Internationale Kommunikationskulturen

11. Kulturelle Faktoren: Wohnung und Privatsphäre


von Margarete Payer

mailto: payer@hdm-stuttgart.de


Zitierweise / cite as:

Payer, Margarete <1942 - >: Internationale Kommunikationskulturen. -- 11. Kulturelle Faktoren: Wohnung und Privatsphäre. -- Fassung vom 2001-06-12. -- URL: http://www.payer.de/kommkulturen/kultur11.htm. -- [Stichwort].

Erstmals publiziert: 2001-06-12

Überarbeitungen:

Anlass: Lehrveranstaltung, HBI Stuttgart, 2000/2001

Unterrichtsmaterialien (gemäß § 46 (1) UrhG)

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Dieser Text ist Teil der Abteilung Länder und Kulturen von Tüpfli's Global Village Library


0. Übersicht


Teil I: Wohnen und Wohnräume. -- URL: http://www.payer.de/kommkulturen/kultur111.htm

Teil II: Wohngegenden und Siedlungsformen. -- URL: http://www.payer.de/kommkulturen/kultur112.htm

Teil III: Wohnen und "Metaphysik". -- URL: http://www.payer.de/kommkulturen/kultur113.htm

Teil IV: Beispiele. -- URL: http://www.payer.de/kommkulturen/kultur114.htm


1. Einleitung



Abb.: "There is no place like home" / von Richard Doyle. -- In: Punch. -- Bd. 17 (1849)

"Niemand darf willkürlichen Eingriffen in sein Privatleben, seine Familie, sein Heim oder seinen Briefwechsel noch Angriffen auf seine Ehre und seinen Ruf ausgesetzt werden. Jeder Mensch hat Anspruch auf rechtlichen Schutz gegen derartige Eingriffe oder Anschläge."

Artikel 12, Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, von der Generalversammlung der Vereinten Nationen am 10. Dezember 1948 angenommen und proklamiert

"Die Wohnung ist unverletzlich."

Artikel 13, Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland

Privatsphäre ist der Raum der Privatheit. Privatheit bedeutet vielerlei, z.B.

  1. die freiwillig gewählte äußere Einsamkeit
  2. die Freiheit zur Vertraulichkeit mit ausgewählten Mitmenschen (z.B. Familie, Freunde, Lebensgefährte)
  3. die Freiheit, unter anderen Menscehn anonym zu bleiben
  4. die Freiheit, zurückhaltend mit Informationen über sich selbst zu sein

Die Formen 1 bis 3 von Privatheit sind raumgebunden. Der wichtigste Raum dafür ist der Wohn- und Lebensraum.

Die Privatsphäre ist eine Grenze für Kommunikation: es wird unterschieden, mit wem man in der Privatsphäre kommuniziert und wer dort als Eindringling empfunden wird. 

Die 

bedingten Grenzen der Privatheit und die Privatheit der Wohnung sind sehr unterschiedlich.

In diesem Kapitel wird versucht, das Gespür für Privatsphäre zu schärfen, besonders wie sie durch Wohnung, Wohnform und Wohngegend abgesteckt wird. Durch ein solches Gespür kann man die Gefahr, als Eindringling empfunden zu werden, vermindern.


2. Kommunikationskulturen, Kommunikationsgemeinschaften und Kommunikationsschauplätze


Um den Zusammenhang zwischen Lebensraum -- besonders Wohnung -- und Kommunikationskultur einzusehen, zunächst eine kurze Wiederholung zu Kommunikationskulturen und Kommunikationsgemeinschaften:

"Unter Kommunikationskultur lassen sich zusammenfassen alle Regelungen, Normen, Erwartungen, Festlegungen einer Kommunikationsgemeinschaft in bezug auf mögliche Kommunikationen innerhalb der Gemeinschaft und mit Personen außerhalb. In einer Abwandlung der bekannten W-Formel lässt sich die Fragestellung der Kommunikationskultur formulieren als: 

sprechen?» 


Abb.: Im öffentlichen Verkehrsmittel muss / darf man trotz engster körperlicher Berührung nicht miteinander sprechen. -- In der Bahn / von Théophile Alexandre Steinlen <1859 - 1923>. -- 1896

Dabei ist «sprechen» zu eng gefasst; es gibt auch nonverbale und andere nichtsprachliche Formen der Kommunikation ....

