Kulturen von Arbeit und Kapital

Einführung


von Margarete Payer

mailto: payer@payer.de


Zitierweise / cite as:

Payer, Margarete <1942 - >: Kulturen von Arbeit und Kapital. -- Einführung. -- Fassung vom 2006-05-28. -- URL: http://www.payer.de/arbeitkapital/arbeitkapital00.htm  

Erstmals publiziert: 2005-11-04

Überarbeitungen: 2006-05-28;  2005-11-27 [Ergänzungen]; 2005-11-19 [Ergänzungen]; 2005-11-07 [Ergänzungen]

Anlass: Lehrveranstaltung an der Hochschule der Medien Stuttgart, Wintersemester 2005/06; Sommersemester 06

Copyright: Dieser Text steht der Allgemeinheit zur Verfügung. Eine Verwertung in Publikationen, die über übliche Zitate hinausgeht, bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Verfassers.

Creative Commons-Lizenzvertrag
Diese Inhalt ist unter einer Creative Commons-Lizenz lizenziert.

Dieser Text ist Teil der Abteilung  Länder und Kulturen von Tüpfli's Global Village Library


0. Übersicht



1. Anstelle von Mottos


Drei Schlagworte

Wie heißt das Wort, das in der halben Welt
Man gleichbedeutend mit dem Gelde hält,
Doch mit dem Geld, das stets im Säckel bleibt,
Und schon von selbst die besten Zinsen treibt?
Es ist, es heißt die, die, die, die,
Die teure Bourgeoisie!

Wie heißt das Wort, das in der halben Welt
Man gleichbedeutend mit dem Elend hält,
Doch mit dem Elend, – das mit wackerem Mut
Die schwere, große Arbeit tut?
Es ist, es heißt: der, der, der, der,
Es heißet: Proletarier!

Wie heißt das Wort, das in der halben Welt
Man gleichbedeutend mit Utopien hält,
Doch mit Utopien, ähnlich Morgenlicht,
Das hell und warm zu jedem Herzen spricht?
Es ist, es ist mein Ideal,
Das große Wort, es heißt: sozial.

Friederike Kempner (1836 - 1904). -- 1903

Sozialdemokratischer Parteitag

Wir saßen einst im Zuchthaus und in Ketten,
wir opferten, um die Partei zu retten,
Geld, Freiheit, Stellung und Bequemlichkeit.
Wir waren die Gefahr der Eisenwerke,
wir hatten Glut im Herzen – unsre Stärke
war unsre Sehnsucht, rein und erdenweit.
Uns hassten Kaiser, Landrat und die Richter:
Idee wird Macht – das fühlte das Gelichter . . .
Long long ago –
Das ist nun heute alles nicht mehr so.

Wir sehn blasiert auf den Ideennebel.
Wir husten auf den alten, starken Bebel –
Wir schmunzeln, wenn die Jugend revoltiert.
Und während man in hundert Konventikeln
mit Lohnsatz uns bekämpft und Leitartikeln,
sind wir realpolitisch orientiert.
Ein Klassenkampf ist gut für Bolschewisten.
Einst pfiffen wir auf die Ministerlisten . . .
Long long ago –
Das ist nun heute alles nicht mehr so.

Uns imponieren schrecklich die enormen
Zigarren, Autos und die Umgangsformen – Man ist ja schließlich doch kein Bolschewist.
Wir geben uns auch ohne jede Freite.
Und unser Scheidemann hat keine Seite,
nach der er nicht schon umgefallen ist.
Herr Weismann grinst, und alle Englein lachen.
Wir sehen nicht, was sie da mit uns machen,
nicht die Gefahren all . . .
Skatbrüder sind wir, die den Marx gelesen.
Wir sind noch nie so weit entfernt gewesen,
von jener Bahn, die uns geführt Lassall'!

Kurt Tucholsky (alias Theobald Tiger) <1890 - 1935>. -- In: Die Weltbühne. -- 1921-09-29. -- Nr. 39. -- S. 312

Eine Frage

Da stehn die Werkmeister – Mann für Mann.
Der Direktor spricht und sieht sie an:
»Was heißt hier Gewerkschaft! Was heißt hier
Beschwerden!
Es muss viel mehr gearbeitet werden!
Produktionssteigerung! Dass die Räder sich drehn!«
Eine einzige kleine Frage:
Für wen?

