Kulturen von Arbeit und Kapital

Teil 1: Betriebs- und Unternehmenskulturen

2. Auf individueller Ebene

2. Motivation


von Margarete Payer

mailto: payer@payer.de


Zitierweise / cite as:

Payer, Margarete <1942 - >: Kulturen von Arbeit und Kapital. -- Teil 1: Betriebs- und Unternehmenskulturen. -- 2. Auf individueller Ebene. -- 2. Motivation. -- Fassung vom 2006-05-12. -- URL: http://www.payer.de/arbeitkapital/arbeitkapital01202.htm   

Erstmals publiziert: 2005-11-15

Überarbeitungen: 2006-05-12; 2005-11-27 [Ergänzungen]; 2005-11-24 [Ergänzungen]; 2005-11-21 [Ergänzungen];  2005-11-19 [Ergänzungen]; 2005-11-17 [Ergänzungen]; 2005-11-16 [Ergänzungen]

Anlass: Lehrveranstaltung an der Hochschule der Medien Stuttgart, Wintersemester 2005/06; Sommersemester 06

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0. Übersicht



1. Mottos



Abb.: Mitarbeitermotivation (©MS)

Tsena, tsena, tsena, tsena,
Ha-banot, u-r'ena
Chalutsim bamoshavah.

'Al-na, 'al-na, 'al-na, 'al-na,
'Al-na titchameq'na
Me-`amal v'avodah.

Come out, come out, come out, come out,
Girls, and see
The pioneers in the colony.

Do not, do not, do not, do not,
Do not shirk
From work and labor.

Kibbuz-Lied, Israel

Klicken Sie hier, um das Kibbutz-Lied zu hören

Quelle der midi-Datei: http://ingeb.org/songs/tsenatse.html. -- Zugriff am 2005-11-16]


Abb.: Heinrich Zille (1858 - 1929): Wie herrlich ist es, nichts zu tun und von dem Nichtstun auszuruh'n!

"Die modernen Theorien über die Motivation des Führungspersonals sind allzusehr auf den finanziellen Aspekt festgelegt. Die Arbeiten von Wissenschaftlern, die sich mit dem Menschen in der Industrie beschäftigen, genießen in Kreisen der Wirtschaftsführung keineswegs allgemeinen Respekt. Allerdings muss man ihnen zugestehen, dass etwa alle zwanzig Jahre der eine oder andere - beispielsweise der Industriepsychologe Elliot Jacques bei Glacier Metals - eine fundamentale Wahrheit über den Menschen wiederentdeckt, die von afrikanischen Stämmen seit Jahrhunderten mit größtem Erfolg angewendet wird: die Treue und Hingabe eines Menschen gewinnt man durch Aufwertung seiner Rolle viel eher als durch die Erhöhung seines Einkommens. Die Vergrößerung der Verantwortlichkeit bedeutet für den Menschen an sich schon höchste Anerkennung. Ihre Verminderung, selbst wenn sie formell keine Rang- oder Einkommensminderung mit sich bringt, wird als schwere Strafe empfunden. Verständnisvolle Unternehmer versuchen daher manchmal, die Entfernung eines Mitarbeiters aus einer wirklich verantwortungsvollen Position zu verschleiern, indem sie einen hochtrabenden Titel für ihn ersinnen, wie »Koordinator für unternehmenspolitische Planung«, sie als Beförderung bezeichnen, ihm ein größeres Büro zuweisen und sogar eine Gehaltserhöhung geben, ein Vorgang, den Professor Peter »laterale Arabeske« nennt. Allerdings bemerkt gewöhnlich jeder das Gefühl der Demütigung, das der Nutznießer all dessen empfindet."

[Quelle: Page, Martin: Managen wie die Wilden : die Stammesriten der Primitiven und der Führungsstil in unserer Wirtschaft - ein Vergleich, der überrascht. -- Genehmigte und ungekürzte Taschenbuchausg. -- München : Heyne, 1991. -- 332 S. ; 18 cm. -- (Heyne-Bücher : 19 : Heyne-Sachbuch ; Nr. 145). -- Originaltitel: The company savage (1971). -- ISBN 3-453-04453-3. -- S. 78.]

Den Nachweis, dass ein Mensch sich nicht in erster Linie durch finanziellen Anreiz zur Arbeit nötigen läßt, gibt nicht nur Page sondern u.a. auch Gunter Dueck. Dueck spricht von Zucken, von Ausschlägen im Innern des Menschen (das Gewissen oder das Ehrgefühl schlägt aus). Dueck weist daraufhin, dass früher die Menschen aus Pflicht und Gehorsam heraus zur Arbeit angehalten wurden. Jeder musste sich bei seiner Arbeit pflichtgemäß abmühen. Der Arbeiter hatte auf eigene Ansprüche zu verzichten. Da das heute eher nicht mehr funktioniert, versucht man neue Anreize zu schaffen. Nach Dueck ist ein solcher Anreiz die Gier, der beste bzw. der Erste zu sein. Diese Sucht nennt Dueck Supramanie und den Mitarbeiter "Score-Man". Das Problem dabei ist, dass nur einer der erste oder der beste sein kann. 

"Die Systeme der Welt sind auf das Zucken gebaut.

[...]
Die neue „Gier" heißt: Höherwertigkeit. Als Sucht nenne ich sie Supramanie.

Die ultimative Droge heißt: „Du musst der Beste sein!"

Alfred Adler fügte den Begriff der Minderwertigkeit und des Minderwertigkeitskomplexes in unser kollektives Bewusstsein ein. Er zeigte uns, dass Menschen, die sich minderwertig fühlen, enorme, auch neurotische Energien freilegen können, um titanische Leistungen zu vollbringen. Wie viele Höchstleistungen der Menschheit haben wir der Rachsucht oder verschmähter Liebe zu verdanken! Wie viele Energien wurden durch Demütigungen ( = Minderwertigsetzungen) entfesselt!

Die Idee ist es, diese schlummernden Energien des Menschen in Arbeit zu verwandeln. Dies kann grob dadurch geschehen, dass wir die Arbeitsleistungen des Menschen konsequent als Vergleichszahlen messen und über die Zahlen die Menschen in Werte-Tabellen ordnen. Wir zeigen in Rangordnungen, welche Menschen einen höheren oder minderen Wert haben. Es gibt Menschen in der Tabelle oben und Menschen unten. Es gibt „heiße" Aufsteiger „mit Biss" und schon wieder ermüdende Absteiger. Wir pflanzen einen Höherwertigkeitstrieb (ich nenne ihn Supratrieb) in den Menschen hinein, dessen Seismographen ihn unaufhörlich und lebenslang peitschen.

Die Zauberworte des neuen Triebes heißen: Anreiz, Anreizsystem, Leistung. Wir reden von Leistungsgerechtigkeit statt von der bloßen Gerechtigkeit, die seit dem Altertum als höchste Kardinaltugend des Vernunftmenschen galt.

Anreizsysteme binden Menschen in Geschäftsprozesse ein, deren Regeln sie genauestens und peinlich beachten müssen. Innerhalb von Regel-, Pflicht-, und Organisationsstrukturen bekommen Menschen nun einen Platz oder ein Revier vorgesehen, auf dem sie der Beste sein sollen. „Simply the best!" Die Forderung nach dem Sieg wird sie in ständiger Unruhe halten. Diese neue Gier lässt sie ständig an Arbeit denken, während der Pflichttrieb früher bei Arbeitsende den Menschen zur Familie entließ. Der neue Zwang zum Siegen verwischt die Grenzen von Arbeitsleben und Privatheit und drängt die letztere zurück. [...]

Wenn wir nun gezwungen werden, alle Energie in uns in Leistungs-Punkte zu verwandeln, so verlieren wir unsere wahren Werte in noch größerem Ausmaße, als ein Karl Marx je mit seiner Entfremdung ahnen konnte. Arbeit wird zur Höherwertigkeitsrallye und zur Punktejagd. Aus Pflichtgetriebenen werden Punktejäger.

Score-Man.

Es geht darum, Nummer Eins zu sein. The winner takes it all. Nur der Erste zählt. Der Schnellste am Markt. Der Erste mit einer Innovation. Nummer Eins über alles, über alle Vernunft.[...]

Das Problem der Punktesüchtigen ist es nun, dass nur einer Nummer Eins sein kann. Es gibt Menschen oben und Menschen unten. Es muss viele Schatten-Menschen unten geben, damit es den Trieb nach oben gibt, die Supramanie. Die Menschen unten aber werden sich wehren.
...
Es wird um jeden Punkt gekämpft. Jeder gegen jeden. Um die Nummer Eins. Die Menschen beginnen, um Erfolge zu feilschen, sich noch mehr Masken aufzusetzen, dem Schein zu huldigen, zu vertuschen und aufzubauschen. Äußere Form vor allem Inhalt! Das ist die wirkliche dunkle Seite der kommenden Supra-Zeit."

[Quelle: Dueck, Gunter <1951 - >: Supramanie : vom Pflichtmenschen zum Score-Man. -- Berlin [u.a.] : Springer, 2004. -- XIV, 350 S. : Ill., graph. Darst. ; 24 cm. -- ISBN 3-540-00901-9. -- S. VII - IX. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen}]

At bona pars hominum, decepta cupidine falso,
»Nil satis est«, inquit, »quia tanti, quantum habeas, sis.«
Allein, ein guter Teil der Menschen, angekörnt
von falscher Gierde, spricht: »Nichts ist genug!
Was einer hat das gilt er, und nicht mehr!«
Horaz (65 - 8 v. Chr.): Satiren, 1. Buch

2. Motivation
(motivation, motivação, мотивация)


Im Folgenden soll zuerst eine allgemeine Einführung in Motivation (Definition) gegeben werden. Dann folgt eine kurze Beschreibung verschiedener Lehrmeinungen bzw. Modelle zum Thema:


"Motivation (lateinisch movere = bewegen; PPP = motum; motus = die Bewegung) bezeichnet in den Humanwissenschaften sowie in der Ethologie einen Zustand des Organismus, der die Richtung und die Energetisierung des aktuellen Verhaltens beeinflusst. Mit der Richtung des Verhaltens ist insbesondere die Ausrichtung auf Ziele gemeint. Energetisierung bezeichnet die psychischen Kräfte, welche das Verhalten antreiben. Ein Synonym von "Motivation" ist "Verhaltensbereitschaft".

Ethologie

Der Motivationsbegriff der Ethologie wird im Artikel Handlungsbereitschaft behandelt.

Motive

Ein Motiv bezeichnet in der Psychologie eine relativ stabile Persönlichkeitseigenschaft, die durch eine Vorliebe für bestimmte Arten von Zielen zum Ausdruck kommt. Synonym wird oft der Begriff Bedürfnis (engl. need) verwendet. Primäre Motive wie das Nahrungs- und das Kältevermeidungsmotiv, die auf physiologischen Vorgängen beruhen, werden von sekundären Motiven unterschieden, die stärker auf psychologische Prozesse zurückgehen.

Die empirisch am besten erforschten sekundären Motive sind das Leistungsmotiv, das Machtmotiv und das Anschlussmotiv. Das Leistungsmotiv ist definiert als Bedürfnis, sich mit einem Gütemaßstab auseinanderzusetzen, das Machtmotiv als ein Bedürfnis, Einfluss auf andere Menschen auszuüben, und das Anschlussmotiv als ein Bedürfnis nach positiven sozialen Beziehungen. Sekundäre Motive werden traditionell mit dem Thematischen Auffassungstest (TAT) gemessen.

Nach traditioneller Auffassung wird das Motiv einer Person durch thematisch entsprechende Anreize in der Umwelt "angeregt". Das Leistungsmotiv wird etwa dann angeregt, wenn die Person die Aussicht hat, sich mit einem Gütemaßstab messen zu können. Dies führt zu einer Motivation, den Anreiz aufzusuchen oder zu meiden.

Motivation und Kausalattribution

Die Attributionstheorie hat gezeigt, dass die zugeschriebene Lokation und Stabilität von Erfolg und Misserfolg eigener Handlungen die affektiven Handlungsfolgen sowie die Erwartung zukünftigen Erfolgs beeinflusst. Wird Misserfolg etwa auf mangelnde Fähigkeit zurückgeführt, so sind negative Affekte und die Erwartung weiteren zukünftigen Misserfolgs die Folge.

Empirische Psychologie

Die empirische Psychologie erklärt Unterschiede in der Wahl von Zielen, in der Ausdauer und in der Anstrengungsbereitschaft durch das Zusammenspiel von Persönlichkeitseigenschaften, aktuellen Zuständen des Organismus und Situationsmerkmalen. Als Methoden kommen vor allem psychologische Testverfahren und Experimente zum Einsatz.

Nach lerntheoretischer Auffassung ist die Motivation abhängig vom Bedürfniszustand des Organismus in Verbindung mit entsprechenden inneren (intraorganismischen) oder äußeren Reizen. Die äußeren Reize können soziale (interorganismische; beim Menschen: interpersonelle) Signale, aber auch Merkmale unbelebter Objekte sein.

Zwei Gruppen von Motivationsmodellen

Inhaltsmodelle können von Prozessmodellen unterschieden werden. Während Inhaltsmodelle menschliches Verhalten allein aufgrund bestimmter psychischer Inhalte erklären, führen Prozessmodelle das Verhalten auch auf bestimmte psychische Vorgänge zurück.

Inhaltsmodelle

Dies Modelle beschäftigen sich mit Art, Inhalt und Wirkung von Motiven. Eine Taxonomie von Motiven wird geboten und bestimmt, nach welchen Gesetzmäßigkeiten welche Motive verhaltensbestimmend werden.

  • Humanistische Psychologie:
    • Bedürfnispyramide von Abraham H. Maslow
    • Die ERG-Theorie von Clayton P. Alderfer (Existance Relatedness Growth)
  • Allgemeine Psychologie:
    • Die Motivtheorie von David McClelland
    • Das Modell von Steven Reiss
  • Arbeitspsychologie:
    • Die Theorie X und Theorie Y von Douglas McGregor
    • Die Zwei-Faktoren-Theorie von Frederick Herzberg
    • Die Theorie von Mausner & Snyderman
Prozessmodelle

Diese Modelle versuchen zu erklären, wie Motivation formal und losgelöst von Bedürfnisinhalten entsteht und auf das Verhalten wirkt. Das Ziel des Verhaltens ist unbestimmt, aber das Individuum will den subjektiv erwarteten Nutzen maximieren.

  • Gleichgewichtstheorien (z.B. das Zürcher Modell von Norbert Bischof)
  • Lyman W. Porter und Edward E. Lawler
  • Das Rubikonmodell der Handlungsphasen von Heinz Heckhausen und Peter M. Gollwitzer
  • Das Erweiterte Kognitive Motivationsmodell von Heinz Heckenhausen
  • Die Equity-Theorie von John Stacey Adams (1965)
  • Die Valenz-Instrumentalitäts-Erwartungs-Theorie (auch Erwartungs-Valenz Theorie) von Victor H. Vroom
Einzelne Modelle im Detail

Rubikon-Modell


Abb.: Cäsar überschreitet den Rubikon (49 v. Chr.). -- Liebig's Sammelbilder. -- 1938

Ein einfaches eindimensionales Motivationsmodell bezeichnet eine "Schwellenmotivation" beim Überschreiten einer imaginären Grenze. Diese "Rubikon-Motivatonsstrategie" erhielt ihren Namen vom Angriff Gaius Julius Cäsars gegen Rom zu Zeiten des Bürgerkrieges. Als er mit seinem Heer den Fluss Rubikon überschritt (Alea iacta est!), gab es für sie kein Zurück mehr. Das war allen Soldaten klar und ging als "Motivationskonzept" in die Psychologie ein. Das entsprechende Rubikon-Modell der Handlungsphasen von Heinz Heckhausen teilt den Handlungsstrom in folgende vier Phasen ein:

  1. Abwägen
  2. Planen
  3. Handeln und
  4. Bewerten

Besonderes Gewicht liegt auf der Unterscheidung der Phasen des Abwägens und des Planens, die durch die Intentionsbildung getrennt sind. Während vor der Intentionsbildung Informationen über Erwartung und Wert von Handlungsergebnissen und Handlungsfolgen unvoreingenommen berücksichtigt werden, ist die Informationsverarbeitung nach der Intentionsbildung parteiisch auf die Erhaltung und Realisierung der Intention ausgerichtet. Dies führt Heckhausen auf volitionale Prozesse zurück.

Motivklassifikation von Maslow
Bedürfnispyramide nach Maslow
Selbstverwirklichung
Soziale Anerkennung
Soziale Beziehungen
Sicherheit
physiologische Grundbedürfnisse

Die Maslowsche Bedürfnispyramide ist ein vom US-amerikanischen Psychologen Abraham Maslow entwickeltes Modell, um Motivationen von Menschen zu beschreiben. Die menschlichen Bedürfnisse bilden die "Stufen" der Pyramide und bauen dieser eindimensionalen Theorie gemäß aufeinander auf. Der Mensch versucht demnach zuerst die Bedürfnisse der niedrigen Stufen zu befriedigen, bevor die nächsten Stufen Bedeutung erlangen.

Obwohl Maslows Klassifikation empirisch kaum belegt ist, ist sie bis heute sehr populär. Siehe auch: Maslowsche Bedürfnispyramide.

Reiss-Modell

William McDougall hatte 1932 eine Liste von 16 Basismotiven vorgeschlagen. Es folgten weitere Ansätze verschiedener Autoren mit Listen relevanter Motive in der Humanpsychologie. Erst die Arbeit des amerikanischen Motivationsforschers Steven Reiss, Professor für Psychologie und Psychiatrie an der State Universität in Ohio, basiert jedoch auf einer umfangreichen empirischen Absicherung, die das menschliche Verhalten auf 16 relevante Lebensmotive zurückführt. Nach der im Jahr 2000 veröffentlichten Untersuchung mittels Befragung von über 6.000 Männern und Frauen aus den USA, Kanada und Japan entwickelte er eine komplexe, nicht hierarchische Ordnung der Grundmotive des Menschen, die anschließend relativ populär geworden ist:

  • Macht (Streben nach Erfolg, Leistung, Führung)
  • Unabhängigkeit (Streben nach Freiheit, Autarkie)
  • Neugier (Streben nach Wissen und Wahrheit)
  • Anerkennung (Streben nach sozialer Akzeptanz, Zugehörigkeit und positivem Selbstwert)
  • Ordnung (Streben nach Stabilität, guter Organisation)
  • Sparen (Streben nach dem Anhäufen materieller Güter)
  • Ehre (Streben nach Loyalität und charakterlicher Integrität)
  • Idealismus (Streben nach sozialer Gerechtigkeit und Fairness)
  • Beziehungen (Streben nach Freundschaft, Kameradschaft, Humor)
  • Familie (Streben nach eigenen Kindern, Familie)
  • Stand (Streben nach Reichtum, social standing)
  • Rache (Streben nach Konkurrenz, Kampf, Vergeltung)
  • Romantik (Streben nach erotischem Leben, Sexualität und Schönheit)
  • Ernährung (Streben nach Essen und Nahrung)
  • Körperliche Aktivität (Streben nach Fitness und Bewegung)
  • Ruhe (Streben nach Entspannung und emotionaler Sicherheit)

Haben Partner beispielsweise ungefähr die gleichen Einstellungen zu den meisten dieser Lebensmotive, passen sie am besten zusammen. Die Zeitschrift "Psychologie Heute" (Andreas Huber) schrieb im März 2001 dazu: "Das neue Motivations- und Persönlichkeitsmodell wurde von namhaften amerikanischen Psychologen als "bahnbrechend" beurteilt. Das Konzept soll nun an mehreren US-Universitäten weiter untersucht und praktisch erprobt werden, auch an der renommierten Harvard-Universität hat sich eine Arbeitsgruppe zur Erforschung des "Reiss-Profils" gebildet."

Erwartungs-mal-Wert-Modelle

Seit der sog. Kognitiven Wende wird Motivation oft als eine multiplikative Verknüpfung von Erwartung und Wert konzipiert. Gemäß diesen Erwartungs-mal-Wert-Modellen geht Motivation auf die Erwartung bestimmter Handlungsergebnisse und Handlungsfolgen sowie auf deren (positive oder negative) Bewertung zurück.

Intrinsische und extrinsische Motivation

Es wird zwischen intrinsischer und extrinsischer Motivation unterschieden. Das Konzept beschreibt unterschiedliche psychologische Anreizmodelle für das menschliche Verhalten. In der Pädagogik wird intrinsische Motivation auch als Primärmotivation, extrinsische als Sekundärmotivation bezeichnet.

  • Intrinsische Motivation: Diese ergibt sich aus den Grundbedürfnissen der Menschen. Jeder Mensch hat Hunger und braucht Nahrung. Wenn ein Mensch friert, hat er das natürliche Bedürfnis nach Kleidung und Wärme. Primäre Motivation bezieht sich also auf jenen Bedarf von uns Menschen an Dingen, ohne die wir nicht überleben könnten (siehe auch Defizitbedürfnisse nach Maslow).
  • Extrinsische Motivation: Sekundäre Motivation entwickelt sich aus unseren Umfeld, unseren Lebensumständen heraus. So sehnen wir uns nach sozialen Kontakten sowie Sicherheit und Anerkennung in unserer Gesellschaft (siehe auch Wachstumsbedürfnisse nach Maslow).

    [Beispiel für extrinsische Motivation: "Mami hat dich lieb, wenn du die garstige Tante küsst, die zu Besuch kommt."]

Hieraus hat sich die etwas differenziertere Betrachtung intrinsischer und extrinsischer Motivation entwickelt:

Intrinsisch motivierte Verhaltensweisen Extrinsisch motivierte Verhaltensweisen
  • Intrinsisch motivierte Verhaltensweisen gelten als Prototyp selbstbestimmten Verhaltens. Das Handeln stimmt mit der eigenen Auffassung überein. Man ist bestrebt ein Sache voll und ganz zu beherrschen.
  • Intrinsische Motivation beinhaltet Neugier, Spontanität, Exploration und Interesse an den unmittelbaren Gegebenheiten der Umwelt.
  • Primär sind interessenbestimmte Handlungen zu erkennen, deren Aufrechterhaltung keine externen oder intrapsychischen Anstöße, wie Versprechungen oder Drohungen, benötigt. Diese Motivation nimmt allerdings ab, wenn man Versuchspersonen extrinsische Belohnungen wie z.B. Geld oder Auszeichnungen für eine ursprünglich intrinsische Aktivität anbietet.
  • Extrinsisch motivierte Verhaltensweisen treten in der Regel nicht spontan auf, sie werden vielmehr durch Aufforderungen in Gang gesetzt, deren Befolgung eine (positive) Bekräftigung erwarten lässt, oder die auf andere Weise instrumentelle Funktion besitzen, wie z.B. Ranglisten oder Noten.
  • Handlungen, die mit instrumenteller Absicht durchgeführt werden, um eine von der Handlung separierbare Konsequenz zu erlangen, zielen auf Sicherheit und Anerkennung in unserer Gesellschaft.
  • Extrinsische Motivatoren, die in den Handlungsablauf einer eigentlich intrinsisch motivierten Tätigkeit eingeführt werden, unterminieren das Gefühl der Selbstbestimmung.

Nach Edward L. Deci und Richard M. Ryan

Intrinsische und extrinsische Motivation schließen sich nicht grundsätzlich aus und können zugleich in derselben Tätigkeit wirken. Allerdings sind beide nicht einfach kumulierbar: Extrinische Motivation, die z.B. durch künstliche Anreize eine vorhandene intrinsische Motivation teilweise oder ganz verdrängt und die Wertigkeit der Handlungsfolgen durch den sog. Korrumpierungseffekt verschiebt, stellt häufig auf lange Sicht das dominante Antriebskonzept für die Psyche des Menschen dar. Die Ursache dafür liegt in den Strukturen unserer Leistungsgesellschaft, welche vorhandene intrinsische Motivation oft durch mitunter schädliche extrinsische Anreize nicht zur Geltung kommen lässt.

Parallelen zu Mc. Gregor, Maslow und pädagogischer Theorie

Nach Douglas McGregor sind Menschen entweder bestrebt Arbeitsaufwand zu vermeiden, grundsätzlich träge und faul und erwarten Belohnung bzw. Bestrafung (Theorie X) oder suchen Verantwortung, haben Interesse an einer sinnvollen Betätigung und Leistungswettbewerb (Theorie Y).

Eine Anzahl von relativ wenigen Menschen, welche sich relativ häufig in Führungspositionen befinden, sind demnach i.d.R. intrinsisch motiviert (Y-Typ nach Mc. Gregor) und werden durch ein positives Erleben in der Tätigkeit selber motiviert. Hier stehen Spaß, Freude oder Interesse an der Tätigkeit an sich im Vordergrund und nicht die Belohnung oder die Vermeidung von Strafe. Die breite Masse der Menschen, die nicht in Leitungsfunktion stehen, empfinden ihre Arbeit eher als unbequeme Notwendigkeit und sind demnach eher extrinsisch motiviert, sehen die Bezahlung für ihre Arbeit und die damit mögliche Anerkennung im sozialen Kontext (Partnerwahl, Machterhalt, Statusgewinn) als Hauptantrieb für ihre Tätigkeit an und müssen nach Mc Gregor streng geführt werden.

Die Motivationslage eines intrinsisch motivierten Menschen korrespondiert hierbei mit einem höheren Status der tatsächlichen Bedürfnislage des Betreffenden, der seine Grund- und Existenzbedürfnisse (Defizitbedürfnisse) hier häufig als gesichert betrachtet und seine höheren Wachstumsbedürfnisse, insbesondere das Bedürfnis nach Selbstverwirklichung (siehe Maslowsche Bedürfnispyramide) im Vordergrund sieht. Auch das Flow-Erleben kann intrinsischer Motivation zu Grunde liegen.

Ein anderes Beispiel für eine spezifische Form intrinsischer Motivation ist die Neugiermotivation, welche gerade für die Entwicklungspsychologie eine besondere Rolle spielt. Gelingt es pädagogisch die angeborene Neugier des Menschen bis in das Erwachsenenalter zu halten, ist durch die hierdurch folgende hohe Eigenmotivation des Menschen ein besonderer Erfolg im Leben wahrscheinlich.

Wenn immer möglich, sollte daher versucht werden die Primärmotivation zu fördern. Dies wird zum Beispiel durch gezieltes Nachfragen der inneren Visionen ermöglicht und durch Übertragung von Kompetenzen oder Vorbildern bzw. durch das Schaffen einer geeigneten Lernumgebung (Montessori-Pädagogik). In der Arbeitspsychologie gilt verkürzt: Der richtige Mann am richtigen Platz.

Anwendungen der Motivationspsychologie

Die Erkenntnisse der Motivationspsychologie spielen in folgenden angewandten Bereichen eine Rolle:

  • Soziale Beziehungen: Generell bilden die individuellen Motivationsstrategien der Menschen eine wesentliche Grundlage für das subjektive Empfinden von Sympathie und Antipathie. Liegen ähnliche Bedürfnislagen vor, finden sich leicht Partnerschaften.
  • Konsumforschung: Die Frage, auf welcher Basis Menschen Konsumentscheidungen treffen, ist eng mit der Frage nach Konsummotiven (wie Statusdemonstration oder Gruppenzugehörigkeit) verknüpft.
  • Verkaufspsychologie: Die Bedürfniserfassung des Kunden zur gezielten Gestaltung von Kaufanreizen als Abwandlung der allgemeinen Handlungsanreize aus der Motivationsforschung.
  • Arbeits- und Organisationspsychologie: Die Motivation der Mitarbeiter ist häufig ein entscheidender Faktor für die Produktivität eines Unternehmens oder Behörde.
  • Gesundheitspsychologie: Motivationale Faktoren haben Einfluss auf präventives Gesundheitsverhalten und auf die Compliance.
  • Klinische Psychologie: Motivationale Faktoren werden zur Erklärung psychischer Störungen, z.B. der Depression, herangezogen.
  • Pädagogische Psychologie: Die Motivation von Schülern und Lehrern hat Auswirkungen auf den Schulerfolg.
  • Sportpsychologie: Die Motivation von Sportlern hat Auswirkungen auf die Leistung.
  • Lernen durch Lehren: Bedürfnistheoretisch begründete Unterrichtsmethode
Feststellung von Motivation

Neben Beobachtung und recht unzuverlässigen Interviewmethoden bietet die Eignungsdiagnostik aus dem Bereich der Personalwirtschaft einige verlässliche Verfahren an, um die Motivationslage des Menschen festzustellen. Von zentraler Bedeutung hierbei ist die grundlegende Tatsache, dass dem weit verbreiteten Missverständnis begegnet werden sollte, es sei wichtig, dass ein Mensch motiviert ist.

Vielmehr darf prinzipiell festgestellt werden, dass jeder Mensch eine ihm eigene Motivationslage bzw. ein Geflecht von Antrieben und Handlungsstrategien besitzt, das ihn bei seiner Wahl der jeweils als für ihn selbst optimal empfundenen Handlungsweise, zumeist unbewusst leitet. Es stellt sich also nie die Frage ob ein Mensch motiviert ist, sondern wie seine Prioritäten und Erfahrungen gelagert sind.

Mit dieser Erkenntnis darf nicht verwechselt werden, dass sog. pro-aktiv motivierte Menschen, welche über einen höheren Reflektionsgrad darüber verfügen, was sie antreibt und wie sie diese Bedürfnisse gezielt einsetzen können, um sich selbst zu motivieren, zumindest im Arbeits- und Leistungsprozess höher angesehen werden als Menschen, denen ihre Motivationskonzepte nicht so bewusst sind und die daher als re-aktiv bezeichnet werden. Letztgenannte Menschen brauchen häufig ein externes Motivationskonzept, das sich ihrer persönlichen Präferenzen und Erfahrungen bedient, sind aber vom Prinzip her nicht weniger stark motiviert, z.B. Strafe zu vermeiden oder einen unangenehmen Kontext zu verlassen.

Einen derart sekundär motivierten Menschen als nicht motiviert zu bezeichnen, darf als fachlich unhaltbare Verkürzung gelten."

[Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Motivation. -- Zugriff am 2005-11-08]

"In psychology, motivation is the driving force (desire) behind all actions of human beings, animals, and lower organisms.

Many textbooks define it as an internal state or condition that activates behavior and gives it direction, desire or want that energizes and directs goal-oriented behavior, or an influence of needs and desires on the intensity and direction of behavior.

Motivation is often based on emotions, specifically, on the search for positive emotional experiences and the avoidance of negative ones, where positive and negative are defined by the individual brain state, not by social norms: a person may be driven to self-injury or violence because their brain is conditioned to create a positive response to these actions. Motivation is important because it is involved in the performance of all learned responses.

Types of motivation

Physiological needs

The easiest kinds of motivation to analyse, at least superficially, are those based upon obvious physiological needs. These include hunger, thirst, and escape from pain. The analysis of the processes underlying such motivations can make use of research on animals, in ethology, comparative psychology, and physiological psychology, and the hormonal and brain processes involved in them seem to have much in common at least across all mammals and probably across all vertebrates. However, in humans, even these basic fundamental motivations are modified and mediated through social and cultural influences of various kinds: for example no analysis of hunger in humans could ignore the issues of eating disorders such as anorexia nervosa and obesity, for which the parallels in other animals are unclear. Even in animals, it is clear that the earlier homeostatic "depletion-repletion" models of such motivations are no longer adequate, since many animals feed on a precautionary rather than a reactive basis, most obviously when preparing for hibernation.

Other biological motivations

At the next level are motivations that have an obvious biological basis but are not required for the immediate survival of the organism. These include the powerful motivations for sex, parenting and aggression: again, the physiological bases of these are similar in humans and other animals, but the social complexities are greater in humans (or perhaps we just understand them better in our own species). In these areas insights from behavioral ecology and sociobiology have offered new analyses of both animal and human behaviour in the last decades of the twentieth century, though the extension of sociobiological analyses to humans remains highly controversial. Perhaps similar, but perhaps at a rather different level, is the motivation for new stimulation - variously called exploration, curiosity, or arousal-seeking. A crucial issue in the analysis of such motivations is whether they have a homeostatic component, so that they build up over time if not discharged; this idea was a key component of early twentieth century analyses of sex and aggression by, for example, Freud and Konrad Lorenz, and is a feature of much popular psychology of motivation. The biological analyses of recent decades, however, imply that such motivations are situational, arising when they are (or seem to be) needed to ensure an animal's fitness, and subsiding without consequences when the occasion for them passes.

Secondary goals

These important biological needs tend to generate more powerful emotions and thus more powerful motivation than secondary goals. This is described in models like Abraham Maslow's hierarchy of needs. A distinction can also be made between direct and indirect motivation: In direct motivation, the action satisfies the need, in indirect motivation, the action satisfies an intermediate goal, which can in turn lead to the satisfaction of a need. In work environments, money is typically viewed as a powerful indirect motivation, whereas job satisfaction and a pleasant social environment are more direct motivations. However, this example highlights well that an indirect motivational factor (money) towards an important goal (having food, clothes etc.) may well be more powerful than the direct motivation provided by an enjoyable workplace. Motivation, as Stephen Robbins (2000) says, is included one component of performance, that is performance is ability times motivation.

Coercion

The most obvious form of motivation is coercion, where the avoidance of pain or other negative consequences has an immediate effect. When such coercion is permanent, it is considered slavery. While coercion is considered morally reprehensible in many philosophies, it is widely practiced on prisoners, students in mandatory schooling, and in the form of conscription. Critics of modern capitalism charge that without social safety networks, wage slavery is inevitable. Successful coercion sometimes can take priority over other types of motivation.

Self control

The self-control of motivation is increasingly understood as a subset of emotional intelligence; a person may be highly intelligent according to a more conservative definition (as measured by many intelligence tests), yet unmotivated to dedicate this intelligence to certain tasks. Victor Vroom's "expectancy theory" provides an account of when people will decide whether to exert self control to pursue a particular goal. Self control is often contrasted with automatic processes of stimulus-response, as in the behaviorist's paradigm of B.F. Skinner.

Controlling motivation

The control of motivation is only understood to a limited extent. There are many different approaches of motivation training, but many of these are considered pseudoscientific by critics. To understand how to control motivation it is first necessary to understand why many people lack motivation.

In recent years, non-work related activities like Internet surfing have become an increasing concern for employers in industrialized nations. Some companies have used prohibitive tactics to counter this perceived threat, others try to define certain limits, and many merely take action in extreme cases. Even for home users, Internet addiction is increasingly perceived as a risk. Similar concerns accompany the use of video games, television, and Wikipedia. It is true that for many people, these activities have reached the point of psychological addiction.

This can be explained with a positive feedback loop. The aforementioned activities can generate quick, positive emotional responses of different types -- the humor of sitcoms, the ersatz family of soap operas, the endorphin release from action movies and video games, or the curiosity satisfied, the loneliness mitigated and the boredom supposedly quenched by visiting "important" news websites. It is known that connections in the human brain's neural network are intensified by repeated activity, which means that it is often easier to continue to do what one is doing than to do something else. This is how a daily habit can, over time, turn into a psychological addiction that is hard to break.

The key question for motivation is then: Which activities generate a positive emotional response, and which ones do not? The answers to this question are increasingly explored by neuropsychology. It is known that, for most people, activities that involve powerful audiovisual input have a stronger emotional effect. Purely text-based information, on the other hand, is usually not very motivating. This seems intuitive given the fact that reading is a trained higher cortical skill, whereas large brain areas are congenitally devoted to processing audiovisual input. For this class of information, there are simply more connections from the processing areas of the brain's cortex to the lower emotional centers of the limbic system. It therefore seems logical to assume that motivation can be created more easily through multimedia input.

Since humans are social animals, it also appears natural that social connections play a crucial role in motivation. Not much is known about the way the human brain deals with social relationships, but for the sake of the argument, it can be assumed that social connections are merely very powerful, emotionally encoded memories connected to others. An idea which is connected to these memories thus triggers the emotions. It follows logically, then, that negative social relationships are likely to decrease motivation, and that intrinsic desire to act has to be substituted within these relationships with coercion. For teachers and managers alike, it then seems desirable to maintain such positive relationships in order to provide a motivating atmosphere -- however, personal reasons may stand in the way of this goal. This is why many motivation control programs try to teach managers to find outlets for their personal feelings other than their employees.

Early programming

Modern imaging has provided solid empirical support for the psychological theory that emotional programming is largely defined in childhood. Harold Chugani, Medical Director of the PET Clinic at the Children's Hospital of Michigan and professor of pediatrics, neurology and radiology at Wayne State University School of Medicine, has found that children's brains are much more capable of consuming new information (linked to emotions) than those of adults. Brain activity in cortical regions is about twice as high in children as in adults from the third to the ninth year of life. After that period, it declines constantly to the low levels of adulthood. Brain volume, on the other hand, is already at about 95% of adult levels in the ninth year of life.

Data by Harold Chugani on brain activity, 1996 (click image for source details). The red dots show activity in the frontal cortex, the "youngest" region in the human brain from an evolutionary perspective. It is important for analysis and creativity. The blue curve, copied from another diagram of the same source, shows the development of brain volume through childhood. As can be seen from the data, brain activity in children is much higher than in adults, making early influences critical for motivation in later life.

This is crucial to the understanding of motivation as well. Different people can generate positive emotional responses from different actions. Mathematicians may be able to enjoy dealing with complex formulas, programmers feel the same way about computer code, musicians may feel "in tune with themselves" when composing or playing, and so forth. Given the above knowledge about the early programming of the human brain, and given that memories are encoded together with emotions, it must be concluded that at least part of these different emotional responses are generated during childhood. A child who grows up watching television but not reading any books may find it difficult in later life to be motivated by purely textual information; a child neglected by its parents may be unable to make motivating social connections later.

A more controversial conclusion is that exposing children to too much simplistic, emotionally driven entertainment will "dull" their brains and make them incapable of acting far outside the narrow boundaries of indirect motivation to satisfy primary needs (money to survive) and quick positive emotional response (TV, games etc.). If this view is correct, it would be very difficult to fix these problems in adult life.

The education systems of most countries do take little of the above discussion into account, to the disdain of many scientists who study them. Learning is frequently equated with memorizing, and negative conditioning (in some countries to the point of corporal punishment) is common. Positive experiences, on the other hand, are often deliberately prohibited. Many schools (especially in the United States) have bans against public displays of affection, such as hugging and kissing, and teenage sexuality is frequently considered highly problematic, countered with severe punishment and sexual abstinence campaigns. While these actions are taken out of the belief that they are necessary to prevent negative consequences such as teenage pregnancies, groups like the Coalition for Positive Sexuality argue that this kind of social control harms teenagers while failing to accomplish any useful goal. Whether physical experiences are counted as part of a positive environment or not, it is quite probable that such an environment is necessary for a positive learning atmosphere.

Organization

Besides the very direct approaches to motivation, beginning in early life, there are solutions which are more abstract but perhaps nevertheless more practical for self-motivation. Virtually every motivation guidebook includes at least one chapter about the proper organization of one's tasks and goals. It is usually suggested that it is critical to maintain a list of tasks, with a distinction between those which are completed and those which are not, thereby moving some of the required motivation for their completion from the tasks themselves into a "meta-task", namely the processing of the tasks in the task list, which can become a routine. The viewing of the list of completed tasks may also be considered motivating, as it can create a satisfying sense of accomplishment.

Most electronic to-do lists have this basic functionality, although the distinction between completed and non-completed tasks is not always clear (completed tasks are sometimes simply deleted, instead of kept in a separate list).

Other forms of information organization may also be motivational, such as the use of mindmaps to organize one's ideas, and thereby "train" the neural network that is the human brain to focus on the given task. More simpler forms of idea notation such as simple bullet-point style lists may also be sufficient, or even more useful to less visually oriented persons.

One interesting aspect that has been somewhat neglected by sociology is the addictive nature of role playing games, which work with a system of experience points and "levels" to motivate the player to keep going; when he has gained enough points, he can advance to the next level, thereby getting new abilities and a higher status in the community, if any. While many electronic motivation systems have a basic concept of priorities, few explore the possibility of using actual scores as a motivational factor. However, some online communities that have nothing to do with gaming use similar systems; notably, the Everything2 collaborative writing community employs a complex voting/experience system. Perhaps such systems can also be used on a smaller scale.

Drugs

Some authors, especially in the transhumanist movement, have suggested the use of "smart drugs", also known as nootropics, as "motivation-enhancers". The effects of many of these drugs on the brain are not well understood, and their legal status often makes open experimentation difficult. It is a fact that some of history's most productive artists have also been drug users, although it is not clear whether this correlation is also of a causative nature.

In Education

Motivation can have several effects on how students learn and their behavior towards subject matter. It can:

  1. Direct behavior toward particular goals
  2. Lead to increased effort and energy
  3. Increase initiation of, and persistence in, activities
  4. Enhance cognitive processing
  5. Determine what consequences are reinforcing
  6. Lead to improved performance.

This is a theory from Jeanne Ormrod in "Educational Psychology: Developing Learners".

Is Money a Motivator?

Yes, at lower levels of Maslow's hierarchy of needs, such as Physiological needs, money is a motivator, however it tends to have a motivating effect on staff that lasts only for a short period. At higher levels of the hierarchy, praise, respect, recognition, empowerment and a sense of belonging are far more powerful motivators than money, as both Abraham Maslow and Douglas McGregor's Theory X and theory Y have demonstrated vividly.

Maslow has money at the lowest level of the hierarchy and shows other needs are better motivators to staff. McGregor places money in his Theory X category and feels it is a poor motivator. Praise and recognition are placed in the Theory Y category and are considered stronger motivators than money."

[Quelle: http://en.wikipedia.org/wiki/Motivation. -- Zugriff am 2005-11-08]

Abb.: Beispiel eines Motivationsfragebogens zur Messung von Macht-, Affiliations- und Leistungsmotivation (nach Robbins, 1998)

[Quelle der Abb.: Erich Kirchler <1954 - > ; Christa Walenta. -- In: Arbeits- und Organisationspsychologie / Erich Kirchler (Hrsg.). -- Wien : Facultas, ©2005. -- 662 S. : Ill. ; 22  cm. -- (UTB ; 2659). -- ISBN 3-8252-2659-X. -- S. 330f. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen}]


2.1. Kausalattribuierung
(attribution)



Abb.: Externe Kausalattribuierung: Sündenbock (®Bierlabel)

"Die Kausalattribuierung (auch Attribuierung, Attribution) beschreibt den Vorgang der Ursachenzuschreibung des eigenen oder fremden Verhaltens. Die Kausalattribuierung ist eine alltägliche vom Menschen durchgeführte Handlung. Beobachtete Ereignisse werden dabei auf naiv psychologische und wissenschaftliche Art und Weise erkundet und auf eine mögliche Ursache zurückgeführt. Die Kausalattribuierung ist somit eine Strukturierungsfunktion, die den Ereignissen eine Bedeutung gibt, die Ursachen erklärt und dadurch versucht die Ereignisse vorhersehbar zu machen. Aus dem Bereich der Sozialpsychologie kommend finden sich viele Attributionstheorien, die diesen Vorgang genauer beschreiben.
Man unterscheidet folgende zwei grundlegenden Arten der Kausalattribuierung:
  1. Als internale Kausalattribuierung bezeichnet man, wenn eine Person die Ursache eines Ereignisses bei sich sieht.
  2. Als externale Kausalattribuierung bezeichnet man, wenn eine Person die Ursache eines Ereignisses bei anderen Personen, Umwelteinflüssen oder Faktoren sieht.

In der Regel neigt der Mensch dazu bei Erfolg die internale Kausalattribuierung anzuwenden. Er selber ist die Ursache für den Erfolg. Ein Schüler sagt so zum Beispiel, dass er eine gute Arbeit geschrieben hat, weil er gelernt hat oder schlau ist. Bei Misserfolg wird bevorzugt die externale Kausalttribuierung herangezogen. Eine andere Person oder ein Umwelteinfluss ist schuld an dem Misserfolg. Ein Schüler würde so zum Beispiel sagen, dass er eine schlechte Arbeit geschrieben hat, weil der Lehrer ihn nicht leiden kann oder die Arbeit viel zu schwer war. Diese unterschiedliche Attribuierung stellt einen Schutz des eigenen Selbstwertgefühls dar, da man sich nicht selber als Ursache eines negativen Ereignisses sieht und darstellen muss.

Ebenso ändert sich die Art der Ursachenzuschreibung je nach Standpunkt der Personen. Ein Beobachter bevorzugt innere Ursachen ("Die Person ist hingefallen, weil Sie gerannt ist!"), der Handelnde begünstigt hingegen äußere Ursachen ("Ich bin hingefallen, weil es rutschig war!").

Aufgrund dieser Struktur der Attribution kann es zu so genannten Attribuierungsfehlern kommen. Der Mensch möchte die Ursache eines Ereignisses vorhersehbar machen und gelangt zu einer Ursachenzuschreibung, ohne jedoch die wahre Ursache des Verhaltens zu kennen. Häufig treten Attribuierungsfehler auf, wenn sich eine Person in einer Notlage befindet. Der Beobachtende kommt zu dem Ergebnis, dass die in Not befindliche Person selbst an ihrer Notsituation schuld ist, wegen mangelnder Qualifikation, Flexibilität etc. und diese daher selber ändern kann ("Er ist selber schuld wenn er keine Arbeit besitzt, denn jeder der arbeiten will, der bekommt auch eine Arbeit!"). Für den Betroffenen überwiegen dagegen meist die äußeren Umstände (die Situation am Arbeitsmarkt, die Gesellschaft im Allgemeinen etc.). Der Beobachtete bewahrt so sein Selbstwertgefühl und der Beobachter versucht seinen Glauben und das Ideal einer gerechten Welt aufrechtzuerhalten."

[Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Attribution. -- Zugriff am 2005-11-08]


2.2. Flow


Unter den verschiedenen zur Arbeit motivierenden Strängen gibt es den sogenannten Flow-Effekt. Wer hat nicht schon mal erlebt, dass  eine eigentlich langweilige Arbeit mit viel Freude erledigt wird, weil der Arbeitende ganz darin aufgeht; z.B. weil er sieht, dass es vorwärts geht. Im folgenden Text wird auf die Erfahrung beim Computerspielen hingewiesen.

"Mit Flow (englisch fließen, rinnen, strömen) wird das lustbetonte Gefühl des völligen Aufgehens in einer Tätigkeit bezeichnet.

Psychologische Definition

Der Psychologe Mihaly Csikszentmihalyi definiert den Flow wie folgt:

  • Wir sind der Aktivität gewachsen.
  • Wir sind fähig, uns auf unser Tun zu konzentrieren.
  • Die Aktivität hat deutliche Ziele.
  • Die Aktivität hat unmittelbare Rückmeldung.
  • Wir haben das Gefühl von Kontrolle über unsere Aktivität.
  • Unsere Sorgen um uns selbst verschwinden.
  • Unser Gefühl für Zeitabläufe ist verändert.
  • Die Tätigkeit hat ihre Zielsetzung bei sich selbst (sie ist autotelisch)

Nicht alle Bestandteile müssen gemeinsam vorhanden sein.

Beispiele

Der Verhaltensforscher Bernt Spiegel wendet den Begriff Flow u. a. auf spezialisierte Tätigkeiten, wie das Fahren von Fahrzeugen (in seinem Beispiel auf das Fahren von Motorrädern), wobei innerhalb dieser Tätigkeiten dem Flow hinsichtlich der Gefahr des Allzu"fahrlässig"werdens größte Aufmerksamkeit gewidmet werden muss.

Viele erfolgreiche Computerspiele vermitteln dem Spieler ein Flow-Erlebnis, indem sie den Spieler vor rasch aufeinanderfolgende Aufgaben eines mittleren Schwierigkeitsgrades stellen, die ihn zwar herausfordern, die er aber mit hoher Wahrscheinlichkeit erfolgreich lösen kann. Die Herausforderung muss dabei nicht besonders anspruchsvoll sein, wie das Beispiel des Flow-induzierenden Computerspiel-Klassikers Tetris zeigt - zu anspruchsvolle Aufgabenstellungen könnten durch das Herbeiführen eines Misserfolgs sogar das Flow-Erlebnis unterbrechen.

