Materialien zur Religionswissenschaft

Menora

Menora -- der siebenarmige Leuchter nach Sacharja 4,2

Judentum


von Alois Payer

payer@Well.com


Zitierweise / cite as:

Payer, Alois <1944 - >: Judentum. -- Fassung vom 26. April 1999. -- (Materialien zur Religionswissenschaft). -- URL: http://www.payer.de/judentum/judentum.htm. -- [Stichwort].

Erstmals publiziert: 1995

Überarbeitungen: 21. Februar 1998; 26. 4. 1999 [Hinzufügung von Buchbestell-Links zu amazon.de]

Anlaß: Lehrveranstaltung Wissenschaftskunde Religionswissenschaft / Theologie, HBI Stuttgart, WS 1995/96

Unterrichtsmaterialien (gemäß § 46 (1) UrhG)

©opyright: Dieser Text steht der Allgemeinheit zur Verfügung. Eine Verwertung in Publikationen, die über übliche Zitate hinausgeht, bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Verfassers.


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Motto

"Man sollte Juden und Israelis weder als Unmenschen noch als Übermenschen darstellen, sondern als das, was sie immer waren, sind und bleiben werden: als Menschen."

[Wolffsohn, Michael <1947 - > ; Bokovoy, Douglas <1949 - >: Israel : Grundwissen-Länderkunde. -- 5., erw. und überarb. Aufl. -- Opladen : Leske + Budrich, ©1996. -- ISBN 3810016926. -- S. 482. --  {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch direkt bei amazon.de bestellen}]


0. Übersicht



1. Hauptrichtungen des religiösen Judentums der Gegenwart


1.1. Orthodoxie


Ablehnung von Aufklärung, Emanzipation, Reformjudentum und Assimilation. Hält strikt an traditioneller Frömmigkeit und weitgehend auch Lebensweise fest: Strikte Befolgung des Sabbatgebotes, der Speisevorschriften, Trennung der Frauen in Synagogen, Hebräisch ist einzige Kultsprache. Ca 15% des Gesamtjudentums. Mit ihrer Einheit von Volks- und Religionszugehörigkeit stellt Orthodoxie die einzige Brücke zwischen "Nationaljuden" (ohne religiöse Bindung) und reinen "Konfessionsjuden" (ohne jüdisches Nationalbewußtsein) dar. Es gibt in der Orthodoxie mehrere Abstufungen. Hat in Israel Monopolstellung.


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1.1.1. Nichtzionistische und antizionistische Orthodoxie


Man meint, daß bis zur Ankunft des Messias jeder Versuch der Aufhebung der Exilsituation zum Scheitern verurteilt ist, [zumindest sofern ein derartiger Versuch nicht voll auf dem Boden der Thora steht -> zionististische Orthodoxie]


1.1.2. Zionistische Orthodoxie


1.2. Reformjudentum


Ab 1810 kam es in privaten Zirkeln, ab 1817 am sog. Hamburger "Tempel" zu ersten praktischen Änderungen in der Gottesdienstordnung (Kürzungen, Chorgesang, Orgelmusik), und auch die Predigt in der Landessprache wurde langsam üblich.

Hamburger TempelDer Neue Tempel in Hamburg (118 KB)

Theologische Neuerungen:

Eine 2. Ausg. des Hamburger Gebetbuchs führte 1841 zu Kontroversen, ebenso die von Orthodoxen verhinderte Berufung Abraham Geigers (1810 - 1874) ins Breslauer Rabbinat. Geiger wurde nun führender Vertreter weiterer Reformtendenzen; ab 1842 wurden Reformen offen gefordert. Dies verursachte 1845 den Protest einer konservativeren Richtung (-> Konservatives Judentum). Weitergehende Reformzirkel und eine Reformgemeinde in Berlin (1845) fanden wenig Echo; die Mehrheit wollte keine Teilung der Gemeinden, in denen von da an Kompromisse nach den Mehrheitsverhältnissen geschlossen werden mußten. Die entschiedeneren Reformer unterlagen dem "evolutionistischen" A. Geiger und wanderten zum großen Teil in die USA aus.

Dort wurde die Pittsburgh Platform (Volltext) von 1885 maßgebend. Ihre Inhalte:

  1. Berechtigung anderer, speziell monotheistischer Religionen neben dem Judentum, in dem freilich die Gottesidee am reinsten und höchsten entfaltet sei.
  2. Die Bibel, Dokument der jüdischen Sendung, liegt in historisch bedingter, aber moderner Wissenschaft grundsätzlich nicht widersprechender Form vor.
  3. Das tradierte Gesetz (Thora) wird als historisch bedingtes Mittel zur Bewahrung der Wahrheit begriffen, von dem für die Gegenwart nur mehr die ethischen Gebote als verbindlich betrachtet werden. Das soll aber in der Praxis eine ästhetisch- zeremoniale Anwendung nicht ausschließen, sofern diese moderner Lebensführung entspricht.
  4. Die traditionelle messianische Hoffnung wird durch die Erwartung einer "Herrschaft der Wahrheit, Gerechtigkeit und des Friedens unter allen Menschen" ersetzt.
  5. Christentum und Islam erfüllen als Tochterreligionen des Judentums die missionarische Funktion der Verbreitung des Monotheismus, der aber mit den Prinzipien des modernen Humanismus verbunden sein soll.
  6. Glaube an eine unsterbliche Seele; Verwerfung des Glaubens an eine leibliche Auferstehung und an Höllenstrafen.
  7. Betonung einer notwendigen Lösung der sozialen Probleme.

Die Pittsburgh Platform wurde 1937 durch die Columbus Platform (Volltext) ersetzt

Lange Zeit waren die Reformjuden entschieden antizionistisch, verloren aber unter dem Eindruck der NS-Verfolgung ihren Diaspora-Optimismus und unterstützen mehr und mehr, bes. seit dem Sechs-Tage-Krieg 1967, den Aufbau des Staates Israel, seit 1977 werden wieder Zweifel an diesem Kurs laut.

Nur die moralischen Gesetze der Bibel sind bindend und die Zeremonien, die das Leben erheben und heiligen. Bräuche und Glaubensansichten, die dem modernen Standard nicht entsprechen, werden nicht befolgt. Glaube darf nicht im Widerspruch zur Vernunft stehen.

Im Kult Gleichberechtigung von Mann und Frau, Kultsprache ist die Landessprache, Instrumentalmusik in Synagoge zugelassen.

Ausbildungsstätte: Hebrew Union College in Cincinnati/USA (gegr. 1875).

In Israel können infolge des orthodoxen Religionsmonopols Reformgemeinden nicht gegründet werden und Reformrabbiner nicht amtieren.