Ihr sagt: die Maschinen müssen laufen.
Wer soll sich eure Waren denn kaufen?
Eure Angestellten? Denen habt ihr bis jetzt
das Gehalt, wo ihr konntet, heruntergesetzt.
Und die Waren sind im Süden und Norden
deshalb auch nicht billiger geworden.
Und immer noch sollen die Räder sich drehn . . .
Für wen?

Für wen die Plakate und die Reklamen?
Für wen die Autos und Bilderrahmen?
Für wen die Krawatten? die gläsernen Schalen?
Eure Arbeiter können das nicht bezahlen.
Etwa die der andern? Für solche Fälle
habt ihr doch eure Trusts und Kartelle! Ihr sagt: die Wirtschaft müsse bestehn.
Eine schöne Wirtschaft!
Für wen? Für wen?

Das laufende Band, das sich weiterschiebt,
liefert Waren für Kunden, die es nicht gibt.
Ihr habt durch Entlassung und Lohnabzug sacht
eure eigne Kundschaft kaputt gemacht.
Denn Deutschland besteht – Millionäre sind selten –
aus Arbeitern und aus Angestellten!
Und eure Bilanz zeigt mit einem Male
einen Saldo mortale.

Während Millionen stempeln gehn.
Die wissen, für wen.

Kurt Tucholsky (alias Theobald Tiger) <1890 - 1935>. -- In: Die Weltbühne. -- 1931-01-27. -- Nr. 4. -- S. 123.

"Der Geist von Marx

Der Marxismus ist tot, das kommunistische System aufgrund der Erfahrungen, die wir damit gemacht haben, in Misskredit gebracht, aber über der Bühne der Welt schwebt noch immer der Geist von Marx, vielleicht mit einem wissenden Lächeln auf den Lippen. Die ungeheuerlichen Verhältnisse, die Karl Marx im 19. Jahrhundert zu seiner ursprünglichen Kritik am Kapitalismus veranlassten. sind lebendig und gedeihen wieder prächtig. Inzwischen steht die Welt nicht nur am Ende einer Ideologie, sondern auch am Anfang des nächsten großen Streits über das Wesen des Kapitalismus.

Damals wie heute geht es bei dieser Grundsatzdiskussion um Kapital und Arbeit. Immer noch stehen die Machtverhältnisse am Arbeitsplatz und die Frage im Zentrum, wie die Gewinne eines Unternehmens geteilt werden sollen. Das Kapital gewinnt auch heute wieder die Oberhand. Es fordert einen immer größeren Anteil an den Gewinnen und immer mehr Macht über die Mitarbeiter, genau wie zu Zeiten von Marx. Die krassen Unterschiede in der Verteilung von Macht und Reichtum, die Marx angegriffen hat, werden fast überall in der Welt noch größer. Das Ungleichgewicht der Macht führt heute zu ähnlichen Exzessen und sozialen Missständen."

Greider, William <1939 - >: Endstation Globalisierung : neue Wege in eine Welt ohne Grenzen. -- Ungekürzte Taschenbuchausgabe. -- München : Heyne, ©1998. -- (Heyne Business ; 22/1056). -- ISBN 3453155521. -- Originaltitel: One world, ready or not : the manic logic of global capitalism (1997). -- S. 65


2. Einleitung



Abb.: Wanderheuschrecken fallen in Nordsudan ein, 2004 (Bildquelle: FAO)

Anlass zu dieser Lehrveranstaltung waren die Angriffe des damaligen SPD-Vorsitzenden Franz Münterfering im April auf manche Finanzinvestoren. In Bild am Sonntag hatte Müntefering gesagt:

"Manche Finanzinvestoren verschwenden keinen Gedanken an die Menschen, deren Arbeitsplätze sie vernichten – sie bleiben anonym, haben kein Gesicht, fallen wie Heuschreckenschwärme über Unternehmen her, grasen sie ab und ziehen weiter. Gegen diese Form von Kapitalismus kämpfen wir."

(Interview mit der Bild-Zeitung, 16. April 2005)

Müntefering bekam z.B. vom "Herz-Jesu-Sozialisten" Norbert Blüm (CDU) eindeutige Unterstützung. Und Raubtierkapitalismus und Geierinvestoren sind keineswegs nur Papiertiger, wie manche uns weismachen wollen.