Manche Programmierer Erleben eine Art Flow, wenn sie sich intensiv mit ihrem Code beschäftigen. Das Jargon File nennt diesen Zustand "Hack Mode"."

[Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Flow_%28Psychologie%29. -- Zugriff am 2005-11-08]


2.3. Korrumpierungseffekt
(overjustification effect)


Etwas umstritten ist der sogenannte Korrumpierungseffekt. Es geht darum, dass man ein Problem bekommt, wenn man plötzlich für eine Arbeit, die einem Freude macht, bezahlt wird. Ich meine, dass man das vor allem dann beobachten kann, wenn jemand z.B. in einer Hilfsorganisation ohne Entgeld mit Begeisterung gearbeitet hat und nach einer Weile in ein Arbeitsverhältnis eintritt.

"Der Korrumpierungseffekt bezeichnet die Verdrängung von primärer (intrinsischer) durch sekundäre (extrinsische) Motivation. Daher spricht man oft auch vom Verdrängungseffekt. Im Englischen ist der Effekt als Overjustification-Effect (etwa: Überrechtfertigungseffekt) bekannt.

Bem (1967) leitete diesen Effekt aus seiner Selbstwahrnehmungstheorie ab. Der Effekt lässt sich demnach in etwa so erklären: Die Person nimmt wahr, dass sie für eine Tätigkeit, die sie ohnehin schon gerne ausgeübt hat, eine Belohnung erhält. Daraus resultiert eine kognitive Neubewertung der Tätigkeit. Die Person denkt sich gewissermaßen, dass sie die Tätigkeit doch nicht so gerne tut, denn sie wurde ja dafür belohnt.

Deci (1971) bestätigte den Korrumpierungseffekt experimentell, weitere empirische Belege folgten. Diese Forschungen wurden, insbesondere von verhaltensanalytischer Seite, vielfach kritisiert, so dass die tatsächliche Existenz dieses Effekts fraglich ist (vgl. Cameron, Banko & Pierce, 2001). Jedoch besteht Konsens dahingehend, dass die intrinsische Motivation keinesfalls in jedem Fall durch "externe" Belohnungen untergraben wird. Uneinigkeit besteht nur über die Bedingungen, unter denen der Korrumpierungseffekt (wenn er überhaupt existiert) auftreten kann."

[Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Korrumpierungseffekt. -- Zugriff am 2005-11-08]


2.4. Theorie X und Theorie Y


Unter der Theorie X und Y verbirgt sich die Überlegung, ob Menschen von Haus aus eine Abneigung gegen Arbeit haben oder gern arbeiten.

"Theory X: (S. 33-34)
  1. The average human being has an inherent dislike of work and will avoid it if he can. This assumption has deep roots. The punishment of Adam and Eve for eating the fruit of the Tree of Knowledge was to he hanished from Eden into a world where they had to work for a living. The stress that management places on productivity, on the concept of "a fair day's work", on the evils of featherbed-ding and restriction of output, on rewards for performance - while it has a logic in terms of the objectives of enterprise - reflects an underlying belief that management must counteract an inherent human tendency to avoid work. The evidence for the correctness of this assumption would seem to most managers to be incontrovertible.
  2. Because of this human characteristic of dislike of work, most people must be coerced, controlled, directed, threatened with punishment to get them to put forth adequate effort toward the achievement of organizational objectives. The dislike of work is so strong that even the promise of rewards is not generally enough to overcome it. People will accept the rewards and demand continually higher ones, but these alone will not produce the necessary effort. Only the threat of punishment will do the trick. [...]
  3. The average human being prefers to be directed, wishes to avoid responsibility, has relatively little ambition, wants security above all. This assumption of the "mediocrity of the masses" is rarely expressed so bluntly. In fact, a good deal of lip service is given to the ideal of the worth of the average human being. Our political and social values demand such public expressions. Nevertheless, a great many managers will give private support to this assumption, and it is easy to see it reflected in policy and practice. Paternalism has become a nasty word, but it is by no means a defunct managerial philosophy."

"Theory Y: (S. 47-48)

  1. The expenditure of physical and mental effort in work is as natural as play or rest. The average human being does not inherently dislike work. Depending upon controllable conditions, work may be a source of satisfaction (and will be voluntarily performed) or a source of punishment (and will be avoided if possible).
  2. External control and the threat of punishment are not the only means for bringing about effort toward organizational objectives. Man will exercise self-direction and self-control in the service of objectives to which he is committed.
  3. Commitment to objectives is a function of the rewards associated with their achievement. The most significant of such rewards, e.g., the satisfaction of ego and self-actualization needs, can be direct products of effort directed toward organizational objectives.
  4. The average human being learns, under proper conditions, not only to accept but to seek responsibility. Avoidance of responsibility, lack of ambition, and emphasis on security are generally consequences of experience, not inherent human characteristics.
  5. The capacity to exercise a relatively high degree of imagination, ingenuity, and creativity in the solution of organizational problems is widely, not narrowly, distributed in the population.
  6. Under the conditions of modern industrial life, the intellectual potentialities of the average human being are only partially utilized."

[McGregor, Douglas <1906 - 1964>: The human side of enterprise. -- New York : McGraw-Hill, 1960. -- 246 S.  : Ill.  ; 21 cm. -- S. 33f., 47f. -- Zitiert in: Arbeits- und Organisationspsychologie / Erich Kirchler (Hrsg.). -- Wien : Facultas, ©2005. -- 662 S. : Ill. ; 22  cm. -- (UTB ; 2659). -- ISBN 3-8252-2659-X. -- S. 110f. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen}]

"Die Theorie X wurde von Douglas McGregor formuliert, wird in Verbindung mit der Organisationstheorie behandelt und beinhaltet fünf konkrete Punkte:
  1. Der Durchschnittsmensch hat eine angeborene Abneigung gegen Arbeit und versucht, ihr aus dem Wege zu gehen, wo er nur kann („opportunistisches Verhalten").
  2. Weil der Mensch durch Arbeitsunlust gekennzeichnet ist, muss er energisch geführt und streng kontrolliert werden, damit die Unternehmensziele erreicht werden können.
  3. Der Widerwille gegen die Arbeit ist so stark, dass sogar das Versprechen höheren Lohnes nicht reicht, ihn zu überwinden. Man wird zwar die Bezahlung annehmen, aber immer noch mehr fordern. Doch das Geld allein kann die Menschen nicht dazu bringen, sich genügend anzustrengen. Dazu bedarf es noch der Androhung von Strafe bei Zuwiderhandeln gegen die Regeln.
  4. Menschen ziehen es vor, Routineaufgaben zu erledigen, besitzen verhältnismäßig wenig Ehrgeiz und sind vor allem auf Sicherheit aus.
  5. Die meisten Menschen scheuen sich vor der Übernahme von Verantwortung.

Während die "Theorie X" einer geschlossenen Betrachtungsweise (closed view) unterliegt, behandelt McGregors "Theorie Y" die offene Betrachtung (open view)."

[Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Theorie_X. -- Zugriff am 2005-11-08]

"Die Theorie Y wurde von Douglas McGregor formuliert, wird in Verbindung mit der Organisationstheorie behandelt und beinhaltet fünf konkrete Punkte:
  1. Die Verausgabung durch körperliche und geistige Anstrengung beim Arbeiten kann als ebenso natürlich gelten wie Spiel oder Ruhe.
  2. Für Ziele, denen sie sich verpflichtet fühlen und die sie als sinnvoll erkennen, erlegen sich Menschen bereitwillig Selbstdisziplin und Selbstkontrolle auf.
  3. Wie sehr sich Menschen organisatorischen Zielen verpflichtet fühlen, ist davon abhängig, in wieweit ihre Erreichung zugleich eine Erfüllung persönlicher Ziele erlaubt.
  4. Die Gabe, Vorstellungskraft, Urteilsvermögen und Kreativität für die Lösung organisatorischer Probleme zu entwickeln, ist in der Bevölkerung weit verbreitet. Unter den Bedingungen der modernen Arbeit sind die Talente, über die der Durchschnittsmensch verfügt, in der Regel nur zum geringen Teil genutzt.
  5. Bei geeigneten Bedingungen wollen Menschen Verantwortung nicht nur übernehmen, sondern sie suchen sie sogar.

Während die Theorie Y einer offenen Betrachtungsweise (open view) unterliegt, behandelt McGregors Theorie X die geschlossene Betrachtung (closed view)."

[Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Theorie_Y. -- Zugriff am 2005-11-08]


2.5. Motivation und Begabung


Häufig untersucht wird das Verhältnis von Motivation und Begabung. Manche meinen, wen jemand für etwas Bestimmtes begabt ist, ist er auch motiviert, darin eine gute Leistung zu zeigen. Also wenn jemand zeichnerisch begabt ist, wird er mit Begeisterung im Beruf Zeichnungen ausführen. Hofstätter sieht das sehr viel differenzierter:

"Der „gute Wille" bzw. das, was Psychologen als „Motivation" bezeichnen, ist bestimmt wichtig, aber die Leistung, die wir zu erreichen imstande sind, hängt mindestens ebensosehr — wenn nicht noch stärker — von der Begabung ab, die wir einzusetzen haben. Das Zusammenwirken dieser beiden Voraussetzungen der Leistung veranschaulicht [die] Abbildung, die man sich als ein dreidimensionales Gebilde vorzustellen hat. Bei gleicher „mäßiger" Motivation wird eine große Begabung sehr viel höhere Leistungen erbringen als eine geringe Begabung. Die Unterschiede werden noch auffälliger, wenn eine „starke" Motivation am Werke ist. Bei einer extrem „schwachen" Motivation leistet freilich eine geringe Begabung kaum weniger als eine große, beide nämlich bringen so gut wie nichts zustande. Die psychologische Diagnostik beschäftigt sich mit Motivation und Begabung".


Abb.: Leistung in Abhängigkeit von Motivation und Begabung

[Quelle: Hofstätter, Peter Robert <1913 - 1994> ; Tack, Werner H.: Menschen im Betrieb : Zur Sendung Rädchen Im Getriebe. -- Stuttgart : Klett, 1967. -- 178 S. : Ill. ; 22 cm. -- S. 48f.]


2.6. Motivation und Leistung


Hofstätter und Tack untersuchten beim Thema Motivation und Leistung u.a. das Verhältnis von Erfolgsstreben und Angst vor Misserfolg. Interessant ist dabei, dass Personen, die weniger Angst haben, dann, wenn sie auf die Wichtigkeit ihrer Aufgabe hingewiesen werden, die besseren Ergebnise vorweisen als die Personen mit Angstgefühlen. Hofstätter und Tack verweisen auf die Ergebnisse eines Labyrinthversuchs, der von S. B. Sarason durchgeführt wurde (Hofstätter a.a.O., s. unten). Die Konsequenz für eine Betriebskultur ergibt sich recht eindeutig: wenn der Vorgesetzte Angst verbreitet, hat er weniger Erfolg.

"Zu fragen bleibt aber nach dem Optimum der Motivation - des Erfolgstrebens und der Angst vor dem Misserfolg (J.W. Atkinson und N.T.Feather, 1966) -, das bei Lern- ebenso wie bei Test-Aufgaben gemäß dem ursprünglich von R.M.Yerkes und J.D.Dodson (1908) aufgestellten »Gesetz« von der Schwierigkeit der Aufgaben abzuhängen scheint (Abb.).


Abb.: Die Abhängigkeit der Leistung von der Motivation bei Aufgaben unterschiedlicher Schwierigkeit

Als falsch erweist sich die landläufige Meinung, dass man nur durch Hoffnung auf Belohnung und durch Angst vor Strafe für eine entsprechend große Aktionsbereitschaft zu sorgen habe, um Menschen - übrigens auch Tiere - zu den ihnen begabungsmäßig möglichen Höchstleistungen zu bringen. Namentlich sehr schwere Aufgaben, für die nur wenige Probanden die nötigen Fälligkeiten mitbringen, werden am ehesten bei einem vergleichsweise niedrigen Motivationsdruck, z.B. in einer entspannten, nahezu spielerischen Situation, bewältigt; das hat sich insbesondere bei der Untersuchung der sog. »Kreativität« ergeben (M.A.Wallach und N.A.Kogan, 1965; F.J.Boersma und K.O'Bryan, 1968). Zu einem Leistungsabfall führt eine übersteigerte Motivation auch bei mittelschweren und leichten Problemen. Besonders hinzuweisen ist dabei auf das umgekehrte Verhältnis, in dem das Motivations-Optimum zur Schwierigkeit der Aufgaben steht. Im Einzelfall wird der Diagnostiker immer damit zu rechnen
haben, dass nicht allein die experimentelle Situation über das Ausmaß der Strebigkeit eines Probanden entscheidet. Es gibt Menschen, die zu Angstgefühlen in besonderer Weise prädisponiert zu sein scheinen, und die daher schon bei keineswegs besonders schwierigen Aufgaben sehr unsicher werden und viele Fehler machen, wenn ihnen deren Lösung außerdem noch als wichtig hingestellt wird. Weniger angstbereite Versuchspersonen schneiden demgegenüber besser ab, wenn ihre Motivation durch einen Hinweis auf die Wichtigkeit der Aufgaben vergrößert wird."

[Quelle: Hofstätter, Peter R. <1913 - >: Differentielle Psychologie. -- Stuttgart : Kröner, 1971. -- 434 S. : Ill. ; 18 cm.. -- (Kröners Taschenausgabe ; Bd. 403.). -- ISBN 3-520-40301-3. -- S. 146f.]

Leistungsstreben, um sich selbst und nicht die anderen zu übertreffen:

"Leistungsstreben, um sich selbst und nicht die anderen zu übertreffen

Ähnlich wie Dweck (1999) unterscheiden Elliot und McGregor (2001) zwei Arten von Zielen: zum einen Beherrschung («mastery») eines Leistungsbereichs, gemessen an einem sachimmanenten Gütemaßstab (dies entspricht in etwa der klassischen Definition von Leistungsmotivation nach Heckhausen, 1989, S. 10), zum andern ein möglichst hoher Rangplatz im Leistungswettbewerb mit anderen (hier soll Leistung vor allem zu sozialer Anerkennung und Überlegenheit fuhren). Im einen Fall wird der Erfolg an einer sachlichen Anforderungsnorm, an der auch der Lernfortschritt abgelesen werden kann, im anderen Fall an einer sozialen Verteilungsnorm gemessen. In Kombination mit der Unterscheidung zwischen Annäherungs- und Vermeidungsorientierung, die gewisse Ähnlichkeiten mit Konzepten von Higgins (1998) aufweist, ergeben sich vier Arten von leistungsrelevanten Motiven (Streben nach Tüchtigkeit vs. Vermeiden von Untüchtigkeit; Streben nach Überlegenheit vs. Vermeiden von Unterlegenheit), deren individuelle Ausprägungen relativ unabhängig voneinander variieren und sich sowohl in ihren Entstehungsbedingungen als auch in ihren Wirkungen unterscheiden. Bei Annäherungsorientierung richten sich die Gedanken vorwiegend auf den möglichen Erfolg, bei Vermeidungsorientierung auf den möglichen Misserfolg. Auch wenn die vier leistungsrelevanten Motive als relativ stabile Merkmale der Personen konzipiert sind, ist doch die Aktualisierung und Akzentuierung der Motive von den Umständen abhängig. Nach Auffassung der Autoren sollten die Lern- und Arbeitsbedingungen vor allem das Streben nach Tüchtigkeit fördern, das primär auf Entwicklung der eigenen Fähigkeiten gerichtet ist («mastery approach goal»), und nicht so sehr den Wettbewerb mit anderen (Erreichen von Überlegenheit oder Vermeiden von Unterlegenheit) betonen, da sonst Ängste und soziale Spannungen den Erfolg der Bemühungen beeinträchtigen. Ob nicht doch von einer Kombination der beiden Formen von Annäherungsorientierung (Streben nach Tüchtigkeit und Streben nach Überlegenheit) die besten Leistungen, wenn schon nicht das Optimum an Zufriedenheit und sozialer Integration zu erwarten ist, wird vor allem in der pädagogischpsychologischen Literatur kontrovers diskutiert (vgl. Pintrich, 2000)."

[Quelle: Hermann Brandstätter <1930 - >. -- In: Lehrbuch Organisationspsychologie / Heinz Schuler (Hrsg.) Mithrsg.: Hermann Brandstätter ... -- 3., vollst. überarb. und erw. Aufl. -- Bern [u.a.] : Huber, 2004. -- 692 S. : Ill. ; 25 cm. -- ISBN 3-456-84019-5. -- S. 266. --  {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen}] 


3. Arbeit
(work, labour, travail, trabajo, arbeid, praca, 劳动)


Ob man gerne arbeitet, nur aus Pflicht arbeitet, bzw. arbeitet, um nicht zu verhungern oder weil es Spass macht, hängt u.a. von dem sozialen Umfeld ab, zu dem man gehört. Ein typischer Ofterdinger z.B. arbeitet für seinen Lebensunterhalt "beim Daimler" oder einer anderen Firma, abends und am Wochenende arbeitet er zumindest im Sommer in seinem Baumfeld oder seinem "Gütle". Im Winter macht er Holz, renoviert sein Haus, repariert bzw. pflegt sein Auto. Viel und ordentliches Arbeiten gehört zum Selbstgefühl. Manche Frauen der Oberschicht in früheren Zeiten hingegen gingen davon aus, dass Arbeiten entehrt.

[Die zwei Gesichter der Arbeit]

"Beruf sowohl wie Arbeit treten dem Einzelnen mit zwei verschiedenen Gesichtern entgegen.
  • Arbeit ist einmal Mühe, Last, Kraftaufwand. Wer nicht durch Renten oder Herrschaft oder Liebe versorgt ist, muss notgedrungen arbeiten, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Arbeit ist unentbehrliche Voraussetzung zum Leben, aber sie ist selbst noch nicht wirkliches Leben. Sie ist nichts als ein Mittel, ein Ding ohne eigenen Lebenswert, das Gewicht hat nur, weil es die Möglichkeit zum Leben schafft, und zu bejahen ist nur, sofern es solche schafft. Wie man nicht lebt, um zu essen, sondern isst, um zu leben, so arbeitet man wohl notgedrungen, um zu leben, aber man lebt nicht, um zu arbeiten ... Darum Arbeit so kurz und so bequem wie möglich! Also ökonomischste Gestaltung des Arbeitsprozesses. Aller Fortschritt in Arbeitsdingen gehe auf Erleichterung der Arbeitsmühe und Erhöhung ihrer Leistungsquote, sein Ziel sei möglichste Befreiung vom Zwang zur Arbeit durch Herabdrücken ihrer zeitlichen Ausdehnung und ihres Gewichtes den andern Lebensdingen gegenüber auf ein Minimum. Wenn die Arbeit dazu gleichförmiger und einseitiger werden muss, so schadet das nichts, solange es ihrer Produktivität keinen Abbruch tut. Denn aller positiver Wert kommt dieser Arbeit nur indirekt zu, nur durch die wirtschaftlichen Vorteile, die sie dem Arbeitenden bietet. Sie ist eine Last ohne eigenen Wert, nichts als Mittel. Demgegenüber das andere Gesicht der Arbeit:
     
  • Die Arbeit ist dem Menschen unentbehrlich in ganz anderem Sinne. Nicht weil die Notdurft des Lebens sie erzwingt, sondern weil das Leben ohne Arbeit hohl und halb ist. Auch vom Zwange der Notdurft befreit, sucht jeder Mensch, der nicht krank oder alt ist, eine Arbeit, irgendein Wirkungsfeld. Dieses Bedürfnis nach Arbeit, die Flucht vor dauerndem Müßiggang, die bei zu kurzer Arbeitszeit zur Arbeit außerhalb des Berufes treibt, beruht nicht auf bloßer Gewohnheit zu arbeiten, sondern gründet sich auf den <Lebenswert> der Arbeit. Es ist die gleiche überindividuelle Qualität der Arbeit, die den Arbeitenden veranlasst saubere, solide, <gute> Arbeit zu leisten, auch wenn weniger gute Arbeit keinen sachlichen oder persönlichen Nachteil brächte. Diese Fähigkeit der Arbeit, dem individuellen Leben Sinn und Gewicht zu geben, wohnt irgend wie jeder Arbeit inne, ob sie schwer oder leicht, abwechslungsreich oder monoton ist, sofern sie nur keine Scheinleistungen hervorbringt wie das sinnlose Hin- und Herstapeln von Holz in Gefängnishöfen; sie kommt freilich verschiedenen Arbeiten in sehr verschiedenem Masse zu. Weil die Arbeit selbst Leben ist, darum will man auch alle Kräfte des Lebens an sie heranbringen und in ihr auswirken können. Darum will man die Arbeit reich und weit, vielgestaltig und nicht krüppelhaft beengt. Darum sei Liebe zum Werk in ihr, Schaffensfreude, Schwung, Schönheit. Sie hemme die persönliche Entwicklungsmöglichkeit nicht, sondern bringe sie zur vollen Entfaltung. Der Fortschritt der Arbeitsweise gehe also nicht auf möglichste Verkürzung der Arbeitszeit, sondern auf Steigerung des Lebenswertes der Arbeit, mache sie reicher und menschenwürdiger." 

[Lewin, Kurt <1890 - 1947>: Die Sozialisierung des Taylor-Systems. -- In: Schriftenreihe Praktischer Sozialismus. -- 4 (1920). -- S. 11f. -- Zitiert in: Ulich, Eberhard <1929 - >: Arbeitspsychologie. -- 4., neu überarbeitete und erweiterte Aufl. -- Stuttgart : Schäffer-Poeschel, 1998. -- ISBN 3971011448. -- S. 14f. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen}]

 

"Arbeit

[...]

Trotz der mit ihr verbundenen Anstrengung wurde die Arbeit über viele Jahrhunderte hoch geachtet. Literarische Aussagen darüber begegnen mehrfach bereits in der Antike. Schon Hesiod (um 700 v. Chr. geboren) sagt in seinem Lehrgedicht ›Werke und Tage‹, Vers 309: »Arbeit schändet nicht« [ἔργον δ' οὐδὲν ὄνειδος], was sprichwörtliche Bekanntheit erlangt hat. Fast ein Sprichwort wurde auch die Devise des Benediktinerordens ›Bete und arbeite‹ (Ora et labora). Die Arbeit gewinnt im Laufe der Zeit immer mehr an Wertschätzung, sie gereicht dem Menschen sogar zur Ehre. So heißt es in Schillers ›Glocke‹: »Arbeit ist des Bürgers Zierde«. Bereits Luther stellte fest: »Von Arbeit stirbet kein Mensch«, und dem, der über zu viele Aufgaben stöhnt, kann heute noch immer tröstend gesagt werden: ›Die Arbeit hat noch keinen Menschen umgebracht‹. Dagegen heißt es jedoch auch drastisch: ›Von der Arbeit krepieren die Pferde‹, d.h. Stärkere als der Mensch.

Bereits von Johann Fischart stammen die sprichwörtlich gewordenen Verse:

Arbeit vnd fleiß, das sind die flügel,
So füren vber Stram (Strom) und hügel
(›Das Glückhafft Schiff von Zürich‹ [Straßburg 1576], V. 81-82).

Auch die bekannte Wendung ›Arbeit macht das Leben süß‹ ist literarischer Herkunft. Es ist die Anfangszeile des Liedes ›Arbeit‹ von Gottlob Wilhelm Burmann (1737-1805), das er 1777 in seinen ›Kleinen Liedern für keine Jünglinge‹ veröffentlichte. Die scherzhafte Fortsetzung heißt: ›Faulheit stärkt die Glieder‹, was den Lobpreis der Arbeit relativiert.


Abb.: Bilderrätsel: Arbeite gern und sei nicht faul, Gebrat'ne Taube fliegt nicht in's Maul. -- Liebig's Sammelbild. -- 1892

Auf dem Arbeitsethos des 19. Jahrhunderts beruhen verschiedene Sprichwörter mit erzieherischer Tendenz: ›Arbeit kommt vor dem Spiel‹ oder: ›Erst die Arbeit, dann das Vergnügen‹. Vgl. englisch ›Business before pleasure‹. Nach Ciceros ›Iucundi acti labores‹ (›De finibus‹ II, 32,105) zitieren wir: ›Nach getaner Arbeit ist gut ruhn‹. Auch Goethe schätzte den gesunden Wechsel von Anstrengung und Erholung, denn er rät in seiner Ballade ›Der Schatzgräber‹ (1797):

Tages Arbeit! Abends Gäste!
Saure Wochen! Frohe Feste!
Sei dein künftig Zauberwort.

Die Wendung ›Wie die Arbeit, so der Lohn‹ meint den gerechten Ausgleich gegenseitiger Interessen und Erwartungen; doch die bittere Erfahrung lehrt: ›Von Arbeit wird man nicht reich‹, oder es heißt sogar redensartlich: ›Etwas ist verlorene Arbeit‹: alle Mühe ist umsonst, die Anstrengung bringt nichts ein.


Abb.: "Im Schweiße deines Angesichtes sollst du dein Brot essen." (Genesis 3, 19). -- Passionsspiel. -- Höritz (Horice) im Böhmerwald. -- 1912
[Bildquelle: http://www.ckrumlov.cz/uk/seznamy/t_obrrhi.htm. -- Zugriff am 2005-11-09]

Die Entstehung der Arbeit wird ätiologisch als Folge des Sündenfalls im A.T. erklärt: sie gilt als Strafe des ersten Menschenpaares nach Gen 3, 19: »Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen«.

[...]


Abb.: Wer Arbeit kennt und sich nicht drückt — der ist verrückt. -- Postkarte

In unserem Jahrhundert sind zahlreiche Sprichwort- Parodien entstanden, die die Ablehnung der als ›typisch bürgerlich‹ betrachteten Wertschätzung der Arbeit beinhalten: ›Arbeit adelt – wir bleiben bürgerlich‹; ›Arbeit ist aller Laster Anfang‹; ›Wer die Arbeit kennt und sich nicht drückt, der ist verrückt‹; ›Arbeit macht Spaß, und Spaß wird nicht gemacht‹; ›Arbeit ist Silber, Nichtstun ist Gold‹. Oder es heißt: ›Hoch die Arbeit, dass keiner drankommt‹, vgl. sudetendeutsch: ›Ar houts an liebstn, wenn de Arbt dreimettrfuffzich huch is‹.

Im Schwäbischen, in dem das ›Schaffen‹ in allgemein bis heute hohem Ansehen steht, hört man doch zuweilen im Sagte-Sprichwort: ›Arbeit macht's Leabe süß, hot der seal Tagwerker gsait‹ – ›I mag die süße Sache it‹ (nicht); oder es heißt resignierend: ›Wenn d'Arbeit alle reich mache tät, war der Ochs reicher als der Bauer‹.
Mit der fortschreitenden Industrialisierung entstand die Arbeiterklasse, die ein neues Selbstbewusstsein entwickelte. Dies kommt in Georg Herweghs 1863 gedichtetem ›Bundeslied‹ für den Allgemeinen deutschen Arbeiterverein zum Ausdruck, dessen Verse als Aufruf zu verstehen sind:

Mann der Arbeit, aufgewacht!
Und erkenne deine Macht!
Alle Räder stehen still,
Wenn dein starker Arm es will.

Die Probleme starker Arbeitslosigkeit führen zur Forderung ›Recht auf Arbeit‹, die auf ein französisches Schlagwort ›Le droit au travail‹ von Charles Fourier (1772-1837) zurückgeht, das er 1808 formulierte (Büchmann)."

[Quelle: Röhrich, Lutz <1922 - >: Lexikon der sprichwörtlichen Redensarten. -- Berlin : Directmedia Publ., 2000. -- 1 CD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 42). -- ISBN 3-89853-142-2. -- s.v. "Arbeit"]

"Arbeit.

Ursprünglich im Sinne von arm, verwaist, Mühe und Not gebraucht, bedeutet Arbeit im Althochdeutschen »Dienstbarmachung der Natur, Ackerbau«, behält aber noch im Mittelhochdeutschen und bei Luther die Bedeutung von Mühsal bei. Arbeit ist die bewusst gewollte Anstrengung des Körpers und des Geistes, ist persönlicher Leistungseinsatz des Menschen bei der Produktion von Gütern, ist zielbewusste Tätigkeit, um die Bedürfnisse des Einzelnen wie der Gesamtheit zu befriedigen. Erst Arbeit ermöglicht die Existenz der Erdbevölkerung; sie ist aber auch Lebensäußerung an sich.

Während die Antike die Arbeit verachtete, sie den Sklaven überließ, hat das Christentum, gestützt auf ausdrückliche Weisungen Gottes in der Hl. Schrift, die Arbeit als Dienst vor Gott und Hilfe für den Nächsten gewertet. ( ora et labora). Eine intensivere gedankliche Beschäftigung mit dem Problem der Arbeit setzte im 12. und 13. Jh. mit dem technischen und wirtschaftlichen Aufschwung, der wachsenden Bevölkerung, der Verstädterung, den philosophisch-theologischen Schulen des MA ein. Die Mystik wertete die weltliche Arbeit als Beruf im christlichen Sinn. Luther unterstrich bei der Arbeit das Dienstmotiv, das treue Ausharren im Glauben an die Gnade Christi. Von Calvins Prädestinationslehre und den nach und nach säkularisierten Ideen einer »innerweltlichen Askese« kamen neue starke Impulse. Arbeitspflicht und Besitzlosigkeit wurden bereits in den frühneuzeitlichen Utopien (z.B. Th. Morus, Th. Campanella, Morelly, F. Babeuf u.a.) gefordert. Die Industrialisierung des 19. Jh. förderte eine neue, intensive Beschäftigung mit dem Problem der Arbeit und der Stellung des Arbeiters. Nach der marxististischen Theorie der Arbeit tritt die Arbeit an die Stelle der göttlichen Schöpfung, wird Hauptziel »sittlicher Erziehung« und führt den Menschen zur letzten Vollendung. Staatliche Kontrollen, Orden, Medaillen, Titel wie »Held der sozialistischen Arbeit«, Prämien sollen die Arbeitsleistung steigern und die Entwicklung vorantreiben."

[Quelle: Fuchs, Konrad <1928 - > ; Raab, Heribert <1923 - 1990>: dtv-Wörterbuch zur Geschichte. -- München : Deutscher Taschenbuch-Verlag, 1972. -- 2 Bde. -- s.v.]


3.1. Kultur und Arbeitsethos: Die protestantische Ethik und der 'Geist' des Kapitalismus (Max Weber)


Die einflussreichsten Thesen zum Verhältnis von Kultur, speziell Religion, und Einstellung zu Arbeit, Beruf und wirtschaftlichen Tätigkeiten stammen vom Soziologen Max Weber (1864 - 1920).


Abb.: Max und Marianne Weber, 1893

Die zwei grundlegenden Werke sind:

Obwohl Webers Thesen - besonders in ihrer Verkürzung durch Epigonen - nicht unumstritten sind, sind beide Werke wegen ihres Scharfsinns und ihrer Quellenkenntnis auch heute noch lesenswert.

"Die protestantische Ethik und der 'Geist' des Kapitalismus" ist ein Werk von Max Weber [1864 - 1920] und wurde 1904 bis 1905 veröffentlicht. Es zählt neben Webers Werk Wirtschaft und Gesellschaft zu den international wichtigsten Werken der Soziologie und ist ein grundlegendes Werk der Religionssoziologie sowie eine der bekanntesten Gegenpositionen zur Marxschen Kapitalismustheorie.

Einleitung

"Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus" ist zuerst erschienen im Archiv für Sozialwissenschaften und Sozialpolitik, Bd. XX und XXI (1905). Sie beruht zum Teil auf einem Vortrag, den Max Weber bereits im Jahr 1897 hielt (vgl. Bd. 2, S. 150). Weber stellt sich die Frage, warum gerade in Westeuropa (und Nordamerika) die Kultur, so wie sie ist, entstanden ist. Sie erscheint ja als naturgegeben. Andererseits fragt er sich, warum so etwas sich nicht in China, Indien, etc. entwickelte, bzw. warum nicht seit langem in Westeuropa.

Dies führt er auf einen "spezifisch gearteten Rationalismus der okzidentalen Kultur" (Bd1, S.20) zurück. Sein Ziel ist es, die besondere Eigenart des okzidentalen Rationalismus und insbesondere des modernen okzidentalen Rationalismus zu erkennen und ihre Erstehung zu erklären. Für den Aufsatz den wir besprechen, war ihm ein wichtiger Einzelpunkt von Interesse: "der Bedingung der Entstehung einer Wirtschaftsgesinnung: des Ethos einer Wirtschaftsform, durch bestimmte religiöse Glaubensinhalte, und zwar an dem Beispiel der Zusammenhänge des modernen Wirtschaftsethos mit der rationalen Ethik des asketischen Protestantismus." (Bd. 1, S.21)

Ferner behauptet er, dass der Charakter des Kapitalbesitzes und Unternehmertums vorwiegend protestantisch ist, dass Protestanten eine eher technische, Katholiken eher eine humanistische Schulbildung haben, usw. Allgemein gesagt, stellt Weber eine auffallend "geringere Beteiligung der Katholiken am modernen Erwerbsleben in Deutschland fest." (Bd. 1, S.32)

Es soll keine umfassende Kulturanalyse, sondern die Entwicklung des "Menschentums", welches durch das Zusammentreffen religiöser und ökonomischer Bedingungen geschaffen wurde, dargestellt werden.

Zur gleichen Zeit beschäftigen sich, unter anderem, zwei andere Wissenschaftler mit angrenzenden Thematiken. Ernst Troeltsch schrieb mehr über die Geschichte des Protestantismus. Er bezeichnet seine "Aufgabe und Erkenntnisziele in der Darstellung des religiösen Elements des Protestantismus und seiner Stellung zu den kulturgeschichtlichen Umgebungszusammenhängen." (Bd. 2, S.192) Werner Sombart versucht in seinem Buch zu schildern, wie der Geist seiner Zeit geworden ist. Er will die Genesis des repräsentativen Trägers des Geistes schildern. Der Träger ist – nach Sombart – die Bourgeoisie. Aber nur das Geistige, heute würden wir eher die Psyche sagen, der Menschenart Bourgeois interessiert ihn, nicht seine sozialen Beziehungen. Es wird hier aufgeführt, weil alle drei Autoren sich inhaltlich und in der methodischen Vorgehensweise beeinflussen.

Die Aufgabe, die Weber sich für seinen Aufsatz stellte, beschreibt er wie folgt:

"... in meinem Fall durch die Aufdeckung einer – allerdings m. E. einer ganz besonders wichtigen – Ursachenreihe beizutragen, welche die Herausbildung einer (wiederum besonders wichtigen) konstitutiven Komponente des Geistes der modernen kapitalistischen Wirtschaft bedingte: einer Färbung desselben also, welche vom Altertum und Mittelalter in wichtigen Punkten spezifisch verschieden war, ..." (Bd. 2, S.284f)

Da es sich bei dieser Aufgabenstellung um eine sehr komplexe historische Erscheinung handelt, sucht er "einen ideal-typischen Begriff, ein Gedankengebilde, ... dem sich die faktischen Durchschnittsinhalte des Historischen in sehr verschiedenen Grade annähern." (Bd. 2, S.304) Weber verfährt so,

"dass ich [Weber] zunächst 1. die von niemandem bisher bezweifelte Tatsache der auffällig starken Kongruenz von Protestantismus und modernen Kapitalismus ..., durch Beispiele in Erinnerung rief, sodann 2. illustrativ einige Beispiele vorführte für solche ethische Lebensmaximen (Franklin),..., und die Frage stellte, wodurch sich diese ethischen Lebensmaximen von abweichenden, speziell von den Lebensmaximen des Mittelalters, unterscheiden, und dann 3. die Art, wie solche seelische Attitüden sich zu dem Wirtschaftssystem des modernen Kapitalismus kausal verhalten, wiederum durch Beispiele zu illustrieren suchte, wobei ich 4. auf den Berufs-Gedanken stieß, dabei an die längst ... festgestellte, ganz spezifische Wahlverwandtschaft des Calvinismus ... zum Kapitalismus erinnerte, und gleichzeitig 5. aufzuzeigen suchte, dass unser heutiger Begriff des Berufs irgendwie religiös fundiert sei." (Bd. 2, S.304f)

Die Studie, die Weber vorlegt, ist nicht abgeschlossen (Bd. 2, Anmerkung 39, S.186), und es muss wenigstens noch folgendes (u.a.) untersucht werden (vgl. Bd. 1, S.189 und Bd. 2, S.322):

  • eine sehr viel differenzierte Analyse der Wirkung calvinistischer, täuferischer, pietistischer Ethik auf den Lebensstil
  • eingehende Untersuchungen der Ansätze ähnlicher Entwicklungen im Mittelalter und im antiken Christentum
  • inwieweit ökonomische Bedingungen den asketischen Protestantismus förderten
  • die Bedeutung des asketischen Protestantismus auf die sozial-politische Ethik, d.h. also auf Gemeinschaften von der Familie bis zum Staat
  • ferner der Einfluss des asketischen Protestantismus auf die Entwicklung des philosophischen und wissenschaftlichen Empirismus
Die protestantische Ethik

Die religiösen Vorstellungen von Luther und Calvin

Die protestantische Ethik entwickelt sich nach Weber aus zwei entscheidenden Ideen. Zum einen aus Luthers Reformation. Daraus entfaltet sich, unter dem Einfluss Calvins, die innerweltliche Askese, die einen konstitutiven Bestandteil des „modernen kapitalistischen Geistes“ bildet.


Abb.: Martin Luther / Porträt von  Lucas d.J. Cranach. -- 1551

Die Einschätzung der Berufe wandelt sich bei Luther von der Anschauung, dass die Individuen in jedem Stande selig werden können, es also sinnlos ist auf die Art des Berufes wert zu legen, zu der Anschauung, dass es eine von Gott gestellte Aufgabe ist. Um Gott wohlzugefallen, ist die Erfüllung der innerweltlichen Pflichten unter allen Umständen der einzige Weg, und nicht eine Überbietung der innerweltlichen Sittlichkeit durch mönchische Askese.

Diese Wandlung führt Weber u.a. darauf zurück, dass das gestiegene Handelsvolumen zu Luthers Zeit, die Bedeutung der Berufsarbeit fördert. Gleichzeitig entwickelt sich – u.a. hervorgerufen durch die Arbeit an der Bibelübersetzung – bei Luther der Gedanke, dass das Leben des Einzelnen vorherbestimmt ist und das Individuum sich dem Willen Gottes zu fügen hat. Konkret heißt dies,

"... der Einzelne soll grundsätzlich in dem Beruf und Stand bleiben, in den ihn Gott einmal gestellt hat, und sein irdisches Streben in den Schranken dieser seiner gegebenen Lebensstellung halten." (Bd. 1, S. 71)

Dabei ist jeder erlaubte Beruf vor Gott gleich viel wert - die geistlichen genauso viel wie die weltlichen Berufe.

Diese Vorstellung ist immer noch sehr traditionalistisch gebunden, und dies führt Weber u.a. auf den Vorsehungsgedanken Luthers zurück. Auch die ökonomischen Vorstellungen waren bei Luther noch traditionalistisch. Luther tritt energisch gegen das Zinsnehmen ein, wie er überhaupt gegen kapitalistischen Erwerb war.

Die Entwicklung des orthodoxen Luthertums zeigte nach Weber nur etwas Negatives:

"Wegfall der Überbietung der innerweltlichen durch asketische Pflichten [Weber meint wohl inner-weltliche Sittlichkeit durch mönchische Askese], verbunden aber mit der Predigt des Gehorsams gegen die Obrigkeit und der Schickung in die gegebene Lebenslage, war hier zunächst der einzige ethische Ertrag." (Bd. 1, S.72)

Luthers Intentionen – der bloße Gedanke der Berufsarbeit – sind nur von problematischer Tragweite. Weber sucht nach "Ausprägungen des Protestantismus", "bei denen ein Zusammenhang der Lebenspraxis mit dem religiösen Ausgangspunkt leichter als beim Luthertum zu ermitteln ist." (Bd. 1, S.73) In den verschiedenen Glaubensrichtungen, die sich nach Luther gebildet haben, sieht Weber die entscheidenden geschichtlichen Träger. Neben dem Calvinismus sind dies der Pietismus, der Methodismus, sowie die aus den verschiedenen täuferischen Bewegungen hervorgegangene Sekten, namentlich die Quäker.

Weber geht nicht davon aus, dass die Reformatoren ethische Reformprogramme (vgl. Bd. 1, S.75) als ihr zentrales Anliegen sehen, sondern dass sie nur das Seelenheil als den Angelpunkt ihres Lebens betrachten. Weiterhin sieht Weber nicht den Kapitalismus als Ergebnis der Reformation, sondern es soll nur festgestellt werden "ob und in welchen Punkten bestimmte Wahlverwandtschaften zwischen gewissen Formen des religiösen Glaubens und der Berufsethik erkennbar sind." (Bd. 1, S.77) Die "Wahlverwandtschaften" sieht Weber beim Calvinismus – auf die anderen Glaubensrichtungen wird hier nicht eingegangen – in der methodischen Lebensführung und der Berufsauffassung. Dieses begründet sich wesentlich in der Prädestination – die Lehre von der Gnadenwahl.


Abb.: Johannes Calvin (1509 - 1564)

Diese Lehre besagt, dass Gott durch seinen Beschluss einige Menschen bestimmt zu ewigen Leben, und andere zu ewigen Tod. Die Gnade ist bei Luther verlierbar, kann aber durch Buße wieder gewonnen werden, dagegen ist sie beim Calvinismus vorherbestimmt.

Wie erfährt nun der Gläubige, ob er erwählt ist oder nicht, da es ja im Calvinismus keine Gnadenwahl gibt? Diese Ungewissheit führt zu einer ständigen Angst der Gläubigen. Aber wie ertragen die Gläubigen diese ständige Angst?

In der seelsorgerischen Praxis kristallisierten sich "zwei miteinander verknüpfte Typen seelsorgerischer Ratschläge hervor" (Bd1, S.128), die u.a. für den Priester bestimmt sind. Zum einen wird es dem Gläubigen zur Pflicht gemacht, sich für erwählt zu halten. Anderenfalls erliegt der Gläubige dem Teufel, der Zweifel sät. Hier sieht Weber die Erziehung zum selbstgewissen "Heiligen", die er noch in seiner Zeit zu erkennen vermag (– gibt es diese "Heiligen" heute noch?). Hier bemerkt Weber auch den Unterschied zu Luther. Ein Lutheraner wäre ein reumütiger Sünder. Zum anderen raten die Seelsorger dem Gläubigen zur Berufsarbeit, als hervorragendes Mittel, um Selbstgewissheit zu erlangen, eigentlich aber um Angst abzubauen.

Auf die Selbstgewissheit muss hier noch etwas näher eingegangen werden. Denn, um Selbstgewissheit zu erlangen, kann einem niemand helfen – kein Prediger, kein Sakrament, keine Kirche, kein Gott. Der Gläubige ist auf sich selbst angewiesen. Er darf sich niemandem anvertrauen, da er dann schon wieder zweifeln würde, und damit dem Teufel verfallen wäre. Es wird vor Menschenhilfe und -freundschaft gewarnt. Selbst zum nächsten Freund wird tiefes Misstrauen verlangt. Auch die Beichte verschwand stillschweigend – das Mittel zum periodischen Abreagieren des heftig erregten Schuldbewusstseins. Dies liest Weber in Erbauungsschriften der damaligen Zeit. Er folgert daraus, dass die Individuen in tiefer innerer Isolierung allein mit sich selbst beschäftigt sind.

Die Wirkung dieser Isolierung bzw. dieser Angst führt bei den einen zu jeder nur erdenklichen Selbsterniedrigung, bei anderen zu rastlosen und systematischen Kampf mit dem Leben.

Um Gnadengewissheit zu erlangen, sind gute Werke absolut ungeeignet, aber sie sind unentbehrlich als Zeichen der Erwählung. Anders gesagt, der Gläubige kann die Seligkeit nicht kaufen, aber er kann die Angst um die Seligkeit loswerden. Weber sagt dazu, "dass Gott dem hilft, der sich selbst hilft" (Bd1, S.131). Der Gläubige setzt sich damit unentwegt selbst unter Kontrolle, und das ist somit eine konsequente Methode, um die gesamte Lebensführung zu gestalten.

Der 'Geist' des Kapitalismus

Weber sucht nach konstitutiven Bestandteilen die den „Geist des modernen Kapitalismus“ zu dem gemacht haben, was er heute ist. Hierzu muss er zunächst einmal klären, was er unter „Geist des modernen Kapitalismus“ versteht.

Für ihn ist dieser „Geist“ zunächst ein historischer Begriff, der aus seinen einzelnen, der geschichtlichen Wirklichkeit entnommenen Bestandteilen komponiert wird. (Bd. 1, S.39) Diesen Begriff betrachtet Weber nur unter den Gesichtspunkten, die für die Bearbeitung dieses Gegenstandes wesentlich sind. So kann es sich auch nur um "eine provisorische Veranschaulichung" dessen, was hier mit dem „Geist des modernen Kapitalismus“ gemeint ist, handeln. (Bd. 1, S.40)

Kapitalismus ist nach Weber das Streben nach Gewinn, nach Rentabilität – im kontinuierlich, rational arbeitenden Betrieb. Aber auch: die Bedingung schrankenloser Erwerbsgier. So versteht Weber den kapitalistischen Wirtschaftsakt als Ausnutzung von Tausch-Chancen in formell friedlicher Weise. (Bd.I, S. 12/13) Drei historische Entwicklungen markieren für ihn Meilensteine im Heranwachsen des Kapitalismus:

  1. Trennung von Haushalt und Betrieb
  2. rationale Buchführung
  3. Trennung von Privat- und Betriebsvermögen (Bd. 1, S.17)


Abb.: Benjamin Franklin (1706 - 1790) / Porträt von Benjamin Wilson. -- 1759

Um nun dem „Geist des modernen Kapitalismus“ näher zu kommen, vergleicht Weber Aussagen Benjamin Franklins und Jakob Fuggers zum eigenen Verständnis von Geschäftsklugheit. Der amerikanische Naturforscher und Politiker Franklin zu diesem Thema:

  • "Bedenke, dass die Zeit Geld ist;...
  • Bedenke dass Kredit Geld ist...
  • Bedenke, dass Geld von einer zeugungskräftigen und fruchtbaren Natur ist...
  • Bedenke, dass ... ein guter Zahler der Herr von jedermanns Beutel ist...
  • Neben Fleiß und Mäßigkeit trägt nichts so sehr dazu bei, einen jungen Mann in der Welt vorwärts zu bringen, als Pünktlichkeit und Gerechtigkeit bei allen seinen Geschäften...
  • Der Schlag deines Hammers, den dein Gläubiger um 5 Uhr morgens oder um 8 Uhr abends vernimmt, stellt ihn auf sechs Monate zufrieden; sieht er dich aber am Billardtisch oder hört er deine Stimme im Wirtshause, wenn du bei der Arbeit sein solltest, so lässt er dich am nächsten Morgen um die Zahlung mahnen, und fordert sein Geld, bevor du es zur Verfügung hast...
  • ...halte eine genaue Rechnung über deine Ausgaben und dein Einkommen...
  • Wer 5 Schillinge „verliert“, verliert nicht nur die Summe, sondern alles was damit bei Verwendung im Gewerbe hätte verdient werden können, – was, wenn ein junger Mann ein höheres Alter erreicht, zu einer ganz bedeutenden Summe aufläuft." (Bd. 1, S.40-42)


Abb.: The art of making money plenty in every man's pocket / by Doctor Franklin. -- Currier & Ives. -- 19. Jhdt.

