierten Kirche über. 1575 trat er als Verwalter der Finanzen von Navarra in die Dienste Heinrichs von Navarra, der sich seiner auch als diplomatischen Unterhändlers und publizistischen Schriftstellers bediente und, auf den Thron von Frankreich erhoben, ihn zum Staatsrat und 1589 zum Gouverneur von Saumur ernannte. Hier errichtete Mornay eine protestantische Akademie. Bei seinen Glaubensgenossen stand er, auch nach dem Übertritte des Königs zum Katholizismus nicht ohne Einfluss auf das Zustandekommen des Edikts von Nantes, seines religiösen Eifers und seiner Gelehrsamkeit wegen in hohem Ansehen; er hieß der »Papst der Hugenotten«. Die wichtigsten seiner Schriften sind: »De la vérité de la religion chretienne« (Antwerpen 1581 u. ö.), »De l'institution de l'eucharistie« (1598) und die »Mémoires et correspondance« (1624; neue Aufl., Par. 1824, 12 Bde.). Auch die Autorschaft der »Vindiciae contra tyrannos« des H. Languet (s. d.) wird Mornay zugeschrieben."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

14 Bonivard

"Bonivard (spr. -war), Franz von, der »Gefangene von Chillon«, geb. 1493 in Seyssel aus einer savoyischen Familie, gest. 1570 in Genf, war seit 1510 Prior zu St.-Victor bei Genf. Befreundet mit Philippe Berthelier und Besançon Hugues, den Häuptern des Teiles der Genfer Bürgerschaft, der die Selbständigkeit der Stadt gegen den Herzog von Savoyen verteidigte, wurde er 1519 von diesem in Gex gefangen gesetzt, erhielt aber 1520 auf Bitten seiner Familie die Freiheit wieder. Da er mit Wort und Schrift fortfuhr, den savoyischen Absichten auf Genf entgegenzuarbeiten, ließ ihn der Herzog 1530 zum zweitenmal gefangen nehmen und warf ihn in die Kerkergewölbe des Schlosses Chillon, aus denen er erst 1536, als die Berner das Schloss eroberten, befreit wurde. Statt seines mittlerweile durch die Reformation aufgehobenen Stiftes erhielt Bonivard von Genf ein Jahrgeld und schrieb im Auftrag der Regierung seine treffliche »Genfer Chronik« (»Les chroniques de Genève«, Genf 1831, 2 Bde.) sowie die Schrift »De l'ancienne et nouvelle police de Genève« (das. 1865), in der er die Gegner Calvins möglichst schwarz malte. Bonivard war viermal verheiratet. Dadurch, dass er seine Büchersammlung der Stadt vermachte, legte er den Grund zur Genfer Stadtbibliothek. Bonivard ist der Gegenstand von Byrons »The prisoner of Chillon«."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

15 Gregor VII.

"Gregor VII., vor seiner Erhebung zum Papst Hildebrand, geb. in Soana in Tuscien, wurde in Rom im Kloster St. Maria auf dem Aventin, dessen Abt sein Oheim war, oder vielleicht im päpstlichen Palast erzogen und begleitete 1047 Gregor VI., dessen Kaplan er war, in die Verbannung nach Deutschland. Nach dessen Tode soll er nach einer freilich nicht sicher verbürgten Überlieferung eine Zeitlang als Mönch im Kloster Cluny gelebt haben. In Deutschland lernte er Papst Leo IX. kennen, kehrte mit diesem 1049 nach Rom zurück und wurde zum Kardinalsubdiakon der römischen Kirche geweiht und zum Leiter des Klosters St. Paul bestellt. Beim Tode Leos (1054) begab sich Hildebrand an den kaiserlichen Hof und hatte hervorragenden Anteil an der Erhebung des Bischofs Gebhard von Eichstätt auf den päpstlichen Stuhl. Unter diesem Papst, Viktor II., erhielt er auch Einfluss auf die Leitung der päpstlichen Kanzlei; nach Viktors Tode (4057) erwirkte er als Gesandter die Anerkennung seines Nachfolgers Stephan IX. durch den deutschen Hof; und es zeugt für die Stellung, die er in Rom einnahm, dass Stephan kurz vor seinem Tode (1058) den Befehl gab, die Wahl seines Nachfolgers nicht vor Hildebrands Rückkehr zu vollziehen. Hildebrand war es denn auch, der gegen den von dem römischen Adel erhobenen Benedikt X. die Wahl des Bischofs Gerhard von Florenz (Nikolaus II.) durchsetzte; und seit dieser Zeit war er in vielen Beziehungen der eigentliche Leiter der päpstlichen Politik. Wohl nicht ohne seinen Einfluss wurde 1059 das Verfahren bei der Papstwahl neu geordnet; er schloss den in der Folge wichtig gewordenen Bund zwischen dem Papsttum und den Fürsten der unteritalienischen Normannen, die Vasallen des Papstes wurden; er setzte 1061 die Wahl des Bischofs Anselm von Lucca, als Papst Alexander II. genannt, durch und brachte es dahin, dass die deutsche Reichsregierung den unter ihrem Einfluss erhobenen Gegenpapst Cadalus (Honorius II.) 1064 wieder fallen ließ. Am Tage nach dem Tode Alexanders, 22. April 1073, ward Hildebrand zum Papst gewählt und nannte sich als solcher Gregor VII. Seine Regierung ist von welthistorischer Bedeutung geworden. Seine Absicht war es, alle Gebiete des menschlichen Lebens der obersten Leitung des römischen Bischofs zu unterwerfen. Denn nicht allein in kirchlichen Dingen wollte er die Allmacht und Unfehlbarkeit des Papstes ausrichten, sondern auch die europäische Staatenwelt unter seine Gebote beugen. Er beanspruchte die Oberherrschaft über Spanien, Korsika, Sardinien und Ungarn. Ein vertriebener russischer Prinz nahm Russland von ihm zu Lehen, und spanische Große, Grafen in Provence und Savoyen, ein König in Dalmatien sowie die Normannenfürsten Unteritaliens leisteten ihm den Lehnseid. In Frankreich bedrohte Gregor den König mit dem Bann; in Griechenland unterhandelte er über die Vereinigung der morgen- und abendländischen Kirchen; in Kastilien und Aragonien drang er auf Einführung des römischen Ritus; in Böhmen verbot er den Gebrauch der Landessprache beim Gottesdienst; von Norwegen und Schweden erbat er sich Jünglinge, die in Rom gebildet werden sollten. Selbst das Los der Christensklaven in Afrika nahm seine Sorge in Anspruch, und lebhaft beschäftigte ihn das Projekt zu einem Kreuzzug. Vor allem aber suchte er das Übergewicht des päpstlichen Stuhls über den deutschen Kaiser zu begründen (s. Heinrich IV.). Sein Kampf gegen Priesterehe und Simonie galt der Durchführung von Gedanken, die innerhalb der kirchlichen Reformpartei schon lange herrschend waren: ihm eigentümlich war nur die unbeugsame und rücksichtslose Energie, mit der er diesen Kampf führte. Ein einschneidender Eingriff aber in die staatsrechtlichen Verhältnisse der Welt war sein Verbot der Laieninvestitur, das jede staatliche Teilnahme an der Verleihung kirchlicher Ämter, auch der Bistümer, untersagte. Da die Bischöfe weltliche Güter und Rechte besaßen, die ihnen unter der Voraussetzung einer Mitwirkung des Staates bei ihrer Einsetzung übertragen waren, und da sie insbesondere in Deutschland zugleich reichsfürstliche Stellung einnahmen, so musste sich gegen diese Verfügung des Papstes vornehmlich die deutsche Krone auflehnen, für die es eine Lebensfrage war, am königlichen Ernennungsrecht der Bischöfe festzuhalten.

Eine Zeitlang hatte Gregor auf Verständigung mit Heinrich IV. gehofft, von dem er hauptsächlich verlangte, dass er seine wegen Simonie gebannten Räte entfernen und Buße tun solle. Als er nun aber 1075 das Investiturverbot verkündigte, dem von Heinrich ernannten Erzbischof Thedald von Mailand die Anerkennung verweigerte, als er von Heinrich unbedingte Unterwerfung unter diese Anordnungen forderte und ihm zugleich die schärfsten Vorhaltungen wegen seiner bisherigen Vergehen machte: da erregte er den Zorn des eben im Vollgefühl seiner glänzenden Erfolge gegen die Sachsen stehenden Königs so sehr, dass dieser auf einer Synode zu Worms (24. Jan. 1076) den Papst absetzen ließ. Gregor sprach darauf im Februar 1076 über den Kaiser den Bann aus, entsetzte ihn seiner königlichen Gewalt und entband seine Untertanen vom Eide der Treue. Anfangs hatte das Vorgehen des Papstes wenig Erfolg. Aber nach und nach eroberte Gregor sich Boden, und die Fürstenopposition gegen den König bot dem Papst gern die Hand, um den gemeinsamen Gegner zu demütigen. Nachdem die im Oktober 1076 in Tribur versammelten Fürsten die Absetzung Heinrichs beschlossen hatten, wenn er sich nicht binnen Jahresfrist vom Bann löse, ging der König nach Italien, um den Papst zu versöhnen. Dieser zog sich auf die Kunde von Heinrichs Ankunft in Italien nach dem festen Schloss der Markgräfin Mathilde, Canossa, zurück; hier erschien Heinrich als ein Büßender, und nach dreitägigen Verhandlungen (25. bis 27. Jan. 1077), als der König schriftlich und eidlich die Versicherung gegeben hatte, dass er sich mit den deutschen Fürsten nach dem Schiedsspruch Gregors vergleichen wolle, erteilte ihm der Papst die Absolution. Der Zwist zwischen dem König und Gregor brach jedoch bald wieder aus, und dieser erneuerte den Bannfluch; aber es gelang Gregor nicht, wie er es wollte, zwischen Heinrich und seinem Gegenkönig Rudolf sich die Entscheidung beizulegen. Kaum hatte Heinrich in Deutschland wieder mehr Macht gewonnen, als er auf einer Synode zu Brixen 25. Juni 1080 den Papst absetzen und einen Gegenpapst, Clemens III., wählen ließ und hierauf selbst nach Italien eilte. Gregor wurde in Rom belagert; hier ließ Heinrich, nachdem er die Leostadt genommen hatte, den Gegenpapst inthronisieren und sich von ihm 31. März 1084 zum Kaiser krönen. Die Lage des in der Engelsburg eingeschlossenen Gregor war äußerst gefährdet, als er im Mai 1084 durch ein von Robert Guiscard (s. d.) herbeigeführtes Entsatzheer befreit wurde. Doch verzweifelte er daran, sich in Rom behaupten zu können, folgte vielmehr den abziehenden Normannen nach Süden, um erst im Kloster zu Monte Cassino, später in Salerno Zuflucht zu suchen, wo er 25. Mai 1085 starb. Gregor war einer der größten Päpste des Mittelalters. Sind auch die hierarchischen Gedanken, von denen er völlig durchdrungen war, nicht neu und original, so hat doch keiner seiner Vorgänger das System dieser Gedanken so konsequent wie er entwickelt oder so energisch durchzuführen versucht. Und indem dies System von seinen Nachfolgern festgehalten und weiter ausgebaut wurde, hat es die Geschicke des Abendlandes in neue Bahnen gelenkt und wirkt fort bis auf die Gegenwart. Die Hauptquelle für die Geschichte Gregors ist eine Sammlung der wichtigsten seiner Briefe, am besten herausgegeben von Jaffé in der »Bibliotheca rerum germanicarum«, Bd. 2 (Berl. 1866)."

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16 Schulte

"Schulte, Johann Friedrich, Ritter von, Kirchenrechtslehrer und Vertreter der altkatholischen Bewegung, geb. 23. April 1827 zu Winterberg in Westfalen, studierte in Berlin Philologie und die Rechte, promovierte daselbst 1851, arbeitete dann beim Kreisgericht und habilitierte sich in Bonn als Privatdozent. 1854 als außerordentlicher Professor des Kirchenrechts nach Prag berufen, wurde er hier 1855 ordentlicher Professor, 1856 Konsistorial- und Ehegerichtsrat, welch letztere Stellung er jedoch 1870 niederlegte, 1869 in den erblichen Ritterstand erhoben. 1872 folgte er einem Ruf als ordentlicher Professor der Rechte und Geheimer Justizrat nach Bonn. 1874-79 war er Mitglied des deutschen Reichstags, wo er sich der nationalliberalen Partei anschloss. An der altkatholischen Bewegung, deren Geschichte er in dem Werke »Der Altkatholizismus« (Gießen 1887) darstellte, nahm er hervorragenden Anteil. Er präsidierte den altkatholischen Kongressen zu München (1871), Köln (1872), Konstanz (1873), Freiburg (1874), Breslau (1876), ward 1872 zum Vorstand der in Köln eingesetzten Kommission für die Wahl eines altkatholischen Bischofs ausersehen, in welcher Eigenschaft er die bezüglichen Verhandlungen führte, und ist seit Begründung der altkatholischen Spezialrepräsentanz (29. Mai 1874) nächst dem Bischof deren Vorsitzender. Er schuf eine Reihe von grundlegenden Werken auf dem Gebiete der Dogmatik und Geschichte des katholischen Kirchenrechts, wie: »Handbuch des katholischen Eherechts« (Gießen 1855); »Das katholische Kirchenrecht« (das. 1856-60, 2 Tle.); »Lehrbuch des katholischen Kirchenrechts« (das. 1863; in 4. Aufl. erweitert als »Lehrbuch des katholischen und evangelischen Kirchenrechts«, 1886); »Die Geschichte der Quellen und Literatur des kanonischen Rechts« (Stuttg. 1875-80, 3 Bde.) und »des evangelischen Kirchenrechts« (das. 1880). Außerdem nennen wir von ihm: »Darstellung des Prozesses vor den katholischen geistlichen Ehegerichten Österreichs« (Gießen 1858); »Lehrbuch der deutschen Reichs- und Rechtsgeschichte« (Stuttg. 1861, 6. Aufl. 1892); »Die juristische Persönlichkeit der katholischen Kirche« (Gießen 1869); »Über Kirchenstrafen« (Berl. 1872); »Karl Friedrich Eichhorn, sein Leben und Wirken« (Stuttg. 1884); »Die Summa des Stephanus Tornacensis über das Decretum Gratiani« (das. 1891). Gegen den Ultramontanismus trat er in folgenden Schriften auf: »Die Macht der römischen Päpste über Fürsten, Länder, Völker und Individuen« (Prag 1871; 3. Aufl., Gießen 1896); »Denkschrift über das Verhältnis des Staats zu den Sätzen der päpstlichen Konstitution vom 18. Juli 1870« (Prag 1871); »Die Stellung der Konzilien, Päpste und Bischöfe« (das. 1871); »Die neuern katholischen Orden und Kongregationen« (Berl. 1872); »Der Zölibatszwang« (Bonn 1876)."

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17 Heinrich IV:

"Heinrich IV., Sohn des vorigen [Heinrich III.], geb. 11. Nov. 1050, gest. 7. Aug. 1106, ward 1053 zu seines Vaters Nachfolger erwählt und 1054 in Aachen gekrönt. Nach seines Vaters Tod (5. Okt. 1056) stand er anfangs unter Vormundschaft seiner Mutter Agnes, der damit auch die Regierungsgeschäfte zufielen. Doch Agnes, der schwierigen Aufgabe nicht gewachsen, gab, um sich unter den Fürsten Anhänger zu verschaffen, dem Herzog Gottfried das ihm von ihrem Gemahl entrissene Lothringen zurück, verlieh dem Grafen Rudolf von Rheinfelden 1057 das Herzogtum Schwaben und entschädigte den Grafen Bertold von Zähringen, der von Heinrich III. die Anwartschaft darauf erhalten hatte, 1061 mit Kärnten; der einflussreiche sächsische Graf Otto von Nordheim erhielt 1060 das erledigte Herzogtum Bayern. Andre Große, an ihrer Spitze der Erzbischof Anno von Köln, fühlten sich durch den Bischof Heinrich von Augsburg, den Ratgeber der Kaiserin, um ihren Einfluss gebracht, suchten die Reichsverwaltung in ihre Hände zu bringen, lockten im Mai 1062 den jungen König bei Kaiserswerth auf ein Schiff und entführten ihn trotz seines Widerstrebens nach Köln. Anno nahm darauf, der Klagen der Kaiserin nicht achtend, die Erziehung Heinrichs und die Reichsregierung in die Hand. Mit dieser Gewalttat begann die Verwirrung und Zwietracht im Reich, zumal da Anno die königlichen Rechte gegenüber der Kirche preisgab. Annos Herrschsucht erregte bald große Unzufriedenheit; dies erleichterte es dem ehrgeizigen Erzbischof Adalbert von Bremen, ebenfalls Einfluss auf die Erziehung des Königs zu gewinnen. Doch war seine nachsichtsvolle Milde, die sich den erwachenden Leidenschaften und Launen des Zöglings anbequemte, der Charakterbildung des Königs ebensowenig nützlich wie Annos Härte. Adalbert, dem Heinrich als einem Freunde seines Vaters persönlich näher trat, ließ den 14jährigen Heinrich nach der Rückkehr von seinem ersten Feldzug gegen die Ungarn 1065 zu Worms in feierlicher Fürstenversammlung für mündig erklären und regierte nun für ihn in der Absicht, die königlichen Herrschaftsrechte in ihrem alten Umfang herzustellen und noch zu verstärken. Da bildeten die Fürsten eine neue Verschwörung und zwangen auf einem Reichstage zu Tribur 1066 Heinrich, sich von Adalbert zu trennen und ihnen die Reichsverwaltung zu überlassen. Während diese nun eigennützig regierend die Verwirrung steigerten, begann der junge König einen zügellosen Lebenswandel. Die Fürsten zwangen ihn daher 1066 zur Vermählung mit Berta, Tochter des Markgrafen von Susa, und beschränkten ihn sehr in seinem öffentlichen und privaten Leben. Heinrich versuchte sich von der Vormundschaft der Fürsten und der lästigen Ehe zu befreien, trug 1069 auf Scheidung der Ehe an, aber die Fürsten, unterstützt durch einen päpstlichen Legaten, zwangen ihn, seine Gattin zu behalten; widerwillig fügte er sich, und nach und nach entstand auch ein gutes Verhältnis zwischen den Gatten; er begegnete ihr, seit sie ihm einen Sohn geboren hatte (1071), mit Achtung. Überhaupt begann Heinrich 1070 einen eignen Willen zu zeigen. Er zog Adalbert wieder an den Hof; den Herzog Otto von Bayern klagte er an, einen Mordanschlag gegen ihn gemacht zu haben, und erklärte ihn, als er vor dem Reichstag zu Mainz nicht erschien, seines Herzogtums (das Welf erhielt) für verlustig, verwüstete seine Güter in Thüringen und hielt ihn gerade wie seinen Verbündeten, den Herzog Magnus von Sachsen, nach einer scheinbaren Aussöhnung gewissermaßen an seinem Hof gefangen. Demselben Los entging Herzog Rudolf von Schwaben nur mit Mühe. König Heinrich zeigte den entschiedensten Willen, die selbständigen Herzoge unter das Königtum zu beugen und sie gegebenenfalls abzusetzen; so verlor Herzog Bertold von Kärnten sein Herzogtum. Zur Sicherung seiner Herrschaft legte Heinrich in Sachsen und Thüringen viele feste Schlösser an, um damit die Umwohner im Zaum zu halten. Von den erbitterten Fürsten und Bischöfen, besonders Otto von Nordheim, aufgereizt, empörten sich 1073 die Sachsen. Der König, in der Harzburg eingeschlossen, entkam zwar, aber da die meisten weltlichen und geistlichen Großen ihm keinen Beistand leisteten, musste er im Frieden von Gerstungen (1074) versprechen, über Ottos Sache binnen Jahresfrist ein Fürstengericht entscheiden zu lassen und die Zwingburgen zu zerstören. Diese Demütigung des Königtums durch die Fürsten war Heinrich unerträglich, und aus der Kirchenschändung der Sachsen bei der Zerstörung der Harzburg leitete er das Recht ab, den Heerbann gegen sie aufzubieten. Er besiegte sie 9. Juni 1075 bei Hohenburg an der Unstrut, bewilligte erst nach bedingungsloser Unterwerfung den nachgesuchten Frieden und bestrafte die Fürsten und die Geistlichen, die sich am Aufstand beteiligt hatten. Persönlich zeigte er sich heftig, jähzornig und rachsüchtig, hielt an seinen Hoheitsrechten über geistliche und weltliche Fürsten fest und war bei diesen wie bei den Sachsen deshalb grimmig gehasst. Die Herzoge, besonders Rudolf von Schwaben, fürchteten seinen strafenden Arm, und das Papsttum, das unter Hildebrands Leitung während der Jugend Heinrichs 1056-70 die Weltherrschaft an sich zu reißen begonnen hatte, war jetzt besorgt vor des Königs kräftigem Auftreten. Gregor VII. wollte vereint mit den Unzufriedenen in Deutschland den König unter seine Herrschaft beugen und mischte sich seit 1075 direkt in die deutschen Verhältnisse ein. Er legte Fürsprache für die Sachsen ein, forderte Freilassung der gefangenen Geistlichen und die Beseitigung der Laieninvestitur. Das königliche Ernennungsrecht der Bischöfe, woran Heinrich mit vollem Recht und mit klarer Erkenntnis seiner Bedeutung festhielt, wurde nun das Objekt des Kampfes zwischen Königtum und Papsttum. Nachdem Gregor schon einigemal mildere Zuschriften an Heinrich erlassen, erhob er in einem Schreiben vom Dezember 1075 eine Menge Anklagen gegen Heinrich und forderte in schroffem Ton sofortigen Gehorsam gegen die Kirche. Dies reizte den König, er nahm den Kampf an; 24. Jan. 1076 auf einer Versammlung in Worms wurde der Papst für abgesetzt erklärt. Gregor sprach darauf den Bann über Heinrich (22. Febr. 1076) aus und entband die Völker vom Gehorsam gegen ihn. Heinrich, diese Kundgebungen anfangs unterstützend, sah schon im Sommer 1076, wie des Papstes Manifeste, durch eine zahlreiche Literatur aus den Kreisen cluniacensischer Mönche unterstützt, in Deutschland Anklang fanden; die früher schon zur Empörung geneigten Fürsten schlugen sich auf des Papstes Seite. Ein Fürstentag in Tribur bestimmte im Oktober 1076, dass die Sache des Königs im Februar 1077 auf einem Reichstag in Augsburg unter dem Vorsitz des Papstes entschieden werden und er sich bis dahin der Regierung enthalten solle. Von allen Mitteln entblößt, fügte Heinrich sich diesem Spruch, um seine sofortige Absetzung zu vermeiden, erwirkte aber, um seiner von den Fürsten geplanten schmachvollen Demütigung auf dem Reichstag zuvorzukommen, seine alsbaldige Loslösung vom Bann, und begab sich im Winter 1077, nur von seiner Gemahlin und seinem Sohne begleitet, bei strenger Kälte nach Italien. Er traf den Papst im Schloss Canossa bei der Markgräfin Mathilde und musste drei Tage lang (25.-27. Jan. 1077) barfuss und in härenem Gewand im Hof des Schlosses auf die Gnade des Papstes warten, der erst am vierten Tag (28. Jan.) dem Drängen seiner Umgebung nachgab und gegen das Versprechen, den deutschen Fürsten Genugtuung zu leisten, den Bann aufhob. Heinrich schwur Gehorsam, fasste aber alsbald, von den lombardischen Großen noch mehr aufgeregt, den Plan, die erlittene Schmach zu rächen. Die Fürsten hatten trotz Heinrichs Befreiung vom Bann unterdes auf dem Fürstentag zu Forchheim den Herzog Rudolf von Schwaben zum deutschen König gewählt; Heinrich kehrte nach Deutschland zurück, gewann schnell die Volksgunst wieder und sammelte aus den Bürgern der Städte sowie aus dem Landvolk Bayerns, Böhmens und Kärntens bald ein ansehnliches Heer. Zwar fielen die Schlachten bei Mellrichstadt 1078 und bei Zeitz 1080 zu Heinrichs Nachteil aus, aber Rudolf starb kurz nach der letzten Schlacht an seinen Wunden, und so war Heinrich wieder alleiniger Herrscher. Vom Papst aufs neue gebannt, erwirkte er doch auf zwei Versammlungen deutscher Bischöfe zu Mainz und zu Brixen Gregors VII. Absetzung und die Wahl eines neuen Papstes, Clemens' III. Jetzt rächte sich Heinrich, zog mit einem mächtigen Heer über die Alpen (1081), erhielt in Mailand die lombardische Königskrone, verwüstete das Land der Markgräfin Mathilde, eroberte Florenz und erschien Pfingsten vor Rom. Die Belagerung Roms aber ging nur langsam vorwärts, erst im März 1084 wurde er Herr der Stadt und ließ sich am Osterfest 1084 von Clemens III. zum römischen Kaiser krönen. Gregor VII. hatte sich in die Engelsburg geflüchtet und rief den Normannenherzog Robert Guiscard zu Hilfe, worauf Heinrich von Rom abzog. In Deutschland war während Heinrichs Abwesenheit an Rudolfs Stelle im August 1081 von der Fürstenopposition Graf Hermann von Lützelburg in Bamberg zum König gewählt worden. Indes war der größte Teil der Deutschen jetzt Heinrich günstiger gesinnt; auch die Sachsen und Thüringer unterwarfen sich ihm wieder (1085). Zwar verlor Heinrich 11. Aug. 1085 die Schlacht bei Würzburg gegen Hermann und den Herzog Welf von Bayern, aber die Mehrheit der deutschen Bischöfe ergriff 1085 auf einer Synode in Mainz für Heinrich Partei, und in Süddeutschland hatte Heinrich an Friedrich von Staufen, den er 1079 zum Herzog von Schwaben erhoben, einen wackern Vorkämpfer. So fiel das Übergewicht nach und nach auf die kaiserliche Seite, der schwache Gegenkönig Hermann legte 1088 freiwillig seine Würde nieder. Von einem gefährlichern Feinde, dem Markgrafen Eckbert von Meißen, der sich selbst als Gegenkönig aufgestellt und Heinrich in mehreren Gefechten geschlagen hatte, befreite ihn 1089 dessen Ermordung. In Deutschland schien damit die Flamme des Bürgerkrieges zu erlöschen.