Abb.. "Aus der Anarchie des brutalen Klassenegoismus retten allein die christlichen Ideale Recht, Pflicht und Nächstenliebe. Darum wählt die Christliche Volkspartei (Zentrum)". -- Hans Herkendell (1886 - ): Wahlplakat. -- 1919

Auf der Seite der Arbeit ist eine Desolidarisierung festzustellen: man glaubt oft Gewerkschaften, Betriebsräte und andere Gegengewichte gegen die Übermacht des Kapitals nicht mehr nötig zu haben. Das Ende ist oft ein reines Gefühl der Ohnmacht, des Ausgeliefertseins an ein unbeeinflussbares Schicksal.

Diese beiden Wirtschaftssubkulturen sind nach meiner festen Überzeugung nachhaltig schädlich sowohl für den Wohlstand als auch für den sozialen Frieden, für die Gesundheit und für die sozialen Beziehungen. William Greider (s. oben "Der Geist von Marx") betont, dass zwar der Kommunismus am Ende ist, aber ein neuer Kapitalismus beginnt, der sich durchaus vergleichen läßt mit dem Kapitalismus zu Zeiten von Karl Marx. Es geht darum, wer den Anspruch auf den Gewinn und die Macht über die Mitarbeiter hat. Vor allem international gesehen öffnet sich die Schere zwischen arm und reich immer mehr.

Der Zweck dieser Lehrveranstaltung ist, vor diesem Hintergrund, der wesentlich mit der rasant fortschreitenden Globalisierung zu tun hat, möglichst breit eine Grundlage bereitzustellen, aufgrund derer man die Kulturen, Subkulturen und Unkulturen von Arbeit und Kapital beurteilen kann und für sein eigenes Engagement die entsprechenden Schlussfolgerungen ziehen kann. Vor allem aber sollen diese Materialien dazu helfen, dass an die Stelle von dumpfen Ängsten und Schlagworten eine rationale und konfliktorientierte Diskussion tritt

Selbstverständlich unterliegen auch diese Materialien Verkürzungen, Einseitigkeiten und blinden Flecken. Ich habe mich aber bemüht, ein weites, individuell und kulturell vielfältiges Spektrum abzudecken. Für Verbesserungs- und Ergänzungsvorschläge bin ich dankbar.


Arbeit = labour, travail, trabajo, arbeid, praca, 劳动

Kapital = capital, kapitaal, kapitał, pääoma, капитал, 資本, 资本, הון

 

Die Lehrveranstaltung dient der Ergänzung und Vertiefung der Veranstaltungen zu Internationalen Kommunikationskulturen.

Bestandteil dieser Lehrveranstaltung ist auch:


3. Gegen das Rationalitätsprinzip der wirtschaftstheoretischen Modelle



Auch der wirtschaftende Mensch ist rätselhaft ...


 ... und lässt sich (hoffentlich) nicht auf Gewinnmaximierung reduzieren!

Abb.  (©IMSI)

Rationale Entscheidung = rational decision
rationale Erwartungen = rational expectations

Entgegen den Grundannahmen der meisten wirtschaftstheoretischen Modelle funktionieren wirtschaftliche Unternehmen im allgemeinen alles andere als vernunftbestimmt, rational. Auch im Bereich der Wirtschaft wird menschliches Verhalten oft — vermutlich meistens — durch Gefühle, Affekte, Stimmungen, "aus dem Bauch heraus" gesteuert. Man handelt nach Gewohnheiten, Automatismen, sozialen Normen, die alles andere als vernünftig sind. Man begeht systematisch Denk- und Einschätzungsfehler. Man setzt den Verstand weniger zur Entscheidungsfindung ein, sondern eher um bereits vollzogene Handlungen und Zustände im nachhinein zu rationalisieren, d.h. nicht-vernunftgeleitetes Verhalten als vernunftgeleitet darzustellen.

Günter Wiswede nennt "Sieben Gründe gegen Rationalität":