Nach Weber ist Franklin vom „Geist des modernen Kapitalismus“ durchdrungen – auch wenn nicht alles, was diesen „Geist“ ausmacht, im oben aufgeführten enthalten ist. In dieser „Philosophie des Geizes“ entdeckt Weber nicht nur „Geschäftsklugheit“ sondern eine "eigentümliche Ethik". (Bd. 1, S.42)


Abb.: Jakob Fugger (1459 - 1525) / Holzschnitt von Hans d.Ä. Burgkmair, um 1512

Beim Reichsgrafen und Bankier Jakob Fugger dagegen, der das größte Bankhaus des Frühkapitalismus leitete, sieht Weber als Ursache dessen Geschäftigkeit, ausschließlich kaufmännischen Wagemut und eine persönliche, sittlich indifferente Neigung. Als Beleg führt er einen Ausspruch des J. Fugger an, den dieser gegenüber einem Geschäftskollegen tat, der ihn aufforderte sich zur Ruhe zu setzen, da er doch nun genug verdient hätte. Fugger:

"er [Fugger] hätte viel einen anderen Sinn, wollte gewinnen, dieweil er könnte, ..." (Bd. 1, S.43)

Die "eigentümliche Ethik" Benjamin Franklins ist es, die nach Weber den „Geist des (Früh-)Kapitalismus“ vom „Geist des modernen Kapitalismus“ unterscheidet. Als das Zentrale dieser Ethik sieht er den

"Erwerb von Geld und immer mehr Geld, unter strengster Vermeidung alles unbefangenen Genießens, so gänzlich aller eudämonistischen [glückselige] oder gar hedonistischen [lustorientierten] Gesichtspunkten entkleidet, so rein als Selbstzweck gedacht, dass es als etwas gegenüber dem "Glück" oder dem "Nutzen" des einzelnen Individuums jedenfalls gänzlich Transzendentes und schlechthin Irrationales erscheint" (Bd. 1, S.44)

Diese Umkehrung des „natürlichen“ Sachverhalts enthält nach Weber "...zugleich eine Empfindungsreihe, welche sich mit gewissen religiösen Vorstellungen eng berührt". (Bd. 1, S. 44)

Als Zeuge für diese These führt er erneut B. Franklin an, der als Grund seiner Philosophie auf einen häufig gehörten Ausspruch seines streng calvinistischen Vaters verweist

"Siehst du einen Mann rüstig in seinen Beruf, so soll er vor Königen stehen"

Die Hochschätzung des Berufes ist ein ganz zentrales Element dieser "eigentümlichen Ethik". Weber spricht von der Berufspflicht als "...in gewissem Sinne ... von konstitutiver Bedeutung" (für die „Sozialethik“ der kapitalistischen Struktur) (Bd. 1, S.45)

Er beschreibt die Berufspflicht als

"eine Verpflichtung, die der Einzelne empfinden soll und empfindet gegenüber dem Inhalt seiner beruflichen Tätigkeit, gleichviel worin sie besteht, gleichviel insbesondere, ob sie dem unbefangenen Empfinden als reine Verwertung seiner Arbeitskraft oder gar nur seines Sachgüterbesitzes ("als Kapital") erscheinen muss" (Bd. 1, S.45)

Hier stellt sich "Beruf" als absoluter Selbstzweck dar. Im Gegensatz dazu die vorkapitalistisch, traditionalistische Vorstellung, in der der Bedarf der Zweck und die Arbeit das Mittel ist, diesen Zweck zu erreichen – und zwar mit einem Minimum an Leistung. Diese traditionalistische Vorstellung verdeutlicht Weber u.a. am Beispiel von Landarbeitern. Diese arbeiten bei Erhöhung des Akkordlohnes (in Mark je Morgen) entsprechend der Erhöhung weniger, da sie ja nun mit geringerem Aufwand die Mittel für ihren Bedarf erwirtschaften. (Bd. 1, S.50)

Bemerkenswert an der obigen Aussage zur Berufspflicht ist auch, dass Weber die Verwertung von Arbeit und die Verwertung von Sachkapital als Beruf betrachtet.

Wie schon oben erwähnt, sieht Weber den Gelderwerb um des Erwerbens willen als weiteres zentrales Element des „modernen kapitalistischen Geistes“ an. Bedeutend deshalb, weil nur so die notwendigen Kapitalien angesammelt werden konnten, die den Kapitalismus forcierten.

Dieses Sammeln von Kapitalien war deswegen notwendig, weil der gewerbliche Mittelstand, nach Weber der wesentliche Träger des „modernen kapitalistischen Geistes“, in der Regel nicht über große Finanzmittel verfügte.

Diesem aufstrebenden Mittelstand stellt Weber das traditionalistisch geführte Unternehmen gegenüber, dessen Arbeitsweise er an einem Verleger der Textilindustrie verdeutlicht. Diese ist gekennzeichnet durch:

  • 5 – 6 Std. tägliche Arbeitszeit
  • wenig "Kundenpflege"
  • Konkurrenzlosigkeit durch Absprachen
  • Genuss des bescheidenen aber sicheren Gewinns

Er verweist aber auch auf folgendes: "Die absolute und bewusste Rücksichtslosigkeit des Gewinnstreben stand oft ganz hart gerade neben strengster Traditionsgebundenheit" (Bd. 1, S.48)

Dieser Ausspruch soll noch mal auf die Bedeutung der Ethik als Element des „modernen Kapitalistischen Geistes“ hinweisen.

Zur Beziehung zwischen „Geist“ und Wirtschaftsform trifft Weber folgende Aussagen:

"Die kapitalistische Form einer Wirtschaft und der Geist, in dem sie geführt wird, stehen zwar generell im Verhältnis „adäquater“ Beziehung, nicht aber in dem einer „gesetzlichen“ Abhängigkeit voneinander" "weil jene Gesinnung („Geist des modernen Kapitalismus“) in der modernen kapitalistischen Unternehmung ihre adäquateste Form, die kapitalistische Unternehmung andererseits in ihr die adäquateste geistige Triebkraft gefunden hat." (Bd. 1, S.54)

So stellt er auch fest: "Die Frage nach den Triebkräften der Expansion des modernen Kapitalismus ist nicht in erster Linie eine Frage nach der Herkunft der kapitalistisch verwertbaren Geldvorräte, sondern vor allem nach der Entwicklung des kapitalistischen Geistes" (Bd. 1, S.58).

Okzidentaler Rationalismus und protestantische Ethik

Für Weber stellt sich die Frage, welche Bedingungen gegeben sein müssten, um zu den von ihm behandelten konstitutiven Bestandteilen des „modernen kapitalistischen Geistes“ zu kommen.

Zunächst fällt Weber auf, dass die kapitalistisch fortgeschrittensten Regionen am häufigsten im Okzident anzutreffen sind. Dies führt er auf eine eher systematisch rationale Grundhaltung des Okzident zurück, die er an einigen Beispielen zu erläutern versucht.

Er verweist auf die, im Gegensatz zu anderen Regionen (Indien, China, Babylonien, Ägypten) mathematische Durchdringung der Naturwissenschaften – schon bei den "Hellenen". Diese gelten auch als „Erfinder“ der Idee des "rationalen Beweises" (Bd. 1, S.9).

Im Bereich der Geschichtsschreibung nennt Weber China, das hier ohne das thukydideische Pragma auskommt (Bd. 1, S.10)

Als weiteres benennt Weber die systematische Staatslehre nach Aristoteles und die juristischen Schemata und Denkformen des Okzidents, die auf römisches Recht basieren – und bis in die heutige Zeit Einfluss auf das okzidentale Geschehen haben.

An dieser Stelle führt Weber auch das kanonische Recht (Kirchenrecht) an, das nach ihm in dieser systematischen Form nur im Okzident existiert (Bd. 1, S.10).

Als nächstes bezieht Weber die oben genannten Punkte auf die Form des Kapitalismus, die im Okzident seiner Meinung nach existiert. Er möchte herausfinden, wie es im Okzident zur Entstehung des bürgerlichen Betriebskapitalismus mit seiner rationalen Organisation der freien Arbeit kommt (Bd. 1, S.18).

Die Entwicklung technischer Möglichkeiten, basierend auf mathematisch und experimentell exakten, rational fundierten Naturwissenschaften nennt Weber als erstes. Die kapitalistische Verwertbarkeit der Technik als ein Ausfluss der okzidentalen Sozialordnung, deren wichtigste Bestandteile wiederum die rationale Struktur des Rechts und der Verwaltung – also berechenbar – sind, führt Weber als nächstes an (Bd. 1, S.19).

An dieser Stelle macht er auf die Probleme aufmerksam, welche die Begriffe „rational“ und „irrational“ aufwerfen. Je nachdem unter welchen Blickpunkten Handlungen betrachtet werden, können sie „rational“ bzw. „irrational“ sein (Bd. 1, S.20).

Da jede Kultur ihre eigene Rationalität entwickelt, kommt es für Weber zunächst darauf an, die besondere Eigenart des modernen okzidentalen Rationalismus zu erkennen und ihre Entstehung zu erklären. Hierfür ist neben den ökonomischen Bedingungen das Augenmerk auf "die Fähigkeit und Disposition der Menschen zu bestimmten Arten praktisch-rationaler Lebensführung" (Bd.1, S.20/21) zu richten. Diese Lebensführung wird im wesentlichem durch magische oder/und religiöse Mächte geformt, die bestimmte ethische Pflichtvorstellungen entwickeln (Bd. 1, S.21).

So stellt sich für Weber die Frage nach dem Zusammenhang zwischen modernem Wirtschaftsethos (= „Geist des modernen Kapitalismus“) und religiöser Ethik. Ausgehend von der Behauptung, dass Kapitalbesitz und höhere technische Arbeiter und Angestellte mehrheitlich protestantisch sind, konzentriert er sich auf die "rationale Ethik des asketischen Protestantismus". Hier beschreibt er dann die bemerkenswerten Parallelen insbesondere des Berufsbegriffs und der Pflicht zur Genügsamkeit des asketischen Protestantismus, wie er bei Calvin u.a. zu finden ist, mit den konstitutiven Bestandteilen des „modernen kapitalistischen Geistes“ Beruf und Erwerb als Selbstzweck.

Ein Beispiel soll die Bedeutung des Religiösen für die kapitalistische Entwicklung zeigen. Hier werden junge, unverheiratete Frauen, die besonders schwer zu rationalem Arbeiten zu erziehen sind, anderen gegenüber gestellt, die pietistisch erzogen worden sind. Deren "zentrale Haltung: sich der Arbeit gegenüber verpflichtet zu fühlen, finden sich hier besonders oft vereint mit strenger Wirtschaftlichkeit, die mit dem Verdienst und seiner Höhe Überhaupt rechnet, und mit einer nüchternen Selbstbeherrschung und Mäßigkeit, welche die Leistungsfähigkeit ungemein steigert" (Bd. 1, S.53).

Weber versucht zu belegen, dass aus dem „Geist des Kapitalismus“ durch Einfluss – im Wesentlichen – der protestantischen Ethik der „Geist des modernen Kapitalismus“ entstanden ist.

In diesem Zusammenhang ist die Frage: "Was war zuerst da: der „Geist des modernen Kapitalismus“ oder der „moderne Kapitalismus" von entscheidender Bedeutung. Ließe sich belegen, dass der „Geist“ vor dem modernen Kapitalismus eine bedeutende Verbreitung erfahren hat, wäre dies zu mindestens ein wichtiges Indiz für den Einfluss des „Geistes“ auf die "Expansion" des modernen Kapitalismus.

Weber behauptet, "das jedenfalls ohne Zweifel im Geburtsland Benjamin Franklins (Massachusetts) der „kapitalistische Geist“ (in unserem hier angenommenen Sinn) vor der „kapitalistischen Entwicklung“ da war..."

Es liegt also, vom materialistischen Standpunkt aus betrachtet, eine Umkehr des Kausalverhältnisses, zumindest in diesem Fall vor (Bd. 1, S.46).


Abb.: Richard Baxter (1615 - 1691)

Weiterhin verweist Weber aber auch auf die starke Bedeutung des Religiösen für das alltägliche Leben im Spätmittelalter und zu Beginn der Neuzeit (Bd.1, S.166). Um den Zusammenhang von asketischem Protestantismus und „Geist“ zu beleuchten, konzentriert er sich auf einen, seiner Meinung nach bedeutenden Prediger des 16. Jahrhunderts, den englischen Puritaner Richard Baxter und dessen "Kompendium der puritanischen Moraltheologie", „Christian Directory“. Wichtige Elemente dieser Moraltheologie sind:

  • die sittliche Gefahr der Versuchung durch Reichtum
  • das Verwerfliche des Ausruhens auf dem vorhandenen Besitz
  • das Tätigsein als Wille Gottes zur Mehrung seines Ruhmes
  • Arbeit als alterprobtes asketisches Mittel (Bd. 1, S.166 ff);

aber "Nicht Arbeit an sich, sondern rationale Berufsarbeit ist eben das von Gott verlangte" (Bd. 1, S.171).

So trug, nach Weber, der Puritanismus "das Ethos des rationalen bürgerlichen Betriebs und der rationalen Organisation der Arbeit" (Bd. 1, S.174)

Dieser Protestantismus verpflichtet den Einzelnen, zum Ruhme Gottes, Besitztum zu erhalten und durch rastlose Arbeit zu vermehren - beides wesentliche Bestandteile des „modernen kapitalistischen Geistes“. In diesem Zusammenhang weist Weber darauf hin, dass "die Genesis dieses Lebensstils" in einzelnen Wurzeln, wie auch bei anderen Bestandteilen, bis ins Mittelalter zurück reicht (Bd. 1, S.179).

Für Weber ist aber nicht die bloße Begünstigung der Kapitalbildung die wichtigste Folge puritanischer Lebensauffassung, sondern durch sie bedingte "Tendenz zu bürgerlicher, ökonomisch rationaler Lebensführung". Genau diese Lebensführung führt nach ihm zum "modernen Wirtschaftsmenschen" als Träger der kapitalistischen Expansion (Bd.1, S. 182).

Zur Zeit Webers hat sich die Ethik von ihren religiösen Fesseln befreit - der „kapitalistische Geist“ bedarf dieser Stütze nicht mehr. Diese Entwicklung hatte der Mitbegründer der Methodisten, John Wesley, schon voraus gesehen. Nachdem er feststellte, das durch Religion Arbeitsamkeit und Sparsamkeit, und somit auch Reichtum ganz automatisch gefördert wurde, kommt er zu dem Schluss, dass so zwar die Form der Religion bleibt, aber der Geist allmählich schwindet (Bd. 1, S. 183)

Die Erziehung der Arbeitnehmer und Arbeitgeber findet heute durch Auslese statt. Wer gegen die Normen des Kapitalismus verstößt, scheidet aus dem Erwerbsprozess aus."

[Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Die_protestantische_Ethik_und_der_%27Geist%27_des_Kapitalismus. -- Zugriff am 2005-11-09]


3.2. Faulheit
(laziness, paresse, peresa, preguiça, 懶惰)



Abb.:  Francesco del Cossa (15. Jhdt.): Allegorie der Faulheit. -- 1469–1470

"Der Begriff Faulheit (auch Fäulnis, von faul) bezeichnet ursprünglich den Zustand schlecht gewordenen Obstes und anderer Pflanzen, auch verwesender Tiere (Kadaver).

Im übertragenen Sinn bezeichnet er, was in Abwesenheit anderer Erklärungen den Menschen von innen heraus abhält zu arbeiten. Die verschiedenen Interpretationen der Faulheit reichen von einer allgemeinen Tendenz des Menschen zur Ruhe bis zu schlechtem Charakter des einzelnen. Ebenso reicht daher die Verwendung des Wortes von einem Einfordern gerechter Erholung bis zum Schimpfwort.

Der Begriff Trägheit wird oft ähnlich verwandt. Er hat aber zusätzlich ein Element der Langsamkeit und umgreift im Christentum auch die für die Sündenlehre wichtige "Trägheit des Herzens".

Bewertungen

In der Antike noch galt die Muße als erstrebenswertes Ideal.

Interessant ist, dass die Faulheit im Christentum seit alters her zu den sieben Hauptlastern gehört: Acedia - so nannte man das betreffende Laster. Unter Acedia verstand man zugleich Trägheit des Herzens, Trübung des Willens, Verfinsterung des Gemüts und Verlust der Tatkraft. Faul herumzuliegen war ein Kennzeichen der Trägheit. Auf älteren bildlichen Darstellungen, die das Laster der Faulheit anprangern, sind Bauern zu sehen, die neben ihrem Pflug eingeschlafen sind, oder Frauen, die am Spinnrocken ein Nickerchen halten.

Mit Kontemplation oder Muße hatte die Sünde der Acedia nichts zu tun. Sie war auch kein produktives Nichtstun, wie es heute manche 'Kreativen' in unserer Gesellschaft für sich in Anspruch nehmen; die Faulheit war eine gezielte Abkehr von Gott.

Auch heute noch wird die Faulheit als die Trägheit des Herzens, zu den Sieben Todsünden gerechnet. Sie kann nach katholischer Lehre dazu führen, dass man tatenlos bleibt und dem Bedürftigen, Schwachen oder Kranken nicht hilft, selbst wenn man es könnte. Für den Protestantismus ist der Fleiß bei der Arbeit Zeichen eines gottgefälliges Lebens (Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus).

Immanuel Kant meinte in seiner Anthropologie in pragmatischer Hinsicht (1798, §87) zwar, dass von Lastern Faulheit, Feigheit und Falschheit "das erstere das verächtlichste" zu sein scheine, sah aber auch eine Schutzfunktion: "Denn die Natur hat auch den Abscheu für anhaltende Arbeit manchem Subjekt weislich in seinen für ihn sowohl als andere heilsamen Instinkt gelegt: weil dieses etwa keinen langen oder oft wiederholenden Kräfteaufwand ohne Erschöpfung vertrug, sondern gewisser Pausen der Erholung bedurfte." Doch nicht nur als Aktivierungsschwelle schützt Faulheit vor schädlichem Kräfteverzehr, sie kann auch Schlimmeres verhüten: "Wenn nicht Faulheit noch dazwischenträte, die rastlose Bosheit weit mehr Übels, als jetzt noch ist, in der Welt verüben würde"

Die Erfinder der sieben Hauptlaster warnten schon früh vor den Folgen der Faulheit: Träge Menschen seien besonders gefährdet, melancholisch und schwermütig zu werden – sie neigen zur "Depression", wie wir heute sagen würden. Denn wer nicht fleißig arbeitet und schafft, wer nicht sein Leben straff im Griff hat, der kommt schnell auf abwegige Gedanken und verfällt zu sehr ins Grübeln. "Müßiggang ist aller Laster Anfang", sagt der Volksmund. "Ora et labora" (bete und arbeite) - so lautete auch der Grundsatz der Benediktiner. Und das hieß für viele früher oft: schuften, ohne zu genießen. Muße und Faulheit galten als Laster. Für die Puritaner stand ein fleißiges Leben voller Bescheidenheit und Gottesfürchtigkeit an erster Stelle. Später sprach man sogar vom "Recht auf Arbeit".


Abb.: Paul Lafargue (1842 - 1911)
[Bildquelle: http://www.marxists.org/deutsch/archiv/lafargue/. -- Zugriff am 2005-11-09]

Ganz anderer Ansicht war allerdings der Arbeiterführer Paul Lafargue. Er sprach sich für das Recht auf Faulheit aus: "O Faulheit, erbarme du dich des unendlichen Elends! O Faulheit, Mutter der Künste und der edlen Tugenden, sei du der Balsam für die Schmerzen der Menschheit!"

Arbeitet nie! war eines der Mottos, die Situationisten 1968 in Paris an Wände sprühten.

"Es gibt kein Recht auf Faulheit in unserer Gesellschaft", sagte der deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder.

Krankheit als Ursache

In krankhafter Form kann Antriebslosigkeit und Apathie zu Verhalten führen, das als Faulheit interpretiert wird. Da Faulheit wie eine erhöhte Schwelle zur Auslösung menschlicher Aktivität wirkt, sind auch Verwechselungen mit anderen vor einer Handlungsaktivierung zu überwindenden Schwellen (Wahrnehmungsbehinderungen wie Seh- und Hörschwächen, Schmerzen, motorische Störungen usw.) mit Faulheit möglich.

Umwelt als Ursache

Eine bedeutende Ursache für Verhalten, das als Faulheit interpretiert werden kann, ist das Klima. Aber auch eine Ressourcenlage, die wenig Vorratshaltung erfordert, kann "Faulheit" ermöglichen. Besonders in der Kolonialzeit kam es hier zu mißbräuchlichen Faulheitsvorwürfen seitens der Kolonialisten gegenüber den in den kolonialisierten Gebieten lebenden Menschen. Der Kampf gegen die vermeintliche "Faulheit" der "Eingeborenen" wurde zum Teil mit grausamsten Methoden geführt. Mehr Verständnis wurde unter schlechten klimatischen Bedingungen nur eingeschränkt arbeitsfähigen Menschen entgegengebracht, wenn sie die Eroberer selbst waren. So ermöglichte erst die Klimatechnik, dass die Menschen im Süden der USA Anschluss an den industriellen Fortschritt des Nordens finden konnten.

Geringe Motivation als Ursache

Nicht selten wird Arbeitnehmern "Faulheit" in Situationen vorgeworfen, in denen sie zum Beispiel wegen schlechter oder als ungerecht empfundener Entlohnung einfach ihre eigenen Kosten minimieren, also so wenig arbeiten, wie gerade möglich. Auch Mangel an anderer nicht-monetärer Motivation kann zu einer Haltung führen, die als "Faulheit" missverstanden wird.

Preußen


Preußisch

Unter dem Soldatenkönig wurde in Preußen eine Reihe von Gesetzen erlassen, die Faulheit unter Strafe stellten. So war etwa Marktweibern das Quatschen bei Androhung von Prügelstrafe untersagt.

Schlaraffenland


Abb.: Pieter Bruegel d. Ä. (†1569): Schlaraffenland. -- 1567

Im Märchen vom Schlaraffenland wird die Faulheit dagegen als Tugend dargestellt. Der perfekte Lebensstil ist es hier, unter einem schattenspendenden Baum zu liegen und ab und zu den Mund zu öffnen, damit einem das Essen in ebendiesen Mund fliegt. Jede Form von Arbeit gilt hier als verpönt.

Zitat
  • Aus dem Umstand, dass mittelmäßige Menschen oft arbeitsam sind und die intelligenten oft faul, kann man nicht schließen, dass Arbeit für den Geist nicht eine bessere Disziplin sei als Faulheit. – Marcel Proust (aus: Tage des Lesens, ISBN 3458344187, S. 41)

[Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Faulheit. -- Zugriff am 2005-11-09]


3.3. Arbeitskult


"Allgemein

Der Arbeitskult bezeichnet die verselbständigte und als höhere Wahrheit verklärte Arbeit, die als soziale Tugend einer „asozialen Lebensweise“ entgegengesetzt wird. Zum Teil stellt hier Kritik Säkularisation überhaupt in Frage. Danach erscheinen Schlüssel der Religion in einem verselbständigten Arbeitsbegriff nur neu formuliert, sowohl im weiteren Sinne einer Heilsvorstellung, als auch im engeren Sinn eines moralischen Rechtfertigungssystems.

Während allgemein der sinnstiftende Wert von Arbeit kaum bestritten wird, befasst sich eine Vielzahl soziologischer und psychologischer Studien, als auch ein unübersehbares polemisches Schrifttum mit der Ablösung von Arbeit vom Wohl des Menschen. Polemisch aber auch mitunter sozialwissenschaftlich gern angeführt wird eine besonders drastische Illustration des Arbeitskults: der Tod durch Überarbeitung; unter ihrer japanischen Bezeichnung „Karoshi“ in die Literatur eingegangen und mit einer nicht unbeträchtlichen Zahl von Todesopfern pro Jahr allein in Japan.

Besonders hat eine andere Kehrseite des Arbeitskultes die Kritik immer wieder angezogen, nämlich die historisch zum Teil grausame Verfolgung „Arbeitsscheuer“. Eine Rolle dabei spielt die Geschichte der Arbeitshäuser. Das Koppeln bürgerlicher Grundrechte an die sogenannte „Leistungsbereitschaft“ ist bis heute eins der fundamentalen sozialen Prinzipien jeder Gesellschaftsordnung. Speziell wird hier der deutschen Sozialgesetzgebung das Unterlaufen des Grundgesetzes durch die Ungleichbehandlung „Arbeitsunwilliger“ vorgeworfen, dessen Rechtmäßigkeit selbst konservative Verfassungsrechtler wie Roman Herzog angezweifelt haben.

Zu den maßgeblichen Werken mit wissenschaftlichen Anspruch rechnen hier die Schriften Max Webers zur Religionssoziologie, Hannah Arendts „Vita activa“ und die Arbeiten von Marx und Engels, deren gesamtes Werk man als eine Kritik entfremdeter Arbeit bezeichnen kann. Bis heute nichts eingebüßt hat die beliebte Polemik „Das Recht auf Faulheit“ von Paul Lafargue und in der Weltliteratur hat es der Held „Oblomow“ des gleichnamigen Romans von Gontscharow bis zur Sprichwörtlichkeit gebracht.

Eine große Zahl von Studien beschäftigt die Umwälzung der Stellung von Arbeit seit dem Mittelalter. Nicht nur von theologischem Interesse dabei ist insbesondere die Problematik des Arbeitsbegriffs in der Rechtfertigungslehre Martin Luthers; eins der sensibelsten Probleme der Reformation und der Geistesgeschichte der Neuzeit.

Historisches

Antike wie Vorantike kannten keinen abstrakten Arbeitsbegriff. Arbeit war prinzipiell immer ein Problem sozialer Stellung. Vor diesem Hintergrund moderner und ungenauer Verallgemeinerung von „Arbeit“ spielt die inzwischen klassisch gewordene Annahme eines ursprünglich negativen Arbeitsbegriffs.

Nietzsches Ausführungen etwa sind plastisches Beispiel moderner Arbeitsethik antiken Begriff entgegen zu halten:

Die Würde der Arbeit ist eine moderne Wahnvorstellung der dümmsten Art. Sie ist ein Traum von Sklaven. … Nur die Arbeit, die vom willefreien Subjekt getan wird, ist würdevoll.“ … „Die Griechen brauchen keine solche klägliche Notbehelfe, bei ihnen spricht sich rein aus, dass die Arbeit eine Schmach sei nicht etwa weil das Dasein eine Schmach ist, sondern im Gefühl der Unmöglichkeit, dass der um das nackte Fortleben kämpfende Mensch Künstler sein könne. Der kunstbedürftige Mensch regiert im Altertum mit seinen Begriffen, während in der neueren Zeit der Sklave die Vorstellungen bestimmt: er der seiner Natur nach alle seine Verhältnisse mit trügerischen glänzenden Namen bezeichnen muss, um leben zu können. Solche Phantome, wie die Würde des Menschen, die Würde der Arbeit sind die dürftigen Erzeugnisse des sich vor sich selbst verbergenden Sklaventums.

Für diese Theorie antiker Arbeitsabwertung zieht man einschlägige, aristokratische Zeugnisse städtischen Lebens über die Banausie heran. So schreibt etwa Xenophon in seinem Oikonomikos:

Die oft banausisch genannten Arbeiten stehen in schlechtem Ruf und werden zurecht verachtet. … Sie beanspruchen den Menschen so sehr, dass er sich weder den Freunden noch dem Staat widmen kann. Solche Menschen sind notwendig schlechte Freunde und schlechte Verteidiger der Heimat.

Aristoteles (Politik):

Als banausische Arbeit, Kunst und Unterweisung fasst man jene auf, die Körper oder Seele … für die Tugend untauglich machen. Darum nennen wir alle Handwerke und Lohnarbeit banausisch, die den Körper in schlechte Verfassung bringt, denn sie macht das Denken unruhig und niedrig.“ … „Der vollkommene Staat wird keine Banausen zu Bürgern machen.

Weiter sollen die etymologischen Wurzeln von „Arbeit“ in verschiedenen Sprachen die ursprüngliche Negativität von Arbeit belegen: Mühsal, Last, Leiden, geplagt sein, Schmerz, krank sein, Keuchen, das Wanken unter einer Last usw. Dabei zeigt etwa die wahrscheinliche Wurzel aus dem germanischen Verb „arbejo“ an, dass hier von „Arbeit“ im modernen Sinn gar keine Rede war, sondern von sozialer Stellung. Ursprünglich stand das indogermanische Wort orbho für arm und das germanische Wort arb für verwaist. Die Synthese „arbejo“ bezeichnete später niedrigsten Rang und meinte soviel wie: „verwaistes und daher zu harter Tätigkeit gezwungenes Kind“. Sozial rechtlose Stellung in Abhängigkeit als Leibeigen oder in sonst irgendeiner Form der Knechtschaft leben müssen war: „Arbeit“.

Ethnologische Studien liefern schwer Belege für eine ursprüngliche Negativität von Arbeit. Feldforschungen über traditionelle Begriffe legen vielmehr eine so tiefe Identifikation mit Arbeit nah, wie mit dem Leben überhaupt.

So berichten E. Fel, T. Hofer in „Bäuerliche Denkweise“ (1972):

Die Arbeit lässt sich schwer vom natürlichen Fluss des Lebens der Familien trennen … Schon das drei- oder vierjährige Kind wird in die Arbeit der Familie einbezogen. Jeder arbeitet fortlaufend bis an sein Lebensende.

Und (dies. in „Proper Peasants.“ 1969):

… für die echten Bauern war Agrarwirtschaft und Arbeit eine Kunst, jenseits des praktischen Nutzens und damit verknüpften Gewinns. Die Befolgung der Regeln dieser „Kunst“ verlieh jedem Sicherheit, Stolz und Achtung innerhalb der Gemeinschaft.

Auf diesen ursprünglichen Stolz verweisen etwa die „Werke und Tage“ des Hesiod, zu ihrer Zeit von großer Bedeutung. Ein Wort des Heraklit von Milet stellt die Wirkung des Hesiod noch über diejenige Homers:„Lehrer aber der meisten ist Hesiod“. Ein anderes, viel späteres Zeugnis ist etwa das athenische Gesetz (Demosthenes 57, 30), welches das Beleidigen eines Bürgers wegen Arbeit auf dem Markt untersagte. Wobei hinzukommt, dass was selbst in der Polis die Geister spaltete, auf dem Land, also bei der großen Mehrheit der Menschen, sich noch ganz anders dargestellt haben kann. Andere Zeugnisse sind etwa „Der Parasit“ des Lukian oder die zweite Epode des Horaz wo es heißt: „Heil dem Mann, der fern dem Handel, dem Urstamm der Sterblichen gleich, das väterliche Feld mit eignen Stieren baut.“ etc.

Die vielfältigen Aufgaben des antiken Bürgers (politeai), der beachtliche Beitrag zur Landesverteidigung, das Ausüben von Ämtern usw., wurden als „freie Rechte“ der „banausischen Arbeit“ gegenübergestellt. Wie wenig aber echter Müßiggang selbst vor Philosophen galt ist leicht etwa bei Platon zu finden:

So lebt er nun in den Tag hinein und überlässt sich den Wünschen, die ihn befallen, bald trunken, von Flöten bezaubert, bald nüchtern bei Wasser und mager geworden, bald übt er Gymnastik, bald lungert er träge und sorgt sich um nichts, bald will er, so scheint es, noch philosophieren. Oft treibt er Politik, springt auf, hält Reden, oder tut was ihm grad einfällt. Er stürzt in den Kampf, wenn irgendwelche Krieger, und ins Geschäft, wenn irgendwelche Händler seinen Ehrgeiz wecken. Keine ordnende Zurückhaltung waltet in seinem Leben, doch süß nennt er und frei es und selig.

Es gibt keinen Hinweis darauf, dass ein solches „in den Tag Hineinleben“ beim gemeinen Volk auf eine andere Meinung als der des Philosophen stieß, welcher sein Leben als ernsthafte politische Arbeit verstand. Der kleinere Bürger dem es einfallen konnte durch „Krankfeiern“ sich der allgemeinen Arbeit zu entziehen fand früh Eindämmung und Kontrolle. Der unter Kleisthenes um 510 v. C. eingeführte Rat der 500 gewährte Bürgern, die wegen Gebrechen das Notwendige nicht selbst erarbeiten konnten, eine tägliche Unterstützung in Form einer kleinen Geldspende, die niedriger lag als der allgemein übliche Tageslohn. Nach Ablauf einer Frist von maximal 36 Tagen wurde nach dem Gesetz erneut eine Prüfung der Arbeitsfähigkeit durchgeführt.

Der Arbeitskult als eine tiefgreifende gesellschaftliche Kraft wird aber historisch erst sichtbar dort, wo zum ersten Mal größere Teile der Bevölkerung von notwendiger Arbeit frei geworden sind. Dies tritt ein mit den politischen Verhältnissen und dem System der Kornverteilung im antiken Rom, besonders am Ende der Republik. Unter dem Volkstribun Gaius Gracchus wurde an mittellose Bürger Roms Getreide verschenkt oder billig verkauft. Gracchus war, nach Mommsen,

ernstlich bemüht, für die sozialen Schäden eine Abhilfe zu finden ... dennoch zog er zugleich durch seine Getreideverteilungen, die für alles arbeitsscheue hungernde Bürgergesindel eine Prämie werden sollten und wurden, ein hauptstädtisches Gassenproletariat der schlimmsten Art absichtlich groß.“ Denn „hier [im hauptstädtischen Wesen] konzentriert sich unvermeidlich ... die fluktuierende Bevölkerung von Vergnügens- und Geschäftsreisenden, die Masse des müßigen, faulen, verbrecherischen, ökonomisch und moralisch bankrotten und eben darum kosmopolitischen Gesindels. ... Schlimmer noch als die Sklavenmassen [mit ihrer von der Unfreiheit unzertrennliche(n) Demoralisation] waren die ... freigegebenen Leute ... nicht mehr Sklaven und doch nicht völlig Bürger ... mit den Ansprüchen freier Männer;“ Mit einem Wort: „die Getreideverteilungen luden das gesamte nahrungslose und arbeitsscheue Bürgerproletariat offiziell ein, seinen Sitz in der Hauptstadt aufzuschlagen. Es war eine arge Saat und die Ernte entsprach ihr. ... Statt zu arbeiten, gaffte der römische Plebejer lieber im Theater; die Schenken und Bordelle hatten [entsprechend] Zuspruch

Verschiedene Historiker nehmen an, dass ein Großteil (bis zur Hälfte) der Einwohner Roms beim Machtantritt Cäsars von Getreidespenden abhängig war und in einem moderne-ähnlichen Sinne arbeitslos. Der Niedergang notwendiger Arbeit setzt hier den vorher verdeckten Arbeitskult frei. Arbeit, als ein planvolles Bewältigen notwendiger Aufgaben, schafft nach einer verbreiteten Sicht den eigentlichen Sinn und Zusammenhang einer Nation. Danach ist der Niedergang notwendiger Arbeit und der Verfall aller Kultur ein enger Zusammenhang und nur durch den Arbeitskult, also das „Arbeiten um seiner selbst willen“ auflösbar. In genau diesem Sinne, so Mommsen weiter:

wirkte Cäsar energisch darauf hin, die Masse des freien Proletariats zu vermindern. Der stehende Zufluss von solchen, die die Getreidespenden nach Rom führten, ward durch Verwandlung derselben in eine auf eine feste Kopfzahl beschränkte Armenversorgung wenn nicht ganz verstopft, doch sehr wesentlich beschränkt.“ Die Gerichte hatten „mit unnachsichtlicher Strenge gegen das Gesindel einzuschreiten“, andere bildeten weitgehend die „80000 Kolonisten, die Cäsar in den wenigen Jahren seiner Regierung über das Meer führte“, dafür eröffneten die umfangreichen Bau-Projekte jener Zeit – Tempel- und Straßenbau, Flussregulierung, Sumpfaustrocknung, Ausbau der Stadt – „dem Proletariat eine Quelle schmalen, aber ehrlichen Erwerbes.

Nach Meinung vieler Autoren soll erst das frühe, spätestens aber das neuzeitlich-protestantische Christentum Träger der Umdeutung von Arbeit zu einem positiven Ideal gewesen sein. Danach entwickelte vor allem die mönchische Bewegung einen Arbeitskult, wie in der Regel Benedikts formuliert und von den Reformbewegungen, vor allem der zisterziensischen, erneuert. Sodann der Protestantismus, besonders in seiner calvinistischen Form.

Die Zeugnisse der Kirchenväter werden immer wieder als der Ursprung abendländischen Arbeitskults genannt. Augustinus etwa sagt:

Also, meine Brüder, lasst uns singen, nicht zum Vergnügen bei der Erholung, sondern zur Entlastung bei der Arbeit. So wie Wanderer zu singen pflegen; singe, aber marschiere: Lindere deine Strapaze durch den Gesang, liebe nicht die Trägheit: Singe und marschiere! Was heißt das: Marschiere? Mach Fortschritte, im Guten schreite voran!” Aber eben: „Der Sinn von all dem ist: Niemand möge bei seiner Arbeit auf eigenen Vorteil halten, sondern alles geschehe im Dienst der Gemeinschaft, und zwar mit mehr Eifer und größerer Begeisterung, als zum eigenen Nutzen. Denn über die Liebe steht geschrieben, dass sie nicht ihren Vorteil sucht, das heißt: Sie stellt das Interesse Aller über das eigene und nicht umgekehrt.“ Arbeit war im klassischen Klosterleben kein Selbstzweck. Ihr Hintergrund ist die Relativierung aller weltlicher sozialer Stellung und darum der Aufgabe privaten zugunsten Gemeinbesitzes: „Hieraus folgt, [so Augustinus weiter] dass ein Mitbruder, der von seinen Eltern oder Angehörigen Kleidungsstücke oder andere notwendige Dinge bekommen hat, diese nicht heimlich für sich selbst zurückbehalten darf. Er muss sie dem Oberen zur Verfügung stellen. Einmal gemeinsamer Besitz geworden, soll der Obere diese Dinge demjenigen geben, der sie nötig hat.

Reflektiert klerikales Schrifttum weltliches Treiben, wie die mittelalterlich-klerikale Hofkritik, fällt ein ganz anderes Licht auf die Stellung und Achtung der Arbeit. Ein Beispiel sei die außergewöhnliche Jagdleidenschaft Heinrich II von England (gest. 1189) und dessen Umwandlung von etwa einem Drittel Englands in Forst. Johannes von Salisbury schreibt dazu:

Bauern werden von ihren Feldern ferngehalten, damit die wilden Tiere frei weiden können. Um den Weidegrund für diese noch zu erweitern, werden den Bauern ihre Saatfelder weggenommen, den Pächtern ihre Grundstücke, den Rinder- und Schafhirten ihre Weiden.

Auf Verstöße gegen die Jagdrechte von Hof und Adel standen schwerste Strafen und bringen staatliche Haltung zum Ausdruck, die erst im Zuge der sozialen Umwälzungen der Aufklärung durchgreifend angepasst werden musste. Ausdruck dieser ehrlosen Stellung „ehrlicher Arbeit“ wurden im Ausklang des Mittelalters maßgeblich die Bauernkriege und die mit den Erhebungen der Bauern tief korrespondierende Reformation.

Die Evangelien, also die ideal-moralische Grundlage von Mittelalter und Neuzeit, kannten Arbeit nur in der Form, dass man sie, um der Wahrheit zu folgen, zurücklassen musste, wie die Abberufung der Fischer zu „Menschenfischern“ im Gleichnis illustriert. Ihre gesamte Konzeption ist arbeitsfeindlich und wesentlich ein Verwerfen a l l e r menschlichen Werke vor Gott. Sie konnten Luther für seine Auslegung im Sinne der Arbeit weder inspiriert haben noch dienen. Darum greift er an dieser entscheidenden Stelle auf das 1. Buch Mose zurück und kehrt auf erstaunliche Weise was Strafe ist in Gebot um. Luther selbst war die Paradoxie seiner Lehre bewusst:

Gott gibt nicht auf Grund deiner Arbeit oder um deiner Arbeit willen Erfolg, genau so wenig wie er die Müßiggänger ohne Arbeit reich machen will, sondern man muss arbeiten, und dennoch soll man alles Gott überlassen und ihm anvertrauen, der den Segen gibt. Unser Text‚ ist ein Text, der scheinbar eine Irrlehre enthält (haereticus textus). Denn er scheint freilich so zu klingen, als verbiete er die Arbeit im Gegensatz zu dem Wort 1. Mose 3,19: “Im Schweiße deines Angesichtes sollst du dein Brot essen”… An unserer Stelle scheint das Gegenteil gesagt zu werden … Arbeit, Früh Aufstehen, Sich-Sorge-Machen sei umsonst, obwohl doch an anderen Stellen Müßiggang und Trägheit verdammt werden. So ergibt sich folgende merkwürdige Sachlage: will man arbeiten, dann verdammt uns die Schrift. Ruhen wir dagegen, so verdammt sie uns gleichfalls. … Antwort: Triff eine Unterscheidung zwischen Glauben und Werken oder zwischen Geist und Fleisch. Mit dem Herzen musst du auf Gott vertrauen und Gott anrufen. Hast Du geheiratet oder bist du in den Staatsdienst ausgerückt … musst du arbeiten und den alten Menschen üben, dass du früh aufstehst, dich spät schlafen legst, d.h. dass du dir nach dem alten Menschen sorgfältig überlegst, wie du dir den Lebensunterhalt beschaffst, den Staat regierst, Gesetze verfasst, Abwehr- und Befestigungswerke anlegst. … Aber das alles … so, dass das Herz davon los und ledig bleibt.

Die noch eben als Inbegriff des Falschen bekämpfte Werkgerechtigkeit des Klerus, kehrt bei Luther als Heilspringpunkt zurück in dem Moment, wo sie als weltlicher Beruf verkleidet auftritt. (Luther macht in diesem Sinne weltlichen Beruf zur „vocatio“ - „Berufung“). Fixpunkt und Partei solcher Auslegung war die traditionelle Familie und der einfache kleine Mann der ehrlich arbeitet und um die Früchte seiner Arbeit sich betrogen fühlt. Dessen Lebensmittelpunkt, die einfache Arbeit, als Bauer, Handwerker, Soldat oder sonst als Staatsdiener, sollte durch die Exegese unangetastet bleiben, wobei, anders als bei den Kirchenvätern, der alte „haereticus textus“ (s. O.) und die verdammte Werkgerechtigkeit notwendig wieder herauskam. Luthers hiermit genau zusammenhängende Lehre vom allgemeinen Priestertum widerspiegelt aber eben weniger ein abstraktes „Umdenken“ über Arbeit, als eine Revolution im Ständebewusstsein. Luther schreibt

:„Man hats erfunden, dass Papst, Bischöfe, Priester und Klostervolk der geistliche Stand genannt wird, Fürsten, Herrn, Handwerks- und Ackerleute der weltliche Stand. Das ist eine sehr feine Erdichtung und Trug. Doch soll niemand deswegen schüchtern werden, und das aus dem Grund: alle Christen sind wahrhaftig geistlichen Standes und ist unter ihnen kein Unterschied außer allein des Amts halber …“ O.G. Oexle dazu:„Die Frage der Arbeit ist in den Gesellschaften der Vormoderne grundsätzlich mit dem Thema der ständischen „Ehre“ verknüpft; und darin haben sich fundamentale Wandlungen vollzogen.

Im Zuge der einsetzenden Arbeitsteilung und der Bildung der Städte seit dem 11. Jhd, der Formierung der Zünfte, zu denen sich selbst soziale Randgruppen wie fahrende Künstler und selbst Bettler zusammenschlossen, geriet die soziale Konstruktion der Leibeigenschaft zunehmend unter Druck. Aus dem Volksmund jener Zeit stammt das Wort:„Stadtluft macht frei.“ Es bezieht sich auf die (für die antike Sklaverei unvorstellbare) Möglichkeit, dass in die Stadt geflüchtete Leibeigene nach einem Jahr frei werden konnten. Entscheidend durch die allmähliche Ausweitung bürgerlicher Rechte entstand somit zum ersten Mal in der Geschichte eine Klasse von „Arbeitsscheuen“ und damit

 „eine dreifache Kategoriebildung: die Unterscheidung von Menschen die arbeiten, von jenen Menschen, die zwar arbeitswillig, aber nicht arbeitsfähig waren, und - schließlich und vor allem – die Unterscheidung dieser beiden Gruppen von jenen Menschen, die als arbeitsfähig galten, denen aber ein Mangel an Arbeitswillen unterstellt wurde. Diese Unterscheidungen wurden zu einem großen Thema der spätmittelalterlichen Gesellschaft. Sie führten zu einer zunehmenden Kontrolle der Armut im Zeichen der Arbeit“ (Oexle in „Arbeit, Armut, „Stand“ im Mittelalter“)

Die Unterscheidung in „würdige Arme“ und „unwürdige Arme“, bzw. „Arbeitsunfähige“ und „Arbeitsunwillige“ verdrängte zunehmend die Maßnahmen gegen „Faulheit“, die in Sklaverei und Leibeigenschaft noch weitgehend Recht und Privatsache des Menschen-Besitzers und seiner Handlanger waren. In staatliche Handhaben umgewandelt wurden sie zu Bettellizenzen, Armenhäusern oder zum Scharfrichter. Karl Marx nimmt zum Beispiel ein Gesetz aus der Regierung Heinrichs VIII (1530):

 „Alte und arbeitsunfähige Bettler erhalten eine Bettellizenz. Dagegen Auspeitschung und Einsperrung für handfeste Vagabunden. Sie sollen an einen Karren hinten angebunden und gegeißelt werden, bis das Blut von ihrem Körper strömt, dann einen Eid schwören, zu ihrem Geburtsplatz oder dorthin, wo sie die letzten drei Jahre gewohnt, zurückzukehren und „sich an die Arbeit zu setzen“ (to put himself to labour). … Bei zweiter Ertappung auf Vagabundage soll die Auspeitschung wiederholt und das halbe Ohr abgeschnitten, bei drittem Rückfall aber der Betroffne als schwerer Verbrecher und Feind des Gemeinwesens hingerichtet werden. “ Wenig anders ging es zu unter Elisabeth, 1572: „Bettler ohne Lizenz und über 14 Jahre alt sollen hart gepeitscht und am linken Ohrlappen gebrandmarkt werden, falls sie keiner für zwei Jahre in Dienst nehmen will; im Wiederholungsfall, wenn über 18 Jahre alt, sollen sie - hingerichtet werden, falls sie niemand für zwei Jahre in Dienst nehmen will, bei dritter Rezidive aber ohne Gnade als Staatsverräter hingerichtet werden. “ Oder unter Jakob 1.: „Eine herumwandernde und bettelnde Person wird für einen Landstreicher und Vagabunden erklärt. Die Friedensrichter in den Petty Sessions sind bevollmächtigt, sie öffentlich auspeitschen zu lassen und bei erster Ertappung 6 Monate, bei zweiter 2 Jahre ins Gefängnis zu sperren. Während des Gefängnisses soll sie so oft und soviel gepeitscht werden, als die Friedensrichter für gut halten ... Die unverbesserlichen und gefährlichen Landstreicher sollen auf der linken Schulter mit R gebrandmarkt und an die Zwangsarbeit gesetzt, und wenn man sie wieder auf dem Bettel ertappt, ohne Gnade hingerichtet werden. … Noch in der ersten Zeit Ludwigs XVI. (Ordonnanz vom 13. Juli 1777) sollte jeder gesund gebaute Mensch vom 16. bis 60. Jahr, wenn ohne Existenzmittel und Ausübung einer Profession, auf die Galeeren geschickt werden.