Zur Kommunikationskultur gehören auch materielle Aspekte, die wir vernachlässigen, die aber klarerweise eine Rolle spielen: Die Bauweise von Häusern und Strassen zählt dazu, die Möglichkeiten, irgendwo zu verweilen oder weitergehen zu müssen, Lärm durch Verkehr und Straßenbahnen usw. Die städtische Umwelt ist hier sehr vielfältig: Neben unwirtlichen langen Strassen, durch die sich Tausende von Autos drängen, findet man lauschige Seitensträßchen, wo Menschen in Vorgärten sitzen und geruhsam den Vorübergehenden zuschauen -- aber dieses letztere Bild ist eher selten.

Kommunikationskulturen sind bestimmt durch die Kommunikationsgemeinschaften, denen sie zugehören. Die meisten Menschen im städtischen Kontext sind Mitglieder mehrerer Kommunikationskulturen. Typisch ist die städtische Trennung von Beruf und Privatleben. Aber auch Zugehörigkeiten zu Vereinen, Gruppierungen informeller und formeller Art schaffen unterschiedliche Zugehörigkeiten, genauso wie die traditionellen soziologischen Charakterisierungen nach sozialer Schicht und/oder Klasse. Das Konzept des sozialen Netzes erlaubt es, diese Vielfalt zu fassen: jedes Individuum ist in mehr oder weniger dichte, mehr oder weniger komplexe Beziehungen zu anderen Menschen verstrickt, die ihm mögliche Kommunikationspartner und -gelegenheiten anbieten. Eine Kommunikationsgemeinschaft zeichnet sich dann dadurch aus, dass sie über ein relativ dichtes soziales Netz verfügt, innerhalb dessen Kommunikationen nach geteilten Annahmen und Werten verlaufen; wenn jemand in dieses Netz hineinkommt, dann muss er auch diese Annahmen und Werte zu teilen beginnen."

"Kommunikationen finden an Schauplätzen statt, an Orten also, die eine soziale Definition erfahren haben. Schauplätze reichen 

Dazwischen liegen Plätze wie 

Schon die Aufzählung der Schauplätze zeigt, dass sie höchst unterschiedliche Bedingungen für Kommunikationen bieten.

Eine Klassifikation von Schauplätzen unter dem Aspekt der Zugänglichkeit erweist eine große Gruppe von Schauplätzen mit asymmetrischer Zugänglichkeit für institutionalisierte Teilnehmer: Das betrifft alle Schauplätze mit Dienstleistungscharakter. Verkäufer, Marktfrauen/-männer, Servierpersonal, Coiffeusen, Schalterbeamte und ähnliche Personen sind funktional zugänglich, nicht als Personen, sondern als Teile der Institutionen. Klienten, Gäste, Kunden wiederum sind für solche Teilnehmer ebenfalls zugänglich, aber eben wieder nur unter dem Aspekt des Kliententums. 

An verschiedenen Orten im Quartier [Breitenrainquartier der Stadt Bern, Schweiz. -- Webpräsenz: http://www.breitenrain.ch/breitenrain.htm. -- Zugriff am 2001-05-02] erleben wir nun eine Teilaufhebung dieser Asymmetrie:

Der typische moderne Selbstbedienungsladen reduziert die Kommunikation zwischen Menschen und ersetzt sie durch maschinelle Kommunikation. Prinzipiell kann der Kunde ohne das Äußern auch nur eines Wortes seine Einkäufe machen; das Sichanstellen bei der Kasse gestaltet sich nach Regeln, wie man sie an Kino- und Theaterkassen kennt: Jeder tut so, als ob die andern nicht da wären. Territorien werden gewahrt, um nicht in Kommunikationsdistanz geraten zu müssen. Blickkontakte werden vermieden. Die Großverteiler achten zwar darauf, dass das Kassenpersonal die rituellen Grussaustausche vornimmt, aber der Kunde ist nicht verpflichtet, darauf einzugehen. Viele Kunden gehen deshalb darauf auch gar nicht ein. In unserem Projekt versucht ein Angestellter in einem derartigen Betrieb, durch Wiederholen von Grüssen und Anreden die Kunden zumindest zum Antworten zu bringen; nach seinen Worten hat er damit inzwischen manchen persönlichen Kontakt geknüpft, der aus einem «Fremden» einen «Bekannten» gemacht hat. 