"Sieben Gründe gegen die Rationalität
  1. Strukturelle Zwänge
    • Eingeengte Handlungsspielräume
    • Geringe Systemrationalität
  2. Fehlende Motivation zu rationalem Handeln
    • Zu hohe Kosten der Rationalität
    • Irrationalität ohne Bedauern (z. B. Altruismus)
    • Kognitive Faulheit
  3. Mangel an Fähigkeiten zu rationalem Handeln
    • Begrenzte Informationskapazität
    • Begrenzte Verarbeitungs- und Anpassungsgeschwindigkeit
    • Anwendung vereinfachender Heuristiken
    • Kognitive Fehler (Anomalien)
    • Kurzsichtigkeit (myopischer Effekt)
  4. Quasi-automatisches Handeln
    • Simple Konditionierungseffekte
    • Eingefahrene und dominante Reaktionen
    • Eingeschliffene Gewohnheiten
  5. Diffusion und Verlagerung von Handlungszielen
    • Ziele verändern sich beim Handlungsablauf
    • Ziele werden unklar, konfliktär
    • Fixierung an Teilzielen
  6. Affektiv-emotionale Zustände
    • Positive Emotionen (z.B. Sympathie)
    • Negative Emotionen (z.B. Ärger)
    • Stimmungen (z.B. Euphorie)
  7. Normen und Regeln des Handelns
    • Gerechtigkeit und Faimess
    • Solidarität, Kooperation, Rücksicht
    • Pflichtethos, Commitment"

[Quelle: Wiswede, Günter: Einführung in die Wirtschaftspsychologie. -- 3., überarbeitete und erweiterte Aufl.. -- München ; Basel : E. Reinhardt, 2000. -- 379 S. : graph. Darst. ; 25 cm. -- (UTB für Wissenschaft ; 8090). -- ISBN 3-8252-8090-X. -- S. 36. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen}]


4. Shareholder value oder Stakeholder value?



Abb.: Wird der Mensch nur noch eine Funktion der Aktienkurse? (©IMSI)

"Es ist kein Zweck des Unternehmens, wertvoll zu sein. Aktionäre mögen dies wohl für dessen Zweck halten – nämlich dann, wenn sie in Wahrheit nicht am Unternehmen interessiert sind, sondern an den Papieren, die das Eigentum am Unternehmen verbriefen – eben den Aktien, und wenn sie Aktien mit Unternehmen verwechseln.

Aus diesem Grunde findet sich auch in keinem Gründungsstatut ein Satz nach dem Muster, dass "hiermit eine Aktiengesellschaft gegründet wird, mit dem Zwecke, wertvoll zu sein". In den Statuten finden sich andere Zweckbestimmungen, etwa dass der Zweck der zu gründenden Aktiengesellschaft der "Handel mit Waren aller Art" oder "das Betreiben von Bankgeschäften" oder "die Herstellung von Software" sei."

Fredmund Malik (1944 - ). -- http://www.manager-magazin.de/koepfe/mzsg/0,2828,166128,00.html. -- Zugriff am 2005-10-10]

Shareholder value bedeutet faktisch, dass die Unternehmensleitung die Aufgabe hat, Entscheidungen so zu treffen, dass die Eigenkapitalgeber (shareholder) einen maximal-möglichen Profit haben, sei's an Gewinnausschüttungen sei's durch Steigerung des Wiederverkaufwerts der Wertpapiere (Aktien). Dass shareholder value das vorrangige Unternehmensziel sei, wird damit begründet, dass Eigenkapitalgeber (zumindest) mit ihrem Kapital das volle Verlustrisiko tragen, während z.B. Arbeitnehmer durch feste Lohnansprüche, Fremdkapitalgeber durch feste Kapitalzinsen und Lieferanten (Gläubiger) durch feste Zahlungsansprüche abgesichert seien. Als ob das Risiko des Arbeitsplatzverlustes in Zeiten der Arbeitslosigkeit nicht viel größer wäre als das Risiko von Eigenkapitalgebern in Kapitalgesellschaften, die ja nur mit ihrem Kapitalanteil und nicht mit ihrem Vermögen haften!

"Der Shareholder Value ist definiert als der Marktwert des Eigenkapitals. Der Shareholder-Value-Ansatz ist ein betriebswirtschaftliches Konzept, das das Unternehmensgeschehen als eine Reihe von Zahlungen (Cash-Flows) betrachtet, analog zu der aus einer (Sach-)Investition resultierenden Zahlungsreihe. Die Bewertung des Unternehmens wird anhand der freien Cash-Flows ermittelt. Der Shareholder Value ergibt sich dabei aus den auf den Bewertungszeitpunkt abdiskontierten freien Cash-Flows abzüglich des Marktwertes des Fremdkapitals (also z.B. Bankverbindlichkeiten).