Abb.: Reichsarbeitsdienstführer Konstantin Hierl besucht Arbeitsmänner des Reichsarbeitsdienstes, die zur Arbeit im Generalgouvernement eingesetzt sind, 1941
 

In seiner höchsten Form ausgebildet erscheint der Arbeitskult im totalitären Staat, insbesondere im Nationalsozialismus. Die Verselbständigung von Arbeit zeigt im NS besonders ihre unmenschliche Kehrseite in der „Vernichtung durch Arbeit“ oder der Vernichtung „unwerten Lebens“. Nur in dieser radikalen Form des Arbeitskultes konnte ein Begriff wie „Menschenmaterial“ zum offiziellen Propagandabegriff werden. Die gewaltigen nationalen Arbeitsanstrengungen wie dem ersten (hauptsächlich propagandistischen) Autobahnbau oder dem Bau des Westwalls, national organisierter Körper- und Wehrertüchtigung, dem Kult der Technik, bis hinein in die Ausrichtung aller Ästhetik und Kunst auf die Verklärung von Gesundheit, Schaffensfreude, Fortschritt und Leistung, hatten ihren ideologischen Grund in der Bindung der Menschenwürde an das Leistungsprinzip.

Die Studien zum Nationalsozialismus liefern, wenn auch keinen Konsens so eine Fülle von Material dafür, den vom Humanismus abgetrennten Arbeitsbegriff als Kern nationalsozialistischer Ideologie zu betrachten. Adolf Hitler lässt in „Mein Kampf“ keinen Zweifel worauf das Vorrecht der „arischen Rasse“ sich gründen soll, nämlich auf ihrem Begriff von Arbeit:

 „Den gewaltigsten Gegensatz zum Arier bildet der Jude. … Wären die Juden auf dieser Welt allein, so würden sie … in Schmutz und Unrat ersticken … Es ist also grundfalsch, aus der Tatsache des Zusammenstehens der Juden im Kampfe, richtiger ausgedrückt in der Ausplünderung ihrer Mitmenschen, bei ihnen auf einen gewissen idealen Aufopferungssinn schließen zu wollen. … Nein, der Jude ist kein Nomade; denn auch der Nomade hatte schon eine bestimmte Stellung zum Begriffe Arbeit … er [der Jude] war deshalb auch kein Nomade, sondern immer nur Parasit im Körper anderer Völker. … Die ersten Juden sind nach Germanien im Verlaufe des Vordringens der Römer gekommen, und zwar wie immer als Händler. … In seiner tausendjährigen händlerischen Gewandtheit ist er den noch unbeholfenen, besonders aber grenzenlos ehrlichen Ariern weit überlegen“ usw.

Diese Kernkonstruktion des NS aus verselbständigter Arbeit war die Grundlage für verschiedene Maßnahmen, das gesamte Land in eine geschlossene Arbeitsfront zu verwandeln, wobei auf den tiefen Zusammenhang von Arbeits- und Kriegsästhetik vielfach hingewiesen worden ist. Eine dieser Maßnamen war die „Aktion Arbeitsscheu Reich“. Wegen „Asozialität“ in „Schutzhaft“ kamen:

Bettler, Landstreicher, Zigeuner, Landfahrer, Arbeitsscheue, Müßiggänger, Prostituierte, Querulanten, Gewohnheitsverbrecher, Raufbolde, Verkehrssünder und sogenannte Psychopathen und Geisteskranke“.

Als „arbeitsscheu“ galt aber auch, wer trotz ärztlich bescheinigter

Einsatzfähigkeit ... in zwei Fällen ... die angebotenen Arbeitsplätze ohne berechtigten Grund abgelehnt oder die Arbeit zwar aufgenommen, aber nach kurzer Zeit ohne stichhaltige Gründe wieder aufgegeben“ hatte.

 Die bei dieser Aktion ermittelten „Arbeitsscheuen“ kamen in Konzentrations- bzw. Arbeitslager. Dort stand auf Arbeitsverweigerung die Todesstrafe.


DDR-spezifisch

Durch die Aufhebung der Konkurrenz in der Planwirtschaft bekam in den Staaten des Ostblock der sozialistische Wettbewerb eine Schlüsselfunktion. Hinter diesem „Wettbewerb“ und dem „Recht auf Arbeit“ stand die allgemeine Arbeitspflicht für jeden Bürger:„ Gesellschaftlich nützliche Tätigkeit ist eine ehrenvolle Pflicht für jeden arbeitsfähigen Bürger“ (Art. 24 der Verfassung der DDR). Der sozialistische Arbeitskult, von der Kunst des sozialistischen Realismus verklärt, stellte die Tugenden eines “Helden der Arbeit“ einem „Element“ gegenüber, das strafrechtlich allein auf Grund von Nichtarbeit verfolgt werden konnte. Rechtsrundlage der Verfolgung war der § 249 StGB „Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit durch asoziales Verhalten“. Danach wird derjenige, der „das gesellschaftliche Zusammenleben der Bürger oder die öffentliche Ordnung und Sicherheit beeinträchtigt, indem er sich aus Arbeitsscheu einer geregelten Arbeit entzieht“, mit Freiheitsstrafe bis zu 2 im Wiederholungsfall bis zu 5 Jahren. Die Einstufung als „potentielle Straftäter“ regelten speziell modifizierte Polizeigesetze. Dabei kam der berüchtigten Auflage der „Arbeitsplatzbindung“ eine Schlüsselstellung zu, durch welche „Fehlschichten“ zu Straftatbeständen wurden und gerichtlich verfolgt werden konnten. Dem entsprach die Gestaltung des Strafvollzugs als Wirtschaftsfaktor, mittels drastischer Unterbezahlung bei erhöhten Normen. Speziellen Strafen bei Normunterschreitungen, wie der Einzelarrestierung in Isolationstrakten, stand auf der anderen Seite, bei entsprechender Arbeit, der Genuss von „Vergünstigungen“ entgegen. Im Gegensatz zu den politischen Prozessen unter striktem Ausschluss der Öffentlichkeit, war die Aburteilung „asozialer Elemente“ beliebtes Tagesziel und Lernprogramm im Rahmen der Vorbereitungen zur Jugendweihe.


BRD-spezifisch

Maßgeblich aufgrund der Erfahrung des Nationalsozialismus ist heute das Grundgesetz der Bundesrepublik, auch im Vergleich mit anderen modernen Verfassungen, eine besonders radikale Einschränkung des Arbeitskultes auf eine persönliche Anschauung. Mit dem Prinzip der Menschenwürde, welche der Staat jedem ohne Gegenleistung garantiert, nimmt der Staat eine Reihe von Verpflichtungen auf sich, was einer Wertekonstitution durch Leistung fundamental widerspricht. Die sich aus der Konzeption der Menschenwürde ergebenden Leistungsansprüche des Einzelnen an den Staat, etwa das Recht auf ärztliche Grundversorgung, Wohnraum usw., sind eine ständige Quelle politischer Konflikte, welchen eine unklare Gesetzeslage entspricht. Im Konflikt mit dem Grundgesetz konfrontiert die hier regelnde Sozialgesetzgebung (siehe auch Sozialstaatsprinzip) den „Leistungsbezieher“ mit dem so bezeichneten „Nachranggrundsatz“, bzw. mit einer Ausdehnung des Nachranggrundsatzprinzips auf eine objektive „Leistungsbereitschaft“. Das widerspricht der verfassungsrechtlichen Schlüsselkonzeption der Gewissensfreiheit. Diesen Konflikt zwischen Verfassung und Gesetz entschärfen einerseits, andererseits verkomplizieren eine Reihe z. T. gegensätzlicher Urteile von Verwaltungsgerichten verschiedener Bundesländer unterschiedlicher Rangordnung. Bis heute fehlt eine maßgebliche Entscheidung des Verfassungsgerichts über den „Nachranggrundsatz“, bzw. über das in diesem Zusammenhang diskutierte Bürgergeld.

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Zitate

  • Sozial ist, was Arbeit schafft. “ Wahlwerbespruch der CDU-CSU im Wahlkampf 2005
  • Jede Arbeit ist besser als keine Arbeit“ - Bill Clinton 1998
  • Es gibt kein Recht auf Faulheit
  • Arbeit schändet nicht, die Trägheit aber entehrt uns.“; „Die Arbeitenden sind den Unsterblichen lieber.“ - (Hesiod, Werke und Tage)
  • Arbeit um der Arbeit willen ist gegen die menschliche Natur.“ – John Locke, „Über den menschlichen Verstand“
  • Dumm sein und Arbeit haben, das ist das Glück.“ - Gottfried Benn
  • Ein Mensch, der um anderer willen, ohne dass es seine eigene Leidenschaft, sein eigenes Bedürfnis ist, sich um Geld oder Ehre oder sonst etwas abarbeitet, ist immer ein Tor.“ - Johann Wolfgang von Goethe, in “Die Leiden des jungen Werther, Brief vom 20. Julius“
  • Nur in einem Trieb sind wir stark, ohne nach dem Wohin und Wozu zu fragen - in der Arbeit.“; *„Wir arbeiten um der Arbeit willen, weil uns das Talent zum Glück fehlt.“ - Friedrich Sieburg, Die Lust am Untergang, 1954
  • Sechs Stunden sind genug für die Arbeit; die anderen sagen zum Menschen: lebe!“ - Lukian von Samosata, Sentenzen
  • Wir leben in einem Zeitalter der Überarbeitung und der Unterbildung, in einem Zeitalter, in dem die Menschen so fleißig sind, dass sie verdummen.“ - Oscar Wilde
  • Der Hang zur Gemächlichkeit ist für den Menschen schlimmer als alle Übel des Lebens. Es ist daher äußerst wichtig, dass Kinder von Jugend auf arbeiten lernen.“ - Immanuel Kant"

[Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Arbeitskult. -- Zugriff am 2005-11-17]


4. Motivationen, zu arbeiten


"In einem Betrieb der Bekleidungsindustrie haben wir einige Mitarbeiterinnen gefragt, warum sie arbeiten. Die eine möchte „viel verdienen", die andere „etwas lernen, was sie auch später — wenn sie nicht mehr berufstätig ist — im Haushalt gebrauchen kann", wieder eine andere möchte „sich mehr Luxus leisten können". ...
 


Abb.: Arbeiterin in der Bekleidungsindustrie.

Die in [der] Abbildung an einem Knopflochautomaten gezeigte Arbeiterin ist gelernte Herrenschneiderin. Da sie auch mit den übrigen Maschinen des Betriebes umgehen kann, wird sie immer dort eingesetzt, wo gerade eine Lücke ist. „Hauptspringerin" nennt man diese Stellung. Sie ist verheiratet und arbeitet, weil es ihr „Spaß" macht. Vielleicht gibt sie damit ein Motiv an, das in einem vom Presse- und Informationsamt der Bundesregierung (1966) herausgegebenen Bericht genannt wird, den Wunsch nämlich, „an dem allgemeinen zivilisatorischen Fortschritt teilnehmen zu können"."

[Quelle: Hofstätter, Peter Robert <1913 - 1994> ; Tack, Werner H.: Menschen im Betrieb : Zur Sendung Rädchen Im Getriebe. -- Stuttgart : Klett, 1967. -- 178 S. : Ill. ; 22 cm. -- S. 85.]


Deutschland-spezifisch
Abb.: Berufliche Motivation für Wirtschaftsstudenten der Universität Köln, 1989


[Bildquelle: Wiswede, Günter: Einführung in die Wirtschaftspsychologie. -- 3., überarbeitete und erweiterte Aufl.. -- München ; Basel : E. Reinhardt, 2000. -- 379 S. : graph. Darst. ; 25 cm. -- (UTB für Wissenschaft ; 8090). -- ISBN 3-8252-8090-X. -- S. 179. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen}]


Abb.: Erwartungen an das Berufsleben / IG Metall Zukunftsreport, 2001

[Bildquelle: Klaus Kock ; Edelgard Kutzner. -- In: Handbuch Betriebsklima / Uta-Maria Hangebrauck ... (Hg.). -- München [u.a.] : Hampp, 2003. -- 265 S. : Ill., graph. Darst. ; 21 cm. -- ISBN 3-87988-771-3. -- S. 14. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen}]


5. Instrumente der Mitarbeitermotivation
(incentives)


"Bei der Klassifikation der Motive, die für das Arbeitsverhalten ausschlaggebend sind, wird meist nach dem Aspekt »Orientierung« (Thomae, 1965) differenziert, d.h. danach, auf welche inhaltlichen Ziele die Motivation ausgerichtet ist. Im »homo-oeconomicus-Modell« galt als einziges Arbeitsmotiv das Bedürfnis nach Geld, das wiederum aus existenzieller Notwendigkeit erklärt wurde. Die Unhaltbarkeit eines derart simplifizierten Bildes vom arbeitenden Menschen wird inzwischen allgemein gesehen; umfangreiche Listen arbeitsrelevanter Motive wurden mehrfach publiziert. Die relative Willkür und Beliebigkeit dieser Listen ist unübersehbar, sodass ihr Wert sich eigentlich nur daraus ergibt, dass sie Hinweise für die Gestaltung betrieblicher Anreize enthalten. Daher seien - als Beispiele -drei solcher Listen wiedergegeben.

Vroom (1964) differenziert wie folgt:

  • Arbeit bietet Geld im Austausch für Leistungen,
  • Arbeit ermöglicht Abfuhr von geistiger und körperlicher Energie,
  • Arbeit ermöglicht einen Beitrag zur Produktion von Gütern und Dienstleistungen,
  • Arbeit ermöglicht soziale Interaktion,
  • Arbeit definiert - zumindest teilweise - den sozialen Status.

Rüttinger, v. Rosenstiel und Molt (1974) gliedern in:

  • Extrinsische Arbeitsmotive (die durch die Folgen oder die Begleitumstände der Arbeit befriedigt werden können):
    • Bedürfnis nach Geld,
    • Inhaltlich spezifizierbare Konsumbedürfnisse,
    • Sicherheitsbedürfnisse,
    • Geltungsstreben,
    • Kontaktbedürfnis (soweit mit Kollegen außerhalb der Arbeitssituation zu befriedigen) und
    • Sexualität;
  • Intrinsische Arbeitsmotive (die durch den Vollzug der Arbeitstätigkeit befriedigt werden können):
    • Bedürfnis nach Tätigkeit,
    • Kontaktbedürfnis (soweit innerhalb der Arbeitstätigkeit zu befriedigen),
    • Leistungsmotivation,
    • Machtbedürfnis und
    • Bedürfnis nach Sinngebung und Selbstverwirklichung.

Neuberger (1974) schlägt in Anschluss an Vroom (1964) und Sofer (1970) folgende Klassifikation vor:

  • Beitrag für andere leisten (»Berufsethos«),
  • Selbstsicherheit und Selbstachtung,
  • Kontaktmöglichkeit,
  • Arbeit als soziale Norm,
  • Abfuhr von Energie,
  • Strukturierung des Zeitablaufs,
  • Abwehr belastender Gefühle und Gedanken,
  • Möglichkeit, persönliche Ziele zu erreichen, und
  • religiöse Verpflichtung (»protestantische Ethik«)."

[Quelle: Rosenstiel, Lutz von <1938 - >: Grundlagen der Organisationspsychologie : Basiswissen und Anwendungshinweise. -- 5., überarb. Aufl. --Stuttgart : Schäffer-Poeschel, 2003. .. XIV, 539 S. : Ill.. ; 19 cm. -- (Sammlung Poeschel ; 95). -- ISBN 3-7910-9236-7. -- S. 390f. --  {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen}]

Instrumente der Mitarbeitermotivation nach Wöhe:

[Quelle: Wöhe, Günter <1924 - > ; Döring, Ulrich: Einführung in die allgemeine Betriebswirtschaftslehre. -- 22., neubearb. Aufl. -- München : Vahlen,  2005. --  XXXVI, 1220 S. : Ill. ; 23 cm. -- (Vahlens Handbücher der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften). -- ISBN 3-8006-3254-3. -- S. 172. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen}]

In den USA spricht man auch von long-term incentives, d. h. langfristige am nachhaltigen Unternehmenserfolg orientierte Anreize, wie z.B. Aktienoptionen.

Sehr viele Gedanken darüber, wie er seine Mitarbeiter motivieren kann, hat sich Reinhold Würth für seine Firma gemacht. Es geht vom leistungsorientierten Gehaltssystem über die Qualität der zur Verfügung gestellten Autos bis zu Nah-. und Fernreisen. Wichtig ist dabei aber immer das persönliche Anerkennen der Leistung durch den Firmenchef. (s. das folgende Beispiel)


5.1. Zum Beispiel: Reinhold Würth (Adolf Würth GmbH & Co. KG)



Abb.: Umschlagtitel

Zu Reinhold Würth siehe:

Payer, Margarete <1942 - >: Kulturen von Arbeit und Kapital. -- Teil 3: Kapitaleignerkulturen. -- 2. Unternehmer. -- URL: http://www.payer.de/arbeitkapital/arbeitkapital0302.htm

"Information und Leistungsanreiz - Mitarbeitermotivation

Reinhold Würth weiß, „erfolgreiche Mitarbeiter sind zufrieden, zufriedene Mitarbeiter sind erfolgreich." 255 Um den Leistungsgedanken zu fördern, wurden daher in den siebziger Jahren eine Vielzahl von unterstützenden Maßnahmen ergriffen. Im Oktober 1978 führte man den „Club der 80.000-DM-Männer" ein, eine Maßnahme, die anfangs belächelt wurde, aber bis heute eine erfolgreiche Fortsetzung im „Erfolgs-Club" und „Top-Club" der Spitzenverkäufer fand. Ebenfalls 1978 wurde eine leistungsbezogene Vergabe der Firmenwagen eingeführt. Die Erfolge eines Verkäufers ließen sich nun am Auto ablesen, in dem er bei den Kunden vorfuhr.

Der Firmenchef war sich dessen bewusst, dass die Starverkäufer Stimmungsmacher im Außendienst sind. Daher lud er die 100 besten Verkäufer mit ihren Ehefrauen im Dezember 1978 zu einer Jahresschlusskonferenz nach Sonthofen ein und bat sie um Mithilfe bei der Verbesserung des Leistungsstandes im Außendienstes. Für gute Leistungen wurden Anerkennungsschreiben und Prämien eingeführt. Unterstützend wurden Sonderverkaufsaktionen sowie Anfang 1979 eine Würth Punkte-Rallye durchgeführt. Hier konnten Umsatzpunkte gesammelt werden, Verkäufer, die 300 Punkte erreichten, bekam eine ,Ente', den legendären Citroen 2 CV Allerdings musste man bei Würth erst Erfahrungen im Umgang mit Incentives sammeln, bevor dieses System zur Zufriedenheit etabliert war. Verkaufsleiter Karl Specht musste zu Anfang gelegentlich feststellen, dass Umsatzzahlen auf Kosten der Kunden geschönt worden waren, um Erfolgspunkte zu sammeln. Infolgedessen stieg die Reklamationsrate im Unternehmen. Insgesamt konnte der Umsatz 1979 jedoch um 17 Prozent gesteigert werden.

Neben der Verbesserung von Leistungsbereitschaft und Motivation der Außendienstmitarbeiter bemühte man sich auch um einen verbesserten Informationsfluss bei der Adolf Würth KG. Ab Juli 1978 wurden zu diesem Zweck die Bezirksleiter jeweils für zwei Wochen nach Künzelsau eingeladen, um ihnen einen Einblick in die komplexe Tätigkeit der Zentrale zu vermitteln. Außerdem sollte nun jeder Geschäftsführer der Adolf Würth KG eine Patenschaft über zwei bis drei Verkaufsbezirke übernehmen, eine Maßnahme, an der sich auch Reinhold Würth beteiligte. Ab Februar 1979 wurde dann monatlich ein „Intern-Brief", die vertraulichen Mitteilungen der Geschäftsleitung für die Würth-Mitarbeiter im Außendienst, herausgegeben. Und im Herbst 1978 und Frühjahr 1979 führten Reinhold Würth und Karl Specht im gesamten Bundesgebiet Distrikt-Konferenzen durch, um die Außendienstmitarbeiter mit der Strategie der Geschäftsleitung vertraut zu machen. Die deutlich verbesserte Präsenz der Geschäftsleitung und Verkaufsleitung gegenüber dem Außendienst führte auch zu einer Aktivierung der Verkaufsleiter. Es entstand ein engerer Kontakt zwischen der Führungsebene und den Verkäufern.

Verbessert wurde auch die Betreuung neuer Mitarbeiter, die oft noch zu wünschen übrig ließ. Ihre Einarbeitung verlief nach Ansicht Karl Spechts nicht optimal, was mit zur Fluktuation beitrug. Daher wurde für jeden neuen Mitarbeiter ein Einarbeitungsplan über drei Monate entworfen.

All diese Maßnahmen entfalteten ihre Wirkung und führten zu einem Stimmungsumschwung im Außendienst. Das Vertrauen der Mitarbeiter wuchs, wie auch Umfragen bei den Verkäufern zeigten."

[Quelle: Grau, Ute ; Guttmann, Barbara: Reinhold Würth  : ein Unternehmer und sein Unternehmen. -- Künzelsau : Swiridoff, 2005. -- 335 S. : Ill. ; 24 cm + 1 CD. -- ISBN: 3-89929-057-7. -- S. 133 - 135. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen}]

"Guter Lohn für gute Arbeit

Eine der Voraussetzungen, um gute Verkäufer zu gewinnen und zu halten, ist eine attraktive Entlohnung. Das Management muss ein Einkommensniveau festlegen, das dem Marktwert des Verkäufers gerecht wird. Dies ist keine einfache Aufgabe und sie ist nur dann gut zu lösen, wenn der Arbeitsmarkt für Verkäufer relativ transparent ist. Nachdem man Mitte der siebziger Jahre zunächst für Außendienstmitarbeiter Festgehälter eingeführt, damit aber schlechte Erfahrungen gemacht hatte, hat man sich für ein stark leistungsorientiertes Gehaltssystems entschieden. Die Bezahlung setzte sich nun aus einem festen Grundgehalt sowie leistungsbezogenen Komponenten zusammen. Jeder Außendienstmitarbeiter erhielt abhängig von der Dauer seiner Firmenzugehörigkeit ein Festgehalt. Dieses konnte er durch Provisionszahlungen, bemessen an tatsächlich erbrachten Verkaufsaufträgen, aufstocken. Besonders gute Leistungen wurden durch zusätzliche Leistungsprämien belohnt.[...]

Die Reisen, an denen auch (Ehe)Partner/innen teilnehmen können, sind für viele Mitarbeiter Höhepunkte im Arbeitsleben. Da sie gemeinsam mit den anderen Mitgliedern der Clubs aus dem gesamten Würth-Gruppe unternommen werden - oft war auch Reinhold Würth selbst dabei -, stärken sie das Zugehörigkeits- und Zusammengehörigkeitsgefühl der Spitzenkräfte im Unternehmen.[...]

Erfolgreiche Verkäufer erhalten nicht nur Prämien, sie werden mit der Aufnahme in den Erfolgs- oder Top-Club oder der Goldenen Ehrennadel mit und ohne Brillanten ausgezeichnet, darüber hinaus können sie im Rahmen des Würth-Karrieremodells Weiterbildungsseminare besuchen, Aufgaben in der Neuverkäufer-Ausbildung übernehmen oder ins Management des Außendienstes aufsteigen. Reinhold Würth erachtete es darüber hinaus immer für besonders wichtig, den Verkäufern ausdrücklich seinen Dank auszusprechen, wenn sie besondere Leistungen vollbracht haben - und zwar nicht als lästige Pflichtübung, sondern als ehrliche Anerkennung."

[Quelle: Grau, Ute ; Guttmann, Barbara: Reinhold Würth  : ein Unternehmer und sein Unternehmen. -- Künzelsau : Swiridoff, 2005. -- 335 S. : Ill. ; 24 cm + 1 CD. -- ISBN: 3-89929-057-7. -- S. 200f. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen}]


6. Motivation aus der Arbeit


6.1. Arbeitsinhalte



Abb.: Bilderrätsel: "Das Werk lobt den Meister". -- Liebig's Sammelbilder, 1892

Opus commendat artificem. — Das Werk lobt den Meister

Ecclesiastes (Vulgata) 9, 24

Fest gemauert in der Erden
Steht die Form, aus Lehm gebrannt.
Heute muss die Glocke werden,
Frisch, Gesellen, seid zur Hand.
Von der Stirne heiß
Rinnen muss der Schweiß,
Soll das Werk den Meister loben,
Doch der Segen kommt von oben.


Friedrich Schiller (1759–1805): Das Lied von der Glocke, 1799

Eine "handwerkliche Einstellung" ist einer der höchsten Motivatoren überhaupt: etwas um seiner selbst willen gut machen und sich am gelungenen Produkt freuen. Dass z.B. manche große Software-Firmen den Programmierern nicht genügend Zeit lassen, handwerklich gut zu programmieren, führt bei manchen gut ausgebildeten Programmierern zur Frustration und innerer Emigration.


6.2. Verantwortung
(responsibility)


Siehe:

Payer, Margarete <1942 - >: Kulturen von Arbeit und Kapital. -- Teil 1: Betriebs- und Unternehmenskulturen. -- 2. Auf individueller Ebene. -- 3. Arbeitszufriedenheit. -- URL: http://www.payer.de/arbeitkapital/arbeitkapital01203.htm


6.3. Kritik und Anerkennung
(critiscism/censure and reward)


Dazu ein paar Weisheiten aus Anstandsbüchern:


DDR-bezüglich

" Nicht immer braucht die Lüge der Ausdruck fehlender Wahrhaftigkeit und Ehrlichkeit zu sein. Auch duldendes Schweigen ist unehrlich. In der Abteilung eines Betriebes arbeitet ein Kollege, der zwar immer sehr liebenswürdig und deshalb auch bei allen gern gesehen ist, aber seine Arbeit ist oberflächlich, er produziert viel Ausschuss, und seine Arbeitsdisziplin lässt zu wünschen übrig. Ist es unhöflich, ihn auf einer Arbeitsbesprechung deshalb zu kritisieren und ihm seine Disziplinlosigkeiten aufzuzählen? Ganz sicher nicht, allerdings macht auch hier wieder der Ton die Musik. Wenn alle in aggressivem und hässlichem, schadenfrohem Ton über ihn herfallen und kein gutes Haar an ihm lassen, so ist das unhöflich, rücksichtslos und lässt keine Hilfsbereitschaft erkennen. Spricht man aber in freundlichem Ton darüber, mit dem Angebot der unterstützenden Bereitschaft, ihm bei seinen Besserungsabsichten zu helfen, dann kann man für sich persönlich aus dieser Aussprache das befriedigende Bewusstsein mitnehmen, dass man durch seine Wahrhaftigkeit einem anderen Menschen vielleicht ein Stück weitergeholfen hat. Auch in der Kritik und Selbstkritik, über die schon viel gesprochen und geschrieben wurde, steckt also jener Mut zur Wahrheit, von dem wir alle noch viel mehr haben sollten."

[Quelle: Smolka, Karl: Gutes Benehmen von A - Z : Alphabetisch betrachtet / Karl Smolka. Mit 109, teils sinnigen, teils unsinnigen Zeichn. von Heinz Bormann und 75 Fotos von Konrad Hoffmeister. -- Berlin <Ost> : Verlag Neues Leben, 1957. -- 359 S. : Ill. -- S. 133.]

" In Bezug auf die siebente und neunzehnte Wahrnehmung.

Alle Menschen haben Gefühl für Ehre und Schande, d.i., sie werden alle von Ehrgeiz oder Eitelkeit oder von beiden geleitet. Es ist also der Klugheit gemäß, diesen Trieb in unserm ganzen Benehmen gegen die Menschen bei allen vorauszusetzen, und dieser Voraussetzung gemäß zu handeln, damit eine, gemeiniglich so stark gespannte und dabei so zarte und empfindliche Saite der menschlichen Natur, niemals unsanft, und jede andere Saite nie anders, als im Einklange mit ihr berührt werde. Die besondern Beobachtungen, die ich dieser allgemeinen Bemerkung schon oben beigefügt habe, sind eben so viele Klugheitsregeln, die wir in Hinsicht auf diesen neuen Charakterzug der Menschheit, besonders in den feinern Ständen, sorgfältig zu beobachten haben.

[...]

Ich habe zweitens angemerkt, dass auch von diesem Triebe gelte, was wir über den der Sinnlichkeit beobachteten, dass er nämlich, so oft er befriediget wird, das Herz des Ehrgeizigen und Eiteln öffne, und es demjenigen geneigt mache, von dem die Befriedigung herrührt. Daraus folgt denn abermals, und zwar

  1. überhaupt, dass wir den Ehrtrieb der Leute, wofern uns an ihrem Wohlwollen etwas gelegen ist, nicht nur niemals ohne Not – Not aber nenne ich hier, was unsere Pflicht verlangt – verletzen, sondern auch zu seiner Befriedigung, so viel es ohne schändliche Schmeichelei und Niederträchtigkeit geschehen kann, das Unsrige gern beitragen müssen. Was ich unter schändlicher Schmeichelei und Niederträchtigkeit verstehe, werde ich nachher sagen.
  2. dass wir besonders dann dem Ehrgeize oder der Eitelkeit der Menschen erst ein angenehmes Opfer zu bringen nicht verabsäumen müssen, wann wir uns gemüßiget sehen, ihnen etwas Unangenehmes zu sagen oder zu tun, oder etwas Unangenehmes und Beschwerliches von ihnen zu verlangen oder ihnen aufzubürden. In solchen Fällen müssen wir das Unangenehme des Widerspruchs, des Tadels oder der Zumutung dadurch zu mildern oder gar zu versüßen suchen, dass wir erst alles, auf die vorliegende Sache Bezug habende Wahre, Gute und Liebenswürdige in den Reden, Handlungen, Fähigkeiten und Charakterzügen des Andern anerkennen, billigen und loben, und nur dann erst zu der minder angenehmen Äußerung vorsichtig übergehn.

Ich habe drittens angemerkt, dass dieser Trieb, wie jeder andere, bei verschiedenen Menschen sehr verschiedene Abänderungen, und bei jedem insbesondere seine besondere Richtung erhalten habe, so, dass ein und ebendasselbe Lob, welches den Einen Ehrgeizigen oder Eiteln in Entzücken setzt, einem Andern oft völlig gleichgültig ist. Daraus folgt, dass wir uns bemühen müssen, die besondern Ansprüche der Menschen kennen zu lernen, um gegen dieselben nicht nur nicht zu verstoßen, sondern ihnen auch Gelegenheit zu geben, sie, so gut sie können und mögen, gelten zu machen. Es bedarf hiebei gar keines Lobes; man darf nur, wie gesagt, Gelegenheit geben, dass der Ehrsüchtige oder Eitle sich selbst loben oder, was auf eins hinausläuft, das, was er Lobenswürdiges zu besitzen glaubt, schicklich an den Tag legen könne: und er wird diese Gefälligkeit eben so dankbar aufnehmen, als wenn man ihn geradezu und unmittelbar gelobt hätte.

Und nun vernimm erst, in wiefern ich glaube, dass die Benutzung dieses und jedes andern menschlichen Triebes mit diejenigen Aufrichtigkeit und Redlichkeit sich vereinigen lassen, die, wie ich hoffe, dir und mir bei dem Bestreben, das Wohlwollen unserer Mitmenschen zu erwerben, immer heilig bleiben sollen. Diese Vereinigung kann, dünkt mich, sehr wohl Statt finden, wenn wir

  1. den Ehrgeiz und die Eitelkeit der Menschen nie zu andern als guten, und in jedem Betrachte unschädlichen Absichten benutzen, also niemals jemand dabei zu hintergehen suchen;
  2. uns bloß darauf einschränken, nur dasjenige zu loben, was wirklich lobenswürdig ist, das Übrige aber so lange nicht zu bemerken scheinen, als wir es zu bemerken und zu rügen durch nichts verpflichtet sind;
  3. und endlich in jedem Falle, wo eine solche Pflicht wirklich eintritt, keinen Augenblick Bedenken tragen, uns auch über die Torheiten, Fehler und Laster der Menschen freimütig und ohne Rückhalt zu erklären.

Unter diesen Umständen kann es nie Unrecht sein, diejenigen Menschen, zu deren Erziehern wir nicht bestellt sind, so zu nehmen, wie sie sind; ihnen ihre süßen Einbildungen von sich und allen ihren Trefflichkeiten, so, lange sie Keinem dadurch schaden, zu lassen, und auf die vergebliche Mühe, sie wider ihren Willen in die Kur zu nehmen, Verzicht zu tun. Denn was würden wir, wenn wir den Schwachheiten, Torheiten und Lastern der Menschen den offenbaren Krieg ankündigen wollten, ausrichten? Wahrlich nichts, als dieses: dass Alle über uns herfallen, uns belachen, verspotten und verfolgen würden. Wir würden darüber zu Grunde gehen, ohne dass deswegen auch nur eine einzige Torheit oder ein einziges Laster weniger in der Welt wäre. Und das wäre denn doch wohl in jedem Betrachte gar nicht weise gehandelt.

Dies vorausgesetzt, kann ich also gar kein Bedenken tragen, dir auch die übrigen Klugheitsregeln anzugeben, deren Befolgung durch die Ehrsucht und Eitelkeit der Menschen notwendig gemacht wird. Da kein anderer menschlicher Trieb so unendlich viele Seiten darbietet, von denen er beleidiget werden kann, als dieser: so werde ich mich auch bei ihm länger, als bei jedem andern, verweilen müssen, um dich, im Bezuge auf ihn, wenigstens mit den vorzüglichsten Vorsichtigkeitsregeln bekannt zu machen. Dazu rechne ich nun folgende:

  1. Sei in hohem Grade bescheiden und höflich gegen jedermann; d.i., dein ganzes Betragen sei freundlich, gütig und liebreich gegen Geringere, gegen Höhere ehrerbietig, und gegen Gleiche so, als stünden sie alle eine merkliche Stufe über dir. Beobachte daneben in Ehrenbezeugungen und Wohlstandsgebräuchen alles, was die allgemeine Sitte darüber festgesetzt hat; und mache es dir überhaupt zur Regel, Jedem nicht etwa nur gerade so viel Ehre, als seinem Stande und seinen Verdiensten gebührt, sondern allemal noch etwas mehr zu erweisen. Denn du darfst sicher darauf rechnen, mein Kind, dass die Begriffe, die Jeder von seiner Person, von seinen Verdiensten und von seinem Stande hat, allemal um einige Grade über das wahre Verhältnis, worin er mit andern Menschen steht, hinauszugehen pflegen, und dass du also sicher beleidigen würdest, wenn du ihm nur das ihm eigentlich gebührende Maß von Achtung oder Ehrerbietung, und nicht noch eine kleine Zugabe obenein wolltest angedeihen lassen.

    Am freigebigsten musst du mit deinen Ehrenbezeugungen gegen die Dummköpfe – du erinnerst dich doch des darüber oben festgesetzten Begriffes noch? – aus allen Ständen sein, und jede Art von Ehrengebräuchen gegen Keinen ängstlicher, als gegen diese beobachten. Denn Keiner hat eine größere Meinung von sich und seinem Werte in jedem Betrachte, als sie: Keiner macht daher auch mehr Ansprüche auf Achtung und Ehrenbezeigungen, als sie; Keiner wacht sorgsamer darüber, dass ihm nichts davon verkürzt werde, als sie; Keiner hält daher auch mehr auf Wohlstandsgebräuche jeder Art, und Keiner wird durch jeden kleinen Verstoß dagegen empfindlicher beleidiget, als sie. Am leichtesten hingegen ist in diesem Punkte mit wirklich großen und edeln Menschen auszukommen, die im Bewusstsein dessen, was sie sind, gar niemals auf die Besorgnis, von unser Einem verachtet zu werden, geraten können. Gegen diese darf daher unser Benehmen schlichter, wahrer und natürlicher, als gegen Andere sein, welche an Stand und Verdiensten um unendlich viel Stufen tiefer stehn. Doch muss uns wahre Bescheidenheit und wahre Höflichkeit auch gegen diejenigen nie verlassen, welche deshalb die wenigsten Anforderungen an uns machen. Denn wenn wir bei diesen gleich nicht zu besorgen haben, dass sie sich dadurch beleidigt finden werden: so würden wir doch in ihrer guten Meinung von uns dadurch verlieren. Denn wahre Bescheidenheit und wahre Höflichkeit sind keine Fratzen; es sind vielmehr schöne und notwendige sittliche Tugenden, deren Mangel auch der edle und große Mensch nicht anders als mit Missfallen an uns bemerken könnte. Also müssen wir sie, wenn auch nicht seinetwegen, doch um ihrer selbst und um unsertwillen, zu besitzen und an den Tag zu legen suchen.

    Übrigens bedarf es wohl keiner Erinnerung, dass Bescheidenheit und Kriecherei, Höflichkeit und feierliches Wesen ganz verschiedene Dinge sind; und ich glaube es deinem Selbstgefühle und deinem guten Geschmacke vollkommen zutrauen zu dürfen, dass du das verächtliche Nachäffen jener edlen Tugenden von ihnen selbst, beim ersten Blicke unterscheiden und, wie es sich gebührt, verschmähen werdest. Ich fahre also fort:
     

  2. Vermeide unangenehmen Widerspruch, und hüte dich, dass die Behauptung deiner Meinung nie in Rechthaberei ausarte. Diese Regel sagt, wie du wohl siebst, keinesweges, dass du mit allen Menschen einerlei Meinung haben sollst; denn wie wäre das möglich? Sie sagt auch nicht, dass du dich stellen sollst, als habest du einerlei Meinungen mit ihnen: denn wo bliebe da die Aufrichtigkeit, wo das Vergnügen der Unterhaltung, und wo deine Selbständigkeit? Du darfst und sollst also von den Meinungen anderer Menschen abgehen, es sei im Scherz oder im Ernst: nur dass du dich, wie die Regel sagt, dabei in Acht nehmest, dass dein Widerspruch nicht in Rechthaberei ausarte, d.i., weder durch Hartnäckigkeit, noch durch unangenehme Äußerungen lästig und beleidigend werde. Jeder Widerspruch ist ein scherzhafter oder ernsthafter Angriff aus den Verstand des Andern, und der Eitelkeit des Andern kann es dabei unmöglich gleichgültig sein, wer von beiden Teilen den Sieg davon trage. Sie ist daher augenblicklich im Harnisch, um dem Verstande zu Hülfe zu springen; und sie fühlt jeden Vorteil, den man jenem abgewinnt, als eben so viele Wunden, die ihr selbst geschlagen werden. Die Kunst ist nun, sie entweder ganz aus dem Spiele zu bringen, oder sie wenigstens so zu besänftigen und angenehm zu beschäftigen, dass sie eine ruhige Zuschauerin dabei bleibe. Und hiezu wird erfordert:
     
    1. Erstens: dass man gewisse Arten des Widerspruchs ganz und gar vermeide. Jeder Mensch hat über gewisse Dinge so ernsthaft und so entschieden abgeurteilt, dass er von Zweifeln und Einwendungen dagegen durchaus nicht weiter hören mag. Diese, ihm ausgemachten Punkte muss man zu erforschen wissen, um sie unberührt zu lassen. Dazu gehören besonders die religiösen Begriffe, aus denen Jeder von uns sein besonderes Glaubensgebäude errichtet hat. Diese sind dem Menschen zu wichtig, und er ist darüber, ordentlicher Weise, zu entschieden, als dass er auch nur den leisesten und bescheidensten Einwand dagegen ertragen könnte. Wer also klug ist und keinen besondern Beruf dazu hat, die Begriffe der Menschen in dieser wichtigen Angelegenheit, mit Gefahr seiner eigenen Ruhe, seines guten Leumunds und seiner bürgerlichen Wohlfahrt zu berichtigen: der gehe solchen Gegenständen des Gesprächs, die über dies zu Unterhaltungsmaterien in vermischter Gesellschaft schlecht geeignet sind, weislich aus dem Wege, oder berühre sie, wenn er sich mit Gewalt dazu gezwungen sieht, so leise und behutsam, dass Keiner der Anwesenden an seinem Gewissen oder an seiner Glaubenseitelkeit – Menschenkenner wissen, dass es eine solche gebe – gereizt und verwundet werden könne. Kein Mensch ist heutiges Tages verpflichtet, nach der Ehre der Märtererkrone zu trachten; denn teils bedarf die Welt der Beispiele von Martertum nicht mehr, weil es ihr heutiges Tages nicht an anderweitigen, allgemein verbreiteten Mitteln zur Belehrung und Überzeugung fehlt; teils weil in unsern Tagen dergleichen Beispiele das nicht mehr wirken würden, was sie ehemals zu wirken vermochten. Denn anstatt bei dem Scheiterhaufen eines freiwilligen Märterers, wie ehemals, auszurufen: seht da einen Zeugen der Wahrheit! würde alle Welt jetzt mit Fingern auf ihn weisen und sprechen: seht da einen Narren, der sich braten lässt, weil er nicht zu leben verstand!
       
    2. Zweitens: dass wir uns durch den Geist des Widerspruchs nie müssen verleiten lassen, solche Irrtümer zu rügen oder aufzudecken, die, sobald sie ans Licht gezogen werden, den Irrenden lächerlich machen oder ihm gar Schande bringen können. Dahin gehören alle Irrtümer und Äußerungen der Menschen, die eine größere Verstandesschwäche, eine größere Unwissenheit, oder eine schlechtere Gemütsart verraten, als Jeder in seiner Lage gern möchte an sich kommen lassen. Solche Blößen, die jemand wider seinen Willen gibt, muss man nicht nur nicht wahrzunehmen scheinen, sondern auch durch eine plötzliche geschickte Wendung des Gesprächs sie sogleich mit dem Mantel der Liebe zu decken suchen, damit die Aufmerksamkeit der Gesellschaft schnell davon abgelenkt werde, und der Irrende, wo möglich, ohne Beschämung davon komme. Dadurch vermeiden wir einer Seits die sonst unvermeidliche Erbitterung desselben, und andrer Seits erwerben wir uns, falls er den Dienst, den wir ihm dadurch leisten, gewahr wird, sein Vertrauen und sein Wohlwollen in hohem Grade. Und das ist in jedem Falle doch mehr wert, als das augenblickliche und nicht sehr edle Vergnügen, welches seine Beschämung uns machen könnte.
       
    3. Drittens: dass wir nie in einem entscheidenden Tone, nie mit Bitterkeit oder gar mit verachtender Wegwerfung widersprechen. Diese Art des Widerspruchs erträgt sicher Keiner, selbst der Sanfteste und Nachgiebigste nicht, weil sie eine Zwangsherrschaft über unsern Verstand und zugleich eine Verachtung gegen denselben ankündiget, welche Keiner, dessen Seele noch nicht ganz unterjocht und in den Staub getreten ist, sich gefallen lassen kann. Vermeide also diesen Fehler auf das allersorgfältigste, und so oft du widersprechen zu müssen glaubst, sorge dafür, dass dein Gesicht immer freundlich, deine Stimme sanft, dein Widerspruch selbst bescheiden und schüchtern sei, und nicht sowohl einer Zurechtweisung, als vielmehr einem aus mangelhafter Kenntnis der Sache herrührenden Zweifel und einer Bitte um bessere Belehrung gleiche. Sage: du fühltest wohl, wie unfähig du wärest, über so etwas zu urteilen; du begriffest, wie lächerlich anmaßend es für dich sein würde, einem Manne oder einer Frau in einer Sache zu widersprechen, worin du nur ein wissbegieriger Lehrling, sie hingegen Meister wären; auch wärest du weit davon entfernt, dich einer solchen Lächerlichkeit schuldig zu machen, nur wünschtest du, zur Berichtigung deiner eigenen Begriffe, von ihnen zu hören, was sich antworten lasse, wenn jemand dagegen einwerfen wollte u.s.w. Auf diese und ähnlichs Weisen kann man in allen den Fällen, wo gerader Widerspruch nicht gut geheißen würde, der Wahrheit, sich selbst und der Eitelkeit der Leute zugleich ein Genüge tun.
       
    4. Viertens: dass unser Widerspruch nie länger fortgesetzt werden müsse, als wir merken können, dass er gern gehört werde. Und dies zu bemerken, bedarf es ja nur einer mäßigen Aufmerksamkeit auf die allen Menschen verständlichen Zeichen des Wohlgefallens, die sich in Blicken, Miene, Stimme und Gebärden äußern. Wozu wollten wir aber, vorausgesetzt, dass keine Pflicht oder Not uns dazu zwingt, unsern Widerspruch weiter treiben, als man ihn zu hören verlangt? Warum mutwilliger Weise uns den Leuten beschwerlich und widerlich machen.
       
  3. Steht dir Witz zu Gebote, hüte dich, ihn zur Beschämung oder Kränkung Anderer spielen zu lassen. Witz und Verstand sind ein Messer, welches uns gegeben ward, den Armen an Geist unser Brot zu schneiden; nicht ihnen wehe damit zu tun oder gar ihnen ins Herz damit zu stoßen. Wehe dem unfreundlichen Besitzer derselben, der sie dazu missbrauchen kann! Die Wollust edler Seelen – sich geliebt zu fühlen – wird ihm nie zu Teil werden. Nicht einmal wahre Achtung wird er sich erwitzeln können. Denn würden seine beißenden Einfälle und Erwiderungen auch noch so laut belacht und beklatscht: so wird er doch am Ende nie mehr davon haben, als der Pavian, dessen hämische Affenstreiche zwar auch wohl belacht werden, aber bei dessen Annäherung doch jedermann zurückweicht.

    Wie viel seliger ist's, durch Gutmütigkeit, durch eine bescheidene und sanfte Äußerung unserer Geistesgaben, und durch ein verbindliches einladendes Wesen, Allen, die uns kennen lernen, den Wunsch nach einem nähern Umgange und nach einer größeren Vertraulichkeit mit uns einzuflößen!

    Diese Beobachtungen würden für jeden gutgesinnten Menschen allein schon hinreichend sein, ihm die Befolgung der obigen Regel wichtig zu machen: wie viel wichtiger aber muss sie uns werden, wenn wir sie in Rücksicht auf denjenigen allgemeinen Charakterzug der Menschen betrachten, mit dem wir es hier besonders zu tun haben! Jede Überlegenheit an Verstand und Witz ist für die Eitelkeit der Menschen, besonders derjenigen, welche etwas der Art selbst zu besitzen glauben, schon an sich eine Beleidigung, welche nicht leicht verziehen wird. Kommt nun vollends etwas Bösartiges hinzu; sucht man mit seinen Einfällen nicht bloß zu glänzen, sondern erlaubt man sich sogar, Andern wehe damit zu tun: so ist es ja wohl unausbleiblich, dass man Unwillen, Hass und Erbitterung dadurch erregt. Dies gilt, wie du wohl siehest, von beiden Geschlechtern; ganz besonders aber von dem deinigen. Ein Frauenzimmer muss ein überschwängliches Maß von Gutmütigkeit zugleich besitzen, wenn sie durch einen hervorstehenden Grad von Witz nicht allgemein verhasst werden soll. Dies ist so allgemein wahr, dass mir, so lange ich unter Menschen lebe, noch nie eine Ausnahme davon vorgekommen ist. Die Sache ist auch sehr begreiflich. Schimmernder Witz und ächte Weiblichkeit, noch mehr aber stechender Witz und weibliche Sanftmut lassen sich nicht zusammen henken. Eins widerstrebt dem andern; eins von beiden kann also in einer und eben derselben Person nur Statt haben. Dazu kommt, dass der hervorstechende Witz eines Frauenzimmers die männliche und weibliche Eitelkeit zugleich empört; die weibliche, weil keine einen Vorzug an der Schwester dulden mag, den sie selbst nicht hat; die männliche, weil es dem Stolze der Herren der Schöpfung unsanft tut, einer Seelenfähigkeit, im Weibe huldigen zu müssen, die ihnen selbst nicht noch in höherem Grade beiwohnt. – Wie viele Gründe für ein Frauenzimmer, bei dem Gebrauche ihres Witzes, wenn sie welchen hat, sparsam und vorsichtig zu Werke zu gehn, und ihn nie anders als auf der Unterlage (Folie) echter Bescheidenheit, Sanftmut und Gutherzigkeit spielen zu lassen!
     