Die oben genannten Schauplätze achten nun aber darauf, dass Raum für Kommunikationen gegeben ist, der nicht unbedingt dem ökonomischen Prinzip entspricht. 

[Werlen, Iwar: Kommunikation im Ort : Kommunikationsgemeinschaften und ihre Kulturen. -- In: Handbuch der schweizerischen Volkskultur / hrsg. von Paul Hugger. -- Zürich : Offizin. -- Bd. 1. -- ©1992. -- ISBN 3907495365. -- S. 421f., 425f. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen}]


3. Öffentliche, private, persönliche Sphären


In vielen Kulturen ist die Privatsphäre der Herrschaftsbereich der Frauen, während die Männer in öffentlichen Bereichen ihre Macht zeigen. -- Abb.: England, 1845 - 1847

Man sollte für die Kommunikation eines Menschen folgende Grenzen unterscheiden


Abb.: Öffentliche Sphäre "Nur für Frauen" -- Das Frauenbad / von Honoré Daumier <1808 - 1879>, 1839


Abb.: Privatsphäre -- Aus: Münchener Bilderbogen. -- 1844  - 1859 


Abb.: Persönliche Sphäre -- Betreten verboten (©ArtToday)


Abb.: Abschirmung gegen öffentlich zu Schau gestellte "Privatsphäre". --  Moeurs conjugales / von Honoré Daumier <1808 - 1879>.-- 1839 - 1842


4. Privatheit und Öffentlichkeit sind kulturell bedingte Gegebenheiten



Abb.: Totalitärer Einbruch in persönliche und private Sphären: die katholische Ohrenbeichte. -- Aschermittwoch / von Philéad Salvator Levilly <geb. 1803>, o.J.

In der Einleitung zum fünften Band der für Europa grundlegenden Geschichte des privaten Lebens schreibt Gérard Vincent:

"Privates Leben ist keine Naturtatsache; es ist geschichtliche Wirklichkeit, die von den einzelnen Gesellschaften in unterschiedlicher Weise konstruiert wird. Es gibt nicht »das« private Leben mit ein für allemal festgelegten Schranken nach außen; was es gibt, ist die -- selber veränderliche -- Zuschreibung menschlichen Handelns zur privaten oder zur öffentlichen Sphäre. Privates Leben zieht seinen Sinn aus der Differenz zum öffentlichen Leben, und seine Geschichte ist vor allem die seiner Definition: Wie hat sich die Unterscheidung von Privatheit und Öffentlichkeit in der französischen Gesellschaft des 20. Jahrhunderts entwickelt? Welche Wandlungen hat die Privatsphäre erfahren? Die Geschichte des privaten Lebens beginnt mit der Geschichte seiner Markierungen.

Die Frage ist um so gewichtiger, als nicht feststeht, dass die Unterscheidung zwischen Privatheit und Öffentlichkeit in allen Gesellschaftsschichten dasselbe bedeutet. Das Bürgertum der Belle Époque errichtete eine »Mauer« um seinen Intimitätshaushalt. Im Schutze dieser Mauer fand das private Leben statt, das im Grunde mit dem Familienleben identisch war. Zu den umhegten Werten gehörten das Familienvermögen, gesundheitliches Befinden, Sitte und Religion: Eltern, die eines ihrer Kinder verheiraten wollten, zogen zuvor über die Familie des Kandidaten beim Notar oder beim Pfarrer diskret »Erkundigungen« ein, denn sie selber verbargen vor der Öffentlichkeit ebenfalls sorgfältig den ausschweifenden Onkel, die lungenkranke Schwester, den liederlichen Bruder, die Ausmaße ihres Vermögens. Als Jaures einen sozialistischen Abgeordneten, der ihn für die Erstkommunion seiner Tochter kritisiert hatte, mit den Worten abfertigte: »Werter Herr Kollege, Sie machen ohne Zweifel aus Ihrer Frau, was Sie wollen; ich nicht«, bezeichnete er sehr genau die Grenze zwischen seiner öffentlichen Rolle und seiner Privatsphäre.


