Einführung in Formalien wissenschaftlicher Arbeiten

1. Einleitung


von Alois Payer

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Zitierweise:

Payer, Alois <1944 - >: Einführung in Formalien wissenschaftlicher Arbeiten. -- 1. Einleitung. -- Fassung vom 16. Juni 2000. -- URL: http://www.payer.de/wissarbeit/wissarb01.htm. -- [Stichwort].

Erstmals veröffentlicht: 16.6.2000

Überarbeitungen:

Anlass: Lehrveranstaltung an der HBI Stuttgart im SS 2000

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0. Übersicht



1. Einleitung


Das vorliegende Skriptum ist nicht

Dieses Skriptum will vielmehr Hilfe und Anleitung geben bezüglich einiger wichtiger Formalien wissenschaftlichen Arbeitens wie

Das vorliegende Kapitel enthält einige allgemeine Bemerkungen zu Stil und Inhalt wissenschaftlicher Arbeiten.


2. Zum Stil wissenschaftlicher Arbeiten


Folgender Auszug aus

Reiners, Ludwig <1896 - 1967>: Stilkunst : ein Lehrbuch deutscher Prosa. -- Sonderausgabe. -- München : Beck, 1991 (©1943). -- ISBN 3406349854. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch bei amazon.de bestellen}

gibt das -- meist nicht voll erreichbare -- Ziel des sprachlichen Ausdrucks einer wissenschaftlichen Arbeit sehr treffend an:

"Wilhelm Ostwald erzählt in seinen Erinnerungen: als er seine erste Professur in Riga angetreten hatte, hörte er zufällig, wie ein polnischer Student zu einem andern sagte: Du musst herren [= hören]  neuen Professor, da geht Chemie in Kopf wie mit Schaufel.

Der neue Professor besaß die entscheidende Eigenschaft des Lehrers: er konnte sich in die Lage des Schülers versetzen. Diese Gabe ist sehr selten. Im Vorwort seines ausgezeichneten Lehrbuchs Vom Einmaleins zum Integral sagt Colerus: 

»Die Mathematik ist eine Mausefalle. Wer einmal in dieser Falle gefangen sitzt, findet selten den Ausgang, der zurück in seinen vormathematischen Seelenzustand leitet. Die erste Folge der 'Mausefalleneigenschaft' der Mathematik ist ein großer Mangel an mathematischen Pädagogen. Nur selten trifft mathematisches Können und leicht fassliche Darstellung zusammen.«

Das gilt nicht nur von der Mathematik, das gilt von jeder Wissenschaft. Wer Tag und Nacht in einer Wissenschaft lebt, der weiß nicht mehr, wie viel oder wie wenig der mitbringt, der das Haus zum erstenmal betritt. Aber gerade das muss wissen, wer ein belehrendes Buch schreiben will. Dass jedes Buch etwas von einem Brief haben und auf den Geist des Empfängers zugeschnitten sein muss: wie fern liegt dieser Gedanke den meisten Gelehrten! Nur wenige erinnern an die ergötzliche Schilderung, die der große Nationalökonom Georg Friedrich Knapp von seinem Lehrer Helferich gibt:

»Helferich fühlte die geistige Unbeholfenheit der Schüler heraus, kam ihnen auf halbem Weg entgegen und drehte und wendete die Sätze so lange, bis auch der letzte unter den Landwirten freudig empfand, dass er etwas Schweres spielend begreife. Mit dankbarer Hingebung hingen sie an den Lippen des Lehrers; sie fühlten sich an Wissen gefördert, an Selbstgefühl gehoben. Helferich leitete liebevoll an, war stets geschmackvoll und bewegte sich in den Grenzen der Anmut. Schon wie er auf dem Katheder stand, war bezeichnend  die Arme aufgelegt, die Hände gefaltet und der freundliche Ausdruck des Mundes schien zu sagen: mein Joch ist sanft und meine Last ist leicht.«

Knapp war Helferichs würdiger Schüler: wie in Silber getrieben stehen seine Bücher vor uns, unerbittlich in ihrer Begriffsschärfe, unermüdlich im Ringen um wirkliche Klarheit. Mit der Unbekümmertheit des großen Gelehrten hat er von der Wirtschaftswissenschaft gesagt: Solange sie als Magd in den Festsaal will mit der ordnungslosen Bürde bloßen Materials, rufe man ihr entgegen: Du hast kein hochzeitlich Gewand an. ...