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1.3. Konservatives Judentum


Entstand als eigene religiöse Strömung zwischen Reformjudentum und Orthodoxie ab Mitte 19. Jahrhundert. in Deutschland. Ziel ist das Bewahren der Tradition soweit sie mit modernen Erkenntnissen und Lebensumständen vereinbar ist, also die Annahme einer historisch bedingten Veränderlichkeit des Judentums bei voller Wahrung einer übergeschichtlichen Substanz. Nachdem in den USA 1885 in der Pittsburgh Platform die Reformrichtung die Mehrheit hatte, formierte sich in den USA der konservative Flügel. Als Ausbildungsstätte wurde das Jewish Theological Seminary in New York 1887 gegründet.

Schließlich etablierten sich die Conservatives als eine Art Denomination mit Einzelgemeinden unter einer Dachorganisation. In Israel verhindert das orthodoxe Religionsmonopol die Gründung konservativer Gemeinden. Die Konservativen befolgen die jüdischen Speisegebote mit nur kleinen Erleichterungen, beobachten den Sabbat und die Feste in traditioneller Weise, sie haben aber viele liturgische Formen von den Reformjuden entlehnt, z.B. den Gebrauch der Landessprache in Gebeten.


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1.4. Reconstructionism


Der starke Assimilationssog in Nordamerika und die Aufspaltung des Judentums in die drei Denominationen - Orthodoxe, Konservative und Reformjuden - veranlaßte Mordechai M. Kaplan (geb. 1881) seit 1921 zu einer Sammelbewegung aufzurufen. Kaplan selbst kam von den Konservativen und suchte eine gemeinsame Basis für alle drei Denominationen.

Dafür prägte er den Begriff Jewish Civilization, wobei er die Religion als einen zwar wesentlichen, aber keineswegs als einzigen maßgeblichen Faktor betrachtete, sondern eher im Sinn des modernen Nationalismus als eine völkische Lebensäußerung und als Mittel zur Selbsterhaltung des Volkstums einschätzte. Geschichte, hebräische Sprache, Literatur, soziale Ordnungen und Einrichtungen und Religion konstituieren die jüdische Zivilisation. Zum Zionismus steht man positiv.

Der Reconstructionism wollte den assimilierten und konfessionell zersplitterten Juden diese Faktoren wieder ins Bewußtsein bringen und damit eine kulturell-ethnische Abgrenzung von der Umwelt erreichen. In kultureller Hinsicht erreichte der Reconstructionism viel, die religiöse Einigung erreichte er aber nicht, sondern es bildeten sich eigene Reconstructionists-Gemeinden und damit etwas wie eine vierte jüdische Denomination in den USA.

 


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2. Die dreizehn Glaubenssätze des Maimonides und die Zehn Gebote


"Es ist nicht Pflicht, aber ein guter Brauch, daß jeder Jude an jedem Tage die dreizehn Glaubensartikel, in die der große Maimonides (1135-1204) den Extrakt des jüdischen Glaubens faßte, und die biblischen Zehn Gebote lese.

Die Glaubensartikel lauten:

  1. Ich glaube mit voller Überzeugung, daß der Schöpfer, gepriesen sei sein Name, jegliche Kreatur schafft und lenkt und daß er allein der Urheber alles dessen ist, was geschah, geschieht und geschehen wird.
  2. Ich glaube mit voller Überzeugung, daß der Schöpfer, gepriesen sei sein Name, einzig ist und daß es keine Einheit seinesgleichen gibt, in keinerlei Hinsicht, und daß er allein unser Gott war, ist und sein wird.
  3. Ich glaube mit voller Überzeugung, daß der Schöpfer, gepriesen sei sein Name, unkörperlich ist und frei von jeder Möglichkeit, materiell vorgestellt zu werden; und daß ihm auch keine Gestalt beigelegt werden kann.
  4. Ich glaube mit voller Überzeugung, daß der Schöpfer, gepriesen sei sein Name, Anfang und Ende ist.
  5. Ich glaube mit voller Überzeugung, daß der Schöpfer, gepriesen sei sein Name, allein es ist, dem Anbetung gebührt, und daß es ungebührlich ist, außer ihm ein Wesen anzubeten.
  6. Ich glaube mit voller Überzeugung, daß die Worte der Propheten alle wahrhaftig sind.
  7. Ich glaube mit voller Überzeugung, daß die Kündung unseres Lehrers Moses, Friede ihm, die Wahrheit und daß er von allen Propheten, früheren wie späteren, der Vater war.
  8. Ich glaube mit voller Überzeugung, daß diese Thora, wie wir sie jetzt besitzen, die gleiche ist, die unserem Lehrer Moses übergeben wurde.
  9. Ich glaube mit voller Überzeugung, daß diese Thora unverwechselbar ist und daß es nie eine andere Lehre vom Schöpfer her, gepriesen sei sein Name, geben wird.
  10. Ich glaube mit voller Überzeugung, daß der Schöpfer, gepriesen sei sein Name, alles Tun und jegliches Trachten der Menschen kennt, wie es heißt: Er, der ihre Herzen ganz und gar gebildet, Er weiß auch all ihr Tun.
  11. Ich glaube mit voller Überzeugung, daß der Schöpfer, gepriesen sei sein Name, wohl vergilt all denen, die seine Gebote erfüllen, und übel tut denen, die seine Gebote brechen.
  12. Ich glaube mit voller Überzeugung, daß der Messias kommt, und ungeachtet seines langen Ausbleibens erwarte ich täglich seine Ankunft.
  13. Ich glaube mit voller Überzeugung, daß einst zu seiner Zeit, wenn es dem Schöpfer, gepriesen sei sein Name und erhoben sein Gedenken immer und ewig, wohl gefällt, die Toten auferstehen werden.

Die zehn Gebote lauten:

  1. ICH bin dein Gott, der dich führte aus dem Lande Ägypten, aus dem Dienstfrönerhaus.
  2. Nicht sei dir andere Gottheit neben meinem Angesicht. Nicht mache dir Schnitzwerk noch irgend Gestalt des, was im Himmel ringsoben, was auf Erden ringsunten, was im Wasser ringsunter der Erde ist, wirf dich ihnen nicht hin, diene ihnen nicht, denn ICH dein Gott bin ein eifernder Gott, bedenkend Fehl von Vätern an Söhnen, am dritten und vierten Glied, denen die mich hassen, aber Huld antuend ins tausendste denen, die mich lieben und meine Gebote wahren.
  3. Trage nicht SEINEN deines Gottes Namen auf den Wahn, denn nicht freispricht ER ihn, der seinen Namen trägt auf den Wahn.
  4. Gedenk des Tags der Feier, ihn zu heiligen. Ein Tagsechst dien und mach all deine Arbeit, aber der siebente Tag ist Feier IHM, deinem Gott: nicht mach irgend Arbeit, du, dein Sohn, deine Tochter, dein Dienstknecht, deine Magd, dein Vieh und dein Gastsasse in deinen Toren. Denn ein Tagsechst machte ER den Himmel und die Erde, das Meer und alles, was in ihnen ist, und ruhte am siebenten Tag, darum segnete ER den Tag der Feier und hat ihn geheiligt.
  5. Ehre deinen Vater und deine Mutter, damit fortlangen deine Tage auf dem Erdenacker, den ER dein Gott dir gibt.
  6. Morde nicht.
  7. Buhle nicht.
  8. Stiehl nicht.
  9. Aussage nicht gegen deinen Genossen als Lugs Zeuge.
  10. Begehre nicht das Haus deines Genossen. Begehre nicht das Weib deine Genossen, seinen Knecht, seine Magd, seinen Ochsen, seinen Esel, noch irgend was deines Genossen ist."