Abb.: Unterschiedliche Auffassungen über Verhalten in der Öffentlichkeit

"Et puis, vous n'avez rien á dire, ... du moment que je ne fume pas" -- "Und überhaupt haben Sie nichts zu sagen ... da ich ja nicht rauche."

[Abb.: Titelblatt / von Abel Faivre <1867 - 1945>. -- In: Le Rire. -- 197 (1898-08-13)]

Die Grenzziehung verkörperte sich in einem Netz von Geboten und Verboten. Baronin Staffe zählt einige von ihnen auf: »Je weniger man mit den Leuten verkehrt, desto mehr verdient man die Wertschätzung und Achtung seiner Umgebung.« »Wohlerzogene Menschen lassen sich in der Eisenbahn und überhaupt in der Öffentlichkeit niemals auf ein Gespräch mit Fremden ein.« »Auf Reisen spricht man auch mit Verwandten und Freunden nicht in Gegenwart Fremder über private Dinge.«

Die bürgerliche Wohnung, das bürgerliche Haus waren erkennbar an der strikten Trennung der Empfangsräume von den übrigen Zimmern: auf der einen Seite das, was die Familie von sich aus zu zeigen wünschte, was öffentlich gemacht werden konnte, was als »präsentabel« galt; auf der anderen das, was man vor zudringlichen Blicken schützte. Die Familie selbst gehörte nicht in den Salon, die Kinder durften ihn nur betreten, wenn Besuch da war, und Familienphotos hatten hier keinen Platz. Auch standen die Empfangsräume nicht jedermann offen. Obwohl die feinen Damen ihren »jour« hatten, an dem sie »empfingen« -- 1907 zählte man in Nevers deren 1782 --, durfte man einer Frau von Rang erst seine Aufwartung machen, nachdem man ihr vorgestellt worden war. Die Empfangsräume bildeten also eine Übergangszone zwischen dem eigentlichen Privatbereich und dem Dasein in der Öffentlichkeit.

Was im Bürgertum der Belle Époque die Regel war, galt in anderen Gesellschaftsschichten nicht zwangsläufig als verbindlich. Die Bedingungen, unter denen Bauern, Arbeiter oder auch Kleinstädter lebten, erlaubten es diesen nicht, einen bestimmten Teil ihrer Existenz fremden Blicken zu entziehen, um ihn »privat« zu machen. Folgen wir zum Beispiel Sartre auf einem Gang durch die Straßen Neapels: »Das Erdgeschoss eines jeden Hauses ist in eine Menge kleiner Zimmer unterteilt, die direkt auf die Straße gehen, und in jedem dieser kleinen Zimmer lebt eine Familie. [. . .] Es sind Zimmer für alles, sie schlafen, essen und arbeiten dort. Doch da [. . . ] die Straße da ist, kühl und auf gleicher Ebene, werden die Leute von der Straße angezogen. Sie gehen nach draußen, um zu sparen, um die Lampen nicht anmachen zu müssen, um im Kühlen zu sein, und auch aus Humanismus, denke ich, um sich im Gewimmel mit den anderen zu spüren. Sie stellen Stühle und Tische auf die Straße oder auf die Schwelle ihrer Zimmer, halb drinnen, halb draußen, und in dieser Zwischenwelt machen sie alle wesentlichen Verrichtungen ihres Lebens. Da es kein Draußen und kein Drinnen mehr gibt und die Straße die Fortsetzung ihres Zimmers ist, füllen sie sie mit ihren persönlichen Gerüchen und ihren Möbeln. Und auch mit ihrer Geschichte. [...] Und das Außen ist mit dem Innen in organischer Weise verbunden [. . .]. Gestern habe ich einen Vater und eine Mutter gesehen, die draußen aßen, aber drinnen schlief das Baby in einer Wiege neben dem großen Bett der Eltern, und an einem anderen Tisch machte die älteste Tochter im Schein einer Petroleumlampe ihre Aufgaben. [. . .] Aber wenn eine Frau krank ist und tagsüber im Bett bleibt, geht das in aller Öffentlichkeit vor sich, und jeder kann zuschauen.«