  4. Wenn keine Not und keine Pflicht dich dazu zwingen, so scheine von den Schwachheiten und Fehlern deiner Mitmenschen niemals Kenntnis zu nehmen. Ich sage: scheine; denn für dich selbst darfst und sollst du sie, sowohl zur Schärfung deines sittlichen Sinnes, als auch zur Bestimmung deines Verhaltens gegen die Menschen, allerdings bemerken: aber zur Sittenrichterin über Andere dich aufzuwerfen, dazu fordert weder Klugheit noch Beruf dich auf. Hat besonders jemand in deiner Gegenwart das Unglück, etwas zu sagen oder zu tun, was ihn lächerlich machen kann: sei, bitte ich, taub und blind dagegen. Denn nie wird derjenige, der da weiß, dass du etwas Lächerliches an ihm wahrgenommen habest, und das es nur bei dir stehe, ihn zum Spotte der Menschen zu machen, dein Freund sein. Er wird vielmehr wünschen, dich aus der Schöpfung vernichtet zu sehn; und wenn er auch nicht gerade an deine Person Hand zu legen wagt, so wird er hoch, um das, was du von ihm sagen kannst, unkräftig zu machen, dein sittliches Dasein, d.i., die Meinung der Menschen von deiner Rechtschaffenheit und Glaubwürdigkeit, so viel an ihm ist, zu zernichten suchen. Bemühe dich also, um deines eigenen Friedens willen, jedermann bei dem Glauben zu erhalten, dass du nichts als Gutes und Rühmliches von ihm wissest, auch wenn du es in deiner Gewalt haben wirst, ihn zum Gegenstande des Gelächters und der Verachtung zu machen. Das wird seiner Eitelkeit wohltun, und er wird nun eben so sehr an der Befestigung deines Ansehens bei Andern arbeiten, als er sonst gesucht haben würde, es nach Vermögen zu untergraben.
     
  5. Statt deine Fähigkeiten, Vorzüge und Vollkommenheiten den Leuten unter die Nase zu halten, bemühe dich vielmehr, sie vor ihnen zu verhüllen, und dagegen ihnen selbst Gelegenheit zu verschaffen, ihre eigenen Fähigkeiten, Vorzüge und Vollkommenheiten dir und Andern im schönsten Lichte zu zeigen. Das wird dich in ihrem Wohlwollen und in ihrer Achtung unendlich viel weiter bringen, als alles, was du von deinem eigenen persönlichen Werte sie bemerken lassen könntest. Denn, glaube mir, mein Kind, die meisten Menschen schätzen und lieben uns, nicht um unserer eigenen Vorzüge willen, sondern um der Gerechtigkeit willen, die wir den ihrigen widerfahren lassen, und um der Gelegenheit willen, die wir ihnen verschaffen, sie an den Tag zu legen. Die feinste Lebensart ist daher nicht die, wodurch man sich und seinen eigenen Werth ins schönste Licht zu stellen sucht; sondern die, wodurch man alle Welt mit sich selbst und mit ihrem eigenen Werte zufrieden zu machen weiß, und ihnen behülflich ist, auch Anderer Zufriedenheit darüber einzuernten. Besorge also ja nicht, dass du je etwas dabei verlieren werdest, wenn du dich überwindest, mit dem Guten, was etwan in dir sein mag, zurückzuhalten, und dagegen die Vorzüge anderer Menschen ans Licht hervorzuziehn: es wird dies vielmehr das sicherste Mittel sein, deinen eigenen. Werth allgemein bekannt zu machen, und ihn ohne Neid und Scheelsucht von allen anerkennen zu lassen. Denn erstens musst du nicht glauben, dass irgend eine rühmliche Eigenschaft, die man zu verbergen sucht, um deswillen nun auch wirklich verborgen bleibe; man ahnet, man wittert sie, ich weiß nicht wie; man stellt sie sich dabei zuverlässig allemal größer und glänzender vor, als sie wirklich ist; und statt eine Angelegenheit daraus zu machen, sie gegen Andere zu verkleinern und herabzuwürdigen, beeifert man sich vielmehr im Gegenteile, sie, als etwas, was man durch eigenen Scharfsinn entdeckt hat, in Schutz zu nehmen und auszuposaunen. Zweitens kannst du völlig sicher sein, dass Jeder, wo nicht eben dieselben guten Eigenschaften, die du ihm an den Tag zu legen Gelegenheit geben wirst, doch etwas Ähnliches in dir – sei es aus Erkenntlichkeit, sei es aus Täuschung – wahrnehmen und bewundern wird. Bist du, z.B., jemand behülflich gewesen, Verstand und Witz auszukramen, indem du ihm entweder Platz dazu machtest, oder in seine Einfälle unmerklich und mit geschickter Hand einige Körnerchen Salz warfest, die er selbst hinein zu tun vergessen hatte: so sei versichert, er werde nicht aufhören, deinen eigenen Verstand zu rühmen und dich überhaupt für eine vortreffliche Person zu erklären. Hast du Gelegenheit gehabt, in dem, was er sagte oder tat, etwas Gutherziges, Edles oder Großmütiges bemerken zu lassen: so sei versichert, dass er von der Güte und Vortrefflichkeit deines eigenen Charakters durchdrungen sein und ihn gegen jeden Verleumder eifrig in Schutz nehmen wird. Alles Wirkungen der menschlichen Eitelkeit, deren Einfluss in unsere Empfindungen, Urteile und Handlungen sich unglaublich weit erstreckt!
     
  6. Gib bei gesellschaftlichen Zusammenkünften, so weit es von dir abhängt, Jedem, mit dem du dich unterhältst, Gelegenheit von dem zu reden, worin er entweder wirklich zu Hause ist, oder doch zu Hause zu sein glaubt; nicht aber von solchen Dingen, worin du ihn etwan übersehen magst. Diese Regel ist eine unmittelbare Folgerung aus der vorhergehenden; und die nämlichen Gründe, worauf jene beruhete, empfehlen daher auch diese. Ich füge noch hinzu, dass du, außer dem Wohlgefallen, welches Andere darüber empfinden werden, auch noch den wesentlichen Vorteil davon haben wirst, dass deine Gespräche mit ihnen auf diese Weise wirklich lehrreich für dich werden können. Denn wenn man Jeden aus seinem Fache reden lässt, so ist es wahrscheinlich, dass man in vielen Fällen etwas zu hören bekommen werde, was man entweder gar nicht, oder doch nicht so gut und vollständig wusste, als man es nun erfährt. Wenn es also auch nicht die Eitelkeit der Menschen wäre, welche die Befolgung dieser Regel nötig macht, so würde es die Betrachtung unsers eigenen Vorteils tun.

    Ich beschließe diese, die menschliche Eitelkeit betreffen Klugheitsregeln mit einer Hauptvorschrift, die, wenn sie erfüllt wird, alle andre beinahe entbehrlich macht. Sie lautet:
     
  7. Sei du selbst so wenig ehrgeizig und eitel, als die menschliche Natur es nur immer zulässt, fest überzeugt, dass der Ehrgeiz und die Eitelkeit anderer Menschen nicht besser von uns befriediget und zugleich nicht unschädlicher für uns gemacht werden können, als wenn wir selbst anspruchfrei und bescheiden zu sein uns bestreben. Es ist überhaupt eine bekannte Erfahrung, die sich überall bestätiget, dass von zwei Menschen, deren Einer leidenschaftlich handelt, her Andere nicht, dieser Letzte allemal am besten fährt. Der Zornige wird, unter gleichen Umständen, allemal vom Kaltblütigen besiegt; und der ruhige Spieler nimmt in der Regel dem leidenschaftlichen das Geld ab. So hat auch der Bescheidene und Demütige vor dem Eiteln und Ehrsüchtigen allemal mehr als Einen entschiedenen Vorteil voraus. Er lebt ruhiger und zufriedener, als dieser: weil er leichter zu befriedigen ist; er stößt mit andern Menschen seltener zusammen: weil es ihm nicht sauer wird, ihnen auszuweichen, ihnen mit Höflichkeit zuvorzukommen, oder ihnen nachzusehn; er wird allgemein geliebt und geschätzt: weil er wenig fordert und viel gibt, weil er die Achtung der Menschen nie zu erzwingen oder zu ertrotzen sucht, und weil her Glanz seiner Vorzüge, durch den sie umhüllenden Flor der Bescheidenheit gedämpft, den Leuten auf eine minder beschwerliche Weise in die Augen fällt. Es würde daher in der Tat kein Wortspiel sein, sondern einen guten und wahren Sinn enthalten, wenn man demjenigen, welcher edlere Bewegungsgründe nicht mehr auf sich wirken lassen kann, den Rath gäbe: bescheiden aus Eitelkeit und demütig aus Ehrsucht zu sein. Denn sicher gibt es kein besseres Mittel, den Zweck dieser Leidenschaften zu erreichen, als das – sie nicht zu haben."

[Quelle: Campe, Joachim Heinrich <1746 - 1818>: Väterlicher Rath für meine Tochter : ein Gegenstück zum Theophron. -- 5. Ausg.  -- Braunschweig : Schulbuchhandlung, 1796. -- S. 454ff.]


6.3.1. Prestige und Statussymbole
(prestige and status symbols)



Abb.: Statussymbole
(©MS Office)

Vgl.: Payer, Margarete <1942 - >: Internationale Kommunikationskulturen. -- 10. Kulturelle Faktoren: Kleidung und Anstand. -- 1. Teil I: Stile und Moden. -- URL: http://www.payer.de/kommkulturen/kultur101.htm

Martin Page vergleicht in seinem Buch "Managen wie die Wilden" die Stammesriten von sogenannten primitiven Völkern mit den Managern unserer Wirtschaft. Es geht darum, dass Status- und Prestigeprodukte keineswegs ein Produkt unserer modernen westlichen  Zeit sind, sondern dass schon Kolonialverwalter erkannt haben, dass in manchen Stämmen z.B. auf den Salomoninseln man lieber Produkte wählte, die Ansehen bewirkten statt europäischen Produkten, die das Leben bequemer machen konnten (jede Menge Schweine statt Radio oder Kattun). Man nennt das Ukomoga und kann übersetzt werden mit "überschwängliche Prahlerei". Das Wort stammt aus der Sprache des ostafrikanischen Nyakyusan-Stammes. Z.B. hat man dort beobachtet, wie ein reicher Bauer seine Kuhherde geschmückt mit Glocken immer wieder durch das Dorf treiben läßt, damit man sieht, was er hat. Page nimmt als Beispiel Werbung für Luxusautos: es kommt auf das aufwändige Äußere an nicht auf die Langlebigkeit. Das Auto kann eine Geschwindigkeit von 250 Stundenkilometer erreichen (und man fragt sich, wo das anwendbar ist). Laut Page ist das ein Grund, warum in den USA gern Importlimousinen gekauft werden.

Am Beispiel von Cortes W. Randell, dem Präsidenten von Randells National Student Marketing Corporation, der sich u.a. einem nachgemachte Burg, ein Managerdüsenflugzeug, eine große Jacht, ein Amphibienfahrzeug und drei Autos als Statussymbol zugelegt hat, dann aber bei Mißerfolg als gefeuert wurde, zeigt Page, dass Erwerb und Benützung von Statussymbolen auch nachteilig sein kann. Auch bei Stammeskulturen weiß man, dass nicht jeder Statussymbole besitzen darf. Ebenfalls weiß man, dass in einer Firma Statussymbole auf die Hierarchie bezogen sind (s. unten die Beispiele im Text). In den Stammeskulturen werden Leute, die "nicht wissen, wohin sie gehören" (Zitat aus dem Dorf meiner Kindheit), bestraft oder zumindest mit Verachtung gestraft..

Um herauszufinden, ob ein Gegenstand tatsächlich ein Statussymbol ist, hat Page den sogenannten Malinowski-Ehrfurchts-Test  erfunden. Malinowski ist einer der berühmtesten Völkerkundler des 20. Jahrhunderts.

 

"Ukumoga-Gegenstände können Neid erwecken und werden häufig zu ebendiesem Zweck gekauft, aber sie schaffen keineswegs jene Aura der Achtung, die ungeübte Benutzer manchmal von ihnen erwarten. Viele Ukumoga-Objekte sind schamlos vulgär - Champagnerbäder, Wasserhähne, aus denen Gin fließt, William Randolph Hearsts Besitz San Simeon in Kalifornien, Hugh Hefners Schlafzimmer und die Anzüge von Liberace. Diese Vulgarität unterbindet keineswegs den Neid, der sich sehr leicht bis zur Abneigung steigern kann. Aber sie ist unvereinbar mit dem Aspekt, den ein Statussymbol hervorruft.

Der Malinowski-Ehrfurchts-Test: Wie kann man wissenschaftlich ein Statussymbol erkennen, wenn man eines zu Gesicht bekommt? Bei der Beschäftigung mit diesem brennenden Problem haben die Stammeskundler den - wie wir es nennen -Malinowski-Ehrfurchts-Test von positiver, wenn auch begrenzter Bedeutung gefunden.[...]

Der Malinowski-Ehrfurchts-Test beruht auf der einfachen Tatsache, dass ein Gegenstand an und für sich nicht mehr ist als eben ein Gegenstand. Es sind vielmehr die vom Kulturgut ihres Stammes durchdrungenen Betrachter, die einem Gegenstand eine seinen Nutzwert übertreffende Bedeutung zumessen, die nur in ihrem Bewusstsein existiert.

Wenn man also einen Gegenstand, der in unserer Gesellschaft außerordentlich geschätzt wird, in eine andere schafft, die mit unseren Stammesnormen kaum in Berührung gekommen ist (was weniger kostspielig ist, als es umgekehrt zu machen), dann kann man beobachten, ob die Stammesangehörigen ebensosehr beeindruckt sind wie wir, was darauf hinweist, dass es sich nicht um ein Statussymbol, sondern um etwas echt Wertvolles handelt, oder ob sie in Gelächter ausbrechen, befremdet dreinschauen oder gelangweilt fortgehen, was wiederum aufzeigt, dass es sich um ein Statussymbol handelt. Das ist zumindest die Theorie, die wir in Zukunft weiter auszubauen hoffen. Allerdings sind bisher die Versuche, den Malinowski-Ehrfurchts-Test in die Praxis umzusetzen, nicht völlig zufriedenstellend verlaufen. In einem entlegenen Dschungelgebiet von Nordborneo, das ich 1966 besuchte, unternahm eine Gruppe britischer Armeeoffiziere eine Übung, bei der es darum ging, »die Herzen und den Geist« der dort ansässigen Dajak zu gewinnen. Sie zeigten dem Dajakhäuptling einen Landrover, das erste Motorfahrzeug, das er je zu Gesicht bekommen hatte. Sie luden ihn ein, mit ihnen eine Fahrt zu unternehmen.

Der Häuptling stellte nur eine Frage: »Wie hoch kann er fliegen?« Als man zugab, dass das nicht zu den Fähigkeiten eines Landrovers zählte, wies der Häuptling das Angebot höhnisch zurück. Die Offiziere hatten bei ihrer Planung übersehen, dass sie den Häuptling mit einem Hubschrauber zu der Militärbasis hatten bringen müssen, wo der Landrover stand. Viel beeindruckter waren die Dajaks jedoch von den Aspirintabletten der britischen Armee. Sie integrierten sie als Statussymbole in ihre Kultur, indem sie jeweils eine Tablette auf einem Klebestreifen anbrachten und sich das Ganze auf die Stirn klebten.[...]
Hier vier Fälle:

  1. Ein vornehmer Bodenbelag: Ein stellvertretender Personalchef, Mr. N., wurde beauftragt, sich mit der Instandhaltungsabteilung und der Einkaufsabteilung wegen der Neueinrichtung der Büroräume der Personalabteilung in Verbindung zu setzen*. Infolge eines unerklärlichen Irrtums bei der Bedarfsschätzung bestellte die Einkaufsabteilung zu viel Bodenbelag von der nur Abteilungschefs zustehenden Qualität, und die Erzeugerfirma weigerte sich, den Überschuss zurückzunehmen. Nachdem die Büroräume des Personalchefs damit ausgelegt worden waren, blieb noch genügend für ein zweites, kleineres Büro übrig, etwa von der Größe von Mr. N's Büro. Mr. N. meinte, es wäre wirtschaftlich, den überschüssigen Bodenbelag zu diesem Zweck zu verwenden, da man ansonsten eigens einen minderen, nur stellvertretenden Abteilungsleitern zustehenden Bodenbelag kaufen müsste. Er wurde nicht nur überstimmt und der überschüssige Bodenbelag um einen Dollar pro Quadratmeter an den Hausverwalter verkauft, unter der Bedingung, dass er ihn nach Hause nehme, wo er damit den Boden im Schlafzimmer seines kleinen Sohns belegte, sondern Mr. N. wurde auch noch vom Personalchef gefragt, ob er sich eigentlich in seiner Stellung auf dem richtigen Platz fühle.
     
  2. Die rote Feder: Rote Federn, die auf dem Kopf getragen wurden, waren das wichtigste Statussymbol der Zulu. In den Tagen König Tschakas trug der König einen ganzen Kopfschmuck aus solchen Federn, einige Unterhäuptlinge trugen vier oder fünf, und einige wenige hervorragende Krieger hatten eine. Ein junger Krieger wollte einem Mädchen imponieren und borgte sich eine solche Feder für einen Abend aus. Er wurde summarisch verurteilt und durch einfaches Umdrehen des Halses hingerichtet.


    Abb.: Zulu
     

  3. Der Cadillac in der Garage: Mr. P., ein Junggeselle und später Twen, der bei einer New Yorker Versicherungsgesellschaft als Kalkulator angestellt war, pflegte als Hobby mit Aktien zu spekulieren. Nachdem er durch wiederholte Baisseverkäufe von Spitzenwerten in den Jahren 1969 und 1970 recht erfolgreich gewesen war, investierte er einen Teil seiner Profite in einen malvenfarbigen Cadillac mit getönten Scheiben. Am Montag nach der Übernahme parkte er ihn in der Garage unter dem Wolkenkratzer, in dem er arbeitete, und fuhr mit dem Lift hinauf in sein Büro. Einige Minuten später erschien sein unmittelbarer Vorgesetzter und fragte: »He, haben Sie unten den großen, malvenfarbenen Cadillac mit den getönten Scheiben gesehen? Er ist größer als der des Präsidenten.«


    Abb.: Cadillac [Bildquelle. Wikipedia]

    Mr. P. sagte: »Der gehört mir.«
    »Ihnen?!« rief der Boss. »Was, zum Teufel, fangen Sie mit einem solchen Wagen an? Soll das ein Witz sein?«
    »Den habe ich mit dem Geld gekauft, das ich auf der Börse verdient habe«, antwortete Mr. P. wahrheitsgemäß.
    »Na schön«, sagte sein Boss, »aber verkaufen Sie ihn lieber, ehe noch jemand draufkommt. Oder bringen Sie ihn wenigstens nicht mehr in unsere Gegend. Ich gebe Ihnen eine halbe Stunde, den Wagen von hier fortzuschaffen und ihn irgendwo abzustellen, wo ihn niemand sieht.«
     

  4. Der Sekretär des Generaldirektors: Der persönliche Sekretär des Generaldirektors und Absolvent der betriebswirtschaftlichen Fakultät von Harvard, Mr. G., wurde mit Fragen der Konzernplanung beauftragt. Er fand, dass sein Schreibtisch zu klein war, um alle Papiere aufzunehmen, die er gelegentlich gleichzeitig brauchte. Daher füllte er einen Anforderungsschein für einen größeren Schreibtisch aus. Da der Auftrag aus dem Büro des Generaldirektors kam, prüfte die Einkaufsabteilung den Status des vermeintlichen Benutzers nicht nach, sondern lieferte den Schreibtisch. Schon zur Lunchzeit des Liefertages sprach man im Büro davon, dass Mr. G. größenwahnsinnig geworden sei, weil er einen größeren Schreibtisch als der Vizepräsident hatte."

[Quelle: Page, Martin: Managen wie die Wilden : die Stammesriten der Primitiven und der Führungsstil in unserer Wirtschaft - ein Vergleich, der überrascht. -- Genehmigte und ungekürzte Taschenbuchausg. -- München : Heyne, 1991. -- 332 S. ; 18 cm. -- (Heyne-Bücher : 19 : Heyne-Sachbuch ; Nr. 145). -- Originaltitel: The company savage (1971). -- ISBN 3-453-04453-3. -- S. 280 - 291.]


6.3.2. Arbeitsauszeichnungen in der DDR



DDR-spezifisch

In der DDR versuchte man, die manchmal geringe Arbeitsmoral durch Auszeichnungen, Medaillen und Orden zu heben:

Abb.: "„Vertrauensleute des VEB Schwermaschinenbau ,Ernst Thälmann' Magdeburg beschlossen am 3.1.1972 die Weiterführung des Wettbewerbs im Jahre 1972. Meister Rolf Rhode vom Walzerwerkbau wurde auf der Vollversammlung der Vertrauensleute mit der ,Medaille für ausgezeichnete Leistungen im sozialistischen Wettbewerb' geehrt." (Originalunterschrift)"

[Quelle von Bild und Text: Die DDR : eine Chronik Deutscher Geschichte. -- St. Gallen : Otus-Verlag, ©2003. -- 191 S. : Ill. ; 30 cm. --  ISBN 3907194543. -- S. . 87. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen}]

Abb.: "7. 4. 1981. Sie ist fleißig, hilfsbereit, kritisch, offen, ehrlich und immer da, wenn sie gebraucht wird: Gisela Zurowski, 57 Jahre, Tierpflegerin in der LPG Tierproduktion Zechin im Kreis Seelow, Delegierte zum X. Parteitag der SED. Sie trägt den Titel ,Held der Arbeit' eine Auszeichnung, die, wie sie stets betont, nicht nur ihr, sondern dem ganzen Kollektiv gebührt." (Originalunterschrift)"

[Quelle von Bild und Text: Die DDR : eine Chronik Deutscher Geschichte. -- St. Gallen : Otus-Verlag, ©2003. -- 191 S. : Ill. ; 30 cm. --  ISBN 3907194543. -- S. . 121. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen}]

Einige der DDR-Ehrungen für Werktätige

"Banner der Arbeit"

"Held der Arbeit"

"Verdienter Meister"

"Für hervorragende
Leistungen in LPG"

"Verdienter Mitarbeiter
der Planungsorgane der DDR"

""Betrieb der
sozialistischen Arbeit"


7. Motivation durch Umfeldfaktoren


7.1. Arbeitsbedingungen
(working conditions)



Abb.: Thema: Gesunde Büroumwelt, gute Atmosphäre
[Bildquelle: http://www.buero-forum.de/. -- Zugriff am 2005-09-24]

Zu den einzelnen Arbeitsbedingungen siehe das Kapitel Arbeitszufriedenheit.


7.2. Informationen und Mitbestimmung
(information and codetermination)



Abb.: Gewerkschaftsplakat, Köln 1947

Zur Mitbestimmung siehe:

Payer, Margarete <1942 - >: Kulturen von Arbeit und Kapital. -- Teil 2: Kapital und Arbeit. -- URL: http://www.payer.de/arbeitkapital/arbeitkapital02.htm


7.3. Sicherheit des Arbeitsplatzes
(job security)


Siehe:

Payer, Margarete <1942 - >: Kulturen von Arbeit und Kapital. -- Teil 1: Betriebs- und Unternehmenskulturen. -- 2. Auf individueller Ebene. -- 3. Arbeitszufriedenheit. -- URL: http://www.payer.de/arbeitkapital/arbeitkapital01203.htm


8. Motivation durch Personalpolitik
(personnel policy / staffing policy)


Siehe:

Payer, Margarete <1942 - >: Kulturen von Arbeit und Kapital. -- Teil 1: Betriebs- und Unternehmenskulturen. -- 2. Auf individueller Ebene. -- 4. Personalpolitik. -- URL: http://www.payer.de/arbeitkapital/arbeitkapital01204.htm


9. Motivation durch materielle Rahmenbedingungen


"Von dem, was einer hat

Richtig und schön hat der große Glückseligkeitslehrer Epikuros die menschlichen Bedürfnisse in drei Klassen geteilt.

  • Erstlich die natürlichen und notwendigen: es sind die, welche, wenn nicht befriedigt, Schmerz verursachen. Folglich gehört hieher nur victus et amictus [Nahrung und Kleidung]. Sie sind leicht zu befriedigen.
  • Zweitens die natürlichen, jedoch nicht notwendigen: es ist das Bedürfnis der Geschlechtsbefriedigung; wiewohl Epikur dies im Berichte des Laertios nicht ausspricht (wie ich denn überhaupt seine Lehre hier etwas zurechtgeschoben und ausgefeilt wiedergebe). Dieses Bedürfnis zu befriedigen hält schon schwerer.
  • Drittens die weder natürlichen noch notwendigen: es sind die des Luxus, der Üppigkeit, des Prunkes und Glanzes; sie sind endlos, und ihre Befriedigung ist sehr schwer (siehe Diogenes Laertios lib. 10, cap. 27, § 149, auch § 127, und Cicero, De finibus [bonorum et malorum] 1, cap. 14 und 16).

Die Grenze unserer vernünftigen Wünsche hinsichtlich des Besitzes zu bestimmen ist schwierig, wo nicht unmöglich. Denn die Zufriedenheit eines jeden in dieser Hinsicht beruht nicht auf einer absoluten, sondern auf einer bloß relativen Größe, nämlich auf dem Verhältnis zwischen seinen Ansprüchen und seinem Besitz: daher dieser letztere, für sich allein betrachtet, so bedeutungsleer ist wie der Zähler eines Bruchs ohne den Nenner. Die Güter, aufweiche Anspruch zu machen einem Menschen nie in den Sinn gekommen ist, entbehrt er durchaus nicht, sondern ist auch ohne sie völlig zufrieden; während ein anderer, der hundertmal mehr besitzt als er, sich unglücklich fühlt, weil ihm eines abgeht, darauf er Anspruch macht. Jeder hat auch in dieser Hinsicht einen eigenen Horizont des für ihn möglicherweise Erreichbaren: so weit wie dieser gehn seine Ansprüche. Wann irgendein innerhalb desselben gelegenes Objekt sich ihm so darstellt, dass er auf dessen Erreichung vertrauen kann, fühlt er sich glücklich; hingegen unglücklich, wann eintretende Schwierigkeiten ihm die Aussicht darauf benehmen. Das außerhalb dieses Gesichtskreises Liegende wirkt gar nicht auf ihn. Daher beunruhigen den Armen die großen Besitztümer der Reichen nicht und tröstet andererseits den Reichen bei verfehlten Absichten das Viele nicht, was er schon besitzt. Der Reichtum gleicht dem Seewasser: je mehr man davon trinkt, desto durstiger wird man. - Dasselbe gilt vom Ruhm. - dass nach verlorenem Reichtum oder Wohlstande, sobald der erste Schmerz überstanden ist, unsere habituelle Stimmung nicht sehr verschieden von der früheren ausfällt, kommt daher, dass, nachdem das Schicksal den Faktor unsers Besitzes verkleinert hat, wir selbst nun den Faktor unserer Ansprüche gleich sehr vermindern. Diese Operation aber ist das eigentlich Schmerzhafte bei einem Unglücksfall: nachdem sie vollzogen ist, wird der Schmerz immer weniger, zuletzt gar nicht mehr gefühlt: die Wunde vernarbt. Umgekehrt wird bei einem Glücksfall der Kompressor unserer Ansprüche hinaufgeschoben, und sie dehnen sich aus: hierin liegt die Freude. Aber auch sie dauert nicht langer, als bis diese Operation gänzlich vollzogen ist: wir gewöhnen uns an das erweiterte Maß der Ansprüche und werden gegen den demselben entsprechenden Besitz gleichgültig. Dies besagt schon die homerische Stelle (Odyssee 18,130-137), welche schließt:

Τοϊος γαρ νόος εστίν έπιχθονίων ανθρώπων,
Οίον έπ' ήμαρ αγησι πατήρ ανδρών τε θεών τε.

[Denn so ist die Gesinnung der Erde bewohnenden Menschen
Wie der Tag, den schenkte der Vater der Götter und Menschen.]

Die Quelle unserer Unzufriedenheit liegt in unsern stets erneuerten Versuchen, den Faktor der Ansprüche in die Höhe zu schieben, bei der Unbeweglichkeit des andern Faktors, die es verhindert."

[Quelle: Arthur Schopenhauer <1788 - 1860>: Aphorismen zu Lebensweisheit. --  3. Kapitel. -- (Parerga und Paralipomena, 1851)


9.1. Vergütung
(salary, salaire, salário, loon, 給与)


Sehr allgemein weisen Hofstätter und Tack darauf hin, dass alle Menschen eine Vergütung für ihre Arbeit brauchen. Interessant ist vielmehr die Höhe der Vergütung, wobei es sich nicht um Geld handeln muss. Auch hier ist wieder der Vergleich zwischen den Stammeskulturen und unseren Kulturen interessant. Der schon häufiger zitierte Page berichtet von Stämmen, in denen die Männer nicht für den Lebensunterhalt der Familien arbeiten (das machen die Frauen) sondern um ihr Mannsein zu beweisen. Page vergleicht das mit Managern, die wahrscheinlich mit der Hälfte ihres Einkommens ihre Familie erhalten könnten und dadurch viel weniger Mühe und Verschleiß aufbringen müßten. Page entwickelt dazu einen sogenannten Yamswurzel-Faktor (s. unten im Text von Page)


Abb.: Der Geldteufel.  -- Ed. Pellerin in Épinal, 1. Hälfte 19. Jahrhundert

"Der Gemeinplatz, dass der Mensch nicht bloß vom Brot allein lebe, wirkt angesichts des Hungers, unter dem zur Zeit mindestens die Hälfte der Menschheit leidet, recht eitel und schal. Selbst in einem hochindustrialisierten Sozialstaat — wie in der Bundesrepublik oder in den USA — gibt es Menschen, die ihre einfachsten Bedürfnisse nur eben so, das heißt mehr schlecht als recht, befriedigen können, in einer erheblich größeren Anzahl, als wir es uns einzugestehen wagen. Die Ziele, auf die hin sich ihr Streben richtet, sind verhältnismäßig leicht zu überblicken; es sind die Erhaltung des Lebens durch Speise und Trank, durch Schutz vor Abkühlung und vor den Unbilden der Witterung. Der Mensch braucht daher Nahrung, Kleidung und Behausung, dazu noch Schlaf und — wie neuere Untersuchungen wahrscheinlich gemacht haben (E. Diamond, 1962) — sogar das Träumen. Verwehrt man ihm dieses — und dazu gibt es heute experimentelle Möglichkeiten —, dann ist er tagsüber verstimmt, er kann sich auch nicht mehr so richtig konzentrieren."

[Quelle: Hofstätter, Peter Robert <1913 - 1994> ; Tack, Werner H.: Menschen im Betrieb : Zur Sendung Rädchen Im Getriebe. -- Stuttgart : Klett, 1967. -- 178 S. : Ill. ; 22 cm. -- S. 84.]

"In Versuchen lässt sich zeigen, dass Mittel zur Erreichung von Zielen selbst zu Zielen werden können. Bringt man einem Affen in einem Lernexperiment bei, dass er mit bestimmten Münzen Bananen aus einem Automaten erwerben kann, so lassen sich diese Münzen als Belohnung in anderen Experimenten verwenden. Auch das menschliche Streben nach Geld wäre nur schwer verständlich, wenn man sich nicht durch Geld andere erstrebenswerte Annehmlichkeiten verschaffen könnte. Es kann aber durchaus vorkommen, dass diese ursprünglichen Ziele verblassen und an Bedeutung verlieren. Das Geld wird dann zum selbständigen Ziel, dem manche Menschen nachjagen, um es zu haben, und nicht um es zu verbrauchen."

[Quelle: Hofstätter, Peter Robert <1913 - 1994> ; Tack, Werner H.: Menschen im Betrieb : Zur Sendung Rädchen Im Getriebe. -- Stuttgart : Klett, 1967. -- 178 S. : Ill. ; 22 cm. -- S. 86.]

"Der Yamswurzel-Faktor: Im Prozess des Geldverdienens steckt ein verborgenes, aber dennoch äußerst starkes Element der nichtmateriellen Befriedigung. Stammeskundler haben es als den Yamswurzel-Faktor erkannt.


Abb.: Je mehr Yamswurzeln, desto angeshener
[Bildquelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Bild:YamsatBrixtonMarket.jpg. -- Zugriff am 2005-11-14]

Der schon mehrfach erwähnte Bronislaw Malinowski, Doktor der Philosophie (Krakau) und Doctor of Science (London), der große Vorkämpfer auf dem Gebiet der Erforschung des Verhaltens der Primitiven, entdeckte den Yamswurzel-Faktor (obwohl er ihm weder diesen noch einen anderen Namen gab). Seine größte Entdeckung war, dass die Wilden, so wie die Wirtschaftsmanager, von dem unwiderstehlichen Drang erfüllt sind, mehr zu erzeugen, als sie physisch benötigen.

Die Art und Weise, wie sich, nach den Beobachtungen Malinowskis, dieser Drang auf den Trobriand-Inseln auswirkte, war etwas komplizierter als in unserer Gesellschaft, und zwar deshalb, weil die Insulaner den Zusammenhang zwischen Geschlechtsverkehr und Schwangerschaft nicht kannten. Die Ehe diente dem gegenseitigen geschlechtlichen Vergnügen, und vom Mann wurde nicht erwartet, dass er Frau und Nachkommenschaft erhalte. Dafür war vielmehr ihr Bruder verantwortlich, während ihr Mann sich um das materielle Wohlergehen seiner Schwester und ihrer Familie zu kümmern hatte.

Das Hauptnahrungsmittel der Trobriander ist die Yamswurzel, und die Aufgabe der Männer, die nicht an der Küste leben (und daher nicht fischen) ist es, sie anzupflanzen. Malinowski gab folgende Schilderung der Yamswurzelernte:

»Nach Beendigung der Ernte werden die Yamswurzeln sortiert, und die größten aus der Ernte jeder Pflanzung werden zu einem kegelförmigen Haufen zusammengelegt. Der größte Haufen in jeder Pflanzung ist stets für den Haushalt der Schwester bestimmt.

All das Geschick und die Mühe, die auf diese Zurschaustellung der Nahrung aufgewendet werden, dienen ausschließlich der Befriedigung des Ehrgeizes des Pflanzers. Die ganze Dorfgemeinschaft, ja die Leute aus dem ganzen Bezirk werden den Ertrag dieser Pflanzung sehen, über ihn sprechen, ihn kritisieren oder loben. Ein großer Haufen besagt nach den Worten meines Gewährmannes: >Seht mal, was ich für meine Schwester und ihre Familie geleistet habe. Ich bin ein guter Pflanzer, und meinen nächsten Verwandten, meiner Schwester und ihren Kindern, wird es nie an Essen mangeln.<

Nach einigen Tagen wird der Haufen abgebaut, die Yamswurzeln werden in Körben in das Dorf der Schwester getragen, wo sie in genau gleicher Form wieder vor dem Yamswurzelhaus des Mannes der Schwester aufgebaut werden; und auch dort wird die Gemeinde den Haufen sehen und bewundern.

Die Zurschaustellung, das Vergleichen und die öffentliche Beurteilung unterwerfen den Geber einem bestimmten psychologischen Zwang - sie stellen eine Befriedigung und Belohnung dar, wenn er durch erfolgreiche Arbeit in der Lage ist, reichlich zu schenken, und stellen eine Bestrafung und Demütigung für Untüchtigkeit, Geiz oder Pech dar.«

Wenn Sie diesen Abschnitt nochmals lesen und dabei »Ehefrau« für »Schwester« sowie »Kleidung, Schmuck, Haus, Kosmetika, schicke ausländische Wagen« für »Yamswurzeln« einsetzen, wird das Bild deutlicher. Ein Mann, der der Welt sein Ansehen und seinen Wohlstand zeigen möchte, muss dies, wenn es wirkungsvoll geschehen soll, überwiegend auf dem Umweg über seine Frau tun. Man beurteilt ihn nach der Großzügigkeit des Heims, das er ihr bietet, obwohl er selbst es weniger als zehn Prozent seines wachen Lebens in Anspruch nimmt, sowie nach dem Luxus und dem modischen Rang des Urlaubsorts, in den er mit ihr fährt, selbst wenn ihn der Urlaub persönlich langweilt. Er lässt sie sich kostspielig kleiden, mit Schmuck ausstatten und verschönern und führt sie auf Partys usw., wo ihre Pracht öffentlich bemerkt wird und er dafür Anerkennung einheimst, wie: »Ihr Mann muss sehr viel verdienen! Hast du ihre neue Nerzstola/Frisur von Sassoon/VW Kaiman Ghia/Sonnenbräune aus Madeira/Boucheron-Uhr gesehen?« Wie man weiß, pflegen derartige Bemerkungen einer Frau ihrem Mann gegenüber auf dem Heimweg von einer Party seine Karriereangst über Gebühr zu strapazieren und dazu zu führen, dass er einen Streit beginnt.

Dieser Vorgang, den eigenen Wohlstand stellvertretend durch die Frau zur Schau zu stellen, ist den Stammeskundlern als Yamswurzel-Faktor/Positive Funktion (YF/PF) bekannt."

[Quelle: Page, Martin: Managen wie die Wilden : die Stammesriten der Primitiven und der Führungsstil in unserer Wirtschaft - ein Vergleich, der überrascht. -- Genehmigte und ungekürzte Taschenbuchausg. -- München : Heyne, 1991. -- 332 S. ; 18 cm. -- (Heyne-Bücher : 19 : Heyne-Sachbuch ; Nr. 145). -- Originaltitel: The company savage (1971). -- ISBN 3-453-04453-3. -- S. 260 - 263.]


Abb.: Geld als Prestigeobjekt: Geldsteine auf den Karolineninseln. -- Liebigs Sammelbilder, 1901

"Das Arbeitsentgelt ist der Betrag, den ein Arbeitgeber einem Arbeitnehmer aufgrund eines zwischen den beiden geschlossenen Arbeitsvertrages schuldet. In der Schweiz und sonst selten wird der Begriff Salär für eine geldwerte Entlohnung verwendet. Historisch, jedoch nicht juristisch, werden zwei Formen des Entgelts unterschieden, das Gehalt eines Angestellten und der Lohn eines Arbeiters. Umgangssprachlich werden Lohn, Entgelt, Gehalt, und Vergütung gleichgesetzt.

Begriffe wie Lohnkosten oder Lohnfortzahlung im Krankheitsfall (heute: Entgeltfortzahlung nach dem Entgeltfortzahlungsgesetz) beziehen sich stets auf beide Entgeltformen (Lohn/Gehalt).

Bestimmung der Entgelthöhe

Grundsätzlich wird die Vergütung des Arbeitnehmers im Arbeitsvertrag frei vereinbart. Dabei spielt die Marktsituation eine ebenso erhebliche Rolle wie die Fachkenntnisse des Arbeitnehmers, die Belastung am Arbeitsplatz, die Verantwortung, die er trägt und die Arbeitsbedingungen, unter denen er arbeitet; ebenso können grundsätzliche Überlegungen zum Lohnniveau eine Rolle spielen (z.B.: das Spannungsverhältnis zwischen Mindestlohn und Effizienzlohn).

Allerdings bilden zumindest für Arbeitsverhältnisse im Anwendungsbereich von Tarifverträgen die in den Entgelttarifverträgen vereinbarten Vergütungen ein Mindestentgelt, das nicht unterschritten werden darf.

Früher verbreitete häufig geschlechtsspezifisch verwandte Entgeltfindungssysteme, wie die Anwendung von Leichtlohngruppen vorwiegend für Frauen, sind heute ungebräuchlich und wegen Verstoßes gegen Diskriminierungsverbote auch nicht mehr durchsetzbar. Allerdings spielen die Leichtlohngruppen eine Rolle bei der Diskussion über ein Niedriglohnsegment, das der Eingliederung schlecht ausgebildeter Arbeitnehmer in den Arbeitsmarkt dienen soll.

Die Höhe der Löhne, soweit sie in Tarifverträgen vereinbart sind, wird in öffentlichen Tarifregistern dokumentiert, die jeder einsehen kann. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit und alle Bundesländer führen Tarifregister. In den Bundesländern sind in der Regel die Arbeits- oder Sozialministerien zuständig.

Bei vorübergehender Arbeitsunfähigkeit wird Angestellten und Arbeiten Entgeltfortzahlung gewährt. Bauarbeitern wird ggfs. Schlechtwettergeld gezahlt.

[...]

Abrechnungsgrundlage

Das Arbeitsentgelt kann nach verschiedenen Kriterien vereinbart und ausbezahlt werden.

  • Stundenweise Abrechnung (Stundenlohn): Das Arbeitsentgelt wird nach den tatsächlich gearbeiteten Stunden abgerechnet. Auch Urlaubsentgelt oder Feiertagsentgelt werden stundenweise verrechnet.
  • Monatsweise (z.B. Monatsgehalt): Es ist ein Betrag für einen ganzen Monat vereinbart, unabhängig von der Länge des Monats.
  • Stück-/Akkordlohn: Das Entgelt richtet sich nach den fertig gestellten Stückzahlen. Urlaub- und Feiertage werden mit einem Durchschnitt entlohnt.
  • Pauschalentlohnung: Diese Art ähnelt schon sehr stark einer selbständigen Tätigkeit, da für ein ganzes Projekt, unabhängig von der Arbeitsdauer entlohnt wird.
  • Provisionsentlohnung: bei unselbständigen Handelsvertretern wird meist zusätzlich zu einem Grundgehalt (Fixum) ein bestimmter Prozentsatz des erzielten Umsatzes bezahlt.
  • Umsatzabhängiges Arbeitsentgelt: Hier wird ein Teil der Einnahmen als Entgelt gezahlt (z.B. Taxifahrer)

Üblicherweise ist ein Gehalt ein über die Monate gleichbleibender Betrag, während die Löhne auf Stundenbasis gezahlt werden und deshalb variieren.

Sonderbestandteile des Entgeltes

Zu dem Grundgehalt können noch Zulagen wie z.B. Provisionen bei Außendienstmitarbeitern oder Weihnachtsgelder oder Urlaubsgelder kommen. Ein weiterer Sonderbestandteil können geldwerte Vorteile und Deputate sein

Sonderformen der Entgeltberechnung

Häufig ist eine monatlich gleichbleibende Vergütung vereinbart. Das Entgelt kann aber nach unterschiedlichen Grundlagen errechnet werden. Entsprechend gibt es den typischen Zeitlohn sowie die Leistungslohnarten Akkord- und Prämienlohn.

  • Zeitlohn: Bei dieser Art der Berechnung ist ausschließlich die Dauer der Arbeitszeit der Maßstab für die Entlohnung.
  • Akkordlohn: Hier gilt die Devise "Je höher die Arbeitsleistung, desto höher der Lohn"
  • Prämienlohn: Durch die zunehmende Automatisierung des Fertigungsprozesses verliert der Akkordlohn immer mehr an Bedeutung. Die computergesteuerten Fertigungsmaschinen übernehmen einen Großteil der Arbeiten. An die Stelle des Akkordlohns tritt der Prämienlohn.

Der Prämienlohn berücksichtigt vor allem Leistungen qualitativer Art. Er wird gezahlt, wenn

  • Vorgabezeiten unterschritten werden
  • die zulässige Ausschussquote unterschritten wird
  • die eingesetzten Betriebsmittel optimal ausgenutzt werden und sich dadurch die Wartezeiten verkürzen.
  • es gelingt, Energie oder Materialien zu sparen.

Es wird ebenfalls eine Normalleistung zugrunde gelegt. Der Betrieb zahlt also einen Grundlohn (entweder als Zeit- oder als Stücklohn) und eine Vergütung, die leistungsabhängig ist. Diese Vergütung kommt jedoch nicht- wie beim Akkord- dem Arbeitnehmer voll zugute; sie wird vielmehr zwischen dem Betrieb und dem Arbeitnehmer aufgeteilt. Der Anteil des Arbeitnehmers heißt Prämie.

Fälligkeit des Entgeltes

Das Entgelt ist in der Regel gemäß (in Deutschland § 614 BGB) im Nachhinein - also bei Monatsvergütung zum Monatsende - zu entrichten. Gelegentlich, aber immer seltener, finden sich in Arbeits- oder Tarifverträgen andere Fälligkeitszeitpunkte (z.B.: Monatsmitte)

[...]

Abgrenzungen

Vom Arbeitsentgelt sind zu unterscheiden:

  • Besoldung (Preis für Arbeit eines Beamten)
  • Sold (Preis für die Arbeit eines Militärangehörigen oder Zivildienstleistenden)
  • Gewinn (Preis für Arbeit eines Unternehmers)
  • Honorar (Preis für die Arbeit eines freien Mitarbeiters, Dozenten, Autoren, Gutachter, Ärzte)
  • Provision (Preis für die Arbeit eines selbständigen Handelsvertreters)
  • Aufwandsentschädigung (Erstattung von Auslagen)
  • Tantieme (Unternehmensergebnisabhängige Zusatzzahlung)
  • Gage (Künstler)
  • Diäten (Mitglieder des Bundestages oder eines Landtages/Senats)
  • Courtage (bei Maklern)

[Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Arbeitsentgelt. -- Zugriff am 2005-10-21]

Wer verdient was?

http://www.lohnspiegel.de/. -- Zugriff am 2005-10-21


Abb.: Forderung nach Urlaubsgeld. -- Inserat der IG Metall. -- 1960er-Jahre


9.1.1. Lohn im Kapitalismus


"Arbeitslohn im weitern Sinn ist alles bedungene Einkommen aus Arbeit, d.h. dasjenige, das der Arbeiter als Vergütung für Überlassung der Nutzung der Arbeit an einen Dritten von diesem erhält, im Gegensatze zu dem nicht bedungenen Arbeitseinkommen, d.h. demjenigen, welches dem in seiner eignen Unternehmung mittätigen Unternehmer als Entgelt für seine Arbeitsleistungen zufließt. In diesem weitern Sinn umfasst der Arbeitslohn die verschiedensten, nach Höhe und Sicherheit, wirtschaftlicher und sozialer Lage der Empfänger etc. mannigfaltig abgestuften Formen von Arbeitseinkommen, die im praktischen Leben mit den verschiedensten Namen, als Gehalt, Besoldung, Honorar, Gage, Salär, Lohn etc., bezeichnet werden. Im engern Sinne versteht man unter Arbeitslohn nur das vertragsmäßige Entgelt für vorwiegend körperliche Arbeit bei nicht fester Anstellung. Im folgenden ist nur vom Arbeitslohn in diesem engern Sinn und namentlich von dem in Unternehmungen verdienten Arbeitslohn die Rede. Je nach den Mitteln der Lohnzahlung und den verschiedenen Berechnungsweisen des Arbeitslohnes unterscheidet man verschiedene Lohnarten.

1) Natural- und Geldlohn, je nachdem der Arbeitslohn in natura (Kost, Kleidung, Wohnung, Feuerung, Landnutzung etc.) oder in Geld gezahlt wird. Der erste herrscht in Zeiten der Naturalwirtschaft mit ihrer größern Gleichförmigkeit in Wirtschaft und Verkehr. Mit größerer Entwickelung des Verkehrs und der Arbeitsteilung und mit der Gewährung der persönlichen Freiheit der arbeitenden Klassen tritt der Geldlohn an die Stelle des erstern, ohne diesen jedoch völlig zu verdrängen. Auch heute noch ist der Naturallohn da von Bedeutung, wo die Natur des Arbeitsverhältnisses oder andre Umstände ihn erfordern, so bei den häuslichen und landwirtschaftlichen Dienstboten, bei den Lohnarbeitern auf großen Gütern, namentlich in verkehrsarmen Gegenden (z. B. im Nordosten Deutschlands). bei den Lehrlingen und Gehilfen im Handwerk und Handel. Doch wird er meist durch Geldlohn ergänzt. Seltener tritt der Naturallohn bei den industriellen Arbeitern auf, obwohl er auch hier keineswegs überall ganz fehlt. Der Naturallohn bietet den Vorteil, dass er den Arbeiter unabhängig macht von den Schwankungen der Preise der ihm gelieferten Gegenstände; dagegen beschränkt er ihn zu der Verwendung des Lohnes und macht ihn abhängiger vom Arbeitgeber. Das Umgekehrte gilt vom Geldlohn. Die Naturallöhnung kann durch gewissenlose Unternehmer missbraucht werden, indem sie dem Arbeiter zu hohen Preisen Waren aufdrängen, die er nicht verwenden kann und mit Verlust wieder veräußern muss etc. Dieser als Trucksystem (s. d.) bekannten Ausbeutung sucht die moderne Gesetzgebung durch Verbote vorzubeugen.