Unterdessen war auch Gregor VII. gestorben (25. Mai 1085), und der von seiner Partei erwählte Papst Viktor III. (1085 bis 1088) sowie nach dessen baldigem Tode Urban II. (1088-99) befehdeten den von Heinrich eingesetzten Papst Clemens III. Heinrich zog deshalb 1090 wieder nach Italien, eroberte Mantua und besiegte auch Welf, den Gemahl der Markgräfin Mathilde, mehrmals. Doch sein eigner Sohn Konrad, von der Gegenpartei gegen den Vater gewonnen, ließ sich 1093 zum König von Italien krönen, während sich zugleich die Lombarden in Verbindung mit dem Herzog Welf aufs neue erhoben. Heinrich zog sich tatenlos in die Gegenden östlich der Etsch zurück, und als Urban die abendländische Christenheit mit seinem Kreuzzugsruf zu kirchlichem Eifer entflammte, verharrte Heinrich in Untätigkeit, ohne die große kirchliche Bewegung, die der Welt den Sieg des Papsttums ankündigte, hemmen zu können. Erst im Frühjahr 1097 kehrte er nach Deutschland zurück, gewann durch Zugeständnisse die mächtigsten Fürsten, unter ihnen selbst den Herzog Welf, so dass sogar sein zweiter Sohn, Heinrich, zu Köln (1098) zum deutschen König gewählt wurde. Die Ruhe war damit in Deutschland für einen Augenblick wiederhergestellt, aber der neue Papst, Paschalis II., tat Heinrich aufs neue in den Bann, und die Großen Bayerns bewogen 1104 seinen geliebtesten Sohn, Heinrich, zur Empörung gegen den Vater. So standen sich Vater und Sohn im Felde gegenüber; dem Vater hing vornehmlich das Bürgertum an, dem Sohn die Mehrzahl der Fürsten. Durch List geriet Heinrich in die Gefangenschaft des Sohnes und musste 31. Dez. 1105 in Ingelheim förmlich seine Abdankung erklären. Er entkam zwar noch einmal der Hast, floh nach Lüttich und gedachte den Verrat des Sohnes zu bestrafen; ehe es aber zu neuem Krieg kam, starb er in Lüttich. Der Bischof von Lüttich ließ ihn einstweilen beisetzen; aber Heinrich V. befahl, den Leichnam nach Speyer zu bringen, wo derselbe fünf Jahre lang in einer nicht geweihten Seitenkapelle des Doms in einem steinernen Sarg unbestattet stand, bis der Papst 1111 den Toten vom Bann lossprach und seine Beisetzung im Dom erlaubte. Heinrich war vermählt zuerst seit 1066 mit Berta, der Tochter des Markgrafen Otto von Susa, die ihm außer den genannten Söhnen Konrad (gest. 1101) und Heinrich eine Tochter, Agnes, Gemahlin des ersten staufischen Herzogs von Schwaben, gebar und 1087 starb, sodann seit 1089 mit Adelheid (Praxedis), der Tochter des russischen Fürsten Wsewolod, Witwe des Markgrafen Udo von der Nordmark, die 1095 starb. Heinrich kämpfte für die Erhaltung der deutschen Königsmacht gegen die Unbotmäßigkeit der deutschen Fürsten und gegen die hierarchischen Tendenzen des Papsttums; seine Gegner waren Partikularismus und Ultramontanismus, und ihren vereinigten, mit Hinterlist und Gewalt ausgeführten Angriffen erlag er. Gleichwohl hat er durch seinen Widerstand den Sieg des Papsttums erheblich verzögert und die völlige Unterwerfung Deutschlands unter die Hierarchie verhindert."

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18 Bann

"Bann (hebr. Cherem), das Verbotene, dessen Besitz und Verwendung den Israeliten nicht gestattet und als Gottesgreuel, mit dem Fluche behaftet, dem Heiligtum, bez. der Vernichtung geweiht war. Ursprünglich war er ein Gelübde, vermöge dessen Personen und Sachen Gott unwiderruflich als Eigentum geweiht wurden (3. Mos. 27,28 u. 29). Die Aneignung einer verbannten Sache war mit dem Tode bedroht. Banngelübde und Bannvollstreckungen zu Kriegszeiten sind theokratische Strafen in strenger und milderer Form und zeigen sich ähnlich auch bei germanischen und gallischen Stämmen sowie bei orientalischen Völkern. Eine dieser alttestamentlichen ähnliche Verbannung finden wir auch bei den Römern. Der im Neuen Testament erwähnte Bann (s. Anathema) ist eine Strafe kirchlicher Art der spätern Juden, nämlich die Ausschließung aus der Gemeinde und die Aberkennung der religiösen Ehrenrechte. Nach drei Hauptbestimmungen wurde der Bann verhängt: zum Schutz des persönlichen Rechts und der Wiederherstellung der verletzten Ehre, zur Aufrechthaltung der Sittlichkeit, zur Herstellung und Befestigung behördlicher Autorität und zur Erzielung einer Einheit in Leben und Lehre des Judentums. Bis in das Mittelalter war der vom talmudischen Recht näher bestimmte Bann, der in der leichtern Form Nidduj (»Exkommunikation, Ausstoßung«) hieß, in Übung; jetzt ist er staatlich verboten.

Von dem Judentum ging die Exkommunikation (Kirchenbann) in die christliche Kirche über, ursprünglich als Zucht- und Erziehungsmittel und zum Schutz der Gemeinschaft vor fremden Elementen; mit der steigenden Macht der Geistlichkeit aber ward der Bann zur Strafe, und zwar war er nach der staatlichen Anerkennung des kanonischen Rechts mit den schwersten bürgerlichen Folgen verbunden. Wer sich dem Kirchenbann hartnäckig widersetzte, sollte in die Reichsacht (s. Acht), umgekehrt aber auch der Reichsächter in den Kirchenbann verfallen.

Das Kirchenrecht unterscheidet den Kleinen Bann und den Großen Bann (Excommunicatio minor und Excommunicatio major oder Anathema). Jener schließt nur von der Gemeinschaft der Sakramente aus und zieht die Unfähigkeit zur Erlangung kirchlicher Ämter nach sich, dieser schließt auch von jeder kirchlichen Gemeinschaft, vom bürgerlichen Recht und geselligen Verkehr aus, ohne jedoch die kirchliche Mitgliedschaft zu entziehen.

Der Bann ist entweder latae oder ferendae sententiae, jenes infolge einer allgemeinen gesetzlichen Vorschrift, dieses infolge eines Urteilsspruchs. Zu Verhängung des letztern ist jeder Geistliche befugt, der eine selbständige Jurisdiktion für das Gebiet seines Sprengels hat.

Wird der Große Bann öffentlich bekannt gemacht, so tritt für jeden Katholiken die Pflicht ein, den Verkehr mit dem Gebannten zu meiden. Der Aufhebung des Bannes muss die Kirchenbuße vorhergehen.

Die neuere staatliche Gesetzgebung verbietet überall die Verbindung bürgerlicher Nachteile mit dem kirchlichen Bann

Die Ausdehnung des Bannes auf eine Ortschaft oder ein Land, d. h. das Verbot jeder kirchlichen Feier, hieß Interdikt (s. d.).

In der evangelischen Kirche ist nur der Kleine Bann, die Ausschließung vom Abendmahl und andern kirchlichen Rechten, bis in die neuere Zeit als Zuchtmittel beibehalten worden.

Vgl. Kober, Der Kirchenbann (2. Ausg., Tübing. 1863); Schilling, Der Kirchenbann nach kanonischem Recht (Leipz. 1859); Wiesner, Der Bann und seine geschichtliche Entwickelung auf dem Boden des Judentums (das. 1864); Galli, Die lutherischen und kalvinischen Kirchenstrafen (Bresl. 1879); Sickel, Zur Geschichte des Bannes (Marburger Universitätsprogramm, 1886); Hinschius, Die preußischen Kirchengesetze des Jahrs 1873, S. 13 ff. (Berl. 1873)."

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19 Kolophonium (nach der Stadt Kolophon, Geigenharz): der Rückstand von der Gewinnung des Terpentinöls aus Terpentinharz. Im Theater nutzte man es als Blitzpulver. Davon kommt die Redensart "Es sind nur Kolophoniumblitze":

"Es sind nur Kolophoniumblitze: Der Abgeordnete Jung sagte im preußischen Abgeordnetenhause im Jahre 1873: »Jene päpstliche Allocution (des Papstes Clemens 1701 gegen das preußische Königstum) war natürlich nur ein Kolophoniumblitz; aber gerade jene Kolophoniumblitze vom Vatikan, deren wir in unsern Tagen auch einige erlebt haben, machen den aufrichtigen Katholiken Sorge.« (Schles. Zeitung, 1873, Nr. 34.)" [Quelle: Deutsches Sprichwörter-Lexikon  / hrsg. von Karl Friedrich Wilhelm Wander. -- Berlin : Directmedia Publ., 2001. -- 1 CD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 62). -- ISBN 3-89853-162-7. -- s.v.]

20 Eid

"Eid (Eidschwur, Juramentum, Jusjurandum), die feierliche Wahrheitsversicherung unter Anrufung Gottes. Die Bedeutung einer derartigen Beteurung gehört zunächst dem Gebiete der Moral und dem der Religion an. Die Verpflichtung des Schwörenden zur Angabe der Wahrheit und zur Erfüllung des eidlich Versprochenen ist daher in erster Linie eine moralische und die Verletzung dieser Pflicht eine nach sittlich-religiösen Grundsätzen zu beurteilende Sünde. Als solche wurde auch die Verletzung der Eidespflicht von jeher und bei allen Völkern anerkannt. In der ersten Zeit des Christentums wurde die Zulässigkeit des Eides vielfach (auch von einzelnen Kirchenvätern) unter Bezugnahme auf die Aussprüche von Jesus (Matth. 5, 33-37 und 23, 16-22, Jak. 5, 12) bestritten. Schließlich überwog aber das praktische Bedürfnis; auch Synoden und Bischöfe erlaubten, ja forderten unter Umständen den Eid, der schon bisher bei Griechen und Römern üblich gewesen und im römischen Recht in hohem Grade durchgebildet worden war. In Deutschland verdrängte er dann allmählich die Gottesgerichte (vgl. Ordalien). Wie schon im Mittelalter die Katharer und Waldenser, so verwarfen dann im Reformationsjahrhundert die Anabaptisten und die aus ihnen entsprungenen Mennoniten den Eid Ihre Beteurung »bei Männerwahrheit« erhielt vor Gericht Kraft und Wirkung eines förmlichen Cides. Auch nach der deutschen Zivilprozessordnung (§ 484) steht der Eidesleistung die unter der Beteurungsformel einer Religionsgesellschaft abgegebene Erklärung gleich, wenn ein Landesgesetz dieser Gesellschaft den Gebrauch solcher Beteurungsformeln an Stelle des Eides gestattet, was bezüglich der Mennoniten wohl überall der Fall ist.

Die Gesetzgebung hat die Eidesleistung als höchstes Bestärkungsmittel eines Versprechens und als heiligste Versicherung der Wahrheit einer Aussage in ihren Bereich gezogen, indem sie die Verletzung der Eidespflicht als ein Verbrechen behandelt und mit schwerer Strafe bedroht (s. Meineid). Die zu bestärkende Erklärung kann in dem Versprechen bestehen, etwas tun oder unterlassen zu wollen oder in der Versicherung, dass man etwas getan oder unterlassen habe. Im erstern Falle spricht man von einem Voreid oder promissorischen Eid, im letztern von einem Nacheid oder assertorischen Eid Nach der deutschen Zivilprozessordnung (§ 391 und 410) sind die Zeugen regelmäßig, die Sachverständigen stets vor der Vernehmung zu beeidigen; bei erstern darf jedoch die Beeidigung (s. d.) aus besondern Gründen bis nach der Vernehmung ausgesetzt werden. Eine starke Strömung geht dahin, dass der Voreid ganz beseitigt und durch den Nacheid ersetzt werde. Sie hat, soweit es sich um die Militärstrafgerichtsordnung handelt, bereits Erfolg gehabt (§ 196 und 215). Eine Vereidigung ist besonders bei der Übertragung eines öffentlichen Amtes üblich (s. Amtseid), ferner beim Eintritt in den Militärdienst (s. Fahneneid) sowie bei Angelobung des Untertanengehorsams gegenüber dem Landesherrn (s. Huldigung). Nach manchen Verfassungen hat auch der Landesherr selbst beim Regierungsantritt einen Eid auf die Verfassung zu leisten. Ferner sind Schöffen und Geschworne zu vereidigen. Von besonderer Wichtigkeit aber ist der Eid für das gerichtliche Verfahren und hier wieder vorzugsweise für die bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, in denen der Eid als das wirksamste Beweismittel erscheint (s. unten).

Zu den Erfordernissen eines Eides gehört vor allem Eidesfähigkeit des schwörenden Subjekts und zu dieser Verstandesreife sowie sogen. Eidesmündigkeit, die nach deutschem Prozessrecht mit dem 17. Lebensjahr beginnt. Zum Parteieneid in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten werden nach der deutschen Zivilprozessordnung (§ 473) regelmäßig nur prozessfähige Personen zugelassen, also keine Minderjährigen und keine Personen, die sich nicht vertragsmäßig verpflichten können. Doch kann das Gericht auf Antrag des Gegners unter Umständen auch Minderjährige, die das 16. Lebensjahr zurückgelegt haben, sowie Volljährige, die wegen Geistesschwäche, Verschwendung oder Trunksucht entmündigt worden sind, zum Eid zulassen. Ein wegen Meineids rechtskräftig Verurteilter ist an und für sich nicht eidesunfähig. Eine an ihn erfolgte Zuschiebung oder Zurückschiebung eines Eides kann jedoch vom Gegner widerrufen werden, falls die Verurteilung wegen dieses Verbrechens erst später erfolgt ist, oder der Gegner glaubhaft macht, dass er erst nach der Zuschiebung oder Zurückschiebung des Eides von einer solchen Verurteilung Kenntnis erlangt hat. Auf Antrag des Gegners kann auch der einem Meineidigen vom Richter auferlegte Eid zurückgenommen werden. Der Eid selbst ist in der Weise zu leisten, dass die Eidesformel mit der Eidesnorm vom Richter vorgesagt und vom Schwurpflichtigen nachgesprochen wird. Die früher üblichen Feierlichkeiten der Eidesleistung und der besondere Judeneid sind weggefallen. Die Eidesformel beginnt mit den Worten: »Ich schwöre bei Gott, dem Allmächtigen und Allwissenden, dass etc.« Die Schlussworte lauten dann: »So wahr mir Gott helfe.« Der Eidesleistung geht eine Hinweisung auf die Bedeutung des Eides durch den Richter voraus. Juristische Personen und nicht prozessfähige Parteien schwören den Parteieneid durch ihre gesetzlichen Vertreter. Der Schwurpflichtige erhebt bei der Eidesleistung die rechte Hand. Versicherungen an Eides Statt kannte die deutsche Zivilprozessordnung früher nicht. Nach dem jetzigen § 294 dürfen sie aber zum Zweck der Glaubhaftmachung (s. d.) erfolgen. Stumme leisten, wenn sie schreiben können, den Eid mittels Abschreibens und Unterschreibens der Eidesformel, andernfalls mit Hilfe eines Dolmetschers durch Zeichen. Im Zivilprozess kommt der Eid unter anderm auch als Beweismittel (s. d.) vor. Der Eid, den eine Partei dem Gegner zum Beweis ihrer Behauptungen zuschiebt, wird Haupteid oder Schiedseid genannt. Wird der Eid bei unvollständigem Beweis einer Partei von dem Richter auferlegt, so bezeichnet man ihn als notwendigen oder richterlichen Eid Der richterliche Eid wurde früher Erfüllungseid oder Reinigungseid genannt, je nachdem er dem Beweisführer zur Ergänzung des Beweisergebnisses oder dem Beweisgegner zur Beseitigung des vom Gegenteil gelieferten unvollständigen Beweises auferlegt wurde. Die deutsche Zivilprozessordnung (§ 475) macht in dieser Beziehung keinen Unterschied. Sie stellt es im wesentlichen in das Ermessen des Gerichts, ob es der einen oder der andern Partei einen richterlichen Eid auferlegen wolle. Die Zuschiebung (Delation) des Eides ist nach der deutschen Zivilprozessordnung (§ 445) nur über Tatsachen zulässig, die in Handlungen des Gegners, seiner Rechtsvorgänger oder Vertreter bestehen, oder Gegenstand der Wahrnehmung dieser Personen gewesen sind. Die Partei, der ein Eid zugeschoben wird (Delat), hat die Wahl, ob sie den Eid annehmen oder ihn zurückschieben (referieren) will. Schützt z. B. der verklagte Darlehnsschuldner die Einrede der Zahlung vor, und schiebt er dem klagenden Darlehnsgläubiger hierüber den Eid zu, so hat dieser Kläger die Wahl, ob er schwören will, dass Beklagter ihm die Schuld nicht bezahlt habe, oder ob er den Eid zurückschieben, d.h. den Beklagten schwören lassen will, dass er die Schuld bezahlt habe. Wenn die Partei, der der Eid zugeschoben ist, nicht aber die Gegenpartei über ihre eigne Handlung oder Wahrnehmung zu schwören haben würde, ist die Zurückschiebung des Eides nicht zulässig. Einem Dritten kann ein Eid nicht zugeschoben werden. Doch können diese Beschränkungen durch gerichtliche Anordnung in Hinwegfall kommen, wenn die Parteien in betreff des zu leistenden Eides einig sind und der Eid sich auf Tatsachen bezieht. Der frühere Unterschied zwischen Wahrheitseid und Glaubenseid, welch letzterer dahin ging, dass der Schwurpflichtige trotz sorgfältiger Nachforschung nicht anders wisse und glaube, als dass etc., besteht nicht mehr. Dafür wird jetzt zwischen Wissenseid und Überzeugungseid unterschieden. Der erstere wird dahin geleistet, »dass die Tatsache wahr oder nicht wahr sei«. Ist eine Tatsache vom Gegner des Schwurpflichtigen behauptet und kann dem letztern nach den Umständen nicht zugemutet werden, dass er die Wahrheit oder Nichtwahrheit derselben beschwöre, so kann das Gericht den Eid auf Antrag dahin fassen, »der Schwurpflichtige habe nach sorgfältiger Prüfung und Erkundigung die Überzeugung erlangt oder nicht erlangt, dass diese Tatsache wahr sei«. Auch über eigne Handlungen oder Wahrnehmungen des Schwurpflichtigen kann ein Überzeugungseid zugelassen werden, wenn nach den Umständen dem Schwurpflichtigen ein bestimmtes Wissen nicht oder nicht mehr zugemutet werden kann. Er hat dann zu schwören, »er habe nach sorgfältiger Prüfung und Erkundigung die Überzeugung erlangt, dass die Tatsache wahr oder nicht wahr sei«. Der richterliche Eid ist stets, der zugeschobene regelmäßig durch bedingtes Endurteil aufzuerlegen. Die Leistung des zugeschobenen Eides darf durch Beweisbeschluss (s. d.) auferlegt werden, wenn die Parteien über die Erheblichkeit und die Norm des Eides einverstanden sind oder dieser zur Erledigung eines Zwischenstreites dient. Durch Leistung des Eides wird voller Beweis der beschwornen Tatsache begründet; der Beweis des Gegenteils ist nur ausnahmsweise zulässig, wenn ein rechtskräftiges Urteil (s. d.) wegen Verletzung der Eidespflicht an gefochten werden könnte. Der Eidesleistung steht die Erlassung des Eides in ihren Wirkungen gleich. Die Eidesverweigerung hat zur Folge, dass das Gegenteil der zu beschwörenden Tatsache als voll bewiesen gilt. Nach der österreichischen Zivilprozessordnung (§ 371-389) ist die Eideszuschiebung durch die Vernehmung der Parteien ersetzt worden, die als Beweismittel gilt. Danach darf zuerst die unbeeidigte Vernehmung beider Parteien angeordnet werden; an sie kann sich aber die Beeidigung einer Partei anschließen. Die Maßregel hat sich anscheinend bewährt und wird auch in Deutschland vielfach empfohlen. Bis jetzt hatten diese Empfehlungen aber keinen Erfolg. Es kommen noch in Betracht: der Editionseid oder die eidliche Versicherung, dass man nicht im Besitz einer bestimmten Urkunde sei (s. Edition), der Offenbarungseid (s. d.), der Zeugeneid und der Eid der Sachverständigen (s. Zeuge und Sachverständige). Enger begrenzt ist die Anwendung des Eides im strafrechtlichen Verfahren, indem hier nur noch der Eid der Zeugen und Sachverständigen in Anbetracht kommt, während der Eid als Beweismittel, namentlich der sogen. Reinigungseid, zum Zweck des Beweises der Unschuld eines Angeschuldigten abgeschafft ist. Vgl. Hirzel, Der Eid, ein Beitrag zu seiner Geschichte (Leipz. 1902); Neukamp, Parteieid oder eidliche Parteivernehmung (in der Zeitschrift »Das Recht«, 1901, S. 38 ff.); Hubrich, Konfessioneller Eid oder religionslose Beteuerung? (Leipz. 1900)."

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21 Theiner

"Theiner, Augustin, gelehrter kath. Kanonist, geb. 11. April 1804 in Breslau, gest. 10. Aug. 1874, gab mit seinem Bruder Anton (s. unten) eine oppositionelle Schrift: »Die Einführung der erzwungenen Ehelosigkeit bei den christlichen Geistlichen« (Altenb. 1828, 2 Bde.; 2. Ausg. 1845; Neudruck mit Einleitung von Nippold, Barm. 1891-97, 3 Bde.), heraus, wurde aber 1853 in Rom für den Ultramontanismus gewonnen. Seit 1855 war er Präfekt des vatikanischen Archivs, verlor aber während des vatikanischen Konzils seine Stelle, da man ihm schuld gab, der Opposition Aktenstücke in die Hand gespielt zu haben. Außer einer Neuausgabe und Fortsetzung der Annalen des Baronius (s. d.) verfasste er viele Schriften kirchenrechtlichen und kirchengeschichtlichen Inhalts, z. B.: »Die neuesten Zustände der katholischen Kirche in Polen und Russland« (Augsb. 1841); »Geschichte der Zurückkehr der regierenden Häuser von Braunschweig und Sachsen in den Schoß der katholischen Kirche« (Einsiedeln 1843); »Die Staatskirche Russlands im Jahr 1839« (anonym, Schaffh. 1844); »Zustände der katholischen Kirche in Schlesien von 1740 bis 1758« (Regensb. 1852, 2 Bde.); »Über Ivos vermeintliches Dekret« (Mainz 1852); »Geschichte des Pontifikats Clemens' XIV.« (Leipz. u. Par. 1853, 2 Bde.); »Documents inédits relatifs aux affaires religieuses de la France« (Par. 1858, 2 Bde.); »Monumenta vetera historica Hungariam sacram illustrantia« (Rom 1859-60, 2 Bde.); »Vetera monumenta Poloniae et Lithuaniae gentiumque finitimarum historiam illustrantia« (das. 1860-64, 4 Bde.); »Codex diplomaticus dominii temporalis S. Sedis« (das. 1861-62, 3 Bde.); »Vetera monumenta Slavorum meridionalium historiam illustrantia« (Bd. 1, das. 1863); »Vetera monumenta Hibernorum et Scotorum historiam illustrantia« (das. 1864); »La souveraineté temporelle du Saint-Siège, jugée par les conciles généraux de Lyon, en 1245, de Constance, en 1414« (Bar le Duc 1867). Aus seinem Nachlaß erschien: »Acta genuina oecumenici concilii Tridentini« (Agram 1875, 2 Bde.).

Sein älterer Bruder, Joh. Anton, geb. 15. Dez. 1799 in Breslau, gest. daselbst 15. Mai 1860, war seit 1824 außerordentlicher Professor des Kirchenrechts daselbst, bis ihm die Regierung wegen seiner liberalen Tendenz und seiner Teilnahme an den Reformbestrebungen des Klerus die Vorlesungen untersagte; er wurde daher 1830 Pfarrer, trat 1845 zum Deutschkatholizismus über und war später Sekretär der Universitätsbibliothek in Breslau. Er schrieb unter anderm: »Das Seligkeitsdogma der katholischen Kirche« (Bresl. 1847)."