Vor hundert Jahren gestand ein so grundgescheiter Mann wie Friedrich Theodor Vischer im Vorwort seiner Ästhetik:

»Es mag der Stil mehr Schwere angenommen haben, als selbst der streng wissenschaftliche Charakter rechtfertigt. Der Vorwurf frivoler Leichtigkeit in der Behandlung der Wissenschaft kann immerhin dazu verleiten, dass man denkt, man wolle einmal zeigen, ob man es nicht auch schwer machen könne.«

Es schwer zu machen: das gelingt vielen ... Die deutsche Sachprosa ist spröder, als die Sache erfordert. Pascal hat gesagt, die besten Bücher seien die, bei denen jeder Leser glaubt, er hätte sie auch selbst schreiben können. Aber dieses Ziel zu erreichen: wieviel Streben nach Einfachheit, nach Klarheit, ja wieviel Selbstverleugnung gehört dazu!" [S. 500 - 502]


3. Auswählen!


"Dante hielt ein. Seine Fabel lag in ausgeschütteter Fülle vor ihm, aber sein strenger Geist wählte und vereinfachte. Die Stelle stammt aus C. F. Meyers Novelle Die Hochzeit des Mönchs. Sie gibt genau an, was jeder tun muss, der etwas darstellen will: wählen und vereinfachen. Vor ihm breitet sich ein unübersehbares Meer aus: die Fülle alles dessen, was er über seinen Gegenstand weiß oder erdacht hat. Nur ein Zehntel darf er niederschreiben; es genügt, um dem Leser alle notwendigen Kenntnisse zu übermitteln. So muss er auswählen: darstellen heißt weglassen.

Aber er muss so weglassen, dass er gleichzeitig verdichtet. Aus der Unzahl seiner Urkunden, Akten und Berichte wählt der Geschichtsschreiber diejenigen aus, welche unentbehrlich sind, wenn der Leser jene Zeit verstehen soll. Er muss imstande sein, aus einem Orchesterwerk einen Klavierauszug zu machen.

Auswählen und weglassen kann nur, wer Abstand von seinem Stoff hat. Das Schwierigste am Sammeln ist das Wegwerfen. (Köster)

Manche Gelehrte behandeln ihren Gegenstand wie ein verzogenes Kind, dem die Eltern nie weh tun wollen: nicht die kleinste Einzelheit wollen sie entbehren. So entstehen jene Vorlesungen Über das Leben des jüngeren Plinius vom ersten bis sechsten Lebensjahr, achtstündig. Aber verzogene Kinder bekommen ihre Schläge später im Leben und verhätschelte Bücher bleiben ungelesen liegen. Vollständigkeit ist kein Nutzen, sondern eine Gefahr. Das Geheimnis zu langweilen besteht darin, alles zu sagen. (Voltaire)


Freilich gibt es einige Bücher, die auf Ausführlichkeit nicht verzichten können, etwa weil sie unerschlossene Akten zum erste Male auswerten. Dann tut der Verfasser klug, alle Belege und alle entbehrlichen Einzelheiten in ein gesondertes Buch zu verbannen, wie es Karl Brandi in seinem großartigen Werk über Karl V. getan hat.

Oft bleibt das Buch auch dann noch zu umfangreich. Dann muss der Autor prüfen, ob es nur für Fachgenossen bestimmt ist oder auch für die allgemeine Leserwelt, die umfangreiche gelehrte Bücher ungern liest. Glaubt er auch zu ihnen sprechen zu dürfen, so kann er eine zweite gedrängte Ausgabe seines Buches schreiben. Er selbst wird davon Nutzen haben und das große Publikum Freude."

[Reiners, Ludwig <1896 - 1967>: Stilkunst : ein Lehrbuch deutscher Prosa. -- Sonderausgabe. -- München : Beck, 1991 (©1943). -- ISBN 3406349854. -- S. 503 - 504. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch bei amazon.de bestellen}]


4. Ein Bild, aber nur, wenn es mehr als tausend Worte sagt!


Bilder, Graphiken und Tabellen können mehr als langwierige Abhandlungen ausdrücken. Dazu müssen sie aber wirklich aussagekräftig sein und nicht nur hohles "Design".

Folgende Trilogie von E. R. Tufte ist ein ausgezeichnetes Gegenmittel gegen die dümmliche Verwendung von Graphik und Pseudodesign, die die Hohlheit des Inhalts verbergen soll. Tufte's Bücher sind voll von positiven und negativen Beispielen, an denen man sehr viel lernen kann.