Quelle: Hirsch, Leo <1903 - 1943>: Jüdische Glaubenswelt. - Gütersloh : Bertelsmann, 1966. - S. 28ff.


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3. Zeittafel


In Vorbereitung


4. Die jüdische religiöse Literatur


4.0.Weiterführende Ressourcen


Stemberger, Günter: Geschichte der jüdischen Literatur : eine Einführung. - München : Beck, 1977. - 257 S. - (Beck´sche Elementarbücher). - ISBN 3-406-06698-4. --  {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch direkt bei amazon.de bestellen}


4.1. Einteilung der jüdischen Literatur nach kabbalistischer Ansicht


  1. THORA
  2. ÜBERLIEFERUNGEN, die sich auf Thora beziehen
    1. Überlieferung über die materielle Form des Textes der Thora:

      MASORA (Fixierung des Textes) ("Körper" der Thora)

    2. Überlieferungen über den Inhalt der Thora (Erklärung und Deutung)
      1. Über den gesetzgeberischen Inhalt der Thora:

        TALMUD ("Lebensprinzip" der Thora)

        1. MISCHNA: Mündliche Überlieferung des Moses und der Propheten
        2. GEMARA: Kommentar zur Mischna
      2. Über den religiösen und philosophischen Inhalt der Thora: KABBALA (Geheimlehre) ("Seele" der Thora)
        1. Theorie
        2. Praxis

4.2. Die hebräische Bibel


Die hebräische Bibel heißt: Thora, Nebiim wa [und] Ketubim: Thora, Propheten Bücher

  1. Thora = Pentateuch: 5 Bücher Mosis
    1. Bereschit = Genesis
    2. Schemoth = Exodus
    3. Wajikra = Leviticus
    4. Bemidbar = Numeri
    5. Dewarim = Deuteronomium
  2. Nebiim = Propheten
    1. Josua
    2. Schoftim = Richter
    3. Samuel I/II
    4. Könige I/II
    5. Jesaja
    6. Jeremias
    7. Ezechiel
    8. 12 kleine Propheten
      1. Hosea
      2. Joel
      3. Amos
      4. Obadja
      5. Jona
      6. Micha
      7. Nachum
      8. Habakuk
      9. Zephanja
      10. Haggai
      11. Sacharja
      12. Maleachi
  3. Ketubim = Bücher
    1. Tehillim = Psalmen
    2. Mischle = Sprüche
    3. Hiob
    4. Schir Haschirim = Hohelied
    5. Ruth
    6. Echa = Klagelieder
    7. Koheleth = Prediger
    8. Esther
    9. Daniel
    10. Esra und Nehemia
    11. Chronik I/II

Biblia HebraicaBiblia Hebraica. -- Beginn der Thora (132 KB)


4.3. Der Talmud


4.3.1. Weiterführende Ressourcen


Stemberger, Günter: Der Talmud : Einführung - Texte - Erläuterungen. - 2., durchges. Aufl. - München : Beck, 1982. - 324 S. -- ISBN 3406083544. --  {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch direkt bei amazon.de bestellen}


4.3.2. Bestandteile und Rezensionen des Talmud


Der Talmud besteht aus:

  1. Mischna: der mündlichen Überlieferung, die angeblich auf Moses und die Propheten zurückgeht. Die Mischna wurde um 200 n. Chr. kodifiziert. Die Mischna ist geordnet in sechs Ordnungen und umfaßt 63 Traktate. Die Traktate sind unterteilt in Kapitel und Lehrsätze.
  2. Gemara: Der Auslegung der Mischna

Die Gemara wurde in zwei Zentren der rabbinischen Zeit getrennt (wenn auch mit vielen Wechselwirkungen) verfaßt. Deshalb gibt es zwei völlig verschiedene Rezensionen der Gemara und damit des Talmud

  1. palästinensischer Talmud
  2. babylonischer Talmud, ist heute für die meisten Juden "der Talmud" schlechthin

4.3.3. Ordnungen und (ausgewählte) Traktate der Mischna


  1. Ordnung Zera´im (Saaten), 11 Traktate, u.a.
  2. Ordnung Mo´ed (Festzeiten), 12 Traktate, u.a.
  3. Ordnung Nashim (Frauen), 7 Traktate, u.a.
  4. Ordnung Neziquin (Schädigungen), 10 Traktate
  5. Ordnung Qodashim (Heiligkeiten), 11 Traktate
  6. Ordnung Tohorot (Reinheiten), 12 Traktate, u.a.:

4.3.4. Äußere Textgestalt der Druckausgaben des babylonischen Talmud


"In den Jahren 1520 bis 1523 hat der christliche Buchdrucker Daniel Bomberg die erste Gesamtausgabe des babylonischen Talmud hergestellt. Seine Ausgabe hat das Druckbild des Talmud für alle Zeit fixiert."

Bomberg-TalmudAbbildung einer Seite aus der Talmudausgabe von Bomberg (170 KB)

"Der großgedruckte Text in der Mitte des Blatts ist der eigentliche Talmudtext, d.h. die Mischna ... und ihr amoräischer Kommentar, die Gemara, die den oberen Teil des Blattes beherrscht und nach der Mischna ... wieder einsetzt. Links unter der letzten Zeile des Großdrucks steht ein einzelnes Wort, nämlich jenes, mit dem die nächste Seite beginnt ...

Seit Bomberg steht in allen Talmudausgaben auf derselben Seite stets derselbe Text, was die üblich gewordene Zitationsweise ermöglicht. Jeder Traktat beginnt mit einer eigenen Blattzählung; das erste Blatt ist stets das Titelblatt, der Text beginnt somit auf Blatt 2. Die Vorderseite (recto ) wird als a bezeichnet, die Rückseite (verso) als b. Da das hebräische Buch von hinten aufgeschlagen wird, entspricht somit a den geraden, b den ungeraden Seiten unserer Bücher; die linke Seite ist somit Seite a des Blatts... Ganz gleich, ob die verwendete Textausgabe eine Einzeltraktat oder, gleichgültig in welcher Anordnung, mit anderen Traktaten zusammengebunden ist, die Zählung bleibt immer gleich. ...

