Materialien zum buddhistischen Erlösungsweg

 

Japanische Kalligraphie: "Stille und Abgeschlossenheit"

"Sekan" = "Stille und Abgeschlossenheit", Kalligraphie eines japan. Tendai-Priesters

Kapitel 2: Sittlichkeit (sîla)


von Alois Payer

mailto:payer@well.com


Zitierweise / cite as:

Payer, Alois <1944 - >: Materialien zum buddhistischen Erlösungsweg. -- Kapitel 2: Sittlichkeit (sîla). -- Fassung vom 9. Februar 1996. -- URL: http://www.payer.de/buddherloesung/vism02.htm. -- [Stichwort].

Letzte Überarbeitung:  9. Februar 1996

Anlaß: Lehrveranstaltung Der buddistische Erlösungsweg, Univ. Tübingen, WS 1995/96

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Übersicht



Sittlichkeit s. Visuddhimagga Kap. 1 §§ 16-161, Kap. 2


Was ist Sittlichkeit?


Visuddhimagga Kap 1, §§ 17-18

  1. Sittlichkeit als Wollen (cetanâ f.): Das Wollen z.B. beim Enthalten vom Töten von Lebewesen
  2. Sittlichkeit als Bewußtseinsfaktor (cetasika n.) : das Enthalten usw. bei sittlichen Akten
  3. Sittlichkeit als Zügelung / Eindämmung (samvara m.):
    1. Zügelung gemäß den Ordensregeln (pâtimokhasamvara m.)
    2. Zügelung durch Achtsamkeit / Geistesgegenwart (satisamvara m.): "Er hütet den Sehsinn, zügelt den Sehsinn ..."
    3. Zügelung durch Einsicht (ñânasamvara m.): "Durch Achtsamkeit zügelt man die Leidenschaft, durch Einsicht beendet man sie (dämmt sie endgültig ab)
    4. Zügelung durch Duldsamkeit (khantisamvara m.): "Duldsam ist er gegen Kälte und Hitze usw. ..."
    5. Zügelung durch Energie (viriyasamvara m.): "Einen aufgestiegenen leidenschaftlichen Gedanken duldet er nicht ....", Auch die Reinheit des Lebenserwerbes gehört hierher.
  4. Sittlichkeit als Nicht-Übertretung (avîtikamma m.): Das Nichtübertreten von Trainingspunkten der Sittlichkeit in Taten oder Worten

Funktionen und Grundlagen der Sittlichkeit


Visuddhimagga Kap 1, §§ 20-21

Funktionen:

  1. Zerstören der Unsittlichkeit
  2. Zustand der Untadeligkeit

Grundlagen:

  1. Selbstwertgefühl / Scham (hiri)
  2. Furcht vor den bösen Konsequenzen (otappa)

Vorteile der Sittlichkeit


Visuddhimagga Kap 1, §§ 23-24

  1. Reue-Losigkeit (avippatisâra m)
  1. Großes materielles Wohlergehen
  2. Guter Ruf
  3. Selbstvertrauen und kein Knieschlottern beim Auftritt in der Öffentlichkeit
  4. Ruhiges, unverwirrtes Sterben
  5. Nach dem Tod: Wiedergeburt in einer himmlischen Welt

Begriffsreihe, die Wichtigkeit der Sittlichkeit für Erlösung zeigt als Abfolge von Zwecken:

  1. vinaya: Ordensdisziplin
  2. samvara: Zügelung
  3. avippatisâra: Reuelosigkeit
  4. pâmojja: Freude
  5. pîti: Verzückung
  6. passadhhi: Beruhigung
  7. sukha: Glück
  8. samâdhi: Sammlung (Gelassenheit)
  9. yathâbûtañânadassana: Sicht der Wirklichkeit wie sie ist
  10. nibbidâ: Nichtgefallen
  11. virâga: Leidenschaftslosigkeit
  12. vimutti: Erlösung
  13. vimuttiñânadassana: Erkenntnis der erlösenden Einsicht
  14. anupâdâ-parinibbâna: Völliges Nibbana

Arten (Distinktionen) von Sittlichkeit


Visuddhimagga Kap 1, §§ 25-142

Von den vielen möglichen Einteilingen von Sittlichkeit, sind für uns wichtig vor allem folgende Einteilungen::

  1. Sittlichkeit der Mönche = asketische Sittllichkeit der Mönchssregeln
  2. Sittlichkeit der Nonnen = asketische Sittllichkeit der Nonnenregeln
  3. Sittlichkeit der Novizen und Novizinnen = 10 Trainingspunkte der asketischen Sittlichkeit. s. Dhammavibhâga III.10.8.)
  4. Sittlichkeit der Laien (gahattha) = vor allem: 5 Trainingspunkte der sozialen Sittlichkeit (s. Dhammavibhâga IA.5.2. ).