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22 Döllinger

"Döllinger, Johann Joseph Ignaz, berühmter katholischer Theolog, Sohn des vorigen, geb. 28. Febr. 1799 in Bamberg, gest. 10. Jan. 1890 in München, ward 1822 Kaplan in der Bamberger Diözese, 1823 Lehrer am Lyzeum zu Aschaffenburg, 1826 außerordentlicher und 1827 ordentlicher Professor der Kirchengeschichte und des Kirchenrechts in München. Zu dieser Würde traten mit der Zeit die eines Mitgliedes der Akademie der Wissenschaften (1838), Propstes zu St. Cajetan (1847) und Reichsrates (1868). Auch war er Mitglied der bayrischen Ständekammer seit 1845 und dann wieder seit 1849 sowie 1848 und 1849 Mitglied der Frankfurter Nationalversammlung. Für die durchaus ultramontane Tendenz, von der seine damalige Wirksamkeit geleitet war, sind unter seinen zahlreichen Schriften am bezeichnendsten: »Lehrbuch der Kirchengeschichte« (Regensb. 1836; 2. Aufl. 1843, 2 Bde.); »Die Reformation, ihre innere Entwickelung und ihre Wirkungen« (das. 1846-48, 3 Bde.; Bd. 1, 2. Aufl. 1851) und »Luther, eine Skizze« (Freiburg 1851, neuer Abdruck 1890). Aber seit seiner Romreise von 1857, seit dem italienischen Kriege von 1859 und noch mehr seit dem vatikanischen Konzil von 1870 trat ein Umschwung in Döllingers Überzeugungen ein, der sich zuerst 1861 in zwei zu München gehaltenen Vorträgen offenbarte, in denen die Möglichkeit einer völligen Aufhebung der weltlichen Gewalt des Papstes dargelegt war. Schon jetzt stark angefeindet, unterwarf er sich zwar und zog in der Schrift »Kirche und Kirchen, Papsttum und Kirchenstaat« (Münch. 1861) noch einmal gegen den Protestantismus zu Felde, nachdem schon gründliche wissenschaftliche Leistungen in seinen Schriften: »Hippolytus und Kallistus« (Regensb. 1853), »Heidentum und Judentum, Vorhalle zur Geschichte des Christentums« (das. 1857), »Christentum und Kirche in der Zeit der Grundlegung« (das. 1860, 2. Aufl. 1868) erschienen waren. Einen neuen Schritt vorwärts tat er aber 1863, als er auf der Versammlung katholischer Gelehrten in München eine Rede über »Vergangenheit und Gegenwart der katholischen Theologie« (Regensb. 1863) hielt und bald darauf sein Werk »Die Papstfabeln des Mittelalters« (Münch. 1863; 2. Aufl., Stuttg. 1890) erscheinen ließ. Eine scharfe Kritik des Syllabus und auch der bereits in der Luft liegenden Unfehlbarkeitslehre enthielt das von ihm und seinen Kollegen Friedrich und Huber ausgearbeitete Buch »Janus« (Leipz. 1869; 2. Aufl. u. d. T.: »Das Papsttum«, Münch. 1891). Während des Konzils erhob er von München aus in zwei Gutachten vergeblich seine warnende Stimme gegen die Verkündigung der päpstlichen Unfehlbarkeit und gab das Signal zur Entstehung des Altkatholizismus (s. d.). Dieser nahm nun freilich schon auf seinem ersten Kongress zu München durch sein Vorgehen zu selbständiger Gemeindebildung (23. Sept. 1871) eine Wendung, in deren Folge Döllinger, der bloß den Standpunkt der Notwehr innerhalb der alten Verfassung einzuhalten gedachte, sich nicht mehr persönlich an der Weiterentwickelung der Sache beteiligte. Wie wenig aber damit ein Rückschritt in der Richtung nach Rom verbunden und beabsichtigt war, zeigten gleich 1872 seine Vorträge über »Die Wiedervereinigung der christlichen Kirche«, ein wahrhaft versöhnender Abschluss der hochbedeutenden und in vieler Beziehung tragischen Wirksamkeit Döllingers, dem um diese Zeit die Universitäten zu Wien, Marburg, Oxford und Edinburg den juristischen und philosophischen Doktorhut verliehen, während die zu München ihn zum Rektor wählte. Als Frucht seiner gelehrten Muße erschienen noch: »Ungedruckte Berichte und Tagebücher« (Nördlingen 1876, 2 Tle.) mit der Fortsetzung »Briefe und Erklärungen über die vatikanischen Dekrete« (Münch. 1890); »Akademische Vorträge« (Nördling. 1888-91, 3 Bde.; 1. Bd. in 2. Aufl. 1890); »Geschichte der Moralstreitigkeiten in der römisch-katholischen Kirche seit dem 16. Jahrhundert« (mit Reusch, das. 1888, 2 Bde.); »Beiträge zur Sektengeschichte« (Münch. 1889); die »Selbstbiographie des Kardinals Bellarmin« (mit Reusch, Bonn 1886). »Kleinere Schriften« von ihm gab Reusch heraus (Stuttg. 1890). Vgl. Luise v. Kobell, Ignaz v. Döllinger, Erinnerungen (Münch. 1891); Friedrich, Ignaz v. Döllinger (das. 1899-1901, 3 Bde.)."

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23 Preger

"Preger, Wilhelm, prot. Theolog, geb. 25. Aug. 1827 in Schweinfurt, gest. 30. Jan. 1896 in München, wurde 1850 in das protestantische Predigerseminar nach München berufen, wurde dort 1851 Professor an den Gymnasien und 1875 Mitglied der Akademie der Wissenschaften. Er schrieb: »Matthias Flacius Illyricus und seine Zeit« (Erlang. 1859-61, 2 Bde.); »Lehrbuch der bayrischen Geschichte« (das. 1864; 13. Aufl., Leipz. 1894); »Die Briefe Heinrich Susos« (Leipz. 1867); »Dantes Matelda« (Münch. 1873); »Das Evangelium aeternum und Joachim von Floris« (das. 1874); »Geschichte der deutschen Mystik im Mittelalter« (Leipz. 1874-93, 3 Bde.); »Beiträge zur Geschichte der Waldesier« (Münch. 1875); »Der Traktat des David von Augsburg über die Waldesier« (das. 1878); »Der kirchenpolitische Kampf unter Ludwig dem Bayer« (das. 1877, Nachtrag 1882); »Beiträge und Erörterungen zur Geschichte des Deutschen Reichs in den Jahren 1330-1334« (das. 1880); »Die Verträge Ludwigs des Bayern mit Friedrich dem Schönen« (das. 1883); »Die Politik des Papstes Johann XXII.« (das. 1885); »Über das Verhältnis der Taboriten zu den Waldesiern« (das. 1887); »Über die Verfassung der französischen Waldesier in der ältern Zeit« (Münch. 1890) und gab »Luthers Tischreden aus den Jahren 1531 und 1532« heraus (Leipz. 1888)."

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24 Canossa


Abb.: Lage von Canossa (©MS Encarta)

"Canossa, verfallene, auf steilem Felsen gelegene Burg in der ital. Provinz Reggio nell' Emilia, gehörte einem Geschlechte, das im 11. Jahrh. in den Besitz der Mark Tuscien gelangte, und wurde berühmt durch die Buße des Kaisers Heinrich IV. vor Papst Gregor VII., der sich dorthin zur Markgräfin Mathilde begeben hatte. 25.-28. Jan. 1077. Nach dem Tode der Mathilde teilte Canossa die Geschicke ihrer Erbschaft; das dort hausende Adelsgeschlecht kam also im 13. Jahrh. unter päpstliche Lehnshoheit. 1255 wurde die Burg von den Bürgern von Reggio zerstört. Vgl. Ferretti, Canossa; studi e ricerche (2. Aufl., Turin 1884).

Bismarcks Ausspruch im Reichstag 14. Mai 1872: »Nach Canossa gehen wir nicht!« wurde zum geflügelten Wort."

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25 Maistre

"Maistre (spr. mästr' oder mätr'), Joseph Marie, Graf de, franz. staatsphilosophischer Schriftsteller, einer der namhaftesten Vertreter des kirchlichen Absolutismus, geb. 1. April 1754 in Chambéry, gest. 26. Febr. 1821 in Turin, war seit 1788 piemontesischer Senator, wanderte aber nach der Besitznahme Savoyens durch die Franzosen 1792 aus, kehrte später ins Königreich Sardinien zurück und ward 1803 Gesandter in Petersburg. Da er mit den Jesuiten in enger Verbindung stand, musste er, als diese 1817 aus Russland verwiesen wurden, seinen Posten in Petersburg aufgeben, trat aber dafür zu Turin ins Ministerium ein und ward Vorsteher der Großkanzlei. In seinen Schriften: »Considérations sur la France« (Lond. 1796), »Essai sur le principe générateur des constitutions politiques« (Petersb. 1810) und »Du pape« (Lyon 1819, 2 Bde.; neue Ausg., Tours 1891) erklärt er für das einzige Heilmittel aller Übelstände die Zurückführung der Völker unter die alte Zucht und die alten Institutionen des mittelalterlichen päpstlichen Christentums. Noch sind von seinen Werken zu erwähnen: »De l'Eglise gallicane« (Par. 1821), »Les soirées de St-Pétersbourg« (das. 1821, 2 Bde.; neue Ausg. 1888, 2 Bde.) und sein nachgelassenes »Examen de la philosophie de Bacon« (das. 1836, 2 Bde.). Aus seinen hinterlassenen Manuskripten veröffentlichte sein Sohn, Graf Rodolphe de Maistre: »Lettres et opuscules inédits«, mit Biographie (Brüssel 1851, 2 Bde.; 2. Aufl. 1861). Maistres »Correspondance diplomatique« gab Alb. Blanc (Par. 1860, 2 Bde.), seine »OEuvres inédites« Graf Charles de Maistre (das. 1870) heraus. Neue Ausgaben seiner wiederholt ausgelegten Schriften erschienen Lyon 1864 und 1875, seiner »OEuvres posthumes« und der »Correspondance« daselbst 1883-87 in 14 Bänden. Vgl. Sybel in der »Historischen Zeitschrift«, Band 1 (Münch. 1859); J. C. Glaser, Graf Joseph de Maistre (Berl. 1865); R. Février, Étude sur Jos. de Maistre, theocrate catholique (Genf 1877); Margerie, Le comte Joseph de Maistre (Par. 1883); Lescure, Le comte J. de Maistre et sa famille (das. 1893); Paulhan, J. de Maistre, sa philosophie (1883); Descostes, J. de Maistre avant la Révolution (1893, 2 Bde.) und J. de Maistre pendant la Révolution, etc. (1895); Cogordan, Joseph de Maistre (1894); Mandoul, Maistre et la politique de la maison de Savoie (1900); Grasset, Joseph de Maistre (1901); Descostes, Joseph de Maistre inconnu (1904)."

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26 Haffner

"Haffner, Paul Leopold, kath. Theolog und Bischof, geb. 21. Jan. 1829 zu Horb (Württemberg), gest. 2. Nov. 1899 in Mainz, wurde 1852 Priester und Repetent am Wilhelmsstift in Tübingen, 1855 Professor der Philosophie am theologischen Seminar in Mainz, 1866 Domkapitular, 1886 Bischof. Haffner war ein eifriger Verfechter des Ultramontanismus in Schrift und Wort, Hauptsprecher auf den Katholikentagen, Mitbegründer der Görres-Gesellschaft, des katholischen Broschürenvereins und Herausgeber der »Frankfurter zeitgemäßen Broschüren«, zu denen er selbst mehrere seinen Standpunkt bezeichnende Beiträge lieferte (»Goethes Faust als Wahrzeichen moderner Kultur«, 1879; »Ida Gräfin Hahn-Hahn«, 1880; »Goethes Dichtungen auf sittlichen Gehalt geprüft«, 1881; »Voltaire und seine Epigonen«, 1884, u. a.; gesammelt 1887). Von seinen übrigen Schriften sind anzuführen: »Die deutsche Aufklärung« (3. Aufl., Mainz 1864); »Der Materialismus in der Kulturgeschichte« (das. 1865); »Eine Studie über G. E. Lessing« (u. Aufl., Köln 1878); »Grundlinien der Philosophie« (Mainz 1881-84, 2 Bde.). Unter dem Pseudonym E. P. schrieb er: »Mainz im Jahre 1863, in Briefen skizziert« (Aach. 1863), unter dem Pseudonym Arnim von Miuranov: »Der Versuch eines Dilettanten. Vertrauliche Briefe an Grafen Harry v. Arnim« (Frankf. 1879) und »Wie machen wir's, dass wir kommen in Abrahams Schoß? neue Briefe etc.« (das. 1879)."

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27 Mathildis

"Mathilde, Markgräfin von Tuscien, die Freundin Gregors VII., geb. 1046, gest. 24. Juli 1115, war eine Tochter des Markgrafen Bonifatius von Tuscien und der Beatrix von Lothringen. Sie ging mit Gottfried dem Buckligen, einem Sohn erster Ehe ihres Stiefvaters, des Herzogs Gottfried von Lothringen, eine Ehe ein, trennte sich aber schon nach wenigen Jahren 1071 von ihm und lebte von da an stets in ihren italienischen Besitzungen. Den ihr allgemein gegebenen Namen der großen Gräfin verdankt sie ebenso ihrer Macht wie ihren glänzenden Geistesgaben und ihrer hohen Bildung. Sie beherrschte die Markgrafschaft Tuscien, die Grafschaften Brescia, Modena, Reggio, Mantua, Ferrara und besaß in diesen sowie in andern Landschaften Ober- und Mittelitaliens ausgedehnte Güter, die teils Reichslehen, teils Allodien waren. Mit wärmster Verehrung schloss sie sich an den Papst Gregor VII. an, was schon der Mitwelt Anlass zu unbegründeten Verdächtigungen gab, und setzte alle ihre Kräfte daran, dessen hierarchische Pläne verwirklichen zu helfen. 1077 gewährte sie dem Papst auf ihrem Schloss Canossa eine Zuflucht und stand auch während des zweiten Zuges Heinrichs IV. nach Italien treu zu ihm, wofür Heinrich sie 1081 ächtete. Nach Gregors Tode (1085) hielt sie zu Victor III. und Urban II., ging sogar im Interesse der Kirche 1089 mit Welf, dem 17jährigen Sohn des gleichnamigen Herzogs von Bayern, eine Scheinehe ein und leistete Heinrich, der 1090 zum drittenmal über die Alpen zog, hartnäckigen und erfolgreichen Widerstand. Schon bei Lebzeiten Gregors VII. hatte M. ihr gesamtes Eigentum der römischen Kirche geschenkt und diese Schenkung 1102 wiederholt, doch in der Weise, dass Rom nur ein Obereigentumsrecht erhielt, Mathilde aber den Besitz und das freie Verfügungsrecht über ihre Güter unter Lebenden und für den Todesfall behielt. Von diesem scheint sie 1111 zugunsten Heinrichs V. Gebrauch gemacht zu haben; nach ihrem Tod aber entstand zwischen Papsttum und Kaisertum ein heftiger, sich lange hinziehender Streit um die Mathildische Erbschaft."

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27a Paternoster: Vaterunser

28 Bonifaz VIII.

"Bonifatius VIII. (Bonifacius), vorher Benedikt Gaetani, geb. um 1235 in Anagni, rechtsgelehrt und geschäftskundig, seit 1281 Kardinal, ward 14. Dez. 1294 zum Papst gewählt. Sein leidenschaftlich verfolgtes Ziel war, die päpstliche Gewalt zur höchsten auf Erden zu erheben und ihr auch alle weltlichen Herrscher untertan zu machen. Mit den Kardinälen aus der Familie Colonna in Zwist geraten, ächtete er ihr ganzes Geschlecht. Er beanspruchte ein Verfügungsrecht über die Kronen von Ungarn, Polen, Sizilien und belehnte den König Jakob von Aragon mit Korsika und Sardinien. Den Königen von Frankreich und England gebot er Frieden, die deutsche Königswahl wollte er von seiner Approbation unbedingt abhängig machen und verweigerte daher Albrecht I. die Anerkennung, bis dieser sich 1303 zu demütigem Gehorsam eidlich verpflichtete. In der Bulle Unam sanctam vom 18. Nov. 1302 erklärte Bonifatius den Papst für den Inhaber der obersten geistlichen und weltlichen Gewalt, dem jede menschliche Kreatur um ihres Heiles willen untertänig sein müsse. Mit Philipp IV. von Frankreich geriet er in Streit, weil er in den Bullen Clericis laïcos (1296) und Ausculta fili (1301) die Besteuerung des französischen Klerus verboten und die oberstrichterliche Gewalt über den König beansprucht hatte. Als der König mit Unterstützung seiner Stände den Kampf aufnahm und den Papst 1303 auf einer Notabelnversammlung der Ketzerei und Simonie anklagte, antwortete Bonifatius mit dem Bann. Allein 7. Sept. d. I. wurde Bonifatius in Anagni durch den französischen Kanzler Nogaret, den Philipp nach Italien schickte, mit Hilfe der Colonna gefangen genommen. Zwar ward er 9. Sept. durch das Volk befreit und gelangte 18. Sept. nach Rom, starb aber schon 12. Okt. 1303 an einem alten Steinleiden. Bonifatius veranstaltete das erste römische Jubeljahr 1300 mit vollkommenem Ablass für alle Besucher Roms. Dante hatte ihm als Simonisten einen Platz in der Hölle angewiesen. "

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

29 Urban II.

"Urban II., 1088-99, vorher Otto, geb. um 1040 in der Nähe von Châtillon-sur-Marne aus adligem Geschlecht, gest. 29. Juli 1099, erzogen in Reims, trat 1071 in das Kloster Cluny, wurde 1078 zum Kardinalbischof von Ostia ernannt und 12. März 1088 zum Papst gewählt. Er setzte die Politik Gregors VII. im Investiturstreit fort, erneuerte den Bann über den Gegenpapst Clemens III. und den Kaiser Heinrich IV. und reizte dessen Sohn Konrad zur Empörung; auch tat er Philipp I. von Frankreich (1095) in den Bann, von dem ec ihn indes 1096 wieder löste. Er bemächtigte sich mit Klugheit und Einsicht der großen Bewegung für Befreiung des Gelobten Landes und rief 1095 auf den Kirchenversammlungen zu Piacenza und Clermont Fürsten und Völker zur Teilnahme am ersten Kreuzzug auf."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

30 Friedrich Barbarossa

"Friedrich I., Barbarossa, »der Rotbart«, als Herzog von Schwaben (seit 1147) Friedrich III., geb. um 1123, gest. 10. Juni 1190, Sohn Herzog Friedrichs II., des Einäugigen, von Schwaben, Bruders von König Konrad III., und Judiths, einer Schwester des Welfen Heinrich des Stolzen, nahm, seiner Abstammung entsprechend, in Konrads III. Streit mit den Welfen eine vermittelnde Stellung ein und bewährte sich, auf dem unglücklichen Kreuzzug Konrads III. (1147-49) in Kleinasien als tüchtiger Feldherr. 1149 eilte er Konrad voraus nach Deutschland, stellte die durch die Welfen gestörte Ruhe wieder her, vermittelte aber einen Konrads Absichten nicht entsprechenden für sie noch günstigen Frieden und hielt sich auch von dem letzten, kläglich endenden Kampfe Konrads gegen Heinrich den Löwen (s.d.) fern. In der Erkenntnis von der Notwendigkeit eines dauernden Friedens empfahl Konrad III. selbst sterbend Friedrich zum Nachfolger. Am 5. März 1152 wurde Friedrich von den Fürsten in Frankfurt a. M. zum deutschen König gewählt und 9. März in Aachen gekrönt. Sein Ziel war die Begründung einer starken Kaisermacht. Im reichen Italien hoffte er die Mittel dazu zu erlangen und unternahm schon im Herbst 1154 seinen ersten Römerzug, hielt auf den Ronkalischen Gefilden Gericht und Heerschau und ließ sich 1155 in Pavia mit der lombardischen und in Rom 18. Juni von Hadrian IV. mit der Kaiserkrone krönen, nachdem er dem Papste den Reformprediger Arnold von Brescia zum Feuertod ausgeliefert hatte. Nach seiner Rückkehr nach Deutschland schlichtete er 1156 den Streit über das Herzogtum Bayern, das Heinrich der Löwe verkleinert zurückerhielt, nachdem das neue Herzogtum Österreich abgetrennt worden war. Nach Herstellung des Friedens zog Friedrich im Frühjahr 1158 mit einem stattlichen Heer wieder nach Italien, wo sich seine Gegner, vom Papst unterstützt, an das mächtige Mailand anschlossen. Nach vierwöchiger Belagerung ergab sich Mailand im September 1158, und eine große Versammlung der italienischen Großen auf den Ronkalischen Feldern beschloss die volle Herstellung aller einst den römischen Imperatoren zustehenden Rechte. Als die Durchführung dieses Beschlusses die Freiheit der Städte zu vernichten drohte, griffen diese, voran wieder Mailand, zu den Waffen. Deshalb zerstörte Friedrich im Winter 1159-60 Crema und hielt dann ein Konzil zu Pavia, wo er den ungesetzlich erwählten Viktor IV. als Papst anerkannte, den tatkräftigen und begabten, aber hierarchischen Alexander III. dagegen verwarf: seitdem fiel Friedrichs Kampf gegen die Lombarden und gegen die Hierarchie zusammen. Nach zweijähriger Belagerung wurde 1162 Mailand bezwungen, seine Einwohnerschaft zerstreut angesiedelt, die Stadt ihren lombardischen Gegnern zur Zerstörung preisgegeben. Alle Städte beugten sich und nahmen die von Friedrich ihnen gesetzten Podestàs (Statthalter) auf. Friedrich kehrte nach Deutschland zurück, belehnte König Waldemar mit Dänemark, vermochte aber die wachsende Anerkennung Alexanders III. nicht zu hindern, selbst als er auf dem Reichstag zu Würzburg 1165 die Fürsten zur Anerkennung des nach Viktors IV. Tod neugewählten Gegenpapstes Paschalis III. genötigt hatte. Zur Abschüttelung der strengen deutschen Herrschaft entstand im Osten Oberitaliens unter Leitung Veronas und Paduas ein Bund. Zu dessen Bezwingung sowie um den aus Frankreich nach Rom zurückgekehrten Alexander III. zu stürzen und die Anerkennung des Gegenpapstes zu erzwingen, zog Friedrich 1166 zum drittenmal mit Heeresmacht nach Italien, belagerte das von den Griechen und den dem Papste verbündeten Normannen aufgereizte Ancona vergeblich, zog dann vor Rom, erstürmte 1167 die Leostadt und die brennende Peterskirche und ließ seine Gemahlin dort durch Paschalis III. krönen. Schon hatten nach Alexanders III. Flucht die Römer sich unterworfen, als eine furchtbare Pest (August 1167) ausbrach und Friedrich mit seinem zusammenschwindenden Heere zu schleunigster Flucht nötigte. Nun brach der Aufstand auch in der Lombardei offen aus. Unter großen Gefahren entkam Friedrich nach Burgund, fand aber auch in Deutschland traurige Zustände: die sächsischen Fürsten standen in offenem Kampfe gegen den übermächtigen Heinrich den Löwen, der Landfriede war überall gestört. Mit Nachdruck stellte Friedrich die Ordnung wieder her, ergriff aber, um dem dritten Gegenpapst, Calixtus III., Anerkennung zu verschaffen, zu den äußersten Gewaltmaßregeln, unter denen namentlich die zu Alexander III. haltenden Gebiete von Salzburg, Österreich und Böhmen schwer litten, und drang dennoch nicht durch. Erst 1174 konnte Friedrich wieder nach Italien ziehen, wo inzwischen ein großer lombardischer Städtebund gebildet, Mailand wiederhergestellt und der Anhang Friedrichs zum Anschluss an seine Feinde gezwungen worden war. Alessandria, die Bundesfestung der Lombarden, wurde belagert, aber bei Annäherung eines Entsatzheeres freigegeben. Friedrich forderte Verstärkungen aus Deutschland; Heinrich der Löwe verweigerte jede Hilfe, und selbst Friedrichs persönliche Bitte auf einer Zusammenkunft im März 1176 blieb erfolglos (der Fußfall Friedrichs gehört in die Sage). Am 29. Mai 1176 von den Lombarden bei Legnano völlig geschlagen, entschloss sich Friedrich auf Andringen der geistlichen Fürsten Deutschlands zu Verhandlungen mit Alexander III., die aber, da dieser nicht ohne seine lombardischen Bundesgenossen handeln wollte, erst 1. Aug. 1177 in Venedig zum Frieden führten: Alexander ward anerkannt und ein sechsjähriger Waffenstillstand mit den in ihren Rechten gelassenen lombardischen Städten vereinbart. Auf derselben Grundlage kam 1183 zu Konstanz der endgültige Friede mit ihnen zustande. Auf der Rückkehr nach Deutschland ließ sich Friedrich zum König von Burgund krönen, ächtete den treubrüchigen Heinrich den Löwen, der mit seinen Vasallen in Sachsen in erbittertem Kampfe lag, besiegte ihn 1180 und 1181 mühelos, teilte wie vorher Bayern so nun auch das Herzogtum Sachsen und ließ Westfalen an das Erzbistum Köln, Ostsachsen an Bernhard von Anhalt gelangen; Braunschweig und Lüneburg blieben dem Welfen. Friedrichs Macht stand glänzender da als zuvor: festlich wurde Pfingsten 1184 zu Mainz die »Schwertleite« seiner beiden ältesten Söhne, König Heinrichs (seit 1169) und Friedrichs, gefeiert. Wegen der endgültigen Entscheidung über die streitigen Mathildischen Güter, die Friedrich 1177 behalten hatte, und über seinen Plan, seinen Sohn Heinrich noch bei seinen Lebzeiten zum Kaiser gekrönt zu sehen, zerfiel Friedrich noch einmal mit der Kurie, siegte aber, durch die Lombarden und die deutschen Bischöfe unterstützt, und vermählte 1186 zu Mailand seinen Sohn Heinrich mit Konstanze, der Erbin des Normannenreichs in Unteritalien und Sizilien. Als erster Fürst der Christenheit geehrt, wollte Friedrich auch den Pflichten eines solchen nachkommen, nahm 1188 das Kreuz und rüstete zum Zug zur Befreiung Jerusalems. Im Mai 1189 brach er von Regensburg mit einem glänzenden Heer auf, zog durch Ungarn, Serbien und Griechenland, Verrat und Feindschaft durch Strenge vergeltend, und betrat, von Gallipoli aus übersetzend, 29. März 1190 den Boden Asiens. Unter furchtbaren Entbehrungen und großen Verlusten erreichte das Heer Ikonion, besiegte hier die feindliche Übermacht (18. Mai) und kam ungefährdet in das christliche Armenien. Den Taurus übersteigend, wendete sich das Heer südwärts nach Seleske (Seleukia), aber Friedrich ging, um den Weg abzukürzen, 10. Juni 1190 direkt in das Tal des Kalykadnos (des heutigen Göksu) hinab. Bei der Mittagsrast am Flusse suchte er trotz der Warnungen seiner Begleitung Erquickung in einem Bad, aber von einem Schlagfluss gelähmt, ward er von den Wellen weggerissen und als Leiche aus dem Fluss gezogen. Friedrichs Herz und Eingeweide wurden in Tarsos, das von den Gebeinen gelöste Fleisch in Antiochia, die Gebeine wahrscheinlich in Tyrus bestattet. In Deutschland erregte die Kunde allgemeine Trauer, in den spätern Zeiten der Ohnmacht Deutschlands galt Friedrich als der mächtigste Herrscher des Reiches; daher wurde die eigentlich seinen Enkel Friedrich II. betreffende Sage, er sei gar nicht gestorben, auf ihn übertragen (Rückerts Gedicht). Er schläft nur, so heißt es, im Untersberg bei Salzburg oder in dem Kyffhäuser in Thüringen, um, wenn es nottut, zu künftiger Rettung Deutschlands wieder aufzustehen. Unterdes wächst der rote Bart durch den Tisch von Stein, und von Zeit zu Zeit bewegt der Kaiser das blonde Haupt, um zu vernehmen, ob die Raben noch um den Berg kreisen oder die Stunde des Erwachens für ihn erschienen sei und das goldene Zeitalter für Deutschland beginnen solle. In seinem Äußern schildern die Zeitgenossen Friedrich als von frischer, weiß und roter Gesichtsfarbe, mit blondem, ins Rötliche spielendem, lockigem Haar und Bart, klarem und lebhaftem Blick, kräftigen und schnellen Bewegungen, von heiterm Gesichtsausdruck, den fast stets ein Lächeln umschwebte. In Friedrich lebte ein frischer und männlicher Geist. Scharfsinn, Entschlossenheit, Leutseligkeit und Freigebigkeit, ein edles Streben nach Ruhm werden ihm nachgerühmt. Aber auch unerbittliche Strenge und, gereizt, sich zur Grausamkeit verirrende Härte waren ihm eigen."