Der Shareholder Value-Ansatz geht auf das im Jahr 1986 veröffentlichte Buch von Alfred Rappaport zurück. Danach hat die Unternehmensleitung i. S. der Anteilseigner zu handeln. Ihr Ziel ist die Maximierung des langfristigen Unternehmenswertes durch Gewinnmaximierung und Erhöhung des Eigenkapitals. Die geforderte Eigenkapital-Mindestverzinsung dominiert andere Belange.

Verdienste des Shareholder-Value-Ansatzes

Als wesentliche Leistung des Konzeptes wird in der Fachliteratur herausgestellt, dass es alle unternehmerischen Aktivitäten auf ihre Auswirkungen auf den freien Cash-Flow zurückführt und über die Diskontierung freien Cash-Flows den Zahlungszeitpunkt mitberücksichtigt. Bereits an der Definition des Shareholder Value ist erkennbar, dass

  1. das Niveau des freien Cash-Flows und seine Entwicklung ein entscheidendes Kriterium für die Nachhaltigkeit eines Unternehmens sind und
  2. auch die Finanzierungsstruktur eines Unternehmens den Shareholder Value beeinflusst.

Da diese Größen Gegenstand der langfristigen Finanzplanung sind, wird deutlich, wie verzahnt die operative Unternehmenssteuerung einerseits und das Finanzmanagement andererseits sind.

Kritik am Shareholder-Value-Ansatz

Die Fokussierung auf den Marktwert des Eigenkapitals wird von Kritikern des Konzeptes als unzulässige Verkürzung der unternehmerischen Realität gedeutet. So sind die Eigenkapitalgeber eines Unternehmens nicht die einzigen Anspruchsgruppen eines Unternehmens. Demnach sind bei unternehmerischen Entscheidungen auch potentielle Auswirkungen beispielsweise auf Mitarbeiter, Kunden, Öffentlichkeit und die Umwelt zu berücksichtigen. Die Kritik an der einseitigen Ausrichtung an den Interessen der Eigenkapitalgeber hat zu konzeptionellen Weiterentwicklungen, wie dem Stakeholder-Value-Ansatz oder dem ganzheitlichen Managementsystem Balanced Scorecard geführt. In letzterem werden neben den Interessen der Shareholder (Finanzperspektive) die Interessen der Kunden und Lieferanten (Kundenperspektive und Prozessperspektive), sowie der Mitarbeiter (Lern- und Entwicklungsperspektive) berücksichtigt, sowie deren Implikationen auf die Finanzperspektive in Ursachen-Wirkungsketten (strategy maps) dargestellt. Letztere negative Beispiele sind die Firmenpolitik Josef Ackermanns oder die des Chef des britischen Hedgefonds TCI, Christopher Hohn. Allgemein kann man sagen das dieses Prinzip am stärksten von Hedgefonds und Private Equity Gesellschaften angewendet wird."

[Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Shareholder_value. -- Zugriff am 2005-10-10]

Demgegenüber stehen Betriebswirtschaftler ohne Scheuklappen, die den Stakeholder value als Ziel der Unternehmensleitung sehen, danach sollen die Interessen der Stakeholder in angemessener Weise berücksichtigt werden, d.h. die Interessen der internen und externen Personengruppen, die durch das Handeln des Unternehmens direkt oder indirekt betroffen sind.


Abb.: Stakeholder [Bildquelle: Wikipedia]

Stakeholder sind:

"Als Stakeholder (eng. = Interessenvertreter, Anspruchsberechtigter) wird eine Person oder Gruppierung bezeichnet, die ihre berechtigten Interessen wahrnimmt.

Stakeholder in der Betriebswirtschaft

Das Prinzip der Stakeholder ist die Erweiterung des in der Betriebswirtschaft verbreiteten Shareholder Value-Ansatzes.

Im Gegensatz zum Shareholder Value-Prinzip, das die Bedürfnisse und Erwartungen der Anteilseigner (z. B. bei einer Aktiengesellschaft die Aktionäre) eines Unternehmens in den Mittelpunkt des Interesses stellt, versucht das Prinzip der Stakeholder das Unternehmen in seinem gesamten sozialökologischen Kontext zu erfassen und die Bedürfnisse der unterschiedlichen Anspruchsgruppen in Einklang zu bringen.