2) Zeitlohn, Stücklohn, Prämiensystem, Gewinnbeteiligung. Der Arbeitslohn ist Zeitlohn (Tag-, Wochen-, Jahreslohn), wenn die Arbeitskraft für eine bestimmte Zeit vermietet wird und letztere zur Bemessung der Lohnhöhe dient, wobei freilich je nach Leistungsfähigkeit und Fleiß Unterschiede gemacht und Lohnklassen gebildet werden können. Der reine Zeitlohn ist einfach zu bemessen und bietet, weil der Betrag bestimmt ist, weniger Veranlassung zu Streitigkeiten bei der Bemessung. Dagegen macht sich bei ihm der Einfluss individueller Tüchtigkeit und individuellen Fleißes nicht überall genügend geltend: der Arbeiter sucht seine Arbeitskraft zu schonen, der Arbeitgeber wünscht dieselbe möglichst auszunutzen. Dieser Widerstreit der Interessen ist in geringerm Maße vorhanden bei dem Akkordlohn oder Stücklohn, der sich nach der Leistung, der abgelieferten Stückzahl (Raum-, Gewichtseinheiten) bemisst. Hier ist der Reiz zur Mehrleistung größer, die Lohnbemessung eine gerechtere. Doch verleitet er leicht zum raschen über hinarbeiten und zur Überarbeitung; auch kann er bei allgemeiner Einführung leicht Lohnminderung zur Folge haben (so mehrfach in der Hausindustrie). Aus diesem Grunde wird der Akkordlohn, als nur dem Unternehmer von Vorteil, von vielen Arbeitern verworfen. Durchführbar ist der Akkordlohn nur da, wo die einzelnen Leistungen genügend zu bemessen und zu kontrollieren sind. Im übrigen ist er nicht am Platze, wenn in erster Linie die Güte der Leistung in Betracht kommt, wenn häufige, nicht durch den Arbeiter veranlasste Unterbrechungen der Arbeit vorkommen, wenn die Arbeitskraft nur im allgemeinen vermietet wird (Dienstboten) etc. Eine selbständigere Stellung nimmt der Arbeiter bei dem Gruppenakkord ein, bei dem eine Gruppe von Arbeitern gemeinschaftlich die Ausführung von Arbeiten gegen bestimmten Preis übernimmt. Dieser bietet jedoch die Gefahr, dass er in die Afterunternehmung (frz. marchandage) ausartet, wobei die Arbeiter von einem klugen Führer (Akkordmeister) ausgebeutet werden können. Kommt es dem Arbeiter bei dem Akkordlohn nur auf die Menge von Leistungen an, so wird sein Interesse bei dem Prämien- und dem Gewinnbeteiligungssystem noch enger an den wirtschaftlichen Erfolg der Arbeit gefesselt. Das Charakteristische des Prämiensystems besteht darin, dass dem Arbeiter neben dem Arbeitslohn noch ein besonderes Entgelt, eine Prämie, sei es für besondern Fleiß (beim Zeitlohn) oder für besonders gute Leistungen (beim Stücklohn) oder für Minderverbrauch von Werkzeugen, Roh- und Hilfsstoffen (Sparprämien) gewährt wird. Das Prämiensystem ist, soweit es überhaupt anwendbar ist (was bezüglich der Sparprämien nur in beschränktem Maße der Fall ist), an sich für Arbeiter und Unternehmer günstig. Es besteht aber die Gefahr, dass bei seiner Verallgemeinerung der übrige Lohn um die Prämie sinkt; doch kann dieser Gefahr dadurch vorgebeugt werden, dass die Prämien nur in längern Zeitabständen gezahlt oder zu bestimmten Zwecken (z. B. Unterstützungszwecken) verwendet werden dürfen. Die Gewinnbeteiligung kann in doppelter Weise erfolgen, entweder so, dass der Arbeiter neben seinem Lohn einen Anteil am Geschäfts gewinn bekommt oder so, dass er nur Gewinnanteile (ohne festen Lohn) erhält. Die erste Art, das sogen. Tantiemesystem, kann die Einnahmen der Arbeiter steigern, ist aber im wesentlichen nur beim Zeitlohn und in solchen Unternehmungen anwendbar, deren Reinerträge überwiegend auf der Leistung der Arbeiter beruhen. Die zweite Art macht das Arbeitseinkommen zu einem schwankenden und unsichern und wird deshalb selten zweckmäßig sein. Beide Arten setzen die Geneigtheit der Arbeitgeber, Einblick in ihre Geschäftsergebnisse zu gewähren, voraus.

Das Wesen des Arbeitslohnes ist nur im Zusammenhang mit dem Wesen der heutigen auf Privateigentum und freiem Arbeitsvertrag beruhenden Wirtschaftsordnung zu verstehen, nach welcher der Arbeiter und Unternehmer getrennte Persönlichkeiten sind, von denen der erstere nur die Arbeitskraft, der letztere die Stoffe und Hilfsmittel der Produktion besitzt. Nach der heutigen Wirtschaftsordnung fällt dem kapitalistischen Unternehmer das ganze Ergebnis der Produktion zu, und er entschädigt die Arbeiter für ihre Mitwirkung mit dem vertragsmäßig verabredeten Arbeitslohn So erscheint der Lohn als die im voraus vereinbarte Abfindung des Arbeiters für seinen Anteil am Produkt. Diese Abfindung beruht nicht auf einer genauen Ermittelung dieses Anteils (»gerechter Lohn«), sondern auf dem Marktpreis der Arbeit. Die Arbeit erscheint demnach als eine Ware, der Arbeitslohn als ihr Preis, die Bildung der Lohnhöhe als Preisbildung, für welche die allgemeinen Preisbestimmungsgründe der Waren Anwendung finden. Somit wird auch der Lohn zwischen zwei Grenzen durch das Verhältnis von Angebot und Nachfrage bestimmt, wobei sittliche Beweggründe, persönliche Beziehungen und Rechtsordnung die Regelung wesentlich beeinflussen können. Abweichungen werden dadurch bedingt, dass der Arbeiter seine Arbeitskraft nicht von seiner Person loslösen kann, mit dem Verkauf seiner Ware Arbeit in eine gewisse Abhängigkeit gerät, sich immer in der Zwangslage, verkaufen zu müssen, befindet, und dass endlich die Ausgleichung von Angebot und Nach frage nicht so rasch und in der Art erfolgen kann, wie bei Waren im engern Sinn. Infolgedessen ist der Arbeiter im Konkurrenzkampf im allgemeinen ungünstiger gestellt als der Unternehmer, der auf Grund seines Besitzes, seiner Kenntnisse, Verkehrsbeziehungen etc. länger auszuharren vermag als der beschäftigungslose Arbeiter. Aus dieser Besonderheit des Arbeitsverhältnisses erwächst die Notwendigkeit für den Staat, Schutzvorkehrungen zu treffen, wo die Persönlichkeit des Arbeiters gefährdet erscheint. Hier handelt es sich aber zunächst nur darum, zu untersuchen, wie sich die Höhe des Arbeitslohnes im rein egoistischen Preiskampf bei freier Konkurrenz regelt.

Der Arbeitslohn wird also zwischen zwei Grenzen durch das Verhältnis von Angebot und Nachfrage geregelt. Die Maximalgrenze des Arbeitslohnes liegt in dem Werte, den die Arbeit für den Unternehmer hat; denn dieser wird und kann die Arbeitsleistungen auf die Dauer nicht höher bezahlen, als sie ihm selbst wert sind. Was ihm aber die Arbeitsleistungen selbst wert sind, hängt ab von dem, was ihm von den Abnehmern der mit Hilfe der Arbeitsleistungen hergestellten Waren gezahlt wird. Ob die Löhne diese Maximalgrenze erreichen, bez. wie weit sie hinter ihr zurückbleiben, ist durch das Verhältnis, in dem Nachfrage und Angebot von Arbeit zueinander stehen, bedingt. Der Arbeitslohn hat aber auch eine Minimalgrenze, unter die er dauernd nicht sinken kann, und diese liegt in den notwendigen Selbstkosten, und zwar kommt der augenblickliche Unterhaltsbedarf als absolutes Minimum in Betracht, was nicht selten praktische Bedeutung erlangt (Fälle der äußersten Not, in denen für die Zukunft nicht gesorgt werden kann). Für die Dauer muss jedoch der Lohn ausreichen, um dem Arbeiter während seiner ganzen Lebenszeit, also auch in Zeiten der Krankheit und der Invalidität, den durchschnittlich nötigen Unterhalt für sich und seine Familie zu gewähren, um eine standesgemäße Ausbildung der Kinder und die nötige Versorgung der Hinterbliebenen zu gewähren. Nun sind aber diese durchschnittlichen Selbstkosten der Arbeit (die durch Sitte und Gewohnheit bedingte Lebenshaltung, engl. standard of life) nicht in allen Zeiten, Ländern und Arbeitszweigen gleich (Änderung der Kulturhöhe, Verschiedenheit der Bedürfnisse je nach Klima, Arbeitsart, Schwierigkeit und Dauer der Erlernung, Unterbrechungen der Arbeit etc.). Insbesondere ändern sie sich auch mit den Preisen der Unterhaltsmittel. Der Einfluss solcher Änderungen auf den Lohn ist ganz verschieden, je nachdem dieselben dauernd oder vorübergehend sind. Eine vorübergehende Preissteigerung wird, weil sie leicht die Nachfrage nach Arbeit mindert und das Angebot von Kräften mehrt, meist den Lohn drücken, statt ihn zu steigern, und umgekehrt. Sinkt der Arbeitslohn unter den Satz der üblichen Lebenshaltung, so wird leicht die Sterblichkeit, insbes. diejenige der Kinder, zunehmen, Arbeiter werden auswandern etc., und so wird das Angebot von Arbeitskräften früher oder später sich mindern. Sinken dabei Kultur und Lebenskraft der Arbeiter, so wird auch die Lebenshaltung selbst herabgedrückt. Steigt der Lohn über jenen Satz hinaus, so kann die Arbeiterzahl wachsen (frühere Heiraten, Mehrgeburten, Einwanderung, Minderung der Sterblichkeit); doch wird die Zahl keineswegs immer rasch bis zu dem Punkt zunehmen, dass nun der Lohn auf den alten Satz sinken muss. Bis die Neugebornen das Angebot erhöhen, kann leicht auch eine Änderung von Technik und Verkehr eine noch größere Mehrung der Arbeitsgelegenheiten bewirken. So können denn auch mit der Kultur, zumal wenn die Arbeiter Tatkraft und Charakterfestigkeit bewahren, Lebenshaltung und Arbeitslohn steigen.

Wie bereits erwähnt worden ist, ist die Stellung des Arbeiters im Preiskampf regelmäßig ungünstiger als die des Arbeitgebers, weil er gezwungen sein kann, seine Arbeitskraft auch zu dem niedrigsten Lohn zu verkaufen, um nur leben zu können. Dieser sowie andern Schwächen des Arbeitsangebotes, denen der einzelne Arbeiter, soweit die Gesetzgebung sich seiner nicht annimmt, machtlos gegenübersteht, vermögen dauernde Organisationen der Arbeiter, wie solche sich in den modernen Kulturstaaten immer mehr seit Aufhebung der Koalitionsverbote in den sogen. Gewerkvereinen (s. d.) gebildet haben, wesentlich abzuhelfen, indem sie den Arbeitgebern als geschlossene Macht gegenübertreten und durch Arbeitseinstellungen (s. d.), Unterhaltung der feiernden Arbeiter und andre Mittel günstigere Arbeitsbedingungen und bessere Löhne durchsetzen. Die gesetzgeberischen Maßnahmen richten sich regelmäßig nicht direkt auf den A., sondern auf die Beschränkung der Frauen- und Kinderarbeit, durch welche die Konkurrenz den erwachsenen männlichen Arbeitern erleichtert wird, auf die Gewährung der Koalitionsfreiheit, auf die Verbesserung der sonstigen Arbeitsbedingungen (s. insbes. Fabrikgesetzgebung) und die Sicherung der Arbeiter gegen die wirtschaftlichen Folgen von Krankheit, Unfällen, Alter und Invalidität (s. Arbeiterversicherung).

Der Arbeitslohn ist von jeher Gegenstand eingehender theoretischer Untersuchungen geworden. Besonders bekannt sind diejenigen Ricardos, Lassalles und v. Thünens. Nach Ricardo kann der Lohn dauernd weder über die Kosten des Unterhaltsbedarfs steigen, noch unter dieselben sinken, weil in jenem Fall eine entsprechende Zunahme des Arbeiterangebots, in diesem eine Minderung stattfinde. Doch hatte Ricardo selbst jene Kosten als mit der Kultur veränderlich bezeichnet, wie denn auch der Arbeitslohn in Wirklichkeit von Zeit zu Zeit und von Ort zu Ort verschieden ist. Hiernach verliert das eherne Lohngesetz, wie es Lassalle mit einiger Übertreibung nannte, die ihm beigelegte Härte. Das Wahre an demselben ist, dass bei jeder sozialen Organisation der größte Teil der Menschheit immer auf Erwerb durch Arbeit wird angewiesen bleiben. Lassalle gibt die Möglichkeit einer Besserung auch für eine kapitalistische Wirtschaftsverfassung zu, er rät den Arbeitern, nicht zu sparen, sondern ihren Lebensbedarf zu erhöhen. Demnach könnte nur der Arbeiterstand selbst für seine Lage verantwortlich gemacht werden. Dagegen wird diese Verantwortlichkeit erheblich abgeschwächt, wenn anzunehmen ist, dass durch wirtschaftliche und technische Verbesserungen immer wieder von neuem eine »Arbeiterreserve-Armee« oder »Surpluspopulation« (nach K. Marx) geschaffen und erhalten wird, die keine Beschäftigung findet und durch ihr Angebot den Lohn drückt.

Eine zweite Theorie Ricardos ist die früher besonders in England vertretene Lohnfondstheorie, nach der jeweilig ein fest bestimmter Kapital betrag zur Lohnzahlung in der Hand der Unternehmer sich befindet, so dass bei gegebener Arbeiterzahl der Arbeitslohn ein fest bestimmter ist und auch durch Koalitionen nicht gesteigert werden kann. Aber auch diese ist nicht zutreffend. Denn in Wirklichkeit ist die Nachfrage nach dem Produkte der Arbeit seitens der zahlungsfähigen Konsumenten das entscheidende Moment für die Ausdehnung der Produktion und die Größe der Nachfrage nach Arbeit. Einen naturgemäßen Arbeitslohn suchte v. Thünen ausfindig zu machen. Indem er von der Annahme ausging, dass der Lohn dann wahrhaft in der Natur begründet sei, wenn die Lohnarbeit mit der auf Kapitalerzeugung gerichteten Arbeit gleiche Belohnung erhalte, stellte er diesen Lohn in der Formel (ap) dar, in der a den Lebensbedarf eines Arbeiters, p das Ergebnis seiner Arbeit bedeutet; doch wurde die Richtigkeit dieser Formel angefochten.

Ist auch der Arbeitslohn in den verschiedenen Arbeitszweigen ungleich hoch, so hat er doch das Bestreben zur Ausgleichung, wobei freilich die Gleichheit eine relative ist. Ungleichheit in der Schwierigkeit der Erlernung, in den Anforderungen an moralische Eigenschaften und Geschick, in der Annehmlichkeit der Beschäftigung und in der Sicherheit der Existenz können natürliche Unterschiede bedingen. Aber auch innerhalb dieser Grenzen kann die Ausgleichung gehindert werden durch den Mangel an Kenntnis des Arbeitsmarkts andrer Orte und Produktionszweige, durch ungenügende Würdigung von Gefahren der Arbeit, Mangel an Tatkraft und Mitteln zur Auswanderung, Heimatsliebe, Schwierigkeit des Überganges zu einem andern Beruf, die um so größer ist, je ausgebildeter die Arbeitsteilung wird etc. Viele dieser Hindernisse schwinden mit steigender Entwickelung von Kultur und Verkehr."

[Quelle: Meyers großes Konversations-Lexikon. -- DVD-ROM-Ausg. Faksimile und Volltext der 6. Aufl. 1905-1909. -- Berlin : Directmedia Publ. --2003. -- 1 DVD-ROM. -- (Digitale Bibliothek ; 100). -- ISBN 3-89853-200-3. -- s.v.]


9.1.2. Gerechter Lohn



Abb.: Buchtitel

"Interview: Das rechte Gehalt

Verdienen Manager zu viel Deutschland und Hilfsarbeiter zu wenig? Ein Interview über Lohngerechtigkeit in Deutschland.

Der Soziologe Jürgen Schupp hat am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) Berlin eine Studie zum Thema "Entlohnungsungerechtigkeit in Deutschland" durchgeführt. Jutta Göricke fragte ihn nach den Ergebnissen.

SZ: Seit dem Mannesmann-Prozess wird quer durch alle Bevölkerungsschichten darüber diskutiert, ob die Gehälter von Top-Managern noch als anständig zu bezeichnen seien - zumal in Zeiten mäßiger Wirtschaftsentwicklung und hoher Arbeitslosigkeit. Sie haben die Stimmung systematisch untersucht.

Schupp: Im letzten Sommer haben wir 750 Personen im arbeitsfähigen Alter zum Thema Lohngerechtigkeit befragt. Dabei wollten wir zum Beispiel wissen, wie viel ein Top-Manager verdienen darf und ob sich die Befragten selbst ausreichend entlohnt fühlen.

SZ: Was ist denn ein gerechter Lohn?

Schupp: Wissenschaftlich lässt sich das nicht definieren. In der Realität stellt sich das Gefühl der Gerechtigkeit dann ein, wenn das Verhältnis von tatsächlichem Lohn und dem, was der Einzelne angemessen findet, stimmt. Gerechter Lohn ist also eine höchst subjektive Angelegenheit.

SZ: Wie stehen die Vorstände denn nun da in den Augen der Bevölkerung? Als raffgierige Faulenzer?

Schupp: Zunächst einmal: Es gibt keine gesicherten Angaben darüber, wie viel ein Vorstandsvorsitzender im Durchschnitt tatsächlich verdient. Das sind alles nur Mutmaßungen. Daher wollten wir zunächst von den Befragten wissen, wie hoch sie das durchschnittliche Gehalt eines Top-Managers schätzen. Es wird sehr hoch veranschlagt, faktisch wohl überschätzt. Aber das können ja auch wir nicht wirklich beurteilen, und darauf kommt es auch nicht an. Von Interesse ist viel mehr die Diskrepanz zwischen dieser hohen Einschätzung und dem, was die Leute einem Vorstandsvorsitzenden für seine Arbeitsleistung zugestehen. Und da kam heraus, dass nur rund 23 Prozent der Befragten Managergehälter für gerecht halten. Anders herum: Drei Viertel der Bevölkerung halten Manager für überbezahlt.

SZ: Hält der normale Arbeitnehmer seinen eigenen Lohn für angemessen?

Schupp: Die Mehrheit empfindet das eigene Einkommen als gerecht, wobei sich die Bevölkerung im Westen zufriedener zeigte als in den neuen Ländern.

SZ: Und wie beurteilt der Normalverdiener beispielsweise die Bezahlung eines Hilfsarbeiters?

Schupp: Die Entlohnung von Hilfsarbeitern wird von 70 Prozent der Befragten als ungerecht empfunden. Und das sogar, obwohl sie annahmen, dass Hilfsarbeiter mehr verdienen, als es in Wirklichkeit der Fall ist. Auch hier zeigte der Osten mehr Engagement, nämlich eine stärkere Solidarität mit dem Hilfsarbeiter. Das heißt, dem besonders einkommensstarken Manager gönnt man sein Geld nicht, dem Einkommensschwachen würde man mehr davon wünschen.

SZ: Wie steht Deutschlands gefühlte Gerechtigkeit im internationalen Vergleich da?

Schupp: In Deutschland wird die Höhe der Managergehälter deutlich ungerechter empfunden als im Ausland. Getoppt werden wir nur von Ungarn.

SZ: Da werden sich die Managerfreuen, die gerne auf die miesepetrigen Stimmen aus Deutschland im globalen Konzert verweisen.

Schupp: Nur dürfen sie dabei eines nicht vergessen: Sie agieren nicht nur im globalen, sondern auch im nationalen Raum. Und da sind sie auf den sozialen Frieden angewiesen."

[Quelle: Süddeutsche Zeitung. -- 2005-03-05. -- http://www.diw.de/deutsch/presse/diwinpresse/docs/2005/diwip_Schupp_Gehalt_SZ_20050305.pdf. -- Zugriff am 2005-10-25]


9.1.3. Materielle Interessiertheit im Sozialismus (Leistungsprinzip)



DDR-spezifisch

"Materielle Interessiertheit: Die Materielle Interessiertheit gilt als zentrales Prinzip des sozialistischen Wirtschaftens. Das Prinzip der Materiellen Interessiertheit wird aus dem Verständnis der sozialistischen Gesellschaft als erster Etappe der kommunistischen Gesellschaftsformation ( Gesellschaftsordnung) gerechtfertigt, in der jeder nach seinen Fähigkeiten arbeiten und nach seinen Leistungen entlohnt werden soll. Erst im Kommunismus werde die Arbeit zum unmittelbaren Lebensbedürfnis aller Menschen; erst dann könne aufgrund eines entsprechend höher entwickelten Gesellschaftlichen Bewusstseins auf den materiellen Anreiz als zusätzliches Motiv für hohe Arbeitsleistungen verzichtet werden. Ferner ermögliche der Kommunismus die Abschaffung der Leistungsentlohnung; der dann erreichte Entwicklungsstand der Produktivkräfte lasse die Verteilung der Güter und Dienstleistungen nach dem Bedürfnisprinzip (»jeder nach seinen Bedürfnissen«) zu.

Indem die Aneignung und Verteilung materieller Produkte von der Arbeitsleistung abhängig gemacht wird – vornehmlich über das Lohneinkommen –, wird versucht, Einzelpersonen bzw. Kollektive zu einer rationellen, auf höchsten Nutzen gerichteten Tätigkeit in den verschiedenen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens, insbes. der materiellen Produktion, zu veranlassen. Dabei soll der einzelne die von ihm für die Gesellschaft im Arbeitsprozess erbrachte Leistung zugleich als für den Betrieb, sein unmittelbares Arbeitskollektiv und für sich selbst als »nützlich«, ihm zugute kommend erfahren. »Korrekte Anwendung« des Prinzips der Materiellen Interessiertheit hat also die Herstellung dieser Interessenübereinstimmung zum Ziel; wobei durchaus gesehen wird, dass es sich dabei um einen konfliktreichen, ständig erneut in Gang zu setzenden Prozess handelt. Zahlreiche Widersprüche im Lohnsystem ( Lohnformen und Lohnsystem), aber auch die vielfach gegebene Unmöglichkeit, die eigene Leistung als »gerecht bewertet« im betrieblichen oder gar im gesamtgesellschaftlichen Arbeitszusammenhang wiederzufinden, haben der Erreichung des mit der Anwendung des Prinzips der Materiellen Interessiertheit verbundenen Zieles bisher meist entgegengestanden."

[Quelle: DDR-Handbuch / hrsg. vom Bundesministerium für Innerdeutsche Beziehungen. Wissenschaftliche Leitung: Hartmut Zimmermann unter Mitarbeit von Horst Ulrich und Michael Fehlauer. -- 3., überarb. u. erw. Aufl. -- Köln : Verlag Wissenschaft u. Politik, 1985. -- 2 Bde. -- s.v.]

"Leistungsprinzip: Das Leistungsprinzip »Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seiner Leistung« gilt im Historischen Materialismus als eines der spezifischen Merkmale der sozialistischen Gesellschaftsformation. Es entspricht den Vorstellungen, die Karl Marx in der »Kritik des Gothaer Programms« zum Fortbestehen des Prinzips der äquivalenten Verteilung des Arbeitsertrags in der ersten, noch mit den »Muttermalen der alten Gesellschaft« behafteten Phase des Kommunismus entwickelt hat (Marx/Engels, Werke, Bd. 19, S. 18ff.).

Das Leistungsprinzip besagt, dass auf der Grundlage sozial gleicher Stellung der Gesellschaftsmitglieder zu den Produktionsmitteln ein differenzierter Anteil der einzelnen an der Einkommensbildung gewährleistet werden muss. In dem Maße, in dem in der DDR gegenwärtig das Leistungsprinzip zur Begründung sozialer Differenzierungen herangezogen wird, wird die Erreichung sozialer Gleichheit in Produktion, Distribution und Konsumtion auf eine spätere, kommunistische Phase verschoben.

Das Leistungsprinzip ist in der Verfassung der DDR von 1968 – ebenso i. d. F. von 1974 – an prominenter Stelle (Art. 2 Abs. 3) als eine der gesellschaftspolitischen Leitvorstellungen normiert und in nachfolgenden Artikeln spezifiziert worden (Art. 24, 26). Besondere Bedeutung kommt dem Leistungsprinzip für die Gestaltung der Lohnpolitik zu. Wie ähnlich bereits im Gesetzbuch der Arbeit aus dem Jahr 1961 (GBl. I, S. 27) bestimmt das Arbeitsgesetzbuch (AGB) der DDR aus dem Jahr 1977 (GBl. I, S. 185) als Grundsatz: »Das Arbeitsrecht trägt zur konsequenten Verwirklichung des Prinzips ›Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seiner Leistung‹ bei. Es sichert, dass den Werktätigen Lohn nach Qualität und Quantität der Arbeit gezahlt wird und dass Mann und Frau, Erwachsene und Jugendliche bei gleicher Arbeitsleistung gleichen Lohn erhalten.« (Art. 2 Abs. 3) Auch das Zivilrecht hat gemäß dem neuen Zivilgesetzbuch vom 19.6.1975 das Leistungsprinzip zu gewährleisten. Es ist so anzuwenden, dass die »Leistung des Bürgers für die sozialistische Gesellschaft Grundlage ist für seinen Anteil am gesellschaftlichen Reichtum« (§ 3) (GBl. I, S. 465).

In der Praxis ergeben sich Probleme der Leistungsbewertung nicht nur bei der qualitativen Messung von Arbeit, sondern in der Planwirtschaft der DDR auch daraus, dass neben der Sachkompetenz auch Loyalität und parteiliches Verhalten der Beschäftigten bewertet werden sollen. Die solcher Art nach Leistung differenzierte Entlohnung und Prämierung dient als wichtigstes Instrument zur Steigerung der Arbeitsproduktivität. Allerdings erstreckt sich die Materielle Interessiertheit der Beschäftigten neben dem Einkommen auch auf die Arbeits- und Lebensbedingungen, so dass kaum zu ermitteln ist, welche Anreizwirkungen tatsächlich auf die Steigerung der Arbeitsproduktivität ausgehen. Unterschiede im Inhalt und in der Intensität der Arbeit beeinflussen über unterschiedliche Einkommensbildung das Konsumverhalten und darüber hinaus die Sozialstruktur."

[Quelle: DDR-Handbuch / hrsg. vom Bundesministerium für Innerdeutsche Beziehungen. Wissenschaftliche Leitung: Hartmut Zimmermann unter Mitarbeit von Horst Ulrich und Michael Fehlauer. -- 3., überarb. u. erw. Aufl. -- Köln : Verlag Wissenschaft u. Politik, 1985. -- 2 Bde. -- s.v.]


9.1.4. Arbeitsbewertung
 (job evaluation/rating)



Abb.: Gewerkschaftsplakat: "Arbeitsbewertung zurechtrücken"
[Quelle: http://entgeltgleichheit.verdi.de/data/plakat_a3__entgeltgleichheit_-_arbeitsbewertung_zurechtruecken. -- Zugriff am 2005-10-25]

Für die Entlohnung gemäß Tarifverträgen ist die Einordnung in Lohn- bzw. Gehaltsgruppen grundlegend. Vor allem für "typische" Frauenarbeiten sind die Eingruppierungen oft sehr ungünstig. Dies führt bei weiblichen Arbeitnehmern zunehmend zu Unmut und  Unzufriedenheit.

Will man die Arbeit bewerten, denn danach richtet sich der Lohn bzw. das Gehalt, muss man die Arbeitsteile nach Schwierigkeitsgrad unterteilen. Man unterscheidet bestimmte Anforderungen und rechnet diese dann einer Gruppe zu; z.B. ist ein Diplom nötig? (Beispiel: im Bundesangestelltentarif wurde ein FH-Diplom bisher als BAT 5b eingestuft). Neben den Fachkenntnissen, was für den Beginner wichtig ist, spielt dann später die Erfahrung eine große Rolle für die Bewertung.

Weitere Anforderungen, die zu prüfen sind, sind die Menschen, für die man Verantwortung hat, die Geschicklichkeit, aber auch die äußeren Bedingungen wie Lärm usw (das sollte Zulagen geben).

So werden die Werte für eine bestimmte Arbeit für den durchschnittlichen Mitarbeiter, der diese Stelle ausfüllt, bestimmt. Zusätzlich kann der einzelne Mitarbeiter Leistungsprämien erhalten.

Man verwendet heute das sogenannte "Genfer Schema" (s. unten im Zitat Wöhe), das 1950 auf Grund internationaler Erfahrung entwickelt wurde. Man unterscheidet dabei Fachkönnen, Belastung, Verantwortung und Arbeitsbedingungen. Untersucht man die Qualität der Arbeit unterscheidet man zwei Methoden, nämlich die summarische Methode und die analytische Methode. Bei der summarischen Methode bewertet man alle Arbeitsvorrichtungen  als Ganzes und schaut, wie schwierig die Arbeit ist (z.B. Raumpflegen). Bei der analytischen Methode schaut man die Anforderungen der einzelnen Arbeitsverrichtungen an, wertet diese und kommt zu einem Mittelwert (häufige Methode im BAT).

Will man die Arbeitsschwierigkeit quantifizieren, kann man nach Wöhe zwei Prinzipien anwenden: ein Reihungsprinzip und ein Stufungsprinzip. Beim Prinzip der Reihenfolge ordnet man die Arbeitsverrichtungen nach Schwierigkeitsgrad - vom höchsten zum niedrigsten. Beim Prinzip der Stufung legt man erst mal fest, welche Anforderungen an eine bestimmte Arbeitsverichtung zu stellen ist und ordnet dann Arbeitsverrichtungen, die unterschiedlich sind, aber die gleiche Schwierigkeit aufweisen, einander zu (z.B. Tätigkeit des Erwerbens orientalischer Literatur und Erfassung dieser Literatur).

Da solche Arbeitsbewertungen sehr ungerecht sein können (wie an dem Beispiel der Krankenpflegerin und dem Abwassertechniken gezeigt, das von der Journalistin Heide Oestreich geschildert wird), versucht man eine neue analytische Bewertung einzuführen (Abakaba).

"Es gibt ergibt sich also folgendes Schema:

 

Gruppenzahl Hauptanforderungsarten
I. 1.  Fachkönnen = geistige Anforderungen
2.  Fachkönnen = körperliche Anforderungen
II. 3.  Belastung = geistige Beanspruchung
4.  Belastung = körperliche Beanspruchung
III. 5. Verantwortung
IV. 6. Arbeitsbedingungen

Abb. : Genfer Schema zur Arbeitsbewertung

[...]

Kombiniert man die summarische und analytische Methode mit den Prinzipien der Reihung und Stufung, so ergeben sich vier Grundmethoden der Arbeitsbewertung:

 

Methode der Quantifizierung Methode der qualitativen Analyse
summarisch analytisch
Reihung

Rangfolgeverfahren

Rangreihenverfahren

Stufung

Lohngruppenverfahren

Stufenwertzahlverfahren

Abb. : Methoden der Arbeitsbewertung

Die summarischen Verfahren der Arbeitsbewertung sind einfach zu handhaben. Besonders das Lohngruppenverfahren erfreut sich großer praktischer Beliebtheit. Dabei hat die Arbeitsbewertung die Aufgabe,

  • jeden betrieblichen Arbeitsplatz
  • in eine der tarifvertraglich vereinbarten Lohngruppen einzuordnen.[...]

Mit ihrer differenzierten Bewertung der Arbeit nach einzelnen Anforderungsarten erlauben die analytischen Verfahren eine präzisere Arbeitsbewertung. Zur Ermittlung des endgültigen Arbeitswertes sind für jeden Arbeitsplatz

  • die Wertziffern in jeder Anforderungsart zu ermitteln und
  • die Anforderungsarten durch Äquivalenzziffern zu gewichten."

[Quelle: Wöhe, Günter <1924 - > ; Döring, Ulrich: Einführung in die allgemeine Betriebswirtschaftslehre. -- 22., neubearb. Aufl. -- München : Vahlen,  2005. --  XXXVI, 1220 S. : Ill. ; 23 cm. -- (Vahlens Handbücher der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften). -- ISBN 3-8006-3254-3. -- S. 174 - 176. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen}]

""Das macht meine Frau zu Hause nebenher"


Deutschland-bezüglich

Andere Kriterien, andere Bewertung - wie es kommt, dass Frauen trotz proklamierter Lohngerechtigkeit weniger Geld bekommen

Herr M. riecht wieder so unangenehm. Die Mitbewohner im Altenheim beschweren sich bei den Pflegerinnen. Die versuchen, Herrn M. zu waschen. Aber Herr M. ist ganz anderer Ansicht. Ständig werde er gewaschen, man nötige ihn pausenlos, unbequeme Prozeduren über sich ergehen zu lassen, klagt er seiner Tochter. Die beschwert sich bei der Heimleitung über die "Schikanen". Mühsam versucht Pflegerin Marion Schnurawa, dort die Lage zu klären. Währenddessen sieht sie die 88-jährige Frau S. zur Tür hinausspazieren. Die wieder einzufangen wird auch nicht leicht.

Alltag in einem Altenheim in Hannover. Lauter unvorhergesehene Ereignisse, für die eine Pflegerin wie Marion Schnurawa am Ende 2.450 Euro brutto auf dem Gehaltskonto haben wird.

Klaus Walther* ist Abwassertechniker. Er verteilt Aufträge für Kanalarbeiten an Baufirmen , deren Arbeit er dann kontrolliert. Manchmal steigt er runter in den Kanal, ansonsten macht er Abrechnungen. Besondere Schwierigkeiten? Walther überlegt: "Nee, eigentlich nicht." Auch Klaus Walther bekommt 2.450 Euro brutto.

Gerecht? Nein, fand ein Projekt der Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di heraus. Frau Schnurawa müsste mehr verdienen als Herr Walther. Aber Altenpflegerinnen, die Psychologiekenntnisse haben müssen, Erzieherinnen, von denen eine schöne Kindheit abhängt, Krankenschwestern, die Ansteckungsgefahren, anstrengende Patienten und deren Anmache ertragen und dabei noch lächeln - das sind Berufe, die der klassischen Haus- und Familienarbeit ähneln. Und die sind eben schlecht bezahlt; nichts zu machen.

Oder? Ver.di hat die Arbeit von Marion Schnurawa und Klaus Walther mit Hilfe eines Arbeitsbewertungssystems vergleichen lassen. Frau Schnurawa erreichte mehr als doppelt so viele Punkte wie Herr Walther.[...]

Immerhin gab die ÖTV ein Gutachten in Auftrag. Und das brachte die heile Welt des BAT ins Wanken: Die Tarifbibel widerspreche europäischem Recht, stellten die Wissenschaftlerinnen Regine Winter und Gertraude Krell fest. Gleichwertige Arbeit müsse auch gleich entlohnt werden, steht im EU-Vertrag und in der entsprechenden Richtlinie. Die Entgeltsysteme müssen transparent sein. Der BAT aber lege nicht einmal genau dar, welche Anforderungen bei verschiedenen Arbeiten zu bewältigen seien. Und wenn, dann seien sie über verschiedene Spezialtarifbereiche verteilt und deshalb nicht mehr vergleichbar. So haben technische Berufe, eine Männerdomäne, einen eigenen Bereich; Pflegeberufe, meist Frauenarbeitsplätze, einen anderen. Von Transparenz keine Spur. Emotionale und soziale Anforderungen kämen zudem überhaupt nicht vor[...].

Das Vergleichsprojekt in Hannover zog nun ein anderes Bewertungsverfahren heran. Es wurde in der Schweiz von den Arbeitswissenschaftlern Christian Katz und Christoph Baitsch entwickelt: Abakaba, die "Analytische Arbeitsbewertung nach Katz und Baitsch" (siehe Kasten rechts). Im Gegensatz zum "summarischen" Verfahren, das die deutschen Tarifparteien anwenden, ist dieses Verfahren "analytisch", weil es jede Tätigkeit bis ins Detail aufschlüsselt und bewertet. Bei der Summarik dagegen peilt man die Anforderungen quasi über den Daumen.

Klaus Walthers Arbeitsplatz kam auf 40 Punkte, Marion Schnurawas auf 85. Warum? In die Abakaba-Bewertung werden auch psychosoziale Anforderungen aufgenommen, die im BAT nicht vorkommen. So muss eine Altenpflegerin kooperationsfähiger sein, Einfühlungsvermögen besitzen, muss das Leid anderer und auch "ekelerregende Situationen" ertragen. All das trifft auf den Abwassertechniker nicht zu. Obwohl beide im "intellektuellen Bereich" auf fast dieselbe Punktzahl kamen, liegt Marion Schnurawa deshalb - wird der "psychosoziale Bereich" addiert - weit vor Klaus Walther.

Ohne Tarifvertrag lässt sich die Punktzahl nicht direkt in ein Gehalt übertragen. [...]

* Name von der Redaktion geändert

HEIDE OESTREICH"

[Quelle: Heide Oestreich. -- In: taz. -- 2002-04-25. -- S. 6]

Wie bei Heide Oestreich erwähnt haben zwei Schweizer Organisationspsychologen 1996 ein alternatives Instrument zur Bewertung von Arbeit entwickelt, das den Vorstellungen der EU entspricht. Das System nennt sich A(nalytische)B(ewertung von)A(rbeitstätigkeiten nach)Ka(tz und)Ba(itsch) und versucht eine möglichst gerechte Entlohnung zu finden. Christian P. Katz und Christof Baitsch versuchen mit ihrem System den jetzigen üblichen Verfahren zur Arbeits- bzw. Funktionsbewertung, die zu Lohndiskriminerung führen können, entgegen zu wirken.Schwerpunkt bei Abakaba sind die intellektuellen, psycho-sozialen und physischen Aspekte bei Arbeitstätigkeiten. Das System ist gemäß den Aussagen von Katz und Baitsch inzwischen mit Erfolg im öffentlichen Bereich vor allem in der Schweiz aber auch in einigen privaten Unternehmen eingeführt worden.

Katz und Baitsch geben folgende unterscheidende Merkmale an:

"Abakaba - Das EU-konforme Arbeitsbewertungsinstrument"


EU-spezifisch

[...] "Da Abakaba kein Lohnsystem, sondern ein Funktionsbewertungsinstrument ist, sind sämtliche Kombinationen mit anderen Lohnkomponenten wie Leistungs- bzw. Erfahrungsanteile, Bonussystem, Marktzulagen usw. möglich.

Was unterscheidet Abakaba von anderen Funktionsbewertungssystemen?

  • Abakaba verwendet arbeitswissenschaftlich begründbare Anforderungen und Belastungen als Merkmale und ist damit geschlechtsneutral und diskriminierungsfrei.
  • Die Merkmalsbereiche sind faktorenanalytisch voneinander unabhängig (keine Konfundierungen).
  • Die Operationalisierung (Definitionen) der Merkmale ist transparent und einfach handhabbar.
  • Die verwendeten Abstufungen sind relativ grob und daher nachvollziehbar (keine pseudo-objektiven Differenzierungen).
  • Die Merkmalspunktwerte sind systemseitig vorgegeben (keine Diskussionen über Punktwerte, sondern nur über tätigkeitsrelevante Sachverhalte).
  • Abakaba eignet sich in gleicher Weise für grobe als auch für feine Funktionenraster.
  • Mit Abakaba lässt sich sehr gut zwischen Basisfunktionen und verwandten Funktionen unterscheiden, wobei die Analyse und
  • Bewertung von verwandten Funktionen nur einen Bruchteil des Zeitaufwandes benötigt.
  • Die Informationen über die zu bewertenden Tätigkeiten erfolgt mit oder ohne Fragebogen. So können Stelleninhaber/innen am Bewertungsprozess beteiligt werden. Die Anwendung kann aber auch expertokratisch erfolgen.
  • Abakaba ist für sämtliche denkbaren Arbeitstätigkeiten in unterschiedlichsten Betriebsstrukturen anwendbar (Privatwirtschaft, Verwaltung usw.).
  • Abakaba trennt transparent zwischen Analyse der Tätigkeiten (ungewichtete Punktwerte) und Bewertung bzw. Lohnfindung (Merkmalsgewichtung und Überführung in eine Lohnstruktur) und damit zwischen arbeitswissenschaftlich begründbaren und lohnpolitisch zu verhandelnden Aspekten.
  • Spätere Funktionsveränderungen lassen sich jederzeit und ohne großen Aufwand in Abakaba berücksichtigen.
  • Unternehmenspolitisch erwünschte Gewichtungsmodifikationen lassen sich jederzeit und ohne Veränderung der einzelnen Funktionsanalysen vornehmen.
  • Die mit Abakaba erzielten Resultate lassen sich jederzeit transparent nachvollziehen.
  • Arbeitsmarktfaktoren werden durch die Gewichtung sowie spezifische Marktkorrekturen berücksichtigt."

[Quelle: http://www.katzundbaitsch.ch/funk.asp. -- Zugriff am 2005-10-25]


9.1.5.  Cafeteria-Systeme
(cafeteria benefits programs)


"Cafeteria-Systeme" sind zumindest zum Teil nur ein neues Wort für bekannte Anreizsysteme. Man vergleiche die Motivationen in der Firma Würth. Insteressant an diesen Systemen ist die Möglichkeit, dass die Mitarbeiter bis zu einem gewissen Grad auswählen können, welche Belohnungen sie haben wollen, und dass die Leistungen vom Betrieb her so genau berechnet werden, dass man zu einem vergleichbaren Ergebnis kommt.

Während bei Würth die Anreizsysteme klar zu erkennen sind, scheinen mir die Cafeteria-Systeme Belohnungen eher zu verschleiern und zumindest für die Mitarbeiter untereinander nicht vergleichbar zu sein. Becker beschreibt Cafeteria-Systeme so:

"Cafeteria-Systeme (cafeteria benefits programs)

Als Konzepte individueller und flexibler Entgeltgestaltung (Anreizsystem) für Mitarbeiter sind Cafeteria-Systeme als Bestandteil eines Entgeltsystems bekannt. Durch sie erhalten die Mitarbeiter die Möglichkeit, sozial- und/oder übertarifliche Entgeltzuwendungen (Entgeltzulagen) oder Gehaltserhöhungen des Betriebes aus vorgegebenen Alternativen entsprechend ihren persönlichen Motiven auszuwählen. Die Mitarbeiter erhalten dadurch kein höheres Entgelt, sondern lediglich durch die eigene Auswahl an materiellen Belohnungen die Möglichkeit einer höheren Motivbefriedigung. Es wird versucht, die engen Spielräume der materiellen Belohnungen insbes. durch die Nettobeträge bei Entgelterhöhungen durch eine Verschiebung des Anreiznutzens zu erweitern. Die entsprechenden Entgeltkosten sind eine konstante Größe und stellen individuell ein Budget dar, dessen optimale Aufteilung dem jeweiligen Mitarbeiter obliegt. Verschiedene Gestaltungsformen werden anhand einiger Komponenten diskutiert:
  1. Wahloptionen der Leistungen: Cafeteria-Optionen werden den Mitarbeitern quasi in einem Katalog angeboten und sind je nach individueller Budgethöhe auszuwählen: Barzahlung, Abgeltung in Freizeit (frühere ?Pensionierung, ¦>Langzeiturlaub, kürzere Wochen- oder Jahresarbeitszeit u.a.m.), Versicherungsleistungen (Lebens-, Kranken-, Berufsunfähigkeits-, Invaliditätsversicherung), höhere Rentenzahlungen, Sachleistungen (Werkswohnung, Sportmöglichkeiten, Dienstwagen u. a. m.), Mitarbeiterbeteiligung etc.
     
  2. Verrechnungsmodus: Die einzelnen Wahloptionen bedürfen einer Quantifizierung der betrieblichen Kosten, um auch zu verschiedenen Zeitpunkten miteinander vergleichbar zu sein sowie um ihren Budgetwert zu bestimmen.
     
  3. Wahlmöglichkeiten: Die individuellen Wahlmöglichkeiten bei den Optionen können aus Planungs- und Kostengründen durch die Verwendung von Standardleistungspaketen mit unterschiedlichen Freiheitsgraden eingeschränkt werden. Unterschiedliche Pakete werden diskutiert: „Core Cafeteria Plans" mit einem einheitlichen Basispaket und darüber hinaus gehenden individuellen Wünschen, „Büffet Plans" mit absolut freier Wahl und „Alternative Dinners Plans" mit unterschiedlich festen Leistungspaketen, die inhaltlich auf bestimmte Mitarbeitergruppen (Ledige, Verheiratete mit/ohne Kinder u. a.) abgestimmt sind. Die Präferenzen der Mitarbeiter sind vorab zu ermitteln.
     
  4. Wahlturnus: Die Geltungsdauer der Wahl der Mitarbeiter ist zu bestimmen, um veränderten Motivstrukturen Rechnung zu tragen.

     
  5. Periodenfixierung: Zu klären ist des weiteren, ob Cafeteria-Budgetpunkte auf andere Perioden übertragbar sind oder nicht.
     
  6. Restsummen- und Zusatzbedarfsregelungen: Letztlich sind Vereinbarungen sinnvoll, über die Verwendung der verbleibenden, nicht aufbrauchbaren Budgetpunkte und die eventuelle Möglichkeit, durch Eigenzahlungen diese Punkte nutzen zu können.


Sofern die Einrichtung eines Cafeteriasystems tatsächlich den Anreiznutzen bei nahezu gleichen Entgeltkosten erhöht, sind die zusätzlichen Verwaltungskosten eine sinnvolle Investition."

[Quelle: Becker, Fred G. <1955 - >: Lexikon des Personalmanagements : über 1000 Begriffe zu Instrumenten, Methoden und rechtlichen Grundlagen betrieblicher Personalarbeit. -- Orig.-Ausg., 2., aktualisierte und erw. Aufl. -- München : Dt. Taschenbuch-Verl., 2002. -- XLV, 630 S. : Ill. ; 20 cm. -- (dtv ; 5872 : Beck-Wirtschaftsberater). -- ISBN 3-423-05872-2. -- s.v. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen}]


9.1.6. Erfolgsbeteiligung
(profit-sharing)


Siehe:

    Payer, Margarete <1942 - >: Kulturen von Arbeit und Kapital. -- Teil 2: Kapital und Arbeit. -- URL: http://www.payer.de/arbeitkapital/arbeitkapital02.htm


9.2. Arbeitszeit
(working time)



Abb.: "samstags gehört Vati mir". -- Gewerkschaftsplakat. -- 1950er-Jahre

Siehe:

Payer, Margarete <1942 - >: Kulturen von Arbeit und Kapital. -- Teil 1: Betriebs- und Unternehmenskulturen. -- 2. Auf individueller Ebene. -- 3. Arbeitszufriedenheit. -- URL: http://www.payer.de/arbeitkapital/arbeitkapital01203.htm

 


Abb.: "Ausbreitung von Kultur und Bildung ist ohne Arbeitszeitverkürzung nicht denkbar". -- Inserat der IG Metall. -- 1960er-Jahre


9.3. Betriebliche Sozialleistungen
(social/fringe benefits)


Siehe:

Payer, Margarete <1942 - >: Kulturen von Arbeit und Kapital. -- Teil 1: Betriebs- und Unternehmenskulturen. -- 2. Auf individueller Ebene. -- 3. Arbeitszufriedenheit. -- URL: http://www.payer.de/arbeitkapital/arbeitkapital01203.htm


10. Übermotivation



Abb.: Filmtitel. "Was macht eine Frau wenn ihr karrieregeiler Mann nur noch mit dem Handy ins Bett geht... Sie macht selbst Karriere! Auch für Ersatz in Sachen in Liebe ist schnell gesorgt! Paul heißt der neue Herzbube..."