In einer anderen hebräischen Schrifttype ... umgeben Kommentare den Talmudtext: auf der Innenseite des Blattes ... hat der von Anfang an autoritative Kommentar Raschi´s (1040-1105) seinen Ehrenplatz. Die Außenseite ... nehmen die Tosafot ein, die von Raschis Schwiegersöhnen und Enkeln begonnenen Kommentare... allein schon die Textanordnung zeigt, daß man nach klassischer jüdischer Form den Talmudtext nicht für sich studiert, sondern stets zusammen mit seinen großen Kommentare, also in den Dialog der Jahrhunderte eingebunden, der sich um den Talmud entsponnen hat.

Nicht festgelegt, sondern in den jeweiligen Textausgaben verschieden (kann auch ganz fehlen), ist der Rand ganz außen. In unserem Textbeispiel ist rechts eine Spalte mit Querverweisen auf Parallelen in der rabbinischen Literatur zu finden; links stehen Hinweise auf die geltende Halakha - das Talmudstudium soll ja nicht bloße Theorie bleiben, sondern in die Lebenspraxis münden - und darunter der frühe Kommentar des Rabbi Chananel von Kairwan (11. Jahrhundert)."

(Zitat aus: Stemberger, a.a.O., S. 69)


4.3.5. Auslegungsregeln für den Talmud


Grundlegend für die Auslegung des Talmud ist es, bei jeder einzelnen Textstelle zu entscheiden, ob es sich dabei um eine Gestzesvorschrift handelt, oder um eine erbauliche (nicht religionsgestzliche) Aussage:

  1. Halakha:: religiöser Gesetzestext
  2. Haggada:: erbaulicher Text

Für die Auslegung des talmudischen Textes gibt es es verschiedene Auslegungsregeln, welche die rabbinische Tradition in Gruppen zusammengefaßt hat:

Als Beispiel seien kurz die Regeln Hillels genannt

  1. Schluß vom Leichten (minder Bedeutenden) auf das Schwerere (Bedeutendere) und umgekehrt. Beispiel:

    "Ein Schluß vom Leichteren auf das Schwerere vom Weizenkorn:
    dieses wird nackt begraben und bekommt bekleidet heraus.
    Um wieviel mehr ist dies von den Gerechten zu erwarten, die bekleidet begraben werden." (d.h. auch die Gerechten kommen bekleidet heraus, d.h. erstehen leiblich auf.)

  2. Gleiche Verordnung (Wortanalogie): Zwei Stellen, in denen dieselben Ausdrücke vorkommen, werden miteinander verknüpft. Beispiel:

    "Es sagte Rabbi Jannai: Schätze nie den Analogieschluß gering; denn siehe das Verbot, das untaugliche Opfer zu genießen, gehört zu den Grundlehren der Tora, und doch hat es die Bibel nur in einem Analogieschluß gelehrt. Denn es sagte Rabbi Jochanann, Rabbi Zabda bar Levi habe gelehrt:
    dort heißt es: wer davon ißt, muß die Folgen seiner Schuld tragen (lev. 19,8), und hier heißt es: Und die Person, die davon ißt, muß die Folgen ihrer Schuld tragen (Lev 7,18).
    Wie die dort explizit angedrohte Strafe die Ausrottung ist,
    so ist es auch hier die Ausrottung."

  3. Gründung einer Familie (Verallgemeinerung )von einer einzigen Bibelstelle aus. Beispiel:

    "Wenn jemand angetroffen wird (Dtn 17,2): von Zeugen.
    Aus der Regel, die dort gesagt wird: Erst auf die Aussage von zwei oder drei Zeugen darf eine Sache Recht bekommen (Dtn 19,15), ist zu verallgemeinern:
    Überall, wo es heißt angetroffen wird , ist dies von zwei oder drei Zeugen gemeint."

  4. Gründung einer Familie (Verallgemeinerung) von zwei Bibelstellen aus
  5. Allgemeines und Besonderes, Besonderes und Allgemeines
  6. Dem Ähnliches an einer anderen Stelle (Analogieschluß)
  7. Schluß aus dem Kontext

4.3.6. Beispiel eines Halakha-Textes


Babylonischer Talmud, 2. Ordnung ("Festzeiten"), 1. Traktat: Shabbat:

"Die im folgenden behandelten Fragen über das Hinaustragen am Sabbat von einer Privatwohnung auf die Straße und umgekehrt erinnern lebhaft an die spitzfindigen Fragen der römischen Rechtslehrer und der Scholastiker. Zum Verständnis muß man sich folgendes Bild konstruieren. Ein Mann, der als Wirt bezeichnet wird, sitzt in seinem Zimmer und guckt auf die Straße hinaus. Draußen steht ein Mann, der der Arme genannt wird. Dabei muß man nicht gerade an einen Bettler denken, es kann auch ein Briefträger sein. Er wird nur deshalb so genannt, weil der Draußenstehende gewöhnlich arm ist. Man denke sich also, daß er dem Wirt einen Brief zu überbringen hat, oder daß ihm der Wirt einen Brief übergeben will. Beides dürfen sie aber nicht tun, weil das Hinein- und Hinaustragen aus dem öffentlichen Gebiet in das Privatgebiet am Sabbat verboten ist. [das erschließt man aus Exodus 36,3-6]. Dabei sind acht Fälle, bei denen der Arme und der Wirt je eine Handlung begehen, möglich:

  1. Der Briefträger streckt die Hand mit dem Brief durch das Fenster hinein. Dadurch hat er noch keine Sünde begangen, denn er hat den Brief ja nicht hineingelegt; der Wirt nimmt ihm den Brief aus der Hand, auch er begeht dadurch keine Sünde, denn er hat ihn ja nicht hineingetragen.
  2. Der Briefträger streckt die Hand mit dem Brief durch das Fenster und legt den Brief in die Hand des Wirtes, dann ist der Briefträger schuldig und der Wirt nicht.
  3. Der Wirt hat einen Brief zu befördern. Der Briefträger streckt die Hand ins Zimmer hinein und nimmt den Brief aus der Hand des Wirtes. Auch hier ist der Briefträger schuldig und der Wirt nicht.
  4. Wenn ihm aber der Wirt den Brief in die Hand legt, dann sind beide unschuldig.
  5. Der Wirt streckt die Hand mit dem Brief zum Fenster hinaus und legt ihn in die Hand des Briefträgers, dann ist der Wirt schuldig und der Briefträger unschuldig.
  6. Wenn nun aber der Wirt die Hand mit dem Brief aus dem Fenster streckt und der Briefträger ihm dabei den Brief aus der Hand nimmt, dann sind beide unschuldig
  7. Der Briefträger hat einen Brief in der Hand, der Wirt streckt die Hand zum Fenster hinaus und nimmt den Brief aus der Hand des Briefträgers. Der Wirt ist schuldig und der Briefträger ist unschuldig.
  8. Wenn aber der Briefträger ihm den Brief in die Hand legt, dann sind beide unschuldig.