Als Stakeholder gelten dabei neben den Shareholdern (die Eigentümer) die Mitarbeiter (bis hin zu den Managern, z. B. Anspruch auf Beschäftigung und Sicherheit), die Kunden (z. B. Anspruch auf Qualität und Zuverlässigkeit), die Lieferanten, die Kapitalmärkte (u.a. Kreditgeber) sowie der Staat (z. B. Anspruch auf Steuergelder, Umweltschutz), die Natur (Rohstofflieferant, Aufnahmemedium für Abfall) und die Öffentlichkeit (Parteien, Verbände, Publ. Medien, etc.). Staat, Natur und Öffentlichkeit sind sogenannte nichtmarktliche Anspruchsgruppen. Kapital-, Arbeits-, Beschaffungs- und Absatzmärkte bezeichnet der Stakeholder-Ansatz als marktliche Gruppen und Beziehungen (Leistung und Gegenleistung)."

[Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Stakeholder. -- Zugriff am 2005-10-10]

Die herrschende Betriebswirtschaftslehre lehnt das Stakeholder-Value-Konzept ab, weil man davon ausgeht, dass man sich bei der unterschiedlichen Interessenslage zwischen Kapitaleigner auf der einen Seite und Mitarbeitern, Umweltansprüchen, Lieferanten usw. auf der anderen Seite nicht einigen könnte, obwohl es Betriebe gibt, die nachhaltig guten Erfolg damit haben, wie im dritten Teil dieses Skipts einige Beispiele zeigen. Wöhe und Döring halten das Stakeholder-Konzept für "unpraktikabel":

"Ein Blick auf die Ansprüche der verschiedenen Stakeholder offenbart die Interessengegensätze: Hohe Zinsforderungen der Fremdkapitalgeber und hohe Entlohnungsansprüche von Arbeitnehmern und Management verringern die Gewinnansprüche der Eigenkapitalgeber. Oder: Hohe Umweltstandards der Öffentlichkeit, hohe Preisforderungen der Lieferanten und Druck der Kunden auf die Absatzpreise haben eines gemeinsam: sie schwächen die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens und gefährden damit das Streben der Belegschaft nach Arbeitsplatzsicherheit. Damit lassen sich divergierende Stakeholder-Interessen1 auch in "friedenstiftenden Verhandlungen" kaum auf einen gemeinsamen Nenner bringen.

Fazit: Nach der Grundidee des Stakeholder-Konzepts soll in einvernehmlichen Verhandlungen zwischen den Anspruchsberechtigten eine Einigung über
  • gemeinsame Ziele
  • gemeinsames Handeln
  • gemeinsame Ergebnisaufteilung

erreicht werden. Dieser „friedenstiftende Ansatz" ist sicher gut gemeint, aber unpraktikabel. Seine Realisierung scheitert an unüberbrückbaren Interessengegensätzen."

[Quelle: Wöhe, Günter <1924 - > ; Döring, Ulrich: Einführung in die allgemeine Betriebswirtschaftslehre. -- 22., neubearb. Aufl. -- München : Vahlen,  2005. --  XXXVI, 1220 S. : Ill. ; 23 cm. -- (Vahlens Handbücher der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften). -- ISBN 3-8006-3254-3. -- S. 67. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen}]


5. Hier nicht behandelt: die Kulturen der Konsumenten
(consumer, consommateur, consumidor, consument, उपभोक्ता, 消費者)



Abb.: Slogan®©

Neben den Kulturen von Kapital und Arbeit müssten zu einem vollständigeren Bild von Wirtschaftskulturen noch die Konsumentenkulturen behandelt werden. Da sie nicht Gegenstand dieser Lehrveranstaltung sein können., seien sie hier wenigstens anhand der "Geiz-ist-geil-Kultur" kurz angedeutet, obwohl jeder von uns diese Kultur kennt und vielleicht auch pflegt. Inzwischen muss man im Bekanntenkreis begründen, warum man nicht bei Billig-Discountern einkauft, wenn man z.B. umweltschädliches Verhalten nicht unterstützen will. Und ich habe erfahren, dass von durchaus Wohlhabenden beim Kauf eines Hauses und  der Auswahl eines Wohnortes geprüft wird, ob ein Billig-Discounter in der Nähe ist. Dass man es  im traditionellen Bürgertum des letzten Jahrhunderts für nicht anständig hielt, bei einem Billig-Discounter einzukaufen, hatte gesamtwirtschaftlich gesehen auch seine Vorteile.