Übermotivation kann zur Sucht, zur Arbeitssucht führen. Dafür hat sich der Ausdruck workaholic (In Japan: 仕事中毒; ワーカーホリック) eingebürgert. Arbeitssucht ist allerdings keine neue Erscheinung, so hat z.B. der Psychoanalytiker Sandor Ferenczi berichtet, dass er Klienten mit "Sonntagsneurose" hat, es handelte sich um Patienten, die diese Neurosen bekamen, wenn sie sonntags nicht arbeiten durften (vgl. Werner Stangl., s. unten)

Nach Stangl können Grundlagen für solche "Neurosen" schon in der Kindheit gelegt werden, wenn das Kind das Vorbild mindestens eines entsprechenden Elternteils nachahmen will.

Zur Arbeitssucht kann es aber auch kommen, wenn jemand seinen Lebensinhalt nur in seiner Arbeit sieht, und er sich weder für anderen Menschen noch für andere Dinge um ihn herum interessiert. (Manchmal zu erkennen, wenn Mitarbeiter von morgens früh bis in die späten Abendstunden im Büro sitzen, ohne dass das von der Arbeitsorganisation her nötig wäre.) Da diese Mitarbeiter von der Umwelt eher als fleißige Vorbilder, die sich für die Firma aufopfern, behandelt werden, wird die Krankheit nicht oder zu spät erkannt. [Manchmal wird die Krankheit erst nachträglich erkannt, nämlich in dem Moment, in dem durch Pensionierung für den Mitarbeiter plötzlich ein Loch entsteht, und er in tiefe Depression verfällt.]

Stangl unterscheidet vier Stadien der Krankheit:

In der Einleitungsphase konzentriert sich der Mitarbeiter immer stärker auf seine Arbeit und vernachlässigt die familiären und sozialen Beziehungen. Er bekommt Schuldgefühle, dass er zu viel arbeitet.

In der kritischen Phase entscheidet sich, ob eine Sucht aus der Arbeitswut entsteht. Er hat Ausreden für das zu viele Arbeiten und ordnet alles der Arbeit unter.

Die dritte Phase ist die chronische Phase, in der nur noch Kraft für die Arbeit gegeben wird. Der Süchtige versucht seine Arbeit immer perfekter zu erledigen und zieht nach Möglichkeit immer mehr Arbeit an sich.

In der Endphase kommt dann allerdings der Knick in der Leistungsfähigkeit, eventuell hört der Mitarbeiter schon Mitte 50 auf oder stirbt an Überarbeitung - man vergleiche die Karoshi-Fälle in Japan.

Das Phänomen der Arbeitssüchtigen ist sehr vielfältig. Stangl arbeitet mit fünf Dimensionen, wenn er die Workaholics gruppieren will:

"Als Gruppierungsvariablen wurde fünf Dimensionen verwendet:
  • Überforderung und Angst
  • zwanghafte Arbeitserledigung
  • Unflexibilität und fehlende Spontaneität
  • Entscheidungsunsicherheit
  • Verbissenheit.

Die entscheidungsunsicheren Arbeitssüchtigen

Gemessen an den übrigen drei Arbeitssüchtigen-Typen lassen sich bei den entscheidungsunsicheren Arbeitssüchtigen auf den ersten Blick relativ wenige Arbeitssuchtmerkmale feststellen. Sie weisen zwar eine vergleichsweise hohe quantitative Arbeitsbelastung auf, verfügen gleichzeitig aber auch über eine große Menge an freier Zeit. In allen übrigen Themenbereichen lassen die entscheidungsunsicheren Arbeitssüchtigen aber kaum ausgeprägte arbeitssüchtige Einstellungs- und Verhaltensmuster erkennen. Allerdings ist diese Aussage nur in Relation zu den übrigen ermittelten Clustern zu sehen. Signifikante Unterschiede fanden sich zwar ausschließlich in Richtung einer stärkeren Arbeitssuchtorientierung, daher liegt es nahe, die entscheidungsunsicheren Arbeitssüchtigen als "die Einäugigen unter den Blinden" zu betrachten.

Die überfordert-unflexiblen Arbeitssüchtigen

Diese Personen lassen sich durch starke Angst- und Überforderungsgefühle bezüglich ihrer Arbeit sowie durch eine ausgeprägte Unflexibilität und fehlende Spontaneität (nicht nur im Arbeitsbereich) kennzeichnen. Sie sind allerdings nicht ausgeprägt zwanghaft im Hinblick auf ihre Arbeitserledigung. Die überfordert-unflexiblen Arbeitssüchtigen berichten über eine Vielzahl von auf eine Arbeitssuchtsymptomatik hindeutenden Beeinträchtigungen, insbesondere im interpersonellen und im gesundheitlichen Bereich.

Die verbissenen Arbeitssüchtigen

Die verbissenen Arbeitssüchtigen fühlen sich nicht überfordert oder ängstlich in Bezug auf ihre Arbeit und sind weder zwanghaft noch unflexibel oder entscheidungsunsicher, neigen aber dazu, ihre Überzeugungen und Absichten "um jeden Preis" durchzusetzen. Sie arbeiten viel (sowohl im Beruf als auch im Haushalt), haben wenig Freizeit und sind auffallend zufrieden mit ihrer Arbeit. Ausgeprägt sind bei den verbissenen Workaholics süchtige Arbeitsmuster. Auffallend ist ihre vergleichsweise große Nähe zu den zentralen Inhalten und Werten der protestantischen Arbeitsethik, ihre ablehnende Haltung gegenüber Verantwortungsabgabe und Arbeitsdelegation sowie ihre ausgeprägten Probleme im interpersonellen und insbesondere im partnerschaftlichen Bereich.

Die überfordert-zwanghaften Arbeitssüchtigen

Sie weisen die stärksten Zwanghaftigkeitsanzeichen aller hier untersuchten Arbeitssüchtigen-Typen auf. Kennzeichnend für sie sind Überforderungs- und Angstgefühle bezüglich der Arbeit, ein zwanghaft-ritualisiertes Arbeiten, Entscheidungsschwierigkeiten bei der Arbeit und eine verbissene Haltung bei der Arbeitserledigung. Dabei weisen die überfordert-zwanghaften Arbeitssüchtigen die vergleichsweise geringste Arbeitsstundenzahl auf. Gleichzeitig verfügen sie über relativ viel Freizeit. Sie sind auffällig unzufrieden mit ihrer Arbeit und sind extrem perfektionistisch in ihrem Anspruchsniveau."

[Quelle: Werner Stangls Arbeitsblätter. -- http://www.stangl-taller.at/ARBEITSBLAETTER/SUCHT/Arbeitssucht.shtml. -- Zugriff am 2005-11-11]


10.1. Karōshi (過労死)



Abb.: Dem Karōshi (過労死) nahe: Nestor Patou (Jack Lemmon) arbeitet nachts, um als Lord X seine Freundin, die Prostituierte Irma La Douce (Shirley MacLaine) vom Auf-den-Strich-Gehen abhalten zu können.


Japan-spezifisch

"Als Karōshi (jap. 過労死, Tod durch Überarbeiten) bezeichnet man in Japan einen plötzlichen berufsbezogenen Tod. Todesursache ist meist ein durch Stress ausgelöster Herzinfarkt oder Schlaganfall. Etwa 40 japanische Kliniken haben sich auf Karōshi-gefährdete Fälle spezialisiert.

Der erste Fall von Karōshi wurde 1969 gemeldet, als ein 29-jähriger, verheirateter Arbeiter in der Versandabteilung der größten japanischen Zeitung durch einen Schlaganfall starb. Die Medien wurden jedoch erst Ende 1980 auf dieses Phänomen aufmerksam, nachdem mehrere geschäftsführende Manager in ihren besten Jahren, ohne vorherige Anzeichen einer Erkrankung, plötzlich starben. Dieses Phänomen wurde kurz darauf als Karōshi bezeichnet, und als 1987 die öffentliche Sorge darüber zunahm, begann das japanische Arbeitsministerium mit der Veröffentlichung von Karōshi-Statistiken.

Als Ursache für die Karōshi-Fälle gilt der rasante wirtschaftliche Aufstieg Japans nach dem Zweiten Weltkrieg. Mittlerweile ist anerkannt, dass Arbeitnehmer nicht über Jahre hinweg 6 bis 7 Tage pro Woche mehr als 12 Stunden täglich arbeiten können, ohne körperlich und geistig darunter zu leiden.

Aufgrund der mittlerweile erfolgten juristischen Anerkennung als haftungspflichtige Todesart verklagen immer mehr Angehörige von Karōshi-Opfern die jeweiligen Arbeitgeber auf Entschädigungszahlungen. Bevor jedoch eine Entschädigung zuerkannt werden kann, muss die Arbeitsüberwachungsbehörde den Fall als berufsbedingten Tod anerkennen."

[Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Kar%C5%8Dshi. -- Zugriff am 2005-11-10]


11. Motivation, Steinzeitkapitalismus und Globalisierung


11.1. Erfahrung der Machtlosigkeit
(helplessness)



Abb.: Pyramid of Capitalist System. -- Gewerkschaftsplakat, USA, 1911

Wenn Geierinvestoren, Finanzhaie und betriebsfremde, verantwortungslose Manager über das Schicksal von Arbeitnehmern entscheiden, unabhängig davon, ob diese gut und gewinnbringend arbeiten, dann entsteht bei den Mitarbeitern zurecht das Gefühl der Hilflosigkeit, sinnloser Zorn, Apathie, Fatalismus und Zynismus breiten sich aus.


Abb.: Oskar Gustav Rejlander (1813 - 1875): Hilflosigkeit
(Illustrationen für Charles Darwins »Der Ausdruck der Gemütsbewegungen bei dem Menschen und den Tieren«). -- 1872.

Einer der wenigen Etablierten, die unermüdlich gegen die langfristig katastrophalen Folgen des Turbokapitalismus auch für die Betriebskulturen wettert, ist der ehemalige CDU-Generalsekretär und Intimfeind von Helmut Kohl, Heiner Geissler (1930 - ):

"arbeitnehmer

»Wo bleibt Euer Aufschrei?«

In der globalen Wirtschaft herrscht die pure Anarchie. Die Gier zerfrisst den Herrschern ihre Gehirne. Ein Wutanfall

»Das Kapital hat die Bevölkerung agglomeriert, die Produktionsmittel zentralisiert und das Eigentum in wenigen Händen konzentriert.
Die Arbeiter, die sich stückweise verkaufen müssen, sind eine Ware wie jeder andere Handelsartikel und daher gleichmäßig allen Wechselfällen der Konkurrenz, allen Schwankungen des Marktes ausgesetzt.«

Karl Marx/Friedrich Engels, 1848, »Manifest der Kommunistischen Partei«

146 Jahre später warten in Deutschland – als ob es nie eine Zivilisierung des Klassenkampfes gegeben hätte – Zehntausende von Arbeitern auf den nächsten Schlag aus den Konzernetagen von General Motors, Aventis, Volkswagen und Continental, der sie in die Arbeitslosigkeit und anschließend mit Hilfe der Politik auf die unterste Sprosse der sozialen Stufenleiter befördert.

Nicht das Gespenst des Kommunismus, vielmehr die Angst geht um in Europa – gepaart mit Wut, Abscheu und tiefem Misstrauen gegenüber den politischen, ökonomischen und wissenschaftlichen Eliten, die ähnlich den Verantwortlichen in der Zeit des Übergangs vom Feudalismus in die Industriegesellschaft offensichtlich unfähig sind, die unausweichliche Globalisierung der Ökonomie human zu gestalten.

Unter Berufung auf angebliche Gesetze des Marktes reden sie vielmehr einer anarchischen Wirtschaftsordnung, die über Leichen geht, das Wort. 100 Millionen von Arbeitslosigkeit bedrohte Menschen in Europa und den USA und 3 Milliarden Arme, die zusammen ein geringeres Einkommen haben als die 400 reichsten Familien der Erde, klagen an: die Adepten einer Shareholder-Value-Ökonomie, die keine Werte kennt jenseits von Angebot und Nachfrage, Spekulanten begünstigt und langfristige Investoren behindert. Sie klagen an: die Staatsmänner der westlichen Welt, die sich von den multinationalen Konzernen erpressen und gegeneinander ausspielen lassen. Sie klagen an: ein Meinungskartell von Ökonomieprofessoren und Publizisten, die meinen, die menschliche Gesellschaft müsse funktionieren wie DaimlerChrysler, und die sich beharrlich weigern, anzuerkennen, dass der Markt geordnet werden muss, auch global Regeln einzuhalten sind und Lohndumping die Qualität der Arbeit und der Produkte zerstört.

Die Arbeiter in den Industriestaaten und ihre Gewerkschaften, die angesichts der Massenarbeitslosigkeit mit dem Rücken an der Wand stehen, fühlen sich anonymen Mächten ausgeliefert, die von Menschen beherrscht werden, deren Gier nach Geld ihre Hirne zerfrisst. Die Menschen leben und arbeiten in einer globalisierten Ökonomie, die eine Welt der Anarchie ist – ohne Regeln, ohne Gesetze, ohne soziale Übereinkünfte, eine Welt, in der Unternehmen, Großbanken und der ganze »private Sektor« unreguliert agieren können. Die globalisierte Ökonomie ist auch eine Welt, in der Kriminelle und Drogendealer frei und ungebunden arbeiten und Terroristen Teilhaber an einer gigantischen Finanzindustrie sind und so ihre mörderischen Anschläge finanzieren.

Wo bleibt der Aufschrei der SPD, der CDU, der Kirchen gegen ein Wirtschaftssystem, in dem große Konzerne gesunde kleinere Firmen wie Kadus im Südschwarzwald mit Inventar und Menschen aufkaufen, als wären es Sklavenschiffe aus dem 18.Jahrhundert, sie dann zum Zwecke der Marktbereinigung oder zur Steigerung der Kapitalrendite und des Börsenwertes dichtmachen und damit die wirtschaftliche Existenz von Tausenden mitsamt ihren Familien vernichten? Den Menschen zeigt sich die hässliche Fratze eines unsittlichen und auch ökonomisch falschen Kapitalismus, wenn der Börsenwert und die Managergehälter – an den Aktienkurs gekoppelt – umso höher steigen, je mehr Menschen wegrationalisiert werden. Der gerechte, aber hilflose Zorn der Lohnempfänger richtet sich gegen die schamlose Bereicherung von Managern, deren »Verdienst«, wie sogar die FAZ schreibt, darin besteht, dass sie durch schwere Fehler Milliarden von Anlagevermögen vernichtet und Arbeitsplätze zerstört haben.

Das Triumphgeheul des Bundesverbandes der Deutschen Industrie über die Billiglohnkonkurrenz aus dem Osten noch in den Ohren, müssen marginalisierte und von der Marginalisierung bedrohte Menschen sich vom politischen und ökonomischen Establishment als Neonazis und Kommunisten beschimpfen lassen, wenn sie radikale Parteien wählen, weil es keine Opposition mehr gibt und sie sich mit einer Großen Koalition konfrontiert sehen, die offensichtlich die Republik mit einem Metzgerladen verwechselt, in dem so tief ins soziale Fleisch geschnitten wird, dass das Blut nur so spritzt, anstatt durch Bürgerversicherung und Steuerfinanzierung die Löhne endlich von den Lohnnebenkosten zu befreien. Nur Dummköpfe und Besserwisser können den Menschen weismachen wollen, man könne auf die Dauer Solidarität und Partnerschaft in einer Gesellschaft aufs Spiel setzen, ohne dafür irgendwann einen politischen Preis bezahlen zu müssen. Warum wird tabuisiert und totgeschwiegen, dass es eine Alternative gibt zum jetzigen Wirtschaftssystem: eine internationale sozial-ökologische Marktwirtschaft mit geordnetem Wettbewerb?

Ideen verändern die Welt.

Auch in einer globalen Wirtschaft sind Produktion und Service ohne Menschen nicht möglich. Neue Produktionsfaktoren wie Kreativität und Wissen sind hinzugekommen. Aber das Spannungsverhältnis zwischen Mensch und Kapital ist geblieben. Die Kommunisten wollten den Konflikt lösen, indem sie das Kapital eliminierten und die Kapitaleigner liquidierten. Bekanntlich sind sie daran gescheitert. Heute eliminiert das Kapital die Arbeit. Der Kapitalismus liegt derzeit genauso falsch wie einst der Kommunismus.


Abb.:  Grandville (1803 - 1847): Der Triumph des Goldenen Kalbes. -- 1847.

Der Tanz um das Goldene Kalb ist schon einmal schief gegangen."

[Quelle: ©DIE ZEIT. -- Nr. 47 (2004-11-11). -- Online: http://www.zeit.de/2004/47/Ohnmacht_2fArbeiter?page=all. -- Zugriff am 2005-11-11]


11.1.1. Extremfall: Erlernte Hilflosigkeit
(learned helplessness, aangeleerde hulpeloosheid, 習得性失助)


Im Extremfall führt die Erfahrung der Machtlosigkeit nicht nur zu Apathie, Schicksalsergebenheit u.ä., sondern zum Syndrom der "Erlernten Hilflosigkeit"

"Der Begriff erlernte Hilflosigkeit wurde 1967 von den amerikanischen Psychologen Martin E. P. Seligman und Steven F. Maier geprägt. Sie führten Versuche mit Hunden durch, die sie in Metallkäfige setzten um ihnen Stromstöße zu verpassen. Dabei unterteilten sie die Hunde in zwei Gruppen: die Tiere der ersten Gruppe waren den Stromstößen hilflos ausgesetzt, die der zweiten konnten ihnen ausweichen, indem sie in die andere Hälfte des (zweigeteilten) Käfigs sprangen.

Nachdem nun die Hunde auf diese Weise konditioniert waren, setzten sie die Hunde der ersten Gruppe in die Käfige der zweiten Gruppe. Obwohl sie nun die Möglichkeit zur Flucht hatten, reagierten sie völlig hilflos und versuchten nicht, vor den Stromstößen zu entkommen. Sie hatten gelernt, ihnen hilflos ausgeliefert zu sein.

Seligman (und andere) übertrugen diese Erkenntnisse auf menschliche Verhaltensweisen und bauten so einen Zusammenhang auf zwischen Hilflosigkeit, Angst, Depression und Apathie."

[Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Erlernte_Hilflosigkeit. -- Zugriff am 2005-11-11]

"Learned helplessness, a term initially used in experimental psychology, is a description of the effect of inescapable positive punishment (such as electrical shock) on animal (and by extension, human) behavior.

It is also evoked as an explanation for a human condition in which apathy and submission prevail, causing the individual to rely fully on others for help. This can result when life circumstances cause the individual to experience life choices as irrelevant. Chemical dependence may also foster such a condition.

Extremely predictable environments such as a total institution and extremely unpredictable environments such as war, famine and drought may tend to foster learned helplessness. An example involves concentration camp prisoners during the Holocaust, when some prisoners, called Mussulmen, refused to care or fend for themselves. Present-day examples can be found in state-run mental institutions, orphanages or long-term care facilities. People in a state of learned helplessness view problems as personal, pervasive, or permanent. That is,

  • Personal - They may see themselves as the problem; that is, they have internalized the problem.
  • Pervasive - They may see the problem affecting all aspects of life.
  • Permanent - They may see the problem as unchangeable.

Questioning these so-called "3 Ps" usually helps individuals to break out of a mindset of learned helplessness.1 A tremendous crisis may, however, also rouse a person from learned helplessness, a fictional example portrayed in the novel Titus Groan, as the aristocrat Gertrude wakes from a state of childlike apathy into the role of leadership as disaster threatens her home. Once the crisis passes, she returns to her previous placid state.

Early work

The early work on learned helplessness was done by Martin Seligman at the University of Pennsylvania in 1975. His experiment involved three dogs affixed in harnesses. The first dog was simply put in the harness for a period of time and later released. The second dog was put in the harness, and given painful electric shocks, which he could end by pressing a lever. The third dog was wired in parallel with the second dog, receiving shocks of identical intensity and duration, but his lever didn't do anything. The first and second dogs quickly recovered from the experience, but the third dog suffered chronic symptoms of clinical depression.

A slightly different experiment was conducted where 2 groups of dogs were put in hammocks. One group was given shocks and were able to make them stop, the other group was unable to stop them. Later they were put in a room that was divided in half by a low barrier. One group of dogs were given electric shocks and jumped over the barrier to escape. The other group were given shocks, but as they had "learned helplessness" from the previous experiment, they just lay down and whined, and even though they could have escaped the shocks, they didn't try. Other experiments were performed with different animals with similar results. In all cases, the strongest predictor of a depressive response was lack of control over the negative stimulus.

A similar experiment was done with people performing mental tasks in the presence of distracting noise. If the person had a switch that would turn off the noise, his performance improved, even though he rarely bothered to turn off the noise. Simply being aware of the ability to do so was enough to substantially counteract its distracting effect."

[Quelle: http://en.wikipedia.org/wiki/Learned_helplessness. -- Zugriff am 2005-11-11]


11.2. Shareholder Value über alles



Abb.: Simulationsspiel "Creating Shareholder Value®"
[Bildquelle: http://www.simulationsforbusiness.com/profitability_series/shareholder_value.htm. -- Zugriff am 2005-09-05]

Siehe:

Payer, Margarete <1942 - >: Kulturen von Arbeit und Kapital. -- Einführung. -- URL: http://www.payer.de/arbeitkapital/arbeitkapital00.htm


11.3. Was tun? Что делать? (Lenin)



Abb.: Bleibt nur noch Schicksalsergebenheit?
Jan Toorop (1858 - 1928): Das Schicksal. -- 1893

Mit dem Titel der berühmten Schrift von 1902 muss man fragen "Was tun? Что делать?" Da das Referat von Dan Gallin vom Global Labour Institute, das sich mit Globalisierung, Transnationalen Konzernen, Nationalstaat und Gewerkschaft auseinandersetzt, nicht nur für die Schweiz von Interesse ist, sondern weltweit heutige Probleme  aufgreift, soll es im folgenden ganz wiedergegeben werden. Das Referat wurde am 2. 7. 1998 anläßlich einer Tagung "Marktrechte gegen Menschenrechte: Globalisierung als Herausforderung für die Gewerkschaften" gehalten.


Schweiz-Bezug

"Referat von Dan Gallin, Global Labour Institute

Ich möchte dort anknüpfen, wo Birgit Mahnkopf aufgehört hat und vor allem die Folgen der Globalisierung für die Gewerkschaftsbewegung und für die politische Linke ansprechen, und auch die Konsequenzen die wir daraus zu ziehen haben.

Ich glaube, wir sind uns in der Analyse einig. Das erste Problem das uns direkt berührt ist veränderte Rolle des Nationalstaats. Birgit Mahnkopf, zusammen mit Elmer Altvater, beschreiben in ihrem Buch “Grenzen der Globalisierung”, unter anderem, den Schwund der Souveränität des territorial umgrenzten Nationalstaats, und wie dabei dem Sozialstaat sein politischer Rahmen und seine politischen Voraussetzungen entzogen werden. 

In einer global integrierten Weltwirtschaft, in der das Kapital die technischen und politischen Möglichkeiten hat sich grenzenlos frei zu bewegen, öffnen sich auch neue Möglichkeiten der Steuerflucht und der Erpressung des Nationalstaates durch transnationale Konzerne (TNK). Damit verliert der Nationalstaat einen wichtigen Teil des Einkommens das er braucht um den Sozialstaat, d.h. den sozialen Kompromiss, durch Umverteilung des Reichtums, zu finanzieren. Die Umverteilung des Reichtums, sowohl auf nationaler als auch auf globaler Ebene, findet nunmehr auf Kosten der Armen und zugunsten der Reichen statt.

Die Privatisierungswelle die jetzt die ganze Welt umfasst, einschließlich die rest-kommunistischen Staaten wie China, Vietnam oder Kuba, bedeutet eine zusätzliche Schwächung des Nationalstaates weil er dadurch weitere Möglichkeiten der Beeinflussung der Wirtschaftspolitik und, in seiner Rolle als Arbeitskäufer, der Sozialpolitik, verliert, und bedeutet gleichzeitig eine Stärkung der TNKs welche die wichtigsten Staatseigentümer aufkaufen.

Internationale Handelsabkommen, zum Beispiel im Rahmen der WTO oder des von der OECD vorbereiteten MAI, entrechten den Nationalstaat immer mehr zugunsten der TNKs. Staaten welche versuchen die Handlungsfreiheit der TNKs (z.B. was Investitionen, Schließungen, Produktionsverlagerungen, usw. betrifft) durch gesetzliche oder politische Maßnahmen einzudämmen, werden bestraft. Dadurch wird die Kontrolle über wirtschaftliche und soziale Politik von Regierungen, welche ihren Wähler gegenüber verantwortlich sind, an TNKs übertragen, die sich höchstens gegenüber ihren Aktionären zu verantworten haben. 

Das Unvermögen des Staates das Kapital innerhalb seiner Territorialgrenzen durch gesetzliche oder andere politische Maßnahmen zu kontrollieren hat weitergehende Konsequenzen als nur die Schwächung des Staates. Es schwächt gleichzeitig auch alle Institutionen welche innerhalb der staatlichen Territorialgrenzen handeln und auf den Nationalstaat für die Umsetzung ihrer Ziele angewiesen sind: Parlamente, politische Parteien, nationale Gewerkschaftsorganisationen, das heißt eben jene Institutionen durch welche demokratische Kontrolle über die Wirtschaft vor dem Einsetzen des Globalisierungsprozesses erfolgte.

Der verminderte Spielraum aller dieser nationalstaatlichen Institutionen führt bei den Staatsbürgern, oder bei Mitgliedern von Gewerkschaften und Parteien, zu einem Gefühl der Machtlosigkeit, zur Politikverdrossenheit und zum Zynismus gegenüber Institutionen und Organisationen welche ihren Zweck nicht mehr erfüllen können. Die Entmachtung des Nationalstaates als Verteidiger des Gemeinwohls führt somit zu einer Krise der Demokratie.

Ich will damit nicht behaupten, dass auf nationalstaatlicher Ebene überhaupt nichts mehr läuft, und ich will auch nicht damit sagen, dass der politische Kampf auf nationalstaatlicher Ebene bedeutungslos geworden ist, ebensowenig wie ich behaupten würde, dass der politische Kampf auf der Ebene der Gemeinde oder des Kantons bedeutungslos wäre weil diese Institutionen über eine beschränkte Souveränität verfügen. Ich will damit nur sagen, dass wir uns nicht mehr auf den Nationalstaat für die Verteidigung unserer Belange verlassen können, auch dort nicht wo unsere traditionellen politischen Verbündeten an der Regierung sind.

Die Rolle des Nationalstaates als Hüter eines “allgemeinen gesellschaftlichen Interesses”, das heißt eines sozialen und politischen Kompromisses das sowohl von Kapital als auch von Arbeit getragen werden konnte, und welches das Ergebnis der erkämpften Machtpositionen der Arbeiterbewegung und der Angst des Kapitals vor Schlimmerem war, konnte ja nur so lange bestehen als dieses Gleichgewicht der Kräfte bestand: in der Schweiz seit den mittleren 1930er Jahren.

Was jetzt stattfindet, ist eine Verschiebung der Machtverhältnisse innerhalb der Gesellschaft und folglich innerhalb des Staates zugunsten des Kapitals, das durch den Globalisierungsprozess in der Lage ist sich weitgehend zu internationalisieren und folglich sich vom Druck der Gewerkschaften und der politischen Linken zu befreien. Das Kapital ist somit nicht mehr an einem sozialen und politischen Kompromiss interessiert, und ist deswegen immer weniger bereit den Sozialstaat mitzutragen. 

Die Schwächung der Eigenständigkeit des Staates gegenüber den TNKs hat zur Folge, dass diese immer mehr zu seinen Auftraggebern werden. Überall dort wo der Staat dem transnationalen Kapital dienstbar sein kann, ist seine Souveränität keineswegs in Frage gestellt. Das Kapital beansprucht überall die Hilfe des Staates. Es gibt kein Staatsoberhaupt das bei seinen Staatsbesuchen nicht von einer Leibwache von führenden Kapitalvertretern begleitet wird, und alle Regierungsvertreter sind heute Handelsreisende der Unternehmen ihres Landes. Ob es sich um Investitionsgarantien, Exporthilfe, Bananenkriege, Agrarsubventionen, Landerechte der Fluglinien, von öffentlichen Mitteln bezahlte Infrastrukturen, Steuerbefreiung, usw. handelt, überall wird der Staat vom Kapital in Anspruch genommen - auch zur Unterdrückung der gesellschaftlichen Kräfte welche sich der Macht des Kapitals entgegenstellen. 

Eine zweite, und zusammenhängende, Folge der Globalisierung ist nämlich die Entstehung eines globalen Arbeitsmarktes. Das bedeutet, dass nicht nur Staaten der Erpressung des transnationalen Kapitals ausgesetzt sind, sondern auch - und vor allem - die arbeitenden Menschen aller Länder, ungeachtet deren Entwicklungsstand, politische und gesellschaftliche Systeme und andere Besonderheiten die sie sonst voneinander unterscheiden. 

Das ist das Problem der Standortfrage, die sich selbstverständlich nicht in allen Branchen und in allen Länder gleich stellt. Es gibt Faktoren welche die Mobilität des Kapitals bremsen: Produktivitätsunterschiede, Qualität der Infrastrukturen, das rechtsstaatliche Umfeld, usw. Aber wir wissen durch Erfahrung wie verwundbar Industriezweige wie z.B. Textil, Bekleidung, Schiffbau, Stahl, Elektronik, Maschinenbau, oder Dienstleistungen wie Schifffahrt (Bequemlichkeitsflaggen) oder Datenverarbeitung, im Bezug auf Produktionsverlagerungen sein können.

Globalisierung bedeutet, dass den Arbeiter aller Länder ein Konkurrenzkampf untereinander aufgezwungen wird. Damit wird eine Abwärtsspirale in Bewegung gesetzt die in der ganzen Welt auf Löhne und Arbeitsbedingungen drückt, und wo es keine untere Grenze gibt, es sei denn die Sklavenarbeit. Dabei handelt es sich nicht nur um direkte und indirekte Arbeitskosten, sondern auch um alle anderen Elemente des Gemeinwohls das vom Kapital als Kostenfaktor wahrgenommen werden könnten: Besteuerung, soziale Gesetzgebung, Umweltschutz und schlussendlich Menschenrechte und demokratische Rechte insofern sie die Vorbedingung eines wirksamen gesellschaftlichen Widerstandes sind aus dem selbstverständlich dem Kapital Kosten entstehen.

Tatsächlich sind die Länder in denen die großen Reserven billiger und billigster Arbeitskraft liegen, und die den stärksten Sog auf die Abwärtsspirale ausüben, totalitäre Polizeistaaten oder Militärdiktaturen, z.B. China, Vietnam oder Indonesien, auch nach dem Sturz von Suharto, oder solche Länder wo die sozialen Zustände und Arbeitsbedingungen noch nachhaltig von Diktaturen der jüngsten Vergangenheit geprägt sind, z.B. Russland, Brasilien oder Zentralamerika, oder noch “Demokraturen”, d.h. Länder in denen formelle Demokratie besteht aber wo im realen politischen und sozialen Leben ganz anders verfahren wird (z.B. Mexiko oder Indien). Der “globale Arbeitsmarkt” ist somit gar kein “Markt” im herkömmlichen Sinne, wo es sich um Nachfrage und Angebot handelt, sondern wird von hochpolitischen Faktoren geprägt welche den Einsatz der Staatsmacht in ihren rücksichtslosesten und brutalsten Formen voraussetzen. Hier könnten wir auch “weniger Staat” fordern.

Demokratie in der ganzen Welt ist somit für die Gewerkschaftsbewegung aller Länder nicht nur ein moralisches Imperativ, sondern im höchsten Grad eine Frage des grundsätzlichen Klasseninteresses aller arbeitenden Menschen.

Ich glaube, wir sind uns im klaren, dass es hier um weit mehr als um Verteidigung eines sozialen Besitzstandes geht. Es geht darum, wie die Welt in den nächsten zwanzig Jahren aussehen wird, das heißt, zu verhindern, dass eine weltweite soziale und ökologische Katastrophe entsteht wie sie jetzt vom transnationalen Kapital und seinen politischen Schutztruppen vorprogrammiert wird. Vor dieser Katastrophe ist Flucht, etwa in Asterix-Dörfer, kein Ausweg.

Was ist zu tun? Sicherlich gibt es alternative Vorstellungen einer menschenfreundlichen Weltordnung. Die Globalisierung ist zwar unaufhaltsam, aber nicht in ihren neo-liberalen Formen. Die Form des Globalisierungsprozesses unterliegt keinen Sachzwängen (wie es die Verfechter des Neo-Liberalismus behaupten) sonder hängt von politischen Entscheidungen ab. Unser Problem ist jedoch, dass wir uns nicht in einem akademischen Disput befinden darüber wer die besseren Ideen über eine sinnvolle Weltordnung hat. Wir hatten schon immer die besseren Ideen. Wir befinden uns in einem Machtkampf, der von der Gegenseite mit den härtesten Mitteln ausgetragen wird und wo der Wert der Ideen von der Durchsetzungsfähigkeit ihrer Verfechter bestimmt wird. 

Es geht also um die Macht: die Macht die uns auf nationalstaatlicher Ebene entrissen worden ist, und die wir deshalb von neuem erobern müssen dort wo sie sich jetzt befindet: auf der globalen Ebene. Das bedeutet für uns Organisation. Die Macht der Gegenseite beruht darauf, dass sie über viel - sehr viel - Geld verfügt. Die Grundlage unserer Macht war und bleibt die Organisation. Unsere gegenwärtige Ohnmacht hat zwei Gründe: erstens, weil die Mehrzahl der Arbeiter der Welt unorganisiert sind; zweitens, weil die internationale Gewerkschaftsbewegung in ihrer jetzigen Form nicht im Stand ist einen globalen Machtkampf erfolgreich auszutragen. Die Lösung des ersten Problems hängt von der Lösung des zweiten ab.

Organisation beinhaltet für uns deshalb in der jetzigen Lage verschiedene Aufgaben. Organisatorische Aufgaben im eigentlichen Sinne: Ausbau der Organisationen weltweit: erstens innerhalb der transnationalen Konzerne, wo sie sich auch befinden mögen; gezielte Unterstützung beim Aufbau von nationalen und internationalen Gewerkschaftsorganisationen, immer mit dem Ziel wirksame internationale Netzwerke zu schaffen bzw. zu verstärken. Organisation beinhaltet auch politischen Aufgaben: die internationale Politik in der Gewerkschaftsbewegung zu demokratisieren, damit sie den nötigen Rückhalt bei den Mitgliedern bekommt und nicht als ausschließliche Verantwortung oder sogar Privileg der leitenden Funktionäre missverstanden wird; die politischen Zielsetzung der Gewerkschaften auf Grund des Verständnisses der neuen Lage neu zu formulieren, und auf Grund dessen Bündnisse mit anderen Organisationen der Zivilgesellschaft, den neuen sozialen Bewegungen, zu bauen; am Sturz der bestehenden Diktaturen arbeiten damit sich die Arbeiter dieser Länder frei organisieren können.

Welche ist unsere Ausgangslage? Auf der internationalen Ebene, besteht die Gewerkschaftsbewegung praktisch aus dem Internationalen Bund Freier Gewerkschaften, dem IBFG, aus dem Europäischen Gewerkschaftsbund (EGB) und den Internationalen Berufssekretariaten (den IBS). Die anderen Organisationen können wir für praktische Zwecke beiseite lassen: vom kommunistischen Weltgewerkschaftsbund bleibt nur noch ein Bündnis von mittelöstlichen Diktatoren und russischer Mafia, der christliche Weltverband der Arbeit ist eine kleine Tendenzorganisation bei der nur der belgische Mitgliedsbund im eigenen Land repräsentativ ist. Andere regionale Organisationen wie OATUU oder ICATU sind regierungshörig und korrupt, und für gewerkschaftliche Zwecke untauglich.

Beim IBFG und EGB handelt es sich um mehr oder weniger lose Netzwerke von nationalen Organisationen, die gewöhnt sind national zu denken und zu handeln, und deren Vertreter ein Eigeninteresse haben zu glauben, dass die Probleme ihrer Organisationen auf nationaler Ebene (oder, im Falle des EGB, der EU Ebene) lösbar sind. Das führt im Zusammenhang mit der Globalisierung zu einer Vogelstrausspolitik. 

In der Krise reagieren viele gegensätzlich zum eigenen Interesse und der Logik der Situation: statt ihre internationalen Verbindungen zu verstärken und auszubauen, da es ja auf der Hand liegt dass nunmehr jede Art Gewerkschaftspolitik nur international sein kann, kapseln sie sich national ab, mit Sprüchen wie, dass das Hemd näher liegt als der Rock, und ähnliches. Diese Reaktion ist menschlich verständlich aber trotzdem falsch, genau wie Bremsen auf Glatteis eine natürliche, aber falsche, Reaktion ist. Daneben gibt es auch Ansätze aus dem IBFG eine globale gewerkschaftliche Gegenmacht zu machen, die es zu verstärken gilt.

Was den EGB betrifft, so ist seine Stärke und seine Schwäche zugleich seine Anlehnung an die Kommission der EU, die ihm gleichzeitig seine Mittel gibt und seine politischen Grenzen setzt. Die wichtigste Entwicklung im Bereich der uns beschäftigt war die Richtlinie der EU die Europäische Betriebsräte (EBR) bei den in der EU tätigen TNKs eingeführt hat. Hier gibt es einen echten Ansatzpunkt für internationale Organisation, soweit sich die Kollegen nicht auf die politischen Vorgaben der Richtlinie beschränken, sondern die EBRs territorial auf den gesamten Wirkungsbereich der TNKs ausdehnen, auch außerhalb Europas, und die Zusammensetzung der EBRs deckungsgleich mit den zuständigen Gewerkschaftsorganisationen machen, damit die EBRs nicht zu von Konzernleitungen manipulierten gelben “Arbeitnehmervertretungen” umfunktioniert werden können.

Die IBS sind ohne Zweifel die wirksamsten internationalen Gewerkschaftsorganisationen die es augenblicklich gibt. Aber auch ihre Mitglieder sind nationale Verbände, und obwohl die meisten von ihnen tagtäglich mit TNKs konfrontiert werden, und dadurch die Globalisierung direkt am eigenen Leibe erfahren, sind sie doch noch sehr im nationalen Denken befangen. Eine an sich einfache Idee, z.B., wie der Zusammenschluss nationaler Organisationen zu supranationalen Gewerkschaften, scheint den meisten utopisch wo sie tatsächlich schon überfällig ist. 

Trotzdem sind es die IBS die bisher die wirksamsten internationalen Solidaritätsaktionen und die am weitest gehenden internationale Verträge mit TNKs abgeschlossen haben. Ich erinnere nur an die ITF Aktion gegen Bequemlichkeitsflaggen, ein Modell seiner Art, an die Aktionen der IUL um gewerkschaftliche Rechte, und selbst die Existenz von Gewerkschaften, in Peru (Nestlé) und Guatemala (Coca-Cola) zu schützen, oder gewisse TNKs (Heineken, Carlsberg, Pepsico) zum Rückzug aus Birma zu bewegen, an die Verträge der IUL mit Danone, Accor, Nestlé, oder der IFBWW (Bau und Holz Internationale) mit IKEA, u.a.

Ein Hindernis der langfristigen Koordinierung war bisher die Kostenfrage: internationale Tagungen (Reisekosten, Dolmetscher- und Übersetzungskosten) sind sehr teuer. Eine andere internationale Organisation die den Gewerkschaften und den sozialistischen Parteien nahe steht, der Internationale Verband für Arbeiterbildung (IVA), ist im Begriff da Abhilfe zu schaffen: seit vorigem Jahr, besteht ein Modell für internationale Studienzirkel, also kleine Diskussionsgruppen in verschiedenen Ländern die untereinander elektronisch vernetzt sind und somit in der Lage sind gleichzeitig dasselbe Thema zu behandeln. Dieses Thema kann selbstverständlich ein Konzern sein und die Diskussionsgruppen die lokalen Gewerkschaften in den Unternehmen dieses Konzerns. Dieselbe Technik die es dem Kapital ermöglicht hat sich zu globalisieren gibt uns auch die Möglichkeit eine wirksame internationale Gegenmacht aufzubauen.

Bemerkenswert dabei ist, wie wenig die schweizerische Gewerkschaftsbewegung an der internationalen Entwicklung beteiligt gewesen ist. Seit den letzten zwei oder drei Jahrzehnten ist die Beteiligung des SGB im IBFG äußerst bescheiden, seit ungefähr zehn Jahren inexistent. Ich habe nicht feststellen können, dass die Lage im EGB anders aussieht. In den IBS sind in einigen Fällen Mitgliedsverbände des SGB aktiv, vereinzelt auch Angestelltenverbände (z.B. die UH in der IUL), aber jedenfalls nicht so, dass es besonders auffallen würde, und keinesfalls mit einem zielstrebigen und koordinierten Konzept. Im IVA, wo die SABZ Mitglied ist, sieht es wie im IBFG aus: außer Mitgliedsbeiträgen kommt nichts. Etwas besser ist die Lage in SOLIDAR (die sich früher Internationale Arbeiterwohlfahrt nannte), wo das SAH aktiv teilnimmt. 

Das war nicht immer so. Es sei nur daran erinnert, dass der VHTL mit Hermann Leuenberger die IUL während der ganzen Kriegszeit am Leben hielt und in der Nachkriegszeit eine maßgebliche Rolle spielte, dass Konrad Ilg und Alfred Graedel Generalsekretäre des IMB waren, Fritz Gmür Generalsekretär der Postinternationalen, Hans Imhof Generalsekretär der ITF (bevor er von den Engländern ausgebootet wurde). Max Arnold war in der IÖD aktiv, und ein anderer Schweizer, dessen Namen ich nicht vergessen dürfte weil er ein außergewöhnlich aufrechter Gewerkschafter war, war Generalsekretär der Graphiker Internationalen, und ich vergesse sicher andere. Diese persönlichen Einsätze wurden selbstverständlich durch die Organisationen dieser Kollegen mitgetragen. 

Ich rede gar nicht von der älteren Vergangenheit, wo die schweizerische Arbeiterbewegung mehrmals eine führende Rolle spielte: am Ende des vorigen Jahrhunderts (die Fédération jurassienne und, in der deutschen Schweiz, als Stützpunkt der von Bismarck verfolgten deutschen Sozialdemokraten), oder in den 1930er und 1940er Jahren (Unterstützung des antifaschistischen Widerstandes in Deutschland, Österreich und Italien, später auch in Frankreich, und beim Wiederaufbau der internationalen Gewerkschaftsbewegung).

Es würde sich lohnen, darüber nachzudenken was die gegenwärtige Interesselosigkeit und Teilnahmslosigkeit bewirkt hat. 

Ist es ein Gefühl, dass die internationale Arbeit nichts bringt? Es wäre schon ein Paradox, dass ein solches Gefühl auf politischen Entscheide einwirkt, gerade in einer Zeit wo die internationale Tätigkeit immer weniger von diplomatischen und, bestenfalls, karitativen Vorstellungen geprägt wird, wo internationale Gewerkschaftsorganisationen den Beweis erbringen, dass sie zur Lösung selbst lokaler Probleme wirksam beitragen können und wo es mindestens als wahrscheinlich erscheinen muss, dass sie immer mehr von ihren Mitgliedern benötigt werden

Haben wir es mit einem Komplex der “kleinen Schweizern” zu tun, die glauben im “Konzert der Grossen” nicht mitspielen zu können? Warum dann jetzt, wo die Schweiz in der Vergangenheit auch nicht größer war und sich dennoch so viele Kollegen und Genossen ohne jeden Komplex engagierten? 

Haben sich die Bedingungen der gewerkschaftlichen Arbeit überhaupt verändert? Ich stelle fest, dass die meisten Kollegen überlastet und überfordert sind und weder Zeit noch Energie zum strategischen Denken haben. Wenn es das sein sollte, dann müssten wir uns ernsthaft über Prioritäten Gedanken machen, und was man dringend tun müsste um mit einer Lage aufzuhören wo ein Häufchen Kollegen alles auf sich nimmt und alles tut und sich dabei erschöpft während der größte Teil der Mitglieder passiv bleibt.

Oder ist es so, dass man internationale Organisationen vernachlässigt um bilaterale Beziehungen mit unseren Nachbarorganisationen zu pflegen? Aber hier läuft auch nichts, abgesehen vom “kleinen Grenzverkehr” in den benachbarten Gebieten und auf jeden Fall wäre uns selbst mit regelmäßigen Arbeitstagungen zwischen Bern, Düsseldorf, Wien, Paris und Rom, so wünschenswert sie auch sein mögen, im Zusammenhang mit der Globalisierung wenig weitergeholfen. Bilaterale Beziehungen können internationale Arbeit nicht ersetzen.

Wie dem auch sei: wir können gar nicht anders als die jetzige Lage als Ausgangspunkt zu nehmen um dann festzustellen was uns zu tun bleibt. Erst einmal die Aufgaben: die schweizerischen Gewerkschaften haben eine internationale Verantwortung auf verschiedenen Ebenen. Die erste betrifft TNKs die ihren Hauptsitz in der Schweiz haben und im Ausland Unternehmen betreiben sowohl als auch andere TNKs die in der Schweiz vertreten sind. Diese Arbeit setzt regelmäßigen Kontakte mit den zuständigen Gewerkschaften in den verschiedenen Länder voraus, ebenso wie eine aktive Teilnahme in den IBS und in den europäischen Industrieausschüssen. Das wäre vorrangig die Aufgabe der Verbände, aber der SGB wäre gut beraten diese Entwicklung zu verfolgen. Zum zweiten, gibt es den Aufgabenkreis der aus der Politik der EU in den verschiedensten Sachgebieten entsteht, mit ihren Folgen für die Gewerkschaften, auch den schweizerischen. Das wäre hauptsächlich eine Aufgabe des SGB (Sozialpolitik, Beschäftigungspolitik, Wanderarbeiter, Währungspolitik, Handelspolitik) aber die Verbände müssten EU Politik wenigstens in ihrem Bereich mitverfolgen (z.B. Transport, Tourismus, Agrarpolitik).

Dann gibt es die allgemeinen politischen Verantwortungen. Kann die schweizerische Gewerkschaftsbewegung die Tätigkeit der neonazistischen Banden ignorieren, die sich in ganz Europa ausbreitet, einschließlich auf schweizerischem Gebiet? Hat sie in der Konsolidierung der Gewerkschaftsbewegung und der sozialen Demokratie in Osteuropa keine Rolle zu spielen? oder in der ex-Dritten Welt? Als Staatsbürger der internationalen Gewerkschaftsbewegung, haben wir keine Standpunkte zu haben was die Politik und die Tätigkeit der internationalen Gewerkschaftsorganisationen betrifft? 

Was in manchen Ländern vor sich geht sollte uns auch interessieren. Die Neoliberalen halten uns Neuseeland vor. Was spielt sich in Neuseeland ab? Viele schreiben über das “holländische Modell” (extreme Flexibilisierung, angeblich von den Gewerkschaften mitgetragen). Dänemark geht es genau so gut, mit einer ganz gemütlich altmodischen sozialdemokratischen Politik. Darüber wird weniger geschrieben. Warum? Was geht in den Niederlanden und in Dänemark vor? 