Auf diese Weise können der Wirt und der Arme im Zimmer und auf der Straße je zwei mal zwei Arbeiten am Sabbat verrichten, wobei ein jeder viermal schuldig und viermal unschuldig ist."

Wortgetreue Übersetzung des oben erklärten Textes der Mischna:

"Jeziot, die Hinausgänge, am Sabbat: zwei, das sind vier, drinnen und zwei, das sind vier, draußen. Wieso? Der Arme steht draußen und der Wirt drinnen. Der Arme streckt die Hand nach dem Innern und gibt in die Hand des Wirtes, oder er nimmt aus ihr und bringt hinaus. der Arme ist schuldig und der Wirt ist nicht schuldig. Der Wirt streckt die Hand hinaus und gibt in die Hand des Armen oder er nimmt aus ihr und bringt hinein: der Wirt ist schuldig und der Arme ist nicht schuldig. Der Arme streckt die Hand in das Innere hinein und der Wirt nimmt aus ihr oder er legt in sie und bringt hinaus: beide sind unschuldig. Der Wirt streckt die Hand hinaus und der Arme nimmt aus ihr oder er gibt in sie und er bringt hinaus: beide sind unschuldig."

Quelle: Der babylonische Talmud / übertragen und erläutert von Jakob Fromer. - [Nachdruck]. - Wiesbaden : Fourier, 1984. - ISBN 3-921695-88-0. - S. 167 - 170. --  {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch direkt bei amazon.de bestellen}


4.3.7. Beispiel eines Haggada-Textes


"Gott bereitet den Tisch

Es geschah einmal, daß Rabbi Elieser, Rabbi Jehoschua und Rabbi Zadok im Haus des Sohnes Rabban Gamliels zu Tische saßen. Und Rabban Gamliel stand auf und schenkte ihnen ein. Er gab den Becher an Rabbi Elieser, aber dieser nahm ihn nicht. Er gab ihn an Rabbi Jehoschua, und dieser nahm ihn an. Rabbi Elieser sagte zu ihm: Was soll das, Jehoschua: Wir sitzen da und Rabban Gamaliel steht und schenkt uns ein! Er sagte zu ihm: Wir finden einen, der größer war als er und bediente! Abraham war der Größte seiner Zeit, und von ihm ward geschrieben: Er aber stand vor ihnen. (Gen 18,8). Aber vielleicht werdet ihr sagen: Wie Dienstengel erschienen sie ihm. Aber nein, sie erschienen ihm als Araber. Warum aber soll dann nicht auch Rabban Gamliel, der Hochgelehrte, stehen und uns einschenken?

Rabbi Zadok sagte zu ihnen: Wie lange noch wollt ihr die Ehre des Allgegenwärtigen liegenlassen und euch mit der Ehre der Geschöpfe befassen? Der Heilige, gelobt sei er, läßt Winde wehen, Wolken aufsteigen, Regen fallen, Boden bewachsen und bereitet einen Tisch vor aller Angesicht, einem jeden einzelnen. Warum aber soll dann nicht auch Rabban Gamliel, der Hochgelehrte, stehen und uns einschenken?"

(Kidduschin 32b)

Quelle: Der babylonische Talmud / ausgew., übers. und erklärt von Reinhold Mayer. - 3., überarb. Aufl. - München : Goldmann, 1963. - (Goldmann ; 7902). - ISBN 3-442-07902-0. - S. 76.


4.4. Maimonides: Mischne Tora


Maimonides (1135-1204, Ägypten) kodifizierte das gesamte jüdische Gesetz in seinem Werk Mischne Tora. Die Sachordnung folgt ungefähr dem Aufbau des Talmuds. Erfaßt ist die gesamte Halakha, auch diejenige, die in der Exilssituation nicht praktizierbar ist (Tempelkult).

Beispiel:

"Über den Messias (Mischne Tora, Hilchat Melachim, Kap. 2)

Es komme dir nicht in den Sinn, daß der König Messias Wunder tun wird oder Neues schaffen oder die Toten lebendig machen wird und ähnliche Dinge, wie die Narren sich erzählen; nichts davon ist zu erwarten. War ja Rabbi Aqiba einer der größten Mischna-gelehrten, Waffenträger des Bar Kochba, den er und seine gelehrten Zeitgenossen für den König Messias hielten, bis er durch die Sünden getötet wurde, und erst dann wurde klar, daß es nicht der wahre Messias war. Die Weisen hatten von ihm kein Zeichen und kein Wunder verlangt. Ein wichtiger Grundsatz aber ist, daß unsere Lehre, ihre Satzungen und Gebote, für ewig bestehen werden, daß nichts hinzugefügt und nichts außer Kraft gesetzt wird; wer das tut oder einen anderen Sinn in die Lehre setzen und die Gebote umdeuten will, der ist als Lügner, Frevler und Gesetzesverächter zu behandeln.