Tufte, Edward Rolf: The visual display of quantitative information. -- Cheshire : Graphics Press, ©1983. -- 156 S. : Ill. -- ISBN 096139210X. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch bei amazon.de bestellen}

Tufte, Edward Rolf: Envisioning information : narratives of space and time. -- Cheshire : Graphics Press, ©1990. -- 126 S. : Ill. -- ISBN 0961392118. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch bei amazon.de bestellen}

Tufte, Edward Rolf: Visual explanations : images and quantities, evidence and narrative. -- Cheshire : Graphics Press, ©1997. -- 156 S. : Ill. -- ISBN 0961392126. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch bei amazon.de bestellen}

Einige Zitate aus der Trilogie von Tufte sollen einige Prinzipien für die Verwendung von Graphiken nennen:

"Graphical competence demands three quite different skills: 

Yet now most graphical work, particularly at news publications, is under the direction of but a single expertise -- the artistic. Allowing artist-illustrators to control the design and content of statistical graphics is almost like allowing typographers to control the content, style, and editing of prose.

Substantive and quantitative expertise must also participate in the design of data graphics, at least if statistical integrity and graphical sophistication are to be achieved." [The visual display of quantitative information. -- S. 87]

"Such masking of content resembles the obscurantist foolings around of too much of contemporary graphic design. Paul Rand describes the triumph of decoration over information, similar to the mishmash of chartjunk for statistical graphics:

. . . a collage of chaos and confusion, swaying between high tech and low art, and wrapped in a cloak of arrogance: squiggles, pixels, doodles, dingbats, ziggurats, and aimlessly sprinkled Lilliputian squares; turquoise, peach, pea green, and lavender; corny woodcuts an moody browns and russets; art deco rip-ofs, high-gloss finishes, sleazy textures; halos and airbrush effects; tiny color photos surrounded by acres of white space; indecipherable, zany typography; tiny type with miles of leading . . . .[Rand, Paul: Design, form, and chaos. -- 1993. -- S. 207]"

[Visual explanations. -- S. 65]

"There are many specific differences between friendly and unfriendly graphics:

Friendly Unfriendly
words are spelled out, mysterious and elaborate encoding avoided abbreviations abound, requiring the viewer to sort through text to decode abbreviations
words run from left to right, the usual direction for reading occidental languages  words run vertically, particularly along the Y-axis; words run in several different directions
little messages help explain data graphic is cryptic, requires repeated references to scattered text
elaborately encoded shadings, crosshatching, and colors are avoided; instead, labels are placed an the graphic itself; no legend is required obscure codings require going back and forth between legend and graphic
graphic attracts viewer, provokes curiosity graphic is repellent, filled with chartjunk
colors, if used, are chosen so that the color-deficient and color-blind (5 to 10 percent of viewers) can make sense of the graphic (blue can be distinguished from other colors by most color-deficient people) design insensitive to color-deficient viewers; red and green used for essential contrasts
type is clear, precise, modest; lettering may be done by hand type is clotted, overbearing
type is upper-and-lower case, with serifs type is all capitals, sans serif

[The visual display of quantitative information. -- S. 183]

"Graphical integrity [of statistical data] is more likely to result if these six principles are followed:

  1. The representation of numbers, as physically measured an the surface of the graphic itself, should be directly proportional to the numerical quantities represented.
  2. Clear, detailed, and thorough labeling should be used to defeat graphical distortion and ambiguity. Write out explanations of the data an the graphic itself. Label important events in the data.
  3. Show data variation, not design variation.
  4. In time-series displays of money, deflated and standardized units of monetary measurement are nearly always better than nominal units.
  5. The number of information-carrying (variable) dimensions depicted should not exceed the number of dimensions in the data.
  6. Graphics must not quote data out of context."

[The visual display of quantitative information. -- S. 77]


5. Checkliste zur Bewertung von Web-Seiten


"... die Existenz einer Webseite ist lediglich ein Indiz für technische Fertigkeiten, mehr nicht -- und das ist wenig genug. Obendrein ist es ein Kinderspiel, einer Webseite ein seriöses Aussehen zu geben, ohne dass auch nur eine einzige seriöse Meldung zu finden wäre. Was es außerhalb des Netzes noch nicht einmal bis zum Flugblatt schafft, kann im Internet ohne weiteres als weltweites Nachrichtenmagazin auftreten."

[Damschke, Giesbert: Von einer Fallgrube in die andere. -- In: NZZ. -- Internationale Ausgabe. -- 9.7.1999. -- S. 49]

Obwohl die folgende Checkliste vor allem für Web-Publikationen im wissenschaftlichen Bereich entwickelt wurde, gelten die Kriterien entsprechend auch für Publikationen in anderen elektronischen Formen sowie in Printform.