Die fünf Übungspunkte der Sittllichkeit für Laien sind nur auf soziale Beziehungen gerichtet. Man kann die ganze buddhistische Laienethik als Gabe der Angstlosigkeit und Furchtlosigkeit zusammenfasssen:

Ich übe ein solches Verhalten ein, daß meine Mitwelt möglichst keine durch mich verursachte Angst und Furcht haben muß.

Im Einzelnen:

  1. daß meine Mitwelt von mir keine Vereltzung ihrer körperlichen Unversehrtheit befürchten muß - Erster Trainingspunkt der Sittlichkeit: Enthaltung vom Töten von Lebewesen
  2. daß meine Mitwelt von mir nicht die Verletzung ihres Besitzes und Eigentums befürchten muß - Zweiter Trainingspunkt der Sittlichkeit: Enthaltung von Diebstahl
  3. daß andere von mir nicht die Verletzung erotisch-sexueller Treueversprechen oder sexuelle Gewalt befürchten müssen - Dritter Trainingspunkt der Sittlichkeit: Enthaltung von sexuellem Fehlverhalten
  4. daß meine Mitmenschen nicht befürchten müssen, von mir betrogen, hinttergangen, denunziert, verbal verletzt, zum Gegenstand von Geschwätz gemacht zu werden - Vierter Trainingspunkt der Sittlichkeit: Enthaltung von Lügen, Denuntiation, Hintertreiberei, verbalen Grobheiten, Klatsch und Geschwätz
  5. daß die Gesellschaft und die von mir Abhängigen nicht befürchten müssen, daß ich meinen sozialen Pflichten schuldhaft nicht nachkomme, weil ich ein Drogenabhängiger werde - Fünfter Trainingspunkt der Sittlichkeit: Enthaltung von Rauschmitteln, die Anlaß zu Nachlässigkeit sind

(s. Dhammavibhâga IA.5.2. )

Vierfache asketische Sittlichkeit der Ordensmitglieder, wie sie dem restlichen Kapitel zugrundegelegt wird:

  1. Zügelung gemäß den Ordensregeln (pâtimokhasamvarasîla)
  2. Zügelung der Sinnesorgane (indriyasamvarasîla)
  3. Reinheit des Lebensunterhaltes (âjîvaparisuddhasîla)
  4. Auf die Bedarfsgegenstände des Ordensmitglieds bezogene Sittlichkeit (paccayasannissitasîla)

Zügelung/Eindämmung gemäß den Ordensregeln (pâtimokhasamvarasîla)


Visuddhimagga Kap 1, §§ 42-52, 98-99

Ausführlich zu den Ordensregeln:

Alois Payer: Vinayamukha : Grundbegriffe der Ordensregeln und des Ordensrechts des Theravâda


"Hier nun ihr Mönche verharrt ein Mönch eingedämmt durch den Damm der Ordensregeln, vollkommen in Verhalten (âcâra) und Umgang (gocara), in den kleinsten Vergehen eine Gefahr erblickend nimmt er die Trainingsreln auf sich trainiert sich in ihnen."

âcâra - Verhalten:

Schlechtes Verhalten: z.B. Lebensunterhalt durch Verkauf oder Abgabe von Bambus, Blättern, Blüten, Früchten, Badepulver, Zahnhölzchen, durch Schmeicheleien, Kinderhüten (Baby-Sitting), Botengänge oder eine andere von Buddha verworfene Art des Lebensunterhalts.

Oder: Schlechtes körperliches Verhalten: man benimmt sich in Mönchsversammlung nicht ordentlich, ohne Ehrerbietung, schubst ältere Mönche beiseite, redet stehend und fuchtelt dabei mit den Armen, hat Sandalen an während ältere Mönche barfuß sind u.ä., geht in Häusern einfach in die inneren Gemächer, streichelt Kinder am Kopf usw.

Schlechtes Verhalten im Sprechen: man redet unaufgefordert über Dhamma, Vinaya usw. Man spricht auf der Straße Frauen und Mädchen an: Was gibt es heute zu essen?

gocara Umgang:

Schlechter Umgang: z.B. Umgang mit Prostituierten oder Witwen, alten Jungfern, Eunuchen, Nonnen, Wirtshäuser, nach Art eines Weltmenschen mit Fürsten, Ministern, Irrlehrern, Anhängern von Irrlehrern, Leuten, die den Buddhismus und die Mönche beschimpfen oder ihnen schaden.