Sollte daher ein König vom Stamme David entstehen, der seinen Geist der Thora zuwendet und wie der Stammvater David die Gebote erfüllt, sowohl der schriftlichen wie der mündlichen Lehre, auch ganz Israel veranlaßt, nach der Thora zu leben und sie zu befestigen, so kann er für den Messias gehalten werden; nimmt seine Wirksamkeit einen glücklichen Verlauf, besiegt er die Nationen der Umgebung, erbaut den Tempel und versammelt die Zerstreuten Israels, so ist kein Zweifel mehr, daß es der richtige war. Wurde er vom Glück nicht begleitet und fiel er im Kampfe, so war es nicht derjenige, der uns nach der Verheißung gesandt werden soll, sondern er war wie jeder andere von den frommen Königen des Hauses David, die umgekommen sind, und Gott mochte ihn geschickt haben, um viele zu prüfen, wie es heißt Dan 11,35: Von den Verständigen werden viele irre gehen, denn sie sollen geläutert und geprüft werden bis ans Ende der Zeit, die in unbestimmter Ferne ist. Auch jener Mann, der sich für den Gesalbten ausgab, aber in der Folge gerichtlich die Todesstrafe erhielt - auch von ihm hat Daniel bereits gesagt: Aufrührerische Söhne deines Volkes werden sich erheben, um Verheißungen als erfüllt zu erklären, und werden einem Irrtum verfallen sein. (Dan 11,14). Gibt es in der Tat einen größeren Irrtum? Alle Propheten hatten gesagt, daß der Gesalbte Israel erlösen und von den Leiden befreien, ihre Zerstreuten versammeln und sie in der Beobachtung der Gebote stärken würde, während jener Mann dazu beitrug, daß Israel durch das Schwert (als Nation) vernichtet, zerstreut und gedemütigt wurde, er hat eine Veränderung der Lehre herbeigeführt und die Welt irre geleitet, indem er sie darauf führte, etwas außer dem wahren Gott zu verehren. Es ist jedoch kein menschlicher Gedanke imstande, die Pläne des Schöpfers der Welt zu erfassen, denn seine Wege sind nicht die unsrigen und seine Absichten von den unsrigen verschieden; so kam es, daß sowohl jener wie der später auf ihn folgende Religionsstifter dazu beitrugen, den Weg für den wirklichen Messias zu ebnen, der einen einheitlichen Gottesdienst für alle Völker begründen wird, wie es heißt Zephan. 3,9: Dann werde ich die Sprache aller Völker zu einer geläuterten verwandeln, damit sie allesamt in gleicher Weise und einmütig Gott verehren. Ist doch inzwischen (vermittels jener Religionsstiftungen) die ganze Welt voll geworden vom Gedanken an einen messianischen Erlöser und von den Worten der Lehre und der Gebote; sie beschäftigen sich jetzt alle mit den Worten der Thora und mit der Frage über ihre Gültigkeit; die einen behaupten, daß jene unsere Gebote wahr sind, aber nicht mehr gelten, die anderen legen ihnen einen geheimen Sinn bei und sagen, daß ihr Inhalt sich bereits erfüllt habe - wenn aber einst der wahre Messias kommen wird, dann werden sie alle umkehren und das Falsche in ihrem Glauben erkennen."

Quelle: Jüdische Geisteswelt : Zeugnisse aus zwei Jahrtausenden / herausgegeben von Hans Joachim Schoeps. - Darmstadt ; Genf : Holle, o.J. - S. 85 - 87.


4.5. Kabbala


"Die jüdische Mystik spiegelt wie die Mystik aller Religionen eine Seinserfahrung, die die Subjekt-Objekt-Spaltung der intellektuellen Erkenntnis hinter sich gelassen hat. Ihr Verständnis bietet aber besondere Schwierigkeiten, weil ihr ein in sich geschlossenes kosmologisches System zugrundeliegt, das mehrere Entwicklungsstufen durchgemacht hat.

Unter dem Namen Kabbala, d.h. Überlieferung älteren Traditionsgutes hat sich die jüdische Mystik als geistige Bewegung im 13. Jahrhundert von Spanien und Südfrankreich aus verbreitet. Ihr Hauptdokument, das in einem oft dunklen Aramäisch geschriebene Buch Sohar, d.h. Glanz, wird dem Rabbi Simon bar Jochai aus dem 2. Jahrhundert zugeschrieben; tatsächlich dürfte dieser wenig einheitliche, in der Tendenz auf eine Remythisierung der Tora abzielende Pentateuchkommentar aber in den meisten Stücken von dem 1305 verstorbenen Kabbalisten Mosche ben Schemtob de Leon aus Guadalajara verfaßt worden sein. Erstmalig gedruckt wurde der Sohar 1558 in Cremona.

Hauptthemen der jüdischen Mystik sind das Sein vor der Schöpfung und das Urlicht über dem sichtbaren Himmel, die Lehre von den 10 Sefirot (Sphären), die vom Göttlichen durchlaufen werden, die Vorstellung himmlischer Lichtfunken in allen irdischen Dingen und ihre Befreiung aus den Verschalungen (Keliphot). Ferner Allegoresen des tieferen Schriftsinnes der Tora, der sich aus dem Zahlenwert der hebräischen Buchstaben erschließt, wie der biblischen Personen und der ganzen jüdischen Geschichte; alsdann eine ausgedehnte Engel- und Dämonenlehre, da es in der Welt böse Mächte der anderen Seite gibt. Magie und Gegenmagie gehören daher zum Themenkreis der praktischen Kabbala.

Ziel der Kabbala ist geistige Erkenntnis der letzten Verborgenheiten und dadurch die unio mystica (mystische Vereinigung) des nach dem himmlischen Urbild (Adam kadmon) geschaffenen Menschen mit dem deus absconditus (verborgenen Gott), wozu besonders die Gebetskonzentration der Kawwana oder Tiefenandacht fähig macht. Zumal den Sabbat hat die Kabbala durch Vergeistigung zum mystischen Tag gemacht ...

Es muß betont werden, daß alle Texte jüdischer Mystik ein langes Spezialstudium voraussetzen ..."

Zitat aus: Jüdische Geisteswelt : Zeugnisse aus zwei Jahrtausenden / herausgegeben von Hans Joachim Schoeps. - Darmstadt ; Genf : Holle, o.J. - S. 107f.


Weiterführende Ressourcen zur Kabbala:

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4.5.1. Kabbalistische Buchstabenmystik


Nach der kabbalistischen Buchstabenmystik sind die Worte und Buchstaben der Bibel mystische Chiffren oder Zahlen. Dies geschieht entweder synthetisierend oder identifizierend.

"Synthetisierend ist" die Zahlenmystik "dann, wenn ein Wort mehrere andere in sich birgt, die man durch Erweiterung, Teilung oder Umstellung der Buchstaben entdeckt.

Identisierend oder pleonastisch ist sie, wenn man feststellen kann: mehrere Worte der Schrift beziehen sich auf denselben Gegenstand oder dieselbe Person. Diese Identität der Sache in mehreren Worten beruht entweder auf der mystischen Beziehung, die zwischen den Buchstaben besteht, oder auf ihrem numerischen Wert (Jeder Buchstabe des hebräischen Alphabets wurde auch als Zeichen für eine bestimmte Zahl verwendet) ..."

Quelle: Papus, Encausse Gérard: Die Kabbala / von Papus. Autoris. Übers. von Julius Nestler. - Wiesbaden : Fourier, 1980. -- ISBN 3921695430. - Einheitssachtitel: La Cabbala <dt.>. - S. 20 -23. --  {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch direkt bei amazon.de bestellen}


4.6. Chassidismus


Der Chassidismus war "im Gegensatz zum offiziellen Rabbinertum eine Erneuerungsbewegung unter den Juden Osteuropas und wollte das auch sein. Der Terminus Chassid ist biblisch und hängt mit Gnade, Heiligkeit, auch Liebe zusammen, weshalb das Substantiv chassiduth in späterer Zeit verbal mit: die Welt in Gott lieben wiedergegeben wird. Für die neue Bewegung ist nicht der Schriftgelehrte der ideale Typus, sondern der Zaddik, der Mittler zwischen den oberen und unteren Welten. Chassid bedeutet so viel wie Repräsentant des echten frommen Judentums oder Angehöriger einer Gemeinschaft wahrer Juden. Der Chassidismus, der die Erstarrung der Gesetzeskasuistik durchstieß und brachliegende seelische Bezirke zum Schwingen brachte, hat weite Kreise der Judenheit nochmals in enthusiastische Glaubensformen versetzt."