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31 Friedrich II.

"Friedrich II., geb. 26. Dez. 1194 in Jesi in der Mark Ancona, gest. 13. Dez. 1250 in Fiorentino, Enkel des vorigen, Sohn des Kaisers Heinrich VI. und der Konstanze von Neapel, als König von Sizilien Friedrich I. genannt, wurde, noch ungetauft, von den deutschen Fürsten zum dereinstigen Nachfolger seines Vaters ernannt und schon im 3. Lebensjahr durch den Tod seines Vaters (28. Sept. 1197) Erbe der Krone von Sizilien. In kurzem auch seiner Mutter beraubt, die ohnmächtig unter den aufständischen Großen die Vormundschaft über ihn dem Papst Innozenz III., den sie als ihren Lehnsherrn anerkannte, übertragen hatte, verlebte Friedrich in Palermo eine überaus klägliche Jugend; aber frühzeitig wurde er Meister seines Willens und seiner vielseitigen Begabung. Im 14. Jahr erklärte ihn der Papst für mündig und vermählte ihn bald nachher mit der zehn Jahre ältern Konstanze, der Tochter des Königs Alfons von Aragonien, der kinderlosen Witwe des Königs Emmerich von Ungarn. Als nun der Kaiser Otto IV. nach dem Tode seines Gegners Philipp von Schwaben mit dem Papst zerfiel, schlug dieser 1210 den deutschen Fürsten den jungen Friedrich als zu erwählenden Herrscher vor. Er erhielt 1211 die Einladung, nach Deutschland zu kommen, um die Königskrone zu empfangen. Vom Geist seines Ahnen Barbarossa ergriffen, folgte er, nachdem er seinen erstgebornen Sohn, Heinrich, zum König von Sizilien hatte krönen lassen, dem Ruf, leistete Innozenz in Rom noch einmal den Lehnseid und brach in Begleitung eines päpstlichen Legaten und weniger Großen Siziliens zur See über Genua nach der Lombardei auf, sein väterliches Reich zu erobern. Glücklich gelangte er 1212 über die Alpen, gewann seinem Gegner Konstanz ab, dann auch Breisach, den Schlüssel des Reiches, worauf ihm ganz Schwaben, ja die meisten deutschen Fürsten und Städte zufielen. Friedrich schloss ein Bündnis mit König Philipp August von Frankreich gegen Otto, trieb diesen den Rhein hinab und ließ sich 1215 in Aachen krönen. Aus Dankbarkeit für die von Friedrich leichtsinnig gewährten Hoheitsrechte erwählten die Reichsfürsten seinen jungen Sohn, Heinrich, der schon im Sommer 1216 mit seiner Mutter nach Deutschland gekommen war, im April 1220 kurz vor Friedrichs Ausbruch nach Italien in Frankfurt zum römischen König. Der Nachfolger Innozenz' III., der friedliebende Honorius III., erkannte, wenn auch widerwillig, die Personalunion des Reiches und Siziliens an und setzte Friedrich 22. Nov. 1220 in Rom die Kaiserkrone auf. Friedrich kam den Wünschen der Kirche durch Erlassung strenger Gesetze gegen die Ketzer und gegen die in den städtischen Kommunen zum Nachteil der Kirche erlassenen Statuten sowie durch Erneuerung des Kreuzzugsgelübdes entgegen. Im August 1221 sollte er nach dem Orient aufbrechen. Bis dahin musste aber im Königreich Sizilien Ordnung hergestellt werden, und mit Einsicht und rücksichtsloser Machtentwickelung ging Friedrich, auch der Geistlichkeit gegenüber, an die Restitution der königlichen Rechte: die widerspenstigen Großen mussten sich beugen; nur die Unterwerfung der Sarazenen war in so kurzer Zeit nicht durchzusetzen. Wiederholt schob Honorius, der wohl wusste, dass eine Eroberung Jerusalems nur mit Hilfe des Kaisers möglich war, den Kreuzzug, zuletzt im Juli 1225, auf weitere zwei Jahre hinaus. Um Friedrich, der übrigens umfangreiche Rüstungen vornahm, auf das engste an die päpstlichen Interessen im Orient zu fesseln, vermählte er ihn mit Jolante, der Tochter Johanns von Brienne, Königs von Jerusalem. Nach Verlauf der zwei Jahre war durch die Verpflanzung der Sarazenen nach der Stadt Luceria in der Landschaft Capitanata in Sizilien Friede geschaffen, aber noch immer trotzten die Lombarden. Als sie Friedrich zum Reichstag nach Cremona berief, blieben die Mailänder mit ihren Anhängern aus, erneuerten 6. März, im ganzen 15 Städte, den alten Lombardenbund und wurden, obwohl geächtet, durch Honorius' Vermittelung mit Friedrich versöhnt, doch so, dass zwar die Rechte der Kirche, nicht aber die des Reiches gewahrt waren. Nun schiffte sich der Kaiser 1227 in Brindisi nach Palästina ein, kehrte aber, da auf der See eine Krankheit unter den Kreuzfahrern ausbrach, an der Friedrich selbst erkrankte, wieder um. Obwohl von Honorius' Nachfolger, dem leidenschaftlichen Gregor IX., deshalb gebannt, erfüllte Friedrich sein Gelübde und trat im Juni 1223 den Kreuzzug an. Aber der unversöhnliche Papst betrieb unterdessen in Deutschland den Sturz der staufischen Dynastie u. die Wahl eines Gegenkönigs u. eroberte das Königreich Neapel. Selbst in Palästina von den Päpstlichen verfolgt, bewog Friedrich den Sultan Alkâmil zu einem für die Christen höchst vorteilhaften zehnjährigen Vertrag, brach, nachdem er sich in Jerusalem in der Grabeskirche 18. März 1229 selbst die Krone auf das Haupt gesetzt hatte, nach Italien auf, eroberte sein Königreich zurück und zwang Gregor im August 1230 zum Frieden von San Germano. Doch die königliche Macht, deren Befestigung der Kaiser nunmehr in seinem Erbreich Sizilien mit Energie betrieb, blieb für die römische Kirche dauernd ein Stein des Anstoßes. Die ganze staatliche, wirtschaftliche und militärische Neuorganisation des Königreichs im Sinne des aufgeklärten Absolutismus erhielt ihren Ausdruck durch ein neues Gesetzbuch, die sizilischen Konstitutionen, woran neben dem Kaiser der Erzbischof Jakob von Capua und der Großhofrichter Peter de Vinea mitarbeiteten. Trotz des päpstlichen Zornes wurden diese Gesetze im August 1231 zu Melfi publiziert. Auf den 1. Nov. schrieb Friedrich dann einen Reichstag nach Ravenna aus, worauf die feindlichen Kommunen in der Lombardei den Lombardenbund erneuerten und sich mit Friedrichs eignem Sohn Heinrich, der bisher in Deutschland vieles zur Unzufriedenheit des Vaters unternommen hatte und 1235 zum offenen Aufstand überging, verbanden. Friedrich erschien ohne Heer in Deutschland, Fürsten und Städte schlossen sich ihm an; Heinrich musste sich demütigen und wurde über die Alpen geschickt, wo er 1242 zu Martorano starb. Friedrich verheiratete sich 1235, seit 1227 zum zweitenmal verwitwet, mit Isabella, der Schwester König Heinrichs III. von England. Dann hielt er einen glänzenden Reichstag zu Mainz, übergab daselbst dem einzigen Nachkommen Heinrichs des Löwen, Otto, seine Stammländer als Herzogtum, endete so den langen Streit zwischen Hohenstaufen und Welfen und sicherte sich Schwaben und andres Erbgut. Hierauf wurden die Rechte der Fürsten bestätigt und ein allgemeiner Landfriede in deutscher Sprache bekannt gemacht. Huldigend erschienen die Stände von Arelat und Burgund. Friedrich stand auf der Höhe seines Glückes. 1236 entriss er dem widerspenstigen Herzog Friedrich dem Streitbaren Österreich und Steiermark und nahm diese Herzogtümer in eigne Verwaltung. Nachdem nach sein zweiter Sohn, Konrad, zum römischen Könige gewählt war, brach Friedrich mit einem stattlichen Heer nach der Lombardei auf und besiegte 27. Nov. 1237 die Mailänder bei Cortenuova; nun zogen sich aber die Lombarden hinter die Mauern ihrer schwer einnehmbaren Städte zurück, ermutigt durch die missglückte Belagerung von Brescia. Als Friedrich seinen natürlichen Sohn Enzio mit einer sardinischen Fürstin vermählte und, trotz des Widerspruchs des Papstes, als König von Sardinien ausrufen ließ, traf ihn ein neuer Bannfluch (20. März 1239). Gregor begann den Vernichtungskampf mit einer Denkschrift voll der schwersten und ungerechtesten Anklagen zum Beweis der Ketzerei des Kaisers, wogegen dieser in einer Verteidigungsschrift protestierte und die Hilfe aller christlichen Fürsten anrief. Zugleich betrieb Gregor im Deutschen Reich die Erhebung eines Gegenkönigs, der sich aber nirgends finden wollte, und rief die sizilischen Großen zur Empörung auf. Friedrich brach indessen in den Kirchenstaat ein, den er 1240 bis auf Rom eroberte, und 3. Mai 1241 siegte Friedrichs Flotte unter König Enzio in der Nähe der Insel Monte Cristo über die genuesische, auf der sich die von Gregor zu einem Konzil nach Rom berufenen, dem Kaiser feindlichen Prälaten Frankreichs und Spaniens befanden. Nachdem 21. Aug. 1241 Gregor IX. gestorben, schien die erst zwei Jahre danach erfolgende Wahl des Friedrich befreundeten Innozenz IV. die wilden Parteikämpfe zu beenden, doch scheiterten die Unterhandlungen zwischen Papst und Kaiser, in denen dieser vor allem die Lösung vom Bann verlangte. Innozenz floh 1244 über Genua nach Lyon, berief eine große Kirchenversammlung (1245), forderte des Kaisers persönliches Erscheinen, um sich von der Anklage des Meineides, Friedensbruches, Kirchenraubes, der Heiligenschändung und Ketzerei zu reinigen, und entsetzte ihn, als er hierauf nicht einging, 17. Juli aller seiner Würden, befahl den Deutschen die Wahl eines neuen Königs, verband sich auf das engste mit den Lombarden und wurde sogar Teilnehmer einer Verschwörung zur heimlichen Ermordung des Kaisers. Wohl wehrte sich Friedrich gegen den Bann, rechtfertigte in Schreiben an alle Monarchen Europas sein Streben nach Befreiung der weltlichen Macht von der Hierarchie und verteidigte in Deutschland und Italien tatkräftig seine Rechte. Indessen predigten Scharen von Bettelmönchen im ganzen Reich erfolgreich den Abfall vom Kaiser; in Deutschland erhoben sich zuerst die geistlichen Fürsten und wählten den Landgrafen Heinrich Raspe von Thüringen, nach dessen Tod (1247) Wilhelm von Holland zum Gegenkönig. Friedrich erhielt jetzt aus Deutschland keinen Zuzug mehr, Siziliens Kräfte waren erschöpft, und die Niederlage vor Parma 18. Febr. 1248 vernichtete seine letzte Streitmacht. Die Bolognesen nahmen bei Fossalta (26. Mai 1249) Friedrichs Lieblingssohn, König Enzio, gefangen, und sein vertrautester Rat, Peter de Vinea, ward, von den Päpstlichen bestochen, zum Verräter seines Herrn. Nicht überwunden, aber wegen Erschöpfung seiner Hilfsmittel ohne Aussicht auf dauernden Sieg und innerlich gebrochen, starb Friedrich 1250 zu Fiorentino in Apulien. Im Testament hatte er seinen Sohn, den römischen König Konrad IV., und für den Fall, dass dieser kinderlos sterben sollte, Isabellas Sohn Heinrich und dann in gleichem Fall Manfred, den Sohn seiner Geliebten Blanca von Lancia, mit der er sich erst auf dem Sterbebette trauen ließ, zu Haupterben eingesetzt. Für seinen unehelichen Sohn Friedrich von Antiochia (gest. 1258) hatte er Toskana bestimmt.

Ein an Schicksalen reicheres Fürstenleben hat das ganze Mittelalter nicht aufzuweisen; unter allen Hohenstaufen kommt ihm an geistiger Begabung keiner gleich. Dem sinnlichen Genuss über Gebühr ergeben, Krieger und Dichter, Gesetzgeber und Künstler, von den Christen verraten und von Sarazenen geehrt, heftig in der Liebe wie im Hass, fromm und doch als Ketzer gebrandmarkt, in seiner Ansicht über Kirchentum und Staat seiner Zeit weit vorauseilend und doch ihr huldigend, ist Friedrich eine bei allen Fehlern bezaubernde Erscheinung. Obwohl seinem Wesen nach Italiener und Deutschland fremd gegenüberstehend, blieb er dem deutschen Volk als letzter gewaltiger Vertreter des Staufengeschlechts in lebendigstem Gedächtnis; man hielt ihn nicht für tot, und noch 30 Jahre nach seinem Tode traten Männer auf, die sich für Friedrich ausgaben und viel Anhang fanden; ja die Sage vom Zauberschlaf in einem Berg bezieht sich ursprünglich auf Friedrich II. (s. oben unter Friedrich I.). Friedrich war der geschickteste Falkenier seiner Zeit und schrieb darüber »De arte venandi cum avibus« (Augsb. 1596; mit andern Schriften hrsg. von Schneider, Leipz. 1788; deutsch von Schöpffer, Berl. 1896), das von seinem Sohn, dem König Manfred, mit Anmerkungen versehen wurde."

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32 Ludwig der Bayer

"Ludwig IV. oder der Bayer, geb. 1287, gest. 11. Okt. 1347, der Sohn Herzog Ludwigs des Strengen von Oberbayern (gest. 1294), ward in Wien mit seinen Verwandten, des Herzogs Albrecht von Österreich Söhnen, erzogen und kam nach langem Hader 1313 mit seinem ältern Bruder, Rudolf, dahin überein, dass beide das väterliche Erbe gemeinsam besitzen, der ältere aber die Kurstimme führen sollte. Im Streit über die Vormundschaft der unmündigen Herzoge von Niederbayern besiegte Ludwig Friedrich den Schönen von Österreich 6. Nov. 1313 bei Gammelsdorf. Nach Heinrichs VII. Tod auf Betrieb des Erzbischofs von Mainz, Peter von Aspelt (s. d.), 20. Okt. 1314 in Frankfurt a. M. von vier Kurstimmen zum König erwählt und zu Aachen gekrönt, zwang er 1317 seinen Bruder Rudolf, ihm das gesamte väterliche Erbe abzutreten, besiegte auch seinen Nebenbuhler Friedrich den Schönen (s. Friedrich 3) mit Hilfe der Städte 28. Sept. 1322 bei Mühldorf und nahm ihn gefangen. Indes Friedrichs Bruder, Leopold, setzte den Kampf fort, unterstützt vom König Karl IV. von Frankreich, der selbst nach der Krone strebte, und dem von ihm abhängigen Papst Johann XXII. Dieser verbot Ludwig, ohne päpstliche Bestätigung den königlichen Titel zu führen, und als sich Ludwig, durch die Stimmung des deutschen Volkes ermutigt, nicht fügte, wurde er 1324 gebannt und abgesetzt. Selbst die Entlassung Friedrichs aus der Hast 1325 endete den Streit nicht, erst der Tod Leopolds 1326 brachte Frieden. Nachdem Ludwig Friedrich von Österreich die Verwaltung des Reichs übertragen, zog er nach Italien, erhielt 1327 in Mailand die lombardische und 17. Jan. 1328 in Rom die Kaiserkrone, die ihm ein Laie, Sciarra Colonna, aussetzte. Denn durch Ludwigs Zug nach Italien war der Streit mit dem Papst, wobei die einflußreichen Minoriten lebhaft für Ludwig Partei nahmen, aufs neue heftig entbrannt. Ludwig erklärte Johann XXII. für abgesetzt und erhob Nikolaus V. auf den päpstlichen Stuhl. Indes verlor Ludwig durch Missgriffe in Italien seine Anhänger und trat verlassen und verachtet 1329 einen fluchtähnlichen Rückzug nach Deutschland an. Dem Papst machte er die demütigsten Anerbietungen, um eine Aussöhnung herbeizuführen, die nur deshalb nicht zustande kam, weil der starrsinnige Johann XXII. mit Hartnäckigkeit auf Ludwigs Thronentsagung bestand. Ja, die Rücksicht auf die Kurie hielt ihn ab, bei Beginn des französisch- englischen Krieges eine entschiedene, für das Reich vorteilhafte Stellung einzunehmen. Endlich schritten die Kurfürsten ein und erklärten auf dem Kurverein zu Rhens 16. Juli 1338 die päpstliche Einmischung für unberechtigt; der Frankfurter Reichstag im August d. J. bestätigte dies und hob Bann und Interdikt als rechtswidrig auf. Aber auch nachher war Ludwigs Haltung gegen den Papst schwankend. Die Hauptfrage für Ludwig war die Vergrößerung seiner Hausmacht. Nachdem er 1323 Brandenburg an sein Haus gebracht, nahm er 1341 Niederbayern in Besitz, erwarb seinem Haus 1342 Tirol und Kärnten, indem er seinen Sohn Ludwig mit Margarete Maultasch vermählte, nachdem er deren Ehe aus kaiserlicher Machtvollkommenheit getrennt hatte, und erbte 1346 durch seine Gemahlin Margarete von Holland die Länder Holland, Seeland, Friesland und Hennegau. Dieser Zuwachs an Macht erregte aber die Eifersucht der deutschen Fürsten, und der Einwirkung des Papstes, der Ludwig von neuem mit dem Bann velegte, nachgebend, stellten die drei geistlichen Kurfürsten und zwei weltliche, der König Johann von Böhmen und der Herzog Rudolf von Sachsen, in Karl IV. einen Gegenkönig auf. Doch blieben die meisten Reichsstände, namentlich die Städte, Ludwig treu, und dieser erhielt sich daher im Besitz der Kaiserwürde bis an seinen Tod, der auf einer Bärenjagd bei Fürstenfeld unfern München erfolgte. Er wurde in der Frauenkirche zu München beigesetzt, wo ihm 1622 Kurfürst Maximilian I. ein von Peter Candid entworfenes Denkmal errichtete (s. Tafel »Bildhauerkunst X«, Fig. 5); ein zweites Denkmal (von Miller) wurde 1905 in München enthüllt. Die Stelle, wo er starb, bezeichnet eine marmorne Spitzsäule."

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33 Philipp der Schöne

"Philipp IV., der Schöne, König von Frankreich, Sohn des vorigen, geb. 1268, gest. 29. Nov. 1314 in Fontainebleau, bestieg 1285 den Thron, nachdem er sich 1284 mit der jungen Königin Johanna von Navarra vermählt hatte, weshalb er auch den Titel eines Königs von Navarra führte. Philipp war ein äußerst begabter Fürst, der, frei von mittelalterlichen Anschauungen, im Sinne des modernen Absolutismus regierte. Den Krieg von Aragonien endete 1291 ein Vergleich. Ein Krieg mit England (1297-99) wurde durch einen Vertrag beigelegt, wonach Eduards I. Sohn Philipps Tochter heiratete. Nachdem Philipp den Grafen Guido gefangen genommen, vereinigte er Flandern mit der Krone. Die Härte seines Statthalters Châtillon gegen die Flamen brachte diese jedoch 1302 zum allgemeinen Aufstand, und Philipps Heer erlitt 11. Juli 1302 bei Courtrai eine furchtbare Niederlage, so dass er im Frieden von 1305 das ganze jenseits der Lys gelegene Flandern zurückgeben musste. Seinen Geldverlegenheiten suchte er durch Konfiskationen und Erpressungen aller Art, durch Aneignung des Münzrechts als Regal, durch Prägung schlecht er Münzen, durch die Beraubung und Vertreibung der Juden und Lombarden und durch Einführung einer regelmäßigen Steuer abzuhelfen. Da diese Bedrückungen auch den Klerus betrafen, so erließ Papst Bonifatius VIII. schon 1296 die Bulle »Clericis laïcos«, in welcher der Geistlichkeit die Entrichtung von Abgaben ohne päpstliche Erlaubnis bei Strafe des Bannes untersagt wurde. Philipp räch le sich dafür durch ein strenges Verbot der Abgaben an die Kurie. Als der Papst 1302 in einem Schreiben (Ausculta fili) den König nicht nur in geistlichen, sondern auch in weltlichen Dingen dem päpstlichen Stuhl untergeordnet nannte, ließ Philipp diese Anmaßungen durch eine Reichsversammlung zurückweisen, und als Bonifatius durch die berüchtigte Bulle »Unam sanctam« antwortete, appellierte Philipp an eine allgemeine Kirchenversammlung und ließ schließlich den Papst in seinem Palast zu Anagni aufheben und gefangen setzen. Schon 1303 aber stellte Bonifatius' Nachfolger Benedikt IX. die Einigkeit zwischen Frankreich und Rom wieder her. Nach dem Tode Benedikts erhob Philipp 1305 den Erzbischof von Bordeaux, Bertrand de Got, als Clemens V. auf den päpstlichen Stuhl, verlegte aber gleichzeitig den Sitz des Papstes nach Avignon und verpflichtete diesen, seine Hand zur Aufhebung des Tempelherrenordens zu bieten, dessen Reichtum längst die Habsucht des Königs gereizt hatte. Am 12. Okt. 1307 wurden in Frankreich alle Templer gefangen genommen, durch Marter zu Geständnissen gezwungen und 113 Ritter zu Paris verbrannt, ihre Schätze aber zum Besten der Krone eingezogen. Philipp bemächtigte sich auch der vom Deutschen Reich abhängigen Städte Lyon und Valenciennes. Er begründete in Frankreich das büreaukratische Regiment, das in dem 1303 regelmäßig organisierten Staatsrat und den drei Staatssekretären (Clercs du secret, Ministern) gipfelte, und bekämpfte erfolgreich den Einfluss der Vasallen und der Kirche. Philipp hinterließ drei Söhne, Ludwig X., Philipp V. und Karl IV., mit dem 1328 der direkte männliche Stamm der Kapetinger erlosch."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