Vielleicht ist es riskant, hier Vergleiche zu ziehen. Die Kulturtraditionen sind andere, und die Verquickung von Drinnen und Draußen, die das Straßenleben Neapels auszeichnet, erklärt sich wohl nicht zuletzt aus dem Habitus einer Mittelmeerkultur, der sich auch in den großen und kleinen Städten Südfrankreichs beobachten lässt. Trotzdem: Die »courées« von Roubaix, die Bergarbeiter-Siedlungen, die Mietskasernen der Croix-Rousse in Lyon, die Dörfer im Berri oder in Lothringen gaben ihren Bewohnern kaum die Chance, ihre Privatsphäre gegen die Neugier der Nachbarn zu verriegeln; ihr Dasein spielte sich praktisch vor den Augen aller ab. Eine Privatsphäre zu haben war durchaus ein Klassenvorrecht: das eines Bürgertums, das komfortabel wohnte und Vermögen besaß. Die arbeitenden Klassen erlebten die wechselseitige Durchdringung von Privatheit und Öffentlichkeit notgedrungen in anderer, minder differenzierter Weise. So gesehen, wäre im 20. Jahrhundert die strikte Trennung des Privaten vom Öffentlichen nach und nach für alle Schichten der Bevölkerung zu einem strukturierenden Element ihres Alltags geworden. Die Geschichte des privaten Lebens ließe sich dann als die Geschichte seiner Demokratisierung lesen.
Das setzt indes voraus, dass Demokratisierung nicht mechanisch verstanden wird. Das private Leben, das Arbeiter oder Landwirte am Ende des 20. Jahrhunderts führen können, ist nicht das des Bürgertums vom Beginn des Jahrhunderts. Im übrigen beherrschen neue Normen den Raum, der sich außerhalb der endlich errungenen Privatsphäre konstituiert und den man den öffentlichen nennen könnte. Die erhöhte Differenzierung zwischen Privatem und Öffentlichem in der Gesellschaft insgesamt verändert sowohl das öffentliche Leben als auch das private Leben. Jenes wie dieses gehorchen nicht mehr denselben Regeln. Mit der Verschiebung und Präzisierung ihrer Grenzen wandelt sich ihr Wesen."

[Geschichte des privaten Lebens / Philippe Ariès (Hrsg.) ... -- Frankfurt a. M. : Fischer. -- . -- Originaltitel: Histoire de la vie privée (1987) . -- Bd. 5: Vom Ersten Weltkrieg zur Gegenwart. -- ©1993. -- ISBN 3100336356. -- S. 17 - 21. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen}]


5. Das Telephon und die Privatsphäre



Abb.: Durch das Telephon werden die Grenzen zwischen persönlichen, privaten und öffentlichen Räumen verwischt (©ArtToday)

Telefonapparate ermöglichen "einen unmittelbaren Zugang zu Fremden in deren Privatbereich. Die Vorleistung dessen, der den Hörer nach dem Läuten abnimmt, ist erstaunlich groß, wenn man ihn in Bezug setzt zur generellen Unzugänglichkeit gegenüber Fremden, gerade im Privatbereich. Die Technisierung der verschiedenen Schritte der Kontaktaufnahme, die Erschwerung des Kontaktabbruchs durch nonverbale Gesten und damit die Erleichterung des Kontaktes für den Anrufenden werden etwa in der Telefonwerbung ausgenützt." 

[Werlen, Iwar: Kommunikation im Ort : Kommunikationsgemeinschaften und ihre Kulturen. -- In: Handbuch der schweizerischen Volkskultur / hrsg. von Paul Hugger. -- Zürich : Offizin. -- Bd. 1. -- ©1992. -- ISBN 3907495365. -- S. 429. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen}]


Abb.: Das allgegenwärtige Handy durchdringt die privatesten und persönlichsten Räume (©ArtToday)

Durch den Handyboom wurden die Einbruchmöglichkeiten in die Privatsphäre geradezu allgegenwärtig.


6. Prominenz: privates Leben von öffentlichem Interesse



Abb.: Schlafzimmerschnüffler alias Paparrazzo (©ArtToday)

Eine besondere Kommunikationskultur stellt das Verhältnis von Prominenten (Medienstars, Sportstars, Politikstars usw.) zur Öffentlichkeit, besonders ihren Fans und Gegnern, dar. Dieses Thema ist fast unerschöpflich, deshalb müssen folgende Andeutungen genügen.