"Der Stifter des Chassidismus, Rabbi Israel ben Elieser aus Miedzyborz (1700-1760), mit seinem Würdenamen der Baal-Schem-Tow (Meister des guten Namens, Abbreviatur Bescht) war seiner soziologischen Kategorie nach ein Wanderprediger und Wundertäter, der Einkleidungen der Göttlichkeit in allen Erscheinungen der Welt wahrnahm - auch auf den allerniedrigsten Stufen."

"In seiner geschichtlichen Entwicklung hat der Chassidismus das Schicksal aller Erweckungsbewegungen geteilt, allmählich in äußeren Formen, in Dogmatismus und menschlicher Tyrannei zu versteinern. Sein Ende im 19. Jahrhundert ist die Entartung in Magie und Aberglauben gewesen; es blieb der Wunderrabbi."

Zitat aus:Jüdische Geisteswelt : Zeugnisse aus zwei Jahrtausenden / herausgegeben von Hans Joachim Schoeps. - Darmstadt ; Genf : Holle, o.J. - S. 213f.


Weiterführende Ressourcen zum Chassidismus:

Habad-Lubavitch Hasidism


4.6.1. Das Manifest des Baal Schem


"Der nachfolgende Bericht des Baal Schem (des Begründers des Chassidismus) über die Dinge, die er in der Exstase, nämlich bei einem Seelenaufstieg in den Himmel geschaut hat, ist 1752 als Brief an seinen Schwager Rabbi Abraham Gerschom Kutower nach Palästina gesandt worden. Von den Chassidim wurde er als heilige Urkunde betrachtet und täglich gelesen."

"Am Neujahrstag des Jahres 5507 (=1746) stieg meine Seele durch Beschwörungen, wie Du sie kennst, empor, und ich schaute wunderbare Dinge im Gesicht, die ich nie bis dahin gesehen hatte, seit ich ein Mann bin. Und was ich geschaut und gelernt habe, als ich dorthin aufstieg, kann man nicht mit dem Munde ausdrücken und erzählen. Als ich aber zum unteren Paradies zurückkehrte, sah ich viele Seelen Lebender und Toter, mir bekannte und mir unbekannte, ohne Zahl und Maß hin und her von Welt zu Welt steigen, auf jenem Strahl, der den in der verborgenen Weisheit Erfahrenen bekennt ist, in großer und gewaltiger Freude, von der zu erzählen der Mund ermüden und das Ohr ermatten würde. Auch viele Frevler kehrten in Busse um, und ihre Sünden wurden ihnen vergeben; denn es war eine große Zeit der Gnade, und auch in meinen Augen schien es sehr wunderbar, daß soundso viele, die auch Du kennst, zur Busse angenommen wurden. Auch unter ihnen war sehr große Freude, und auch sie stiegen nach der obenerwähnten Art empor. Und alle drangen zumal auf mich ein und baten mich: `Für die Höhe und herrliche Stufe deiner Tora hat dich Gott mit Einsicht und Tora begnadet, solche Dinge zu fassen und zu erkennen. Mit uns sollst du aufsteigen, uns Stütze und Beistand sein!´ Und der großen Freude wegen, die ich in ihren Augen sah, versprach ich, mit ihnen emporzusteigen. Und ich schaute den Satan, wie er in Freude ohnegleichen hinaufstieg, um anzuklagen, und sein Werk vollführte, so daß über viele jüdische Seelen Vernichtungsbeschlüsse verhängt wurden, nach denen sie in furchtbaren Toden sterben sollten. Und Schrecken ergriff mich, und ich gab wirklich meine Seele hin und bat meinen Lehrer und Meister, mit mir zu gehen; denn es ist sehr gefährlich, in die oberen Welten aufzusteigen; seit ich denken kann, hatte ich solche hohen Aufstiege nicht gemacht. So stieg ich Stufe um Stufe empor, bis ich die Halle des Messias betrat, wo der Messias Tora lernt mit allen Tannaiten und Zaddikim und auch mit den sieben Hirten (= Abraham, Isaak, Moses, Aaron, David, Salomo). Und ich schaute dort eine unendliche Freude, und ich weiß nicht, was sie bedeutete; aber ich meinte, sie sei - Gott behüte - meines Abscheidens aus dieser Welt wegen. Doch man ließ mich später wissen, daß ich noch gar nicht abgeschieden war; denn oben herrscht Freude, wenn ich unten durch ihre heilige Tora Einungen vollziehe. Aber das Wesen jener Freude weiß ich bis auf den heutigen Tag nicht, und ich fragte den Messias: `Wann wird der Herr kommen?´ Und er erwiderte mir: `Daran sollst du es erkennen: Wenn deine Lehre weltbekannt und du der Welt offenbart sein wirst und deine Quellen nach außen verströmen, was ich dich gelehrt und du erfaßt hast, und auch sie Einungen und Aufstiege werden vollbringen können wie du, dann wird die böse Macht vernichtet und eine Zeit der Gnade und Hilfe sein.´ Und ich erschrak darüber und war sehr traurig, daß die Zeit so lange währen würde, bis das möglich wäre. Aber unter dem, was ich dort gelernt habe, sind drei besondere Worte, drei heilige Gottesnamen, die leicht zu lernen und zu erklären sind.

Und dann kam ich wieder zu mir und dachte, vielleicht könnten durch sie (= die drei besonderen Worte) auch die Menschen meiner Zeit eine Stufe und Ordnung erlangen wie ich, daß sie nämlich auch ihre Seelen aufsteigen lassen könnten und, wie ich, lernen und erfassen. Aber es wurde mir nicht erlaubt, sie zu enthüllen, auch als ich für Dich bat, sie Dich lehren zu dürfen, und ich muß dabei beharren. Aber dies sage ich Dir, und Gott helfe Dir, und vor Gott sei Dein Weg, und Du weiche nicht ab und besonders im Heiligen Lande: Während Deines Gebets und Studiums und jeglicher Rede und Worte richte Dein Herz darauf; denn in jedem Buchstaben sind Welten, Seelen und die Gottheit, und sie steigen empor und verbinden und vereinen sich miteinander und nachher verbinden und vereinen sich die Buchstaben und werden zum Wort und vereinen sich in die wahre Vereinigung in der Gottheit. Und Deine Seele sei mit ihnen auf jeder dieser Stufen; dann vereinen sich alle Welten in eins und steigen empor, und grenzenlose Freude und Wonne entsteht, wie auf der unteren Welt die Freude des Bräutigams und der Braut ... Und Gott ist gewiß Dein Beistand, und wohin Du Dich wendest, mögest Du Glück haben. Gunst dem Weisen, er wachse an Weisheit!"