34 Heinrich VIII.

"Heinrich VIII., König von England, geb. 27. Juni 1491, gest. 28. Jan. 1547, Sohn des vorigen, bestieg 2 t. Aprit 1509 den englischen Thron und vollzog im Juni die schon 1504 durch Vertrag geschlossene Heirat mit Katharina von Aragonien. Heinrich war ein stattlicher Mann, mit glänzenden Gaben ausgestattet, in Gelehrsamkeit und ritterlichen Künsten gleichmäßig ausgezeichnet. Seine Regierung folgte den Impulsen, die sein persönlicher Charakter ihr gab; doch hatte anfangs der Kardinal Wolsey (s. d.) namhaften Einfluss darauf. 1512 verband sich Heinrich mit dem Kaiser Maximilian I. gegen Ludwig XII. von Frankreich, siegte zwar 17. Aug. 1513 in der sogen. Sporenschlacht bei Guinegale, schloss aber schon im folgenden Jahre Frieden mit Frankreich und mit Ludwigs XII. Nachfolger Franz I. sogar ein Bündnis gegen Karl V. Nochmals wechselte Heinrich die Stellung, als er 1521 auf den Rat Wolseys, der durch den Kaiser auf den päpstlichen Stuhl erhoben zu werden hoffte, eine Allianz mit Karl V. gegen Frankreich einging. Da sich aber Wolsey in seinen Aussichten auf den päpstlichen Stuhl getäuscht sah, erfolgte 1526 ein vollständiger Bruch mit dem Kaiser. Durch die gegen Luthers Buch von der babylonischen Gefangenschaft gerichtete Schrift »Adsertio septem sacramentorum« (Lond. 1521) hatte sich Heinrich vom Papste den Titel Defensor fidei erworben, und er war infolge von Luthers 1522 erschienener Gegenschrift »Contra Henricum regem M. Lutherus« der entschiedenste Gegner des Protestantismus geworden. Bald nach eingetretenem Zerwürfnis mit dem Kaiser legte nun aber Heinrich die Absicht an den Tag, seine Ehe mit Katharina, einer Tante des Kaisers, zu trennen, angeblich aus Gewissensbissen, da eine Ehe mit der Witwe des Bruders kirchlich verboten sei, in Wirklichkeit wegen seiner Liebe zu der schönen Anna Boleyn (s. Anna 1). Clemens VII. übertrug seinen Legaten Wolsey und Campeggio die Untersuchung über die Gültigkeit der Ehe des Königs, nahm aber, noch ehe die Sache entschieden war, infolge seiner Annäherung an Karl V. deren Vollmachten zurück. Darauf wurde der Kardinal Wolsey gestürzt, und Heinrich ließ, nach späterer Überlieferung auf den Rat des Theologen Thomas Cranmer, durch einen englischen Gerichtshof seine Ehe mit Katharina für ungültig erklären, worauf er sich im Anfang 1533 mit Anna Boleyn vermählte. Als der Papst darauf gegen den König einschritt, beschloss Heinrich, sein Reich von der geistlichen Oberherrschaft Roms frei zu machen, und ließ sich mit Zustimmung des Parlaments zum Oberhaupt der »Anglikanischen Kirche« (s. d.) ernennen; Cranmer wurde Primas des Reiches. Aber diese Trennung vom Papsttum, an welcher der Bannfluch, den der Papst gegen Heinrich aussprach, nichts änderte, sollte keine Lossagung vom Katholizismus bedeuten; dogmatisch blieb Heinrich noch lange Zeit ein Gegner der protestantischen Reformation, deren Anhänger er ebenso fanatisch wie die Roms verfolgte; erst später neigte er sich ihr mehr zu. Nach dem Tode der Königin Katharina (17. Jan. 1536) machte ihm der Kaiser Anträge zur Erneuerung der frühern freundschaftlichen Beziehungen; Heinrich zeigte jedoch wenig Neigung dazu. Um diese Zeit warf der König sein Auge auf das Hoffräulein Johanna Seymour, ließ Anna wegen angeblichen Ehebruchs hinrichten (19. Mai 1536), vermählte sich elf Tage später mit Johanna Seymour und ließ sodann durch einen Beschluss des stets von seinem Willen abhängigen Parlaments seine beiden frühern Ehen für unrechtmäßig und die daraus entsprossenen Kinder Maria und Elisabeth für illegitim erklären. Aus der Ehe mit Johanna wurde 12. Okt. 1537 ein Sohn, der spätere König Eduard VI., geboren; wenige Tage darauf starb die Königin. Inzwischen hatte eine wirklich protestantische Partei unter der Führung des Staatssekretärs Thomas Cromwell Einfluss auf den König gewonnen. Um eine Annäherung Englands an die deutschen Protestanten herbeizuführen, bestimmte Cromwell Heinrich zu einer Vermählung mit der Prinzessin Anna von Kleve, obwohl diese ihm äußerlich wenig gefiel. Die Ehe war sehr unglücklich, und sobald Heinrich die Gefahr, die ihm durch einen kaiserlichen Angriff 1540 gedroht, vorübergegangen glaubte, lief; er Cromwell vor dem Parlament wegen Verrats verurteilen und hinrichten; von Anna schied er sich im Juli 1540 und vermählte sich schon im selben Monat mit Katharina Howard, einer Nichte des Herzogs von Norfolk, die ihn zu einer antiprotestantischen Haltung bewog. Doch vermochte auch diese den König nicht dauernd zu fesseln, sondern ward der Untreue angeklagt und, schuldig befunden, 13. Febr. 1542 hingerichtet. Vier Monate später vermählte sich der König zum sechstenmal mit Katharina Parr, der Witwe des Lords Latimer, die ihn überlebte. Ein Krieg mit Schottland erreichte seinen Zweck, auch dort die päpstliche Macht zu stürzen, nicht; ebenso blieb ein mit dem Kaiser gegen Frankreich 1543 unternommener Krieg ohne große Ergebnisse. Durch einen Parlamentsbeschluss von 1544 wurde die Nachfolge so geordnet, dass zunächst Heinrichs Sohn Eduard und, wenn dieser ohne Leibeserben sterben sollte, die beiden früher für illegitim erklärten Prinzessinnen Maria und Elisabeth die Krone erben sollten."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

35 Anna Boleyn

"Anna Boleyn, zweite Gemahlin König Heinrichs VIII. von England, Tochter des Thomas Boleyn, später Grafen von Wiltshire und Ormond, geb. 1503 oder 1504, gest. 19. Mai 1536, wurde, nachdem sie als Begleiterin ihres Vaters einige Zeit am französischen Hof gelebt hatte, Hoffräulein der Königin Katharina von Aragonien, Gemahlin Heinrichs VIII. Letzterer wurde bald von leidenschaftlicher Liebe zu der mit vielen körperlichen Reizen ausgestatteten Hofdame ergriffen, suchte seine Ehe mit Katharina aufzulösen und vollzog, noch bevor der Erzbischof Cranmer diese für nichtig erklärt hatte, im Januar 1533 seine Vermählung mit Anna Aber Heinrichs Liebe zu Anna schwand bald dahin, zumal da sie ihm nur eine Tochter, Elisabeth, geboren hatte (1533). Sie wurde des wiederholten Ehebruchs und der Blutschande beschuldigt und in den Tower geworfen. Obwohl sie ihre Unschuld beteuerte, wurde sie 15. Mai 1536 durch ein Gericht von 26 Peers schuldig gesprochen und 19. Mai enthauptet."

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36 Interdikt

"Interdikt (lat., »Untersagung«), im katholischen Kirchenrecht soviel wie Verbot gottesdienstlicher Handlungen. Ein solches wurde in frühern Zeiten öfters in Ansehung eines bestimmten Bezirks erlassen (interdictum locale); nach dem Umfang des letztern, und je nachdem dadurch ein ganzes Land, eine Provinz, eine Stadt oder nur eine einzelne Kirche betroffen wurden, unterschied man zwischen Interdictum generale und particulare. Nach einem derartigen Verbot durfte im Mittelalter kein Gottesdienst gehalten, durften mit Ausnahme des Bußsakraments und der Wegzehrung an reumütig Sterbende keine Sakramente gespendet und kein christliches Begräbnis gewährt werden. Dieses Interdikt war in den Händen der Päpste eine furchtbare Waffe gegen die weltlichen Fürsten in einer Zeit, in der das Interesse an der Kirche und ihren Instituten noch das ganze Leben beherrschte, so dass das Volk eine Sistierung des Gottesdienstes und der ganzen darauf bezüglichen Verhältnisse selten lange zu ertragen vermochte. Gegenwärtig ist das Interdikt, das übrigens schon seit dem 12. Jahrh. vielfach gemildert wurde, außer Gebrauch. Dagegen wird es als sogen. Interdictio ingressus in ecclesiam heutzutage noch gegen einzelne Geistliche zur Anwendung gebracht, indem es den dadurch betroffenen Geistlichen an der Vornahme gottesdienstlicher Handlungen in der Kirche verhindert."

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37 La Manche (französisch "Ärmel"), französische Bezeichnung des Ärmelkanals  zwischen Frankreich und England.

38 Pius V.

"Pius V. hieß mit bürgerlichem Namen Michele Ghislierie. Er wurde mit 14 Jahren Dominikanermönch und arbeitete danach ohne Unterlass für die Inquisition, bis er schließlich zum Großinquisitor aufstieg. Ab 1556 war er Bischof von Sutri und Nepi im Norden von Rom, 1557 wurde er zum Kardinal ernannt und schließlich 1566 als Papst gewählt.

Pius war ein frommer Asket und ein Reformer von Verwaltung, Katechismus, Brevier und Messbuch, der die Beschlüsse des Konzils von Trient energisch in die Tat umsetzte. Seine strengen Reformen und repressive Maßnahmen gegen Andersdenkende stärkten die römische Kirche zur Zeit der Gegenreformation. Er gründete und erneuerte die Kongregationen der Kurie, bekämpfte leidenschaftlich die Simonie und verfocht den Zölibat. Er unterstützte die französischen Katholiken in ihrer Verfolgung der Hugenotten, vertrieb zahlreiche Juden aus dem Kirchenstaat und nutzte die Inquisition schonungslos, um jeden Ketzer zu strafen. Mittels der Inquisition zerstörte er den Protestantismus in Italien.

Pius exkommunizierte Elisabeth I. von England, woraufhin die Katholiken auf der Insel schärfer verfolgt wurden, viele nun auch den Märtyrertod starben. Spannungen gab es auch mit Philipp II. von Spanien und Maximilian II. von Österreich.

1570 erneuerte Pius die Heilige Allianz mit Spanien und Venedig gegen die Türken; Papst Julius II. hatte diese Allianz im Jahre 1511 ins Leben gerufen. Pius' Gebetsbemühungen wird der wunderbare Seesieg über die Türken bei Lepanto am 7. Oktober 1571 zugeschrieben: in der Schlacht kämpfte eine türkische Flotte mit über 270 Galeeren gegen die Flotte der von Spanien, Venedig und dem Papst gebildeten Heiligen Liga. Die Flotte der Heiligen Liga bestand aus 200 Rudergaleeren und sechs großen venetianischen Segelgaleeren. Beide Seiten erlitten schwere Verluste; am Ende siegte die Flotte der Heiligen Liga, die über 100 der feindlichen Galeeren kapern und Tausende christlicher Sklaven befreien konnte. Dieser Sieg war der erste große Sieg der Christen über das Osmanische Reich und daher von nicht zu unterschätzender psychologischer Bedeutung. Er leitete den Niedergang der Vorherrschaft des Osmanischen Reiches im Mittelmeerraum ein, dafür gewannen die Osmanen aber nach und nach an Land die Überlegenheit. In einer Vision hatte Pius den Sieg vorausgesehen. Sein Nachfolger legte den Tag dieses Sieges als Rosenkranzfest fest.

Bestattet ist Pius in San Maria Maggiore in Rom.

Kanonisation: 1712 wurde Pius von Papst Clemens XI. heilig gesprochen.

Attribute: Rosenkranz "

[Quelle: http://www.heiligenlexikon.de/index.htm?BiographienP/Pius_V.htm. -- Zugriff am 2005-01-19]

39 Elisabeth von England

"Elisabeth, Königin von England, Tochter Heinrichs VIII. und der Anna Boleyn, geb. 7. Sept. 1533, gest. 24. März (3. April) 1603, wurde von Heinrich nach Annas Hinrichtung als illegitim von der Erbfolge ausgeschlossen, 1544 aber als Thronerbin Eduards VI. (s. d.) und der Maria, der Tochter seiner ersten Gemahlin, anerkannt. Sie wurde in protestantischen Anschauungen erzogen, aber während der Regierung ihrer Schwester Maria gezwungen, den Schein einer rechtgläubigen Katholikin anzunehmen; nichtsdestoweniger wurde sie 1554 in den Tower gesetzt und auch nach ihrer Freilassung bis zum Tode Marias unter lästiger Aussicht gehalten. Da ein Versuch, sie von der Erbfolge auszuschließen, an dem Widerstand des Parlaments gescheitert war, folgte sie 17. Nov. 1558 ihrer Schwester ohne Widerstand auf dem Thron und näherte sich alsbald, besonders von W. Cecil beraten, der protestantischen Partei, indem sie ihr Volk mit behutsamen Maßregeln zur anglikanisch-reformierten Kirche überleitete (s. Anglikanische Kirche); der königliche Supremat über die Kirche, die englische Liturgie, die revidierten 39 Artikel u.a. sind in den ersten Regierungsjahren Elisabeths gesetzlich eingeführt worden. Zu Maßregeln gegen Andersgläubige schritt man erst in späterer Zeit, als Elisabeth sich und ihren Staat gegen katholisch-jesuitische Umtriebe zu schützen hatte. Das materielle Wohl ihres Volkes bemühte sie sich zu heben, Handel und Schifffahrt blühten auf. Auch in den europäischen Verhältnissen spielte England bald eine bedeutende Rolle. Mit Schottland und dessen Herrscherin Maria Stuart kam Elisabeth in Konflikt, wozu die religiösen Angelegenheiten und die persönlichen Eigenschaften der beiden Königinnen gleichviel beitrugen. Maria machte als Urenkelin Heinrichs VII. der angeblich illegitimen Elisabeth das Thronrecht streitig, und da hierzu noch der konfessionelle Gegensatz kam und die Verbindung zwischen Schottland und Frankreich England politisch bedrohte, so wurde das Verhältnis bald ein gespanntes. Durch Marias Vermählung mit Darnley wurde der Gegensatz gesteigert, weshalb Elisabeth die Unruhen, die in Schottland durch das unkluge und leichtsinnige Benehmen ihrer Gegnerin hervorgerufen wurden, noch begünstigte. Als Maria 1568 in England Schutz suchen musste, nahm Elisabeth sie zwar auf, verweigerte ihr aber die erbetene Unterstützung gegen die schottischen Empörer, eröffnete gegen sie eine Untersuchung wegen der Ermordung Darnleys und hielt sie gefangen. Wieder holte Verschwörungen, welche die Befreiung Marias bezweckten, beunruhigten Regierung und Parlament so sehr, dass 1585 ein besonderes, dagegen verfasstes Gesetz erlassen wurde, und als man 1586 Babingtons (s. d.) Mordanschlag auf Elisabeths Leben entdeckte, ward Maria der Mitwissenschaft an diesem Komplott schuldig gesprochen und 8. Febr. 1587 hingerichtet. E bestrafte zwar den Geheimsekretär Davison, weil er die Hinrichtung ohne ihren Befehl habe vollziehen lassen, reinigte sich aber dadurch nicht von dem Vorwurf. eine Verurteilung veranlasst zu haben, zu der, wenn sie auch vielleicht politisch nützlich und durch Verschuldung Marias begründet war, Elisabeth sicher nicht berechtigt gewesen ist. Das englische Volk billigte übrigens die Hinrichtung der Gegnerin, die England mit politischer und kirchlicher Reaktion zu bedrohen schien. Für die Katholiken in Europa war dies aber das Signal zum Angriff auf England. Papst Sixtus V. erneuerte den schon von Pius V. 1570 über Elisabeth ausgesprochenen Bann, und Philipp II. von Spanien sandte die Armada, die jedoch 1588 durch Sturm und die englischen Seehelden Howard und Drake vernichtet wurde. Dieser Sieg und das Steigen der Wohlfahrt des Landes ließen das Volk übersehen, dass Elisabeth die Macht des Parlaments gering achtete und ihm gegenüber in der Regel ihren Willen durchzusetzen wusste. Elisabeth brachte Ordnung in die Finanzen, förderte Ackerbau und Industrie und legte zu der großartigen Entwickelung des englischen Seewesens den Grund. Als das Parlament ihr zu einer Ehe riet, äußerte sie ihren Entschluss, als jungfräuliche Königin sterben zu wollen. Nichtsdestoweniger wurde oft über Eheprojekte verhandelt, so mit dem österreichischen Erzherzog Karl, mit den französischen Prinzen von Anjou und Alençon; sie ist aber unvermählt geblieben. Doch ist das Privatleben der Königin nicht frei von Flecken; an Liebeleien ist kein Mangel: Leicester, Hatton und Essex galten als ihre Liebhaber. In ihrer letzten Lebenszeit ward der schottische König Jakob, Sohn der Maria Stuart, als ihr Nachfolger angesehen, den sie kurz vor ihrem Tod als solchen anerkannt haben soll. Elisabeth hat eine sehr verschiedenartige Beurteilung erfahren. Unbestreitbar sind ihre große Begabung, ihr Verständnis für die Interessen der Nation, ihre Hingabe an den Dienst derselben, Sparsamkeit und dabei doch die Gabe der Repräsentation, lebhaftes Interesse für geistige Bildung, die sie sich selbst in hohem Maß angeeignet hatte. Dagegen ist sie von den Fehlern der Eitelkeit und Launenhaftigkeit, die gelegentlich in Stolz und Härte ausarteten, nicht freizusprechen. Der Glanz, der auf ihrer Regierung in der englischen Überlieferung ruht, ist in wesentlichen Punkten das Verdienst ihres Ministers Cecil; der Königin Ruhm ist es, dass sie ihm die Leitung des Staates übertragen und trotz mancher Differenzen belassen hat."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

40 Maria Stuart

"Maria Stuart, Königin von Schottland, geb. 7. Dez. 1542, sieben Tage vor dem Tode ihres Vaters, in Linlithgow bei Edinburg, gest. 8. Febr. 1587, Tochter Jakobs V. von Schottland und der Marie von Guise, wurde in St.-Germain am französischen Hof erzogen und 24. April 1558 mit dem Dauphin, dem nachmaligen König Franz II. von Frankreich, vermählt. Als Enkelin Margarete Tudors, einer Tochter Heinrichs VII. von England, nahm sie Titel und Wappen Englands an, wodurch sie die Königin Elisabeth als illegitime Tochter Heinrichs VIII. bezeichnete und ihr Thronrecht anfocht. Damit begann die Feindschaft zwischen Maria und Elisabeth. Nach dem frühen Tode ihres Gemahls (5. Dez. 1560) kehrte Maria nach Schottland zurück (19. Aug. 1561). Hier hatten während ihrer Abwesenheit die Calvinisten im Bunde mit dem protestantischen England die Herrschaft erlangt. Zunächst ordnete Maria, obwohl Katholikin, sich der protestantisch-englischen Partei unter und machte deren Führer, James Stuart, Grafen von Murray, ihren Halbbruder, zum ersten Minister. Als aber Elisabeth von England danach strebte, sie durchaus von sich abhängig zu machen und ihre Wiedervermählung zu verhindern, zugleich aber sich weigerte, Maria als Thronfolgerin in England anzuerkennen, warf sich Maria der katholischen Reaktion in die Arme und plante mit ihren Verwandten, den Guisen, sowie mit Spanien und dem Papst eine Revolution in England und Schottland. Sie vermählte sich 29. Juli 1565 mit ihrem katholischen Vetter, dem jungen und schönen, aber geistig unbedeutenden und charakterlosen Lord Heinrich Darnley, entzweite sich aber dadurch mit der englischen Partei, namentlich mit Murray, dessen Auflehnung gegen die Heirat sie mit gewaffneter Hand niederschlug, und gewann an ihrem Gemahl weder einen Beirat noch eine Stütze. Die Ehe war unglücklich, und schon nach wenigen Monaten stellte sich Darnley an die Spitze einer calvinistisch-englischen Verschwörung und ließ den Geheimschreiber der Königin, David Riccio, auf den er ohne Grund eifersüchtig war, 9. März 1566 von ihrer Seite wegreißen und ermorden. Seitdem fasste Maria gegen Darnley, dem sie 19. Juni einen Sohn, den spätern Jakob VI., gebar, bittern Groll und schenkte ihre Neigung und ihr Vertrauen James Hepburn, Earl of Bothwell. Dieser, obwohl erst seit kurzem verheiratet, erwiderte die Neigung der Königin, durch die er die höchste Gewalt zu erringen hoffte, und verschwor sich mit einigen calvinistischen Edelleuten, die Darnley verraten hatte, gegen dessen Leben. Das Urteil darüber, wie weit Maria an dieser Verschwörung beteiligt war, hängt von der Entscheidung über die hart umstrittene Frage der Echtheit der sogen. Kassettenbriefe, acht Schreiben Marias an Bothwell, die ihre Mitschuld beweisen würden, ab (vgl. Breßlau im »Historischen Taschenbuch«, 1882, und in der »Historischen Zeitschrift«, Bd. 52; Philippson in der »Revue historique«, 1887-89; Henderson, The Casket letters and Mary queen of Scots, Lond. 1891; Forst, Maria Stuart und der Tod Darnleys, Bonn 1894). Die Verschwornen erwürgten Darnley in dem Hause in Kirk of Field bei Edinburg, in das er sich wegen einer ansteckenden Krankheit zurückgezogen hatte, und sprengten das Haus in die Luft (10. Febr. 1567). Die öffentliche Stimme bezeichnete Bothwell als den Mörder, aber Gericht und Parlament sprachen ihn frei. Maria, von Leidenschaft verblendet, ernannte ihn zum Großadmiral und ließ sich, nachdem Bothwells Ehe auf Grund naher Verwandtschaft gelöst worden war, von ihm entführen und 15. Mai in Holyrood nach protestantischem und katholischem Ritus mit ihm trauen. Während Maria von Bothwell tyrannisiert wurde, stieg der Unwille gegen sie immer höher. Die Großen, darunter auch solche, die an dem Morde Darnleys selbst beteiligt waren, verbanden sich gegen Bothwell, und Maria, bei Carberry Hill (15. Juni 1567) von ihren Truppen verlassen, sah keine andre Rettung, als ihren Gemahl zu verlassen und sich in die Arme der Verbündeten zu werfen. Sie wurde von ihnen nach dem Schloss Lochleven gebracht und hier durch die Drohung mit einer Anklage auf Mord zum Verzicht auf die Krone zugunsten ihres Sohnes und zur Anerkennung des Grafen Murray als Regenten genötigt. Am 25. Juli ward ihr einjähriger Sohn als Jakob VI. zum König gekrönt. Zwar entkam Maria 2. Mai 1568 aus der Hast, rief ihre Freunde zu ihrem Beistand auf und sammelte ein Heer von 6000 Mann; aber dieses ward 13. Mai durch Murray bei Langside zersprengt, und nun fasste Maria den unglücklichen Entschluss, bei der Königin von England Hilfe zu suchen. In einem Fischerkahn fuhr sie über die Bai von Solway von Carlisle (16. Mai), von wo sie einen rührenden Brief an Elisabeth schrieb. Die englische Königin wurde aber durch ihren Minister Cecil (Lord Burleigh) bestimmt, die katholische Thronprätendentin in sicherm Gewahrsam zu halten, und verweigerte ihr eine persönliche Zusammenkunft, bis sie sich von dem Verdacht des Mordes ihres Gemahls gereinigt haben würde; auf Bolton Castle wurde Maria in Sicherheit gebracht.

Zur Untersuchung ihrer Schuld wurde eine Kommission von englischen Lords niedergesetzt, vor der Murray in eigner Person die Königin der Teilnahme an Darnleys Mord anklagte und Maria sich durch den Bischof Leslie und andre Anhänger verteidigen ließ. Die Kommission, die erst zu York, dann zu Westminster tagte, kam zu keinem Ergebnis, weil Elisabeth weder eine Verurteilung noch eine völlige Freisprechung wünschte; aber Maria blieb in Hast und wurde von einem festen Schloss zum andern geführt, um den wiederholten Versuchen zu ihrer Befreiung vorzubeugen. Eine Schilderhebung des katholischen Adels im Norden Englands zugunsten Marias wurde 1569 niedergeschlagen. Allein wegen ihres Anrechts auf die englische Thronfolge waren auch in den nächsten Jahren die Bestrebungen des von den Jesuiten beeinflussten Papsttums, Spaniens und Frankreichs, die katholische Kirche durch Elisabeths Beseitigung in England wieder zur Herrschaft zu bringen, immer auf Maria gerichtet, und sie selbst nahm an diesen Plänen eifrigen Anteil, ohne sich durch wiederholte Misserfolge entmutigen zu lassen. Der Herzog von Norfolk, der Maria heiraten wollte, mit ihr im Briefwechsel stand und von Rom und Madrid Unterstützung für eine bewaffnete Erhebung empfing, wurde nach Entdeckung des Komplotts im Januar 1572 hingerichtet. Die Entdeckung einer Verschwörung fanatischer Katholiken unter Anton Babington (1586) mit Spanien zur Ermordung Elisabeths und Befreiung Marias hatte endlich zur Folge, dass diese selbst der Teilnahme am Hochverrat angeklagt und kraft eines Parlamentsstatuts von 1584 vor ein Gericht von 40 Peers und 5 Oberrichtern im Schloss Fotheringhay in der Grafschaft Northampton gestellt wurde. Anfangs lehnte Maria als unabhängige Fürstin es ab, sich einem Verhör durch Untertanen zu unterwerfen; aber auf die Vorstellung, dass sie ihrem Ruf auf diese Weise am meisten schade, ergab sie sich und stand den Richtern Rede. Ihre Verbindung mit fremden Mächten sowie die Mitwissenschaft an der Babingtonschen Verschwörung gab sie zu; aber sie leugnete standhaft, jemals einen Mordversuch gegen Elisabeth gebilligt zu haben. Man kann indes jetzt ihre Mitschuld auch an diesem Anschlag als erwiesen betrachten (vgl. Breßlau in der »Historischen Zeitschrift«, neue Folge, Bd. 16). Auf Grund der Aussagen ihrer Sekretäre Nau und Curle sprachen die Richter 25. Okt. gegen Maria das Todesurteil aus; das Parlament bestätigte es und verlangte von Elisabeth zur Erhaltung der Religion und zur Sicherheit des Reiches und ihrer eignen Person seine Vollstreckung. Elisabeth schwankte lange; sie wünschte das Aufsehen einer öffentlichen Hinrichtung zu vermeiden und ließ dem Hüter der Gefangenen, Sir Amias Paulet, einen Wink erteilen, jene durch Gift beiseite zu schaffen. Aber Paulet wies den Antrag zurück. Endlich, 1. Febr. 1587, unterzeichnete Elisabeth, ungeachtet der Verwendung der katholischen Höfe für Maria, das Todesurteil und gab es dem Staatssekretär Davison mit dem Befehl, es mit dem Reichssiegel zu versehen. Burleigh und mehrere Mitglieder des Geheimen Rats beschlossen darauf, ohne nochmalige Anfrage an die Königin, deren Unentschlossenheit sie kannten, den Spruch vollstrecken zu lassen. Die Grafen von Shrewsbury und Kent eilten nach Fotheringhay und kündigten 7. Febr. 1587 der Gefangenen ihre Hinrichtung an. Maria vernahm die Eröffnung mit großer Bewegung, fasste sich aber bald und zeigte nun einen bewundernswerten Mut. Der Beistand eines katholischen Geistlichen ward ihr abgeschlagen; den protestantischen Geistlichen, den man ihr aufdringen wollte, wies sie zurück. Am Morgen des 8. Febr. genoss sie eine vom Papst Pius V. selbst geweihte Hostie, stieg in majestätischer Haltung in den Saal, wo das Gericht über sie abgehalten war, und legte ihr Haupt selbst auf den Block, indem sie mit lauter Stimme rief: »Herr, in deine Hände befehle ich meinen Geist«. So starb sie im 19. Jahr ihrer Gefangenschaft, im 45. ihres Lebens. Krankheit und Kummer hatten ihre einst so hohe Anmut und Schönheit gebrochen. Ihr Leichnam ward in der Kathedrale zu Peterborough beigesetzt. Ihr Sohn Jakob VI., der nichts für ihre Befreiung und Rettung getan hatte, ließ, als er König von England geworden war, den Sarg der Mutter zu Westminster beisetzen und ihr ein marmornes Grabmal errichten sowie das Schloss Fotheringhay zerstören. In London empfing man die Kunde von Marias Tod mit Jubel. Elisabeth aber zeigte große Bestürzung, verwünschte den unseligen Diensteifer ihrer Räte und strafte Davison mit einer Geldbuße von 10,000 Pfd. Sterl., die ihn an den Bettelstab brachte. Marias tragisches Geschick hat zu mehreren dramatischen Bearbeitungen (von Alfieri, H. Köster, Marie v. Ebner- Eschenbach, L. Schneegans u. a.) Anlass gegeben; die hervorragendste ist Schillers Drama »Maria Stuart«."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