"Stars ohne Gerüchte sind undenkbar. Ein Star hat bereits ein Publikum: seine Bewunderer, Verehrer und Anbeter. Für dieses Publikum ist der Star die allerwichtigste Bezugsperson: Es fühlt sich ganz unmittelbar mit ihm verbunden. Die Fans leben nur durch ihre Identifikation mit dem Star: Er ist ihr Vorbild, ihre Identitätsquelle. Leider ist der Star zwangsläufig weit entfernt: Man kann sich dem Heiligen nicht nahen. Die beiden Bedingungen für eine rasche Verbreitung von Gerüchten sind also vorhanden: eine überragende Bedeutung und eine weitgehende Mehrdeutigkeit, die durch das den Star umgebende Geheimnis entsteht.

Einen kleinen Teil des Idols besitzen

Der Wilde betet Idole aus Holz oder Stein an, der zivilisierte Mensch Idole aus Fleisch und Blut, woran uns George Bernard Shaw erinnert. Der ein Idol verehrende Fan möchte ganz in dem Star aufgehen, ihn besitzen, ihn sich körperlich und geistig aneignen. Der Star ist dessen identitätsstiftender Mittelpunkt, dessen Sauerstoff und Seele.

Dieses Verlangen, sich den Star einzuverleiben, wird stets enttäuscht: Der Star muss unnahbar bleiben, sich dem Zugriff der Menschenwelt entziehen. Um die Masse der Bewunderer zu erhalten, macht sich jedoch ein Ersatz für diesen unmöglichen Besitz erforderlich. Das Gerücht ist ein derartiger Ersatz; ein weiterer ist das Sammeln von Objekten, die vom Lebensweg des Stars zeugen. Da der Fan nicht den Star selbst besitzen kann, will er wenigstens einen Teil von ihm besitzen. Die Fanclubs sind ein Markt für Gegenstände, die dem Star gehört haben oder von ihm berührt wurden: Liz Taylors Lippenstift, ein Haar James Deans, ein Fetzen des Hemdes, das Johnny Halliday im Pariser Palais des Sports getragen hat und das ihm dort vom Leib gerissen wurde . . . Der Reliquienfetischismus nährt den Glauben: Klatsch bewirkt das gleiche.

Der Star besitzt nicht sein Publikum: Es ist genau umgekehrt. Der Star hat seinem Publikum gegenüber Pflichten: Es ist für ihn eine tägliche Aufgabe, der Star dieses Publikums zu bleiben. Das will zunächst einmal für seine Anbetung belohnt werden, und so etwas gilt insbesondere für die Fans, das heißt den am meisten engagierten und am besten strukturierten Teil des Publikums. Der Fan stellt sich vor, Rechte zu haben: Als Angehöriger des auserwählten Volkes möchte er, dass ihm eine Sonderbehandlung zuteil wird.

Das Privatleben des Stars ist öffentlich: Im richtigen Augenblick werden einige Ausschnitte von den Presseagenten oder Managern wohlüberlegt enthüllt. Auch die Paparazzi sind bemüht, Einzelheiten aus dem Privatleben der Stars aufzuspüren. In beiden Fällen ist das beabsichtigte Resultat gleich: Man befriedigt das Bedürfnis, in die Intimsphäre des Stars einzudringen. Das Publikum gibt sich nicht im mindesten mit den Filmaufnahmen zufrieden, sondern ist ein ständiger Voyeur. Die Fans wollen noch mehr: Ihr Status hängt davon ab. Sie möchten indiskrete Details beisteuern, Geheiminformationen an ihre Angehörigen weitergeben. Sie sind Mittler zwischen der übernatürlichen Welt der Götter und Heroen und der des breiten Publikums. Durch sein Wirken als Fährmann zwischen zwei Ufern erinnert uns der Fan daran, dass er zur Welt des Stars gehört: Er ist derjenige, der Bescheid weiß. Als Überbringer der letzten Neuigkeiten erweckt er den Eindruck, dass er die Intimsphäre seines Idols teilt.