Quelle: Jüdische Geisteswelt : Zeugnisse aus zwei Jahrtausenden / herausgegeben von Hans Joachim Schoeps. - Darmstadt ; Genf : Holle, o.J. - S. 214-216.


4.6.2. Beispiele chassidischer Gleichnisse


"Ein Ungläubiger hielt einmal dem Berditschewer vor, die großen alten Meister seien auch tief im Irrtum befangen gewesen; so habe Rabbi Akiba an den Empörer Bar Kochba als an den Messias geglaubt und habe ihm gedient. Der Berditschewer antwortete: ´Einem Kaiser erkrankte einst sein einziger Sohn. Ein Arzt riet, einen Linnen mit einer scharfen Salbe zu bestreichen und es um den bloßen Leib des Kranken zu legen. Ein anderer widersprach, weil der Knabe zu schwach sei, um die heftigen Schmerzen, die die Salbe verursacht, zu ertragen. Der dritte empfahl nun einen Schlaftrunk; aber der vierte befürchtete, der könnte dem Herzen des Kranken einen Schaden zufügen. Da schlug der fünfte vor, man solle den Trunk löffelweise reichen, von Stunden zu Stunden, so oft der Prinz erwache und Schmerzen spüre. Und so wurde getan. Als Gott sah, daß die Seele Israels krank war, hüllte er sie in das ätzende Linnen des Galut (= Exil, Zerstreuung) und legte, daß sie es ertrüge, den Schlaf der Dumpfheit auf sie. Damit aber der sie nicht zerstöre, weckt er sie von Stunden zu Stunden mit einer falschen Messiashoffnung und schläfert sie wieder ein, bis die Nacht vergangen ist und der wahre Messias erscheint. Um dieses Werkes willen werden zuweilen die Augen der Weisen verblendet.´

Der Riziner sprach: Wenn eine Frau schwanger ist und die Wehen ergreifen sie im achten Monat, da die Zeit noch nicht vollbracht ist, dann müht man sich, die Wehen aufhören zu lassen. Nicht so im neunten: wenn sie da über die Frau kommen, will man die Wehen nur noch steigern, damit sie bald gebäre. Daher, wenn die Früheren zum Himmel schrien, daß eine Not von der Erde gehoben werde, wurden sie erhört, denn die Zeit war noch nicht vollbracht. Jetzt aber, da die Erlösung nahe ist, fruchtet kein Gebet, das um des Leidens der Welt willen aufsteigt, sondern Leid wird auf Leid gehäuft, auf daß die Geburt in Bälde geschehe."

Quelle: Geis, Robert Raphael: Vom unbekannten Judentum. - Freiburg [u.a.] : Herder, 1961. - (Herder Bücherei ; 102). - S. 194f.


5. Judentum als Lebensform


Ausführliche Darstellungen (mit Abbildungen) der einzelnen Aspekte des Judentums als Lebensform:

Payer, Alois <1944 - >: Judentum als Lebensform. -- (Materialien zur Religionswissenschaft):


Einen sehr guten Eindruck vom Judentum als Lebensform gibt

Kolatch, Alfred J. <1916 - >: Jüdische Welt verstehen : sechshundert Fragen und Antworten. -- 375 S. -- Wiesbaden, ©1996. -- ISBN 3-925037-68-3. -- Einheitssachtitel: The Jewish book of why. -- [In Form von Fragen und Antworten. Sehr empfehlenswert]. --  {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch direkt bei amazon.de bestellen}


Einen hervorragenden Eindruck vom Leben amerikanischer Juden gibt:

The ... Jewish catalog. - Philadelphia : Jewish Publication Society of America

  1. A do-it-yourself kit / comp. and ed. by Richard Siegel ... - [2. ed.] - 1973. - 318 S. : Ill. - ISBN 0-8276-0042-9. --  {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch direkt bei amazon.de bestellen}
  2. Sources and resources / comp. and ed. by Sharon Strassfeld ... - 1976. - 398 S. : Ill. - ISBN 0-8276-0084-4. --  {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch direkt bei amazon.de bestellen}
  3. Creating community / comp. and ed. by Sharon Strassfeld ... - 1980. - 416 S. : Ill.
    With a cumulative index to all 3 catalogs
    ISBN 0-8276-0183-2 . --  {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch direkt bei amazon.de bestellen}

Äußerst empfehlenswert! Ein Blick in das Inhaltverzeichnis dieses Werkes gibt eine gute Vorstellung davon, wie viele Lebensbereiche man einbeziehen muß, wenn man einen adäquaten Eindruck von Judentum bekommen will:

Vol 1:

Vol 2:

Vol 3:


6. Weiterführende Ressourcen zum gesamten Judentum


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FAQ:

Index to Soc.Culture.Jewish Reading List http://shamash.nysernet.org/lists/scj-faq/HTML/rl/hl-index.html

Clearinghouse:

Ressourcen in Printform:

Vorzügliche Gesamtdarstellung zur Geschichte:

Maier, Johann: Das Judentum : Von der biblischen Zeit bis zur Moderne. - München : Kindler, 1973. - 1021 S. : Ill. -- [Systematische Bibliographie: S. 879-952.]

Zur Geschichte der Juden in Deutschland bis zur NS-Zeit:

Gidal, Nachum Tim <1909 - 1996>: Die Juden in Deutschland von der Römerzeit bis zur Weimarer Republik. -- Köln : Könemann, ©1997. -- 440 S. : Ill. -- ISBN 3-89508-540-5. -- [Hervorragend, sehr informativ illustriert, sehr preiswert] . --  {Wenn Sie HIER klicken, können Sie dieses Buch direkt bei amazon.de bestellen}

Zum ersten Nachschlagen:

Maier, Johann:Kleines Lexikon des Judentums / Johann Maier ; Peter Schäfer. - Stuttgart : Katholisches Bibelwerk, 1981. - 332 S. : Ill. -- [Leider ohne Literaturangaben]

 


Hirsch, Leo: Jüdische Glaubenswelt. - Gütersloh : Bertelsmann, 1966. - 190 S. -- [Sehr empfehlenswerte, kurze Einführung in jüdisches Leben.]

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