41 Innozenz X.

"Innozenz X., vorher Giovanni Battista Pamfili, geb. 7. Mai 1574 in Rom, gest. 5. Jan. 1655, ward unter Gregor XV. Nuntius in Neapel, von Urban VIII. dem Kardinal Franz Barberini nach Frankreich beigegeben und blieb hier bis zur Erlangung des Kardinalshutes als Nuntius und Patriarch von Antiochia. Trotz des Widerstrebens des französischen Hofes wurde er 15. Sept. 1644 zum Nachfolger Urbans VIII. erwählt. Er protestierte 1651 in der Bulle »Zelo domus Dei« gegen den Westfälischen Frieden und erließ 1653 die viel angefochtene Bulle »Cum occasione« gegen die »V propositiones« des Cornelis Jansen (s. Jansenismus). Während seines Pontifikats übte den größten Einfluss seine Schwägerin Olimpia Maidalchini (1594-1656) aus; sie beherrschte ihn und den Kirchenstaat und benutzte ihre Macht, um sich durch schamlose Mittel aller Art zu bereichern."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

42 Westfälischer Friede

"Westfälischer Friede, der am 24. Okt. 1648 zu Münster und Osnabrück geschlossene Friede, der den Dreißigjährigen Krieg (s. d.) beendigte und ein neues politisches System in Europa begründete. Er bildete die Grundlage aller Staatsverträge bis zur Auflösung des Reiches und galt als das Grundgesetz der deutschen Staatsverfassung. Schon im Dezember 1641 wurden in Hamburg Vorberatungen gepflogen, besonders über den Ort und die Art der Konferenzen. Die wirklichen Verhandlungen begannen im April 1643 und wurden in Osnabrück zwischen den kaiserlichen, den reichsständischen und den schwedischen, in Münster zwischen den kaiserlichen und den französischen Gesandten unter päpstlicher und venezianischer Vermittelung geführt, und zwar so, dass die an beiden Orten angenommenen Artikel für einen Traktat gehalten werden und kein Teil ohne den andern Frieden schließen sollte. Die Trennung war notwendig, um Rangstreitigkeiten zwischen Frankreich und Schweden vorzubeugen, und weil die Schweden nicht mit dem päpstlichen Nuntius verhandeln wollten. Frankreich vertraten der Herzog von Longueville, d'Avaux und Servien, Schweden Johann Oxenstierna, der Sohn des Kanzlers, und Adler Salvius, den Kaiser Graf Johann Ludwig von Nassau und Isaak Volmar in Münster, Graf Max von Trauttmansdorff in Osnabrück. Päpstlicher Nuntius war Fabio Chigi (später Papst Alexander VII.), venezianischer Gesandter Contareno. Vom spanischen Hofe waren Saavedra, Brun u. a. zugegen. Die Generalstaaten hatten acht Bevollmächtigte geschickt; die Eidgenossenschaft vertrat Joh. Jakob Wetstein, Bürgermeister von Basel. Bevollmächtigte der evangelischen Stände waren z. B. für Braunschweig Jakob Lampadius, für Württemberg Johann Konrad Varnbüler. Adam Adami, der Gesandte des Fürstabtes von Korvei, machte den Geschichtsschreiber der Versammlung. Rang- und Titelstreitigkeiten verzögerten noch lange die Eröffnung des Kongresses, da zum erstenmal die Gesandten aller mitteleuropäischen Staaten vertreten waren und die äußere Etikette ganz neu geregelt werden musste. Während der Verhandlungen dauerte der Krieg fort, und jeder kriegerische Erfolg hatte auf die Verhandlungen Einfluss. Am 24. Okt. 1648 wurde der Friede in Münster unterzeichnet, aber erst 3 Monate später (8. Febr. 1649) erfolgte die Auswechselung der Ratifikationen, und noch lange dauerten verschiedene Verhandlungen über die Ausführung des Friedens. Der päpstliche Protest vom 3. Jan. 1651 war wirkungslos.

Der Friede führte zunächst zahlreiche Territorialveränderungen herbei."

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43 Pius VI.

"Pius VI., 1775-99, vorher Giovanni Angelo Braschi, geb. 27. Dez. 1717 in Cesena, gest. 29. Aug. 1799 in Valence, wurde 1745 Auditor bei der päpstlichen Kanzlei, 1755 Sekretär Benedikts XIV., 1766 Schatzmeister der päpstlichen Kammer, 1773 Kardinal und 15. Febr. 1775 zum Papst gewählt. Der Verschleuderung der Pfründen machte er ein Ende, behielt aber den einträglichen Ämterhandel bei und begünstigte das Lottospiel. Er baute einen Hafen für Ancona, schaffte die Binnenzölle in seinem Staat ab und begann 1778 die Austrocknung der Pontinischen Sümpfe. Große Schwierigkeiten bereitete ihm die Haltung der weltlichen Mächte. Neapel erkannte die Lehnsherrlichkeit des päpstlichen Stuhles nicht mehr an; Leopold II. von Toskana und Kaiser Joseph II., den Pius in Wien 1782 persönlich um Schonung der Rechte der Kirche anging, ließen sich durch ihn in der Ausführung ihrer Reformen nicht hindern, und nur der Egoismus mehrerer deutscher Bischöfe hinderte die Durchführung der Emser Punktation (s. Emser Kongress). Schwere Leiden brachen infolge der französischen Revolution über Pius herein, der vergeblich den gegen die katholische Geistlichkeit gefassten Beschlüssen entgegentrat, 1791 Avignon und, nachdem er durch die Zahlung von 36 Mill., die Abtretung von Ferrara, Bologna und Ravenna und die Herausgabe wertvoller Kunstwerke und Handschriften von Bonaparte den Frieden von Tolentino (19. Febr. 1797) erkauft hatte, doch schließlich seine weltliche Unabhängigkeit verlor. Da Pius, nachdem der Kirchenstaat von den Franzosen besetzt und 15. Febr. 1798 zur Republik erklärt worden, sich beharrlich weigerte, auf die Souveränität zu verzichten, wurde er unter militärischer Bedeckung erst nach Siena, später nach verschiedenen andern Plätzen und zuletzt nach Valence gebracht. Sein Leben beschrieben Bourgoing (Par. 1799, 3 Bde.; deutsch von J. J. L. Meyer, Jena 1789-1808, 4 Bde.), Artaud de Montor (Par. 1847)."

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44 Joseph II.

"Joseph II., römisch-deutscher Kaiser, geb 13. März 1741, gest. 20. Febr. 1790 in Wien, ältester Sohn Maria Theresias und Franz' I. Seine Geburt wurde angesichts der schwierigen politischen Verhältnisse beim Regierungsantritte der Kaiserin Maria Theresia mit außerordentlichem Jubel begrüßt. Die erste Erziehung des Prinzen leitete der ungarische Graf, spätere Fürst Batthyány, der aber wenig Umsicht dabei bewies, doch nahm auch die Kaiserin an der Erziehung ihrer Kinder lebhaften Anteil. Mit dem 14. Lebensjahr begann der Unterricht in den höhern Studien, die anfangs von den Jesuitenpatern Veger und Weikard geleitet wurden. Später gewann der Staatssekretär Bartenstein (s. d.) den maßgebendsten Einfluss auf den Unterricht, für den er einen eignen Plan, die »Instructionspuncta«, ausarbeitete, der im wesentlichen der damaligen Studienordnung für die juridische Fakultät entsprach. Die bedeutendsten seiner Lehrer waren neben Bartenstein für Geschichte, Martini für Natur- und Völkerrecht, Riegger für Kirchenrecht. Beck für das Staatsrecht. Joseph war ungemein lese- und wissbegierig. Sein Interesse galt allerdings weniger den exakten Wissenschaften, als vielmehr jenen Gebieten und Disziplinen, die mit seinem kaiserlichen Beruf in Verbindung standen, sowie den modernen Zeitfragen. 1759 trat Joseph beim Bankorat ein, um den praktischen Verwaltungsdienst kennen zu lernen, von 1761 wurde er zu den Sitzungen des neugegründeten Staatsrates zugezogen und in alle Fragen der äußern und innern Politik eingeweiht. Er bewies seinen regen Eifer für die Staatsgeschäfte durch Abfassung verschiedener Denkschriften an die Kaiserin, darunter die »Rêveries«, in denen als Regierungsgrundsätze die absolute Macht und Pflicht des Souveräns, für das Staatswohl zu sorgen, und die Herbeischaffung der nötigen Mittel zur Erreichung der Unabhängigkeit des Staates vom Ausland aufgestellt erscheinen. Am 27. März 1764 wurde Joseph zum römischen König gewählt und 3. April gekrönt, und da schon im folgenden Jahr sein Vater starb, so schien sich seiner Tätigkeit ein weites Feld zu eröffnen; aber der Wille der Kaiserin, wie die feste und der monarchischen Willkür widerstrebende ständische Verfassung des Reiches setzten derselben die engsten Grenzen. Obwohl Joseph in den Erbländern von der Kaiserin nach dem Tod ihres Gemahls (18. Aug. 1765) zum Mitregenten erklärt war, beschränkte sich sein Einfluss auf das Militärwesen, an dem er bei aller Bewunderung Friedrichs II., mit dem er im August 1769 in Neiße und im September 1770 zu Neustadt in Mähren Zusammenkünfte hatte, doch kein großes innerliches Interesse fand, auf Justizsachen, bei denen die Abschaffung der Tortur in Österreich (1775) im Grunde als sein Werk anzusehen ist, und auf die äußere Politik. Hier trieb Josephs Ehrgeiz Österreich zur Mitwirkung an der Teilung Polens und durch das Projekt der Erwerbung Bayerns zum Bayrischen Erbfolgekrieg. Um den Bund mit Frankreich zu stärken, unternahm er 1777 eine Reise dahin, allerdings ohne Erfolg, wie sich bei dem bald darauf ausbrechenden Erbfolgekrieg zeigte, der mit dem Zurückziehen der österreichischen Ansprüche endete. Das Verhältnis zwischen Mutter und Sohn litt unter dem Gegensatz der beiderseitigen Naturen und Regierungsprinzipien, doch verhinderte Maria Theresias klarer entschlossener Sinn und Josephs leidenschaftliche Anhänglichkeit und Liebe zu seiner Mutter ernstern Zwiespalt. Joseph begnügte sich schließlich damit, seine Überzeugungen in Memoires an die Kaiserin auseinanderzusetzen und durch Reisen sich den Verhältnissen am Hofe für längere oder kürzere Zeit zu entziehen. Am schärfsten kam der Gegensatz zum Ausdruck, als Joseph, überzeugt, dass insbesondere das Einvernehmen zwischen Preußen und Russland sein bayrisches Projekt durchkreuzt habe, trotz der Missbilligung der Kaiserin, eine Reise zur Zarin Katharina II. unternahm (Juni bis Juli 1780). Noch in demselben Jahre, am 29. Nov., starb Maria Theresia, und bald sollte sich das Wort Friedrichs II.: »Voilà un nouvel ordre des choses!« in unglaublicher Eile bewahrheiten. In unermüdlicher, übereilter Tätigkeit wollte Joseph nunmehr das Reformwerk durchführen, das seit Jahrzehnten Ideal und Ziel seines Lebens war. Durch zahllose Verordnungen und Gesetze, die in raschester Folge mit überstürzter Hast erflossen, wollte er seine Pläne und Neuerungen durchführen: die zahlreichen, bisher nur lose verbundenen Länder und Völker sollten zu einem einheitlichen, streng zentralistisch verwalteten Staat vereinigt werden, in dem alle Sonderrechte und Privilegien der einzelnen Länder und ihre historisch ausgebildeten Eigentümlichkeiten verschwinden sollten. Dieser höhere Zweck erforderte auch, dass die Standesvorrechte des Adels und des Klerus beseitigt wurden. Von der richtigen und klaren Einsicht geleitet, dass das Übergewicht des römischen Stuhles und der katholischen Hierarchie beseitigt werden müsse, wenn die österreichische Verwaltung zur Selbständigkeit des modernen Staatsbegriffs erhoben werden solle, begann er mit kirchenpolitischen Reformen in großem Maßstabe. Durch eine Reihe von Verordnungen verfügte er im Verlaufe des Jahres 1781: Einschränkung des Verkehrs der geistlichen Orden mit den Obrigkeiten in Rom, Streichung einiger Bullen, in denen eine widerrechtliche Ausdehnung der päpstlichen Gewalt zum Ausdruck kam, aus allen Ritualen, die Aufhebung der päpstlichen Dispense, der Rekurse, des Bischofseides und der Litterae apostolicae, das Verbot der Annahme päpstlicher Ämter und Titel und des Besuchs der in Rom befindlichen theologischen Anstalten. Diesen wichtigen Reformen folgte die Erlassung des Toleranzpatents vom 20. Okt. 1781, die Aufhebung aller jener Ordenshäuser, deren Angehörige »weder Schule halten, noch predigen, noch den Beichtstuhl versehen, noch den Sterbenden beistehen, noch sonst in studiis sich hervortun«, laut Erlass vom 29. Nov. 1781, die Einziehung ihres Vermögens und die Gründung des Religionsfonds sowie die Dotation von trefflichen Unterrichts- und Humanitätsanstalten aus dem konfiszierten Klostergut. Bald griff die Regierung Josephs auch in die internen Angelegenheiten der Kirche und des Gottesdienstes ein. »Andachtsordnungen«, Gesetze gegen den »kirchlichen Flitterstaat«, Verordnungen über Prozessionen, Wallfahrten, Ablässe etc. und namentlich das unglückliche Gebot des Begrabens der Toten in Säcken, ohne Kleider und in Kalkgruben, alle diese Dinge, die bestimmt waren, »Aufklärung« zu bewirken, erregten Hass und Verdruss und selbst tiefer gehenden Widerstand seitens des Volkes. Dabei hielt Joseph doch sehr bestimmt den Begriff der Staatskirche als einer katholischen aufrecht. Das Verhältnis der nichtkatholischen Konfessionen vermochte er daher nicht anders als unter dem Gesichtspunkt einer möglichst weitgehenden Toleranz zu fassen. Obwohl sich nun in Ländern, wo die religiösen Fragen längst durch gesetzliche Bestimmungen geregelt waren, wie in Ungarn und Siebenbürgen, eine berechtigte Opposition gegen das »Toleranzpatent« gerade von Seiten der Protestanten erhob, so wirkten doch die damit zusammenhängenden Verordnungen segensreich auf die Zustände in den andern Ländern, wo endlich ein anderthalb hundertjähriger Druck von vielen protestantischen Gemeinden hinweggenommen wurde. Um übrigens den leichtfertigen Übertritt von der katholischen Religion zu andern Konfessionen zu verhindern, schrak Joseph selbst vor Zwangsmaßregeln nicht zurück, und wie er die Sekte der Deïsten durch »Karbatschenstreiche« ausrotten wollte, so fehlt es auch nicht an Beispielen harter Kabinettsjustiz gegenüber von Mönchen, die aus eignem Entschluss ihren Orden verlassen wollten, oder gegen Protestanten, die wegen Proselytenmacherei Verdacht erregten.

Um den Neuerungen Josephs in Österreich ein Ziel zu setzen, begab sich der Papst Pius VI. 1782 persönlich nach Wien, ohne jedoch etwas zu erreichen. Keinen Augenblick wurde die Reform unterbrochen, vielmehr auch auf das Gebiet der Diözesaneinteilung ausgedehnt, wobei dem Kaiser ernstlichere Schwierigkeiten den deutschen Kirchenfürsten gegenüber entstanden, deren Rechte in den österreichischen Erbländern aufgehoben worden waren. Insbesondere wurden so die Bischöfe von Passau, Salzburg und Bamberg zu entschiedener Opposition gegen Joseph gedrängt, die sich schließlich in dem Fürstenbund Ausdruck verschaffte; und als Joseph das Projekt der Gewinnung Bayerns durch Austausch gegen Belgien 1785 wieder aufnahm, trat Friedrich II. dem Fürstenbund bei und versetzte dadurch der österreichischen Politik in Deutschland eine unheilbare Wunde. Das kirchliche Territorialsystem aber, das Joseph gegründet hatte, vermochten die deutschen Bischöfe nicht zu erschüttern. Zu den neuen Diözesaneinteilungen in Österreich gewann Joseph schließlich die Einwilligung der römischen Kurie, als er den Besuch des Papstes schon 1783 unerwartet in Rom erwidert hatte und nun dafür sorgte, dass der Bruch mit Rom nicht allzu tief und nachhaltig werde. Die vornehmste Sorge Josephs richtete sich fortan auf die Heranbildung eines staatstreuen Klerus, das Unterrichtswesen überhaupt erhielt eine den Staatszwecken ausschließlich dienende Richtung. Das System all dieser Reformen, in dem sich nicht nur die Unabhängigkeit des Staates von der Kirche, sondern auch eine gewisse Bevormundung der letztern durch den Staat ausdrückte, begreift man mit dem Namen Josephinismus. Am wohltätigsten wirkten ohne Zweifel die Maßnahmen Josephs auf dem Gebiete der sozialpolitischen und volkswirtschaftlichen Verhältnisse. Er sorgte rege für das Ansiedelungswesen und insbes. für die Niederlassung von Deutschen in den slawischen und magyarischen Ländern, um das deutsche Element in diesen Gebieten zu stärken. Er legte den Grund zu einem bessern und gerechtern Steuersystem, das aber vielfach Widerspruch erregte, weil es den Adelsvorrechten entgegentrat und alle ständischen Privilegien beseitigte, aber auch dem Bürger nicht passte, der in der Einschränkung der Konsumtionsfähigkeit des Adels seinen Nachteil erblickte. Die gänzliche Aufhebung der Leibeigenschaft in Fortsetzung der schon von Maria Theresia begonnenen Urbarialgesetzgebung war das dauerndste Resultat der Josephinischen Gesetzgebung; das Patent für Böhmen und Nebenländer erschien 1. Nov. 1781. In Bezug auf Josephs Reformen im Justizwesen zeigte sich der unruhige Geist und der stets wachsende Widerspruch der Verordnungen besonders nachteilig. So wurde die Todesstrafe erst aufgehoben und in solche Strafen verwandelt, die, wie Schiffziehen und Gassenkehren, die öffentliche Meinung gegen sich hatten; bald aber führte eine neue Ordonnanz die Todesstrafe wieder ein. Ähnliche Schwankungen zeigten Josephs Verordnungen über die Bücherzensur und Pressfreiheit; Schillers »Räuber« und die deutsche Übersetzung von Voltaires Schriften blieben verboten. Dagegen verdienen Josephs Schöpfungen für das Wohl der Armen und Leidenden: Kranken- und Irrenhäuser, Gebär- und Findelanstalten, Waiseninstitute, Besserungsanstalten, Institute zur Heranbildung von Militärärzten, uneingeschränktes Lob.

Trotz des Widerstandes, den Joseph in den Erbländern fand, würden indes seine Gesetze nachhaltiger gewirkt haben, wenn das Ansehen seiner Regierung nicht durch seine äußere Politik völlig erschüttert worden wäre. Bei persönlicher Bewunderung Friedrichs II. war er doch zu sehr in den österreichischen Traditionen befangen, als dass er nicht die lebhafteste Eifersucht gegen das wachsende Ansehen Preußens empfunden hätte, und diese Eifersucht ward erwidert, indem der Preußenkönig dem Lieblingsplan Josephs II., Bayern zu erwerben, entgegentrat und so dieses für Österreichs Stellung in Deutschland epochemachende Projekt durchkreuzte. Indem Joseph Anlehnung an fremde Staaten, bald an Frankreich, bald an Russland, suchte, missglückten ihm die nächsten Unternehmungen. Als er die alten Verträge über die Scheldeschiffahrt mit den Holländern lösen wollte, musste er als römischer Kaiser die Beleidigung seiner Flagge durch das stolze kleine Nachbarvolk hinnehmen und froh sein, dass Frankreich einen Ausgleich vermittelte. Der abenteuerliche Plan, das griechische Reich wiederherzustellen, und die russische Allianz führten zu dem Türkenkrieg von 1788, dessen unglücklicher Verlauf alle schlummernden Kräfte des Widerstandes in den Erbländern entfesselte. In Belgien war es schon 1787 zu blutigen Auftritten gekommen. Während der Kaiser mit Katharina II. von Russland im Chersones die weitreichendsten Pläne entwarf, zeigte sich sein Regiment in den Erbländern von seiner schwächsten Seite. Nachdem er die Statthalter der Niederlande, den Herzog Albert von Sachsen-Teschen und dessen Gemahlin, die Erzherzogin Marie Christine, wegen der Nachgiebigkeit, die sie den niederländischen Ständen gegenüber bewiesen, abberufen, wollte er durch Kabinettsaufträge über die Köpfe seiner Minister hinweg sein verlornes Ansehen militärisch wiederherstellen und befahl seinem General Murray den rücksichtslosesten Gebrauch der Waffen und Einführung des Martialgesetzes. Aber auch hier fand Joseph nur wenig Gehorsam, und nachdem er endlich einen fügsamen General zu diesem Zwecke gefunden, hatte er nicht die hinreichende militärische Macht, um die Revolution zu ersticken. Ganz ähnlich hatten sich die Dinge in Ungarn entwickelt. Die einfache Negation des historischen Rechts in diesem Lande, zu dessen König sich Joseph nicht krönen, vielmehr die Krone aus Ungarn nach Wien bringen ließ, hatte erst einen passiven, bald in den Komitaten einen faktischen Widerstand erzeugt, der seit 1789 durch die französischen Revolutionsvorgänge sichtlich befördert wurde. Schließlich von seinen treuesten Räten gedrängt, unterzeichnete er 28. Jan. 1790 jenes merkwürdige Dokument, durch das er für Ungarn mit wenig Ausnahmen alle Neuerungen widerrief und den Verfassungsstand vom Jahre 1780 wiederherstellte. Um Belgien zu pazifizieren, musste er sich zu dem noch demütigendern Schritt bequemen, die Hilfe des Papstes Pius VI. anzurufen. Gleichzeitig hatten auch die böhmischen und tirolischen Stände sich zu regen begonnen und pressten dem todkranken Kaiser das Geständnis ab: »Ich will ihnen ja alles geben, was sie verlangen; nur mögen sie mich ruhig ins Grab steigen lassen«. Kurz vor Vollendung seines 49. Lebensjahres starb er an einem Lungenleiden, das er sich in dem Feldzug an der untern Donau geholt hatte, und das durch die seelischen Schmerzen des Unterganges aller seiner Hoffnungen verstärkt wurde.