Hier greift das Gerücht ein. Wenn man ein Star bleiben will, muss man das Geheimnis geschickt nutzen, Indiskretionen vorausschauend organisieren, vertrauliche Mitteilungen tröpfchenweise verbreiten. Eine Existenz ohne Geheimnisse ist tödlich für den Star: Ein Star ist kein Spielkamerad. Ebenso verderblich wirkt ein vollständiges Geheimnis: Der Mangel an Informationen hat dem Publikum und den Fans die Luft zum Atmen genommen, und sie sind verschwunden. Das sorgfältig dosierte Mysterium erhält den Glauben. Als Entschädigung für seine ohnmächtige Liebe möchte der Fan einige Informationsbruchstücke als einen kurzzeitigen Einblick in die Intimsphäre des Idols ganz allein besitzen. Diese imaginäre Aneignung dient als Ersatz für den wirklichen Besitz."

[Kapferer, Jean-Noël: Gerüchte : das älteste Massenmedium der Welt. -- Leipzig : Kiepenheuer, ©1996. -- ISBN 337801007X. -- S. 216 - 218. -- Originaltitel: Rumeurs : le plus vieux média du monde (1987/1995). -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen}]

Boulevardpresse international (eine kleine Auswahl)

http://people.aol.com/
people/index.html
. -- Zugriff am 2001-04-30
http://www.hola.es/. -- Zugriff am 2001-04-30 http://www.hello-magazine.co.uk/. -- Zugriff am 2001-04-30 http://www.bunte.de/. -- Zugriff am 2001-04-30

7. Weiterführende Ressourcen


7.1. Webportale



7.2. Organisationen


UNCHS -- The United nations Centre for Human Settlements (Habitat). -- URL: http://www.unchs.org/. -- Zugriff am 2001-05-01


7.3. Andere Internetressourcen


Entwicklungsländerstudien / hrsg. von Margarete Payer. -- Teil II: Kernprobleme. -- Kapitel 21: Wohnen / verfasst von Martina Gottschick. -- Fassung vom 2001-02-22. -- URL: http://www.payer.de/entwicklung/entw21.htm


7.4. Ressourcen in Printform


Bauen und Wohnen / Redaktion: Brigitta Hauser-Schäublin ... -- Basel [u.a.] : Birkhäuser, ©1987. -- 84 S. : Ill. -- Mensch, Kultur, Umwelt ; 2). -- ISBN 3-7643-1854-6

Bier, Michael: Asien: Straße, Haus : eine typologische Sammlung asiatischer Wohnformen. -- Stuttgart [u.a.] : Krämer, ©1990. -- 103 S. : Ill. -- ISBN 3782840070. --  [Sehr empfehlenswert!]. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch bei amazon.de bestellen}

Gardi, René <1909 - >: Auch im Lehmhaus lässt sich's leben : über traditionelles Bauen und Wohnen in Westafrika. -- Zürich : Ex Libris, ©1973. -- 248 S. : Ill. -- [Sehr anschaulich]

Geschichte des privaten Lebens / Philippe Ariès (Hrsg.) ... -- Frankfurt a. M. : Fischer. ©1993.-- Originaltitel: Histoire de la vie privée (1987) . -- 5 Bde. -- ISBN 3100336356. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie diese Bücher  bei amazon.de bestellen}

Handbuch der schweizerischen Volkskultur / hrsg. von Paul Hugger. -- Zürich : Offizin. -- Bd. 1. -- ©1992. -- ISBN 3907495365. -- S. 317 - 466. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen}

Human settlement / ed. by John Rennie Short. -- New York : Oxford University Press, ©1992. -- 256 S. : Ill. -- ISBN 0195209443. -- [Hervorragend illustriert.]

Peking - Shanghai - Shenzhen : Städte des 21. Jahrhunderts = Beijing - Shanghai - Shenzhen / Kai Vöckler (Hg.) .... -- Frankfurt a. M. [u.a.]  : Campus., ©2000. -- 608 S. : zahlr. Ill. -- (Edition Bauhaus ; Bd. 7). -- ISBN 3593366215. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch bei amazon.de bestellen}

So lebt der Mensch : Familien in aller Welt zeigen, was sie haben / Peter Menzel ... -- Hamburg : GEO, 1996. -- 255 S. : Ill. -- ISBN 3570190633. -- [Die Fotografien aus verschiedenen Ländern zeigen sehr eindrücklich verschiedene Wohnkulturen.]. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch bei amazon.de bestellen}


Zu Kapitel 11, Teil I: Wohnen und Wohnräume