In


Abb.: Einbandtitel

Kotteder, Franz <1963 - >: Die Billig-Lüge : die Tricks und Machenschaften der Discounter. -- München : Droemer, 2005. -- 268 S. ; 22 cm. -- ISBN: 978-3-426-27371-5. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen}

zeigt der Autor die Konsequenzen dieser Konsumenten-Kultur auf. Er zählt u.a. folgende "Billig-Lügen" auf:

und die Konsequenzen:

Die weiteren Folgerungen zieht Kotteder:

"Der Discount war nur der Anfang einer Entwicklung, die vielleicht schon gar nicht mehr aufzuhalten ist. Doch was steht am Ende? Wenn die Preise immer niedriger werden, werden auch die Einkommen immer niedriger, weshalb diejenigen, die niedrige Einkommen haben, auf niedrige Preise angewiesen sind. So setzt sich die Billigspirale fort, bis es irgendwann nicht mehr geht. Wohl erst dann werden wir wirklich wissen, was hinter der Billig-Lüge steckt, der wir so lange geglaubt haben.

In diesem Buch wird anhand zahlreicher, bisweilen drastischer Beispiele beschrieben, wohin die Billig-Lüge führen wird und welche ihrer Auswirkungen schon jetzt zu beobachten sind. In vielen Fällen ließe sich die Reihe der Beispiele beinahe beliebig fortführen. Denn die Öffentlichkeit ist aufmerksamer geworden, was die Folgen des Discounts angeht."

[Quelle: Kotteder, Franz <1963 - >: Die Billig-Lüge : die Tricks und Machenschaften der Discounter. -- München : Droemer, 2005. -- 268 S. ; 22 cm. -- ISBN: 978-3-426-27371-5. -- S. 30f. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen}]

Fazit: Der Konsument hat durchaus durch sein Kaufverhalten eine Möglichkeit einzugreifen, er müßte bereit sein für gute Arbeit gutes Geld zu bezahlen, was man von Gutverdienenden durchaus verlangen kann. Ein guter Ansatz ist die Prüfung der Unternehmensverantwortung, die die Stiftung Warentest bei ihren Tests eingeführt hat. So wird z.B. bei der Qualität von Fußbällen, die die führenden Sportartikelfirmen fast ausschließlich in Pakistan, Thailand und China herstellen lassen, überprüft, wie die Arbeitsbedingungen, die soziale Sicherheit und die Löhne sind und ob Kinderarbeit stattfindet. Gelobt wird z.B. adidas für seinen WM-Ball Teamgeist, dessen Materialien aus verschiedenen Ländern kommen und im Auftrag einer japanischen Firma in Thailand für eine deutsche Firma genäht und zusammengeklebt wird. Es wird aber auch daraufhin gewiesen, dass z.B. in Pakistan ein Näher für einen Fußball, für den er etwa 3 Stunden Arbeit benötigt,  60 cents erhält, während in Europa dieser Fußball für etwa 100 Euro verkauft wird. [vgl. Fairplay setzt sich durch. -- In: Test. -- 2006, 6. -- S. 78 - 80]


6. Weiterführende Ressourcen



Abb.: Einbandtitel

Kutschker, Michael <1943 - > ; Schmid, Stefan: Internationales Management : mit 100 Textboxen. -- 4., bearb. Aufl.Verleger: München ; Wien : Oldenbourg. -- 2005. --LXXIII, 1387 S. : graph. Darst. ; 25 cm. --ISBN 3-486-57643-7. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen}


Abb.: Einbandtitel

Robbins, Richard H. (Howard) <1940 - >: Global problems and the culture of capitalism. -- Boston : Allyn and Bacon, c1999.  -- X, 422 S. : ill. ; 24 cm. -- ISBN 0205193374


Abb.: Einbandtitel

Frank, Thomas <1965 - >: One market under God : extreme capitalism, market populism, and the end of economic democracy. -- New York : Doubleday, ©2000. -- XVIII, 414 S. ; 22 cm.  -- ISBN: 038549503X. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen}


Abb.: Einbandtitel

Wöhe, Günter <1924 - > ; Döring, Ulrich: Einführung in die allgemeine Betriebswirtschaftslehre. -- 22., neubearb. Aufl. -- München : Vahlen,  2005. --  XXXVI, 1220 S. : Ill. ; 23 cm. -- (Vahlens Handbücher der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften). -- ISBN 3-8006-3254-3. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen}. -- Standardlehrbuch der konservativen BWL.


Diese Lehrveranstaltung hat folgende Teile:


Zu Teil 1: Betriebs- und Unternehmenskulturen