Selbst bei der kühlsten Beurteilung und schärfsten Kritik wird man die Wirksamkeit Josephs nicht unterschätzen, da sich aus dem Zusammenbruch seines Regierungssystems die wesentlichsten Prinzipien lebensfähig behaupteten. Im großen und ganzen hat er den österreichischen Regierungen und selbst dem österreichischen Volkscharakter in jeder politischen Beziehung seinen Stempel ausgedrückt, der »Josephinische Geist« war bis in die jüngste Zeit im Mittelstand Deutsch-Österreichs lebendig und ist es heute noch in der ältern Beamtengeneration. Wenn auch seine kirchlichen Ansichten von seinen Nachfolgern nicht geteilt wurden, so setzten sich dieselben doch im Bewusstsein des Volkes in der Form eines liberalisierenden Staatskatholizismus um so fester, und auch in andern Richtungen der Gesetzgebung ward durch Josephs Neffen, den Kaiser Franz II., dasjenige durchgeführt, was Joseph angebahnt hatte; für dessen Anhänglichkeit an seinen »zweiten Vater« gibt das schöne Monument Zeugnis, das derselbe 1807 durch den Bildhauer Zauner in Wien setzen ließ, mit der Inschrift: »Josepho II. qui saluti publicae vixit non diu sed totus«. Vor allem aber lebt Joseph als der großherzige Märtyrer des einheitlichen Staatsgedankens, wie man ihn nennen darf, in tausend wahren und nachgebildeten Anekdoten gefeiert, in der Tradition des Volkes Deutsch-Österreichs als dessen Liebling. Beweis dessen die zahlreichen Kaiser Joseph-Denkmäler, die in so vielen österreichischen, besonders in deutschen Städten Böhmens, Mährens und Schlesiens, bis in die allerneueste Zeit errichtet wurden. Von den beiden Gemahlinnen Josephs II. war die erste, Isabella, Tochter des Herzogs Philipp von Parma, schon 1763, die zweite, Maria Josepha, Tochter Karl Albrechts von Bayern (Kaiser Karls VII.), schon 1767 gestorben."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

45 Kaunitz

"Kaunitz, Wenzel Anton, Reichsfürst von Kaunitz-Rietberg, österreich. Staatsmann, geb. 2. Febr. 1711 in Wien, gest. 27. Juni 1794, zweiter Sohn des Grafen Maximilian Ulrich von Kaunitz und der Gräfin Maria Ernestine Rietberg, ward zum geistlichen Stand bestimmt und schon in der Wiege zum Domizellar zu Münster ernannt, widmete sich jedoch, nachdem er in Wien, Leipzig, Regensburg und Leiden studiert, den Staatsgeschäften. Karl VI. ernannte ihn 1735 zum Reichshofrat, bald darauf zum Kommissar bei der permanenten Reichsversammlung zu Regensburg. Seit 1741 stand er im diplomatischen Dienst, kam nach Rom, Florenz und Turin, und ward 1744 zum österreichischen Minister am Hofe des Prinzen Karl von Lothringen, Generalgouverneurs der österreichischen Niederlande, ernannt. In Karls Abwesenheit führte er die Regierung mit Umsicht und erwirkte 1746, als die Franzosen Brüssel besetzten, für die österreichischen Truppen freien Abzug nach Antwerpen und, da auch dieses verloren ging, nach Aachen. Auf dem Friedenskongress zu Aachen 1748 war er als kaiserlicher Gesandter tätig und wurde sodann zum Wirklichen Mitglied der geheimen Staatskonferenz ernannt. Als solches riet Kaunitz zur Bekämpfung Friedrichs II. als Österreichs gefährlichsten Feindes und zur Anbahnung einer Allianz mit Frankreich, die aber erst 1756 zustande kam. Von 1750-53 war er Gesandter in Paris, 1753 wurde er Hof- und Staatskanzler und 1756 niederländischer und italienischer Kanzler. Nach dem Siebenjährigen Kriege, 1764, wurde Kaunitz vom Kaiser Franz I. in den Reichsfürstenstand erhoben. Er genoss bis zu Maria Theresias Tode deren unbegrenztes Vertrauen und hatte in allen Fragen der äußern Politik wie der Kriegführung die entscheidende Stimme. Auch was in dieser Epoche von Bedeutenderm auf den Gebieten der innern Politik sowie der Wissenschaften und Künste in Österreich ins Leben trat, z. B. die Kunstschule zu Wien, mehrere bedeutende Akademien der Niederlande und der Lombardei, hat ihn zum Schöpfer. Weniger groß war sein Einfluss unter Joseph II., der ihm zwar sein Ohr lieh, aber nicht immer seine Ratschläge befolgte, noch geringer unter Leopold II., von dem er sich namentlich in der Auffassung des Verhältnisses zu Preußen unterschied, und bei Franz' II. Thronbesteigung legte er seine Staatskanzlerwürde nieder. Zwei Jahre darauf starb er. Kaunitz war voll Geist und Schöpferkraft, unermüdlich tätig, ernst, treu, redlich und ein Freund der Wissenschaften und Künste. Für die französische Etikette bekundete er eine besondere Vorliebe, und der Spott der Wiener über seine affektierte Nachahmung alles Französischen in Kleidung und Umgang reizte ihn nur, jene um so mehr hervortreten zu lassen. Auch die französische Sprache und Literatur, namentlich die Werke Voltaires und der Enzyklopädisten, hatten in ihm einen großen Verehrer. "

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46 krönen

"Krönung, die feierliche Einsetzung eines Monarchen in die Regierung unter Zeremonien, deren wichtigste die öffentliche Aussetzung der Krone (s. d.) ist. Das Vorbild der meisten spätern Krönungsweisen gaben die Israeliten, deren Könige vor ihrer Thronbesteigung feierlich gesalbt wurden. Seit Joas ward es Sitte, dass der Hohepriester dem König die Krone (Tiara) aufsetzte, den Herrscherstab (Zepter) in die Hand gab und das Schwert umgürtete. Bei den griechischen und römischen Königen und später bei den römischen Kaisern war eine feierliche Krönung nicht gebräuchlich. Die byzantinischen Kaiser dagegen haben die feierliche Krönung eingeführt. Unter den germanischen Völkerschaften geschah die Einsetzung in die Herrschaft nicht durch die Krönung, sondern die Erhebung auf den Schild (elevatio) und das Umhertragen auf demselben (gyratio). Die christlichen Könige der Franken wurden in Reims vom Bischof mit Öl aus einem Fläschchen gesalbt, das zur Salbung des bekehrten Chlodwig durch eine Taube vom Himmel gebracht worden sein sollte (s. Ampulla). Die Könige andrer deutscher Stämme ahmten die fränkische und byzantinische Sitte nach. Die Könige der Langobarden ließen sich in Pavia, Mailand oder Monza krönen. 800 setzte Papst Leo III. in Rom Karl d. Gr. die kaiserliche Krone auf das Haupt. Die deutschen Könige wurden als solche in Aachen gekrönt (über die hierbei verwendeten Insignien vgl. Artikel »Deutsche Reichskleinodien«, mit der gleichnamigen Tafel, in Bd. 4), hatten aber seit Otto I. (962) auch ein Anrecht auf die römische Kaiserkrone, erhielten sie aber nur in Rom vom Papst aufgesetzt. Friedrich III. war der letzte deutsche König, der 1452 in Rom, Karl V. der letzte, der 1530 vom Papst und zwar in Bologna gekrönt wurde. Maximilian I. bereits hatte 1508 auch ohne Krönung den Titel »Erwählter römischer Kaiser« angenommen. Auch die Krönung mit der Eisernen Krone der Lombarden fiel weg (mit der burgundischen haben sich bloß fünf deutsche Könige, zuletzt Karl IV., krönen lassen), und die spätern deutschen Kaiser wurden daher nur einmal gekrönt. Ferdinand I. war der letzte, der 1531 in Aachen als deutscher König gekrönt wurde. Seitdem wurde Frankfurt a. M. der Krönungsort. Bei der Krönung des ersten Königs von Preußen 18. Jan. 1701 ist bemerkenswert, dass der König sich selbst und dann auch der Königin die Krone aufsetzte. Auch Napoleon I. setzte sich 2. Dez. 1804 in der Notre Dame-Kirche zu Paris die Kaiserkrone selbst auf und ließ den Papst nur die übrigen Zeremonien verrichten. In neuerer Zeit ist die Sitte der Krönung in Deutschland in Abnahme gekommen; an ihre Stelle trat die Huldigung (s. d.). Doch setzte sich wiederum König Wilhelm I. von Preußen, der einzige seit Friedrich I., dem ersten König, 18. Okt. 1861 in Königsberg die Krone selbst auf. Mit besondern Zeremonien ist die Krönung der Könige von Ungarn verbunden, denen sich noch Kaiser Franz Joseph von Österreich 8. Juni 1867 unterzog. Äußerst glanzvoll ist die Krönung der Kaiser von Russland in Moskau und sehr eigentümlich die Krönung der Könige von Norwegen in der alten Krönungsstadt Drontheim."

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47 Am 20. Sept. 1870 zogen, nachdem die Franzosen den Kirchenstaat verlassen hatten, die Italiener in Rom ein, nachdem sie an der Porta Pia Bresche geschossen hatten. Am 31. Dez. besuchte der italienische König Viktor Emanuel zum erstenmal die Stadt, die am 26. Jan. 1871 zur Hauptstadt Italiens erklärt wurde.

48 Zum Syllabus siehe:

Pius <Papa, IX.> <1792 - 1878>: Syllabus Pii IX, seu Collectio errorum in diversis Actis Pii IX proscriptorum = Syllabus von Papst Pius IX. oder Sammlung der von Papst Pius IX. in verschiedenen Äußerungen geächteten Irrtümer (1864-12-08). -- URL:  http://www.payer.de/religionskritik/syllabus.htm. -- Zugriff am 2005-01-19

49 urbi et orbi: der Stadt [Rom] und dem ganzen Erdkreis

50 zum Jesuitenorden siehe:

Antiklerikale Karikaturen und Satiren XXI: Jesuiten  / kompiliert und hrsg. von Alois Payer. -- URL:  http://www.payer.de/religionskritik/karikaturen21.htm. -- Zugriff am 2005-01-19

51 Leo XIII.

"Leo XIII., vorher Gioacchino Vincenzo Pecci, geb. 2. März 1810 aus einer gräflichen Familie in Carpineto bei Anagni, gest. 20. Juli 1903, erzogen seit 1825 im Collegio romano, besuchte 1832-36 die Accademia pontificia und ward Anfang 1837 von Gregor XVI. zum Hausprälaten, 1838 zum Delegaten in Benevent ernannt. Hier machte er sich durch Unterdrückung des Räuberunwesens verdient, erhielt 1841 die Legation von Spoleto und noch im Juli d. J. die von Perugia. Zum Erzbischof von Damiette in partibus infidelium geweiht (Anfang 1843), ging er im März als Nuntius nach Brüssel, wo er der katholischen Kirche Belgiens ihre unabhängige Stellung erwerben half. Am 19. Jan. 1846 ward er zum Bischof von Perugia ernannt und zum Kardinal ausersehen, aber in petto reserviert. Gregors Nachfolger Pius IX. ließ Pecci auf den Rat des eifersüchtigen Antonelli in seinem abgelegenen Bistum und verwirklichte erst 19. Dez. 1853 seine Ernennung zum Kardinal. Sein Bistum verwaltete Pecci vortrefflich und stand auch nach der Annexion Perugias mit der italienischen Regierung in gutem Einvernehmen. Von stattlichem, ernstem Äußern, sein gebildet, taktvoll und liebenswürdig, aufrichtig fromm und von tadellosem Lebenswandel, erlangte er bei allen, mit denen er verkehrte, große Beliebtheit. Erst nach Antonellis Tod (6. Nov. 1876) ward er nach Rom berufen und erhielt 21. Sept. 1877 das Amt eines Kämmerers der römischen Kirche. Als solcher leitete er nach Pius' IX. Tod (7. Febr. 1878) die Geschäfte der Kurie, ward nach kurzem Konklave im dritten Gange 20. Febr. 1878 als Führer der Mittelpartei des Kardinalkollegiums zum Papst erwählt und 3. März gekrönt. Ohne den prinzipiellen Standpunkt seines Vorgängers zu verleugnen, trat er doch in mildern Formen für die Sache des Papsttums auf. Er ernannte gemäßigte Kardinäle, wie Franchi, Jacobini u.a., zu Staatssekretären, knüpfte mit den weltlichen Machthabern wieder persönliche Beziehungen an und suchte über die streitigen Fragen eine die Prinzipien unberührt lassende Verständigung herbeizuführen. Dies gelang ihm namentlich mit Preußen, wo unter seiner wesentlichen Mitwirkung der Kulturkampf beendigt wurde; mit dem deutschen Reichskanzler Fürsten Bismarck trat er in so gute Beziehungen, dass dieser ihm 1885 das Schiedsgericht in dem Streit mit Spanien über die Karolinen übertrug. Italien gegenüber hielt er die Ansprüche auf die Wiederherstellung der weltlichen Macht des Papsttums und die Fiktion seiner Unfreiheit seit deren Aufhebung unverbrüchlich aufrecht. Sehr bedeutend war seine Wirksamkeit für die Organisation der Kirchenverfassung in Asien, Amerika und Australien, und ungemein groß ist die Zahl der von ihm dort errichteten Erzbistümer und Bistümer. Die wissenschaftlichen Studien bemühte er sich zu fördern; er öffnete 1883 die vatikanischen Archive für die historische Forschung und hat sich selbst als Dichter (meist in lateinischer Sprache) bekannt gemacht (»Leonis XIII., Pont. Maximi, carmina«, hrsg. von Brunelli, Udine 1883; mit Übersetzung von Behringer, Regensb. 1887; »Leonis XIII. carmina, inscriptiones, numismata«. hrsg. von J. Bach, Köln 1903, und danach deutsch von Barth, das. 1904). Auch den neuern sozialen Bestrebungen wandte er seine Fürsorge zu. Mit glänzenden Festlichkeiten feierte er 31. Dez. 1887 sein fünfzigjähriges Priesterjubiläum und 19. Febr. 1893 sein fünfzigjähriges Bischofsjubiläum. In seiner internationalen Politik näherte er sich, da der Dreibund jede Aussicht auf Wiederherstellung der weltlichen Herrschaft der Kurie zu vereiteln schien, seit 1892 mehr und mehr Frankreich, begünstigte dessen Verbindung mit Russland und wies den französischen Episkopat sowie die katholischen Monarchisten an, die Republik nicht zu bekämpfen, eine Anordnung, die freilich nicht überall Gehorsam fand, und nicht verhinderte, dass die Regierung der Republik in ihrer Kirchen- und Schulpolitik sich immer mehr von den im Vatikan hochgehaltenen Grundsätzen entfernte. Dagegen ließ er in Ungarn 1894 die Geistlichkeit der neuen Kirchengesetzgebung, die das liberale Ministerium Wekerle ins Leben rief, einen heftigen, wenn auch vergeblichen Widerstand entgegenstellen. In seinen letzten Lebensjahren ließ Leo der intransigenten Politik des Staatssekretärs Kardinal Rampolla mehr und mehr freie Hand. Im J. 1900 feierte er das allgemeine Jubiläum; 20. Febr. 1903 beging er das Fest seines 25jährigen Pontifikats und empfing im Mai d. J. die Besuche des Königs Eduard von England und des deutschen Kaisers."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

52 Mariana

" Mariana, Juan, span. Geschichtschreiber, geb. 1536 in Talavera, gest. 17. Febr. 1623 in Madrid, trat in den Jesuitenorden. Seit 1560 lehrte er Theologie in Rom, Sizilien und Paris, bis er sich 1574 aus Gesundheitsrücksichten nach Toledo zurückzog. Seine Rechtlichkeit, die er in dem Prozeß des von den Jesuiten verfolgten Herausgebers der Polyglottenbibel, Arias Montano, bekundete, sowie die Freimütigkeit, mit der er die Gebrechen des Ordens aufzudecken wagte, zogen ihm Zurücksetzungen aller Art und sogar einjährige Hast zu. Sein Hauptwerk, die »Historiae de rebus Hispaniae libri XXX« (Toledo 1592 und Frankf. a. M. 1616), ist in elegantem Latein, aber ohne Kritik, abgefaßt. Mariana selbst übersetzte es ins Spanische (Madr. 1819, 8 Bde.). Seine Abhandlung »De rege et regis institutione« (Toledo 1598) wurde vom Parlament in Paris zum Feuer verurteilt. Den Jesuitenorden betrifft das in seinen Papieren aufgefundene Werk »De las enfermedades de la Compañia y de sus remedios« (Brüss. 1625)."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

53 Jakob Clement

"Clément (spr. -mang), Jacques, der Mörder Heinrichs III., Königs von Frankreich, geb. 1564 in Sarbon bei Reims, ward als Dominikaner durch den Parteigeist der Ligue auf den Gedanken gebracht, den König, der vor dem aufrührerischen Paris stand, zu ermorden. Am 31. Juli 1589 in St.-Cloud als Überbringer wichtiger Nachrichten vor den König geführt, durchbohrte er ihn, während dieser den ihm dargereichten Brief las. Diener warfen Clément zu Boden und töteten ihn. Der Leichnam ward zum Fenster hinausgestürzt, auf die Richtstätte geschleift, von vier Pferden zerrissen und dann verbrannt."

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54 Sixtus V.

"Sixtus V., 1585-90, vorher Felice Peretti, geb. 13. Dez. 1521 in Grottammare bei Montalto in der Mark Ancona als Sohn eines Bauern, gest. 27. Aug. 1590, wurde als neunjähriger Knabe dem Franziskanerkloster in Montalto übergeben, studierte seit 1540 in Ferrara und Bologna, wurde 1547 Priester, trat bald als Fastenprediger hervor und wurde nacheinander Klosterregens in Siena, Neapel und (1556) Venedig. 1560 wurde er in Rom Konsultor des heiligen Offiziums, Professor an der Universität und Generalprokurator, 1566 Generalvikar des Franziskanerordens, Bischof von Sant' Agata de' Goti, 1570 Kardinal und 1571 Bischof von Fermo. Seine Regierung war kräftig und energisch. Er unterdrückte das Banditenwesen im Kirchenstaat, drang auf unparteiische Rechtspflege, ordnete die Finanzen auf das vortrefflichste, stellte die nach ihm benannte große Wasserleitung (Acqua Felice) wieder her, erweiterte die Vatikanische Bibliothek, für die er ein prachtvolles Gebäude erbaute, und errichtete eine eigne Druckerei, aus der seine Ausgabe der Werke des heil. Ambrosius und die von ihm veranlasste Ausgabe der Septuaginta (1587) und der Vulgata (1590) hervorgingen. Ebenso sorgte er für Belebung der Industrie durch Gründung von Seiden- und Wollmanufakturen und durch Aufhebung lästiger Zölle. Die Zahl der Kardinäle setzte er auf 70 fest. In den theologischen Streitigkeiten legte er eine weise Zurückhaltung an den Tag; so gebot er den mit der Universität Löwen in Streit geratenen Jesuiten Schweigen. Dagegen nahm er an den politischen Angelegenheiten seiner Zeit lebendigen Anteil. In den Streitigkeiten zwischen Frankreich, Spanien und Navarra spielte er eine große Rolle und unterstützte die Guisen gegen die Hugenotten. Elisabeth von England und Heinrich von Navarra belegte er mit dem Bann; Heinrich III. von Frankreich bedrohte er mit demselben. Seine vom Senat auf dem Kapitol errichtete Bildsäule ward von dem über seine Strenge und den Druck seiner Auflagen erbitterten Volk alsbald niedergerissen."

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55 Gregor XIII.

"Gregor XIII., vorher Ugo Buoncompagni, geb. 1512 in Bologna, gest. 10. April 1585, bildete sich in seiner Vaterstadt zum Rechtsgelehrten und wurde von Pius IV. in die kirchlichen Geschäfte gezogen; als Kardinal von San Sisto erwarb er sich großes Ansehen, namentlich durch eine Legation bei Philipp II. von Spanien. Am 13. Mai 1572 wurde er auf den päpstlichen Stuhl erhoben. Die Erweiterung des Professhauses in Rom, die Unterstützung des streng kirchlichen Unterrichts und die Restauration des von Julius III. gegründeten Collegium germanicum waren sein Werk; auch die Jesuitenschulen in Deutschland fanden an ihm einen Beschützer. Die Pariser Bluthochzeit wurde von ihm in Rom mit einem Tedeum gefeiert und durch eine Denkmünze verherrlicht. Auch unterstützte er die französische Liga im Kampfe gegen die Hugenotten. Unter ihm kam 1582 die lange angestrebte Kalenderreform (der Gregorianische Kalender) zustande (s. Kalender). Sein Leben beschrieb Maffei (1742). Seine Schriften finden sich in Eggs »Pontificium doctum«."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

56 Bluthochzeit

"Bartholomäusnacht oder Pariser Bluthochzeit, die Ermordung der Protestanten ( Hugenotten, s. d.) in Paris 24. Aug. 1572. Daß die Tat schon seit der Zusammenkunft mit Alba in Bayonne 1565 von Katharina und den katholischen Parteihäuptern geplant gewesen sei (so Bordier, La Saint- Barthélemy et la critique moderne, Genf 1879; Wuttke, mr Vorgeschichte der B., Leipz. 1879; Combes, L'entrevue de Bayonne et la question de la Saint-Barthélemy, Par. 1882), ist falsch. Katharina von Medici hatte im Einverständnis mit Heinrich von Anjou und den Guisen nur ihren Feind, den Admiral Coligny, der den König Karl IX. ganz für sich eingenommen hatte und ihn zum Kriege gegen Spanien drängte, beseitigen wollen. Als der Mordanschlag 22. Aug. 1572 mißglückte, beschloß sie aus Furcht vor der Rache der Hugenotten, die aus Anlaß der Hochzeit Heinrichs IV. mit Margarete von Valois in Paris zahlreich versammelt waren, deren Vernichtung und entriß 23. Aug. auch Karl IX. die Einwilligung. Der schändliche Frevel wurde in der Nacht vom 23. auf den 24. Aug. (B.) mit Hilfe der fanatisch-katholischen Bürger von Paris ausgeführt. Erst ward Coligny, dann alle protestantischen Edelleute, deren man habhaft werden konnte, ermordet, wenigstens 2000. Darauf fiel man auch in der Provinz über die Hugenotten her, deren in 4 Wochen 30,000 niedergemetzelt wurden. Karl IX. gab geheime Befehle, alle Ketzer als Feinde der Krone zu töten. Doch rafften sich die Protestanten zu tatkräftigem Widerstand auf. Weder Spanien noch die römische Kurie waren vorher von dem Mordplan unterrichtet worden, empfanden aber über dessen Ausführung lebhafte Genugtuung."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

57 Hoensbroech


Abb.: Paul Graf von Hoensbroech, Altstellaner und Ex-Jesuit

[Bildquelle: Wolf, Hans-Jürgen: Sünden der Kirche : das Geschäft mit dem Glauben ; Ketzerei, Kreuzzüge, Juden- und Frauenhaß, Heiligen- und Reliquienkult, Zölibat, Moral. -- Sonderausg. -- Hamburg : Nikol, 1998. -- 1266 S. : zahlr. Ill. ; 24 cm. -- Lizenz der EFB-Verl.-Ges., Erlensee. -- ISBN 3-930656-89-2. -- S. 1029.]

"HOENSBROECH (sprich: Honsbroch), Paul Graf von, leidenschaftlicher Bekämpfer des ultramontanen Katholizismus, * 29.6. 1852 auf Schloss Haag bei Geldern, † 29.8. 1923 in Berlin-Lichterfelde.

In einem kinderreichen Elternhaus wuchs Hoensbroech im Geist ultramontaner Frömmigkeit heran und kam mit 9 Jahren in die »Stella matutina« in Feldkirch (Vorarlberg). Als er im Sommer 1869 diese von Jesuiten geleitete Anstalt verließ, stand sein Entschluss fest, Jesuit zu werden. Wilhelm Emanuel Freiherr von Ketteler (s.d.), Bischof von Mainz, ein Vetter seiner Mutter, riet ihm davon ab: er solle zunächst das Abitur in Deutschland machen. So besuchte Hoensbroech das Obergymnasium in Mainz und bestand im Sommer 1872 das Abiturientenexamen. Nun wurde er in das Jesuitenkollegium nach Stonyhurst (England) geschickt, um dort Philosophie zu studieren. Hoensbroech entschied sich für das juristische Studium, das er 1872/73 in Bonn begann und in Göttingen und Würzburg fortsetzte, und legte im Herbst 1876 in Köln das Referendarexamen ab. Nach längeren Reisen durch Frankreich, Portugal, Spanien und Algier, Wallfahrten nach dem benachbarten Kevelaer, Lourdes (Südfrankreich) und Marpingen (Diözese Trier) und Pilgerfahrten nach Rom und mehreren Sterbefällen in der Familie entschloss sich Hoensbroech nach langem Zögern endlich zum Eintritt in den Jesuitenorden.

Das Noviziat in Exaeten bei Roermond (Maas) dauerte von 1878-80.

»Monatelang hatte ich die Öl- und Petroleumlampen des ganzen Hauses zu besorgen, und später wurden auch die Aborten meiner Obhut unterstellt«.

An das Noviziat schloss sich nach der Studienordnung des Ordens das sog. Scholastikat.

»Mein Leben als Scholastiker der Gesellschaft spielte sich ab in den Studienhäusem und Kollegien Wynandsrade (1880-81) und Blyenbeck (1881-83) in Holland sowie Ditton Hall in England (1883-87), denn England gehörte zur deutschen Provinz des Jesuitenordens«.

1886 empfing Hoensbroech vom Bischof von Liverpool in Ditton Hall die Priesterweihe. Die Obern bestimmten im zum Mitarbeiter an den »Stimmen aus Maria Laach« und schickten ihn zur Förderung seiner Studien nach Brüssel zu den Bollandisten (s. Bollandus, Jean), die in einem großen Werk das Leben und Wirken der Heiligen darstellten. Sein Arbeitsgebiet war die Kirchengeschichte, besonders die Papstgeschichte. Er sollte die Notwendigkeit des Kirchenstaates für die Freiheit des Papstes beweisen. Gleichzeitig erhielt Hoensbroech den Auftrag, sich in Berlin niederzulassen, um dort den Boden für eine Jesuitenniederlassung vorzubereiten. Er sollte sich an der Universität immatrikulieren lassen und einige Vorlesungen belegen, um den Schein zu erwecken, er halte sich nur zu Studienzwecken in Berlin auf. Im Auftrag seines Ordens studierte Hoensbroech eifrig evangelische Theologie, um sie zu widerlegen. Das führte zu furchtbaren inneren Kämpfen.

»Dabei hatte ich niemand, dem ich mein Elend hätte klagen können; denn Schweigen über meine inneren Kämpfe war notwendig, sonst wäre die Möglichkeit der Befreiung mir abgeschnitten worden. Es steht bei mir unzweifelhaft fest, dass, hätte ich gesprochen, die Tore eines Irrenhauses sich hinter mir auf Lebenszeit geschlossen hätten. Zahlreiche Mitglieder der Deutschen Ordensprovinz sind während meiner Zugehörigkeit zum Orden hinter den Mauern eines im nahen Belgien bei Löwen gelegenen Irrenhauses verschwunden. Die Anstalt gehörte einer Genossenschaft Barmherziger Brüder; staatliche Kontrolle bei Einlieferung fand nicht statt, und so bot die Beiseiteschaffung unbequemer Individuen keine Schwierigkeiten. Dem steht nicht entgegen, dass viele Jesuiten den Orden verlassen, ohne behelligt zu werden. Mein Fall lag anders. Ich war Priester, und ich wollte nicht nur den Orden, sondern auch die Kirche verlassen. Auch nur stillschweigendes Geschehenlassen der zwiefachen Apostatie hätte dem Orden, zumal wegen des Namens, den ich trage, und wegen des Ansehens, das ich in weiten katholischen Kreisen schon besaß, ungeheuer geschadet«.