Weiter: welche weltpolitische Vorstellungen müssen die Gewerkschaften entwickeln als brauchbare Grundlage für ein Bündnis mit anderen Organisationen der Zivilgesellschaft (z.B. Frauenbewegung, Grüne, Verteidiger der Menschenrechte, usw.) mit dem Ziel eine internationale Volksbewegung zu organisieren, die Träger einer neuen, menschenfreundlichen Weltordnung sein könnte? 

Die Schweiz ist sicherlich ein kleines Land und ihre Gewerkschaftsbewegung kann nicht alles machen und überall sein. Aber die Niederlande, Belgien und die nordischen Länder sind in etwa ebenso klein und ihre Gewerkschaften leisten international unvergleichlich mehr. Warum?

Die wichtigste Frage die zu beantworten ist lautet: glaubt die schweizerische Gewerkschaftsbewegung, dass internationale Tätigkeit wichtig ist - als Verlängerung ihrer eigenen Tätigkeit und als Beitrag zur Lösung ihrer eigenen Probleme, abgesehen von der Pflicht zur internationalen Solidarität, über die auch noch einiges zu sagen ist? Auf diese Frage gibt es keine selbstverständliche Antwort, und es wäre notwendig sich darüber zu unterhalten. Aber wenn die Antwort positiv sein sollte, dann müsste man sehen wie man sich die Mittel für eine solche Tätigkeit gibt.

Zum Beispiel: meines Wissens nach, hat weder der SGB noch einer seiner Mitgliedverbände Mitarbeiter(innen) die sich vollzeitlich den internationalen Aufgaben widmen. Das ist immerhin bemerkenswert. Abgesehen vom Inhalt der internationalen gewerkschaftlichen Politik und Tätigkeit, liegt es doch auf der Hand, dass wenn man eine solche Tätigkeit ernst nimmt, sie von einem Apparat getragen werden muss, sei er noch so bescheiden. Alle Zentralorganisationen der Nachbarländer, von denen einige mit dem SGB vergleichbare Mitgliedszahlen haben, haben internationale Abteilungen. In der Schweiz, ist das in der Regel Aufgabe des (der) Vorsitzenden, der (die) sich mit hunderttausende anderen Problemen zu beschäftigen hat und folglich die internationale Tätigkeit niemals als eine Priorität behandeln wird.

Es sollten Mittel bereitgestellt werden um eine Gruppe von vollzeitlich angestellten Mitarbeiter(innen) zu bilden, im SGB aber auch in seinen Mitgliedsverbänden, wenigstens den größten, mit der Aufgabe Informationen in internationalen Fragen einzuholen, Berichte und Stellungnahmen in Sachfragen vorzubereiten, Verbindungen mit den internationalen Abteilungen anderer Länder und mit internationalen Organisationen aufrechtzuerhalten. Das setzt technische Kompetenzen voraus (z.B. Sprachkenntnisse: außer Deutsch, Französisch und Italienisch, mindestens Englisch und Spanisch) und auch politische Kompetenzen (eine persönliche politische Verpflichtung die zur Aufgabe passt und gute Kenntnisse der Geschichte, der Strukturen und der Tätigkeiten der wichtigsten nationalen und internationalen Gewerkschaftsorganisationen - und letzteres kann man lernen).

Eine solche internationale “Abteilung” darf natürlich nicht alleine gelassen werden und im leeren Raum arbeiten, sondern muss in die allgemeine Tätigkeit ihrer Organisationen eingebunden sein. Um wirksam zu sein, kann internationale Gewerkschaftspolitik nicht Chefsache bleiben sondern muss von einer repräsentativen öffentlichen Meinung innerhalb der Organisationen getragen werden. Deshalb brauchen die Gewerkschaften ein breitangelegtes Bildungs- und Schulungsprogramm in internationalen Fragen das in der Lage ist seinen Beitrag zur Bewusstseinsbildung und politischen Zielsetzung zu leisten. Die große Mehrheit der Mitgliedschaft und der mittleren Kader weiß ja fast nichts über die internationale Gewerkschaftsbewegung, und das wenige was sie weiß ist oft durch Vorurteile und Missverständnisse verzerrt.

Man könnte uns sagen, dass das SAH und der Solifonds ja schon internationale Politik im Namen der schweizerischen Gewerkschaften machen. Aber ich glaube nicht, dass die Gewerkschaften ihre internationale Verantwortung so leicht auf den SAH und den Solifonds abwälzen können. Diese säuberliche Arbeitsteilung, die überholten Vorstellungen entspricht, kann nicht mehr aufrecht erhalten werden. 

Zum ersten, verwaltet das SAH vor allem öffentliche Mittel deren Verwendung strikten Vorlagen unterliegt: sie können nur für “Projekte” im “Süden” oder im “Osten” verwendet werden. Der Auftrag des Solifonds ist auch auf Einsätze im “Süden” beschränkt. Das Hauptproblem der Gewerkschaften ist jedoch ihre eigene Kapazität und die Zusammenarbeit mit ihren internationalen Organisationen zu verstärken, also mehr Mittel im “Norden” einzusetzen und eben vom Projektdenken loszukommen. Die Priorität einer sinnvollen Gewerkschaftspolitik im Rahmen der weltwirtschaftlichen Globalisierung kann nicht mehr “Hilfeleistung” an Organisationen sein von denen angenommen wird, dass sie noch schwächer als die unseren sind, sondern Aufbau einer gewerkschaftlichen Schlagkraft im “Norden” welche dann natürlich auch dem “Süden” und “Osten” zugute kommen würde. Der Solifonds nennt sich “Solidaritätsfonds für soziale Befreiungskämpfe in der Dritten Welt”. Inzwischen gibt es die “Dritte Welt” nicht mehr oder, besser gesagt, die ganze Welt wird zur “Dritten Welt”, und “soziale Befreiungskämpfe” sind überall aktuell und müssen überall unterstützt werden. 

Endlich stellt sich die Frage welche Ansprüche die Gewerkschaftsbewegung berechtigt sein könnte an den Staat zu stellen. In unseren Nachbarländern gibt es keine Gewerkschaftsorganisation die nicht von Rechts wegen Anspruch auf öffentliche Mittel für einen Teil ihrer Tätigkeiten hat. In der Schweiz sind solche Mittel, wie schon gesagt, nur für “Projekte” zugänglich, meistens mit humanitärer Begründung und folglich Begrenzung. Weder das SAH noch der Solifonds wären z.B. in der Lage die Gewerkschaften bei einer langfristigen und nachhaltigen Tätigkeit in den TNKs zu unterstützen - allenfalls der Solifonds bei einem zufälligen Streik in einem TNK, vorausgesetzt, dass er im “Süden” stattfindet.

In Deutschland wird die internationale Tätigkeit des DGB durch jene, sehr eindrucksvolle, der Friedrich Ebert Stiftung (FES) gestützt. Die FES, die über ein enges Netz von Vertretern in allen Weltteilen verfügt, unternimmt Untersuchungen, organisiert Konferenzen, auch internationale, unterstützt nationale und internationale Gewerkschaftsorganisationen dort wo sie diese Unterstützung am meisten brauchen - das alles abgesehen von ihrer sonstigen Tätigkeit: Schulung und Bildung in Deutschland selbst, Veröffentlichungen, Archiv der deutschen Sozialdemokratie, usw. Wie wird das alles finanziert? Die FES bekommt von Rechts wegen öffentliche Mittel in Proportion zur parlamentarischen Vertretung der SPD (dasselbe Prinzip gilt auch für die anderen deutschen parteipolitischen Stiftungen). In Österreich verfügt der ÖGB über eine bescheidenere internationale Abteilung (vier oder fünf Mitarbeiter(innen)) aber es gibt auch die internationale Tätigkeit der Arbeiterkammern und das Karl Renner Institut der SPÖ, auch durch öffentliche Mittel finanziert, welche die Tätigkeiten des ÖGB bei Bedarf flankieren und verstärken können. Die französischen und italienischen Organisationen arbeiten auch mit öffentlichen Mitteln, besonders was Schulung und Bildung anbelangt. Dadurch entstehen keine politischen Abhängigkeiten weil diese Unterstützungen rechtlich verankert sind. 

Wäre es nicht vorstellbar, dass auch in der Schweiz eine Stiftung entstehen könnte die solche Funktionen wahrnehmen könnte und somit den internationalen Tätigkeiten des SGB und seiner Mitgliedsverbänden eine Infrastruktur bieten könnte, unter Umständen auch durch Umorganisierung und Vereinigung bestehender Institutionen? 

Ich muss jetzt diese schon zu langen Ausführungen beenden. Es war meine Absicht einige Denkanstösse darüber zu geben, wie sich die Gewerkschaftsbewegung im Rahmen der weltwirtschaftlichen Globalisierung der neuen Lage anpassen muss. Ich hoffe, dazu einen konstruktiven Beitrag gebracht zu haben. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit."

[Quelle: http://www.global-labour.org/globalisierung_als_herausforderung_fur_die_gewerkschaften.htm. -- Zugriff am 2005-11-11]


12. Sozialistischer Wettbewerb



DDR-spezifisch

Da es in der Beurteilung von Leistungsanreizen und Ungleichheit signifikante Unterschiede zwischen den neuen Bundesländern und Westdeutschland gibt, ist es sinnvoll, sich mit der Arbeitssituation in der DDR zu beschäftigen. Vielleicht gibt dies eine Hilfe, um Mitarbeiter zu verstehen, die in der DDR sozialisiert wurden.


Abb.: Zustimmung zu Ergebnisgleichheit in der neuen Bundesrepublik 1991 - 2000
[Bildquelle: http://www.bpb.de/themen/FEDP1Z,2,0,Werte_und_Wertewandel_im_vereinten_Deutschland.html. -- Zugriff am 2005-11-24]

"Gleichheit wird oft auf die Verteilung von Einkommen und Status bezogen; dann spricht man von Ergebnisgleichheit. Aber nach dem Verteilungsprinzip der Leistung sollten unterschiedliche Ergebnisse aus unterschiedlichen Leistungen bei gleichen Startchancen resultieren. Die Unterstützung von Gleichheit wurde deshalb erstens an der Entscheidung zwischen der Ergebnisgleichheit und dem Leistungsprinzip gemessen. Die Befragten wurden um ihre Zustimmung oder Ablehnung zu drei Vorgaben gebeten (Abbildung). Erstens: "Das Einkommen sollte sich nicht allein nach der Leistung des Einzelnen richten. Vielmehr sollte jeder das haben, was er für ein anständiges Leben braucht." Zweitens: "Nur wenn die Unterschiede im Einkommen und im sozialen Ansehen groß genug sind, gibt es auch einen Anreiz für persönliche Leistung." Drittens: "Die Rangunterschiede zwischen den Menschen sind akzeptabel, weil sie im Wesentlichen ausdrücken, was man aus den Chancen, die man hatte, gemacht hat." Die Fragen entstammen der Allgemeine Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften (ALLBUS), die Auszählungen finden sich in den Codebüchern des Zentralarchivs für empirische Sozialforschung an der Universität zu Köln. Wer der ersten Vorgabe zustimmt und die zweite und dritte Vorgabe ablehnt, der unterstützt Gleichheit gegen Leistung als soziales Verteilungsprinzip. Die Zustimmung zur Ergebnisgleichheit in West- und Ostdeutschland zwischen 1991 und 2000 ist in Abbildung dargestellt. "

[Quelle: Meulemann, Heiner <1944 - >: Werte und Wertwandel im vereinten Deutschland. -- In: Aus Politik und Zeitgeschichte. --  B 37-38/2002. -- http://www.bpb.de/publikationen/4JYTVE,2,0,Werte_und_Wertwandel_im_vereinten_Deutschland.html#art2. -- Zugriff am 2005-11-24]

Aber Vorsicht vor voreiligen Schlussfolgerungen!:

"Im vorausgehenden Abschnitt wurde das Leistungsprinzip als Gegenspieler der Ergebnisgleichheit behandelt. Aber Leistung ist nicht nur ein soziales Verteilungsprinzip, sondern kann zugleich ein Motiv, eine Perspektive für das persönliche Handeln sein. Wer leistungsmotiviert an seine Arbeit herangeht, für den bekommt der Beruf einen persönlichen Sinn. Das berufliche Leistungsmotiv wurde daher erstens durch eine Frage nach dem Rang von Arbeit und Freizeit und zweitens durch eine Frage nach der Bedeutung des Berufs für die Person erhoben.

Die Bevorzugung des Berufs vor der Freizeit bleibt im Westen Deutschlands nach der Wende ungefähr konstant; im Osten nimmt sie bis 1993 zu, um bis 1998 wieder abzunehmen, so dass sich der Abstand zwischen den Landesteilen bis 1993 vergrößert und bis 1998 konstant bleibt. Die Wichtigkeit der Arbeit für das Wohlbefinden wird 1988/90, 1993 und 1998 im Westen rund 20 Prozentpunkte niedriger bewertet als im Osten. Ganz gleich, ob nach dem Vorrang der Arbeit vor der Freizeit oder nach Bedeutung der Arbeit für die Person gefragt wird - man findet die gleichen Ergebnisse: Das berufliche Leistungsmotiv ist im Westen schwächer ausgeprägt als im Osten, so dass die Strukturhypothese widerlegt wird; und das stärkere Leistungsmotiv der Ostdeutschen geht nicht zurück, sondern bleibt konstant.

Die stärkere Betonung von Beruf und Arbeit in Ostdeutschland lässt sich mit der unterschiedlichen Entwicklung des Werts Leistung in den beiden früheren Teilstaaten erklären.

In der alten Bundesrepublik verlor das Leistungsmotiv an Bedeutung, ohne dass deshalb weniger "geleistet" wurde. Anders als in der DDR wurde das Leistungsmotiv hier auf den Prüfstand gestellt. In der DDR herrschte weniger Leistungsdruck, so dass man das stärkere berufliche Leistungsmotiv auch als Reaktion auf seine schwächere Herausforderung interpretieren kann. In der alten Bundesrepublik wurde nicht nur Arbeit, sondern Leistung gefordert, mit der Folge einer Distanzierung vom Leistungsmotiv und einer verstärkten Identifikation mit der Freizeit.

Mit der unterschiedlichen Wertentwicklung der beiden Teilstaaten hat sich auch ein unterschiedliches Verständnis von Leistung herausgebildet. In der alten Bundesrepublik ist ein Verständnis, dem zufolge Leistung vor Genuss geht, zugunsten eines Verständnisses, demzufolge sich Leistung und Genuss im Gleichgewicht befinden sollen, verdrängt worden.  Die Ostdeutschen hingegen haben nicht nur ein unbedingtes Leistungsverständnis beibehalten, sie haben auch eine Rechtfertigung dafür: Leistung wird für die Ziele der Gemeinschaft - des Kollektivs - gefordert. Die moralisch gratifizierte Mehrarbeit für die Erfüllung und Übererfüllung des Plans ist "Leistung" im spezifischen Sinn der DDR.  Das traditionale Leistungsverständnis der DDR resultiert aus dem Diktat der Politik der DDR, die Leistung moralisch einklagte, weil sie auf Grund ihrer sozialistischen Prämissen auf materielle Anreize verzichten musste. Dass die Strukturhypothese scheitert und das Leistungsmotiv in Ostdeutschland stärker ist als in Westdeutschland, ist also der Nachklang eines Diktats der Politik der DDR."

[Quelle: Meulemann, Heiner <1944 - >: Werte und Wertwandel im vereinten Deutschland. -- In: Aus Politik und Zeitgeschichte. --  B 37-38/2002. -- http://www.bpb.de/publikationen/4JYTVE,3,0,Werte_und_Wertwandel_im_vereinten_Deutschland.html#art3. -- Zugriff am 2005-11-24]

Hintergrund: Sozialistischer Wettbewerb:

Abb.: Bildunterschrift aus der Betriebschronik: „Das Kollektiv der Abteilung 22 mit ihrem Saalmeister Heinrich Kaumanns erzielte in ihrer Kollektivverpflichtung 97 % in der Güteklasse I, deformierte Kopse 3,7 %, Ausschuß 0,6 % und leerlaufende Spindeln 0,63 %. Für diese hervorragenden Leistungen wurde es mit dem Staatstitel „Kollektiv der sozialistischen Arbeit' ausgezeichnet." (1960er Jahre)

[Bildquelle: Schüle, Annegret <1959 - >: "Die Spinne" : die Erfahrungsgeschichte weiblicher Industriearbeit im VEB Leipziger Baumwollspinnerei. -- Leipzig : Leipziger Univ.-Verl., 2001. -- 398 S. : Ill. ; 24 cm. -- Zugl.: Jena, Univ., Diss., 2000. -- 3-934565-87-5. -- S.  175. --  {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen}]

Im Marxismus-Leninismus mit seiner Abschaffung des Privateigentums an Produktionsmittteln geht man davon aus, dass Arbeit einen anderen Stellenwert hat, und dass vor allem das gesellschaftliche Bewußtsein der arbeitenden Menschen sich geändert hat, d.h. dass die gesamtgesellschaftlichen Erfordernisse mit den individuellen Erfordernissen übereinstimmen. Alle arbeitenden Menschen beteiligen sich am Produktionsprozess und wetteifern miteinander um die Erfüllung des Plans. Dieser Wettbewerb gilt das positive Gegenstück zur Marktwirtschaft (vgl. Erdmann, s. unten). In der sozialistischen Betriebswirtschaftslehre ist der "Sozialistische Wettbewerb" eine Hauptform der Mitwirkung an Leitung und Planung von Betrieben. Man muss beachten, dass der vom Staat vorgegebene Plan über diesem Wettbewerb steht bzw. dass dieser Plan Wettbewerb vorschreibt. 1985 beschreibt Kurt Erdmann diesen Wettbewerb:

"Sozialistischer Wettbewerb

I. Ideologische, politische und ökonomische Grundlagen"

[...]"Wenngleich für den Sozialistischen Wettbewerb noch keine allgemeinverbindliche wissenschaftliche Definition vorliegt, wird als Sozialistischer Wettbewerb in der Regel die Masseninitiative der Werktätigen in allen wirtschaftlichen und gesellschaftspolitischen Bereichen bezeichnet. Das engmaschig geknüpfte Netz des inner- und überbetrieblichen Sozialistischen Wettbewerbs in Form eines komplizierten Lenkungs-, Anreiz- und Kontrollsystems soll als wesentlicher Motor der Leistungsmotivation im System zentraler Lenkung und Planung der DDR dienen. In der Alltagspraxis besteht eine moralische Beteiligungspflicht für jeden einzelnen. Im Mittelpunkt der Wettbewerbsaufgaben stehen die Erhöhung der Arbeitsproduktivität, die Senkung der Selbstkosten und die Erhöhung der Qualität der Erzeugnisse. In jüngerer Zeit haben daneben Aufgaben bei der Einsparung von Material, Energie und Arbeitskraft sowie bei der Beschleunigung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts erheblich an Bedeutung gewonnen. Derartige Wettbewerbsziele orientieren sich an den Zielen der SED, wie sie in deren »ökonomischer Strategie der 80er Jahre« zum Ausdruck kommen. (Vgl. z.B.: Wettbewerbsorientierung der 6. Tagung des FDGB-Bundesvorstandes 1983 in: Tribüne vom 13.12.1983.) ( Wirtschaft).

II. Zur Entwicklung und Leitung des Sozialistischen Wettbewerbs


Abb.: 1. Mai: All-Union Subbotnik / Plakat von Dmitry Moor
[Bildquelle: en-wikipedia]

Als historischer Ausgangspunkt des Sozialistischen Wettbewerbs gilt die Bewegung der Subbotniki [субботник] im Jahre 1919 in Russland. Als Subbotniki wurden freiwillige Arbeitseinsätze einzelner Arbeitsgruppen an einem Sonnabend (Subbota [суббота]) bezeichnet. Sie gelten noch heute als Vorbild der organisierten Wettbewerbsbewegung in den weiteren Entwicklungsphasen der sowjetischen Wirtschaft wie auch für den Sozialistischen Wettbewerb in der DDR. Lenin sagte seinerzeit: »Jetzt, da eine sozialistische Regierung an der Macht ist, besteht unsere Aufgabe darin, den Wettbewerb zu organisieren« (Lenin, Werke, Bd. 26, Berlin [Ost] 1961, S. 405).

Mit dem Aufbau eines zentral geplanten und gelenkten Wirtschaftssystems in der SBZ/DDR nach 1945 wurde auch dort die Wettbewerbsbewegung nach sowjetischem Muster ins Leben gerufen. Den Auftakt für die Aktivisten- und Wettbewerbsbewegung in der SBZ/DDR gab die arbeitstechnisch besonders vorbereitete, mehrfache Schichtnorm-Übererfüllung (387 v.H.) des Hauers Adolf Hennecke am 13.10.1948. Die von der SMAD und der DWK gleichermaßen initiierte Aktion orientierte sich am Vorbild des sowjetischen Hauers A. G. Stachanow [Алексей Григорьевич Стаханов, 1906 - 1977], der im Jahre 1935 vergleichbare Leistungen erbracht hatte. In der Mehrzahl der Fälle waren seitdem die jeweiligen neuen Formen der Mehrleistungsverpflichtungen von Aktivisten oder Schrittmachern durch sowjetische Vorbilder bestimmt. Neben den Spitzenleistungen einzelner sind heute die Wettbewerbsverpflichtungen auf die Lösung komplexer inner- und überbetrieblicher Aufgaben orientiert. Zunehmend ist ferner die politisch-ideologische Bedeutung des Sozialistischen Wettbewerbs unterstrichen worden. Die Beteiligung und die Leistung im Sozialistischen Wettbewerb gelten als Gradmesser für den jeweiligen Entwicklungsstand des »sozialistischen Bewusstseins« der Werktätigen."

[Es folgt eine Beschreibung der verschiedenen Gesetze, des Gegenplans und der gewerkschaftlichen Mitwirkung.]

[...] "Aus Sicht der politischen Führung der DDR gilt die Entwicklung des Sozialistischen Wettbewerbs als »gesetzmäßiger Prozess«, in dessen Verlauf sich immer erneut gegenseitig ergänzende Wettbewerbsformen entwickeln sollen. Die Inhalte des Sozialistischen Wettbewerbs werden aus der wirtschaftspolitischen Linie der SED jeweils neu abgeleitet. In den Formen und Methoden des Sozialistischen Wettbewerbs der 80er Jahre spiegeln sich daher die aktuellen wirtschaftlichen Probleme der Volkswirtschaft. So bilden z.B. die Einbeziehung von Zielstellungen aus dem Bereich von Forschung und Entwicklung in Form der Pflichtenhefte ( Kammer der Technik (KdT); Planung, II.; Qualität der Erzeugnisse, III.) einen neuen wesentlichen Schwerpunkt des Sozialistischen Wettbewerbs Weitere derartige Formen und Methoden des Sozialistischen Wettbewerbs in der Produktionsvorbereitung sind: Forscherkonten, Themenkollektive, Überleitungsgarantien usw. Entsprechend den Prinzipien des Staatsplans Wissenschaft und Forschung, wonach ausgewählte Planaufgaben Vorrang genießen, ist auch der Sozialistische Wettbewerb im Produktionsbereich stärker als zuvor auf die gezielte Förderung von Spitzenerzeugnissen oder -verfahren vor allem für Exportgüter gerichtet (z.B. als themengebundenes persönliches Planangebot oder als Verpflichtung zur Erhöhung der Zahl exportfähiger Erzeugnisse). Hinzu kommen intensive Bemühungen zur flexibleren und rascheren Anpassung von Methoden und Programmen an die wirtschaftspolitisch und produktionstechnisch veränderten Bedingungen. Weiter gehören hierzu erneute Bemühungen zur Abkehr vom offensichtlich noch immer häufig praktizierten »Schematismus« (vgl. die Kritik auf dem 10. FDGB-Kongress 1982) und den vielfach bloß formalen (also leicht erfüllbaren) Wettbewerbsverpflichtungen. Rechnerisch schwer erfassbare Programme und Vorhaben oder nicht produktive Verpflichtungen (wie z.B. Solidaritätsbeiträge, Blutspenden) sollen heute nicht mehr oder nur noch am Rande bei der Bewertung von Wettbewerbsergebnissen herangezogen werden.

III. Grundprinzipien und Hauptformen des Sozialistischen Wettbewerbs

Die Formen und die Organisation des Sozialistischen Wettbewerbs sollen sich an 5, auf Lenin zurückgehende Grundprinzipien orientieren:

  1. Öffentlichkeit des Sozialistischen Wettbewerbs;
  2. Vergleich der Ergebnisse;
  3. Erfahrungsaustausch und Wiederholung der besten Leistungen im Massenumfang;
  4. Übernahme abrechenbarer Verpflichtungen im Zusammenhang mit der Intensivierung ( Intensivierung und Rationalisierung) und neuerdings der Wissenschaftlichen Arbeitsorganisation (WAO);
  5. richtige Verbindung von moralischer und materieller Anerkennung der erzielten Wettbewerbsergebnisse.

Allgemein lassen sich die Formen des Sozialistischen Wettbewerbs nach mehreren Aspekten unterteilen. Zum einen gemäß dem Umfang der Teilnahme: so gibt es einerseits den individuellen Wettbewerb zwischen einzelnen Beschäftigten als eine Grundform des Sozialistischen Wettbewerbs und andererseits den kollektiven Wettbewerb zwischen Arbeitsgruppen, Brigaden, Meisterbereichen, Betrieben und Kombinaten. Der kollektive Wettbewerb gilt heute als die vornehmlich anzustrebende und auch in der Praxis vorherrschende Form. Zum zweiten ist nach dem räumlichen Wirkungsbereich zu differenzieren, also zwischen inner- und zwischenbetrieblichem Sozialistischem Wettbewerb Beide Formen können sowohl individuell als auch kollektiv geführt werden. Im Zeichen der sozialistischen ökonomischen Integration ( Rat für Gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW)) hat auch die Form des kollektiv geführten internationalen Sozialistischen Wettbewerbs zwischen Wirtschaftseinheiten verschiedener Mitgliedsländer des RGW zunehmend an Bedeutung gewonnen.

Die Wettbewerbspraxis ist durch eine Reihe meist wechselseitig eng verflochtener Verfahrensformen und -methoden charakterisiert. Ihnen entspricht ein differenziertes System von Maßnahmen und Regelungen zur moralischen Anerkennung ( Auszeichnungen) und der Kritik und Selbstkritik sowie der finanziellen Stimulierung (Einkommensgestaltung, Leistungslohn und Prämie; Lohnformen und Lohnsystem), der Kontrolle (Haushaltsbuch, persönliche und kollektiv-schöpferische Pläne) und der Produktionspropaganda (Wettbewerbslosungen, Tafel der Besten usw.). Alle Instrumente zur materiellen bzw. moralischen Stimulierung sowie der gegenseitigen Kontrolle sollen gleichermaßen der Förderung und Intensivierung des Sozialistischen Wettbewerbs dienen.

A. Aktivistenbewegung


Abb.: Tag der Aktivisten 1949

Durch die Aktivistenbewegung sollen ausgehend von individuellen oder kollektiven Verpflichtungen zu gezielter Planübererfüllung verbesserte, intensivere und neue Arbeitsmethoden propagiert werden, um zu höheren Arbeitsleistungen zu kommen. Gefordert werden Initiativen nicht nur im unmittelbaren Produktionsprozess, sondern – zur besseren Nutzung der verfügbaren Ressourcen – bereits in der Phase der Produktionsvorbereitung. Die erwarteten Ergebnisse sollen dabei bereits Eingang in die jeweiligen Jahrespläne der Betriebe finden.

Derartige quantitative Spitzenleistungen wurden und werden vielfach unter besonders günstigen, z. T. künstlich geschaffenen optimalen Arbeitsbedingungen erreicht, um bis dahin geltende Normen zu überbieten und diese danach allgemein zu erhöhen. Von Anbeginn wurde großer Wert auf den Erfahrungsaustausch und die Verallgemeinerung erfolgreicher Arbeitsmethoden gelegt. Dieser Aufgabe dienen sowohl innerbetriebliche Aktivistenschulen als auch überbetriebliche Aktivistenkonferenzen.
Im Zusammenhang mit der Aktivistenbewegung wurden zahlreiche Auszeichnungen geschaffen. Besondere Bedeutung hat der Titel »Aktivist« erlangt." [...]

B. Sozialistische Gemeinschaftsarbeit

In Weiterentwicklung der Aktivistenbewegung entstand 1958/59 als neue Form des Sozialistischen Wettbewerbs die Sozialistische Gemeinschaftsarbeit (SG.). Sie gilt als Ausdruck einer »höheren Qualität« der schöpferischen Masseninitiative. Zum einen waren es nunmehr die Arbeitsbrigaden, die zum eigentlichen Träger des Sozialistischen Wettbewerbs wurden. Unter der Losung »sozialistisch arbeiten, lernen und leben« wurden in den Sozialistischen Wettbewerb auch Aufgaben der Aus- und Weiterbildung sowie der Freizeitgestaltung einbezogen. Zum zweiten sollten Formen der Sozialistischen Gemeinschaftsarbeit die Zusammenarbeit von Intelligenz und Produktionsarbeitern fördern. Anlass für diese veränderte Zielrichtung des Sozialistischen Wettbewerbs war die Einsicht, dass die zunehmende Kompliziertheit der technischen und wirtschaftlichen Probleme gemeinschaftliche (kollektive) Anstrengungen voraussetzt, während Lösungen, die im »Alleingang« erreicht werden, den gewachsenen Anforderungen häufig nicht mehr genügen.

Die Sozialistische Gemeinschaftsarbeit gilt als die wirksamste Form gesellschaftlicher Arbeit im Sozialismus, in der durch gegenseitige Erziehung zu »sozialistischen Persönlichkeiten« ( Persönlichkeitstheorie, Sozialistische) bereits »Keime für eine kommunistische Einstellung zur Arbeit« gelegt werden würden. Mit dieser politisch- ideologischen Aussage soll zugleich ein deutlicher Unterschied zum marktwirtschaftlichen »teamwork« markiert werden." [...]

"C. Neuererbewegung

[...] "Die Neuererbewegung gilt als eine Kernform des Sozialistischen Wettbewerbs, die sowohl auf eine qualitative Leistungssteigerung des einzelnen als auch – in besonderem Maße – auf eine planmäßige Kooperation zwischen Arbeitern und Intelligenz gerichtet ist. Die Tätigkeit eines Neuerers oder eines Neuererbewegungs-Kollektivs richtet sich auf das betriebliche Erfindungs- und Vorschlagswesen. Nach dem Selbstverständnis der DDR geht es in aller Regel um die »schöpferische Lösung« eines bisher ungeklärten technischen, organisatorischen oder wissenschaftlichen Problems, wobei die damit zusammenhängenden Arbeiten außerhalb der normalen Arbeitsleistung erbracht werden müssen. »Hauptinhalt der Neuerertätigkeit ist die weitere Intensivierung der Produktion durch sozialistische Rationalisierung« (§ 2 NVO). Im Unterschied zum betrieblichen Vorschlagswesen in einer Marktwirtschaft ist der weit überwiegende Teil der Aufgabenstellungen der Neuererbewegung plangebunden und wird auf diese Weise weitgehend staatlich gelenkt und gefördert. In die gesamtstaatliche Leitung der »thematischen und kennziffermäßigen Planung« der Neuererbewegung teilen sich das Amt für Erfindungs- und Patentwesen sowie der Bundesvorstand des FDGB. In der Neuererbewegung steht nicht der allgemeine Aspekt der schöpferischen Arbeit an sich im Vordergrund, sondern es geht in ihr in erster Linie um zeitlich fixierte und thematisch präzise umrissene Aufgaben. Als vereinbarte und geplante Lösungen dienen die Neuereraufgaben eines oder mehrerer Beschäftigter der Erfüllung der Volkswirtschaftspläne (in jüngerer Zeit speziell des »Staatsplans Wissenschaft und Technik«)." [...]

"Obwohl die Neuerervergütungen erhöht, die propagandistischen Anstrengungen verstärkt wurden und die Teilnehmerzahlen an der Neuererbewegung angestiegen sind, haben sich die kritischen Stimmen an den bisherigen Ergebnissen der Neuererbewegung nicht merklich verringert. Beklagt werden unverändert u.a. die langen Bearbeitungszeiten innerhalb der betrieblichen Verwaltungen, die zögernde Umsetzung der Neuerervorschläge in die betriebliche Praxis, die ungenügende Nachnutzung (d.h. die Übernahme von Neuerervorschlägen durch andere Betriebe bzw. Kombinate), die Einreichung von Verbesserungsvorschlägen innerhalb der N., die von Angehörigen der wissenschaftlich-technischen Intelligenz im Rahmen ihrer normalen Arbeitspflichten erarbeitet worden sind. Die Ursachen für diese Situation sind mannigfach: die Betriebsleitungen sind offensichtlich nur wenig interessiert, die oft sehr speziellen Ergebnisse der Neuererbewegung, die nicht selten trotz erheblichen Aufwandes nur einen begrenzten Nutzen versprechen, wesentlich zu fördern. Zudem bleiben die Neuerervorschläge trotz aller Bemühungen um Planbarkeit in ihren technischen und inhaltlichen Aspekten unberechenbar. Die Schwerfälligkeit bzw. das Desinteresse der Betriebsleitungen führt auch bei engagierten N. häufig zur Resignation. Die Bereitschaft in den Belegschaften, sich wirklich engagiert an der Neuererbewegung zu beteiligen, hält sich aber auch aus anderen Gründen in Grenzen. Da die Arbeit an Neuerungen außerhalb der normalen Arbeitspflichten zu verrichten ist, steht der zeitliche Aufwand häufig noch immer in einem ungünstigen Verhältnis zu der erwarteten Neuerervergütung." [...]

"D. Produktionspropaganda"

[...] "Die Produktionspropaganda ist Instrument einer »systematischen, zweckbestimmten Aufklärungs-, Überzeugungs- und Erziehungsarbeit«, bei der ideologische und wirtschaftliche Ziele gleichermaßen zum Tragen kommen sollen. Sie soll alle Möglichkeiten zur Förderung des Sozialistischen Wettbewerbs durch Information, öffentliches Lob oder öffentlichen Tadel in Wort (periodische Rechenschaftslegungen, Beratungen zur Wettbewerbsauswertung, Betriebszeitung, Betriebsfunk, Veröffentlichungen in überbetrieblichen Medien, Berichte auf zentralen Versammlungen von Parteien und Massenorganisationen, Wettbewerbslosungen usw.) und Bild (zentrale Wettbewerbstafel, Straße der Besten, Tafeln der sozialistischen Kollektive, der Aktivisten, der besten Neuerer usw.) nutzen. Dabei spielt die moralische Anerkennung von Wettbewerbsleistungen eine besondere Rolle." [...]


"E. Mach-Mit-Wettbewerb

Die Prinzipien des Sozialistischen Wettbewerbs werden in Form des Mach- Mit-Wettbewerbs (MMW.) über den Wirtschaftsbereich hinaus auf die Wohngebiete übertragen". [...]

IV. Spezielle Formen und Methoden des Sozialistischen Wettbewerbs

Die im Abschnitt III. dargestellten Grundformen und -prinzipien des Sozialistischen Wettbewerbs sind vor allem in jüngerer Zeit immer weiter verfeinert und vielfach kombiniert worden. Die Ursachen für diese Ausdifferenzierung des Instrumentariums des Sozialistischen Wettbewerbs liegen in den Veränderungen der wirtschaftlichen Situation und in der auf diese reagierenden Wirtschaftspolitik der SED. Im Mittelpunkt stehen die Bemühungen um die Einsparung von Material, Energie und Arbeitskräften. Ferner werden die Beschleunigung des wissenschaftlich-technischen Fortschrittes sowie eine raschere Überführung neuer Produktionsverfahren und Produkte in die Fertigung angestrebt. Den Außenhandelsbeziehungen kommt dabei eine besondere Rolle zu: Exportgüter sollen in Qualität und Kosten mehr als bisher weltmarktfähig werden; andererseits ist die politische Führung bestrebt, den Umfang der Importe zu verringern.

In diesem Zusammenhang wird besonderer Wert auf die Berechenbarkeit des Sozialistischen Wettbewerbs gelegt. Nicht nur die Zahl, sondern auch der Stellenwert derjenigen Wettbewerbsformen hat zugenommen, in denen eindeutige, ziffernmäßige Vorgaben gemacht werden. Dadurch ist die schon immer gegebene Verflechtung zwischen Wirtschaftlicher Rechnungsführung und Sozialistischem Wettbewerb noch enger geworden. Die Wettbewerbsteilnehmer sollen konkrete Kennziffern über Kosten, Material- und Energieeinsatz, Maschinenzeiten usw. erhalten; umgekehrt wird der Wettbewerbsverlauf ständig rechnerisch überprüft und kontrolliert. Seine Ergebnisse finden laufend Eingang in das betriebliche Rechnungswesen." [...]

G. Sonstige Methoden und Formen des Sozialistischen Wettbewerbs

Diese Darstellung der verschiedenen in der DDR verwendeten Formen und Methoden des SW ist keineswegs vollständig. Sie beschränkt sich hier lediglich auf die wichtigsten Formen. Eine Reihe weiterer sind in speziellen Stichworten dieses Handbuches behandelt. Z.B. Pflichtenhefte ( Kammer der Technik [KdT]; Planung, II.; Qualität der Erzeugnisse, III.), System der fehlerfreien Arbeit, Verpflichtungen zur Erhöhung der Qualität der Erzeugnisse, Verbesserungen der Industriellen Formgestaltung. Die vorherrschende Wettbewerbslosung in der Qualitätsbewegung lautet: »Meine Hand für mein Produkt«. Weiterhin sollen z.B. die »Fondsrückgabe« bzw. der »Fondsrückgabescheck« – unterstützt durch entsprechende Prämien – den einzelnen dazu veranlassen, mit dem Material sparsamer umzugehen; dieses kommt auch in einem entsprechenden Wettbewerbsmotto zum Ausdruck: »Mit weniger Material effektiver produzieren.« – Von erheblicher Bedeutung ist schließlich auch die »Schwedter Initiative«, bei der unter der Losung »Weniger produzieren mehr« vor allem Arbeitskräfte freigesetzt werden sollen. Dieses Ziel soll durch den konzentrierten Einsatz der verschiedensten Wettbewerbsmethoden und -formen, die besonders geeignet sind, Arbeitszeitreserven aufzudecken, sowie durch die Anwendung der Methoden der Wissenschaftlichen Arbeitsorganisation (WAO) erreicht werden."

[Quelle: Kurt Erdmann. -- In:  DDR-Handbuch / Bundesministerium des Innern. -- 1985. -- In: Enzyklopädie der DDR -- Berlin : Directmedia, 2000. -- 1 CD-ROM. -- (Digitale Bibliothek Band 32). -- ISBN 3932544447. --  {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen}. -- S. 1192ff.]


12.1. Arbeitsmotivation á la Stalin: Adolf Hennecke (1905 - 1975)


Für viele Bergleute in der DDR wurde die Arbeitsleistung des Bergmanns Adolf Hennecke als Norm verbindlich. So lohnt es sich, mal genau nachzulesen, unter welchen günstigen Bedingungen diese Norm entstanden ist. Laut Horst Barthel, der ausführlich über den Arbeitstag berichtet, an dem Hennecke die Norm gesetzt hat, war sich der Normbrecher sehr wohl bewußt, dass die Arbeitsleistung unter normalen Bedingungen gar nicht möglich war, und dass seine Kollegen das auch wissen konnten und sich von ihm zurückziehen würden.


DDR-spezifisch

"Normbrecher Adolf Hennecke

[von] Horst Barthel


Abb.: Der Bergmann Adolf Hennecke bei seiner Hochleistungsschicht im Oelsnitzer Karl-Liebknecht-Schacht, 1948-10-13

Als zu Beginn des Jahres 1948 die Förderleistung vorübergehend 94 Prozent des Vorkriegsstandes erreicht hatte, wurde durch die Grubenleitung kaum etwas getan, um durch eine Verbesserung der Abbaubedingungen den erreichten Stand zu sichern. Sicherlich wäre es möglich gewesen, einige neue Abbauorte zu erschließen. Doch im Grunde genommen hätte dies auch nur wie ein Tropfen auf den heißen Stein gewirkt. Im Sommer 1948 war dann im gesamten Zwickau-Oelsnitzer Revier die Steinkohlenproduktion gegenüber dem Vergleichszeitraum des Jahres 1947 um 8,5 Prozent abgesunken. Diese Tatsache alarmierte die Verantwortlichen der Deutschen Wirtschaftskommission. In Zwickau, in der Direktion der Steinkohlenverwaltung, war nun der Teufel los. [...] Die Kommission untersuchte gründlich und deckte ein grundlegendes Übel auf: Das Leistungsprinzip war verletzt worden. Die Normerfüllung war vernachlässigt worden. Es wurden auch den Hackern, die nur 70 bis 80 Prozent ihrer Norm erreichten, die Vergünstigungen gewährt, die gesetzlich an eine volle Normerfüllung gebunden waren. Das betraf sowohl eine 15prozentige Schichtzulage zum Lohn als auch die zusätzlichen Nahrungs- und Genussmittel. Das Interesse der Kumpel an der Normerfüllung hatte daraufhin nachgelassen. Somit erwies sich die tägliche Erfüllung der Arbeitsnorm als das wichtigste Element, als das Hauptkettenglied zur Überwindung der Schwierigkeiten in der Planerfüllung. Als die Vertreter der Deutschen Wirtschaftskommission der Gleichmacherei Anfang Oktober 1948 ein Ende setzten und für die Erfüllung und Übererfüllung der Norm die Prämie in Form der 500 Gramm Schlachtfett aussetzten, wurde, wie wir wissen, die Norm-Diskussion in allen Brigaden, in allen Schächten und allen Bergarbeiterfamilien geführt. Die Kommission machte sich jedoch auch Gedanken, wie eine Normerfüllung durch möglichst viele Häuer zu erreichen war. Ratschläge von Freunden der sowjetischen Besatzungsmacht wurden eingeholt. Neben Vorschlägen für eine Reihe von technisch-organisatorischen Maßnahmen wurde ein Plan ausgearbeitet, wie der Durchbruch in der Normerfüllung erzielt werden konnte. Am 9. Oktober 1948 fand dann die entscheidende Beratung statt, in einem internen Kreis von Funktionären der SED und der Gewerkschaft -streng vertraulich! Funktionäre der Landesleitung Sachsen und der zuständigen Kreisleitung der SED, Genossen aus der Direktion und aus einigen Betrieben, unter ihnen Adolf Hennecke, nahmen teil, und als Gäste waren Journalisten der »Täglichen Rundschau« (der Zeitung der sowjetischen Militärverwaltung für die deutsche Bevölkerung) anwesend. Es ging um die Auswertung der jüngsten drei Plenartagungen der SED, um die Auswertung sowjetischer Erfahrungen bei der Kohlegewinnung. Schließlich wurde der Beschluss gefasst, dass nach dem Vorbild des sowjetischen Häuers Stachanow ein Mitglied der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands eine Hochleistungsschicht fahren sollte. Sorgfältig wurde der Tag ausgewählt: Ein Jahr zuvor war der Befehl Nr. 234 erlassen worden, der inzwischen große Popularität erreicht hatte. So wurde beschlossen, die Hochleistungsschicht am 13. Oktober 1948 durchzuführen - ein Jahr nach dem Aufruf des FDGB-BundesVorstands zur Verwirklichung des Befehls Nr. 234! Es war vorgesehen, mit Hilfe und Unterstützung der sowjetischen Besatzungsmacht und durch die gesamte Kraft der SED dieses Beispiel zu popularisieren und die dazu notwendige politisch-ideologische Arbeit offensiv zu führen. Deshalb waren auch Vertreter der Presse geladen.

Das Parteimitglied, das diese Hochleistungsschicht fahren sollte, war der Bergmann Adolf Hennecke. Er verpflichtete sich, die für eine Schicht gültige Norm von 6,3 m³ Kohle mit mindestens 250 Prozent zu erfüllen. Damit sollte gezeigt werden, dass es möglich ist, unter bestimmten Voraussetzungen die Norm nicht nur zu erfüllen, sondern sie sogar wesentlich zu überbieten.

Mittwoch, der 13. Oktober 1948. Grube Karl Liebknecht - Werk Gottes Segen, Lugau-Oelsnitzer Steinkohlenbergbaurevier. Es ist eine Stunde vor Beginn der Frühschicht. Gegen 5 Uhr, also ungewöhnlich früh, fahren drei Bergleute - alle drei Mitglieder der SED - in die Grube ein. Sie fahren so frühzeitig ein, damit sie nicht in das übliche Gedränge des Schichtwechsels geraten. Ihr Vorhaben erfordert Bedacht. Kurz vor Beginn der Schicht, nahe vor Ort, trennen sich die drei. Georg Baumann und Franz Schwintek lassen den Häuer Adolf Hennecke an einer mit Kreide gekennzeichneten Stelle zurück. Der eine schaltet die Förderanlage ein, und der andere kontrolliert die technischen Anlagen.

Adolf Hennecke liest im schwachen Schein der Grubenlampe die Worte: »Stehenlassen!« Das ist die richtige Stelle. Abbauort 232. Hennecke ist etwas aufgeregt. Alles in ihm ist hellwach und angespannt. Wie vor einer Prüfung. Bisher wissen nur wenige Eingeweihte, dass sich der Häuer Adolf Hennecke verpflichtet hat, eine außergewöhnliche Schicht zu fahren und die übliche Norm um das Mehrfache zu überbieten. Wird er die Verpflichtung erfüllen können? Adolf Hennecke ist davon überzeugt. [...] Insgesamt war für die Schicht am 13.Oktober folgendes vorbereitet worden: Alle technischen Einrichtungen (Rutschmotor, Schüttelrutsche, Abbauhammer) wurden vorher gründlich überprüft.

Es wurde besonders sorgfältig kontrolliert, ob sich die Arbeitsgeräte (Hacke, Schaufel, Abbauhammer), das Gezähe, in einem ordnungsgemäßen Zustand befanden. Das gesamte technische Personal wurde angewiesen, dafür zu sorgen, dass alle im Zusammenhang mit dem Arbeitsort Henneckes stehenden Arbeiten, die Schachtförderung, die Holzzufuhr und die Luftregelung störungsfrei liefen. [...]

13. Oktober 1948, 13.15 Uhr. Ende der Schicht! Der Ortsführer und der Steiger kommen zur Abnahme. Alles ist in Ordnung. Adolf Hennecke hat sich am Ende der Schicht noch genügend Zeit genommen, die Sicherung des Stollens zu überprüfen. 24,4 Kubikmeter Steinkohle werden als Tagesergebnis berechnet. Die Norm beträgt 6,3 Kubikmeter. 380 Prozent Normerfüllung werden als erstes Ergebnis in Presse und Rundfunk veröffentlicht. Erst später wird der Rechenfehler entdeckt und das endgültige Schichtergebnis auf 387 Prozent korrigiert." [...]

[Quelle: Barthel, Horst: Adolf Hennecke : Beispiel u. Vorbild. -- Berlin [Ost] : Deutscher Verlag d. Wiss., VEB, 1979. -- 43 S. : Ill. ; 27 cm. -- (Illustrierte historische Hefte ; 16). -- S. 14f.  -- Zitiert in:   DDR-Lesebuch / hrsg. von Ilse Spittmann ; Gisela Helwig. --  Köln : Verl. Wiss. und Politik. -- 24 cm. -- (Edition Deutschland-Archiv). -- 2., Stalinisierung : 1949 - 1955. -- 1991. -- 280 S. : Ill. -- ISBN: 3-8046-8756-3 . -- S. 182 - 184]


13. Weiterführende Ressourcen


Albs, Norbert: Wie man Mitarbeiter motiviert : Motivation und Motivationsförderung im Führungsalltag. --  Berlin : Cornelsen, 2005. -- 256 S. : graph. Darst. ; 24 cm. -- ISBN: 3-589-23680-9. -- {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch  bei amazon.de bestellen} 


Zu Kapitel 2.3.: Arbeitszufriedenheit