Guter Umgang: guter Freund.

Gesenkter Blick

Achtsamkeit

Zur Sittlichkeit der Ordensmitglieder:

Motiv, Mönch zu werden, nach der akzeptierten Ideologie:

"Eng ist das Leben im Hause, ein Weg des Schmutzes / der Leidenschaft. Es ist nicht leicht, wenn man im Hause wohnt, den ganz reinen heiligen Wandel zu führen."

Unterscheide folgende zwei Funktionen des Pâtimokkha (Ordensregeln):

Aufbau des Pâtimokkha:

(= 220 Regeln; dazu kommen noch 7 Verfahrensregeln)


Zügelung der Sinnesorgane (indriyasamvarasîla)


Visuddhimagga Kap 1, §§ 42, 53-59, 100-110

"Erblickt er mit dem Auge eine Form, so erfaßt er nicht die Hauptmerkmale, erfaßt nicht die Einzelheiten. Falls aber, weil er das Sehorgan nicht hütete, Begehren, Trübsinn, unheilsame, böse Bewußtseinszustände entstehen, dann tritt er dem entgegen, hütet das Sehorgan, und dämmt sich beim Sehorgan ab." ... ebenso bei den übrigen Sinnesorganen.


Reinheit des Lebensunterhaltes (âjîvaparisuddhasîla)


Visuddhimagga Kap 1, §§ 42, 60-84, 111-122

Man veremeidet die verschiedenen Tricks, mit denen man seinen mönchischen Lebensunterhalt verbessern könnte:


Auf die Bedarfsgegenstände des Ordensmitglieds bezogene Sittlichkeit (paccayasannissitasîla)


Visuddhimagga Kap 1, §§ 42, 85-97, 123-130

Diese Sittlichkeit findet in den täglich rezitierten Formeln über den besonnenen Gebrauch der vier materiellen Grundlagen des Ordenslebens ihren Ausdruck.

Paccaya-paccavekkha.na n. - Besonnener Gebrauch der vier materiellen Grundlagen / Bedarfsgegenstände des Ordenslebens:

cîvara - Gewand:

"Besonnen will ich mein Mönchsgewand gebrauchen: nur zum Abhalten von Kälte, zum Abhalten von Hitze, nur um nicht mit Bremsen, Moskitos, Wind, Sonne und Reptilien in Berührung zu kommen, nur um meine Schamteile zu bedecken.

pi.n.dapâta - Almosenspeise:

"Besonnen will ich meine Almosenspeise gebrauchen: nicht zum Spaß, nicht zum Rausch, nicht um fett zu werden, nicht um schön zu werden, nur damit dieser Körper bestehen kann, ernährt wird, sein Hungerschmerz beendet wird, damit sie meinen zölibatären Lebenswandel unterstützt. All dies in der Absicht, das alte Gefühl (d.h. den Hunger) zu zerstören und kein neues Gefühl (z.B. der Übersättigung) entstehen zu lassen und so körperlichen Fortbestand zu haben, keinen Tadel zu verdienen und mich wohl zu fühlen."

senâsana - Wohnung:

"Besonnen will ich meine Wohnstätte gebrauchen: nur zum Abhalten von Kälte, zum Abhalten von Hitze, nur um nicht mit Bremsen, Moskitos, Wind, Sonne und Reptilien in Berührung zu kommen, nur um die Gefahren der Jahreszeiten abzuhalten, um in Abgeschiedenheit wohnen zu können."

bhesajja - Arznei:

"Besonnen will ich die krankheitsbedingten Medikamente und Gebrauchsgegenstände gebrauchen: nur um vorhandene schmerzhafte Gefühle zu vertreiben, um das höchstmögliche Maß von Freiheit von Krankheit zu erreichen."

(z.B. Sabbâsavasutta : Majjhimanikâya I, 10; s. Dhammvibhâga I.4.12. )


Dhûtanga n. - asketische Praktiken


Visuddhimagga Kap 2

Um besondere Schwächen (z.B. Hangen an bestimmten materiellen Grundlagen des Mönchslebens) wegzutrainieren oder um besondere gute Eigenschaften (z.B. Genügsamkeit, Bedürfnislosigkeit) einzutrainieren, kann ein Mönch besondere asketische Praktiken üben. Dreizehn solche Praktiken werden genannt:

Auf das Mönchsgewand (cîvara n:) bezogen:

Auf die Almosenspeise (pi.n.dapâta m.) bezogen

Auf die Wohnstätte (senâsana n.) bezogen:

Auf die Anstrengung bezogen:


Zu Kapitel 3: Einleitung zur Sammlung (samâdhi)