Ausführlich dazu:

Payer, Margarete <1942 - >: Wie kann man die Qualität von Internetressourcen für den wissenschaftlichen Bereich beurteilen? : Hinterfragung ausgewählter Vorschläge ; Vortrag am 11. Juni 97, HBI Stuttgart. -- Fassung vom 9. Juni 1997. -- URL: http://machno.hbi-stuttgart.de/~payer/infoq.html

Zur Platform for Internet Content Selection (PICS), einem Bewertungssystem zum Jugendschutz siehe:

http://dir.yahoo.com/Computers_and_Internet/Information_and_Documentation/Metadata/Platform_for_Internet_Content_Selection__PICS_/. -- Zugriff am 30.6.1999


Formale Gesichtspunkte


Bezüglich der Zitierbarkeit:

Publiziert man selbst im Internet, so sollte man unbedingt folgende Angaben zu Beginn des Textes machen
  • URL
  • Verfasser:
  • Titel:
  • Anlass:
  • Letzte Überarbeitung: Datum
  • gegebenenfalls: Datum des Endes der Gültigkeit des Textes (z.B. bei Entwürfen)
  • Hinweise auf den Umgang mit dem Copyright

z.B.

URL: http://www.payer.de/exegese/exeg05.htm
Verfasser: Alois Payer , mailto: payer@well.com
Titel: Einführung in die Exegese von Sanskrittexten, Kap. 5: Nachweis verwendeter Ressourcen: Zitate, Anmerkungen, Literaturangaben
Anlaß : Lehrveranstaltung Proseminar Indologie, Universität Zürich, WS 1995/96
Letzte Überarbeitung : 22. Dezember 1995
Copyright: Dieser Text steht der Allgemeinheit zur Verfügung. Eine Verwertung in Publikationen, die über übliche Zitate hinausgeht, bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Verfassers.


Die Ressourcen-Angabe erfolgt in folgender Form:

Zitierform

Verfasser: Titel. -- Fassung vom: Datum. --  URL: URL. -- Zugriff am: Datum


z.B.

Payer, Exegese 5, 1995
Alois Payer: Einführung in die Exegese von Sanskrittexten. -- Kap. 5: Nachweis verwendeter Ressourcen: Zitate, Anmerkungen, Literaturangaben. -- Fassung vom 21. Dezember 1995. -- URL:  http://www.payer.de/exegese/exeg05.htm. -- Zugriff am 28.6.1999

 

Bezüglich der Verwendbarkeit:

Dieser Teil sollte möglichst als normierte Metadaten dem HEAD des Dokuments hinzugefügt werden, dann könnte man mit automatischen Suchmaschinen schon eine gute Vorauswahl treffen.


Inhaltliche Gesichtspunkte



Gesichtspunkte der Darbietung


bezüglich des äußeren Erscheinungsbildes:

bezüglich der Semantik:

bezüglich der Benutzerfreundlichkeit:


6. Weiterführende Ressourcen


6.1. Yahoo Categories



6.2. Ressourcen in Printform


The Chicago manual of style. -- 14. ed. -- Chicago [u.a.] : ©1993. -- 921 S. -- ISBN 0226103897. -- [Unerlässliches Hilfsmittel für alle Fragen englischsprachigen Publizierens, von Zeichensetzung bis Zitierweise, gehört auf den Schreibtisch jedes wissenschaftlichen Bibliothekars sowie jedes Informationsmanagers]. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch bei amazon.de bestellen}

Gibaldi, Joseph <1942 - >: MLA style manual and guide to scholarly publishing. -- 2. ed. -- New York : The Modern Language Association of America, ©1998. -- 343 S. -- ISBN 0873526996. -- [Die MLA-guidelines sind ein weit verbreitetes Style manual, sie erreichen aber nicht das Qualitätsniveau des Chicago manual]. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch bei amazon.de bestellen}

Satzanweisungen und Korrekturvorschriften : mit ausführlicher Beispielsammlung / hrsg. von der Dudenredaktion und der Dudensetzerei. -- Mannheim : Bibliographisches Institut, ©1969. -- 187 S. : Ill. -- (Duden-Taschenbücher ; 5/5a). -- [Klassiker, leider nicht mehr weitergeführt]


Zu Kapitel 2: Formale Bestandteile einer wissenschaftlichen Arbeit