Im Herbst 1888 trat Hoensbroech in Portico bei Liverpool das Tertiat an, die dritte Probezeit nach Abschluss der Studienjahre. Exerzitien sollten ihm Klarheit über sich selbst geben. Wenn es ihm nicht gelingen sollte, die Glaubenszweifel als Versuchungen zu erkennen und zu überwinden, wollte er Kirche und Orden verlassen. Nach Beendigung des Tertiats kehrte Hoensbroech im Sommer 1890 nach Exaeten zurück in dem Bewusstsein, den Bruch mit dem Orden und der Kirche vollziehen zu müssen.

»Aber mehr als zwei Jahre noch habe ich am Rande des Abgrundes gestanden, ehe ich die Entschlossenheit fand, den Sprung zu tun, nicht in den Abgrund, sondern über ihn hinweg auf die andere Seite, um, durch den tiefen Schlund getrennt, auf neuem Boden, in neuer Welt festen Fuß zu fassen«.

Der Auftrag seines Obern, in einer benachbarten Gemeinde dem Pfarrer in der Weihnachtszeit 1892 zu helfen, bot ihm Gelegenheit zur Flucht:

»Ich fuhr nach Köln, eröffnete mich dem Rechtsanwalt H., übergab ihm Briefe an den Orden und an meine Mutter, worin ich die Unwiderruflichkeit meines Schrittes erklärte, da ich den Glauben an die Wahrheit der katholischen Lehre verloren hätte, telegraphierte dem Pfarrer, dass die versprochene Aushilfe nicht kommen könne, und unterzeichnete, um keinen Verdacht zu erregen, dieses Telegramm mit dem Name des Jesuitenobern, der die Aushilfe zugesagt hatte«.

Hoensbroech ließ sich zunächst in Frankfurt am Main nieder. Nach längerem Kuraufenthalt auf Helgoland nahm er seinen dauernden Wohnsitz in Berlin. 1895 vollzog Hoensbroech den Übertritt zur evangelischen Kirche, in der er bis zu seinem Tod blieb, obwohl er zu ihr kein inneres Verhältnis gewinnen konnte. In demselben Jahr verheiratete sich Hoensbroech mit Gertrud Lettgau, deren Vater Geheimer Oberjustizrat und Senatspräsident am Königlichen Kammergericht in Berlin war. Seine Hoffnungen auf ein Landratsamt oder etwa Ähnliches gingen nicht in Erfüllung.

Als seine Lebensaufgabe erkannte Hoensbroech immer deutlicher die Bekämpfung des Jesuitenordens und des Ultramontanismus als kulturfeindliche Mächte. Den Ultramontanismus kennzeichnete er mit folgenden Worten:

»Ultramontanismus ist: ein weltlich-politisches System, das unter dem Deckmantel von Religion und unter Verquickung mit Religion weltlich-politische, irdisch-materielle Herrschafts- und Machtbestrebungen verfolgt; ein System, das dem geistlichen Haupte der katholischen Religion, dem Papste, die Stellung eines weltlich-politischen Großkönigs über Völker und Fürsten zuspricht«.

1897 wurde Hoensbroech in den Zentralvorstand des »Evangelischen Bundes« gewählt, dem er eine Zeitlang angehörte. 1898 leitete Hoensbroech acht Monate lang die »Tägliche Rundschau« und gab von Oktober 1902 bis März 1907 in Verbindung mit namhaften Männern der Wissenschaft und des Schrifttums die Zeitschrift »Deutschland, Monatsschrift für die gesamte Kultur« heraus."

[Quelle: Friedrich Wilhelm Bautz. -- http://www.bautz.de/bbkl/h/hoensbroech_p.shtml. -- Zugriff am 2005-01-19] 

Hoensbroech (spr. honsbroch), Reichsgraf Paul von und zu, geb. 29. Juni 1852 zu Schloss Haag im Kreise Geldern, kam mit neun Jahren in die von Jesuiten geleitete Erziehungsanstalt zu Feldkirch (Vorarlberg), besuchte 1869-71 die Unter- und Oberprima des Gymnasiums in Mainz unter besonderer Leitung des Bischofs v. Ketteler, studierte ein Jahr Philosophie in dem englischen Jesuitenkolleg von Stonyhurst, dann in Deutschland drei Jahre die Rechte und arbeitete ein Jahr im preußischen Justizdienst. Er unternahm Reisen nach England, Frankreich, Portugal, Spanien, Italien und Nordafrika und trat 1878 in den Jesuitenorden ein, als dessen literarischer Anwalt er dann eine Reihe von Schriften veröffentlichte: »Der Kirchenstaat in seiner dogmatischen und historischen Bedeutung« (Freiburg 1889), »Warum sollen die Jesuiten nicht nach Deutschland zurück?« (das. 1890), »Geist des heiligen Franz Xaver« (Paderb. 1891), »Die Preußischen Jahrbücher, Professor Harnack und die Jesuiten« (Berl. 1891), »Professor Tschackert und die authentischen Gesetze des Jesuitenordens« (das. 1891), »Christ und Widerchrist« (Freiburg 1892) u. a. 1892 verließ Hoensbroech aber den Orden, trat 1895 zum Protestantismus über und heiratete die Tochter des Senatspräsidenten am Kammergericht zu Berlin Lettgau. Seit seinem Austritt aus dem Jesuitenorden ist Hoensbroech einer der rührigsten Bekämpfer des ultramontanen Systems, auf katholischer Seite gefürchtet und gehasst, gibt seit 1902 in Verbindung mit E. v. Hartmann, O. Pfleiderer u. a. in Berlin die Zeitschrift »Deutschland« heraus und wohnt in Großlichterfelde bei Berlin. Außer zahlreichen kleinern Schriften (»Mein Austritt aus dem Jesuitenorden«, Berl. 1893 u. ö.; »Ultramontane Leistungen«, 1895; »Die römische Frage«, 1895; »Die deutschen Jesuiten der Gegenwart und der konfessionelle Friede«, 1896; »Religion oder Aberglaube«, 1896; ». Der Zweck heiligt die Mittel', als jesuitischer Grundsatz erwiesen«, 3. Aufl., Berl. 1904, u. a.) verfasste er seitdem noch: »Der Ultramontanismus, sein Wesen und seine Bekämpfung« (2. Aufl., Berl. 1897) und »Das Papsttum in seiner sozialkulturellen Wirksamkeit« (Leipz. 1900-02, 2 Bde.; 4. Aufl. 1902; verkürzte Volksausgabe 1904; vgl. dazu seine Schrift »Die katholische Kritik über mein Werk etc.«, das. 1902). Von den vereinigten Ordnungsparteien wurde er 1903 als Reichstagskandidat im 22. sächsischen Wahlkreis aufgestellt, unterlag aber dem sozialdemokratischen Gegner."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

58 Escobar

" Escobar y Mendoza, Antonio, gelehrter Jesuit, geb. 1589, gest. 4. Juli 1669 in Valladolid, hat sich als Moralist und Kasuist einen Namen gemacht. Sein Hauptwerk ist der von Pascal (s.d.) verspottete »Liber theologiae moralis« (Lyon 1644 u. ö.). Pascal führte auch die Bezeichnung escobarder (eskobardieren) für »schlau auslegen, vorgaukeln, sich seiner Lügen bedienen« in die Literatur ein."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

59 Ranke

"Ranke, Leopold von, deutscher Geschichtsschreiber, geb. 20. Dez. 1795 (nach dem Kirchenbuche. nach der Familienüberlieferung 21. Dez.) zu Wiehe in Thüringen, gest. 23. Mai 1886 in Berlin, in Schulpforta erzogen, studierte in Halle und Berlin Theologie und Philologie und wirkte seit 1818 als Oberlehrer am Gymnasium in Frankfurt a. O., wurde aber infolge seiner »Geschichten der romanischen und germanischen Völker von 1494-1535« (Bd. 1, Berl. 1824) und die dazu gehörige Schrift »Zur Kritik neuerer Geschichtsschreiber« (das. 1824; von beiden 3. Aufl., Leipz. 1885) 1825 als Professor der Geschichte an die Universität Berlin berufen. 1827 sandte ihn die Regierung zur Sammlung archivalischen Materials nach Wien, Venedig, Rom und Florenz, und er entdeckte dabei die von ihm erfolgreich verwerteten venezianischen Gesandtschaftsberichte. Die Resultate seiner Forschungen legte Ranke nieder in den Werken: »Fürsten und Völker von Südeuropa im 16. und 17. Jahrhundert« (1. Bd.: »Die Osmanen und die spanische Monarchie«, Hamb. 1827, 4. Aufl. 1877); »Die serbische Revolution« (das. 1829, 3. Aufl. u. d. T.: »Serbien und die Türkei im 19. Jahrhundert«, Leipz. 1879); »Über die Verschwörung gegen Venedig im J. 1618« (Berl. 1831) und die Vorlesungen »Zur Geschichte der italienischen Poesie« (das. 1837). In seiner damals begonnenen »Historisch-politischen Zeitschrift« (Bd. 1, Hamb. 1832; Bd. 2, Berl. 1833-36) suchte er durch ein auf Einsicht in die geschichtlichen Vorbedingungen des Staatslebens gebautes Programm den Liberalismus zu bekämpfen. Großen Beifall fand das erste seiner Hauptwerke, zugleich als 2. Band der »Fürsten und Volker«: »Die römischen Päpste, ihre Kirche und ihr Staat im 16. und 17. Jahrhundert« (Berl. 1834 bis 1836, 3 Bde.; 10. Aufl. 1000). Die andre Seite des europäischen Lebens im 16. und 17. Jahrh., die Gründung des Protestantismus, behandelte er in seinem zweiten Hauptwerk, der »Deutschen Geschichte im Zeitalter der Reformation« (Berl. 1839-47, 6 Bde.; 7. Aufl., Leipz. 1894, 6 Bde.). 1841 zum Historiographen des preußischen Staates ernannt, schrieb er »Neun Bücher preußischer Geschichte« (Berl. 1847-1848, 3 Bde.), wovon eine neue, mit einer Einleitung: »Genesis des preußischen Staats«, vermehrte Ausgabe u. d. T.: »Zwölf Bücher preußischer Geschichte« (Leipz. 1874, 5 Bde.; vermehrt 1878-79, 5 Bde.) erschien. Er wandte sich darauf der französischen und englischen Geschichte zu und lieferte die »Französische Geschichte, vornehmlich im 16. und 17. Jahrhundert« (Stuttg. 1852-61, 5 Bde.; 3. Aufl. 1877-79) und »Englische Geschichte, vornehmlich im 16. und 17. Jahrhundert« (Berl. 1859-68, 7 Bde.; 4. u. 3. Aufl. 1877-79, 9 Bde.), bei der er ebenfalls neueröffnete Quellen benutzte. Daran schlossen sich: »Geschichte Wallensteins« (Leipz. 1869, 5. Aufl. 1895); »Zur deutschen Geschichte. Vom Religionsfrieden bis zum Dreßigjährigen Krieg« (das. 1869, 3. Aufl. 1888); »Der Ursprung des Siebenjährigen Kriegs« (das. 1871); »Die deutschen Mächte und der Fürstenbund« (das. 1871, 2 Bde.; 2. Aufl. 1876); »Abhandlungen und Versuche« (das. 1872, 2. Aufl. 1877; neue Sammlung, hrsg. von A. Dove, 1888); »Aus dem Briefwechsel Friedrich Wilhelms IV. mit Bunsen« (das. 1873, 2. Aufl. 1874); »Ursprung und Beginn der Revolutionskriege 1791 und 1792« (das. 1875, 2. Aufl. 1879); »Zur Geschichte von Österreich und Preußen zwischen den Friedensschlüssen zu Aachen und Hubertusburg« (das. 1875); die »Denkwürdigkeiten des Staatskanzlers Fürsten von Hardenberg« (das. 1877 bis 1378, 5 Bde.), daraus als Auszug: »Hardenberg und die Geschichte des preußischen Staats von 1793 bis 1813« (das. 1880-81, 2 Bde.); ferner: »Friedrich d. Gr.; Friedrich Wilhelm IV. Zwei Biographien« (das. 1878); »Historisch-biographische Studien« (das. 1878); »Zur venezianischen Geschichte« (das. 1878); »Zur Geschichte Deutschlands und Frankreichs im 19 Jahrhundert« (hrsg. von A. Dove, das. 1887). Einen großartigen Abschluss seiner historiographischen Tätigkeit sollte die noch in spätem Alter begonnene und daher nicht vollendete »Weltgeschichte« (Leipz. 1881-88, 9 Bde. in wiederholten Auflagen; Bd. 7-9 hrsg. von Dove, Wiedemann und Winter; Textausgabe in 4 Bdn. 1895, 2. Aufl. 1896) bilden; sie behandelt nur das Altertum und einen Teil des Mittelalters. Als Separatausgabe aus dem 9. Band erschienen die 1854 vor König Max II. von Bayern gehaltenen Vorträge »Über die Epochen der neuern Geschichte« (3. Abdruck, Leipz. 1906). Eine Gesamtausgabe der Werke Rankes erschien 1868-90 zu Leipzig in 54 Bänden. Im akademischen Unterricht (bis 1872) pflegte Ranke außer seinen Vorlesungen besonders die historischen Übungen. Aus diesen Übungen ist die Rankesche Schule hervorgegangen, der namhafte Historiker der 2. Hälfte des 19. Jahrh. angehören. Die von ihm begründeten »Jahrbücher des Deutschen Reiches unter dem sächsischen Haus« (Bd. 1-3, Abt. 1, Berl. 1837-40) enthielten Arbeiten seiner Schüler. Am 21. Dez. 1865 wurde er geadelt und nach Böckhs Tod 1867 Kanzler des Ordens Pour le mérite. Bei der Feier seines 50- und 60jährigen Doktorjubiläums (20. Febr. 1867 und 1877) ward er von der deutschen Geschichtswissenschaft als ihr Altmeister geehrt und 1882 zum Wirklichen Geheimen Rat mit dem Prädikat »Exzellenz« ernannt. Als Geschichtschreiber nimmt Ranke eine hervorragende Stelle in Deutschland ein. Er besaß einen seltenen Fleiß und Scharfsinn im Aussichten von Quellen und im Sichten des Materials und übte methodische Kritik; sein Sinn für die konkreten Erscheinungen des Lebens, sein zugleich scharfer und tiefer psychologischer Blick geben seinen Darstellungen eine plastische Form von hoher Vollendung; namentlich in der Charakteristik einzelner hervorragender Personen und der sie bestimmenden psychologischen Elemente ist er Meister. Am 3. März 1906 wurde in seiner Vaterstadt, wo ihm schon vorher ein Denkmal errichtet war (enthüllt 27. Mai 1896), ein Leopold von Ranke-Verein begründet, der sich die Erhaltung des im Geburtshaus untergebrachten Rankemuseums zur Pflicht macht."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

60 Weber

"Weber, Karl Julius, Schriftsteller, geb. 16. April 1767 zu Langenburg im württembergischen Franken, gest. 20. Juli 1832 in Kupferzell, studierte in Erlangen und Göttingen die Rechte, nahm dann eine Hofmeisterstelle in der französischen Schweiz an, wo er sich mit der französischen Literatur und Philosophie vertraut machte, wurde 1792 Privatsekretär bei dem Grafen von Erbach-Schönberg, 1799 Rat der Regierungskanzlei zu König im Odenwald und trat 1802 als Hof- und Regierungsrat in Isenburgsche Dienste, um den Erbgrafen auf seinen Reisen zu begleiten. In Berlin aber entfloh dieser seinem Führer, worauf Weber seinen Abschied nahm und in verschiedenen Orten seines Heimatsbezirks als Privatmann lebte. Von 1820-24 vertrat er das Oberamt Künzelsau in der württembergischen Ständeversammlung. Er schrieb: »Möncherei« (Stuttg. 1818-20, 3 Bde.); »Das Ritterwesen« (das. 1822-24, 3 Bde.); »Deutschland, oder Briefe eines in Deutschland reisenden Deutschen« (das. 1826-28, 3 Bde.; 3. Aufl., als »Reisehandbuch« eingerichtet, 1843, 6 Bde.) und »Demokritos, oder hinterlassene Papiere eines lachenden Philosophen« (unvollendet, das. 1832-40, 12 Bde.; 8. Aufl. 1870 u. 1888). In allen diesen Werken zeigt er sich als einen im Geiste des französischen Aufklärungszeitalters gebildeten Mann mit seiner Beobachtungsgabe. Dabei besaß er eine ausgebreitete Belesenheit, die er mit Vorliebe dazu verwendete, skandalöse Geschichtchen zusammenzutragen und in seine Schriften zu verweben."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

61 Gury

"Gury (spr. güri), Jean Pierre, kath. Moraltheolog, geb. 23. Jan. 1801 in Mailleroncourt (Franche-Comté), gest. 18. April 1866 in Vals, trat 1824 in den Jesuitenorden, ward 1833 Professor der Moral am Jesuitenkollegium in Vals bei Le Puy, 1847 am Collegium romanum in Rom, kehrte aber schon im folgenden Jahre, durch die Revolution vertrieben, nach Vals zurück. Sein nach A. v. Liguori gearbeitetes und in vielen Auflagen, auch in deutscher Übersetzung (Regensb. 1868) verbreitetes Hauptwerk ist das »Compendium theologiae moralis« (Lyon u. Par. 1850, 2 Bde.; beste Ausgabe von Ballerini, 6. Aufl., Rom 1882), ein System der katholischen Sittenlehre zum Gebrauch für Geistliche bei der Beichte und Absolution, das die altjesuitische Kasuistik und den Probabilismus erneuert und an vielen Seminaren (z. B. in Mainz) eingeführt worden ist. Ihm folgten 1863 die »Casus conscientiae« (Lyon u. Par., 2 Bde.; 8. Aufl. 1891). Vgl. A. Keller, Die Moraltheologie des Jesuitenpaters G. (2. Aufl., Aarau 1870)."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

62 Osservatore Romano

"L'Osservatore Romano (italienisch für Der Römische Beobachter) ist die amtliche Zeitung der Vatikanstadt.

Die erste Nummer des Osservatore Romano erschien am 1. Juli 1861 in Rom. Sie wurde vom damaligen stellvertretenden "Innenminister" der päpstlichen Regierung, Marcantonio Pacelli, dem Großvater von Pius XII. ins Leben gerufen. Die ersten Nummern hatten einen Umfang von vier Seiten. Ende des Jahres 1861 wurde der Untertitel moralische Zeitung aufgegeben, und unter dem Zeitungskopf erschien das noch heute verwendete Motto: UNICUIQUE SUUM - NON PRAEVALEBUNT.

Die Redaktion der deutschsprachigen Ausgabe, die am 8. Oktober 1971 ihre Arbeit aufgenommen hatte, nahm nach und nach an Umfang zu. Ab dem 3. Januar 1986 wurde der Druck der Zeitung zum Schwabenverlag nach Deutschland verlegt.

Indem der Vatikan eine eigene Zeitung herausgibt und auch einen weltweiten Rundfunksender Radio Vatikan unterhält, zeigt das Papsttum seine prinzipielle Wertschätzung der modernen Massenkommunikationsmittel, die immer wieder in päpstlichen Verlautbarungen ausgedrückt wurde. Obwohl die Auflage des Osservatore verhältnismäßig klein ist, gehört die Zeitung doch zu den meistbeachteten der Weltpresse, da in ihr nicht nur die Worte des Papstes abgedruckt werden, sondern sie auch die offizielle Meinung der Kurie wiedergibt."

[Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/L%27Osservatore_Romano. -- Zugriff am 2005-01-19]

63 Reinkens

"Reinkens, Joseph Hubert, kath. Theolog und Bischof, geb. 1. März 1821 in Burtscheid bei Aachen, gest. 5. Jan. 1896 in Bonn, war eine Zeitlang Fabrikarbeiter in Aachen, ehe er seine Gymnasialstudien antreten konnte, um sich hierauf in Bonn dem Studium der Theologie und Philosophie zu widmen. 1850 habilitierte er sich in Breslau und wurde 1853 außerordentlicher, 1857 ordentlicher Professor. Mit Döllinger und andern Gesinnungsgenossen entwarf Reinkens 26. und 27. Aug. 1870 die Nürnberger Erklärung gegen das vatikanische Konzil und widmete sich seitdem ganz der Sache der Altkatholiken (s. Altkatholizismus), die ihn im Juni 1873 zu ihrem Bischof ernannten. Als solcher leitete er, nachdem er seinen Wohnsitz in Bonn genommen hatte, die seither abgehaltenen Synoden. 1897 wurde ihm in Bonn ein Denkmal errichtet. Er schrieb unter anderm: »Hilarius von Poitiers« (Schaffh. 1864); »Martin von Tours« (Bresl. 1866); »Die Geschichtsphilosophie des heil. Augustinus« (Schaffh. 1866); »Aristoteles über Kunst, besonders über Tragödie« (Wien 1870); »Die päpstlichen Dekrete vom 18. Juli 1870« (Münst. 1871, 6 Tle.); »Revolution und Kirche« (Bonn 1876); »Über Einheit der katholischen Kirche« (Würzb. 1877); »Lessing über Toleranz« (Leipz. 1883), sowie die biographischen Schriften: »Luise Hensel und ihre Lieder« (Bonn 1877), »Amalie von Lasaulx« (das. 1878) und »Melchior von Diepenbrock« (Leipz. 1881), ferner »Warum ist das in der römischen Kirche jetzt geltende ultramontane System nicht katholisch?« (Bonn 1893). Seine »Hirtenbriefe« gab die Synodalrepräsentanz (Bonn 1897), eine »Sammlung religiöser Reden« Schirmer (Gotha 1902) heraus."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

64 Schlottmann

"Schlottmann, Konstantin, evang. Theologe, Schriftsteller, geb. 7.3.1819 Minden, gest. 8.11.1887 Halle/Saale

Schlottmann studierte in Berlin Philologie, Philosophie und Theologie, besuchte das Predigerseminar in Wittenberg und habilitierte sich 1847 für alttestamentliche Theologie in Berlin. Seit 1850 betreute er als Gesandtschaftsprediger die deutsche evang. Gemeinde in Konstantinopel, wo er 1854 die Gedichtsammlung Ghaselen vom Bosporus veröffentlichte. 1855 wurde er Ordinarius für neutestamentliche Exegese an der Univ. Zürich, 1858 in Bonn und 1866 in Halle. Schlottmann veröffentlichte theologische, altertumskundliche und vor allem orientalistische Abhandlungen, u.a. Die Inschrift Eschumanzars, König der Sidonier, geschichtlich und sprachlich erläutert (1868). "

[Quelle: Deutsche biographische Enzyklopädie & Deutscher biographischer Index. -- CD-ROM-Ed. -- München : Saur, 2001. -- 1 CD-ROM. -- ISBN 3-598-40360-7. -- s.v.]

65  Scharpie (franz. charpie, v. lat. carpere, pflücken, zupfen): früher sehr gebräuchliches Verbandmittel aus Fäden von zerzupfter Leinwand

66 Schmalkalder Bund

"Schmalkaldischer Bund, der Ende Februar 1531 in Schmalkalden von neun protestantischen Fürsten und Grafen aus den Häusern Sachsen, Braunschweig, Hessen, Anhalt und Mansfeld sowie elf Reichsstädten zur gemeinschaftlichen Verteidigung ihres Glaubens und ihrer politischen Selbständigkeit gegen den Kaiser und die katholischen Stände verabredete und 4. April 1531 förmlich abgeschlossene Bund. Seine Häupter waren Kurfürst Johann, dann Johann Friedrich von Sachsen und der Landgraf Philipp von Hessen. Die Verbündeten verfolgten in der religiösen Frage fortan eine gemeinsame Politik und hielten im Februar 1537 eine Bundesversammlung in Schmalkalden, auf der die Schmalkaldischen Artikel (s. d.) verfasst wurden. Ihre Weigerung, das Trienter Konzil zu beschicken, führte 1546 den Schmalkaldischen Krieg herbei, der, von den Verbündeten in Süddeutschland lau geführt, infolge des Verrats des Herzogs Moritz (s. Moritz 3) von Sachsen mit der Auflösung des an der Donau aufgestellten Heeres der Schmalkaldener (Dezember 1546), der Unterwerfung erst der süddeutschen Verbündeten und, nach dem Siege der Kaiserlichen bei Mühlberg (24. April 1547), mit der Gefangennahme des Kurfürsten von Sachsen und des Landgrafen von Hessen und der Auflösung des Bundes endete. Moritz erhielt zum Lohn die sächsische Kur und den größten Teil des Ernestinischen Sachsen. Durch das Augsburger Interim suchte Karl V. den kirchlichen Wirren in Deutschland ein Ende zu machen, aber der Abfall des Kurfürsten Moritz 1552 führte zum Passauer Vertrag und der Rettung des Protestantismus."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]

67 Hammerstein

"Hammerstein, Ludwig Frh. von, Jesuit, Theologe, Jurist, geb. 1.9.1832 Gesmold bei Melle (Hannover), gest. 15.8.1905 Trier

Hammerstein, Vetter Wilhelm von Hammerstein-Gesmolds, studierte an den Universitäten Heidelberg, München und Göttingen Rechtswissenschaften und war seit 1854 Gerichtsauditor in Lüneburg, Hameln und Hannover. Anlässlich der Bonifatiusfeier 1855 in Fulda konvertierte er zur kath. Kirche, trat nach dem Assessorexamen 1859 in Münster in die Gesellschaft Jesu ein und studierte in Maria Laach Theologie. 1868 zum Priester geweiht, wurde er 1870 Prof. des kanonischen Rechts in Maria Laach, später in Ditton Hall (bis 1874). Seit 1871 Mitarbeiter, seit 1875 Redakteur der "Stimmen aus Maria-Laach", war er seit 1877 ausschließlich schriftstellerisch tätig. Hammerstein veröffentlichte apologetische und aszetische Schriften sowie eine mehrmals wiederaufgelegte Autobiographie unter dem Titel Erinnerungen eines alten Lutheraners (1882)."

[Quelle: Deutsche biographische Enzyklopädie & Deutscher biographischer Index. -- CD-ROM-Ed. -- München : Saur, 2001. -- 1 CD-ROM. -- ISBN 3-598-40360-7. -- s.v.]


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